Urteil des HessVGH vom 18.12.1997

VGH Kassel: amnesty international, eritrea, regierung, in dubio pro reo, sudan, auskunft, behandlung, abschiebung, emrk, gefahr

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
3. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 UE 3402/97.A
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 78 AsylVfG 1992, § 88
VwGO, § 124a Abs 3 VwGO,
§ 53 Abs 4 AuslG 1990, §
53 Abs 6 AuslG 1990
(Asylverfahren: Geltung der Berufungsbegründungsfrist
des VwGO § 124a Abs 3 bejaht; Berufungsbegründung:
zulässige Bezugnahme auf den Zulassungsantrag; Umfang
der Entscheidung über Abschiebungshindernisse im
Berufungsverfahren; Überprüfung zielstaatbezogener
Abschiebungshindernisse hinsichtlich Äthiopien)
Tatbestand
Der 1966 in Asmara (Eritrea, früher Äthiopien) geborene Kläger besitzt die
äthiopische Staatsangehörigkeit und ist eritreischer Volkszugehöriger der Tigrinya.
Er ist katholischer Konfession. Am 13. Januar 1991 reiste er ohne Ausweispapiere
in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 1. Februar 1991 seine
Anerkennung als Asylberechtigter. Zur Begründung gab er zunächst an, er könne
unter keinen Umständen nach Äthiopien zurückkehren, da ihn dort das Militär
erwarte und er gegen seine eigenen Leute kämpfen müsse. Er möchte nur in
Deutschland leben. In einer nachgereichten schriftlichen Begründung führte er aus,
er sei am 20. Juni 1984 gezwungen worden, von Massawa/Eritrea als Behärawi-
Wetader (direkt übersetzt: "nationale-Heimatlandverteidiger-Kampagne") am
Militärdienst teilzunehmen und nach Harar, ein äthiopisches Bundesland an der
Grenze zu Somalia, gebracht worden. Dort habe er 7 Monate militärische
Ausbildung absolviert. Nach der Ausbildung sei er in die Stadt Godie in Ogaden
versetzt worden und habe dort 6 Monate gelebt. Von dieser Stadt aus sei er auf
somalischem Territorium in einer Stadt namens Belembel gegen die somalische
Truppe im Kampf eingesetzt worden. Nach 2 1/2 Jahren Einsatz in diesem Kampf
und nach Ablauf des allgemeinen Grundwehrdienstes als nationaler
Heimatverteidiger sei er aus dem Dienst entlassen und am 15. Februar 1987 nach
Hause zurückgebracht worden. Es habe aber nicht lange gedauert, bis man ihn
wieder zurückbeordert habe; am 10. Oktober 1989 sei er wieder eingezogen und in
der Umgebung seines Wohnortes eingesetzt worden. Nach langem Hin und Her
und einem qualvollem Leben bei den Landstreitkräften habe er das Gewehr
weggeworfen und sei im Oktober 1990 in den Sudan geflüchtet. Dort habe er drei
Monate gelebt, seine Eltern bzw. Verwandten hätten ihm Geld gegeben, so dass er
vom Sudan aus nach Italien gekommen sei. In Italien habe er nur eine begrenzte
Zeit des Aufenthalts gehabt; er habe Geld gezahlt, damit er nach Deutschland
kommen könne; dies sei schließlich am 30. Januar 1991 geschehen. Bei seiner
Anhörung vor dem Bundesamt am 22. Juli 1993 gab der Kläger an, er habe in
Asmara die Grundschule bis zum Beginn des 9. Schuljahres besucht; eine weitere
Ausbildung habe er nicht durchlaufen. Die Schulausbildung habe er nicht beenden
können, weil er zum Militärdienst einberufen worden sei. Nach der sechsmonatigen
Grundausbildung habe er weitere 2 1/2 Jahre Militärdienst abgeleistet. Im
Dezember 1986 sei er von Asmara aus nach Teseney gereist, dort sei er bis zum
Dezember 1987 geblieben und dann weiter in den Sudan geflüchtet. Im Sudan
habe er sich drei Jahre aufgehalten und sei am 27. Juni 1990 über Kairo nach
Amsterdam geflogen. In den Niederlanden sei er fünf Monate lang geblieben und
dann schließlich im Januar 1991 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Im
Sudan habe er sich illegal bei Freunden aufgehalten, die ihn finanziell unterstützt
hätten. Er habe zunächst gedacht, im Sudan einen sicheren Aufenthaltsort
gefunden zu haben. Als er jedoch erfahren habe, dass er dort nicht legal leben
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gefunden zu haben. Als er jedoch erfahren habe, dass er dort nicht legal leben
könne, sei er weitergereist. In Deutschland habe er keine Verwandten, in Asmara
lebe nur noch seine Mutter. Grund für seine Ausreise und die Beantragung von
Asyl sei seine Zwangsrekrutierung zum Militär. Nachdem er schon zum zeitlich
begrenzten Militärdienst zwangsrekrutiert und während dieser Zeit nach Äthiopien
verbracht worden sei, habe er gedacht, dass seine Militärzeit mit Ablauf dieser drei
Jahre zu Ende sein würde. Er sei dann auch entlassen, jedoch kurz darauf erneut
wieder eingezogen worden. Dieser zweite Militärdienst sei zeitlich unbegrenzt
gewesen. Er wolle aber nicht weiter Mitglied der äthiopischen Truppen sein, um an
der äthiopisch-somalischen Grenze stationiert zu werden; seinerzeit habe ein
Grenzkonflikt mit Somalia bestanden; die Soldaten hätten die Grenze bewachen
und gegebenenfalls eingreifen müssen. Er komme aus Eritrea und habe kein
Interesse daran, die äthiopischen Grenzen zu Somalia zu verteidigen. Außerdem
sei es seiner Familie zu der Zeit wirtschaftlich schlecht gegangen und er habe
Verantwortung für sie übernehmen müssen. Letztlich habe er auch gehört, dass
Bekannte, die zum zweiten Mal eingezogen worden seien, während dieser zweiten
Militärzeit ihr Leben verloren hätten. Bei der zweiten Einberufung habe man einen
gefährlichen Dienst abzuleisten gehabt. Infolge des Militärdienstes habe er
äthiopische Papiere. Politisch sei er nicht aktiv gewesen, er habe keiner Partei,
Gewerkschaft oder ähnlichen Organisation angehört. Mit staatlichen Einrichtungen
habe er nie Probleme gehabt, lediglich die Zwangsrekrutierung sei ein staatlicher
Eingriff in sein Leben gewesen. Er habe große Angst, nach Hause zurückkehren zu
müssen. Obwohl er zum Militärdienst zwangsrekrutiert worden sei, könne ihn die
jetzige Regierung in Eritrea deswegen verfolgen; während des Mengistu-Regimes
hätte die EPLF (Eritrean People's Liberation Front) immer wieder die eritreischen
Jungen aufgefordert, den Militärdienst zu verweigern. Da ihn die äthiopischen
Soldaten aber zu Hause abgeholt hätten, habe er keine andere Wahl gehabt, als
den Militärdienst abzuleisten. Die eritreische Regierung würde ihn als äthiopischen
Soldaten ansehen und deswegen bestrafen. Er gehe davon aus, dass man ihn
hinrichten würde. Die meisten Soldaten, die unter dem Mengistu-Regime
zwangsrekrutiert worden seien, hätten sich dafür verantworten müssen; manche
hätten ja auch gegen Eritreer gekämpft. Außerdem habe er für lange Zeit nicht die
Verantwortung für seine Familie übernommen. Er sehe sich verpflichtet, für sie zu
sorgen, was er von Deutschland aus besser tun könne. Er beabsichtige, in der
Bundesrepublik eine bessere Ausbildung zu absolvieren und dann nach Eritrea
zurückzukehren.
Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte mit
Bescheid vom 9. August 1993 den Asylantrag ab und stellte zugleich fest, dass
weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG noch Abschiebungshindernisse
nach § 53 AuslG vorlägen. Gleichzeitig wurde der Kläger aufgefordert, die
Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Unanfechtbarkeit der
Entscheidung zu verlassen; anderenfalls wurde die Abschiebung nach Eritrea oder
einen anderen Staat in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme
verpflichtet sei, angedroht. Dieser Bescheid wurde dem Kläger am 18. August
1993 zugestellt.
Am 31. August 1993 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung hat er
vorgetragen, für Angehörige und Sympathisanten der EPRP (Ethiopian People's
Revolutionary Party), welche in Opposition zur EPRDF (Ethiopian People's
Revolutionary Democratic Front) stehe, bestehe in Äthiopien noch immer eine
Gefährdungslage; EPRP-Anhänger würden zum Beispiel im Sudan verhaftet und
nach Äthiopien abgeschoben. EPRP und EPRDF, die die gegenwärtige
Übergangsregierung in Äthiopien bilde, seien noch immer nicht ausgesöhnt. Auch
bei einer Rückkehr in die eritreischen Gebiete, welche von der EPLF kontrolliert
würden, bestehe eine Verfolgungsgefahr. Die EPLF verfolge zum Beispiel EPRP-
Mitglieder, weil diese Organisation sich gegen eine Abtrennung der eritreischen
Gebiete wende. Die EPLF dulde keine Konkurrenz durch andere Organisationen.
