Urteil des HessVGH vom 22.03.2000

VGH Kassel: haus, öffentliche sicherheit, aufschiebende wirkung, sanierung, vollziehung, miteigentümer, ersatzvornahme, stadt, räumung, androhung

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
4. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 TG 4287/99
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 80 Abs 2 Nr 4 VwGO, § 80
Abs 3 VwGO, § 80 Abs 5
VwGO, § 3 Abs 1 BauO HE,
§ 3 Abs 4 BauO HE
(Sofortige Vollziehung einer Abbruchanordnung)
Tatbestand
Der Antragsteller ist zusammen mit seinem Bruder ... für den seit November 1999
eine Betreuung eingerichtet ist, sowie zwei Schwestern gemeinschaftlicher
Eigentümer des Hausgrundstücks ... Das Grundstück ist mit einer
zweigeschossigen unterkellerten Doppelhaushälfte mit zum Teil ausgebautem
Dachgeschoss bebaut. Die Baugenehmigung wurde 1927 erteilt. Der Antragsteller
hat mit seiner Ehefrau und seinem Bruder das Haus bis zum 04.10.1999 bewohnt.
Spätestens seit Mitte der 90er Jahre sind zunächst wegen Schäden an der
Dachbedeckung und Eindringen der Feuchtigkeit zunehmend Bauschäden
erkennbar geworden. Der Antragsgegner, an den sich auch der Eigentümer der
anderen Doppelhaushälfte wegen der Besorgnis übergreifender Schäden gewandt
hatte, bemühte sich auf verschiedene Weise, jedoch ohne Erfolg beim
Antragsteller und den Miteigentümern um eine Behebung der Bauschäden. Diese
sind in einem Aktenvermerk aufgrund einer Ortsbesichtigung am 25.08.1999 im
Einzelnen beschrieben und auch in Fotografien in der Behördenakte festgehalten,
ebenso schlechte hygienische Verhältnisse, Schimmelpilzbefall und Ansammlung
von Unrat und Müll. Der Antragsgegner kam nach alledem zum Ergebnis, dass das
Haus bautechnisch in äußerst schlechtem Zustand, in seinem tragenden Gefüge
stark und nachhaltig geschädigt und in Teilbereichen des Dachstuhls und der
Decken einsturzgefährdet sei. Es sei nicht mehr bewohnbar, eine Sanierung
wirtschaftlich nicht sinnvoll.
Die Stadt ... erklärte mit Verfügungen an den Antragsteller, dessen Ehefrau und
die Miteigentümer das Haus für unbewohnbar, setzte eine Frist zur freiwilligen
Räumung bis zum 02.10.1999 und drohte unter Anordnung der sofortigen
Vollziehung die Zwangsräumung in Abstimmung mit dem Antragsgegner für den
04.10.1999 an, die dann auch durchgeführt wurde. Der Antragsteller wurde dabei
von der Stadt anderweitig untergebracht.
Nachdem der Antragsgegner dem Antragsteller, dessen Ehefrau und den
Miteigentümern des Hauses Gelegenheit zur Äußerung gegeben hatte, erließ er
mit Datum vom 22.09.1999 Bescheide an die genannten Personen. Der
Antragsgegner ordnete an, das Wohngebäude bis auf die gemeinsame Brandwand
abzubrechen, die Brandwand wetterfest herzustellen, die Abbruchteile zu
entsorgen und die Baugrube zu verfüllen bis spätestens 8 Wochen nach Erhalt der
Verfügung. Der Bescheid an den Antragsteller enthielt auch eine
Räumungsanordnung. Der Antragsteller ordnete die sofortige Vollziehung an. Er
drohte für den Fall der Nichtbefolgung der Abbruchverfügung die Ersatzvornahme
an, deren Kosten er auf 120.000,-- DM veranschlagte, ferner Zwangsmittel
hinsichtlich der Räumungsanordnung. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf
den Inhalt der Bescheide in den Behördenakten Bezug genommen.
Der Antragsteller hat Widerspruch erhoben und am 21.09.1999 beim
Verwaltungsgericht die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden
Wirkung des Widerspruchs beantragt.
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Das Verwaltungsgericht hat durch Beschluss vom 01.10.1999 die aufschiebende
Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Beseitigungsanordnung
wiederhergestellt und gegen die diesbezügliche Androhung der Ersatzvornahme
angeordnet. Es hält die Beseitigungsverfügung angesichts ihrer Bedeutung für das
Grundeigentum deswegen für rechtswidrig, weil der Antragsgegner bezüglich einer
möglichen Gefährdung des Nachbarhauses keine ausreichenden Feststellungen
getroffen, mildere Mittel zur Gefahrenabwehr nicht geprüft und eine Sanierung nur
unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten, nicht aber, weil sie etwa nicht möglich
wäre, ausgeschlossen habe. Was wirtschaftlich sinnvoll sei, habe der Eigentümer
zu entscheiden.
Der Antragsgegner hat gegen den Beschluss, soweit er dem Antrag des
Antragstellers entsprochen hat, die Zulassung der Beschwerde beantragt. Der
Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerde durch Beschluss vom 17.12.1999
wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung
zugelassen.
