Urteil des HessVGH vom 22.03.1990

VGH Kassel: aufschiebende wirkung, rechtliches gehör, vorläufiger rechtsschutz, aussetzung, vollziehung, bauarbeiten, eigentümer, wohnhaus, bauwerk, ermessen

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
4. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 TG 724/90
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 149 Abs 1 S 2 VwGO, §
173 VwGO, § 572 Abs 2
ZPO, § 146 Abs 1 VwGO
(Beschwerde gegen Ablehnung der Aussetzung der
sofortigen Vollziehbarkeit einer einstweiligen Anordnung)
Tatbestand
Der Antragsgegner baut zur Zeit im Stadtgebiet der Beigeladenen eine
Dreifeldsporthalle mit Tiefgarage. Der Antragsteller, Eigentümer eines in der Nähe
befindlichen mit einem Wohnhaus bebauten Grundstückes, hat bei dem
Verwaltungsgericht Darmstadt am 31.01.1990 einen Beschluß -- Az.: II/2 G
1672/89 -- erwirkt, mit dem dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen
Anordnung untersagt worden ist, die Bauarbeiten an diesem Bauwerk fortzuführen.
Gegen diesen Beschluß hat der Antragsgegner Beschwerde eingelegt, die beim
beschließenden Senat unter dem Aktenzeichen 4 TG 482/90 anhängig ist.
Den Antrag des Antragsgegners vom 09.02.1990, die Vollziehung des Beschlusses
des Verwaltungsgerichts vom 31.01.1990 auszusetzen, hat das
Verwaltungsgericht mit Beschluß vom 28.02.1990 abgelehnt. Zur Begründung hat
das Gericht ausgeführt, die Fortführung der Bauarbeiten nach
Außervollzugsetzung des angegriffenen Beschlusses würde zur Verfestigung eines
rechtswidrigen Zustandes führen. Gegen diesen Beschluß hat der Antragsgegner
am 08.03.1990 Beschwerde eingelegt, der das Verwaltungsgericht mit Beschluß
vom gleichen Tage nicht abgeholfen hat.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist zulässig.
Der erstinstanzliche Beschluß des Verwaltungsgerichts, die Aussetzung der
Vollziehung des von ihm erlassenen Baustopps abzulehnen, ist mit dem
Rechtsmittel der Beschwerde angreifbar. Gegen Entscheidungen, die nicht Urteile
oder Vorbescheide sind -- dazu gehören Beschlüsse --, steht dem Beteiligten, der
durch die Entscheidung beschwert wurde, die Beschwerde an das
Oberverwaltungsgericht zu, soweit nicht die Verwaltungsgerichtsordnung etwas
anderes bestimmt (§ 146 Abs. 1 VwGO). Zu dem Katalog der Maßnahmen, die
nicht mit der Beschwerde angefochten werden können, gehört nicht die
Entscheidung des Verwaltungsgerichts, über die Vollziehbarkeit der angefochtenen
Entscheidung nach § 149 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu befinden (so auch Bay. VGH,
Beschlüsse vom 15.09.1971 -- VGH Rspr. 24, 153 <154> und vom 25.06.1984 --
Bay. VBl. 1985, 22 f.; Kopp, VwGO, 8. Aufl. Rdnr. 3 zu § 149; Redeker-von Oertzen,
VwGO, 9. Aufl. Rdnr. 4 zu § 149; Finkelnburg-Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im
Verwaltungsstreitverfahren, 3. Aufl., Rdnr. 349; a.A. VGH Baden-Württemberg,
Beschluß vom 25.06.1985 -- DBVl. 1986, 287 f.).
Die Beschwerde ist aber unbegründet.
Die Beschwerde hat, wenn sie nicht die Festsetzung eines Ordnungs- oder
Zwangsmittels zum Gegenstand hat, keine aufschiebende Wirkung (§ 149 Abs. 1
Satz 1 VwGO). Das Gericht kann jedoch bestimmen, daß die Vollziehung der
angegriffenen Entscheidung einstweilen auszusetzen ist (§ 149 Abs. 1 Satz 2
VwGO). Die Voraussetzungen für eine Außervollzugssetzung der erstinstanzlichen
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VwGO). Die Voraussetzungen für eine Außervollzugssetzung der erstinstanzlichen
Entscheidung liegen hier nicht vor.
