Urteil des HessVGH vom 11.11.1993

VGH Kassel: treu und glauben, wichtiger grund, behörde, landesplanung, künftige nutzung, aufschiebende wirkung, angemessene entschädigung, öffentliche sicherheit, zustand, ermächtigung

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
5. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 UE 441/88
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 113 Abs 1 S 2 VwGO, § 8
Abs 3 AbfallG, § 8 Abs 4
AbfallG, § 77 S 1 VwVfG HE,
§ 77 Abs 2 VwVfG HE
(Vollzugs-Folgenbeseitigungsanspruch gegenüber
abfallrechtlichem Planfeststellungsbeschluß;
Veränderungssperre)
Tatbestand
Mit Beschluß vom 28. Oktober 1977 stellte das Hessische Oberbergamt den Plan
der Beigeladenen zur Errichtung der Sonderabfallbeseitigungsanlage M unter
gleichzeitiger Anordnung der sofortigen Vollziehung fest. Die Klägerinnen erhoben
gegen den ihnen am 4. November 1977 zugestellten Planfeststellungsbeschluß
am 5. Dezember 1977 unter Berufung auf die Verletzung eigener Rechte
Anfechtungsklage. Mit Schriftsatz vom 31. Oktober 1985 erweiterten sie diese
Klage um ein Folgenbeseitigungsbegehren mit dem Ziel der Beseitigung der aus
Anlaß der Realisierung des Deponievorhabens bislang errichteten baulichen
Anlagen sowie vorgenommener Geländeveränderungen.
Das Verwaltungsgericht Darmstadt hob mit Urteil vom 19. Dezember 1986 - III E
456/77 - den Planfeststellungsbeschluß mit der Begründung auf, daß dieser nicht
alle erforderlichen Regelungen treffe und damit nicht hinreichend bestimmt sei.
Das Gericht folgte insoweit der rechtlichen Beurteilung in dem Beschluß des
erkennenden Senats vom 28. August 1986 (5 TH 3071/84), mit dem auf Antrag
der Klägerin die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den
Planfeststellungsbeschluß in vollem Umfang wieder hergestellt worden war. Gegen
das Urteil vom 19. Dezember 1986 haben sowohl der Beklagte als auch die
Beigeladene Berufung eingelegt, die beim erkennenden Senat unter dem Az.: 5
UE 537/87 anhängig ist.
Das von den Klägerinnen außerdem anhängig gemachte
Folgenbeseitigungsbegehren ist Gegenstand des vorliegenden - gemäß Beschluß
des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 12. Dezember 1986 durch Abtrennung
entstandenen - Verfahrens. Zur Begründung dieses Begehrens trugen die
Klägerinnen vor:
Den Folgenbeseitigungsanspruch gebe es sowohl als "Vollzugs-
Folgenbeseitigungsanspruch" zur Beseitigung von Vollzugsfolgen eines
rechtswidrigen Verwaltungsakts im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO als auch
als "negatorischen Beseitigungsanspruch", der der Beseitigung einer durch
sonstiges rechtswidriges Verwaltungshandeln ausgelösten fortdauernden
Rechtsbeeinträchtigung diene. Einen Sonderfall des negatorischen
Folgenbeseitigungsanspruchs stelle der Folgenbeseitigungsanspruch im Falle eines
aus Anlaß eines Verwaltungsakts durchgeführten, von ihm in Wahrheit aber nicht
gedeckten ("faktischen") Vollzugs dar. Das von ihnen - den Klägerinnen - gestellte
Beseitigungsverlangen stütze sich überwiegend auf den negatorischen
Folgenbeseitigungsanspruch, denn die bisherige Bauausführung der Beigeladenen
sei meist durch den Regelungsinhalt des Planfeststellungsbeschlusses nicht
gedeckt, stelle sich also als planwidrige Bauausführung aus Anlaß des
Planfeststellungsbeschlusses dar. Der Vollzugs-Folgenbeseitigungsanspruch
komme dagegen in dem geringeren Teil der Fälle zur Anwendung, in denen die
bauliche Realisierung des Deponievorhabens auf einem dem Plan entsprechenden
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bauliche Realisierung des Deponievorhabens auf einem dem Plan entsprechenden
Vollzug beruhe. Von ihrem Folgenbeseitigungsanspruch würden folgende bauliche
Anlagen bzw. und Geländeveränderungen erfaßt:
1. Der das gesamte Gelände (Betriebsbereich und
Deponiebereich) umgebende Metallgitterzaun,
2. im Betriebsbereich:
a) das errichtete "Sozial- und Verwaltungsgebäude",
b) eine "Umladestation",
c) ein Endkontrollschacht,
d) zwei "Straßenwasserbecken",
e) eine Trafostation,
f) eine Inspektionsbrücke,
g) zwei Eingangstore,
h) eine Straßenwaage,
3. im Deponiebereich:
a) die Deponiesohle,
b) die Dichtungswand,
c) Naß- und Trockenwetterkippstellen,
d) der um die gesamte Deponie verlaufende
Betonwannengraben, sowie
e) weitere Maßnahmen wie vier große Hügel, sieben
Brunnen und zusammengekuppelte Rohrleitungen
auf der Deponiesohle, Kanaldeckel,
Pegel-Bohrlöcher, graue Kästen, Rohre und
Schläuche,
4. die bislang durchgeführten Straßenbaumaßnahmen
für das Deponievorhaben.
Zur Verdeutlichung ihres Vorbringens haben die Klägerinnen im erstinstanzlichen
Verfahren eine umfangreiche Fotodokumentation sowie eine
"Zustandsbeschreibung der Sonderabfalldeponie S" des Dipl.-Chemikers A B vom
27. Oktober 1986, der ebenfalls Fotos beigefügt sind, zu den Akten gereicht.
Die Klägerinnen beantragten,
dem Beklagten und der Beigeladenen aufzugeben,
die Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses
vom 28. Oktober 1977 und die tatsächlichen Maßnahmen
aus Anlaß dieses Planfeststellungsbeschlusses
dadurch rückgängig zu machen, daß auf ihre
Kosten alle errichteten Bauwerke einschließlich
der Metallgitterzäune, ferner alle verlegten Leitungen,
alle sonst fest oder lose auf oder in dem
Gelände angebrachten Sachen, wie z.B. der Betonwannengraben
und die Brunnenschächte, sowie
schließlich die vorgenommenen Aufschüttungen wieder
beseitigt werden und der Zustand wieder hergestellt
wird, der vor Inangriffnahme der ersten Vollzugsmaßnahme
bestanden hat; dies schließt eine Wiederaufforstung
auf dem im Planfeststellungsbeschluß
vorgesehenen Anlagengelände insoweit ein, als im
Vollzug des Planfeststellungsbeschlusses Rodungen
vorgenommen worden sind.
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Der Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
Er führte zur Begründung seines Antrags aus: Dem Folgenbeseitigungsbegehren
stehe bereits entgegen, daß die Aufhebungsentscheidung des
Verwaltungsgerichts Darmstadt noch nicht bestandskräftig sei; die Sache sei
infolgedessen nicht spruchreif. Die Privatklägerinnen zu 2) und 3) seien überdies
für den geltend gemachten Folgenbeseitigungsanspruch nicht aktiv legitimiert,
denn das bloße Vorhandensein der fertiggestellten baulichen Anlagen könne sie
nicht in ihren Rechten verletzen. Davon abgesehen, scheitere das
Folgenbeseitigungsverlangen an der Möglichkeit der Legalisierung der bereits
ausgeführten Baumaßnahmen durch eine neue Planfeststellung.
Außerdem ist der Beklagte mit Ausführungen zur Beschaffenheit der bislang
errichteten baulichen Anlagen und zum Inhalt des Planfeststellungsbeschlusses
vom 28. Oktober 1977 der Auffassung der Klägerinnen entgegengetreten, die
fraglichen Baumaßnahmen stellten sich überwiegend als planwidrige Realisierung
des vorgenannten Planfeststellungsbeschlusses dar.
Die Beigeladene beantragte ebenfalls,
die Klage abzuweisen.
Sie machte geltend: Da ein Vollzugs-Folgenbeseitigungsanspruch die
rechtskräftige Aufhebung des zugrundeliegenden Verwaltungsakts voraussetze,
sei die Entscheidung im Anfechtungsprozeß "präjudiziell"; infolgedessen müsse
das vorliegende Folgenbeseitigungsverfahren gemäß § 94 VwGO ausgesetzt
werden. Doch auch bei unterstellter Rechtswidrigkeit des
Planfeststellungsbeschlusses hätten die Klägerinnen keinen Anspruch auf
Folgenbeseitigung. Zum einen fehle es an der erforderlichen
Ermächtigungsgrundlage für eine an sie - die Beigeladene - zu richtende
Beseitigungsverfügung. Zum anderen seien die Klägerinnen auch nicht
unmittelbar in eigenen Rechten als Folge der Bauausführung verletzt. Ob gegen
einen begünstigten Dritten zum Zweck der Folgenbeseitigung eingeschritten
werde, stehe im Ermessen der Behörde. Im vorliegenden Fall ergäben sich aus
dem Verhältnismäßigkeitsprinzip und dem Schikaneverbot rechtliche Bindungen,
die ein Einschreiten ausschlössen. Die tatsächlich errichteten baulichen Anlagen
seien materiell genehmigungsfähig. Ihre Beseitigung könne nicht verlangt werden,
solange nicht feststehe, ob nicht doch eine Verwendung für die vorgesehene
Nutzung in Betracht komme.
