Urteil des HessVGH vom 25.07.1985

VGH Kassel: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, aufschiebende wirkung, vollziehung, öffentliches interesse, hütte, öffentliche sicherheit, vollstreckung, grundstück, beseitigungsverfügung

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
4. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 TH 1268/85
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 80 Abs 2 Nr 4 VwGO, § 83
Abs 1 BauO HE, § 71 Abs 4
VwVG HE
(Sofortige Vollziehung einer Duldungsverfügung gegenüber
dem Rechtsnachfolger)
Gründe
I. Die Antragstellerin ist Eigentümerin des im
Außenbereich von Ortenberg-Bleichenbach gelegenen Grundstücks Flur 6 Nr. 304.
Das Grundstück ist im Flächennutzungsplan der Gemeinde Ortenberg als
landwirtschaftliche Nutzfläche dargestellt. Es liegt im Geltungsbereich der
Verordnung zum Schütze von Landschaftsteilen in den Landkreisen Gießen, Main-
Kinzig, Vogelsberg und Kletterau, "Landschaftsschutzgebiet Vogelsberg-
Hessischer Spessart" vom 31. Juli 1975, StAnz. 1975, S. 1486, berichtigt S. 1688 -
LSchVO Vogelsberg-Hessischer Spessart -.
In den Jahren 1975/76 hatte die Voreigentümerin des
Grundstücks, die Mutter der Antragstellerin, Frau I. Z. eine seit 1938 bestehende
Hütte durch eine neue Hütte mit einem Anbau mit einem umbauten Raum von
etwa 87 cbm ersetzt und einen Teil des Grundstücks um die Hütte mit einem ca. 2
m hohen grünummantelten 72,40 lfd. m langen Maschendrahtzaun an
Rundpfosten eingefriedet. Mit Verfügung vom 25.02.1981 forderte der
Antragsgegner von Frau I. Z. die Beseitigung der Hütte und des Zaunes. Die nach
Zurückweisung ihres Widerspruchs erhobene Klage vor dem Verwaltungsgericht
Darmstadt (Az.: II/2 E 7/82) nahm die Klägerin in der mündlichen Verhandlung am
23.06.1982 zurück, nachdem der Antragsgegner ihr für den Abbruch
Vollstreckungsaufschub bis zum 01.09.1984 gewährt hatte.
Nachdem der Regierungspräsident in Darmstadt unter
dem 07.11.1984 um Mitteilung über den Stand der Angelegenheit gebeten hatte,
räumte der Antragsgegner Frau I. Z. mit Schreiben vom 28.11.1984 eine letzte
Frist zur Beseitigung der Anlagen bis zum 31.12.1984 ein. Mit Schreiben vom
06.12.1984 an den Antragsgegner verwies Frau Z. auf zehn weitere Hütten in der
Gemarkung Bleichenbach und fuhr dann wie folgt fort: Sie bitte "die Angelegenheit
wenigstens noch bis zum Frühjahr, etwa April - Mai 1985 zurückzustellen. Ich habe
mich bereits bemüht, einige Bauteile an den Mann zu bringen, was mir bis dato
nicht gelungen ist. Um nicht ganz und gar Schrott aus diesen Gegenständen zu
machen, (sie sind ja noch neuwertig), möchte ich in Eigenhilfe die Demontage
vornehmen und dies erfordert doch einige Zeit. Ich bitte deshalb ... mir einen
Aufschub wie vor erwähnt zu gewähren und mir darüber eine Bestätigung
zukommen zu lassen".
Mit Schreiben vom 10.12.1984 an Frau I. Z. räumte ihr
der Antragsgegner eine letzte Frist zur Beseitigung bis zum 01.03.1985 ein und
teilte im Hinblick auf die anderen in der Gemarkung Bleichenbach vorhandenen
Hütten im übrigen mit, daß, soweit hierfür keine Genehmigungen vorlägen,
ebenfalls die Beseitigung betrieben werde.
