Urteil des HessVGH vom 23.12.1985

VGH Kassel: abschiebung, aufschiebende wirkung, unrichtige rechtsmittelbelehrung, republik tschad, rechtsschutz, stadt, verfügung, bundesamt, anerkennung, asylbewerber

1
2
3
4
5
6
7
8
9
Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
10. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 TH 2134/85
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 10 Abs 1 AsylVfG, § 10
Abs 2 AsylVfG, § 14 AsylVfG
(Erforderlichkeit einer erneuten Abschiebungsandrohung
nach Folgeantrag trotz bestandskräftiger
Ausweisungsverfügung und Abschiebungsandrohung)
Gründe
I.
Der 1946 geborene Antragsteller ist tschadischer Staatsangehöriger. Nach seiner
Einreise in die Bundesrepublik Deutschland beantragte er unter dem 25. Januar
1978 seine Anerkennung als Asylberechtigter. Zur Begründung verwies er auf
seine Zugehörigkeit zu der Familie des im Jahre 1975 gestürzten ersten
Präsidenten der Republik Tschad, Tombaby Garta. Seit dem Staatsstreich der
Militärs im Jahre 1975 würden dessen Familienmitglieder in unerträglicher Weise
verfolgt. Der Antrag wurde vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge mit Bescheid vom 3. Juni 1982 abgelehnt. Weiterhin wurde der
Antragsteller mit ausländerpolizeilicher Verfügung vom 28. September 1982
aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen; zugleich wurde ihm die
Abschiebung angedroht. Die gegen diese Bescheide erhobene Klage des
Antragstellers wurde vom Verwaltungsgericht Mainz durch Urteil vom 13. Januar
1984 - II K 258/82 - als offensichtlich unbegründet abgewiesen.
Mit Bescheid vom 14. August 1984 wies dann der Oberbürgermeister der Stadt
Fulda den Antragsteller aus der Bundesrepublik Deutschland aus und drohte ihm
die sofortige Abschiebung an. Der hiergegen gerichtete Widerspruch des
Antragstellers wurde durch Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidenten in
Kassel vom 28. Dezember 1984 zurückgewiesen.
Mit Schreiben vom 9. Mai 1985 stellte der Antragsteller einen Folgeantrag, mit
dem er im wesentlichem sein Vorbringen aus dem ersten Asylverfahren
wiederholte. Diesen Antrag lehnte der Landrat des Landkreises Darmstadt-Dieburg
unter dem 7. August 1985 als unbeachtlich ab und führte aus, der Antragsteller sei
nach § 10 Abs. 1 AsylVfG zum unverzüglichen Verlassen der Bundesrepublik
Deutschland verpflichtet. Die rechtskräftige Ausweisungsverfügung des
Oberbürgermeisters der Stadt Fulda vom 14. August 1984 werde nach Beendigung
der Strafhaft, die der Antragsteller gegenwärtig verbüße, vollzogen.
Hiergegen hat der Antragsteller am 14. August 1985 Klage erhoben (V/1 E
20709/85) und zugleich um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht.
Er beantragte,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage vom 14. August 1985 gegen die
Verfügung des Antragsgegners vom 7. August 1985 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragte,
den Antrag zurückzuweisen.
Das Verwaltungsgericht wies den Antrag mit Beschluß vom 14. August 1985 als
9
10
11
12
13
14
15
16
17
Das Verwaltungsgericht wies den Antrag mit Beschluß vom 14. August 1985 als
unbegründet zurück. Der Folgeantrag sei unbeachtlich, da die Voraussetzungen
des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorlägen. Im Hinblick auf die rechtskräftige
Ausweisungsverfügung vom 14. August 1984 sei eine erneute
Abschiebungsandrohung entbehrlich.
Gegen diesen ihm am 2. Oktober 1985 zugestellten Beschluß hat der Antragsteller
am 9. Oktober 1985 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung wiederholt und
vertieft er sein bisheriges Vorbringen. Die jetzigen Machthaber im Tschad seien
aus dem Norden und Mohammedaner, während er, der Antragsteller, aus dem
Süden stamme und evangelischer Christ sei. Allein dieser Glaubensunterschied
genüge, um von der derzeitigen Regierung und den Rebellen verfolgt zu werden.
Von seiner gesamten Sippe lebe keiner mehr im Tschad. Er, der Antragsteller,
wisse nicht einmal, wohin es alle Mitglieder seiner Sippe verschlagen habe.
Der Antragsgegner tritt der Beschwerde unter Hinweis darauf entgegen, daß der
Antragsteller selbst eingeräumt habe, die Ausführungen des Verwaltungsgerichts
in dem angegriffenen Beschluß seien zutreffend. Ein darüber hinausgehendes
Abschiebungshemmnis nach § 14 AuslG sei nicht zu erkennen.
