Urteil des HessVGH vom 06.10.1987

VGH Kassel: politische verfolgung, illegale ausreise, sudan, quelle, zivilprozessrecht, immaterialgüterrecht, staat, zusammenwirken, subsumtion, wahrscheinlichkeit

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
12. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 TE 1696/87
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 1a AsylVfG, § 2 AsylVfG, §
32 Abs 2 Nr 1 AsylVfG, § 32
Abs 2 Nr 2 AsylVfG
(Berufungszulassung für Asylbegehren eines Äthiopiers)
Gründe
Die auf den asylrechtlichen Verfahrensteil beschränkte Beschwerde des
Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten hat Erfolg.
Ob die Beschwerde schon deshalb durchgreift, weil der Bundesbeauftragte die
Auslegung des § 2 n.F. AsylVfG durch das Verwaltungsgericht angreift, läßt der
Senat allerdings offen. Der in diesem Zusammenhang vom Bundesbeauftragten
ausdrücklich angeführte Zulassungsgrund des § 32 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG könnte
deshalb nicht gegeben sein, weil das Verwaltungsgericht das Urteil des
Bundesverwaltungsgericht vom 24 03.1987 (- 9 C 47/85 -, NVwZ 1987, 812 = DÖV
1987, 785 = DVBl. 1987,788) offenbar noch gar nicht gekannt: hat (vgl. zu den
Anforderungen an eine die Zulassung der Berufung rechtfertigende Abweichung in
Fällen des Übersehens Hess. VGH, B. v. 10.07.1986 - 10 TE 641/86 und v.
13.01.1987 - 10 TE 1051/86 -). Daß die Rechtssache wegen § 2 Abs. 1 n.F. AsylVfG
grundsätzliche Bedeutung habe (§ 32 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG könnte der
Bundesbeauftragte nicht hinreichend i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG dargelegt
haben (vgl. zu den Voraussetzungen insoweit Hess. VGH, B. v. 17.01.1983, EZAR
633 Nr. 5), sofern eine besondere Darlegung trotz des Umstands, daß die
Divergenzzulassung einen Sonderfall der Grundsatzzulassung darstellt (Hess.
VGH, B. v. 10.07.1986 - 10 TE 641/86 - und v. 13.01.1987 - 10 TE 1276/86 -),
erforderlich sein sollte (verneinend Kopp, 7. Aufl. 1986, § 132 VwGO, RdNr. 8
m.w.N., zur Revisionszulassung). Im Falle unzureichender Darlegung hülfe es dem
Bundesbeauftragten nichts, daß die Frage anderweitiger Verfolgungssicherheit von
äthiopischen Flüchtlingen eritreischer Volkszugehörigkeit im Sudan sowohl in
rechtlicher Hinsicht - wegen der Auslegung des § 2 Abs. 1 n.F. AsylVfG (Hess. VGH,
B. v. 26.06.1987 - 10 TE 1302/87 -) - als auch in tatsächlicher Hinsicht der Klärung
bedarf (Hess. VGH, B. v. 02.07.1984 - 10 TE 389/83 -) und deshalb grundsätzliche
Bedeutung hat.
All das bedarf im vorliegenden Verfahren aber keiner Entscheidung, denn die
Beschwerde hat jedenfalls mit der Begründung des Bundesbeauftragten Erfolg,
daß der Rechtssache im Hinblick auf die Asylrelevanz der im Bundesgebiet
erfolgten Asylantragstellung grundsätzliche Bedeutung zukomme.
Diese Auffassung trifft schon deshalb zu, weil die Rechtssache hinsichtlich der
Auslegung des § 1 a AsylVfG sowie hinsichtlich des Verhältnisses der Vorschrift zu
dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 26.11.1986 (E 72, 51 = EZAR
200 Nr. 18 = NVwZ 1987, 311 = DVBl. 1987, 130) entscheidungserhebliche
rechtliche Fragen aufwirft, die über den Einzelfall hinaus im Interesse der
Einheitlichkeit der Rechtsprechung einer Klärung bedürfen. Das hat der Senat in
Bezug auf den von einer rumänischen Staatsangehörigen gestellten Asylantrag
kürzlich näher begründet (B. v. 05.10.1987 - 12 TE 1326/87 -); hierauf wird
verwiesen. In tatsächlicher Hinsicht bedarf die Frage, ob der äthiopische Staat die
Asylantragstellung im Bundesgebiet als Ausdruck politischer Gegnerschaft
betrachtet und mit asylerheblichen Verfolgungsmaßnahmen ahndet, - wie der
Bundesbeauftragte zutreffend darlegt - ebenfalls der Klärung, da der Senat
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Bundesbeauftragte zutreffend darlegt - ebenfalls der Klärung, da der Senat
hierüber noch nicht entschieden hat, andere Oberverwaltungsgerichte (OVG
Hamburg, U. v. 11.03.1985 - OVG Bf VII 7/83 -, und VGH Mannheim, U. v.
28.04.1986 - A 13 S 311/86 -) die Frage im Gegensatz zum Verwaltungsgericht
verneint haben und die Auskunftslage insoweit nicht eindeutig ist. Die Darlegung
eines Zulassungsgrundes nur in Bezug auf die Asylrelevanz der Asylantragstellung
- abgesehen von der eingangs erwähnten Divergenzrüge - reicht im vorliegenden
Fall auch aus, um die Zulassung zu erreichen. Zwar hat das Verwaltungsgericht
zur Stützung seiner Entscheidung außerdem die illegale Ausreise des Klägers,
dessen langen Auslandsaufenthalt und dessen frühere Betätigung als Mitglied der
EPLF (= Eritrean People's Liberation Front) angeführt. Das Verwaltungsgericht hat
jedoch diese Gründe nicht allein - also ohne die Asylantragstellung - als
ausreichend für seine Prognose erachtet, daß dem Kläger im Falle seiner Rückkehr
nach Äthiopien politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohe.
Dies läßt sich mit (noch) hinreichender Deutlichkeit aus der die Subsumtion
einleitenden Wendung "unter Berücksichtigung aller Umstände" (S. 6, 2. Abs. des
Urteils), aus der im Zusammenhang mit der illegalen Ausreise gewählten
Formulierung, politische Verfolgung könne (lediglich) "nicht ausgeschlossen
werden" (S. 6, 3. Abs. am Anfang), sowie aus dem Schluß auf politische Verfolgung
wegen der EPLF-Betätigung des Klägers nur "im Zusammenwirken mit der illegalen
Ausreise und der Stellung eines Asylantrags" (S. 13, 3. Abs.) entnehmen. Ist
demnach die Begründung des angefochtenen Urteils nicht so gefaßt, daß - dächte
man die vom Verwaltungsgericht bejahte Asylrelevanz der Asylantragstellung
hinweg - die verbleibenden Gründe die Entscheidung allein trügen, so ist es
unschädlich, daß nicht auch in bezug auf die anderen vom Verwaltungsgericht
angeführten Gesichtspunkte Zulassungsgründe dargelegt sind (vgl. zu dieser
Problematik Kopp, a.a.O., § 132 VwGO, RdNr. 6).
Nach alledem ist die Berufung zuzulassen. Das Beschwerdeverfahren wird gemäß
§ 32 Abs. 5 Satz 4 AsylVfG als Berufungsverfahren fortgeführt, ohne daß es der
Einlegung der Berufung bedarf.
Die Verteilung der Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt aus der künftigen
Kostenentscheidung im Berufungsverfahren.
Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus den §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 14
analog, 73 Abs. 1 Satz 2 GKG.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 25 Abs. 2 Satz 2
GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.