Auf Anfrage des Gerichts hat der Antragsgegner Schätzungen des Restwerts des
Gebäudes und der Kosten einer vorläufigen Sicherung des Gebäudes vorgelegt
und sich noch einmal zur Frage der von dem Haus möglicherweise ausgehenden
Gefahren geäußert. Dazu hat er auch ein Anwaltsschreiben im Auftrag des
Eigentümers des Nachbarhauses übersandt.
Der Antragsteller hat sich kurz dahin geäußert, der Verwaltungsakt sei völlig
unangemessen und nach seiner Einschätzung ein Racheakt für frühere Kritik des
Antragstellers an der Kreisverwaltung. Die erzwungene Räumung habe zu
schlechteren Wohnverhältnissen geführt.
Auf den Inhalt der Gerichts- und Beiakten wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zugelassene Beschwerde des Antragsgegners ist begründet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Gegensatz zum Verwaltungsgericht keine
rechtlichen Bedenken gegen den Teil der an den Antragsteller gerichteten
Verfügung des Antragstellers vom 22.09.1999, der den Abbruch des Wohnhauses
mit Folgearbeiten und die Zwangsmittelandrohung betrifft, so dass der Antrag auf
vorläufigen Rechtsschutz -- auch -- insoweit nicht begründet und auf die
Beschwerde des Antragsgegners hin abzulehnen ist.
Die Anordnung, das Haus abzubrechen und die Abbruchteile zu entsorgen, kann
sich auf § 78 Abs. 1 HBO stützen. Nach dieser Vorschrift kann die Beseitigung
verfügt werden, wenn bauliche Anlagen oder Teile von ihnen gegen baurechtliche
oder sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften über die Errichtung, Änderung,
Instandhaltung oder Nutzung dieser Anlagen verstoßen und nicht auf andere
Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Das Haus des
Antragstellers und seiner Geschwister ist seit Jahren in hohem und
fortschreitendem Maße schadhaft, wie vom Antragsgegner festgestellt und
dokumentiert ist. Die Eigentümer haben es nicht den allgemeinen Anforderungen
des § 3 Abs. 1 HBO entsprechend unterhalten, sondern durch Untätigkeit
fortschreitendem Verfall in einem Maße preisgegeben, dass es in Teilen
einsturzgefährdet und in Teilen durchfeuchtet ist mit der Gefahr des Übergreifens
auf die intakte Doppelhaushälfte des Nachbarn. Das Haus ist mitbedingt durch die
Art und Weise, wie es seine Bewohner in den letzten Jahren bis zur Räumung
bewohnt haben, über die Bauschäden hinaus im Inneren heruntergekommen und
von der Stadt für unbewohnbar erklärt worden. Der Antragsgegner legt
nachvollziehbar dar, dass trotz Vorhandensein eines Vorgartens vom Schrägdach
herabgleitende Teile der Dachdeckung oder Bauteile bei einem Teileinsturz des
sich überlassenen Hauses Benutzer der Straße, möglicherweise auch die
Bewohner der anderen Doppelhaushälfte, gefährden können. Verhindert werden
könnte dies nur durch umfangreiche vorläufige Sicherungsmaßnahmen.
Der Antragsgegner hat ermessensfehlerfrei die Beseitigung des Hauses und der
Abbruchteile angeordnet, weil der vorhandene Zustand so nicht bleiben kann und
weil nicht zu erkennen ist, wie auf andere und den Antragsteller und seine
Miteigentümer weniger belastende Weise rechtmäßige Zustände hergestellt
werden könnten. Eine Sanierung des Hauses ist theoretisch noch möglich,
praktisch scheidet sie aus zwei Gründen eindeutig aus. Der Restwert des Hauses
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praktisch scheidet sie aus zwei Gründen eindeutig aus. Der Restwert des Hauses
beträgt nach der vom Antragsgegner vorgelegten Schätzung ungefähr 49.000,--
DM. Eine vorläufige Sicherung würde etwa 20.000,-- DM erfordern, den Fortschritt
des Verfalls im Innern aber nicht ausschließen, so dass eine Sanierung alsbald
folgen müsste, um das Gebäude zu erhalten und das Nachbarhaus vor Schaden
zu bewahren. Für die Sanierung liegt eine Kostenschätzung von 360.000,--DM vor.
