Urteil des HessVGH vom 20.09.1989

VGH Kassel: wirtschaftliche einheit, gehweg, abrechnung, grundstück, satzung, bebauungsplan, fahrbahn, breite, anbau, aufwand

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
5. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 UE 8/86
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 128 Abs 1 S 2 BBauG, §
125 Abs 2 S 1 BBauG
(Quasi-Längsspaltung bei Ausbau zur beidseitigen
Erschließungsanlage)
Tatbestand
Die Klägerin ist Eigentümerin eines in der Gemarkung K. der Beklagten gelegenen,
insgesamt 5.993 qm großen Grundstückskomplexes, der im Süden von der H.
Straße und im Nordwesten von der W.straße begrenzt wird. Dieser Komplex setzte
sich ursprünglich aus acht Parzellen mit der Bezeichnung Flur 4 Flurstücke 1/12,
1/13, 1/14, 1/15, 1/16, 1/17, 1/18 und 1/19 zusammen. Daraus sind in der Folgezeit
durch eine der tatsächlichen Nutzung folgende Zusammenlegung einzelner
Parzellen die heutigen Buchgrundstücke H. Straße 25 (Flur 4 Flurstück 1/23,
gebildet aus den früheren Parzellen 1/14, 1/17 und 1/18), H. Straße 27 (Flur 4
Flurstück 1/24, gebildet aus den früheren Parzellen 1/15, 116 und einem zuvor als
Parzelle 1/20 verselbständigten Teil der Parzelle 1/19) sowie W.straße 6 (Flur 4
Flurstück 1/22, gebildet aus den früheren Parzellen 1/12, 1/13 und dem zuvor als
Parzelle 1/21 verselbständigten anderen Teil der Parzelle 1/19) entstanden. Das
2.321 qm große Buchgrundstück H. Straße 25 ist an die A. verpachtet und wird als
Tankstellengrundstück genutzt. Auf dem östlich angrenzenden -- 523 qm großen --
Grundstück H. Straße 27 befindet sich ein Wohnhaus, welches bis 1984 von der
Mutter der Klägerin bewohnt wurde und heute vermietet ist. Das sich nach Norden
anschließende -- 3.149 qm große -- Grundstück W.straße 6 ist derzeit an eine
Autoverwertungsfirma verpachtet.
Die H. Straße bildet die Ortsdurchfahrt der Bundesstraße ... im Stadtteil K. der
Beklagten. In den Jahren 1969 bis 1977 führte die Beklagte auf der Grundlage ihres
am 28. September 1962 als Satzung beschlossenen Bebauungsplans "S. Straße"
sowohl in der W.straße als auch in dem Streckenabschnitt der H. Straße zwischen
der Straße "I." und der U.straße -- der Grundbesitz der Klägerin liegt im Bereich
dieses Abschnitts -- Ausbauarbeiten durch. Die H. Straße erhielt dabei in dem
fraglichen Abschnitt eine Gesamtbreite von 30 m; davon entfielen 23,50 m auf die
Fahrbahn und 6,50 m auf einen neu angelegten Gehweg auf der nördlichen
Straßenseite. Vor dem streitigen Ausbau war die Fahrbahn -- ausweislich eines
Aktenvermerks des Tiefbauamts der Beklagten vom 7. Dezember 1960 -- 6 m
breit. Auf der Südseite, an der sich schon vor dem 2. Weltkrieg geschlossene
Wohnhausbebauung befand, verlief bereits ein -- teilweise gekiester, teilweise mit
Platten befestigter -- Gehweg, für dessen Anlegung in den 30er Jahren und Anfang
der 40er Jahre die Stadt ... als damals zuständige Gebietskörperschaft auf der
Grundlage der Ortsbausatzung für den Stadtteil K. vom 19. November 1919 in der
Fassung der Ortsbausatzung "für das Bebauungsgebiet zwischen der H. Straße
und der T.-Eisenbahn in der Gemarkung K." vom 12. November 1925
Anliegerbeiträge gem. Art. 21 der Hessischen Allgemeinen Bauordnung vom 30.
April 1881 erhoben hatte. Auf der Nordseite verlief bis Ende der 50er/Anfang der
60er Jahre die Straßenbahntrasse einer von den Stadtwerken ... betriebenen und
unterhaltenen Straßenbahnlinie.
Die Beklagte zog die Klägerin mit Bescheid vom 10. November 1978 für den
Ausbau der W.straße und mit Bescheid vom 30. November 1978 für den Ausbau
der H. Straße zu Erschließungsbeiträgen heran. Dabei legte die Beklagte ihre
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der H. Straße zu Erschließungsbeiträgen heran. Dabei legte die Beklagte ihre
Erschließungsbeitragssatzung vom 18. Dezember 1973 in der Fassung der
Änderungssatzung vom 22. Juli 1977 (EBS) zugrunde und behandelte den
Grundbesitz der Klägerin zwischen W.straße und H. Straße jeweils als gem. § 7
Abs.2 Satz 2 EBS selbständig veranlagungsfähige Grundstückseinheit mit
Mehrfacherschließung durch zwei gleichartige Erschließungsanlagen (§ 7 a Abs.2
EBS). Der Erschließungsbeitragsbescheid für die W.straße war Gegenstand einer
rechtlichen Auseinandersetzung im Klageverfahren VG Wiesbaden X/V E 745/80.
Dieser Streit endete mit einem Vergleich, der darin bestand, daß die Beklagte ihre
Forderung von ursprünglich 22.126,97 DM auf 15.800,-- DM ermäßigte.
Gegenstand des vorliegenden -- anhängig gebliebenen -- Rechtsstreits ist der
Beitragsbescheid für die H. Straße mit der Festsetzung eines
Erschließungsbeitrags in Höhe von 10.545,59 DM. Der Magistrat der Beklagten
hatte für die Abrechnung des ausgebauten Teilstücks dieser Straße am 3. Januar
1978 einen Abschnittsbildungsbeschluß gefaßt, dessen Erforderlichkeit in der
Magistratsvorlage vom 9. Dezember 1977 damit begründet worden war, daß "das
Teilstück von A.-Straße bis Einmündungsbereich I. als vorhandene Straße
anzusehen" sei, und daß "für das Teilstück ab U.straße keine planungsrechtlichen
Festsetzungen" bestünden. Bei der Abrechnung des ausgebauten Teilstücks
beschränkte sich die Beklagte darauf, den Aufwand für 4 m Straßenbreite auf die
an die Straßennordseite angrenzenden Grundstücke umzulegen. Die Anlieger der
Straßensüdseite wurden mit Rücksicht auf ihre Belastung mit Anliegerbeiträgen
nach früherem Ortsrecht nicht in die Verteilung und Beitragserhebung einbezogen.