Ob und in welchem Umfang die Aussetzung anzuordnen ist, entscheidet der
beschließende Senat nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 173 VwGO i.V.m.§ 572
Abs. 2 ZPO in entsprechender Anwendung). Dabei ist zu beachten, daß der
Gesetzgeber die sofortige Vollziehbarkeit einer erstinstanzlichen Entscheidung zur
Regel gemacht hat (§ 149 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Ausgenommen ist die Festlegung
eines Ordnungs- oder Zwangsmittels, also eine Entscheidung mit Anordnungs-
oder Beugecharakter, die zumeist, wenn nicht überhaupt, eine
Nebenentscheidung sein wird. Darüber hinaus kann nur ausnahmsweise vom
Grundsatz der Vollziehbarkeit abgewichen werden. Dies kann zum einen
geschehen, wenn das angerufene Gericht bei summarischer Vorprüfung zu dem
Ergebnis gelangt, daß die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts
offenkundig rechtsfehlerhaft ist und es deshalb geboten erscheint, diese
Entscheidung sofort außer Vollzug zu setzen. Dann wird nämlich sichergestellt,
daß in einem anhängigen Beschwerdeverfahren, in dem den Beteiligten etwa noch
rechtliches Gehör gewährt werden muß und in dem in der Sache selbst erst nach
einiger Zeit entschieden wird, sofort zugunsten der Betroffenen gehandelt wird. Ein
solcher Fall liegt hier nicht vor, weil die mit der Beschwerde angefochtene
Entscheidung des Verwaltungsgerichts für den Senat nicht offensichtlich fehlerhaft
ist. Vielmehr bedarf es einer gründlichen Überprüfung dieser Entscheidung unter
Berücksichtigung des weiteren Vortrages der Verfahrensbeteiligten unter
Heranziehung von Rechtsprechung und Lehre. In einem solchen Fall aber bleibt es
bei dem Grundsatz, daß die erstinstanzliche Entscheidung vollziehbar ist.
Zum anderen ist der Grundsatz der sofortigen Vollziehbarkeit des Beschlusses des
Verwaltungsgerichts dann zu durchzubrechen, wenn unter Berücksichtigung aller
für und gegen die Aussetzung sprechenden Umstände zu erkennen ist, daß die
Vollziehung der Entscheidung vor Abschluß des Verfahrens den unterlegenen
Beteiligten unzumutbar belastet. Davon kann hier ebenfalls keine Rede sein. Es
sprechen zwar sicherlich gewichtige öffentliche Interessen dafür, daß den Schülern
Schulsporteinrichtungen in ausreichender Anzahl zur Verfügung gestellt werden
und das Bauvorhaben des Antragsgegners deshalb weitergeführt wird. Auf der
anderen Seite ist jedoch zu berücksichtigen, daß mit dem Fortgang der
Bauarbeiten in nur schwer rückgängig zu machender Weise möglicherweise in
schützenswerte private Rechte des Antragstellers eingegriffen wird. Ob und welche
der widerstreitenden Interessen, die generell als gleichwertig einzustufen sind, hier
möglicherweise verletzt bzw. beeinträchtigt sind, vermag der Senat im derzeitigen
Stadium des Verfahrens nicht zu sagen. Dabei kann es auch nicht allein oder
entscheidend auf das wirtschaftliche Interesse eines Bauherrn, hier des
Antragsgegners ankommen, das Bauvorhaben zügig fortzuführen und zu
beenden. Es verbleibt daher auch hier bei dem Grundsatz, daß die vom
Antragsgegner eingelegte Beschwerde keine aufschiebende Wirkung zu zeitigen
vermag. Dies hat zur Folge, daß der Baustopp einstweilen bis zur Entscheidung in
diesem Eilverfahren oder bis zur Entscheidung in der Hauptsache bzw. den
möglicherweise endgültig fortbesteht.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.