Das Verwaltungsgericht Darmstadt wies mit Urteil vom 10. Dezember 1987 die
Klage ab. In den Entscheidungsgründen heißt es: Die Klage sei als
Verpflichtungsklage zulässig. Sie sei aber nicht begründet, da den Klägerinnen der
geltend gemachte Folgenbeseitigungsanspruch nicht zustehe. Dem vorliegenden
Fall liege die besondere Konstellation zugrunde, daß der rechtswidrige Eingriff in
der belastenden "Drittwirkung" eines begünstigenden Verwaltungsakt bestehe. Die
Beseitigung der Folgen dieses Eingriffs setze den Erlaß eines Verwaltungsakts
gegenüber dem Begünstigten voraus und müsse deshalb mit der
Verpflichtungsklage durchgesetzt werden. Für die Verpflichtung der Behörde zum
Einschreiten gegen den begünstigten Empfänger des Verwaltungsakts bedürfe es
einer besonderen Rechtsgrundlage. Bei baulichen Anlagen komme ein
Einschreiten gegen den Bauherrn nach § 83 Abs. 1 Satz 2 der Hessischen
Bauordnung (HBO) in Betracht. Ob hierauf eine Beseitigungsverfügung gegen die
Beigeladene gestützt werden könne, sei aber deshalb zweifelhaft, weil eine
Beseitigungsverfügung neben der formellen Illegalität des Bauwerks auch die
materielle Illegalität voraussetze. Die Genehmigungsfähigkeit der von der
Beigeladenen errichteten baulichen Anlagen sei Gegenstand der Überprüfung in
dem nach Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses vom 28. Oktober 1977
anhängig gemachten neuen Planfeststellungsverfahren. Letztlich scheitere der
geltend gemachte Folgenbeseitigungsanspruch jedenfalls daran, daß es durch die
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geltend gemachte Folgenbeseitigungsanspruch jedenfalls daran, daß es durch die
formell illegalen Bauten nicht zu einer unmittelbaren Rechtsbeeinträchtigung der
Klägerinnen komme. Die von den Klägerinnen zu 2) und 3) geltend gemachten
Rechte aus dem Betrieb privater Brunnenanlagen seien unmittelbar und akut erst
dann gefährdet, wenn die Deponie entsprechend der vorgesehenen
Zweckbestimmung für die Einlagerung von Abfällen genutzt werde; das
Vorhandensein von Baulichkeiten allein löse noch keine Gefahren für das
Grundwasser aus. Bei der Klägerin zu 1) könne die Berufung auf die kommunale
Planungshoheit deshalb keinen Erfolg haben, weil im Anlagenbereich selbst die
abweichende Landesplanung vorgehe und weil außerhalb des Anlagenbereichs die
Verwirklichung der gemeindlichen Planung möglich bleibe. Bezüglich des
Eigentums der Klägerin zu 1) an Grundflächen im Bereich der Anlage lasse sich
zwar eine unmittelbare Beeinträchtigung durch die von der Beigeladenen
errichteten Bauwerke nicht verneinen. Wegen der Möglichkeit einer Enteignung
aufgrund des im laufenden Planfeststellungsverfahrens zu erlassenden künftigen
Planfeststellungsbeschlusses stelle sich jedoch das Verlangen nach Beseitigung
der Bauwerke zum jetzigen Zeitpunkt als unverhältnismäßig dar. Die Klägerinnen
könnten einen Anspruch auf Einschreiten des Landes gegen die Beigeladene auch
nicht aus § 77 des Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (HVwVfG)
herleiten, da diese Vorschrift die e n d g ü l t i g e Aufhebung des
Planfeststellungsbeschlusses voraussetze und zum anderen keine
nachbarschützende Wirkung entfalte.
Gegen dieses Urteil, welches ihnen am 14. Januar 1988 zugestellt worden ist,
haben die Klägerinnen am 28. Januar 1988 Berufung eingelegt. Zu deren
Begründung trägt ihr Bevollmächtigter vor:
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ergebe sich die
Rechtsgrundlage für die begehrte Folgenbeseitigung im Wege des Einschreitens
des Beklagten gegen die Beigeladene aus § 77 Satz 2 HVwVfG. Diese Bestimmung
enthalte eine Folgenbeseitigungsregelung, die analog auch auf alle anderen Fälle
der Aufhebung eines Planfeststellungsbeschlusses nach begonnener Durchführung
des Vorhabens angewendet werden könne. Die Vorschrift sei auch
nachbarschützend, wie sich daran zeige, daß die von dem Träger des Vorhabens
zu treffenden Vorkehrungen u.a. dazu bestimmt seien, "nachteilige Wirkungen auf
Rechte anderer" zu vermeiden.
Dem Argument des Verwaltungsgerichts, der Folgenbeseitigungsanspruch
scheitere an dem Erfordernis der unmittelbaren Beeinträchtigung der Klägerinnen
in ihren Rechten, sei entgegenzuhalten, daß der Folgenbeseitigungsanspruch eine
nochmalige Prüfung der rechtlichen Beeinträchtigung durch die Vollzugsfolgen
nicht erfordere, wenn die von dem rechtswidrigen Verwaltungsakt ausgehende
Rechtsbeeinträchtigung als solche bejaht sei. Außerdem werde schon durch die
tatsächlich errichteten Bauwerke eine unmittelbare Rechtsbeeinträchtigung
ausgelöst, denn sie seien zu nichts anderem bestimmt und geeignet, als
Sonderabfälle zu entsorgen; damit stellten sie schon durch ihr bloßes
Vorhandensein eine potentielle Gefährdung sämtlicher Klägerinnen dar. Die
Versagung der Folgenbeseitigung mit der Begründung, die bereits errichteten
baulichen Anlagen müßten für eine etwaige künftige erfordere, wenn die von dem
rechtswidrigen Verwaltungsakt ausgehende "Zulassung vorzeitigen Beginns" nach
§ 7a AbfG hinaus. Sämtliche Klägerinnen seien durch die bisherige Bauausführung
in Nachbarrechten betroffen. Von den baulichen Anlagen gingen Nachteile für
ihren Grundbesitz aus, die nach den Grundsätzen der Güterabwägung unter
Berücksichtigung der Ortsüblichkeit im Sinne von § 906 BGB nicht mehr
hingenommen zu werden brauchten. Bei der Klägerin zu 1) sei dies schon deshalb
der Fall, weil sie Eigentümerin der für die Errichtung der baulichen Anlagen in
Anspruch genommenen Flächen sei. Bei den Klägerinnen zu 2) und 3) liege der
von den errichteten baulichen Anlagen ausgehende Nachteil darin, daß es sich um
ortsunübliche Bauwerke handele, die das nähere Wohnumfeld beeinträchtigten.
Der Störcharakter der formell und materiell illegalen Bauwerke in einem ansonsten
naturbelassenen Außenbereichsgebiet sei evident.
Schon jetzt stehe sowohl die formelle als auch die materielle Illegalität der
errichteten baulichen Anlagen fest. Es handele sich um Bauwerke im
Außenbereich, die nach § 35 des Baugesetzbuches (BauGB) unter keinem
denkbaren Gesichtspunkt genehmigungsfähig seien. Das Vorliegen eines
wirksamen Planfeststellungsbeschlusses stelle bei ortsfesten
Abfallentsorgungsanlagen nicht nur ein formelles, sondern zugleich ein materielles
Rechtmäßigkeitserfordernis dar. Für die streitbefangene Abfallbeseitigungsanlage
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Rechtmäßigkeitserfordernis dar. Für die streitbefangene Abfallbeseitigungsanlage
könne nach § 8 Abs. 3 Satz 2 des Abfallgesetzes (AbfG) ein rechtmäßiger
Planfeststellungsbeschluß gar nicht erlassen werden. Auf Grund der die Grenzen
des zugelassenen Sofortvollzugs mißachtenden Bautätigkeit der Beigeladenen bei
Ausführung des Planfeststellungsbeschlusses müsse der Beigeladenen die für eine
Zulassung des Vorhabens erforderliche Zuverlässigkeit abgesprochen werden. Ein
weiterer Versagungsgrund bestehe darin, daß sich das Vorhaben gemäß § 8 Abs.
3 Satz 2 Nr. 3 AbfG nachteilig auf Rechte Dritter auswirke. Die Geltung des § 8 Abs.
3 Satz 2 Nr. 2 AbfG werde hier nicht durch die Bestimmung des § 8 Abs. 4 AbfG
ausgeschlossen, denn das Vorhaben der Beigeladenen könne, weil es Ziele der
Raumordnung und der Landesplanung mißachte, nicht als ein dem Wohl der
Allgemeinheit dienendes Vorhaben bezeichnet werden.
Die Klägerin zu 1) sei vor allem in ihrer kommunalen Planungshoheit nachteilig
betroffen. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, eine Beeinträchtigung der
kommunalen Planungshoheit scheide wegen der Bindung an eine anders lautende
Landesplanung aus, treffe nicht zu. Es gebe keine verbindliche Landesplanung, die
im Bereich "S" eine Sonderabfallbeseitigungsanlage vorsehe. Der Regionale
Raumordnungsplan Südhessen (RROPS) vom 9. Dezember 1986 weise das
fragliche Gelände als "Gebiet für Landschaftsnutzung und -pflege" aus. Soweit der
Hessische Minister des Innern mit Bescheid vom 6. Oktober 1989 gemäß § 8 Abs.
3 des Hessischen Landesplanungsgesetzes (HLPG) eine Abweichung vom
Regionalen Raumordnungsplan zugunsten der Errichtung einer
Sonderabfalldeponie zugelassen habe, sei dagegen von der Klägerin zu 1) am 9.
März 1990 Klage erhoben worden. Über diese Klage sei noch nicht entschieden.