Die abgerechnete Breite von 4 m entsprach der Hälfte der Gesamtbreite von 8 m,
die das Tiefbauamt der Beklagten in einem Schreiben vom 1. Juli 1968 an das Amt
für Verkehrswesen als die nach § 128 Abs.3 Nr.2 BBauG bei der
Aufwandsermittlung berücksichtigungsfähige Straßenbreite -- davon 1,50 m auf
"Überbreite der Fahrbahn" und 6,50 m auf "Gehwege mit Baumstreifen" entfallend
-- bezeichnet hatte.
Die Klägerin erhob gegen ihre Heranziehung für die H. Straße am 30. April 1980 --
nach Zurückweisung ihres Widerspruchs vom 13. Dezember 1978 durch
Widerspruchsbescheid vom 28. März 1980 -- Klage. Im Klageverfahren machte sie
geltend: Die H. Straße sei in dem ausgebauten Abschnitt als "vorhandene
Erschließungsanlage" im Sinne des § 180 Abs.2 BBauG anzusehen. Sie habe sich
in diesem Bereich schon lange vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes in einem
den damaligen Bedürfnissen entsprechenden und hierfür ausreichenden
Ausbauzustand befunden. Schon vor dem 2. Weltkrieg sei sie auf beiden Seiten
überwiegend bebaut gewesen. Das gehe auch aus dem Bebauungsplan "S.
Straße" hervor. Die damalige Breite von insgesamt 13 m habe den Bedürfnissen
voll entsprochen. Das frühere Ortsrecht habe Gehwege mit Bekiesung und
Basaltbordsteinen genügen lassen. Daß sich ein solcher Gehweg schon seit Mitte
der 30er Jahre auch auf der nördlichen Straßenseite befunden habe, ergebe sich
aus vorhandenen Fotos. Der zu Beginn der 70er Jahre vorgenommene Ausbau des
streitbefangenen Abschnitts der H. Straße stelle sich nach allem als Erweiterung
einer bereits vorhandenen Erschließungsanlage dar. Darauf deute auch der
Ausdruck "Verbreiterung" der Straße bei den Grunderwerbsverhandlungen und in
den beurkundeten Kaufverträgen hin. Für die streitige Ausbaumaßnahme hätten
daher allenfalls Straßenbeiträge nach dem Kommunalabgabengesetz erhoben
werden können. Der Beitragsbescheid sei aber auch deshalb fehlerhaft, weil sich
die Abrechnung auf die Grundstücke auf der nördlichen Straßenseite beschränke.
In die Verteilung des umlegungsfähigen Erschließungsaufwandes seien beide
Straßenseiten einzubeziehen. Ein weiterer Mangel liege darin, daß ihre zwischen
der H. Straße und der W.straße gelegenen Grundstücke als eine selbständig
veranlagungsfähige wirtschaftliche Einheit behandelt worden seien.
Die Klägerin beantragte,
den Bescheid der Beklagten vom 30. November 1978 und deren
Widerspruchsbescheid vom 28. März 1980 aufzuheben.
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
Sie trat der Auffassung der Klägerin, daß es sich bei dem streitbefangenen
Abschnitt der H. Straße um eine vorhandene Erschließungsanlage im Sinne des §
180 Abs.2 BBauG handele, entgegen und führte aus: Bis zum Inkrafttreten des
Bebauungsplans "S. Straße" im Jahre 1963 habe die H. Straße den Charakter einer
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Bebauungsplans "S. Straße" im Jahre 1963 habe die H. Straße den Charakter einer
dem überörtlichen Verkehr dienenden Verbindungs straße gehabt. Die Funktion
einer Erschließungsanlage habe sie in dem in Rede stehenden Teilbereich lediglich
für die südlich angrenzenden Grundstücke erfüllt. Dementsprechend sei auch nur
auf dieser Straßenseite ein Gehweg vorhanden gewesen. Die Behauptung der
Klägerin, auch auf der Nordseite habe es einen bekiesten und durch Bordsteine
abgegrenzten Gehweg gegeben, werde bestritten. Die Bedeutung einer
Erschließungsanlage für die nördlich angrenzenden Grundstücke habe die H.
Straße erst mit dem Inkrafttreten des vorgenannten Bebauungsplans erlangt.
Entsprechend den Festsetzungen dieses Planes sei dann die Straße zwischen
1969 und 1977 ausgebaut worden. Auf der nördlichen Straßenseite sei dabei
erstmals ein befestigter Gehweg angelegt worden. Vorher habe sich hier lediglich
die befestigte Straßenbahntrasse befunden. Eine Beteiligung der südlich
angrenzenden Grundstücke an der Verteilung des Erschließungsaufwandes sei
nicht in Betracht gekommen, da die Eigentümer dieser Grundstücke bereits im
Jahre 1938 Anliegerbeiträge für die Herstellung des Gehweges auf der Südseite
hätten entrichten müssen. Die Ausdehnung der Erschließungsfunktion auf die
Nordseite habe zur Folge, daß der hierdurch bedingte zusätzliche
Erschließungsaufwand nur auf die Anlieger dieser Straßenseite umgelegt werden
könne. Die Behandlung der Grundstücke der Klägerin als eine selbständig
veranlagungsfähige wirtschaftliche Einheit sei ebenfalls nicht zu beanstanden. In
dem maßgeblichen Zeitpunkt der Heranziehung der Klägerin seien die
Grundstücke als Wirtschaftseinheit im Sinne des § 7 Abs.2 EBS anzusehen
gewesen.
Das Verwaltungsgericht Wiesbaden wies mit Urteil vom 21. Oktober 1985 -- X/V E
471/80 -- die Klage ab. In den Entscheidungsgründen heißt es, daß die zulässige
Klage in der Sache keinen Erfolg haben könne, weil die angefochtene
Heranziehung im Ergebnis zu Recht erfolgt sei. Mit ihrer
Erschließungsbeitragssatzung vom 18. Dezember 1973 in der Fassung der
späteren Änderungssatzungen vom 22. Juli 1977, 21. März 1980 und 10.
