Urteil des HessVGH vom 11.11.1998

VGH Kassel: vorläufige dienstenthebung, beamtengesetz, hessen, entlassung, disziplinarrecht, verfassungsrecht, kirche, beamtenrecht, sucht, disziplinarverfahren

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
24. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
24 DH 2230/98
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs
3 GG, Art 28 Abs 1 S 1 GG,
Art 92 GG, Art 140 GG
(Kein Verwaltungsrechtsweg bei Disziplinarmaßnahmen
gegen Kirchenbeamte)
Gründe
Die nach § 71 Abs. 1 HDO statthafte Beschwerde ist auch im übrigen zulässig. Sie
ist insbesondere fristgerecht erhoben worden (§ 71 Abs. 2 HDO). Des Weiteren ist
das Rechtsschutzbedürfnis des Kirchenbeamten für sein auf Aufhebung seiner
unter dem 18. Februar 1998 von der Einleitungsbehörde. angeordneten.und durch
Beschluss des Disziplinargerichts des Bistums Limburg vom 18. Juni 1998 - D 9801
- bestätigten vorläufigen Dienstenthebung gerichtetes Begehren nicht dadurch
entfallen, dass die Einleitungsbehörde die von ihm zwischenzeitlich erwirkte
Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als konkludentes Gesuch auf Entlassung aus
dem Kirchenbeamtenverhältnis gedeutet und diesem mit Schriftsatz vom 15.
Oktober 1998 entsprochen hat. Denn hiergegen hat der Kirchenbeamte
ausweislich seines Schriftsatzes vom 20. Oktober 1998 mit aufschiebender
Wirkung Widerspruch eingelegt; so dass er allein deswegen - also ungeachtet der
Rechtmäßigkeit der verfügten Entlassung - jedenfalls zur Zeit nach wie vor als
Kirchenbeamter anzusehen ist.
Die Beschwerde ist aber nicht begründet, weil die Disziplinarkammer zu Recht
erkannt hat, dass der Rechtsweg zu den staatlichen Disziplinargerichten für das
Begehren des Kirchenbeamten nicht eröffnet ist, und zwar weder als originärer
noch als demjenigen zum kirchlichen Disziplinargericht nachgeschalteter
Rechtsweg.
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist - nach der von der Disziplinarkammer
vorgenommenen und von dem Kirchenbeamten in der Beschwerdeschrift vom 23.
Mai 1998 ausdrücklich als richtig bestätigten Auslegung - nur das gegen die unter
dem 18. Februar 1998 angeordnete vorläufige Dienstenthebung gerichtete
Rechtsschutzbegehren. Von der unter dem 30. März 1998 von der
Einleitungsbehörde außerdem angeordneten Einbehaltung des die Endstufe der
Besoldungsgruppe A 15 übersteigenden Teils der Dienstbezüge des
Kirchenbeamten hatte die Disziplinarkammer bei ihrer mit der Beschwerde
angegriffenen Entscheidung noch gar keine Kenntnis
Schon deshalb konnte sie hierüber nicht befinden und hat dies ausweislich der
Beschlussgründe auch nicht getan. Eine unmittelbare Einbeziehung der
Einbehaltungsanordnung in das Beschwerdeverfahren, wie sie der Kirchenbeamte
mit seinem Schriftsatz vom 26. September 1998 (S. 1, 3. Abs.) zu erwirken sucht,
ist - sofern überhaupt rechtlich möglich - jedenfalls nicht sachdienlich.
Direkt auf § 87 Abs. 2 Satz 1 HDO kann das auf Aufhebung der vorläufigen
Dienstenthebung gerichtete Begehren des Kirchenbeamten nicht gestützt werden,
weil die Hessische Disziplinarordnung nur für die dem Hessischen Beamtengesetz
unterliegenden Beamten gilt (§ 1 Abs. 1 HDO). Der hier betroffene Kirchenbeamte
fällt jedenfalls hinsichtlich des Disziplinarrechts nicht unter das hessische
Beamtenrecht. Denn zum einen gilt das Hessische Beamtengesetz nicht für die
Kirchen (§ 1 Abs. 2 HBG), und zum anderen erstreckt sich die Verweisung auf "die
Bestimmungen des Beamtenrechts des Landes Hessen" in dem dem
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Bestimmungen des Beamtenrechts des Landes Hessen" in dem dem
Kirchenbeamten anlässlich seiner Ernennung ausgehändigten Schreiben der
Einleitungsbehörde vom 14. November 1995 - angesichts der schon seit 1. Mai
1992 in Kraft befindlichen Disziplinarordnung für die kirchlichen Beamten im
Bistum Limburg (ABl. des Bistums Limburg 1992 [Nr. 5], S. 171 ff.) - bei objektiver
Betrachtung nicht auf die Hessische Disziplinarordnung. An deren Stelle trat
vielmehr von Beginn des Kirchenbeamtenverhältnisses an die vorgenannte
kirchliche Disziplinarordnung, so dass es - entgegen der Auffassung des
Kirchenbeamten - unerheblich ist, dass es sich bei ihr nicht um eine später
getroffene Einzelfallregelung handelt, welche in dem Ernennungsbegleitschreiben
vom 14. November 1995 ausdrücklich vorbehalten ist, und dass sie dem
Kirchenbeamten, wie er in seinem Schriftsatz vom 26. September 1998
behauptet, seinerzeit gar nicht bekannt war.