Die kommunale Planungshoheit könne,nur durch ein Gesetz eingeschränkt
werden, welches in verfassungsrechtlich einwandfreier Weise zu einem solchen
Eingriff ermächtige. § 8 Abs. 3 HLPG stelle ein solches Gesetz nicht dar, da die
Mindestanforderungen an die Bestimmtheit einer gesetzlichen
Ermächtigungsgrundlage nicht erfüllt seien. Die Vorschrift bringe nicht einmal
andeutungsweise zum Ausdruck, ob und in welchem Umfang die staatlichen
Behörden bei der Zulassung einer Abweichung in die kommunale Planungshoheit
eingreifen könnten. Eine Auslegung des § 8 Abs. 3 Satz 2 HLPG in der Weise, daß
er Eingriffe in die kommunale Planungshoheit zulasse, stünden im übrigen weitere
Gründe entgegen. Es gehe nicht an, daß die Reichweite einer
verfassungsrechtlichen Garantie im Einzelfall einer beliebigen Willensentscheidung
der staatlichen Behörden überlassen bleibe. Das Kriterium des wichtigen Grundes
für die Zulassung einer Abweichung gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 HLPG lasse sich nicht
praktikabel handhaben und sei damit unzureichend. Für den Fall, daß tatsächlich
einmal regionalplanerische Gründe für eine Abweichung vom geltenden Regionalen
Raumordnungsplan vorlägen, müsse der Widerspruch zwischen Abweichungsgrund
und regionalplanerischer Ausweisung durch eine förmliche Änderung des
geltenden Regionalen Raumordnungsplans gelöst werden. Nur dann hätten die
Gemeinden auch Anspruch auf Beteiligung in einem förmlichen Verfahren.
Unabhängig davon sei der Zulassungsbescheid vom 6. Oktober 1989 deshalb
rechtswidrig, weil für die Zulassung der Abweichung tatsächlich kein wichtiger
Grund im Sinne des § 8 Abs. 3 Satz 2 HLPG ersichtlich sei. Ein wichtiger Grund im
Sinne dieser Vorschrift könne nur auf nachträgliche - d.h. nach Aufstellung des
Regionalen Raumordnungsplans eintretende - Entwicklungen gestützt werden,
nicht aber auf Sachverhalte, die bereits bei der Planerstellung vorgelegen hätten.
Die Sonderabfalldeponie "S" sei bereits Anfang der 70er Jahre geplant worden.
Dem Regionalplaner sei damit das fragliche Planungsproblem spätestens seit
Erlaß des Planfeststellungsbeschlusses im Oktober 1977 bekanntgewesen.
Gleichwohl enthalte der Regionale Raumordnungsplan vom 9. Dezember 1986 -
neun Jahre nach Erlaß des Planfeststellungsbeschlusses - keine Ausweisung der
Sonderabfalldeponie "S"; vielmehr sei dieses Projekt von der
Planungsversammlung als unverträglich mit den raumordnerischen Belangen
bezeichnet worden. Zur Rechtswidrigkeit des Zulassungsbescheides vom 6.
Oktober 1989 führe schließlich auch die Tatsache, daß das Vorliegen eines
wichtigen Grundes für die Abweichung im Zulassungsbescheid unzureichend
begründet sei. Es fehle jeder Hinweis auf eine vorgenommene nachvollziehbare
Prüfung der Geeignetheit des Standorts. Eine Aussage zur Eignung anhand der
Kriterien des § 2 Abs. 1 AbfG sei nicht getroffen worden. Ferner fehle eine
nachvollziehbare und umfassende Abwägung zur Frage des Bedarfs des
Planungsprojekts.
Zu der Frage, ob die mit der Auslegung der Pläne im Planfeststellungsverfahren
einsetzende "Veränderungssperre" gemäß § 9 des Hessischen Abfallwirtschafts-
und Altlastengesetzes in der Fassung vom 26. Februar 1991, GVBl. I S. 106
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und Altlastengesetzes in der Fassung vom 26. Februar 1991, GVBl. I S. 106
(HAbfAG), den geltend gemachten Anspruch auf Folgenbeseitigung ausschließe,
tragen die Klägerinnen vor:
Die von Ihnen geforderte Folgenbeseitigung führe nicht zu "Veränderungen", die
nach § 9 Abs. 1 HAbfAG der Veränderungssperre unterlägen. Mit der Beseitigung
der vorhandenen Baulichkeiten seien keine "wertsteigernden Veränderungen" im
Sinne der ersten Regelungsalternative verbunden. Soweit es zu Veränderungen
komme, die im Sinne der zweiten Regelungsalternative die Errichtung der
geplanten Abfallentsorgungsanlage erheblich erschwerten, könne das wegen
Vorliegens der Ausnahme nach § 9 Abs. 1 Satz 2 eine Veränderungssperre nicht
auslösen. Die Beseitigung der im Vollzug des Planfeststellungsbeschlusses vom
28. Oktober 1977 errichteten baulichen Anlagen diene nämlich der "Fortführung
einer bisher rechtmäßig ausgeübten Nutzung"; es werde hierdurch wieder möglich,
die von der Planfeststellung betroffenen Flächen entsprechend den
Planungsabsichten der Klägerin als naturbelassenes Naherholungsgebiet zu
nutzen. Eine Berufung der Beigeladenen auf § 9 HAbfAG scheitere außerdem an
der zeitlich beschränkten Geltungsdauer der Veränderungssperre. § 9 Abs. 1
HAbfAG sei verfassungskonform dahin auszulegen, daß die Geltungsdauer
entsprechend der Zweijahresfrist in § 9 Abs. 3 Satz 3 HAbfAG für die Festlegung
von Planungsgebieten zur Sicherung der Planung neuer oder der geplanten
Erweiterung bestehender Abfallentsorgungsanlagen auf zwei Jahre begrenzt sei.
Dies entspreche auch der auf zwei Jahre beschränkten Geltungsdauer einer
bauplanungsrechtlichen Veränderungssperre gemäß § 17 des Baugesetzbuches
(BauGB). Eine zeitlich unbefristete Veränderungssperre entsprechend dem
Wortlaut des § 9 Abs. 1 Satz 1 HAbfAG sei mit Art. 14 des Grundgesetzes (GG)
nicht zu vereinbaren. Gehe man analog § 9 Abs. 3 Satz 3 HAbfAG von einer an den
Beginn der Auslegung der neuen Pläne anknüpfenden zweijährigen
Veränderungssperre aus, so sei diese Frist am 16. April 1992 abgelaufen. Bereits
abgelaufen sei die Frist aber auch dann, wenn man eine Verlängerung um ein Jahr
analog § 17 Abs. 1 Satz 3 BauGB - die der Beklagte im übrigen nicht
ausgesprochen habe - unterstelle. Einer Berufung der Beigeladenen auf die
Veränderungssperre stehe überdies entgegen, daß die Planunterlagen zum
größten Teil veraltet und als Grundlage für den Erlaß eines
Planfeststellungsbeschlusses ungeeignet seien. Darüber hinaus erweise sich die
Geltendmachung der Veränderungssperre als rechtsmißbräuchlich, weil die hiermit
zu erhaltende Bebauung durch den Planfeststellungsbeschluß zum überwiegenden
Teil nicht gedeckt sei. Die Veränderungssperre dürfe kein Instrument zum Schutz
von "Schwarzbebauung" sein.
Die Klägerinnen sind der Auffassung, daß ihrem Folgenbeseitigungsbegehren auch
nicht der Einwand der Unzumutbarkeit entgegengehalten werden könne. Insoweit
führen sie aus:
Nach den im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. September 1988 - 4 C
26/88 - genannten Kriterien liege Unzumutbarkeit nur dann vor, wenn der Zustand,
um dessen Beseitigung es gehe, auf rechtmäßige Weise "sogleich"
wiederhergestellt werden könne. Davon sei hier nicht auszugehen. Der Beklagte
und die Beigeladene beriefen sich zwar auf die Möglichkeit einer nachträglichen
Legalisierung, hätten aber bislang weder dargelegt noch unter Beweis gestellt, daß
die vorgenommene Bebauung durch einen neuen Planfeststellungsbeschluß auf
eine rechtmäßige Grundlage gestellt werden könne. Mit dem hohen
Kostenaufwand, der bislang investiert worden sei, lasse sich eine Unzumutbarkeit
der Folgenbeseitigung ebenfalls nicht begründen.
Die Klägerinnen haben weiterhin den Einstellungsbeschluß des
Bundesverwaltungsgerichts vom 26. November 1991 - 7 C 16.89 - im
Revisionsverfahren des beklagten Landes und des Zweckverbandes
Abfallverwertung Südhessen gegen die Gemeinde M wegen der Planfeststellung für
die Abfallbeseitigungsdeponie "G-" zum Anlaß genommen, sich mit den in dieser
Entscheidung angedeuteten Auffassungen des Bundesverwaltungsgerichts zur
Klagebefugnis von Gemeinden auf Grund der kommunalen Planungshoheit, zum
Umfang der Überprüfung des Planfeststellungsbeschlusses in diesem Falle sowie
zum erforderlichen Regelungsgehalt von Planfeststellungsbeschlüssen
auseinanderzusetzen und auf die Folgerungen einzugehen, die daraus für das
vorliegende Verfahren zu ziehen sind. Wegen dieser Ausführungen wird auf den
Schriftsatz des Bevollmächtigten der Klägerinnen vom 8. März 1993 Bezug
genommen.