Abgesehen davon, wie man die Wirtschaftlichkeit einer Sanierung beurteilt, ist
nicht zu sehen, woher das Geld für sie kommen sollte. In der Vergangenheit ist die
Durchführung dringend notwendig gewesener Reparaturen an vergleichsweise
niedrigen Beträgen gescheitert. Eine Sanierung ist in dem Umfange, den sie
haben würde, anders als notfalls der Abbruch im Wege der Ersatzvornahme nicht
ohne Mitwirkung der Eigentümergemeinschaft vorstellbar. Der betagte
Antragsteller, seine Ehefrau und sein jetzt unter Betreuung stehender Bruder
waren bisher schon nicht willens oder nicht fähig, Reparaturarbeiten ausführen zu
lassen. Die Schwestern des Antragstellers haben zwar die Gelegenheit zur
Anhörung vor Erlass der streitigen Verfügung wahrgenommen, jedoch auch
ihrerseits nichts weiter unternommen, um den Forderungen der Bauaufsicht
nachzukommen. So bleibt nur der Abbruch des Hauses und die Entsorgung des
Baumaterials. Die Anordnung der Folgearbeiten finde ihre Rechtsgrundlage in § 3
Abs. 1 und 4, § 61 Abs. 1 und 2 HBO.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Gebote unter Nr. 1 der Verfügung
vom 22.01.1999 genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO hinsichtlich der
Form und des Abs. 2 Nr. 4 der Vorschrift in der Sache. Sie ist im öffentlichen
Interesse, aber auch im überwiegenden Interesse des Eigentümers und Bewohners
des Nachbarhauses gerechtfertigt. Der Senat legt an die Voraussetzungen der
sofortigen Vollziehbarkeit einer baurechtlichen Beseitigungsanordnung wegen des
regelmäßig schwerwiegenden Eingriffs ins Eigentum, mit dem ebenso regelmäßig
vollendete Tatsachen geschaffen werden -- so auch hier --, einen strengen
Maßstab an. Zu den Fallkonstellationen, in denen eine Vollziehung einer
Beseitigungsanordnung dringlich erscheint, gehört diejenige, dass die vom
Bauwerk ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, wichtige
Rechtsgüter Beteiligter eingeschlossen, ein sofortiges Einschreiten durch
Beseitigung der baulichen Anlage erfordert (vgl. Hess. VGH, B. v. 30.05.1984 -- 4
TH 61/83 -- in BRS 42 Nr. 220, st. Rspr.). Der vorliegende Fall gehört wegen der
genannten Umstände dazu oder ist diesem Falltyp zumindest gleichzustellen. Eine
realistische Alternative zur Beseitigung des Hauses gibt es nicht. Ein Zuwarten
würde die Gefahrensituation bestehen lassen oder verschärfen -- der Nachbar
klagt derzeit bei der Bauaufsicht auch über Schädlingsbefall des leeren Hauses --,
ohne dass der Aufschub der Beseitigung dem Antragsteller und seinen
Miteigentümern einen Vorteil brächte. Solange das Haus steht, ein Teil der
Miterben offenbar nicht (mehr) handlungsfähig ist und der andere Teil entweder
behindert oder nicht interessiert ist, bleibt der Bauaufsichtsbehörde nichts anderes
übrig, als anstelle der Pflichtigen sich um das Objekt zu kümmern. Auch dies
spricht für die Dringlichkeit des Vollzugs der Beseitigungsanordnung und der mit
ihr verbundenen Anordnungen.
Auch die diesbezügliche Zwangsmittelandrohung ist rechtmäßig.
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens ergibt sich aus § 154 Abs. 1
VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13, 14, 20, 25 GKG. Sie betrifft nicht nur
das Beschwerdeverfahren, sondern schließt eine Änderung der erstinstanzlichen
Wertfestsetzung zum Teil ein. Da auch der Antragsteller gegen den ablehnenden
Teil des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts ein -- inzwischen
verworfenes -- Rechtsmittel eingelegt hatte, war die Hauptsache des
Eilrechtsschutzverfahrens im Ganzen beim Verwaltungsgerichtshof anhängig;
schon deswegen ist die Streitwertfestsetzung der ersten Instanz hier voll
überprüfbar. Der Verwaltungsgerichtshof bewertet die Bedeutung des
Abbruchgebots entsprechend den Erkenntnissen aus dem neueren Vortrag des
Antragsgegners für die Eigentümergemeinschaft mit rund 50.000,-- DM zuzüglich
rund 10.000,-- DM für die Folgearbeiten, zusammen 60.000,-- DM, davon ein
Viertel für den Antragsteller als Miteigentümer, das sind 15.000,-- DM. Das
Nutzungsverbot und Räumungsgebot bewertet er unter Berücksichtigung des
geminderten Nutzwerts des Hauses mit 12.000,-- DM. Die Androhung der
Ersatzvornahme bewertet der Senat wie das Verwaltungsgericht jeweils mit der
Hälfte des Betrages der geschätzten Kosten, für die jeder Miteigentümer als
Gesamtschuldner herangezogen werden kann. Die Bedeutung der
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Gesamtschuldner herangezogen werden kann. Die Bedeutung der
Zwangsräumung, die eine personenbezogene Maßnahme ist, ist mit der Hälfte
des für die Hauptsache anzusetzenden Auffangwerts nach § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG,
also mit 4.000,-- DM, zu veranschlagen. Im Eilrechtsschutzverfahren sind alle
Beträge bis auf die für den gebotenen Abbruch und die Folgearbeiten, bezüglich
deren durch Befolgung oder Vollstreckung vollendete Tatsachen geschaffen
werden, zu halbieren. Somit ergibt sich ein Streitwert von 54.250,-- DM für die
erste Instanz und von 45.000,-- DM für die zweite Instanz.
Hinweis: Der Beschluss ist unanfechtbar; § 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz
2 GKG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.