September 1982 verfüge die Beklagte über formell und materiell gültiges
Satzungsrecht. Der Einwand der Klägerin, die H. Straße sei im fraglichen Abschnitt
eine vorhandene Erschließungsanlage gewesen, sei unbegründet. Die in der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs aufgestellten Kriterien für die Annahme einer
vorhandenen Erschließungsanlage lägen nicht vor. Die H. Straße habe noch nicht
die in der Ortsbausatzung für den Stadtteil K. vom 10. November 1919 in
Verbindung mit der Ortsbausatzung vom 12. November 1925 vorausgesetzte
beidseitige Gehweganlage aufgewiesen. Einen den Herstellungsmerkmalen dieses
Ortsrechts entsprechenden Gehweg habe es, wie aus den zwischen 1934 und 1941
durchgeführten Abrechnungen hervorgehe, lediglich auf der Südseite der H.
Straße gegeben. Auf der Nordseite habe sich noch kein bekiester Gehweg
befunden. Für diese Straßenseite liege auch keine Abrechnung von
Straßenbaukosten durch die Stadt ... vor. Die Planung für die Anlegung eines
Gehweges auf der Nordseite enthalte erst der Bebauungsplan "S. Straße". Auf der
Grundlage dieser Planung habe die Beklagte den für die Verbreiterung der Straße
und die Anlegung eines Gehwegs auf der Nordseite erforderlichen Grunderwerb
durchgeführt. Der Vater der Klägerin habe in seiner Erklärung vom 15. März 1958
die Notwendigkeit eines noch vorzunehmenden Ausbaus der H. Straße in dem
fraglichen Abschnitt selbst anerkannt. Auf Grund dieser Erklärung habe die
Beklagte seinerzeit einen Dispens von dem im Preußischen Fluchtliniengesetz von
1875 vorgesehenen Anbauverbot an unfertigen Straßen erteilt und die Errichtung
einer Tankstelle auf dem damaligen Grundstück Flur 4 I, Flurstück 1/2, genehmigt.
Die Erschließungsfunktion der H. Straße habe sich damals auf die südlich
angrenzenden Grundstücke beschränkt. Die Eigenschaft einer
Erschließungsanlage auch für die nördlich angrenzenden Grundstücke habe die
Straße frühestens mit Inkrafttreten des Bebauungsplans "S. Straße" erlangt. Erst
dieser Bebauungsplan habe eine planmäßige Bebauung der nördlichen
Straßenseite zugelassen. Die Heranziehung der Klägerin sei auch der Höhe nach
nicht zu beanstanden. Die Beklagte habe nur die auf die Erschließungsfunktion der
H. Straße entfallende "Überbreite" von 8 m zugrunde gelegt und diese Breite
wegen der Beschränkung der Abrechnung auf die nördliche Straßenseite nochmals
auf die Hälfte reduziert. Auf diese Weise trage die Beklagte selbst den finanziellen
Ausfall, der sich durch die Nichteinbeziehung der südlich angrenzenden
Grundstücke in die Verteilung des Aufwands ergebe. Die Beklagte habe schließlich
auch den Grundbesitz der Klägerin zwischen der H. Straße und der W.straße als
eine wirtschaftliche Einheit behandeln dürfen. Die jetzige Aufteilung in drei
selbständige Grundstücke sei unerheblich, da es auf den Zeitpunkt der Entstehung
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selbständige Grundstücke sei unerheblich, da es auf den Zeitpunkt der Entstehung
des Erschließungsbeitragsanspruchs ankomme; in diesem Zeitpunkt aber habe
das gesamte Areal noch eine einzige wirtschaftliche Einheit dargestellt. In dem mit
einem Vergleich abgeschlossenen Verfahren X/V E 745/80 wegen Heranziehung zu
einem Erschließungsbeitrag für die W.straße habe die Klägerin die Konstruktion der
Wirtschaftseinheit widerspruchslos akzeptiert; hieran sei sie nunmehr auch im
vorliegenden Verfahren gebunden. Im übrigen müsse auch bezweifelt werden, ob
eine getrennte Veranlagung der jetzigen drei Grundstücke zu
Erschließungsbeiträgen für die W.straße und die H. Straße zu einem rechnerisch
günstigeren Ergebnis für die Klägerin führe.
Gegen das ihr am 3. Dezember 1985 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 23.
Dezember 1985 Berufung eingelegt.
In der mündlichen Verhandlung des Berufungsverfahrens hat die Beklagte eine
Vergleichsberechnung erstellt, die als zu belastendes Grundeigentum der Klägerin
die Flächen der Parzellen 1/23 (H. Straße 25 -- Tankstellengrundstück) und 1/24
(H. Straße 27 -- Wohnhausgrundstück) in die Verteilung eingestellt. Auf Grund des
Ergebnisses dieser Vergleichsberechnung hat die Beklagte ihre Beitragsforderung
auf 10.124,65 DM ermäßigt. In Höhe des Differenzbetrages von 420,84 DM haben
die Beteiligten daraufhin den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für
erledigt erklärt.
Die Klägerin wiederholt im Berufungsverfahren ihr Vorbringen, daß es sich bei dem
ausgebauten Abschnitt der H. Straße um eine vorhandene Erschließungsanlage
gehandelt habe. Sie sei schon in den 30er Jahren auf Grund der Zulassung von
baulicher und gewerblicher Nutzung auch auf der nördlichen Straßenseite zum
Anbau bestimmt gewesen und habe einen dieser Bestimmung entsprechenden
Ausbauzustand aufgewiesen. Die Ausbaubreite in dem Bereich zwischen K.
Landstraße bis U.straße habe 17 m betragen. Die darin einbezogene
Straßenbahntrasse auf der nördlichen Straßenseite habe kein Hindernis für eine
Erschließung dieser Straßenseite dargestellt. Ende der 50er Jahre seien die
Straßenbahnschienen entfernt worden, und der Schienenbereich sei in eine
Straßenfläche mit Bordstein und -- teilweise -- bekiestem Gehweg umgewandelt
worden. Hiervon ausgehend stelle die in den 70er Jahren vorgenommene
Verbreiterung der Straße von 17 m auf 30 m die "Erweiterung" einer vorhandenen
Erschließungsanlage dar, die allenfalls -- entsprechendes Satzungsrecht
vorausgesetzt -- nach Straßenbeitragsrecht habe abgerechnet werden können.