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Die Klägerinnen beantragen,
unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Darmstadt
vom 10. Dezember 1987 den Beklagten zu verpflichten,
der Beigeladenen aufzugeben, die Vollziehung des
Planfeststellungsbeschlusses vom 28. Oktober 1977 und die
tatsächlichen Maßnahmen aus Anlaß dieses
Planfeststellungsbeschlusses dadurch rückgängig zu machen, daß auf
ihre Kosten alle errichteten Bauwerke einschließlich der
Metallgitterzäune, ferner alle verlegten Leitungen, alle sonst fest
oder lose auf oder in dem Gelände angebrachten Sachen, wie z.B. der
Betonwannengraben und die Brunnenschächte, sowie die vorhandenen
Aufschüttungen wieder beseitigt werden und der Zustand
wieder hergestellt wird, der vor Inangriffnahme der ersten
Vollzugsmaßnahme bestanden hat; dies schließt eine
Wiederaufforstung auf dem im Planfeststellungsbeschluß vorgesehenen
Anlagengelände insoweit ein, als im Vollzug des
Planfeststellungsbeschlusses Rodungen vorgenommen worden sind.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung nimmt er auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil Bezug.
Darüber hinaus bringt er vor:
Der Beigeladenen könne die Beseitigung der bereits errichteten baulichen Anlagen
nicht aufgegeben werden, solange die Planfeststellung noch bestehe. Das
Verhältnismäßigkeitsprinzip schließe ein Folgenbeseitigungsverlangen aus,
solange eine künftige Nutzung der baulichen Anlagen im Rahmen einer Ergänzung
des ursprünglichen Planfeststellungsbeschlusses oder eines neuen
Planfeststellungsverfahrens möglich sei. Die Beigeladene habe am 11. November
1987 einen überarbeiteten Plan mit dem Antrag auf Planfeststellung eingereicht.
Die Erörterung des Plans sei im Spätsommer 1990 durchgeführt worden. Der
erkennende Senat habe in seinem Beschluß vom 28. August 1986 eine
"Nachbesserung" des ursprünglichen Planfeststellungsbeschlusses durch
Planergänzung oder Neubescheidung als möglich bezeichnet. § 77 Satz 2 HVwVfG
scheide als Rechtsgrundlage für das von den Klägerinnen geforderte behördliche
Einschreiten gegen die Beigeladene aus, da diese Vorschrift die endgültige
Aufgabe des Vorhabens durch den Vorhabenträger voraussetze.
Entgegen der Auffassung der Klägerinnen könne eine Abweichungsentscheidung
nach § 8 Abs. 3 HLPG durchaus die Vereinbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses
mit den Zielen der Raumordnung und der Landesplanung herstellen. Eine solche
Abweichungsentscheidung könne von einer Gemeinde nicht angefochten werden,
da von ihr keine "Drittbetroffenheit" ausgehe.
Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
die Berufung der Klägerinnen zurückzuweisen.
Sie macht im Berufungsverfahren geltend:
Der begehrten Folgenbeseitigung stehe, unabhängig davon, ob sie auf § 77
HVwVfG analog oder auf das allgemein anerkannte Institut des
Folgenbeseitigungsanspruchs gestützt werde, die gesetzliche Veränderungssperre
des § 9 HAbfAG entgegen. Die Beseitigung der errichteten baulichen Anlagen
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des § 9 HAbfAG entgegen. Die Beseitigung der errichteten baulichen Anlagen
stelle eine "erheblich erschwerende Veränderung" dar, die nach der vorgenannten
Vorschrift bis Abschluß eines mit der Auslegung der Pläne begonnenen
abfallrechtlichen Planfeststellungsverfahrens nicht vorgenommen werden dürfe. In
§ 14 BauGB werde ausdrücklich klargestellt, daß die Veränderungssperre u.a. den
baulichen "status quo" der betroffenen Grundstücke sichern solle. Für die
Veränderungssperre des § 9 HAbfAG gelte nichts anderes. Die
Veränderungssperre trete kraft Gesetzes ein und dauere bis zur Entscheidung
über den neuen Planfeststellungsantrag an. Die Anwendung des § 9 HAbfAG werde
auch nicht durch höherrangiges Recht verdrängt. Es handele sich bei dieser
Regelung um spezielles materielles Planfeststellungsrecht, dem der Vorrang vor
der verfahrensrechtlichen Regelung des § 77 HVwVfG zukomme.
Der allgemeine Folgenbeseitigungsanspruch finde von vornherein seine Grenze
am Erfordernis der tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeit der angestrebten
Rückgängigmachung von Vollzugsfolgen. Aus dem Grundsatz von Treu und
Glauben und aus Verfassungsprinzipien wie dem Gleichbehandlungsgebot und
dem Verhältnismäßigkeitsprinzip könnten sich rechtliche Hindernisse für eine
Folgenbeseitigung ergeben. Der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung bei
Geltendmachung des Folgenbeseitigungsanspruchs könne erhoben werden, wenn
die hinreichend gesicherte Erwartung einer nachträglichen Legalisierung der
Vollzugsfolgen des aufgehobenen Verwaltungsakts bestehe. In der
Rechtsprechung habe sich u.a. das Bundesverwaltungsgericht für die Anwendung
des Grundsatzes von Treu und Glauben beim Folgenbeseitigungsanspruch
ausgesprochen. Danach sei die Folgenbeseitigung ausgeschlossen, wenn sie
wegen zu erwartender nachträglicher Legalisierung der Vollzugsfolgen
"unzumutbar" sei. Daß die nachträgliche Legalisierung zeitlich unmittelbar
bevorstehe und daß die Rechtmäßigkeit einer überarbeiteten neuen Planung
schon definitiv feststehe, könne dabei im Falle eines Planfeststellungsbeschlusses
nicht verlangt werden. Es genüge vielmehr, daß - wie hier - eine neue
überarbeitete Planung zur Genehmigung vorliege und der gesamte
Verfahrensablauf den Willen der Planfeststellungsbehörde erkennen lasse, das
Vorhaben durch einen neuen Planfeststellungsbeschluß zu legalisieren. Im
vorliegenden Fall habe eine Vorprüfung der neu eingereichten Planungsunterlagen
ergeben, daß eine positive Prognose zur Genehmigungsfähigkeit gestellt werden
könne. Bei einem komplexen und aufwendigen Planfeststellungsverfahren, wie es
die Zulassung einer Sonderabfallbeseitigungsanlage erfordere, sei zwangsläufig
mit einer langen Verfahrensdauer zu rechnen. Ein elementares Interesse der
Beigeladenen daran, Baulichkeiten nicht schon v o r einer definitiv negativen
Entscheidung über ihren Planfeststellungsantrag beseitigen zu müssen, bestehe
nicht zuletzt wegen der enormen Höhe der für die bestehenden Baulichkeiten
aufgewendeten Kosten.
Der neue Planfeststellungsbeschluß werde den Bedenken, die wegen des
Erfordernisses der hinreichenden Bestimmtheit gegen den ursprünglichen
Planfeststellungsbeschluß bestanden hätten, Rechnung tragen. Die Abweichung
vom Regionalen Raumordnungsplan Südhessen durch den Zulassungsbescheid
vom 6. Oktober 1989 bewirke, daß der neu festzustellende Plan mit den
Zielsetzungen der Raumordnung und der Landesplanung in Einklang stehe. Ein
Verfahren zur Änderung des Regionalen Raumordnungsplans sei nicht erforderlich
gewesen. Der erforderliche wichtige Grund schließe Mißbräuche bei der Zulassung
einer Abweichung aus. Die klagende Gemeinde habe keinen subjektiven Anspruch
auf unveränderte Beibehaltung der Zielsetzungen des Regionalen
Raumordnungsplans bzw. auf Nichtabweichung durch eine Einzelfallentscheidung.
Mit der Zulassung einer einzelnen Abfallentsorgungsanlage sei keine so
weitreichende Umstrukturierung der Planaussagen verbunden, daß es hierfür eines
Änderungs- oder Ergänzungsverfahrens bedurft hätte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge und
Verfahrensakten Bezug genommen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen
Verhandlung waren. Hierbei handelt es sich um die Gerichtsakten des
Berufungsverfahrens 5 UE 537/87 (5 Bände Gerichtsakten und 1 Leitzordner sowie
Planfeststellungsbeschluß vom 28.10.1977), Übersichtsplan Deponiegelände (Ist-
Zustand), Übersichtsplan Deponiegelände (Planungsstand), Gerichtsakten des
Berufungsverfahrens 4 A 530/91 ( Reg.Planungsvers. beim RP D ./. Land Hessen)
und Gerichtsakten Hess. VGH 4 A 2722/90 (Gem. M ./. Land Hessen).
Entscheidungsgründe
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Die Berufung der Klägerinnen ist zulässig, kann aber in der Sache keinen Erfolg
haben. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die Klagen abgewiesen.
Die Klagen sind, wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, als
Verpflichtungsklagen zulässig. Um die Beseitigung der von der Beigeladenen
errichteten baulichen Anlagen und der von ihr vorgenommenen
Geländeveränderungen zu erreichen, bedarf es einer an die Beigeladene zu
richtenden Beseitigungsverfügung des Beklagten, die mit der Verpflichtungsklage
(§ 42 Abs. 1 VwGO) erstritten werden muß. Die Klägerinnen sind insoweit auch
klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO), denn sie haben mit ihrer Anfechtungsklage gegen
den Planfeststellungsbeschluß des Hessischen Oberbergamts vom 28. Oktober
1977 im erstinstanzlichen Verfahren Erfolg gehabt und machen im vorliegenden -
von der Anfechtungsklage abgetrennten - Verfahren einen an die Aufhebung
dieses Verwaltungsakts anknüpfenden Anspruch auf Folgenbeseitigung geltend.