Ein vom Antragsteller vorgelegtes, in französischer Sprache abgefaßtes Schreiben
vom 10. November 1985 hat dieser innerhalb der ihm gesetzten Frist nicht in
deutscher Übersetzung vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Ausländerakte des Antragsgegners
Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und teilweise begründet.
Allerdings ist der Antrag entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht
gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zulässig. Anders, als in § 10 Abs. 2 und 3 AsylVfG
vorausgesetzt, hat der Antragsgegner im Zusammenhang mit der unter dem 7.
August 1985 erfolgten Bewertung des Asylfolgeantrags. des Antragstellers als
unbeachtlich keine Abschiebungsandrohung erlassen und auch sonst keine
Regelung getroffen gegen die der Antragsteller gemäß § 80 Abs. 5 VwGO
vorläufigen Rechtsschutz erlangen könnte. Der Antragsgegner hat bewußt davon
abgesehen, dem Antragsteller die Abschiebung anzudrohen, da er dies angesichts
der bestandskräftigen Ausweisungsverfügung des Oberbürgermeisters der Stadt
Fulda vom 14. August 1984 für entbehrlich hielt. Gleichwohl hat der Antragsgegner
den Folgeantrag des Antragstellers für unbeachtlich erklärt. Im Hinblick hierauf
erscheint es sachgerecht , den Eilantrag in der Weise auszulegen, daß der
Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz nach § 123 VwGO wegen Nichtweiterleitung
des Asylantrags begehrt ( § 10 Abs. 5 AsylVfG) . In diesem Antrag ist zugleich das
Ersuchen enthalten, daß dem Antragsgegner aufgegeben wird, den Antragsteller
vorläufig nicht abzuschieben.
Der Antrag hat in dem im Tenor zum Ausdruck kommenden Umfang Erfolg. Das
Verwaltungsgericht vertritt in dem angegriffenen Beschluß zu Unrecht die
Auffassung, der Antragsgegner habe dem Antragsteller im Hinblick auf die
bestandskräftige Ausweisungsverfügung vom 14. August 1984 nicht erneut die
Abschiebung anzudrohen brauchen.
Nach §§ 14, 10 Abs. 1, 2 AsylVfG droht die Ausländerbehörde dem Ausländer bei
Unbeachtlichkeit des Folgeantrag die Abschiebung unter Fristsetzung schriftlich
an.. Eine Sonderregelung des Inhalts, daß die Abschiebungsandrohung für den Fall
eines schon zum Zeitpunkt der Folgeantragstellung vorliegenden
Vollstreckungstitels gegen den Ausländer entbehrlich ist, wurde nicht geschaffen,
obwohl der Gesetzgeber davon ausgehen mußte, daß im Hinblick auf §§ 28, 30
AsylVfG typischerweise bei rechtskräftiger Ablehnung des ersten Asylantrags auch
ein Titel vorliegt, aus dem die Abschiebung betrieben werden kann. § 28 Abs. 7
AsylVfG schließt lediglich für den hier nicht interessierenden Fall, daß bei einer
nach § 28 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ergangenen Ausreiseaufforderung oder einer
nach § 10 Abs. 1 oder § 11 Abs. 1 AsylVfG bestehenden Ausreiseverpflichtung eine
Aufenthaltserlaubnis beantragt wird, die Anwendung von § 21 Abs. 3 Satz 1 AuslG
aus. Angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 10 Abs. 2 AsylVfG kann damit in
Fällen der vorliegenden Art von einer Androhung der Abschiebung nicht abgesehen
werden ( so auch Kloesel/Christ, Deutsches Ausländerrecht, 2. Aufl. , B 1.0.1. Anm.
18
19
20
21
werden ( so auch Kloesel/Christ, Deutsches Ausländerrecht, 2. Aufl. , B 1.0.1. Anm.