Darüber hinaus sei es in Eritrea besonders ungewiss, ob es der EPLF gelingen
werde, ihre Konflikte mit den ELF-Gruppen (Eritrean Liberation Front) zu lösen. Im
Sudan habe er sich illegal aufgehalten; dort habe er nur überleben können, weil ihn
Freunde finanziell unterstützt hätten. Eine Sicherheit vor Verfolgung habe
demnach nicht vorgelegen. Soweit das Bundesamt eine etwaige
Wehrdienstentziehung unter dem Gesichtspunkt des Strafrechtes einordne, könne
dem nicht gefolgt werden; bereits die Einberufung zur äthiopischen Armee habe
für den Kläger als eritreischen Staatsangehörigen eine Maßnahme der politischen
Einschüchterung dargestellt.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger
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In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger
ausgeführt, im Jahre 1989 sei er nach seiner zweiten Zwangsrekrutierung aus der
Armee weggelaufen und sei schließlich Anfang 1990 in den Sudan gekommen.
Seine schriftlich verfassten Asylgründe seien demgegenüber unrichtig; er sei
Soldat gewesen und habe als solcher öfter etwas Falsches gesagt, damit er nicht
erkannt werde. Er sei einfacher Soldat und politisch nicht aktiv gewesen. Wenn er
nach Eritrea zurückkehren müsse, wisse er nicht, welches Schicksal ihn als
ehemaligen äthiopischen Soldaten, der gegen die EPLF gekämpft habe, erwarte. In
Deutschland habe er sich politisch nicht betätigt. Bis zu seiner Ausreise habe seine
Mutter noch in Eritrea gelebt; seitdem habe er keinen Kontakt mehr zu ihr
unterhalten. Nach der Machtübernahme seien viele Frauen äthiopischer Soldaten
und eritreische Mütter von äthiopischen Soldaten außer Landes gegangen. Eine
Ausbildung habe er nicht erhalten, sonstige Verwandte habe er in Äthiopien nicht.
Mit Urteil vom 7. Mai 1996 hat das Verwaltungsgericht unter Abweisung der Klage
im Übrigen die Beklagte verpflichtet festzustellen, dass im Falle des Klägers
hinsichtlich Äthiopien ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG vorliege.
Angesichts der desolaten wirtschaftlichen Lage und der allgemeinen Hungersnot in
Äthiopien sei überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger bei seiner Rückkehr
nach Äthiopien einer Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt sein werde.
Insbesondere sei zu befürchten, dass er aufgrund seiner persönlichen Situation
(ohne Vermögen, Ausbildung und in Äthiopien lebende Verwandte, eritreische
Volkszugehörigkeit, fehlende staatliche Sozialfürsorge) nicht die Möglichkeit habe,
in menschenwürdiger Weise sein Existenzminimum zu sichern. Demgegenüber sei
es eher wahrscheinlich, dass er in Äthiopien (durch Unterernährung oder
Krankheit) von existenzbedrohlicher Verelendung betroffen wäre.
Gegen das dem Bundesbeauftragten am 24. Juli 1996 zugestellte Urteil hat dieser
am 2. August 1996 die Zulassung der Berufung beantragt, soweit mit der Klage
die Verpflichtung zur Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 53
Abs. 4 AuslG begehrt wird. Die Berufung ist mit Beschluss des Senats vom 22.
September 1997 zugelassen worden.
Zur Begründung seiner Berufung trägt der Bundesbeauftragte vor, die
Entscheidung des Verwaltungsgerichts weiche von der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts zu § 53 Abs. 4 AuslG ab. Die schlechte wirtschaftliche
Situation in Äthiopien bzw. die für den Kläger schwierige Situation auf dem
Arbeitsmarkt dort stelle keine Gefährdung dar, die vom äthiopischen Staat
ausgehe.
Der Bundesbeauftragte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 7. Mai 1996 abzuändern und
die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er vertritt die Ansicht, dass die Voraussetzungen von § 53 Abs. 4 AuslG aus den
vom Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil genannten Gründen
weiterhin gegeben seien. Hinzu komme, dass im Falle seiner Rückkehr in sein
Heimatland Foltergefahr bestehe. Die Sicherheit sei im Hinblick auf ständige
bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Volksgruppen mit der
EPRDF sowie auch in einigen Fällen zwischen Religionsgemeinschaften noch immer
bedroht. Im Hinblick auf die desolaten wirtschaftlichen Verhältnisse und die riesige
Arbeitslosigkeit seien im gesamten Land Übergriffe durch bewaffnete Banden
festzustellen. Die Versorgungslage sei besorgniserregend. Insbesondere wenn
zurückkehrende Asylbewerber keine Familienangehörigen hätten, könne ein Leben
oberhalb des Existenzminimums nicht garantiert werden. Diese konkreten
Anhaltspunkte für eine menschenrechtswidrige Gefährdung seien im Rahmen von
§ 53 AuslG zu berücksichtigen.
Die Beklagte stellt keinen Antrag.
Die Verfahrensbeteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche
Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes (ein Aktenhefter) sind beigezogen
und zum Gegenstand der Beratung gemacht worden; wegen weiterer Einzelheiten
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und zum Gegenstand der Beratung gemacht worden; wegen weiterer Einzelheiten
des Sach- und Streitstandes wird hierauf Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat darf gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung
entscheiden, weil die Verfahrensbeteiligten hierauf verzichtet haben.
Die zugelassene Berufung des Beteiligten ist zulässig. Sie erfüllt insbesondere die
Voraussetzungen des § 124 a Abs. 3 VwGO, der auch im gerichtlichen
Asylverfahren Anwendung findet und nicht durch § 78 AsylVfG verdrängt wird.
§ 78 AsylVfG ist keine abschließende, die grundsätzliche Geltung der §§ 124 und
124 a VwGO verhindernde spezialgesetzliche Regelung. § 78 AsylVfG enthält
vielmehr partiell geltende Sonderregelungen, die den allgemeinen Vorschriften der
VwGO nur insoweit vorgehen, als sie spezielle, auf das gerichtliche Asylverfahren
zugeschnittene Verfahrensvorschriften normieren. Daneben behalten die
allgemeinen prozessrechtlichen Vorschriften der §§ 124 und 124 a VwGO auch im
asylgerichtlichen Verwaltungsprozess ihre Gültigkeit, da eine allgemeine
Sperrwirkung von § 78 AsylVfG nicht ausgeht. Dieses Verständnis der
vorgenannten Rechtsnormen wird durch Sinn und Zweck der
Verfahrensregelungen bestätigt; sowohl § 78 AsylVfG als auch § 124 a VwGO sollen
nämlich dazu beitragen, die Gerichtsverfahren zu straffen und zu beschleunigen
und den Streitstoff des Berufungsverfahrens für das Berufungsgericht schon früh
erkennbar darzulegen. Mithin finden bei der Prüfung der Zulässigkeit der Berufung
neben § 78 AsylVfG auch die Bestimmungen in den §§ 124 und 124 a VwGO
Anwendung (ebenso: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. November 1997 - A
16 S 1931/97 -; OVG Münster, Beschluss vom 7. Juli 1997 - 1 A 5701/96.A - a.A.:
Bay. VGH, Beschluss vom 12. September 1997 - 25 B 97.33256 - BayVBl. 1998,
26).
Die vom Beteiligten gegebene Berufungsbegründung genügt den Anforderungen
des § 124 a Abs. 3 VwGO. Nach dieser Vorschrift ist in der Berufungsbegründung
der Streitgegenstand der Berufung aus der Sicht des Berufungsführers zu
bezeichnen; darüber hinaus muss die Berufungsbegründung einen bestimmten
Antrag und die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung
(Berufungsgründe) enthalten; gemäß § 124 a Abs. 3 Satz 1 VwGO müssen diese
Voraussetzungen innerhalb der dort genannten Frist erfüllt werden. Diesen
Anforderungen genügt die Bezugnahme auf die Zulassungsschrift in der
Berufungsbegründung des Beteiligten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. August
1997 - 9 B 690.97 - DVBl. 1997, 1325). Maßgebend sind dafür folgende
Überlegungen: Die in § 124 a Abs. 3 Satz 4 VwGO geforderte
Berufungsbegründungspflicht ist kein Selbstzweck, sondern soll gewährleisten,
dass sich der Berufungsführer mit dem Streitstoff des Verwaltungsgerichts auf der
Grundlage des neuesten Verfahrensstandes tatsächlich und rechtlich eigenständig
auseinandersetzt und dass er darüber hinaus dem Berufungsgericht gegenüber
deutlich macht, in welchen Punkten er die verwaltungsgerichtliche Entscheidung für
unrichtig hält. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, wird der von § 124 a Abs. 3
VwGO verfolgte Gesetzeszweck der Verfahrensbeschleunigung und
Verfahrensentlastung durch rechtzeitige Offenlegung der Berufungsgründe
erreicht. Einer erneuten Wiederholung der schon im Zulassungsverfahren
vorgetragenen Gründe bedarf es in diesem Fall nicht; dies zu verlangen wäre
überflüssige Förmelei. Allerdings ist zu fordern, dass sich aus dem Vorbringen des
Berufungsführers eindeutig und zweifelsfrei ergeben muss, welche Fragen aus der
Rechtsebene des Zulassungsverfahrens zum Gegenstand des
Berufungsverfahrens gemacht werden sollen und welche nicht. Gemessen an
diesen Anforderungen ist die vom Beteiligten vorgenommene Bezugnahme auf
seine Zulassungsschrift nicht zu beanstanden, da es ihm auch im
Berufungsverfahren um die Anwendung und Auslegung von § 53 Abs. 4 und 6
AuslG geht.
Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat der
Verpflichtungsklage des Klägers gegen die Entscheidung des Bundesamtes im
Bescheid vom 13. Februar 1996 zu Unrecht stattgegeben, als darin die Beklagte
unter Aufhebung von Ziffer 3 und 4 ihres Bescheides verpflichtet wurde
festzustellen, dass in der Person des Klägers Abschiebungshindernisse nach § 53
Abs. 4 AuslG hinsichtlich Äthiopiens bestehen.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben der Prüfung der Voraussetzungen
des § 53 Abs. 4 AuslG auch eine Entscheidung über die Gewährung von
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des § 53 Abs. 4 AuslG auch eine Entscheidung über die Gewährung von
Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG. Neben den von dem Kläger geltend
gemachten - und vom Verwaltungsgericht abgelehnten - Ansprüchen auf
Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a GG und auf Feststellung der
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG, die mit einem Asylantrag verfolgt werden
(vgl. § 13 Abs. 1 und 2 AsylVfG), werden regelmäßig auch die Ansprüche auf
Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 1 bis 4 oder Abs. 6 Satz 1
AuslG von dem beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
unterlegenen Asylbewerber zum Gegenstand des Asylprozesses vor dem
Verwaltungsgericht gemacht. Ungeachtet der Frage, ob diese Ansprüche entweder
eigenständige Streitgegenstände oder jedenfalls rechtlich abtrennbare
Streitgegenstände bilden, stehen alle diese Ansprüche nach dem erkennbaren
Regelungszweck des Asylverfahrens- und des Ausländergesetzes in einem
bestimmten Rangverhältnis in dem Sinne, dass Schutz vor geltend gemachten
Gefahren im Heimatstaat oder einem sonstigen Zielstaat durch eine Abschiebung
vorrangig auf der jeweils den umfassenderen Schutz vermittelnden Stufe zu
gewähren ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 19.96 - NVwZ 1997, 1132).
Lehnt das Bundesamt den Asylantrag ab und droht unter Verneinung von
Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG die Abschiebung in den Heimatstaat
an, so richtet sich das dem Verwaltungsgericht unterbreitete
Rechtsschutzbegehren in erster Linie auf die Verpflichtung zur Gewährung von Asyl
und/oder auf Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG. Für den Fall, dass
dieses Hauptbegehren erfolglos bleibt, ist Rechtsschutzziel daneben auch die
Aufhebung der negativen Feststellung zu § 53 AuslG und zugleich die teilweise
Aufhebung der Abschiebungsandrohung wegen des Bestehens von
Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 1 bis 4 AuslG in Bezug auf das
Abschiebezielland. Falls die Klage auch insoweit erfolglos bleibt, soll in aller Regel
zumindest die Verpflichtung des Bundesamtes erreicht werden, die
tatbestandlichen Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG festzustellen, um
wenigstens diesen Schutz vor Durchführung der Abschiebung zu erhalten.
Diese an § 88 VwGO orientierte Auslegung des Klagebegehrens trifft auch auf den
Fall des Klägers zu, wobei dem der auf die Aufhebung der Feststellung des
Verwaltungsgerichts zu § 53 Abs. 4 AuslG beschränkte Berufungszulassungsantrag
des Beteiligten nicht entgegensteht. Maßgebend ist nämlich auch im
Berufungsverfahren das umfassende Rechtsschutzbegehren des Klägers, das
sachdienlich dahingehend auszulegen ist, dass er für den Fall des Unterliegens mit
seinem Antrag auf Gewährung von Asyl und Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1
AuslG hilfsweise beantragt, ihm entweder Schutz vor drohender Abschiebung nach
§ 53 Abs. 4 AuslG durch teilweise Aufhebung der Abschiebungsandrohung oder -
weiter hilfsweise - zumindest Abschiebungsschutz durch Verpflichtung des
Bundesamtes zu einer Feststellung nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu gewähren.
Dabei ist der Umfang der Prüfung im Berufungsverfahren auf die Feststellung von
Abschiebungshindernissen hinsichtlich Äthiopiens beschränkt, da die
Feststellungen des Verwaltungsgerichts bezüglich des Nichtvorliegens von
Abschiebungshindernissen hinsichtlich Eritreas rechtskräftig geworden sind. Der
Beteiligte hat die Zulassung der Berufung ausschließlich bezüglich der positiven
Feststellung des Verwaltungsgerichts, im Falle des Klägers seien
Abschiebungshindernisse hinsichtlich Äthiopiens festzustellen, beantragt; der
Kläger selbst hat gegen die negative Feststellung des Verwaltungsgerichts
hinsichtlich Eritreas kein Rechtsmittel eingelegt, so dass insoweit die negative
Feststellung in dem Urteil des Verwaltungsgerichts in Rechtskraft erwachsen ist.
Diese Verpflichtungsklage ist zwar zulässig. Bei der angegriffenen Feststellung des
Bundesamtes, dass die Voraussetzungen des § 53 AuslG nicht vorliegen, handelt
es sich um einen an den Kläger gerichteten Verwaltungsakt mit unmittelbarer
rechtlicher Außenwirkung (vgl. §§ 4 und 42 Satz 1 AsylVfG i.V.m. § 35 Satz 1
VwVfG).
Die Verpflichtungsklage ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hätte
den angegriffenen Bescheid des Bundesamtes in diesem Umfange nicht aufheben
und eine Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungshindernissen hinsichtlich
Äthiopiens nicht aussprechen dürfen. Denn die negativen Feststellungen des
Bundesamtes bezüglich § 53 AuslG sind rechtmäßig und verletzen den Kläger
nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Dem Kläger steht ein Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungshindernissen
nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 der Konvention zum Schutze der
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nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 der Konvention zum Schutze der
Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - vom 04.11.1950 (BGBl. 1952 II S.
686) nicht zu. Nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand droht dem Kläger keine
im Sinne der genannten Vorschriften hinreichend wahrscheinliche Gefahr, dass ihn
die Behörden in Äthiopien mittels schwerer Eingriffe in elementare Rechtsgüter
unmenschlich oder erniedrigend behandeln werden.
Nach § 53 Abs. 4 AuslG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich
aus der Anwendung von Art. 3 EMRK, die der deutsche Gesetzgeber bereits mit
Zustimmungsgesetz vom 7. August 1952 (BGBl. II, 685) in innerstaatliches
deutsches Rechts transformiert hat und die seit dem in der Bundesrepublik
Deutschland im Range eines einfachen Bundesgesetzes gilt, ergibt, dass die
Abschiebung unzulässig ist. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (grundlegend: Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 15.95
- NVwZ 1996, 476; bestätigt durch Urteil vom 4. Juni 1996 - 9 C 134.95 - InfAuslR
1996, 289, durch Urteil vom 19. November 1996 - 1 C 6.95 - NVwZ 1997, 685, und
durch Urteil vom 8. April 1997 - 1 C 12.94 - NVwZ 1997, 1112) geht auch der
erkennende Senat davon aus, dass Art. 3 EMRK ebenso wie das Asylrecht nicht vor
den allgemeinen Folgen von Naturkatastrophen, Bürgerkriegen und anderen
bewaffneten Konflikten schützt, sondern dass eine Verantwortlichkeit des
Vertragsstaates grundsätzlich nur für die Folgen unmenschlicher oder
erniedrigender Behandlung besteht. Dabei setzt der Begriff der Behandlung ein
geplantes, vorsätzliches, auf eine bestimmte Person gerichtetes Handeln voraus.
Diese Begrenzung des Schutzbereichs des Art. 3 EMRK ergibt sich, wie das
Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 17. Oktober 1995 ausführlich
dargelegt hat, aus der Entstehungsgeschichte sowie aus Sinn und Zweck der
Europäischen Menschenrechtskonvention. In Fällen der Abschiebung ist ein
Verstoß gegen Art. 3 EMRK mithin nur dann in Betracht zu ziehen, wenn ernsthafte
Gründe für die Annahme bestehen, dass der Abgeschobene im aufnehmenden
Land einer von Art. 3 EMRK verbotenen Behandlung unterworfen wird, was bei
allgemeinen Folgen von Naturkatastrophen, Bürgerkriegen und anderen
bewaffneten Konflikten offensichtlich nicht zutrifft, sondern vielmehr grundsätzlich
nur eine vom Staat ausgehende oder zumindest von ihm zu verantwortende
Misshandlung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von
Art. 3 EMRK sein kann.
Auch im Hinblick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte - EGMR - vom 17. Dezember 1996 (Nr. 71/1995/577/663 - Ahmed
gegen Österreich - InfAuslR 1997, 279) ist in Übereinstimmung mit dem
Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 15. April 1997 - 9 C 38.96 - NVwZ 1997,
1127) an dieser Auslegung von § 53 Abs. 4 AuslG festzuhalten. Danach ist auch
weiterhin davon auszugehen, dass Abschiebungsschutz nach dieser Bestimmung
nur gewährt werden kann, wenn der Kläger im Zielland der Abschiebung (hier
Äthiopien) Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder
Behandlung durch den Staat oder eine staatsähnliche Organisation unterworfen zu
werden. Wie das Bundesverwaltungsgericht in der vorgenannten Entscheidung
überzeugend ausgeführt hat, ergibt sich die Begrenzung des Schutzbereichs von
Art. 3 EMRK aus den nach Art. 31 der Wiener Vertragsrechtskonvention (BGBl.