Die Durchführung eines Vorverfahrens war für dieses Begehren nicht erforderlich. §
113 Abs. 1 Satz 2 VwGO läßt die Geltendmachung eines
Folgenbeseitigungsanspruchs im Anfechtungsprozeß erkennbar ohne vorherigen
Widerspruch gegen eine behördliche Antragsablehnung zu.
Die Klagen sind jedoch sämtlich unbegründet.
Entgegen der Auffassung der Klägerinnen liefert § 77 des Hessischen
Verwaltungsverfahrensgesetzes (HVwVfG) keine einfach-gesetzliche
Rechtsgrundlage für ihr Folgenbeseitigungsbegehren.
Diese Vorschrift begründet für den Fall, daß ein planfeststellungsbedürftiges
Vorhaben endgültig a u f g e g e b e n wird, die Verpflichtung der
Planfeststellungsbehörde, den Planfeststellungsbeschluß aufzuheben (§ 77 Satz 1
HVwVfG) und sodann dem Träger des Vorhabens im Aufhebungsbeschluß die zum
Wohle der Allgemeinheit oder zur Vermeidung nachteiliger Auswirkungen auf
Rechte anderer erforderlichen Wiederherstellungs- oder Änderungsmaßnahmen
aufzuerlegen (§ 77 Satz 2 HVwVfG). Das vorliegend streitige Deponievorhaben ist
jedoch gerade nicht endgültig aufgegeben worden, wie das nach der gerichtlichen
Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses vom 28. Oktober 1977 eingeleitete
neue Planfeststellungsverfahren zeigt. Für eine analoge Anwendung des § 77 Satz
2 HVwVfG ist kein Raum. Der Zweck der Regelung in § 77 HVwVfG besteht darin,
bei einer endgültigen Aufgabe des Vorhabens klare Verhältnisse zu schaffen. Die
Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses durch förmlichen Bescheid der
Planfeststellungsbehörde gemäß § 77 Satz 1 HVwVfG soll zugunsten der durch das
Vorhaben betroffenen Eigentümer rechtsverbindlich klarstellen, daß die ihr
Eigentum belastenden Rechtswirkungen des Planfeststellungsbeschlusses infolge
der Aufgabe des Vorhabens nicht mehr gegeben sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.
April 1986 - 4 C 53.82 - NVwZ 1986, 834, für die Regelung des § 18d FStrG, die
dem § 77 HVwVfG entspricht). Die Belastung des Vorhabenträgers mit
Wiederherstellungs- und Änderungsmaßnahmen im Aufhebungsbeschluß der
Planfeststellungsbehörde gemäß § 77 Satz 2 HVwVfG mag zwar - bezogen auf die
bisherige Ausführung des Vorhabens - als "Folgenbeseitigung" bezeichnet werden
können; diese unterscheidet sich aber von der in § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO
gemeinten und von den Klägerinnen begehrten Folgenbeseitigung dadurch, daß
sie r e c h t s w i d r i g e s Verwaltungshandeln als Ursache für die zu
beseitigenden Folgen nicht voraussetzt. Zur endgültigen Aufgabe des Vorhabens
im Sinne des § 77 Satz 1 HVwVfG kann es auch dann kommen, wenn der das
Vorhaben zulassende Planfeststellungsbeschluß an sich rechtmäßig war. Nicht die
Rechtswidrigkeit der Zulassung des Vorhabens, sondern dessen endgültige
Aufgabe ist es, die im Falle des § 77 HVwVfG die Verpflichtung zur
Folgenbeseitigung auslöst.
Als Rechtsgrundlage für das Beseitigungsbegehren der Klägerinnen kommt damit
allein der aus dem Bundesverfassungsrecht abzuleitende
"Folgenbeseitigungsanspruch" in Betracht, der auf die Rückgängigmachung von
Folgen r e c h t s w i d r i g e n Verwaltungshandelns gerichtet ist. Dieser Anspruch
ist sowohl als "Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch" bei vollzogenen rechtswidrigen
Verwaltungsakten (vgl. Bachof, Urteilsanmerkung in DÖV 1971, 857, 860) als auch
als Anspruch auf Beseitigung von Folgen rechtswidrigen Verwaltungshandelns,
welches nicht in einem Verwaltungsakt besteht, denkbar (vgl. BVerwG, Urteil vom
25. August 1971 - 4 C 23.69 - DÖV 1981, 857, sowie Urteil vom 19. Juli 1984 - 3 C
81.82 - BVerwGE 69, 366, 369). Seine Ableitung aus dem Bundesverfassungsrecht
ist heute allgemein anerkannt, wobei es dahinstehen kann, ob die Grundlage
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ist heute allgemein anerkannt, wobei es dahinstehen kann, ob die Grundlage
hierfür in dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (so BVerwG, Urteil vom
19. Juli 1984, a.a.O.) oder in den Freiheitsgrundrechten (so z.B. Schenke, DVBl.
1990, 328, 330) zu sehen ist. Ein Folgenbeseitigungsanspruch auf dieser
Grundlage kommt auch dann in Betracht, wenn - wie es der vorliegenden
Fallgestaltung entspricht - durch den Vollzug eines begünstigenden
Verwaltungsakts mit Drittwirkung belastende Folgen für einen Dritten entstanden
sind. Die Folgenbeseitigung besteht in diesem Fall darin, daß die Behörde dem
rechtswidrig Begünstigten durch besondere Verfügung aufgibt, den durch die
Ausnutzung des begünstigenden Verwaltungsakts geschaffenen rechtswidrigen
Zustand wieder zu beseitigen. Freilich reicht als Rechtsgrundlage für das
Einschreiten der Behörde gegen den Begünstigten der
Folgenbeseitigungsanspruch als solcher nicht aus. Vielmehr benötigt die Behörde
für den Eingriff in die Rechtssphäre des vormals Begünstigten eine besondere
gesetzliche Ermächtigung, wie sie, wenn die zu beseitigenden Folgen in baulichen
Anlagen bestehen, durch die Ermächtigungsnorm zum bauaufsichtlichen
Einschreiten (§ 83 Abs. 1 Satz 2 der Hessischen Bauordnung - HBO -) vermittelt
wird (vgl. Kopp, VwGO, 9. Auflage 1992, § 113 Rdnr. 39; aus der Rechtsprechung
z.B.: VGH Mannheim, Urteil vom 4. Juli 1973 - III 1209/72 - BRS 27 Nr. 198,
Beschluß vom 20. Januar 1987 - 1 S 2718/86 - NVwZ 1987, 1101). Fehlt es an
einer solchen Ermächtigung oder kann von ihr wegen rechtlicher Bindungen, die
ein Einschreiten ausschließen, kein Gebrauch gemacht werden, so ist die Behörde
im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 3 VwGO zur Folgenbeseitigung rechtlich nicht "in
der Lage"; ein Folgenbeseitigungsanspruch des Drittbelasteten scheidet dann aus
(vgl. Knemeyer, JuS 1988, 696 ff.). Ergibt sich dagegen aus einer gesetzlichen
Ermächtigung die Befugnis der Behörde zum Einschreiten, so m u ß sie zugunsten
des belasteten Dritten hiervon auch Gebrauch machen. Der
Folgenbeseitigungsanspruch des Dritten läßt dann für die Ausübung von
Entschließungsermessen keinen Raum mehr (so Knemeyer, a.a.O. S. 698; ferner -
für den Fall, daß ein besondere gesetzliche Ermächtigung überhaupt erforderlich
sein sollte - Schenke, a.a.O. S. 332 bei Fn. 36, Horn, DÖV 1989, 976, 986; für
Ermessungsreduzierung wenigstens "in der Regel": VGH Mannheim, Beschluß vom
20. Januar 1987, a.a.O.).
Der Geltendmachung eines Folgenbeseitigungsanspruchs im vorgenannten Sinne
durch die Klägerinnen steht nicht schon entgegen, daß die von ihnen erstrittene
gerichtliche Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses vom 28. Oktober 1977
noch nicht bestandskräftig ist. Aus § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO ergibt sich, daß ein
Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch schon vor Rechtskraft der
Aufhebungsentscheidung zusammen mit dem Anfechtungsbegehren gerichtlich
geltend gemacht werden kann (dazu: Kopp, a.a.O., § 113 Rdnr. 40, OVG Saarland,
Urteil vom 10.12.1980 - 3 R 26/80 - DVBl. 1981, 836). Unschädlich für die durch §
113 Abs. 1 Satz 2 VwGO eingeräumte prozessuale Möglichkeit der
Geltendmachung des Folgenbeseitigungsanspruchs vor Rechtskraft der
Aufhebungsentscheidung ist in diesem Zusammenhang, daß das Verfahren
hinsichtlich des Folgenbeseitigungsanspruchs durch Beschluß des
Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 12. Dezember 1986 vom Anfechtungsprozeß
abgetrennt und dadurch zu einem gesonderten Verfahren gemacht worden ist
(vgl. Kopp, a.a.O., Rdnr. 45 mit weiteren Nachweisen).