Die Möglichkeit der Anrufung der staatlichen Disziplinargerichte für den
Kirchenbeamten in entsprechender Anwendung des § 87 Abs. 2 Satz 1 HDO lässt
sich auch nicht aus Verfassungsrecht herleiten. Zwar folgt aus Art. 2 Abs. 1 GG
i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 u. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) und Art. 92
GG ein allgemeiner Justizgewährungsanspruch; bei der Feststellung von dessen
Reichweite ist aber zu beachten, dass Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV den
Religionsgesellschaften die Freiheit garantiert, ihre Angelegenheiten selbstständig
innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes zu ordnen und zu
verwalten (BVerfG, B. v. 18.09.1998 - 2 BvR 147/94 - m.w.N.). Kirchliches
Selbstverwaltungsrecht und allgemeine Gesetze sowie ihre Durchsetzung durch
die staatlichen Gerichte stehen danach in einem Wechselverhältnis, dem durch
entsprechende Güterabwägung Rechnung zu tragen ist, wobei dem
Selbstverständnis der Kirchen unter Beachtung des jeweils betroffenen Bereichs
besonderes Gewicht beigemessen werden muss (BVerfG, B. v. 18.09.1998 - 2 BvR
1476/94 - m.w.N.). Diese Abwägung ergibt für ausschließlich den inneren Bereich
der Religionsgesellschaften betreffende Angelegenheiten, dass hier war keine aus
den staatlichen Gesetzen resultierenden Handlungsschranken bestehen; vielmehr
schließt die von Verfassungs wegen gewährleistete kirchliche Eigenständigkeit und
Unabhängigkeit hier jede staatliche Einmischung - auch eine Überprüfung durch
staatliche Gerichte - aus (BVerfG, B-. v. 18.09.1998 - 2 BvR 59/93 - m.w.N.). Zu
den rein innerkirchlichen Angelegenheiten im vorbezeichneten Sinne gehört nach
einhelliger Rechtsprechung, der sich der Disziplinarhof anschließt, auch das
kirchliche Disziplinarrecht betreffend Mitarbeiter in öffentlich-rechtlichen
Dienstverhältnissen, jedenfalls soweit es um die Feststellung eines
Dienstvergehens und dessen disziplinare Ahndung geht; denn zumindest insoweit
wurzelt das kirchliche Disziplinarrecht als Teil des kirchlichen Amtsrechts im
geistlichen Wesen der Kirche und bildet einen Kernpunkt ihres
Selbstbestimmungsrechts (BVerfG, Be. v. 30.03.1984 - 2 BvR 1994/83 - NVwZ
1985, 105, u. v. 30.10.1984 - 2 BvR 1318/84 -NVwZ 1989, 452; OVG Lüneburg, U.
v. 16.01.1991 - 13 A 108/88 - NVwZ 1991, 796). Bei der Anordnung der vorläufigen
Dienstenthebung des Kirchenbeamten vom 18. Februar 1998 handelt es sich um
eine nach Maßgabe der vorstehenden Grundsätze den rein innerkirchlichen
Angelegenheiten zuzuordnende Maßnahme, da sie sich - unter Miteinbeziehung
des u.a. sie bestätigenden Beschlusses des Disziplinargerichts des Bistums
Limburg vom 18. Juni 1998 - in einer vorläufigen Bewertung des inkriminierten
illoyalen Verhaltens des Kirchenbeamten als Dienstvergehen und in der Prognose
der im förmlichen Disziplinarverfahren zu erwartenden endgültigen
Disziplinarmaßnahme erschöpft, ohne dass damit vermögensrechtliche
Auswirkungen verbunden sind.
Ist nach alledem der Rechtsweg zu den staatlichen Disziplinargerichten
verschlossen, so ist dem Disziplinarhof eine sachliche Überprüfung der von dem
Kirchenbeamten erhobenen Einwendungen gegen § 27 Abs. 6 und § 28 der
einschlägigen kirchlichen Disziplinarordnung sowie gegen das konkrete Verfahren
des Disziplinargerichts des Bistums Limburg in seinem Fall verwehrt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 102 Abs. 1 und 105 Abs. 1 Satz 1 HDO.
Dieser Beschluss wird mit seiner Zustellung rechtskräftig (§§ 71 Abs. 3 Satz 2, 82
HDO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.