Unabhängig davon leide die angefochtene Heranziehung auch deshalb an einem
Mangel, weil die südlich angrenzenden Grundstücke nicht in die Verteilung des
Aufwandes einbezogen worden seien.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 21. Oktober 1985 -- X/V E
471/80 -- abzuändern und den Heranziehungsbescheid vom 30. November 1978 in
der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. März 1980 und der
Ermäßigungserklärung vom 20. September 1989 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt zur Begründung auf ihren erstinstanzlichen Vortrag und die
Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil Bezug.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens und der beigezogenen Gerichtsakte
des Verfahrens VG Wiesbaden X/V E 745/80, auf die von der Beklagten vorgelegten
Verwaltungsvorgänge (eine Grundstücksakte, zwei Bände Straßenbauakten) und
die weiteren von den Beteiligten vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Soweit die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung den Rechtsstreit in der
Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren einzustellen (§§ 125, 92
Abs. 2 VwGO in entsprechender Anwendung); ferner ist das Urteil erster Instanz für
wirkungslos zu erklären (§§ 173 VwGO, 269 Abs. 3 ZPO in entsprechender
Anwendung).
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Die Berufung der Klägerin im übrigen ist zulässig, kann aber in der Sache keinen
Erfolg haben. Das Verwaltungsgericht hat die -- zulässige -- Klage zu Recht
abgewiesen, denn die von der Klägerin angefochtene Heranziehung zu einem
Erschließungsbeitrag für ihren Grundbesitz an der H. Straße ist -- in dem noch
streitigen Umfang -- rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Der Ausbau der H. Straße im Abschnitt zwischen der Straße "I." und der U.straße
in den Jahren 1969 bis 1977 diente, wie es die Erhebung von
Erschließungsbeiträgen nach §§ 127 ff. des im vorliegenden Fall noch
anzuwendenden Bundesbaugesetzes in der Neufassung vom 18. August 1976,
BGBl. I S. 2256, 3617 (BBauG), voraussetzt, der erstmaligen Herstellung dieses
Straßenabschnitts als Erschließungsanlage. Vor dem streitigen Ausbau kam dem
fraglichen Straßenabschnitt nur auf der südlichen Straßenseite
Erschließungsfunktion zu. Diese Straßenseite war schon vor dem zweiten Weltkrieg
bebaut worden, und hier befand sich auch ein den Herstellungsmerkmalen des
früheren Ortsrechts entsprechender Gehweg, der in den 30er und 40er Jahren von
der Stadt ... als der damals zuständigen Gebietskörperschaft auf der Grundlage
jenes Ortsrechts -- der Ortsbausatzung für den Stadtteil K. vom 10. November
1919 und der Ortsbausatzung für das Baugebiet zwischen der H. Straße und der
T.-Eisenbahn in der Gemarkung K. vom 12. November 1925 -- abgerechnet worden
ist. Auf der gegenüberliegenden -- nördlichen -- Straßenseite grenzte dagegen die
H. Straße an im wesentlichen unbebautes Außenbereichsgelände an. Sie hat die
Bestimmung zum Anbau an diese Straßenseite erst durch die Festlegungen des
Bebauungsplans "S. Straße" erlangt, der von der Stadtverordnetenversammlung
der Beklagten am 13. September 1962 als Satzung beschlossen und vom
Regierungspräsidenten in Wiesbaden am 6. Dezember 1962 genehmigt worden ist.
Die 1969 bis 1977 durchgeführten Arbeiten -- Verbreiterung der Fahrbahn und
Anlegung eines Gehwegs auch auf der Nordseite -- bezogen sich auf die neu
hinzugekommene Erschließungsfunktion der Straße; sie dienten der Herstellung
der H. Straße als beidseitige Erschließungsanlage und waren insoweit Arbeiten der
erstmaligen Herstellung im Sinne des § 128 Abs. 1 Nr. 2 BBauG. In der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, daß in einem
solchen Fall die Eigentümer der Grundstücke auf der neu erschlossenen
Straßenseite -- und zwar nur diese -- zu Erschließungsbeiträgen herangezogen
werden können (vgl. etwa Urteil vom 29. April 1977 -- IV C 1.75 --, DÖV 1977, 680).
Hat die Straße von vornherein einen für den beidseitigen Anbau geeigneten
Ausbauzustand erhalten, so ist aus der Kostenmasse derjenige Anteil
auszusondern und einer späteren Verteilung vorzubehalten, der auf die zunächst
noch nicht anbaubare Straßenseite entfällt. Erhält dagegen -- wie im vorliegenden
Fall -- die Straße den für eine beidseitige Erschließung erforderlichen
Ausbauzustand erst später, so stellen die dann anfallenden Kosten des
"Vollausbaus" Erstherstellungskosten dar, mit denen die Anlieger der neu
erschlossenen Straßenseite belastet werden können.
Dem Vorbringen der Klägerin, die H. Straße sei schon vor Inkrafttreten des
Bundesbaugesetzes eine beidseitige Erschließungsanlage gewesen, weil sich auch
auf der Nordseite Bebauung und ein befestigter Gehweg befunden hätten, kann
nicht gefolgt werden. Aus den Planunterlagen und der von der Beklagten
vorgelegten Übersicht über die seinerzeit durchgeführten
Baugenehmigungsverfahren geht hervor, daß die geschlossene Bebauung auf der
Nordseite der H. Straße westlich der heutigen Einmündung der Straße "I." endete.
Nach Osten schloß sich bis zur Grenze zwischen den Gemarkungen K. und K.
ehemaliges ... Festungsgelände an. Die vereinzelte Bebauung mit gewerblichen
Bauwerken und Schuppen, die sich wiederum daran anschließend im Winkel
zwischen der heutigen W. Straße und der H. Straße -- etwa im Bereich der
heutigen Grundstücke H. Straße 25 bis 45 -- schon vor Inkrafttreten des
Bundesbaugesetzes ohne Bebauungsplan ergeben hat, stellte keine geschlossene
Bebauung dar, auf Grund derer die H. Straße in dem Abschnitt zwischen der
heutigen Straßeneinmündung "I." und der U.straße auch auf der Nordseite als eine
zum Anbau bestimmte Straßenanlage hätte angesehen werden können. Vom --
heutigen -- Grundstück Nr. 47 bis zur Einmündung der U.straße war das Gelände
noch vollständig unbebaut; Baugenehmigungen wurden hier erstmals in den 60er
Jahren auf der Grundlage des Bebauungsplans S. Straße erteilt. Es trifft auch nicht
zu, daß auf der Nordseite der H. Straße bereits ein Gehweg angelegt war. Bis Ende
der 50er Jahre verliefen hier Straßenbahngleise. Nach Entfernung der Gleise durch
die Stadtwerke ... sollte auf dem ehemaligen Gleiskörper nach einer Planung von
Dezember 1960 ein provisorischer Radweg von etwa 2,5 m Breite angelegt
werden. Ob diese Planung in der Folgezeit wirklich realisiert worden ist, kann
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werden. Ob diese Planung in der Folgezeit wirklich realisiert worden ist, kann
dahinstehen, denn fest steht jedenfalls, daß sich an dieser Stelle vor Durchführung
der jetzt streitigen Ausbauarbeiten kein befestigter Gehweg befunden hat.