Das Folgenbeseitigungsbegehren der Klägerinnen scheitert ferner nicht daran, daß
es an dem erforderlichen "Vollzugszusammenhang" zwischen dem
Planfeststellungsbeschluß vom 28. Oktober 1977 und den ausgeführten
Baumaßnahmen und Geländeveränderungen fehlen würde. Die von der
Beigeladenen durchgeführten Arbeiten zur Realisierung des Deponievorhabens
erweisen sich insgesamt als "Planvollzug". Das Hessische Oberbergamt hat sich
bei dem Erlaß des Planfeststellungsbeschlusses vom 28. Oktober 1977 vorgestellt,
daß die bauliche Gestaltung im einzelnen nicht festgelegt zu werden brauche,
sondern einer die allgemeinen Vorgaben des Plans konkretisierenden
Bauausführung durch die Beigeladene überlassen bleiben könne. Auf der
Grundlage dieser Konzeption tritt als "Vollzug" des Planfeststellungsbeschlusses
zwangsläufig auch eine Bautätigkeit in Erscheinung, die im Plan selbst nicht
konkret geregelt ist. Daß die vom Hessischen Oberbergamt zugrundegelegte
Regelungskonzeption mit dem Grundsatz der Bestimmtheit und der
Vollständigkeit von Planfeststellungsbeschlüssen nicht zu vereinbaren ist, wie der
Senat mit Beschluß vom 28. August 1986 - 5 TH 3071/84 - im vorangegangenen
Aussetzungsstreit entschieden hat, ändert daran nichts. Hiervon ausgehend
kommt es folglich nicht darauf an, ob der Folgenbeseitigungsanspruch als
"negatorischer Folgenbeseitigungsanspruch" auch bei planwidriger Bauausführung
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"negatorischer Folgenbeseitigungsanspruch" auch bei planwidriger Bauausführung
zum Zuge käme, wie die Klägerinnen meinen. Zu diesem Punkt sei nur soviel
angemerkt, daß der Folgenbeseitigungsanspruch grundsätzlich nur solche "Folgen"
zu erfassen vermag, die unmittelbar auf die Amtshandlung - im vorliegenden Fall
also auf den Planfeststellungsbeschluß vom 28. Oktober 1977 - zurückgehen und
sich ihr zurechnen lassen. Folgen, die erst durch das auf eigener Entschließung
beruhende Verhalten des begünstigten Dritten verursacht worden sind, gehören
nicht dazu (BVerwG, Urteil vom 19.7.1984 - BVerwGE 69, 366, 372/373). Um
Folgen der letztgenannten Art dürfte es sich handeln, wenn - wie es die
Klägerinnen der Beigeladenen im vorliegenden Verfahren vorwerfen - unter
Verstoß gegen eine erteilte Bauerlaubnis "schwarz" gebaut wurde. Ein Einschreiten
der Bauaufsichtsbehörde gegen Schwarzbauten kann deshalb nicht mit Hilfe des
Folgenbeseitigungsanspruchs erreicht werden. Hierfür steht vielmehr nur der
Anspruch auf fehlerfreie Ausübung des Entschließungsermessens bei Anwendung
der gesetzlichen Ermächtigung zum bauaufsichtlichen Einschreiten zur Verfügung.
Da der Planfeststellungsbeschluß vom 28. Oktober 1977 die Errichtung baulicher
Anlagen u n d deren Nutzung für das Ablagern von Sondermüll erlaubt, stellt die
Errichtung der baulichen Anlagen einschließlich hierbei vorgenommener
Geländeveränderungen für sich allein noch nicht die vollständige Verwirklichung
des Vorhabens dar. Hieran anknüpfend hat das Verwaltungsgericht zu Recht
geprüft, ob sich schon im derzeitigen Stadium der Planverwirklichung eine aktuelle
Rechtsbeeinträchtigung für die einzelnen Klägerinnen annehmen läßt oder ob dies
erst mit der Aufnahme der bestimmungsgemäßen Nutzung der hergestellten
baulichen Anlagen der Fall sein wird. Bei den beiden Privatklägerinnen ist das
Verwaltungsgericht zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, daß die bislang
realisierten Baumaßnahmen noch nicht zu einer unmittelbaren
Rechtsbeeinträchtigung führen. Diese Klägerinnen machen in erster Linie die
Gefährdung ihrer Brunnenanlagen durch eine von der geplanten Deponie
ausgehende Verunreinigung des Grundwassers geltend. Die Gefahr der
Grundwasserverunreinigung besteht aber solange - noch - nicht, als es bei der
Errichtung der baulichen Anlagen sein Bewenden hat und der Deponiebetrieb
selbst noch nicht aufgenommen ist. Durch die bisherige Bauausführung wird auch
das Grundeigentum der Klägerinnen zu 2) und 3) nicht beeinträchtigt. Ihre
Grundstücke liegen weder im Deponiebereich selbst noch in dessen unmittelbarer
räumlicher Nähe. Die von ihrem Bevollmächtigten geltend gemachte
Beeinträchtigung des Wohnumfeldes durch eine "ortsunübliche Bebauung in einem
ansonsten naturbelassenen Außenbereichsgebiet" reicht für eine rechtlich
erhebliche Beeinträchtigung in Nachbarrechten noch nicht aus. Der von den
Klägerinnen zu 2) und 3) geltend gemachte Folgenbeseitigungsanspruch entfällt
damit schon deswegen, weil sich für sie aus dem bisherigen Teilvollzug des
Planfeststellungsbeschlusses keine unmittelbare Rechtsbeeinträchtigung ergibt.
Anders liegen die Dinge bei der Klägerin zu 1). Diese kann sich auf ihr Eigentum an
den für die Anlegung der Deponie benötigten Flächen und auf ihre kommunale
Planungshoheit und damit auf Rechtspositionen berufen, die schon durch die
Bauausführung als solche unmittelbar berührt werden. Zumindest für das
Grundeigentum der Klägerin zu 1) hat dies auch das Verwaltungsgericht
anerkannt.
Die Folgenbeseitigungsklage der Klägerin zu 1) scheitert damit zwar nicht schon an
dem Erfordernis der unmittelbaren rechtlichen Beeinträchtigung; sie ist jedoch
deshalb unbegründet, weil die begehrte Folgenbeseitigung rechtlich nicht möglich
ist. Das beklagte Land ist aus Rechtsgründen daran gehindert, der Beigeladenen
die Beseitigung der im Vollzug des Planfeststellungsbeschlusses hergestellten
baulichen Anlagen und der vorgenommenen Geländeveränderungen aufzugeben.
Die Beigeladene sieht einen rechtlichen Hinderungsgrund für die streitige
Folgenbeseitigung bereits in der Veränderungssperre des § 9 des Hessischen
Abfallwirtschafts- und Altlastengesetzes (HAbfAG). Sie macht geltend, daß eine
Beseitigung der im Vollzug des Planfeststellungsbeschlusses vom 28. Oktober
1977 errichteten baulichen Anlagen auf eine Veränderung hinauslaufe, die die
Errichtung der Abfallentsorgungsanlage auf der Grundlage des anhängig
gemachten neuen Planfeststellungsverfahrens im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1
HAbfAG erheblich erschwere. Dem Wortlaut nach scheint die Veränderungssperre
nach § 9 HAbfAG in der Tat einzugreifen. Auf Grund der Auslegung der neuen
Pläne in der Zeit vom 26. Juni bis 18. August 1989 und später nochmals in der Zeit
vom 18. April bis 18. Mai 1990 hat das durch den Planfeststellungsantrag der
Beigeladenen vom 11. November 1987 eingeleitete neue
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Beigeladenen vom 11. November 1987 eingeleitete neue
Planfeststellungsverfahren schon vor einiger Zeit das für den Beginn der
Veränderungssperre erforderliche Verfahrensstadium erreicht. Daß mit einer
Beseitigung des derzeitigen Baubestandes auf dem vorgesehenen
Deponiegelände eine erhebliche Erschwerung für die Realisierung der neuen
Planung verbunden wäre, läßt sich ebenfalls nicht bestreiten. Zu Unrecht beruft
sich die Klägerin zu 1) auf den Ausnahmetatbestand in § 9 Abs. 1 Satz 2 HAbfAG.
Die Beseitigung der im Vollzug des Planfeststellungsbeschlusses vom 28. Oktober
1977 errichteten baulichen Anlagen kann nicht als "Fortführung einer bisher
rechtmäßig ausgeübten Nutzung" angesehen werden. Die Klägerin zu 1) meint
damit die Nutzung des Deponiegeländes als Naherholungsgebiet entsprechend
den planerischen Vorstellungen, die in dem Entwurf eines Flächennutzungsplans
der ehemaligen Gemeinde Mainflingen aus dem Jahre 1974 zum Ausdruck
gekommen sind. Eine solche Nutzung ist aber zu keiner Zeit - weder rechtmäßig
noch unrechtmäßig - tatsächlich ausgeübt worden. Das Gelände wurde vielmehr -
nach Stillegung der Tongrube im Jahre 1966 - bis Oktober 1977 für die Lagerung
von Abraum und die Wasserhaltung für den weiter westlich fortgesetzten Tonabbau
genutzt. Schon Anfang der 70er Jahre setzten dann die Planungen für die
Errichtung einer Sonderabfallbeseitigungsanlage ein. Ebenfalls unbegründet ist der
Einwand der Klägerin zu 1), einer Berufung der Beigeladenen auf die
Veränderungssperre nach § 9 Abs. 1 HAbfAG stehe eine auf zwei Jahre
beschränkte Geltungsdauer analog der Zweijahresfrist in § 9 Abs. 3 Satz 3 HAbfAG
für die Festlegung von Planungsgebieten entgegen. § 9 Abs. 1 HAbfAG sieht für die
Veränderungssperre keine zeitliche Befristung vor. Das ist verfassungsrechtlich
unbedenklich, weil betroffene Eigentümer und sonst zur Nutzung Berechtigte nach
§ 9 Abs. 2 HAbfAG im Falle einer vier Jahre überschreitenden Zeitdauer der
Veränderungssperre eine angemessene Entschädigung in Geld für entstehende
Vermögensnachteile verlangen können. Der Gesetzgeber selbst geht damit von
einer entschädigungslos hinzunehmenden vierjährigen Dauer der
Veränderungssperre aus.