1985 II, 926) vorrangigen Gesichtspunkten der gewöhnlichen Bedeutung der
Vertragsbestimmungen in ihrem Zusammenhang sowie aus deren Sinn und
Zweck unter Berücksichtigung auch der Entstehungsgeschichte, wobei den
Erkenntnissen der Konventionsorgane, vornehmlich des EGMR, besonderes
Gewicht zukommt. Nach alledem ist bei der Gewährung von Abschiebungsschutz
nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK auch weiterhin von den oben genannten
Voraussetzungen auszugehen.
Für die Feststellung dieses Anspruchs gilt der gleiche Prognosemaßstab wie für
Art. 16 a Abs. 1 GG (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 1.94 - Buchholz
402.25 AsylVfG § 1 Nr. 173 Seite 17), hier also der Maßstab der beachtlichen
Wahrscheinlichkeit. Dies gilt unbeschadet dessen, ob im Zeitpunkt der Ausreise
des Klägers aus Äthiopien eine Verfolgung durch die äthiopischen Behörden
gegeben war oder unmittelbar bevorstand. Der im Asylrecht für die Fälle politischer
Verfolgung geltende sogenannte herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist
bei der Anwendung des § 53 Abs. 4 AuslG nämlich auch dann nicht anwendbar,
wenn der Schutzsuchende schon einmal Opfer einer unmenschlichen oder
erniedrigenden Behandlung gewesen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1996 - 9 C
134.95 - InfAuslR 1996, 289). Das auch in § 53 Abs. 4 AuslG enthaltene Element
der Konkretheit der Gefahr für diesen Ausländer kennzeichnet jedoch das
zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und
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zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und
erheblichen Gefährdungssituation. Desweiteren gilt, dass der Umstand, dass sich
eine Vielzahl von Personen in derselben Situation befindet, die Anwendung von §
53 Abs. 4 AuslG nicht ausschließt (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1996, a.a.O.).
Überträgt man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall, wird deutlich, dass
dem Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Äthiopien keine im Sinne des § 53 Abs.
4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK hinreichend wahrscheinliche Gefahr droht, dort durch
staatliche Organe oder durch Dritte, für die der Staat verantwortlich ist, mittels
schwerer Eingriffe in elementare Rechtsgüter unmenschlich behandelt zu werden.
Nachdem im Jahr 1958 die von den Vereinten Nationen verliehene eritreische
Fahne von Äthiopien eingeholt und durch die äthiopische ersetzt worden war,
erklärte Äthiopien am 14. November 1962 die Föderation mit Eritrea für null und
nichtig und verleibte sich Eritrea als 14. Provinz ein. Noch in diesem Jahr begann
der zunächst von der ELF (Eritrean Liberation Front) getragene Widerstand, der
sich schon in den Jahren zuvor insbesondere in der Arbeiterschaft des damals
verhältnismäßig stark industrialisierten Landes formiert hatte. Die ELF war aus der
zerschlagenen Gewerkschaftsbewegung Eritreas, die sich als "Eritrean Liberation
Movement" (ELM) neu formiert hatte, sowie aus Mitgliedern eritreischer
Exilparteien, darunter sowohl islamische als auch christliche
Führungspersönlichkeiten, entstanden. In den siebziger Jahren führten diese
großen Konkurrenzorganisationen den eritreischen Befreiungskampf, wobei die
EPLF im Gegensatz zu den nationalistischen, später muslimisch-nationalistischen
Grundsätzen der ELF nach gängiger Auffassung marxistisch-leninistische
Grundsätze verfolgte (Auswärtiges Amt, Lageberichte Äthiopien vom 2. August
1989 und vom 19. Oktober 1989). Nach Abspaltung der EPLF verblieb ein Teil der
ELF unter der Führung von Osman Saleh Sabbe und verbündete sich mit der EPLF,
während die Rest-ELF als ELF-RC (Eritrean Liberation Front - Revolutionary Council)
die abtrünnigen Truppen zum Wiederanschluss bewegen wollte und, nachdem dies
misslungen war, die anderen Gruppen - im Ergebnis vergeblich - auszuschalten
versuchte. Gleichwohl erreichte die ELF 1977/1978 große militärische und
politische Erfolge unter Eroberung weiter Teile Eritreas, wo sie Schulen, Kliniken,
Ambulatorien, Apotheken und landwirtschaftliche Genossenschaften organisierte.
Das von ihr kontrollierte Gebiet soll etwa 30.000 Quadratkilometer umfasst haben;
darunter waren auch mehrere größere Städte. Das Gebiet war von der ELF nach
regional-ethnischen Kriterien in fünf Zonen eingeteilt worden.
Zwischen 1978 und 1980 führten interne Streitigkeiten sowie der Bürgerkrieg mit
der EPLF zu einer kontinuierlichen Schwächung der ELF, und in dieser Zeit
gelangen Äthiopien mit Unterstützung durch sowjetische Berater und Waffen
bedeutsame Gegenoffensiven. Der EPLF gelang es ihrerseits, Gebiete zu erobern.
Sie bezog insbesondere um das Sahelgebirge Stellung, wo sie alle strategischen
Höhen in der Hand hatte, neue Straßen zur Nachschubregulierung baute und sich
so gegen die stark überlegene und den Luftraum beherrschende äthiopische
Armee behauptete. Das von ihr kontrollierte Gebiet soll zu diesem Zeitpunkt etwa
40.000 bis 50.000 Quadratkilometer umfasst haben, wobei die Stadt Keren das
Hauptquartier der EPLF beherbergte. In diesem Gebiet soll die EPLF ein
umfassendes Netzwerk politischer, sozialer, wirtschaftlicher und kultureller
Aktivitäten und Einrichtungen aufgebaut haben. Sie führte eine Landreform durch
und soll dort 1976 zu 50 % die Versorgung mit eigenen Nahrungsmitteln erreicht
haben. Kleine Werkstätten und Fabriken wurden instandgesetzt, ein gut
organisiertes medizinisches Versorgungssystem aufgebaut.
Die ELF soll sich demgegenüber 1981 bei Kassala in den Sudan zurückgezogen
haben, wo sie mit etwa 10.000 Kämpfern von sudanesischen Panzertruppen
umstellt und entwaffnet wurde. Dem soll die arabische Fraktion der ELF unter
Abdellah Idriss, der anschließend versuchte, unter Beistand aus dem arabischen
Lager die Führung der ELF zu übernehmen, entgangen sein. Während die Mehrheit
der Führungsmitglieder der ELF von Idriss in eritreisch-sudanesisches Grenzgebiet
verschleppt worden sein soll, hatte die große Mehrheit der ELF-Kämpfer angeblich
begonnen, sich abzusetzen und sich unter eritreische Flüchtlinge im Sudan zu
mischen (Auswärtiges Amt, Lageberichte Äthiopien vom 2. Januar 1991, 26.
November 1991 und 18. August 1992).
Bei einer weiteren Gegenoffensive der äthiopischen Regierung Anfang 1982
gewann die EPLF neue Gebiete hinzu, so dass schließlich 2/3 des Gebiets von
Eritrea als befreit galten. Zu diesem Zeitpunkt galt die ELF als zerschlagen, da
mittlerweise viele ihrer Kämpfer über die Grenze in den Sudan gegangen waren.
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mittlerweise viele ihrer Kämpfer über die Grenze in den Sudan gegangen waren.
Die EPLF erweiterte Schulausbildung und Gesundheitssystem in den befreiten
Gebieten. Allein 200 Schulen sollen errichtet worden und 20 Ärzte sowie etwa 100
Krankenschwestern bzw. Krankenpfleger mit 1500 "Barfußärzten" im Einsatz
gewesen sein. Äthiopisches Militär soll sich dagegen vor allem in den Städten des
Landes aufgehalten haben. Es wurde davon ausgegangen, dass die islamischen
Gruppen in den achtziger Jahren von der EPLF bis zur Bedeutungslosigkeit
zurückgedrängt wurden. Die ELF soll lediglich in zwei Gruppierungen weiter
bestanden haben, und zwar als ELF-PLF-RC unter Osman Saleh Sabbe mit 4000
bis 6000 Kämpfern sowie als ELF-RC unter Ahmed Nasser mit etwa 3000 bis 4000
Kämpfern. Diese Gruppierungen sollen ihrerseits kleinere Gebietsteile beherrscht
haben, in denen sie die äthiopischen Behörden von der Herrschaftsgewalt
verdrängt hatten. Insgesamt sollen die Gebiete Nordwest-Gondar, Nordwollo,
Nord-Eritrea und ein großer Teil von Tigre von der EPLF und der ELF sowie der
EPDA (Ethiopian People's Democratic Alliance) kontrolliert worden sein.