Letzteres wird durch das im Lauf des Verfahrens von den Beteiligten überreichte
Lichtbildmaterial belegt. Soweit auf den von der Klägerin vorgelegten Lichtbildern
Bordsteine auf der nördlichen Straßenseite zu sehen sind, dienten diese der
Abgrenzung zwischen Fahrbahn und Straßenbahntrasse; auf das Vorhandensein
eines Gehweges deutet das nicht hin. Auf den von der Beklagten vorgelegten
Aufnahmen aus dem Jahre 1966 ist eine gehwegartige Befestigung im Bereich der
ehemaligen Straßenbahntrasse ebenfalls nicht erkennbar. Daß die H. Straße
gerade wegen Fehlens eines Gehweges auf der Nordseite noch als -- im Hinblick
auf den für eine beidseitige Erschließungsanlage erforderlichen Ausbauzustand --
"unfertig" angesehen wurde, ergibt sich im übrigen aus dem
Genehmigungsvorgang für die Errichtung einer Tankstelle auf dem heutigen
Grundbesitz der Klägerin in der zweiten Hälfte der 50er Jahre. In Stellungnahmen
des städtischen Tiefbauamts vom 29. Mai und 27. September 1957 ist von dem
künftigen endgültigen Ausbau der H. Straße nach Fortfall der Straßenbahn die
Rede, und der Vater der Klägerin als damaliger Eigentümer des Geländes hat in
einer Erklärung vom 15. März 1958 anerkannt, daß der endgültige Ausbau der H.
Straße nach Durchführung eines Fluchtlinienverfahrens "erst zu einem späteren
Zeitpunkt" erfolgen könne.
Da der Bebauungsplan "S. Straße" die H. Straße als Erschließungsanlage auch für
das nördlich angrenzende Gelände ausweist, ist dem in § 125 Abs. 1 BBauG
geregelten Planerfordernis genügt. Dahinstehen kann daher, ob der Ausbau einer
zunächst "einseitigen" Erschließungsanlage zur "beidseitigen" Erschließungsanlage
überhaupt einen Bebauungsplan voraussetzt. Sollte der Bebauungsplan "S.
Straße" noch nicht nach seiner ersten Auslegung im Jahre 1963 in Kraft getreten
sein, so würde die vom Regierungspräsidenten in Wiesbaden am 6. Dezember
1962 erteilte Genehmigung als Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde zur
Herstellung der Erschließungsanlage im Sinne des § 125 Abs. 2 Satz 1 BBauG
wirken. Insoweit kann auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil (S. 14 des
Urteilsabdrucks) verwiesen werden.
Der vom Magistrat der Beklagten im Januar 1978 gefaßte
Abschnittsbildungsbeschluß war für die endgültige Herstellung der H. Straße als
beidseitige Erschließungsanlage in dem Bereich zwischen der Straßeneinmündung
"I." und der U.straße entbehrlich. Wie sich aus der zugehörigen Magistratsvorlage
vom 9. Dezember 1977 ergibt, war das westlich anschließende Teilstück zwischen
der A. Straße und der Straße "I." als beidseitige Erschließungsanlage bereits
vorhanden, und die Strecke östlich der U.straße diente mangels
planungsrechtlicher Festsetzungen noch nicht dem innerörtlichen Anbau. Für die
genannten Anschlußstücke kam damit eine erstmalige Herstellung als
Erschließungsanlage ohnehin nicht in Betracht. Dann aber brauchte für die
Herstellung und Abrechnung des dazwischen gelegenen Straßenstücks kein
besonderer Abschnittsbildungsbeschluß gefaßt zu werden.
Die Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag setzt gem. § 132 BBauG eine
wirksame Erschließungsbeitragssatzung voraus, die, wenn sie nicht schon im
Zeitraum der Verwirklichung aller sonstigen Beitragsvoraussetzungen vorliegt,
zumindest später -- als sodann letzte Beitragsvoraussetzung -- in Kraft getreten
sein muß. Auch dieses Erfordernis ist im vorliegenden Fall erfüllt.