Obwohl hiernach die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine
Veränderungssperre nach § 9 Abs. 1 HAbfAG erfüllt zu sein scheinen, ergeben sich
bei einer an Sinn und Zweck der Vorschrift orientierten Betrachtungsweise
erhebliche Bedenken, ob die Vorschrift im vorliegenden Fall Anwendung finden
kann. Die Veränderungssperre soll nach den Vorstellungen des Gesetzgebers den
"status quo" des für die Errichtung der Abfallentsorgungsanlage ausgesuchten
Geländes erhalten und ihn vor Veränderungen bewahren, die die Verwirklichung
des Vorhabens in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht erschweren oder gänzlich
unmöglich machen. Gedacht ist dabei an Veränderungen gegenüber den
Bedingungen, die bei der Standortsuche vorgefunden wurden und für die
Standortentscheidung den Ausschlag gaben. Bei dem von der Beigeladenen auf
der Grundlage des Planfeststellungsbeschlusses vom 28. Oktober 1977
geschaffenen baulichen Zustand des vorgesehenen Deponiegeländes handelt es
sich aber nicht mehr um den ursprünglichen Zustand, sondern um den wesentlich
geänderten späteren Zustand, den das Gelände durch den Teilvollzug des
Planfeststellungsbeschlusses vom 28. Oktober 1977 erhalten hat. Die Anwendung
der Veränderungssperre auch in diesem Fall würde bedeuten, daß sie als
Instrument zur Bewahrung der Vollzugsfolgen eines rechtswidrigen
Planfeststellungsbeschlusses zum Einsatz käme. Ob das dem Willen des
Gesetzgebers entspricht, muß bezweifelt werden.
Die Frage, ob die Veränderungssperre nach § 9 Abs. 1 HAbfAG zugunsten der
Beigeladenen eingreift und damit einen Hinderungsgrund für die von der Klägerin
zu 1) begehrte Folgenbeseitigung darstellt, kann aber letztlich dahinstehen. Das
beklagte Land ist jedenfalls deshalb daran gehindert, der Beigeladenen die
Beseitigung der baulichen Anlagen und vorgenommener Geländeveränderungen
aufzugeben, weil ein auf die Ermächtigung zum bauaufsichtlichen Einschreiten
gemäß § 83 Abs. 1 Satz 2 HBO gestütztes Beseitigungsverlangen gegen das
Verhältnismäßigkeitsprinzip verstoßen würde.
Wie oben bereits ausgeführt wurde, bedarf es für ein als Vollzugsfolgenbeseitigung
in Erscheinung tretendes Vorgehen der Behörde gegen den Begünstigten einer
besonderen gesetzlichen Ermächtigung; diese ist, soweit die Vollzugsfolgen
baulicher Art sind, in der baupolizeilichen Generalklausel zu sehen. Nach § 83 Abs.
1 Satz 2 HBO haben die Bauaufsichtsbehörden "im Rahmen der geltenden
Gesetze die nach pflichtgemäßem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen,
um von der Allgemeinheit oder den einzelnen Gefahren für die öffentliche
Sicherheit oder Ordnung im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 abzuwehren, die durch
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Sicherheit oder Ordnung im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 abzuwehren, die durch
bauliche oder sonstige Anlagen nach diesem Gesetz oder durch Arbeiten zu ihrer
Herstellung, Änderung, Unterhaltung oder Beseitigung oder durch eine nach
diesem Gesetz rechtserhebliche sonstige Nutzung hervorgerufen werden". Zu den
rechtlichen Voraussetzungen, von denen die Befugnis zum bauaufsichtlichen
Einschreiten nach dieser Vorschrift abhängt, gehört neben den gesetzlichen
Tatbestandsmerkmalen die Verträglichkeit des Einschreitens mit
Verfassungsprinzipien wie insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsprinzip. Das
Verhältnismäßigkeitsprinzip gebietet es, bei einem der Folgenbeseitigung
dienenden Vorgehen auch auf die Interessen des durch den rechtswidrigen
Verwaltungsakt vormals Begünstigten an der Beibehaltung des eingeräumten
Vorteils Rücksicht zu nehmen (vgl. Schenke, a.a.O., S. 334 f.). Ein Vorgehen im
Rahmen der Folgenbeseitigung kann dadurch zum Beispiel bei "Bagatellunrecht",
welches nur mit unverhältnismäßigem Aufwand wieder zu beseitigen wäre,
ausgeschlossen sein, ferner dann, wenn bei vollzogener fehlerhafter Bauerlaubnis
deren Ersetzung durch eine rechtmäßige Bauerlaubnis möglich ist (vgl. Schenke,
a.a.O., S. 337).
Der Senat geht in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht davon aus, daß
ein Beseitigungsverlangen gegenüber der Beigeladenen zum gegenwärtigen
Zeitpunkt unverhältnismäßig wäre, weil auf Grund des neu anhängig gemachten
Planfeststellungsverfahrens in absehbarer Zeit mit dem Erlaß eines neuen
Planfeststellungsbeschlusses für die Errichtung der streitigen
Sonderabfallbeseitigungsanlage zu rechnen ist, der nach derzeitiger Einschätzung
die Mängel des alten - aufgehobenen - Planfeststellungsbeschlusses nicht mehr
aufweisen und auch nicht schon wegen Vorliegens zwingender Versagungsgründe
im Sinne des § 8 Abs. 3 des Abfallgesetzes vom 27. August 1986, BGBl. I S. 1410
(AbfG), rechtswidrig sein wird.
Das neue Planfeststellungsverfahren ist durch einen Planfeststellungsantrag der
Beigeladenen vom 11. November 1987 nach der gerichtlichen Aufhebung des
Planfeststellungsbeschlusses vom 28. Oktober 1977 in Gang gesetzt worden. Es
befindet sich derzeit in einem fortgeschrittenen Stadium. Die Auslegung des
Planes hat ein erstes Mal in der Zeit vom 26. Juni bis 28. August 1989
stattgefunden und wurde in der Zeit vom 18. April bis 18. Mai 1990 wiederholt.
Während der Einwendungsfristen sind rund 12.000 Einwendungen gegen das
Vorhaben eingegangen. Diese und die dazu eingeholten behördlichen
Stellungnahmen wurden in einem Versammlungszelt auf dem vorgesehenen
Deponiegelände in der Zeit vom 20. August bis 7. September 1990 erörtert. Auf
Grund des Erörterungsergebnisses sind verschiedene Untersuchungen veranlaßt
worden. Nach den Angaben der Vertreter des beklagten Landes in der mündlichen
Verhandlung kann auf dieser Grundlage mit einer Entscheidung über den neuen
Planfeststellungsantrag bis Ende des nächsten Jahres gerechnet werden.
Der Senat hat keinen Zweifel daran, daß das Hessische Oberbergamt bei Erlaß
eines neuen Planfeststellungsbeschlusses den rechtlichen Anforderungen, die sich
aus dem Grundsatz der Bestimmtheit und Vollständigkeit für den Regelungsgehalt
eines abfallrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses ergeben, Rechnung tragen
wird. Das beklagte Land hat zwar gegen das Urteil des Verwaltungsgericht
Darmstadt vom 19. Dezember 1986 (III E 456/77), mit dem der
Planfeststellungsbeschluß vom 28. Oktober 1977 wegen Verstoßes gegen den
vorgenannten Grundsatz aufgehoben wurde, Berufung eingelegt. Daraus kann
aber nicht auf die Absicht des Hessischen Oberbergamts geschlossen werden, die
bei dem alten Planfeststellungsbeschluß zugrundegelegte und gerichtlich
beanstandete Regelungstechnik auch bei dem künftigen Planfeststellungsbeschluß
zu praktizieren. Das neue Planfeststellungsverfahren dient vielmehr im Gegenteil
dazu, den Beanstandungen abzuhelfen, die zur Aufhebung des alten
Planfeststellungsbeschlusses geführt haben.
Des weiteren kann ausgeschlossen werden, daß das Vorhaben den für verbindlich
erklärten Feststellungen eines Abfallentsorgungsplans zuwiderläuft und damit nach
§ 8 Abs. 3 Satz 1 AbfG nicht zugelassen werden kann. Der durch Beschluß der
Hessischen Landesregierung vom 16. März 1976 als Fachplan festgestellte
Abfallbeseitigungsplan 2 ("Sonderabfälle aus Industrie und Gewerbe") enthält
Festlegungen, die unter anderem die Sonderabfallbeseitigungsanlage "S" M-M
umfassen. Diese Festlegungen sind für verbindlich erklärt und bekanntgemacht
worden (Veröffentlichungen im Staatsanzeiger 1976 S. 1471, 1977 S. 852 und
1978 S. 2110). Sie sind ferner durch Sonderabfallverordnung des Hessischen
Ministers für Landwirtschaft und Umwelt vom 13. November 1978, GVBl. I S. 556,
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Ministers für Landwirtschaft und Umwelt vom 13. November 1978, GVBl. I S. 556,
für allgemein verbindlich erklärt worden. Eine förmliche Änderung der auf den
Deponiestandort "Speckwiese" bezogenen Festlegungen ist bis heute nicht erfolgt.
In der mündlichen Verhandlung am 11. November 1993 hat die Beigeladene den
Entwurf einer Fortschreibung des Abfallentsorgungsplans Hessen, Teilplan 2, Stand
18. Mai 1992, vorgelegt. Dieser Entwurf geht auf Seite 14 von der Beibehaltung der
Planung für die Sonderabfalldeponie Mainhausen aus und bezeichnet deren
Realisierung als "überfällig".