Nach Ansicht ausländischer Beobachter wirkte die EPLF im Gebiet südwestlich von
Asmara bis an die sudanesische Grenze. Bei dem von der EPLF vollständig
befreiten und beherrschten Gebiet handelte es sich um eine keilförmige Zone von
etwa 80 bis 100 Kilometer Länge und 25 bis 35 Kilometer Breite. Dort soll die EPLF
nur Leute geduldet haben, die am Kampf gegen die Äthiopier teilnahmen oder
sonst für die EPLF wichtig waren; außerdem soll sie über Verwaltungsstrukturen bis
hin zur Grenzsicherung mit ministeriell organisierten Teilen einschließlich einer
Schule für eritreische Kinder verfügt haben. Allerdings befanden sich diese
Einrichtungen verborgen im Untergrund, da sie ständig von äthiopischen
Flugzeugen bedroht wurden, die dort die Luftherrschaft hatten und immer wieder
einzelne Einrichtungen vernichteten. Der Küstenstreifen soll nicht mehr zu der
gesicherten Zone gehört haben. Für die Durchquerung des von ihr kontrollierten
Gebietes von Keren aus erteilte die EPLF Durchreisegenehmigungen und erhob,
soweit Luxusgüter transportiert wurden, auch Gebühren hierfür. Die Reisen fanden
durchweg nachts statt, da tagsüber äthiopische Luftangriffe zu befürchten waren.
1988 teilte das Auswärtige Amt mit, dass der eritreische Küstenstreifen von Assad
bis annähernd zur nördlichen Landesgrenze unter der Kontrolle der
Regierungstruppen sei, einschließlich der Zufahrt aus der Region Keren/Asmara bis
Massava. Alle übrigen Gebiete stünden jedoch unter der Kontrolle der etwa 70.000
Mann zählenden EPLF (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 2. April
1989).
Nach amnesty international sollen nach der Zersplitterung der ELF in drei
Fraktionen die Gruppe der ELF-CC (Eritrean Liberation Front-Central Command) im
Juni 1983 mit Zustimmung der EPLF nach Eritrea zurückgekehrt sein und dort in
Bakar mit etwa 1500 Kämpfern mehrere Lager bezogen haben. Währenddessen
sei die ELF-RC (ELF-Revolutionary Council) des Abdellah Idriss im Südwesten mit
zwei weiteren Gruppierungen zur ELF-United Organisation vereinigt worden, und
eine weitere Gruppe sei in das Grenzgebiet zum Sudan gegangen (vgl. amnesty
international, Jahresbericht Äthiopien 1990). Heute lässt sich nicht mehr mit der
erforderlichen Sicherheit feststellen, in welchen Bereichen die EPLF oder die ELF in
den achtziger Jahren überhaupt militärisch eroberte Gebiete unter Kontrolle hielten
und entsprechend gesichert sowie dort die einer innerstaatlichen Friedensordnung
entsprechenden Strukturen errichtet hatten. Zahlreiche übereinstimmende
Berichte sprechen zwar dafür, dass jedenfalls in einem Kernbereich des
sogenannten "befreiten Gebietes" Strukturen errichtet worden waren, die
weitgehend ziviler Staatsgewalt entsprachen bis hin zu Schulen und
Wirtschaftsstrukturen; andererseits waren offenbar auch diese Bereiche zumindest
Angriffen aus der Luft durch die äthiopischen Truppen ausgesetzt, so dass mehr
der Charakter noch provisorisch gesicherter und von Rückeroberung bedrohter
Gebiete des umkämpften Bereichs herrschte.
Unklar ist, ob und wie die EPLF gegen desertierende Befreiungskämpfer
vorgegangen ist. Über diesbezügliche Praktiken der EPLF ist nur wenig bekannt. So
soll die eritreische Widerstandsbewegung in den Gebieten, die sie den
Regierungstruppen abnahm und anschließend kontrollierte, mit Sympathisanten
der Zentralregierung sowie mit Anhängern der ELF weit weniger nachsichtig
umgegangen sein als die äthiopischen Behörden mit Sympathisanten der
Befreiungsbewegung (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 2. April
1989). Ein aktiver Einsatz für die ELF soll danach - insbesondere in den Jahren 1980
bis 1984 - das Risiko der Verhaftung durch die EPLF geboten haben. Für die
darauffolgende Zeit ist das Verhältnis zwischen ELF und EPLF weitgehend
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darauffolgende Zeit ist das Verhältnis zwischen ELF und EPLF weitgehend
ungeklärt. Zunehmend sollen aber die Auslandsbüros der EPLF verlangt haben,
dass jeder Eritreer den bewaffneten Befreiungskampf in angemessener Form zu
unterstützen habe und, wenn er sich dem entziehe, mit Konsequenzen rechnen
müsse (Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 17. September 1990). Es soll
Hinweise darauf gegeben haben, dass Äthiopier aus den von der EPLF und TPLF
(Tigray People's Liberation Front) kontrollierten Gebieten vor
Zwangsrekrutierungen, Abgabepflichten zur Unterhaltung der Rebellenstreitkräfte
und Zwangsumsiedlungen ins Ausland geflohen seien, dort aber aus Furcht vor
den straff organisierten und hart zupackenden Auslandsorganisationen der TPLF,
EPLF und OLF (Oromo Liberation Front) den wirklichen Grund ihrer Flucht
verschwiegen und der äthiopischen Regierung angelastet haben sollen
(Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 2. Januar 1991).
Ob diese Maßnahmen der EPLF über das hinausgehen, was allgemein Staaten zur
Ahndung und Sanktion von Desertionen zugebilligt wird, und ob ihnen wegen des
Anknüpfens an asylrelevante Merkmale darüber hinaus ausgrenzender Charakter
zukommt, ist aufgrund dieser Angaben heute nicht mehr feststellbar.
Nachdem Äthiopien im Herbst 1987 im Rahmen einer Verfassungsreform für
Eritrea im wesentlichen wieder den Status der Autonomie von 1952 geschaffen
hatte, begann die EPLF in Eritrea zeitgleich mit der TPLF in Tigre Großoffensiven
gegen die äthiopische Armee und eroberte weitere Gebiete, so beispielsweise
Afabet in Norden Eritreas. Nachdem die ELF vorgeschlagen hatte, Eritrea in zwei
autonome Gebiete für die Moslems des Tieflands und die Christen im Hochland zu
teilen, schlug Präsident Mengistu dem Parlament die Teilung Eritreas vor. Nach
einem Putschversuch von Teilen der äthiopischen Armee kam es auch in Äthiopien
selbst zu Gefechten, u. a. in der Hauptstadt Addis Abeba. Die Hauptstadt der
Provinz Eritrea fiel in die Hand der dort stationierten aufständischen Armee, die
etwa die Hälfte der äthiopischen Armee ausmachte. Nach Niederschlagung des
Putsches wurden der EPLF Gespräche angeboten und im Juni 1989 begannen
Friedensgespräche unter Vermittlung des früheren amerikanischen Präsidenten
Carter. Die tigrinische Befreiungsbewegung TPLF schloss sich der EPLF zur
Durchführung von Verhandlungen an. Dies wurde von der in Äthiopien trotz
politischer Verankerung in der islamischen Bevölkerung des Tieflandes
bedeutungslosen, jedoch unter den eritreischen Auslandsflüchtlingen
einflussreichen ELF mit Misstrauen betrachtet, da sie ihren Ausschluss aus dem
Friedensprozess befürchtete.
Die TPLF soll sich sodann zur Erreichung ihres Zieles der Eroberung des gesamten
Äthiopiens mit der EPDM (Ethiopian People's Democratic Movement) zur EMLF
(Ethiopian Marxistic-Leninistic Front) verbunden haben. Bis Oktober 1989 hatten
sich die miteinander verbundenen Rebellentruppen, insbesondere auch die
"Äthiopische Revolutionäre Demokratische Volksfront" (EPRDF - Ethiopian People's
Revolutionary Democratic Front), der äthiopischen Hauptstadt bis auf knapp 400
Straßenkilometer genähert, im November 1989 sollen es 150 Kilometer gewesen
sein. Währenddessen wurden die Friedensgespräche fortgesetzt, blieben aber
letztlich ergebnislos (Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien 2. Januar 1991). Die
EPRDF forderte zu diesem Zeitpunkt neben einem sofortigen Waffenstillstand und
der Garantie demokratischer Grundrechte auch die Unabhängigkeit Eritreas. Im
Jahr 1990 verschärften sich die kriegerischen Auseinandersetzungen im Norden
des Landes erneut; der Hochseehafen Massawa geriet in die Hand der Rebellen,
und die eritreische Hauptstadt Asmara wurde von der EPLF eingeschlossen. Zu
dieser Zeit plante die EPLF eine Volksbefragung über den künftigen Status des
Landes Eritrea als Provinz Äthiopiens, als föderierter Teilstaat mit Autonomie oder
als völlig unabhängige Nation. Ende April starteten EPLF und TPLF eine neue
gemeinsame Offensive im Norden des Landes.
Währenddessen sollen nach Auffassung des Auswärtigen Amtes die ELF und ihre
Mitglieder von der Regierung Mengistu nicht nur geduldet, sondern teilweise in der
öffentlichen Verwaltung beschäftigt worden sein; mit ihren Führern sollen
Autonomieverhandlungen geführt worden sein (Auswärtiges Amt, Lagebericht
Äthiopien vom 17. September 1990).