Mit Verfügung vom 03.04.1985 setzte der
Antragsgegner gegenüber Frau I. Z. die vorläufig veranschlagten Kosten für die
Ersatzvornahme in Höhe von 2.000,-- DM fest. Mit Schriftsatz ihres
Bevollmächtigten vom 16.04.1985 an den Antragsgegner teilte Frau I. Z. mit, sie
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Bevollmächtigten vom 16.04.1985 an den Antragsgegner teilte Frau I. Z. mit, sie
sei nicht mehr Eigentümerin des vorgenannten Grundstücks und forderte ihn auf,
binnen Wochenfrist mitzuteilen, daß keine Vollstreckungsmaßnahmen gegen sie
eingeleitet würden.
Am 13.05.1985 legte Frau Z. gegen den Bescheid des
Antragsgegners vom 03. 04. 1985 Widerspruch ein und beantragte am gleichen
Tage beim Verwaltungsgericht Darmstadt, die aufschiebende Wirkung des
Widerspruchs anzuordnen. Das Verfahren ist in der Beschwerde beim Senat
anhängig (Az.: 4 TH 1090/85).
Die Antragstellerin ist aufgrund einer Schenkung gemäß
Vertrag vom 13.02.1985 am 26.02.1985 im Grundbuch von Bleichenbach als
Eigentümerin des Grundstücks eingetragen.
Mit Verfügung vom 25.04.1985 forderte der
Antragsgegner die Antragstellerin auf, die Beseitigung der auf dem Grundstück
befindlichen Anlagen zu dulden, und ordnete zugleich die sofortige Vollziehung an.
Das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung begründete er
mit dem überwiegenden öffentlichen Interesse an der Durchsetzung der
bestandskräftigen Beseitigungsverfügung. Die Anordnung der
Duldungsverpflichtung ohne Anordnung der sofortigen Vollziehung würde
bedeuten, daß sich die Antragstellerin bei Einlegung eines Widerspruchs ihrerseits
erfolgreich zumindest eine längere Zeit bis zum Abschluß eines möglichen
Verwaltungsstreitverfahrens der Vollstreckung entziehen könne. Damit würde für
gleichgelagerte Fälle ein nachahmenswertes Beispiel gegeben, wie man sich
erfolgreich gegen die Durchsetzung einer bestandskräftigen
Beseitigungsverfügung wehren könne. Das Grundstück sei übereignet worden,
nachdem festgestanden habe, daß Frau I. Z. zur Beseitigung der baulichen
Anlagen verpflichtet sei und die Bauaufsichtsbehörde mit
Vollstreckungsmaßnahmen gedroht habe. Damit habe offensichtlich eine
Vollstreckung verhindert werden oder zumindest ein neues
Verwaltungsstreitverfahren gegen die Antragstellerin erforderlich gemacht werden
sollen.
Gegen diese Verfügung hat die Antragstellerin mit
Schriftsatz vom 20.05.1985 Widerspruch eingelegt, über den noch nicht
entschieden ist.
Den mit Schriftsatz vom 20.05.1985 am 22.05.1985 bei
dem Verwaltungsgericht Darmstadt gestellten Antrag auf Wiederherstellung der
aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs hat das Verwaltungsgericht mit
Beschluß vom 24.06.1985 zurückgewiesen.
Gegen den dem Bevollmächtigten der Antragstellerin
am 28.6.1985 zugestellten Beschluß hat dieser am 3.7.1985 Beschwerde
eingelegt, die nicht begründet wurde und der das Verwaltungsgericht nicht
abgeholfen hat.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde aus den zutreffenden Gründen des erstinstanzlichen
Beschlusses zurückzuweisen.
Die Gerichtsakten 4 TH 1090/85 und die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners
liegen vor. Sie waren Gegenstand der Beratung.
II.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag der Antragstellerin zu Recht abgelehnt.
Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines
gegen einen für sofort vollziehbar erklärten Verwaltungsakt eingelegten
Rechtsbehelfs auf Antrag des Betroffenen ganz, oder teilweise wiederherstellen.
Das Gebot, die Beseitigung der Einfriedung und der Hütte auf dem Grundstück der
Antragstellerin zu dulden, ist offensichtlich rechtmäßig und sein sofortiger Vollzug
ist im überwiegenden öffentlichen Interesse gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO
geboten.