Im Jahre 1977, als gemäß Kostenzusammenstellung der Beklagten der
erforderliche Grunderwerb für den Ausbau des streitigen Teilstücks der H. Straße
abgeschlossen und damit der Zustand der endgültigen Herstellung als beidseitige
Erschließungsanlage erreicht war, dürfte allerdings noch kein wirksames
Satzungsrecht vorgelegen haben. Die Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten
vom 18. Dezember 1973, geändert durch Satzung vom 22. Juli 1977, sah nämlich
in ihrem § 7 Abs. 3 vor, daß bei der Ermittlung der für die Aufwandsverteilung
maßgeblichen Grundstücksflächen von Sportplätzen, Friedhöfen und ähnlichen
Anlagen auf die durchschnittliche Tiefe der Grundstücke der näheren Umgebung
abzustellen sei. Diese "Tiefenbegrenzungsregelung" begegnet rechtlichen
Bedenken, die die Wirksamkeit der Verteilungsregelung der Beitragssatzung
insgesamt in Frage stellen. Der Senat hat in seinem Urteil vom 19. März 1980 (V
OE 48/86, HSGZ 1980, 347 = HessVGRspr.1980, 84), in dem die eine
gleichlautende Regelung enthaltene Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten
vom 18. Dezember 1969 in der Fassung der Änderungssatzung vom 22. Juli 1977
zu beurteilen war, ausgeführt:
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"Anlaß zu ernsteren Bedenken könnte indes die im Verlaufe der mündlichen
Verhandlung mit den Beteiligten ausführlich erörterte Regelung des § 7 Abs. 3
Satz 2 EBS über die Verteilung des Erschließungsaufwandes auf die in Satz 1
genannten Grundstücke geben. Indem der Satzungsgeber hier zur Ermittlung der
Flächen dieser Grundstücke auf die durchschnittliche Tiefe der in der näheren
Umgebung gelegenen Grundstücke abstellt, wollte er -- angesichts der im Regelfall
die Größe der Umgebungsgrundstücke erheblich überschreitenden Größe der von
§ 7 Abs. 3 EBS erfaßten Grundstücke -- für diese offensichtlich eine
"Tiefenbegrenzung" einführen. Diese "Tiefenbegrenzung" könnte angesichts der
Tatsache, daß die in § 7 Abs. 3 EBS genannten Grundstücke -- anders als etwa ein
Wohngrundstück -- grundsätzlich über ihre ganze Fläche vom Erschließungsvorteil
Nutzen ziehen, gegen das Prinzip einer vorteilsangemessenen Verteilung des
Erschließungsaufwandes verstoßen. Die möglicherweise eintretende Unbilligkeit als
Folge einer solchen Reduzierung der in die Verteilung einfließenden
Grundstücksflächen wird wohl auch dadurch nur unwesentlich abgemildert, daß der
Satzungsgeber den von § 7 Abs. 3 EBS erfaßten Großgrundstücken eine am
durchschnittlichen Nutzungsmaß der Umgebungsgrundstücke ausgerichtete
(fiktive) Geschoßflächenzahl zuordnet. Denn diese Geschoßflächenzahl findet ihre
Bezugsgröße offensichtlich auch nur in der infolge der "Tiefenbegrenzung"
verminderten Grundstücksfläche, nicht aber in der Gesamtfläche der
Großgrundstücke. Diese Satzungsbestimmung könnte somit in solchen (sicherlich
nicht seltenen) Fällen zu ungerechten Ergebnissen führen, in denen ein von ihr
erfaßtes Grundstück (z. B. ein Friedhof oder ein Sportplatz) in der Umgebung
kleiner Wohnbaugrundstücke gelegen ist, wobei berücksichtigt werden muß, daß
im Regelfall der durch solche Großgrundstücke bewirkte an- und abfließende
Verkehr, wie er gerade in Spitzenzeiten zu verzeichnen ist, wesentlich den Umfang
der Erschließungsanlage bestimmen dürfte."
Den vorgenannten möglichen Satzungsmangel hat die Beklagte durch die mit
Rückwirkung auf den 1. Januar 1978 in Kraft gesetzte Änderungssatzung vom 10.
September 1982 behoben. In der danach seit 1. Januar 1978 gültigen Fassung
sieht § 7 Abs. 3 EBS auch bei großflächigen Grundstücken wie Sportplätzen und
Friedhöfen eine Einbeziehung der gesamten Grundstücksfläche in die Verteilung
vor.
Zweifel an der Gültigkeit des Satzungsrechts auch für die Zeit ab 1. Januar 1978
könnte aber die Eckgrundstücksermäßigungsregelung in § 7 a Abs. 2 EBS
auslösen. Diese Vorschrift hat folgenden Wortlaut:
"Ein Grundstück, das durch mehrere gleichartige Erschließungsanlagen
verschiedener (Hervorhebung durch den Senat) Abrechnungsgebiete erschlossen
wird, wird in die Verteilung nach § 7 Abs. 1 jeweils nur mit verminderten Flächen
einbezogen. Die verminderten Flächen werden ermittelt, indem die Summe aus
Grundstücksfläche und Geschoßfläche durch die Summe der Grundstücksbreiten
an allen Erschließungsanlagen geteilt und das Ergebnis mit der Grundstücksbreite
an der abzurechnenden Erschließungsanlage vervielfacht wird."
Diese Regelung erscheint deshalb problematisch, weil sie die
Eckgrundstücksermäßigung auf den Fall der Mehrfacherschließung durch
Erschließungsanlagen, die unterschiedlichen Abrechnungsgebieten angehören,
beschränkt, somit den Fall der Mehrfacherschließung durch Erschließungsanlagen,
die in einer Erschließungseinheit zusammengefaßt sind, nicht erfaßt. In seinem
Urteil vom 19. März 1980 (a.a.O.) hat der Senat darin keinen Gleichheitsverstoß
gesehen, weil er -- noch -- davon ausging, daß es in Erschließungseinheiten
ohnehin keine "Mehrfacherschließung" gebe; vielmehr seien die durch
zusammengefaßte Erschließungsanlagen erschlossenen Grundstücke so zu
behandeln, als würden sie durch eine Erschließungsanlage mit einheitlichem
Erschließungsaufwand erschlossen (vgl. Ausführungen auf S. 19 f. des
vorgenannten Senatsurteils mit dem Zitat von BayVerfGH 29, 44, 52). Dieser
Sichtweise ist jedoch das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 9.
Dezember 1983 (8 C 112.82 -- DÖV 1984, 934 = NVwZ 1984, 473)
entgegengetreten. Nach dieser Entscheidung, die sich noch auf das
Erschließungsbeitragsrecht des Bundesbaugesetzes bezieht, darf die
Mehrfacherschließung auch in Erschließungseinheiten beitragsrechtlich nicht unter
den Tisch fallen, müssen also auch die durch zusammengefaßte
Erschließungsanlagen mehrfach erschlossenen Grundstücke grundsätzlich
mehrfach belastet werden. Bei Zugrundelegung dieser zutreffenden
Rechtsprechung (ähnlich bereits: Senatsurteil vom 21. Juli 1982 -- V OE 95/81 --,
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Rechtsprechung (ähnlich bereits: Senatsurteil vom 21. Juli 1982 -- V OE 95/81 --,
NVwZ 1983, 300 = HSGZ 1982, 438) ist es sachlich nicht zu rechtfertigen, daß die
Vergünstigung für Mehrfacherschließung, wie es § 7 a Abs. 2 EBS vorsieht, auf
Grundstücke beschränkt bleibt, die durch mehrere gleichartige
Erschließungsanlagen verschiedener Abrechnungsgebiete erschlossen werden.
Das Problem löst sich im vorliegenden Fall nicht dadurch, daß nunmehr das
Baugesetzbuch vom 8. Dezember 1986, BGBl. I S. 2253 (BauGB), in seinem § 131
Abs. 1 Satz 2 vorsieht, daß mehrfach erschlossene Grundstücke bei gemeinsamer
Aufwandsermittlung in einer Erschließungseinheit (§ 130 Abs. 2 Satz 3) bei der
Verteilung des Erschließungsaufwandes nur einmal zu berücksichtigen sind. Hieran
gemessen wäre zwar § 7 a Abs. 2 EBS aus den im Senatsurteil vom 19. März 1980
genannten Gründen nicht zu beanstanden. § 7 a Abs. 2 EBS wird indessen an
derjenigen Gesetzeslage gemessen werden müssen, die bei Schaffung der
Satzungsbestimmung bestand. Eine einmal wegen Verstoßes gegen
höherrangiges Recht ungültige Satzungsbestimmung kann nicht dadurch
nachträglich Gültigkeit erlangen, daß sich nach Jahren die Gesetzeslage ändert.