Im Oktober 1990 scheiterte eine Offensive der Regierungstruppen, und Anfang
1991 hatte sich die militärische Lage auf einem für die EPLF vorteilhaften Niveau
stabilisiert. Im Frühjahr 1991 starteten die Rebellen eine neue Offensive und
schlossen im April 1991 ihre Front noch 90 Kilometer von Addis Abeba entfernt
zusammen. Eritrea war mit Ausnahme der Region um Asmara und Keren, der
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zusammen. Eritrea war mit Ausnahme der Region um Asmara und Keren, der
Stadt Dekamehari und Teilen der autonomen Provinz Assab einschließlich der
Hafenstadt selbst unter Kontrolle der EPLF. Im Mai 1991 schließlich siegten die
Rebellenbewegungen über die Truppen der äthiopischen Regierung. Die EPRDF
übernahm die Regierungsgewalt in Äthiopien und verwarf mit der Charta vom 22.
Juni 1991 die Wiederherstellung der Einheit mit Eritrea. In Eritrea bildete die EPLF
eine provisorische Regierung (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 26. August 1991 an
OVG Koblenz).
In Äthiopien nahm nach der Regierungsübernahme durch die EPRDF und der von
ihr einberufenen Nationalkonferenz vom 1. bis 4. Juli 1991, an der 23
unterschiedliche Gruppen der Anti-Mengistu-Opposition teilnahmen, das dort
beschlossene Übergangsparlament seine Arbeit auf. Die Übergangsregierung
wurde aus einer 87 Sitze umfassenden Nationalversammlung gebildet, in der 32
Sitze von der EPRDF gehalten und 6 Sitze für den späteren Beitritt weiterer
politischer Gruppierungen offengehalten wurden. Im Übrigen wurden eine Reihe
kleinerer ethnischer Gruppen aufgenommen (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 10.
Oktober 1991 an VG Ansbach). Als Übergangsverfassung wurde eine
Nationalcharta verabschiedet, die freie Wahlen in spätestens zwei Jahren vorsah
(amnesty international, Die gegenwärtige Lage in Äthiopien, September 1991) und
neben der Garantie demokratischer Freiheitsrechte des Individuums und
Grundsätzen einer künftigen Pressefreiheit den garantierten Zugang zu
unabhängigen Gerichten enthielt (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 10. Oktober
1991 an VG Ansbach). Die in Opposition zur EPRDF stehenden Gruppierungen
wurden von der Nationalkonferenz ausgeschlossen. Der EPRDF soll es zu diesem
Zeitpunkt noch nicht gelungen gewesen sein, die Kontrolle über das ganze Land zu
übernehmen. Zum Staatspräsidenten wurde der Führer der EPRDF, Meles Zenawi,
gewählt. Ab August 1991 regierte ein Ministerrat mit dem Premierminister Zenawi
und Ressortministern (Auswärtiges Amt, wie vor).
Bis zum Sommer 1992 trat die OLF (Oromo Liberation Front) aus der Regierung
aus, und die EPRDF erzielte ein schlechtes Ergebnis bei den mit unlauteren Mitteln
und militärischen Einschüchterungen manipulierten Distrikts- und Regionalwahlen
(Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 18. August 1992).
Rechtsverletzungen wurden in zunehmenden Maße beobachtet. So sollen nach
Berichten des Auswärtigen Amtes Kriminelle immer häufiger "auf der Flucht"
erschossen, statt einem Richter vorgeführt worden sein; Verhaftungen sollen ohne
Haftbefehl und aus rein politischen Gründen erfolgt sein; genehmigte
Demonstrationen wurden aufgelöst und deren Veranstalter verhaftet. Politische
Mitbewerber bei den Wahlen sollen behindert, bedroht, beschossen, vertrieben
oder inhaftiert worden sein (Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 18.
August 1992). Auch Eikenberg (Institut für Afrika-Kunde, Auskunft vom 22.
Dezember 1994 an VG Schleswig) berichtet über eine Reihe von Fällen in den
Jahren 1991, 1992 und danach, in denen Personen von den Sicherheitskräften
erschossen wurden. Zwar soll sich nach Ansicht des Auswärtigen Amtes die
Menschenrechtssituation inzwischen erheblich verbessert haben; vor allem
während der Regionalwahlen 1992 fanden aber noch wiederholt standrechtliche
Hinrichtungen und ungeklärte Morde an Oppositionellen statt und bis Herbst 1993
wurden Todesfälle registriert, die von der Regierung mit Vorgehen der
Ordnungskräfte gegen kriminelle Elemente erklärt wurden. In einigen Fällen kam es
zu Untersuchungen hierüber. Immer wieder erklärten Familien ihre Angehörigen
als vermisst, nachdem diese verhaftet worden waren; weiterhin wurden vereinzelt
Fälle von Folter registriert (Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 26.
Oktober 1993).
Im Dezember 1994 schloss die verfassunggebende Versammlung, die im Juni
gewählt worden war - allerdings im wesentlichen ohne Beteiligung der Opposition -
ihre Beratungen und Diskussionen über den Entwurf einer neuen Verfassung ab,
und die neue Verfassung, die auf einem föderativen Viel-Parteien-System beruht
und die grundlegenden Menschenrechte garantiert, wurde von der
verfassunggebenden Versammlung auch angenommen und ratifiziert. Sie teilte
das Land nach einem föderativen System auf ethnischer Basis in neun neue
Regionen mit jeweils einem Regionalparlament ein (amnesty international,
Äthiopien - Verantwortung in Vergangenheit und Gegenwart, Bericht vom April
1995). Am 7. Mai 1995 fanden die Parlaments- und Regionalwahlen technisch
überwiegend korrekt statt, allerdings wiederum ohne die Oppositionsparteien. Im
August 1995 wurde nach den Parlamentswahlen die Übergangsregierung durch die
neue Regierung unter Premierminister Meles Zenawi abgelöst. Diese löste das
Innenministerium auf, unterstellte die Polizei dem Justizministerium und schuf eine
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Innenministerium auf, unterstellte die Polizei dem Justizministerium und schuf eine
neue Behörde für Sicherheit, Einwanderung und Flüchtlinge unter dem
Premierminister.
Die Aufgaben der Polizei übernahmen zunächst Friedens- und Stabilitätskomitees
der EPRDF-Streitkräfte ohne gesetzliche Definition. Der Aufbau einer neuen
Polizeigruppe begann mit der Ausbildung von 4000 Polizisten in Addis Abeba;
weitere 10000 waren vorgesehen. In verschiedenen Provinzen sollen Volksgerichte
tätig geworden sein, die auch Todesurteile verhängt haben sollen (amnesty
international, Äthiopien/Eritrea vom Januar 1993). Bis 1993 war Äthiopien jedoch
verschiedenen wesentlichen Pakten und Konventionen beigetreten, u. a. dem VN-
Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie dem für bürgerliche und
politische Rechte (Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 26. Oktober 1993).
Das Strafgesetzbuch für kriminelle Vergehen sah vor, dass Verhaftete innerhalb
von 48 Stunden nach ihrer Verhaftung vor Gericht gestellt werden müssen und
dann von einem Richter für 14 Tage in Untersuchungshaft genommen werden
können. Diese Untersuchungshaft kann ohne Zeitbegrenzung erneuert werden.
Nach Abschluss der Untersuchungen muss der Verhaftete innerhalb von 15 Tagen
angeklagt oder freigelassen werden (amnesty international, Äthiopien,
Verantwortung in Vergangenheit und Gegenwart, April 1995). Folter und
erniedrigende und unmenschliche Strafen sind dem Auswärtigen Amt bis auf einen
unklaren Fall möglicherweise erniedrigender Behandlung mehrerer AAPO-
Anhänger bis Ende 1994 nicht bekannt geworden (amnesty international, Auskunft
vom 1. September 1994 an VG Schleswig). Amnesty international berichtet unter
Schilderung von Einzelfällen hingegen von inoffiziellen Haftzentren, in denen die
Gefahr von Folter bestehe; außerdem sollen die politischen Häftlinge vermehrt
dem Militär unterstellt worden sein und sich zum Teil in Inkommunikado-Haft
befinden (amnesty international, Auskunft vom 6. September 1995 an VG
Schleswig).
Zu Jahresbeginn 1993 soll es ca. 2000 inhaftierte ehemalige Mitglieder des DERG-
Regimes gegeben haben sowie 1500 inhaftierte "hohe Vertreter" des Mengistu-
Regimes. Aufgrund der Tätigkeit des im August 1992 ernannten
Sonderstaatsanwalts, der die von den Mitarbeitern der Mengistu-Regierung
begangenen Verbrechen untersuchte, wurden 1993 1000 Angehörige der früheren
Regierung, der Streitkräfte und der vormals herrschenden Arbeiterpartei
Äthiopiens (WPE) ebenso wie 900 Offiziere der ehemaligen äthiopischen
Streitkräfte freigelassen (amnesty international, Auskunft vom 1. September 1994
an VG Schleswig). Nachdem die Beweiserhebung in den übrigen Fällen in den
letzten Monaten des Jahres 1994 abgeschlossen worden war, begannen am 13.
Dezember 1995 die sogenannten "DERG-Prozesse", die zunächst nach Verlesung
der Anklage auf den 14. März 1995 vertagt wurden und auch heute noch nicht
abgeschlossen sind (Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 20. Dezember
1994; Bericht der NZZ vom 6. April 1996; Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien
vom 26. April 1997).