Der vorgenannte Abfallentsorgungsplan setzt sich entgegen der Auffassung der
Klägerin zu 1) nicht in Widerspruch zu den Zielen und Erfordernissen der
Raumordnung und Landesplanung. Der durch Beschluß der Landesregierung am
28. November 1978 festgestellte und am 15. Juni 1979 (StAnz S. 1286)
bekanntgemachte Regionale Raumordnungsplan für die Region U - sachlicher
Teilplan - wies wegen der Standorte für Abfallbeseitigungsanlagen auf die
"Abfallbeseitigungspläne gemäß § 6 AbfG und § 4 HAbfG als Fachpläne nach dem
HLPG" hin (Textziffer 4.4.1.1 des Textteils) und enthielt darüber hinaus den
ausdrücklichen Hinweis auf die Planung einer Sonderabfallbeseitigungsanlage in
Mainhausen-Mainflingen (Textziffer 4.4.1.2 unter Nr. 4). Der am 9. Dezember 1986
von der Hessischen Landesregierung beschlossene und unter dem 22. Dezember
1986 bekanntgemachte Regionale Raumordnungsplan Südhessen (StAnz 1987 S.
388) enthält zwar im Textteil nicht mehr den ausdrücklichen Hinweis auf den
Deponiestandort M M, verweist aber unter Tz. 4.6.1 (Abfallwirtschaft, Untertitel
Planungen und Maßnahmen) nach wie vor auf die Abfallwirtschaftspläne, die die
"Standorte für Einrichtungen und Anlagen" ausweisen, sowie den
Landesabfallwirtschaftsplan, der unter anderem "die erforderlichen Maßnahmen
zur Vermeidung, Verwertung und Beseitigung von Sonderabfällen" enthält.
Letzteres reicht als nachrichtliche Übernahme der Festlegungen des
Abfallentsorgungsplans, Teilplan 2, mit Ausweisung des Deponiestandorts M -M
nach wie vor aus. Soweit es unter dem Untertitel "Ziele" der Textziffer 4.6.1 heißt,
daß die Deponierung von Sonderabfällen "künftig in dafür geeigneten Deponien
oberhalb des Grundwasserspiegels mit den größtmöglichen
Sicherheitsvorkehrungen oder in der Untertagedeponie Herfa-Neurode zu
erfolgen" habe, ist das als Richtlinie für künftige Standortentscheidungen zu
verstehen, die die unter der gleichen Textziffer zum Ausdruck gebrachte
nachrichtliche Übernahme der im Abfallentsorgungsplan, Teilplan 2, festgelegten
Deponiestandorte unberührt läßt. Auch aus der "Teilkarte 2 Siedlung und
Landschaft" des Regionalen Raumordnungsplans Südhessen ergibt sich nichts
Abweichendes. Der Einblick in diese Karte und die Einzeichnung des streitigen
Deponiestandorts in der mündlichen Verhandlung am 11. November 1993 haben
gezeigt, daß die grüne Schraffur zur Kennzeichnung der Ausweisung "Regionaler
Grünzug" im Bereich der vorgesehenen Deponiefläche unterbrochen ist. Somit
kann gerade die Eintragung in dieser Karte als Beleg dafür dienen, daß der
Regionale Raumordnungsplan Südhessen an der Landesplanung für den
Deponiestandort Mainhausen nichts hat ändern wollen.
Da aus den dargelegten Gründen das Deponieprojekt Mainhausen den
Festlegungen im Regionalen Raumordnungsplan Südhessen nicht zuwiderläuft,
bedurfte es nicht der Abweichung von diesem Raumordnungsplan, wie sie das
Hessische Ministerium des Innern mit Bescheid vom 6. Oktober 1989 auf der
Grundlage des § 8 Abs. 3 des Hessischen Landesplanungsgesetzes vom 1. Juni
1970, GVBl. I S. 360 (HLPG), zugelassen hat. Von daher erübrigt sich eine
Befassung mit den von der Klägerin zu 1) erhobenen Einwänden gegen die
Rechtmäßigkeit dieser Zulassungsentscheidung. Das Hessische Ministerium des
Innern hat die Abweichung offensichtlich vorsorglich zugelassen, um
sicherzustellen, daß auch tatsächlich - weiterhin - die Vereinbarkeit des
Deponieprojekts Mainhausen mit der Landesplanung gewährleistet ist. Wie der
Begründung zum Zulassungsbescheid vom 6. Oktober 1989 zu entnehmen ist,
ging man dabei irrig davon aus, die als Standort der
Sonderabfallbeseitigungsanlage vorgesehene Fläche sei im geltenden Regionalen
Raumordnungsplan als "regionaler Grünzug" ausgewiesen. Letzteres stimmt nicht,
wie der Senat durch einen Blick in die Karte und die Einzeichnung des
Deponiestandorts feststellen konnte.
Ein zwingender Versagungsgrund für die Zulassung des Vorhabens der
Beigeladenen ergibt sich auch nicht aus § 8 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 AbfG. Es bestehen
keine Bedenken gegen die Zuverlässigkeit der Beigeladenen als Trägerin des
streitigen Deponieprojekts. Der von der Klägerin zu 1) erhobene Vorwurf der
"Schwarzbebauung" ist, wie in anderem Zusammenhang bereits ausgeführt wurde,
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"Schwarzbebauung" ist, wie in anderem Zusammenhang bereits ausgeführt wurde,
nicht berechtigt, da sich die Bautätigkeit der Beigeladenen insgesamt noch als
Planvollzug darstellt. Auf die Neigung, ohne Baugenehmigung oder unter
Mißachtung ihres Regelungsgehalts zu bauen, kann folglich eine Unzuverlässigkeit
der Beigeladenen nicht gestützt werden.
Da das Vorhaben der Beigeladenen - wie ausgeführt - als mit den Zielen der
Landesplanung in Einklang stehendes Vorhaben dem Wohle der Allgemeinheit
dient, kommt gemäß § 8 Abs. 4 AbfG die Regelung in § 8 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AbfG,
wonach im Falle des Widerspruchs des Betroffenen der Planfeststellungsbeschluß
dann zu versagen ist, wenn "nachteilige Wirkungen auf das Recht eines anderen zu
erwarten sind, die durch Auflagen oder Bedingungen weder verhütet noch
ausgeglichen werden können", nicht zur Anwendung. Die von der Klägerin zu 1)
geltend gemachten Rechtspositionen - Grundeigentum, Planungshoheit - sind zwar
bei der Entscheidung über die Zulassung des Vorhabens in die Abwägung
einzustellen, können jedoch nach derzeitiger Einschätzung als grundsätzlich
"überwindbar" angesehen werden. Das gilt vor allem für die Planungshoheit, auf
deren Geltendmachung die Klägerin zu 1) im vorliegenden Verfahren besondere
Mühe verwendet hat. Soweit sich die Klägerin zu 1) auf den Entwurf eines
Flächennutzungsplans aus dem Jahre 1974 mit der Ausweisung von Wald- und
Wasserflächen im Bereich des Deponiegeländes beruft, haftet dem die Schwäche
an, daß es sich um eine Planung handelt, die erst nach dem im März 1972
gestellten Antrag auf Planfeststellung in Gang gesetzt wurde. Vieles spricht in
diesem Zusammenhang für eine reine "Sperrplanung". Es kommt hinzu, daß die
Genehmigungsbehörde diesen Entwurf mit einem negativen Votum versehen und
die Ablehnung angekündigt hat. Im derzeit gültigen Flächennutzungsplan des
Umlandverbandes ist im übrigen das streitige Deponievorhaben in Form einer
nachrichtlichen Aufnahme berücksichtigt.
Für die Annahme, daß das beklagte Land gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip
verstoßen würde, wenn es der Beigeladenen vor der Entscheidung über den neuen
Planfeststellungsantrag die Beseitigung der von ihr im Vollzug des alten
Planfeststellungsbeschlusses errichteten baulichen Anlagen und vorgenommenen
Geländeveränderungen aufgäbe, bedarf es nicht der weitergehenden Feststellung,
daß der Erlaß des neuen Planfeststellungsbeschlusses zeitlich unmittelbar
bevorsteht und daß von seiner Rechtmäßigkeit jetzt schon mit Sicherheit
ausgegangen werden kann. Solche Anforderungen mögen dann berechtigt sein,
wenn es um die Frage geht, ob sich ein Folgenbeseitigungsbegehren im Verhältnis
zwischen Anspruchsinhaber und Behörde als unzulässige Rechtsausübung darstellt
bzw. gegen das Prinzip der "Zumutbarkeit" verstößt (dazu: BVerwG, Urteil vom 6.
September 1988 - 4 C 26.88 - NJW 1989, 118). Das Verhältnismäßigkeitsprinzip
entfaltet demgegenüber seine Wirkung in der Beziehung zwischen der zur
Folgenbeseitigung berufenen Behörde und dem vormals Begünstigten. Für diesen
kann das Verlangen nach Beseitigung der Vollzugsfolgen schon dann einen
unverhältnismäßigen Eingriff bedeuten, wenn immerhin die Aussicht besteht, daß
sein Vorhaben innerhalb eines noch überschaubaren Zeitraums durch Erlaß eines
mängelfreien Planfeststellungsbeschlusses nachträglich legalisiert wird. Letzteres
gilt in besonderem Maße für das hier vorliegende Bauvorhaben, in welches bereits
Millionenbeträge investiert worden sind und bei dem infolgedessen eine
"vorzeitige" Folgenbeseitigung gleichbedeutend sein dürfte mit der endgültigen
Aufgabe des Projekts.
Aus den dargelegten Gründen ist bei allen drei Klägerinnen die Berufung gegen
das klageabweisende erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.