Der Satzungsgeber müßte schon erneut tätig werden, wenn er auf der Grundlage
einer neuen Gesetzeslage eine ursprünglich ungültige Regelung erneut zur
Geltung bringen wollte. Die Möglichkeit, § 131 Abs. 1 Satz 2 BauGB habe lediglich
die schon immer bestehende wirkliche Gesetzeslage "klargestellt", ist zwar im
Ausschußbericht (BT-Drs. 10/6166, zu Art. 1 Nr. 93 S. 159) angedeutet; doch
dürfte diese Sichtweise nicht zutreffen (vgl. Ernst in Ernst-Zinkahn-Bielenberg, §
131 BauGB Rn. 53).
Würde der beschriebene Gleichheitsverstoß in § 7 a Abs. 2 EBS zur Folge haben,
daß die Vorschrift insgesamt ungültig wäre, so entfiele jegliche Vergünstigung für
mehrfach erschlossene Grundstücke. Die Satzung dann im übrigen -- d. h.
gänzlich ohne Vergünstigungsregelung für mehrfach erschlossene Grundstücke --
aufrechtzuerhalten, entspräche ersichtlich nicht dem Willen des Satzungsgebers.
Zum völligen Wegfall der Ermäßigungsregelung für mehrfach erschlossene
Grundstücke als Folge des Gleichheitsverstoßes kommt es indessen nicht. Es ist
vielmehr möglich, die Ungültigkeitsfolge auf die Worte "verschiedener
Abrechnungsgebiete" in § 7 a Abs. 2 Satz 1 EBS zu beschränken und so die
Satzung mit einer auch die Mehrfacherschließung durch zusammengefaßte
Erschließungsanlagen erfassenden Ermäßigungsregelung aufrechtzuerhalten.
Normalerweise ist die "partielle" Korrektur einer Satzungsbestimmung zur
Behebung eines sonst eintretenden Gleichheitsverstoßes unzulässig, weil es dem
Satzungsgeber selbst überlassen bleiben muß, wie er einen Gleichheitsverstoß
behebt. Verwaltung und Rechtsprechung dürfen der vom Satzungsgeber zu
treffenden Entscheidung, wie der Verstoß geheilt werden soll, nicht durch eine
eigene -- rechtsetzende -- Entscheidung vorgreifen. Diese Bedenken entfallen
jedoch im vorliegenden Fall deshalb, weil sich durch eine Streichung der störenden
Worte "verschiedener Abrechnungsgebiete" in § 7 a Abs. 2 Satz 1 EBS gerade
dasjenige Ergebnis erreichen läßt, welches den ursprünglichen Vorstellungen des
Satzungsgebers entspricht. Der Satzungsgeber war der irrigen Meinung, daß es
eine beitragsrechtlich relevante Mehrfacherschließung bei zusammengefaßten
Erschließungsanlagen nicht geben könne. Er hat sich demnach als im Vollzug
seiner Satzung liegendes ("satzungsmäßiges") Ergebnis vorgestellt, daß mehrfach
erschlossene Grundstücke in Erschließungseinheiten nur einmal mit voller Fläche
zu belasten seien. Rechnerisch deckt sich dies mit dem Ergebnis, zu dem eine
Mehrfachbelastung auch dieser Grundstücke mit Gewährung der in § 7 Abs. 2 Satz
1 EBS geregelten Ermäßigung für Mehrfacherschließung führt. Letzteres ist eine
Folge der in § 7 a Abs. 2 EBS vorgesehenen anteiligen Flächenverminderung
(Teilung der Gesamtfläche durch die Summe der Grundstücksbreiten an allen
Erschließungsanlagen und sodann Vervielfältigung mit der Grundstücksbreite an
der abzurechnenden Erschließungsanlage) sowie der Tatsache, daß bei der
Abrechnung zusammengefaßter Erschließungsanlagen für jede dieser Anlage von
einem gleich hohen Erschließungsaufwand auszugehen ist. Gegen eine der
Behebung eines Gleichheitsverstoßes dienende Korrektur des Satzungswortlauts,
die dem ursprünglichen Willen des Satzungsgebers gerade Geltung verschafft, läßt
sich rechtlich nichts einwenden.
Damit ist -- jedenfalls für die Zeit ab 1. Januar 1978 -- von einer wirksamen
Satzungsgrundlage für die Erhebung von Erschließungsbeiträgen im Stadtgebiet
der Beklagten auszugehen. Sonstige Bedenken, die den Grund des von der
Beklagten geltend gemachten Erschließungsbeitragsanspruchs betreffen, sind
nicht ersichtlich.
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Die Beitragsforderung ist auch in der von der Beklagten festgesetzten -- und im
Berufungsverfahren geringfügig ermäßigten -- Höhe berechtigt.
Nicht übersetzt ist zunächst der von der Beklagten auf die Anlieger der Nordseite
des streitbefangenen Straßenabschnitts umgelegte Aufwand. Die Beklagte hat
lediglich den auf eine Straßenverbreiterung um 4 m entfallenden Aufwand
zugrunde gelegt und sich dabei von der Überlegung leiten lassen, daß mit 30 m
hergestellter Ortsdurchfahrtsbreite gegenüber 22 m Straßenbreite auf freier
Strecke eine nach § 128 Abs. 3 Nr. 2 BBauG beitragsfähige "Überbreite" von 8 m
vorliege, die auf die Anlieger der zusätzlich erschlossenen Nordseite der Straße
zur Hälfte umgelegt werden könne. Diese Berechnung erweist sich für die
beitragspflichtigen Anlieger als überaus günstig, denn an sich hätte die Beklagte
den auf der Nordseite angelegten Gehweg mit seiner vollen Breite in die
Abrechnung einbeziehen dürfen; die Beschränkung auf eine anteilige "Überbreite"
gegenüber der Straßenbreite auf freier Strecke war gem. § 128 Abs. 3 Nr. 2 BBauG
nur bei der im Zuge des Ausbaus zur beidseitigen Erschließungsanlage
verbreiterten Fahrbahn geboten. Der von der Beklagten umgelegte Aufwand
erscheint daher eher zu niedrig als zu hoch. Ein zu Lasten der Klägerin gehender
Fehler bei der Aufwandsermittlung läßt sich infolgedessen nicht feststellen.