Nachdem die Versammlungsfreiheit zunächst respektiert wurde und im Sommer
1991 verschiedene Demonstrationen der oppositionellen EPRP gegen die
äthiopische Regierung in Äthiopien stattgefunden haben sollen, wurden vor allem
im Januar 1993 einzelne Demonstrationen untersagt, eine wurde gewaltsam
aufgelöst (Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 26. Oktober 1993;
Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 7. April 1994). Einer Exildelegation
der EPRP wurde im Juli 1991 die Einreise verweigert, als diese an der
Nationalkonferenz teilnehmen wollte. Amnesty international berichtete, dass
oppositionelle Teilnehmer an der von den Oppositionsgruppen veranstalteten
"Konferenz für Frieden in Äthiopien" in Paris im März 1993 entweder keine
Ausreiseerlaubnis erhalten haben oder nach Formulierung einer
regierungskritischen Resolution aus dem Parlament ausgeschlossen wurden
(amnesty international, Auskunft vom 16. Mai 1994 an VG Ansbach). Im Mai 1993
soll ein im Untergrund tätiges führendes EPRP-Mitglied von Regierungskräften
erschossen worden sein, als es sich angeblich der Verhaftung widersetzte. Am 16.
Dezember 1993 wurde eine Exilrepräsentantin der CoEDF (Coalition of Ethiopian
Democratic Forces) und der EPRP ebenso wie andere Exiloppositionelle am
Flughafen verhaftet, als sie die nationale "Konferenz für Frieden und Versöhnung"
besuchen wollten. Die Anklage wegen Planung einer bewaffneten Revolte oder
Rebellion gegen die Regierung und anderer Delikte wurde aber später
fallengelassen, und die Betroffenen wurden am 17. Februar 1994 freigelassen;
lediglich ein Repräsentant der CoEDF soll auch im Mai 1994 noch in Haft gewesen
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lediglich ein Repräsentant der CoEDF soll auch im Mai 1994 noch in Haft gewesen
sein (amnesty international, Auskunft vom 16. Mai 1994 an VG Ansbach).
Mit der Einführung der neuen Verfassung, den Parlamentswahlen, der Bildung
gewählter Parlamente auf zentralstaatlicher und regionaler Ebene und der neuen
Regierung endete 1995 die Übergangsperiode, die mit der Machtübernahme der
EPRDF 1991 begonnen hatte. Die politischen Strukturen haben sich inzwischen
weiter konsolidiert. Dabei hat die regierende EPRDF ihren Einfluss auf alle Bereiche
des öffentlichen Lebens ausgebaut (Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom
24. April 1997). Die auch für die Menschenrechte wichtigen innenpolitischen
Reformprogramme der Regierung werden systematisch, wenn auch im Ergebnis
langsam, weiter vorangetrieben. Die Neuorganisation der Polizei ist nahezu
abgeschlossen; zu ihr gehört auch, dass die Polizei sich nicht mehr nur als
Vollstreckungsorgan einer traditionell autoritären, rückständigen Verwaltung,
sondern als wesentlicher Teil des neuen rechtsstaatlichen Systems betrachten
soll. Die Justiz ist das schwächste Glied in der bisher nur nominell rechtsstaatlichen
Ordnung. Das Gerichtswesen musste nach dem Ende des DERG von Grund auf
neu aufgebaut werden; es hat sich hinsichtlich Ausbildungsstand der Richter und
personeller Ausstattung der Gerichte noch nicht von den massenhaften
Entlassungen von Richtern nach dem Ende der DERG-Zeit erholt. Das Problem
wurde dadurch noch verschärft, dass die Regierung in jüngster Zeit erneut eine
große Zahl von Richtern entlassen und durch wiederum unerfahrene, schlecht
ausgebildete Richter ersetzt hat. Es kommt auch immer wieder vor, dass sich
Regionalregierungen und Verwaltungen über Gerichtsurteile hinwegsetzen und z.
B. Freigesprochene erneut inhaftieren.
Zwischen den Regionen bestehen erhebliche Unterschiede bezüglich der Qualität
und Effizienz ihrer Regierung. Einige von ihnen können kaum als funktionstüchtig
bezeichnet werden; insbesondere besteht Unklarheit über Einzelfragen der
Gewaltenteilung. Dabei sehen Kritiker der Regierung in dem nur schleppend
vollzogenen Aufbau der föderativen Ordnung Äthiopiens eine Bestätigung ihrer
Auffassung, dass es sich um eine Strategie der Stärkung Tigrays auf Kosten
anderer Regionen und vor allem auch auf Kosten der traditionellen zentralistischen
(von Amharen kontrollierten) Einheit Äthiopiens handelt. Bewaffnete Aktivitäten
gegen die Regierung kommen weiterhin sporadisch vor, allerdings fast
ausschließlich in Oromia und in der Somali-Region. Dort ist es insbesondere
wiederholt zu Zusammenstößen mit radikal-islamischen Gruppen gekommen.
Zu den innenpolitischen Herausforderungen ist der Konflikt mit dem Sudan
hinzugekommen, der mit bewaffneten Operationen der südsudanesischen
Widerstandsbewegung SPLA (Sudanese Peoples Liberation Army) von
äthiopischem Boden aus bei Kurmuk und Quizzan im Januar 1997 einen
Höhepunkt erreichte (Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 24. April 1997).
Geschlechtsspezifische Menschenrechtsverletzungen sind nicht bekannt
geworden, faktisch fehlt in vielen Lebensbereichen aber die Gleichberechtigung der
Frau. Diese ist allerdings ein von der Regierung nachdrücklich propagiertes Ziel. In
der weitgehend noch traditionell geprägten Gesellschaft Äthiopiens und
insbesondere bei der Landbevölkerung ist die Realität jedoch noch weit von diesem
Ziel entfernt. Gewalt gegen Frauen, die in den Städten inzwischen erheblich
zurückgegangen ist, ist auf dem Lande noch häufiger anzutreffen. Auch gilt für
äthiopische Frauen, dass ihnen nach wie vor ein großer Teil der schweren
körperlichen Arbeit des Alltags zufällt.
Fälle unmenschlicher oder erniedrigender Strafen in Äthiopien sind nicht bekannt
geworden, jedoch wird von dem Mittel der Untersuchungshaft häufig Gebrauch
gemacht. Diese dauert in vielen Fällen auch unverhältnismäßig lange. Die
Existenzbedingungen in Äthiopien, das nach wie vor zu den ärmsten Ländern der
Welt zählt, sind für große Teile insbesondere der Landbevölkerung äußerst hart
und, bei Ernteausfällen, potentiell lebensbedrohend. Für Rückkehrer bieten sich
allerdings schon mit geringem Startkapital Möglichkeiten zu bescheidener
Existenzgründung (für alles: Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 24. April
1997).
In Eritrea übte die EPLF nach Abdankung des Mengistu-Regimes staatsähnliche
hoheitliche Gewalt aus (amnesty international, Die gegenwärtige Lage in Äthiopien,
September 1991). Sie nahm an der äthiopischen Nationalkonferenz als
Beobachter teil; dort wurde in einer Übereinkunft ein Referendum über die
Unabhängigkeit Eritreas innerhalb von zwei Jahren verabschiedet. Angehörige der
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Unabhängigkeit Eritreas innerhalb von zwei Jahren verabschiedet. Angehörige der
ELF-Fraktion wurden nicht an der Macht beteiligt, und es zeichnete sich ab, dass
die EPLF keine Konkurrenz durch andere Organisationen dulden wolle. Über die
Rückkehrmöglichkeiten von ELF-Mitgliedern bestand Ungewissheit. Die EPLF schuf
zum Teil neue Verwaltungsstrukturen und arbeitete an den Grundlagen für eine
neue Gesetzgebung; einige Gesetze, darunter eine vorläufige
Strafprozessordnung, wurden innerhalb des ersten Jahres erlassen. Laut Erklärung
des Generalsekretärs der EPLF, Isayas Afewerki, vom 20. Juni 1991 sollte es bis zu
einem im April 1993 vorgesehenen Referendum über die Unabhängigkeit Eritreas
keine Zulassung anderer politischer Organisationen geben (Auswärtiges Amt,
Auskunft vom 6. Juli 1992 an VG Köln). Die Tätigkeit in einer anderen Organisation
wurde als kriminelle Handlung angesehen. Mehrere Versuche der ELF-RC, sich
offiziell an der Politik Eritreas zu beteiligten, wurden durch die EPLF verhindert
(amnesty international, Die Menschenrechtssituation und die politische Lage in
Äthiopien und Eritrea, Januar 1993).
Am 24. Mai 1993 wurde in Asmara offiziell die unabhängige Republik Eritrea
ausgerufen und Isayas Afewerki, der drei Tage zuvor von der Nationalversammlung
an die Spitze des neuen Staates gewählt worden war, leistete als erster Präsident
den Amtseid. Der neue Staat umfasste eine Fläche von 117.600 Quadratkilometer
und hatte zum damaligen Zeitpunkt rund 3,5 Mio Einwohner, die neun
verschiedenen Volksgruppen angehören und die sich etwa zur Hälfte zum Islam
und zum Christentum bekannten. In der Zeit nach dem Referendum wurde das
neue Land von einer Reihe von Staaten anerkannt, darunter am 3. Mai 1993 durch
Äthiopien (Auswärtiges Amt, Lagebericht Eritrea vom 3. November 1993). Zugleich
wurden neue Bestimmungen über die Zusammensetzung sowie die Aufgaben der
Regierung einschließlich der Bildung einer Nationalversammlung erlassen, wonach
am Ende einer Übergangsperiode von längstens vier Jahren allgemeine Wahlen
abgehalten werden sollten. Bis zum Inkrafttreten eines diesbezüglichen Gesetzes
wurden parteipolitische Aktivitäten außerhalb der EPLF weiterhin nicht gestattet.