2 zu § 10 Abs. 2 AsylVfG; vgl. weiterhin OVG Nordrhein-Westfalen, NVwZ 1984, 261
sowie für den Fall eines Vorgehens nach § 21 Abs. 1 AsylVfG Bayer. VGH, EZAR
224 Nr. 4; anders OVG Hamburg, NVwZ 1884, 259).
Für dieses Ergebnis sprechen auch folgende Überlegungen: Zwar steht
Asylbewerbern, die - wie der Antragsteller - nach weniger als zwei Jahren nach
Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung ihres Asylantrags ein Folgeantrag
stellen, das gesetzliche Aufenthaltsrechts der §§ 19 Abs. 1, 20 Abs. 1 AsylVfG
gemäß § 21 Abs. 2 AsylVfG nicht zu. § 10 Abs. 3 letzter Satz AsylVfG schließt
jedoch - auch für diese Asylbewerber - die Abschiebung bis zum Ablauf der in Satz
3 der Vorschrift bestimmten Frist und im Falle eines Antrags nach § 80 Abs. 5
VwGO bis zur unanfechtbaren Entscheidung aus. Soll der hierdurch bezweckte
Schutz, der eine wirksame Inanspruchnahme und Durchsetzung des Grundrechts
auf Asyl (Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG) intendiert, nicht unterlaufen werden, kann eine
Abschiebung im Folgeantragsverfahren auch. Vor der Entscheidung der
Ausländerbehörde grundsätzlich ,nicht in Betracht kommen. Unter welchen
Voraussetzungen die Ausländerbehörde abweichend hiervon gemäß § 21 Abs. 1
AsylVfG aufenthaltsbeendende Maßnahmen schon vor der unanfechtbaren
Entscheidung über den Folgeantrag einleiten kann ( vgl. dazu BVerwG, Buchholz
402.25, § 21 AsylVfG Nr. 1), bedarf hier schon deswegen keiner Erörterung, weil
der Antragsgegner diesen - verfahrensmäßig für den Betroffenen günstigeren Weg
(vgl. u. a. das Erfordernis seines Widerspruchsverfahrens) nicht beschritten hat.
Weiterhin braucht nicht geklärt zu werden, inwieweit im Falle eines zweiten oder
weiterer Folgeanträge Besonderheiten gelten; denn entgegen den Ausführungen
des Bevollmächtigten des Antragstellers im Schriftsatz vom 9. Mai 1985 handelt
es sich bei dem Antrag offenbar um den ersten Folgeantrag des Antragstellers.
Hiervon geht auch der Antragsgegner aus. Mit dem nach den oben gemachten
Ausführungen bestehenden grundsätzlichen Ausschluß der Abschiebung des
Folgeantragstellers wäre es unvereinbar, könnte die Ausländerbehörde ohne
weiteres aus bei Stellung des Folgeantrags bestehenden Titeln die Vollstreckung
betreiben. Im vorliegenden Fall hat der Antragsgegner freilich den Folgeantrag
vom 9. Mai 1985 überprüft und für unbeachtlich erklärt. Auch wenn diese
Einschätzung: nach dem derzeitigen Sachstand - wie noch auszuführen ist -
zutreffend erscheint, kann dies nicht dazu führen, daß der Antragsgegner sich auf
die Ausweisungsverfügung vom 14. August 1984 bzw. die in dem angegriffenen
Bescheid gleichfalls erwähnte Abschiebungsandrohung vom 28. September 1982
stützen kann. Angesichts des ohnehin komplizierten Regelwerks des § 10 AsylVfG
droht Rechtsunsicherheit, würde man die. vom Gesetz in § 10 Abs. 2 AsylVfG
geforderte Abschiebungsandrohung, an die § 10 Abs. 3 und 4 AsylVfG mit
detaillierten Vorschriften hinsichtlich der Gewährung von Rechtsschutz anknüpft, in
Fällen wie dem vorliegenden für entbehrlich halten. Dies wird auch durch den
bisherigen Verfahrensablauf deutlich ( vgl. etwa die der Verfügung vom 9. Mai
1985 angefügte auf § 80 Abs. 5 VwGO abstellende unrichtige
Rechtsmittelbelehrung).
Soweit der Antragsteller darüber hinausgehend die Weiterleitung des Asylantrags
an das Bundesamt begehrt, ist der Antrag unbegründet. Der Senat teilt die
Auffassung des Verwaltungsgerichts, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis
3 VwVfG nicht schlüssig vorgetragen sind. Insoweit wird gemäß Art. 2 § 7 EntlG auf
die zutreffenden Ausführungen in dem angegriffenen Beschluß Bezug genommen.
Auch mit der Beschwerde wurden keine neuen entscheidungserheblichen
Tatsachen vorgetragen. Allerdings kann aufgrund der späteren Ausführungen des
Antragstellers nicht davon ausgegangen werden, daß er zum insoweit
maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats die Einstufung des
Folgeantrags als unbeachtlich selbst für zutreffend hält ( vgl. Schriftsatz vom 14.
Oktober 1985) .
Soweit der Antragsteller behauptet, er werde bereits verfolgt, weil er aus dem
Süden des Tschad stamme und evangelischer Christ sei, sind seine Ausführungen
nicht hinreichend substantiiert. Die Angaben in dem in französischer Sprache
abgefaßten Schreiben des Antragstellers vom 10. November 1985 können keine
Berücksichtigung finden, weil dieser innerhalb der ihm eingeräumten ausreichend
bemessenen Frist keine deutsche Übersetzung vorgelegt hat. Freilich wird der
Antragsgegner, sofern ihm die Übersetzung des fraglichen Schreibens nunmehr
umgehend zugeleitet wird, zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen des § 10
Abs. 1 AsylVfG weiterhin vorliegen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO.
22
23
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.