Der Einwand der Klägerin, daß auch die Grundstücke auf der Südseite des
ausgebauten Straßenabschnitts in die Verteilung des beitragsfähigen
Erschließungsaufwandes hätten einbezogen werden müssen, ist unbegründet. Es
wurde bereits ausgeführt, daß mit den Kosten des Ausbaus einer bislang
einseitigen Erschließungsanlage zur beidseitigen Erschließungsanlage nur die
Anlieger der durch den Ausbau zusätzlich erschlossenen Straßenseite belastet
werden können. Abrechnungsmäßig läuft das auf eine "Längsspaltung" der Straße
hinaus, die in diesem besonderen Fall ausnahmsweise zulässig ist.
Bei der Belastung des klägerischen Grundbesitzes hat die Beklagte den gesamten
Grundstückskomplex, der sich ursprünglich aus acht Einzelparzellen (Flur 4
Flurstücke 1/12 bis 1/19) zusammensetzte, als eine mehrfach erschlossene
"Einheit mehrerer Grundbuchgrundstücke" im Sinne des § 7 Abs. 2 Satz 2 EBS
behandelt und auf dieser Grundlage unter Gewährung der in § 7 a Abs. 2 EBS
vorgesehenen Ermäßigung für mehrfach erschlossene Grundstücke einen
Erschließungsbeitrag in Höhe von 10.545,59 DM errechnet. An dieser Berechnung
ist auszusetzen, daß nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei
der Erhebung von Erschließungsbeiträgen grundsätzlich vom (Buch-
)Grundstücksbegriff des bürgerlichen Rechts auszugehen ist; eine Abweichung
hiervon zugunsten des Begriffs der "wirtschaftlichen Grundstückseinheit" ist nur
dann zulässig, wenn es nach Inhalt und Sinn des Erschließungsbeitragsrechts
gröblich unangemessen wäre, den bürgerlich-rechtlichen Grundstücksbegriff
zugrunde zu legen (so BVerwG, Urteile vom 12. Dezember 1986 -- 8 C 9.86 --,
HSGZ 1987, 364, 366, und vom 3. Februar 1989 -- 8 C 78.88 --, NVwZ 1989, 1072,
1074). Soweit § 7 Abs. 2 Satz 2 EBS die Anwendung des wirtschaftlichen
Grundstücksbegriffs weitergehend bereits dann vorsieht, wenn mehrere
Grundbuchgrundstücke "im Eigentum oder Erbbaurecht derselben Person oder
derselben Personen... als Einheit baulich oder gewerblich genutzt werden oder
insgesamt oder teilweise nur in einer Einheit baulich oder gewerblich genutzt
werden können", ist das mit Bundesrecht nicht vereinbar; die Satzungsregelung ist
insoweit -- ohne daß dies den Bestand der Satzung im übrigen berührt --
unwirksam. Mit Rücksicht hierauf hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung
des Berufungsverfahrens eine Vergleichsberechnung erstellt, bei der sich die
Belastung des Grundbesitzes der Klägerin auf die Flächen der heutigen Parzellen
1/23 ("Tankstellengrundstück") und 1/24 ("Wohnhausgrundstück") beschränkt.
Diese Flächen stellen auch bei Zugrundelegung des bürgerlichen-rechtlichen
Grundstücksbegriffs selbständig veranlagungsfähige Grundstücke dar. Der
selbständigen Veranlagung des heutigen Wohnhausgrundstücks H. Straße 27
steht nicht entgegen, daß das Grundstück im Zeitpunkt der Beitragsentstehung
noch mit dem nördlich angrenzenden Grundstück W.straße 6, welches für die
Zwecke eines Autoverwertungsbetriebs genutzt wird, eine gemeinsame Parzelle
(Flur 4 Flurstück 1/19) bildete; denn die von der H. Straße ausgehende
Erschließungswirkung für diese Parzelle reichte schon damals nur bis zur
rückwärtigen Grenze der heutigen Parzelle 1/24, was durch einen hier verlaufenden
Zaun in der Örtlichkeit auch kenntlich gemacht war. Der von der Beklagten
errechnete Gesamtbetrag der auf die Flächen der heutigen Parzellen 1/23 und
1/24 entfallenden Erschließungsbeiträge liegt mit 10.124,65 DM geringfügig
niedriger als der in dem streitigen Heranziehungsbescheid für das gesamte
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niedriger als der in dem streitigen Heranziehungsbescheid für das gesamte
Gelände unter Gewährung der Ermäßigung für die Mehrfacherschließung durch die
H. Straße und die W.straße festgesetzte Beitrag. Diese Neuberechnung erweist
sich für die Klägerin als zu günstig, denn die Beklagte hat dabei den
Vervielfältigungsfaktor von 1,25 für Grundstücke im Mischgebiet gem. § 7 a Abs. 1
Satz 2 EBS nicht in Ansatz gebracht. Eine Berechnung mit Ansatz des
Vervielfältigungsfaktors bei der Ermittlung der jeweiligen Grundstücksfläche führt
für das Tankstellengrundstück zu einer berücksichtigungsfähigen Verteilungsfläche
von 4.989,25 qm (2.901,25 qm Grundstücksfläche und 2.088 qm Geschoßfläche)
und für das Wohnhausgrundstück zu einer berücksichtigungsfähigen
Verteilungsfläche von 1.124,75 qm (653,75 qm Grundstücksfläche und 471 qm
Geschoßfläche). Daraus ergibt sich für beide Grundstücke ein Gesamtbetrag von
11.395,80 DM. Daß damit die Vergleichsberechnung für die Klägerin in Wahrheit
ungünstiger ausfällt als die Berechnung, die der ursprünglich durchgeführten
Veranlagung des gesamten Grundbesitzes der Klägerin zugrunde liegt, findet
seine Erklärung in der nach der ursprünglichen Berechnung zu gewährenden
Ermäßigung für mehrfach erschlossene Grundstücke, die im Satzungsrecht der
Beklagten sehr großzügig ausgestaltet ist.
Die Klägerin ist nach allem auch durch die Höhe des festgesetzten
Erschließungsbeitrags nicht in ihren Rechten verletzt. Die Berufung muß daher in
vollem Umfang zurückgewiesen werden.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.