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geboten.
Rechtsgrundlagen des behördlichen Einschreitens ist § 83 Abs. 1 Hessische
Bauordnung - HBO n.F. -, wonach die Bauaufsichtsbehörde bei baulichen Anlagen
nach diesem Gesetz für die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften und
der aufgrund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen zu sorgen und im
Rahmen der geltenden Gesetze die nach pflichtgemäßen Ermessen notwendigen
Maßnahmen zu treffen hat, um von der Allgemeinheit oder dem einzelnen
Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren, die durch
bauliche oder sonstige Anlagen nach diesem Gesetz hervorgerufen werden. Da die
Antragstellerin mit der Vollstreckung aus der gegen ihre Rechtsvorgängerin
ergangenen bestandskräftigen Beseitigungsverfügung vom 25.2.1981 nicht
einverstanden ist, muß vor der Vollstreckung gegen ihre Mutter eine vollstreckbare
Duldungsverfügung vorliegen (§ 71 Abs. 4 HVwVG). Durch sie wird bewirkt, daß die
Pflichtige der Beseitigungsanordnung im Hinblick auf eine sich aus dem Eigentum
der Antragstellerin im Zeitpunkt der angeordneten Vollstreckung ergebende
Verfügungsbeschränkung wird nachkommen können (vgl. Hess. VGH, B. v.
30.5.1984 - IV TH 61/83 - HessVGRspr. 84, 91 - HSGZ 1984, 321 (L) m.w.N.;
ständige Rechtsprechung). Die Antragstellerin ist als Grundstückseigentümerin
Zustandsstörer gemäß § 14 HSOG - und als solcher der richtige Adressat der
angefochtenen Duldungsverfügung. Sowohl die Einfriedung wie die Hütte
verstießen seit ihrer Errichtung im Jahre 1974/1975 gegen formelles (§§ 62, 63 H80
a.F. nunmehr §§ 87 Abs. 1, 88 Nr. 9 HBO n. F. ) und materielles Baurecht. Sie sind
bauplanungsrechtlich nicht zulässig. Als sonstige Vorhaben im Sinne des § 35 Abs.
2 BBauG werden öffentliche Belange im Sinne der genannten Vorschrift
mindestens in doppelter Hinsicht beeinträchtigt: Hütte und Einfriedung
widersprechen den Darstellungen des Flächennutzungsplans von Ortenberg, der
das Grundstück als landwirtschaftliche Fläche darstellt. Außerdem werden Belange
des Natur- und Landschaftsschutzes beeinträchtigt, weil das Grundstück im
Geltungsbereich der LSchVO Vogelsberg-Hessischer Spessart liegt.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung des danach rechtmäßigen
Duldungsgebotes gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ist rechtlich nicht zu
beanstanden. Zwar ist davon auszugehen, daß die sofortige Vollziehung von
Beseitigungsgeboten, denen nach der Rechtsprechung des Senats Anordnungen,
die die Duldung der Beseitigung einer baulichen Anlage zum Gegenstand haben,
gleichstehen, nur ausnahmsweise zulässig ist und eines besonderen öffentlichen
Interesses bedarf, das über das an dem Erlaß der Verfügung bestehende
öffentliche Interesse hinausgeht (vgl. BVerfG, Beschluß vom 11.2.1982 - 2 BvR
77/82 - NVwZ 1982, 241). In der Rechtsprechung des Senats haben sich auf dem
Gebiet des Baurechts bestimmte Falltypen herausgebildet, in denen die
Eilbedürftigkeit eine Ausnahme von der Regel erfordert, daß sich die Vollstreckung
eines Verwaltungsakts gegen den Widerspruch erhoben wird, an ein
abgeschlossenes Hauptsacheverfahren anschließt. Zu den Falltypen, in denen der
Senat die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Beseitigungsanordnung für
zulässig hält, gehört der vorliegende Fall, in dem die Bauaufsichtsbehörde gegen
den Eigentümer eines Grundstücks mit einer illegalen Bebauung vorgeht, wegen
der gegen den Rechtsvorgänger eine bestandskräftige Beseitigungsverfügung
vorliegt. Hier besteht ein öffentliches Interesse daran, daß die Vereitelung oder
zumindest Verzögerung der Vollstreckung einer bestandskräftigen Verfügung
verhindert wird, die andernfalls durch das Zusammenwirken von Veräußerer und
Erwerber bei der Eigentumsübertragung des Grundstücks unter Ausnutzung des
Umstandes erreicht wird, daß die Hessische Bauordnung keine Regelung des
Übergangs der einmal begründeten und durch Verwaltungsakt konkretisierten
Ordnungspflicht des Zustandsstörers im Zusammenhang mit der vorhandenen
Bebauung eines Grundstücks im Wege der Einzelrechtsnachfolge enthält mit
Ausnahme der Rechte und Pflichten aus der Baugenehmigung gemäß § 96 Abs. 3
HBO n.F. (vgl. zur früheren HBO Hess.VGH, B. v. 1.3.1976, IV TH 7/76, BRS 30 Nr.
166). Hier wiegt das öffentliche Interesse an der Bereinigung baurechtswidriger
Zustände schwerer als das Privatinteresse des Erwerbers, der entweder - wie im
vorliegenden Fall - von der bestandskräftigen Verpflichtung des Veräußerers zur
Beseitigung der Anlagen Kenntnis hatte oder der sich jedenfalls vor dem Erwerb
des Grundstücks gegen bauaufsichtliche Maßnahmen dadurch sichern kann, daß
er sich bei dem Erwerb die Baugenehmigung oder gegebenenfalls die Bauanzeige
für die auf dem Grundstück befindlichen baulichen Anlagen aushändigen läßt. Dem
Antragsgegner ist auch darin zuzustimmen, daß andernfalls die Gefahr besteht,
daß das dolose Zusammenwirken zwischen Veräußerer und Erwerber eines
Grundstücks mit Anlagen, für die eine bestandskräftig gewordene
Beseitigungsverpflichtung besteht, auf gleichgelagerte Fälle eine Vorbildwirkung
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Beseitigungsverpflichtung besteht, auf gleichgelagerte Fälle eine Vorbildwirkung
haben würde. Die Vorbildwirkung eines illegal ausgeführten Vorhabens selbst, das
eine Nachahmung schon vor Abschluß der Hauptsache befürchten läßt, hat der
Senat auch bisher bereits als einen der Falltypen angesehen, bei denen der
Sofortvollzug einer Beseitigungsanordnung als zulässig erscheint. (B. v. 30.5.1984,
a.a.O.). Mit der Möglichkeit, ein Nutzungsverbot mit Sofortvollzug auszusprechen
(Beschluß des Senats vom 27.9.1984 - 4 TH 2145/84 - st. Rspr.) und der
Möglichkeit im Falle der Weiterveräußerung von Grundstücken mit baulichen
Anlagen, für die bestandskräftige Beseitigungsverfügungen bestehen,
bauaufsichtlich gegen den Erwerber unter Anordnung des Sofortvollzugs
vorzugehen, sind nach Auffassung des Senats die durch die fehlende Regelung
einer Einzelrechtsnachfolge in der HBO entstehenden Vollzugsschwierigkeiten auf
ein für die praktische Arbeit der Bauaufsicht erträgliches Maß beschränkt.
Nach alledem ist die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Der Streitwert bemißt sich nach der Bedeutung der Sache für die Antragstellerin
(§§ 14 Abs. 1 i.V.m. 13 Abs. 1 GKG).
Der Senat bewertet das Interesse der Antragstellerin an der Vermeidung der
Vollstreckung der Beseitigungsverfügung für die Hütte mit einem Betrag von 120,-
- DM je cbm umbauten Raums und des Zauns von 50,-- DM je laufenden Meter,
beides jeweils mit Abzug eines Abschlags von 20 ö im Hinblick auf das Alter der
1975 errichteten Anlagen.
Gemäß § 25 Abs. 1 Satz 3 Gerichtskostengesetz wurde der erstinstanzliche
Streitwert entsprechend geändert.
Hinweis: Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 25 Abs. 2
Satz 2 GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.