Mit dem Dekret Nr. 52 vom März 1994 wurde der Konsultativrat durch ein Kabinett
abgelöst, das aus 16 Mitgliedern besteht. Im Frühjahr 1994 nahm die
Verfassungskommission ihre Tätigkeit auf und bildete vier Arbeitsgruppen, von
denen sich eine der Frage der Menschen- und Bürgerrechte widmete (Auswärtiges
Amt, Lagebericht Eritrea vom 3. August 1994). Von den 42 Mitgliedern gehören
sieben Personen auch dem Exekutivrat der nunmehr - seit Februar 1994 - in
"People's Front for Democracy und Justice" (PFDJ) umbenannten EPLF an (amnesty
international, Bericht Eritrea vom April 1995). Die Durchführung allgemeiner
Wahlen wurde erneut auf 1997 verschoben und sollte im Mai 1997 stattfinden. Ob
es inzwischen zu den angekündigten Wahlen gekommen ist, ist nicht bekannt.
Andere politische Organisationen neben der PFDJ wurden weiterhin nicht
zugelassen.
Das zunächst übernommene äthiopische Straf- und Strafprozessrecht wurde
teilweise reformiert und u. a. die Begrenzung der Untersuchungshaftdauer sowie
der Grundsatz "in dubio pro reo" eingeführt. Über die Verhängung unmenschlicher
oder erniedrigender Strafen bestehen keine Kenntnisse; nach wie vor sollen sich
aber nach Angaben der oppositionellen ELF ehemalige ELF-Anhänger und
Kollaborateure ohne Prozess in Haft befunden haben; auf Folterungen in
eritreischen Gefängnissen hingegen lagen keine Hinweise vor (Auswärtiges Amt,
Lageberichte Eritrea vom 3. August 1994 und vom 2. August 1995). Im Sommer
1994 wurde mit der Einführung eines allgemeinen "nationalen Dienstes" begonnen,
von dem es keine Ausnahmen gegeben haben soll. Ein Recht zur Verweigerung
des Dienstes besteht nicht, es sollen aber Bestimmungen über die
Voraussetzungen zur Befreiung von der Dienstpflicht enthalten sein, beispielsweise
für diejenigen, die bereits vor Erlass des Gesetzes gedient und vor allem am
Unabhängigkeitskampf teilgenommen haben.
Die wirtschaftliche Lage in Eritrea war von Anfang an schlecht; auch 1994 war das
Land zur ausreichenden Selbstversorgung noch nicht in der Lage (Auswärtiges
Amt, Auskunft vom 21. März 1994 an VG Gießen) und blieb auf absehbare Zeit auf
Nahrungsmittellieferungen aus dem Ausland angewiesen (Auswärtiges Amt,
Auskunft vom 30. August 1994 an VG Berlin). Das Auswärtige Amt gelangte in der
Folgezeit gleichwohl alsbald zu der Auffassung, dass eine ausreichende
Lebensführung möglich sei; im Zuge einer allgemeinen wirtschaftlichen
Liberalisierung hätten sich der Handel sowie kleines und mittleres Gewerbe
zufriedenstellend entwickelt (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 8. Dezember 1994
an VG Schleswig). Rückkehrer, die keine Arbeitsmöglichkeiten finden können,
waren und sind jedoch auf verwandtschaftliche Hilfe oder staatliche
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waren und sind jedoch auf verwandtschaftliche Hilfe oder staatliche
Nahrungsmittelzuteilungen angewiesen. Die Lebenshaltungskosten stiegen seit
1993 schneller als die Einkommen, die Arbeitslosenquote lag 1994 bei 25 %, nach
anderen Quellen sogar noch darüber (Berichte der FAZ vom 26. Januar 1996 und
vom 7. März 1996). Etwa 90 % der Eritreer leben von der Landwirtschaft, die von
1980 bis 1990 einen Rückgang der Produktion um 40 % verzeichnete. Der
industrielle Sektor besteht im wesentlichen aus 40 staatseigenen Fabriken der
Leichtindustrie. Darüber hinaus besteht ein großer Mangel an Wohnraum; ohne
regelmäßiges Einkommen ist weder ein Zimmer in einer Pension noch sonst eine
Unterkunft finanzierbar. In Asmara gibt es ein Heim für die Verwahrung von
verarmten und/oder geistig behinderten alten Menschen ohne Angehörige, das
selbst unter Berücksichtigung dortiger Verhältnisse als menschenunwürdig
bezeichnet wird. Auch die medizinische Versorgung ist unzureichend. Über die
Möglichkeit, unentgeltlich Medikamente zu erhalten, ist nichts bekannt (Institut für
Afrika-Kunde, Auskunft vom 21. Februar 1996 an VG Würzburg). Die
durchschnittliche Lebenserwartung beträgt 46 Jahre bei einem Pro-Kopf-
Einkommen von 230,-- DM jährlich.
Ehemalige EPLF-Mitglieder, die sich von der Organisation in Eritrea abgesetzt
hatten, galten zwar als Deserteure, konnten aber unbehelligt nach Eritrea reisen
und das Land wieder verlassen. Bezüglich ehemaliger oder weiterhin aktiver
Mitglieder der ELF bzw. einer ihrer Splittergruppen muss nach deren genauer
Gruppenzugehörigkeit und Aktivität differenziert werden, wobei es nicht die
Möglichkeit gibt, auf veröffentlichte Gesetze und Erlasse Eritreas zurückzugreifen,
um das persönliche Risiko bei einer Rückkehr abschätzen zu können. Allgemein
haben sich Rückkehrer politischer Betätigung in anderen Organisationen als der
PFDJ zu enthalten. Ab 1994 wird für eine Rückkehr nach Eritrea ein eritreisches
Reisedokument oder zumindest eine Identitätskarte des eritreischen Staates
benötigt. Die Personen, die sich Anfang 1993 anlässlich des Referendums nicht
registrieren ließen, mussten nach amnesty international die Staatsbürgerschaft
bei dem "Department of international affairs" in Eritrea über die
Auslandsvertretung beantragen (amnesty international, Rückkehrgefährdung von
Angehörigen der verschiedenen Fraktionen der ELF, Bericht vom Mai 1994).
Zusammenfassend ist festzustellen, dass eritreischen Volkszugehörigen nicht
schon allein wegen ihrer früheren oder heutigen Mitgliedschaft in der ELF bzw. ELF-
RC bei Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht
(vgl. Hess. VGH, Urteil vom 26. Oktober 1996 - 3 UE 2697/91 -).
Nach alledem liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger, der sich
weder bis zu seiner Ausreise in Äthiopien dort noch danach in der Bundesrepublik
Deutschland in besonderer Weise politisch betätigt und seine vermeintliche
Gegnerschaft zu der in Äthiopien herrschenden EPRDF-Regierung bzw. zu der in
Eritrea an der Macht befindlichen PFDJ-Regierung (früher EPLF) nachhaltig und
deutlich zum Ausdruck gebracht hat, befürchten muss, im Falle seiner Rückkehr
nach Äthiopien dort von staatlichen Organen aus sonstigen Gründen zielgerichtet
misshandelt zu werden. Ebensowenig muss der Kläger wegen seiner Zugehörigkeit
zur äthiopischen Armee des früheren Mengistu-Regimes und seinen militärischen
Einsätzen an der Grenze zu Somalia mit gezielten, konkreten, vom äthiopischen
Staat geduldeten Misshandlungen durch Dritte rechnen. Auch für eine
unmenschliche oder erniedrigende zielgerichtete Behandlung durch Mitglieder
einer staatsähnlichen Organisation liegen hinsichtlich Äthiopiens keine
Anhaltspunkte vor. Der Kläger ist zu keinem Zeitpunkt in der EPRP politisch aktiv
gewesen und hat auch für keine der ELF-Gruppen gekämpft oder politisch
gearbeitet. Er war vielmehr einfacher Soldat unter dem Mengistu-Regime und hat
in dieser Funktion vorwiegend an der Grenze zu Somalia gedient.
Menschenrechtsverletzungen werden ihm nicht zur Last gelegt. Anhaltspunkte
dafür, dass er daher wegen dieser Zugehörigkeit zu der Armee des Mengistu-
Regimes von den heute in Äthiopien Regierenden eine unmenschliche oder
erniedrigende Behandlung erfahren könnte, sind mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit nicht ersichtlich, zumal für ehemalige Armeeangehörige des
Mengistu-Regimes schon 1991 eine Generalamnestie in Kraft getreten ist.
Des Weiteren muss der Kläger nicht befürchten, wegen seiner früheren
Armeezugehörigkeit in Äthiopien an Eritrea ausgeliefert zu werden. Diese Gefahr
könnte allenfalls bestehen, wenn der Kläger in der ELF oder einer ihrer
Splittergruppen aktiv mitgearbeitet hätte, was indes nicht der Fall ist. Der Kläger
hat auch in der oppositionellen EPRP keine Aktivitäten entfaltet, so dass ihm auch
aus diesem Grunde keine menschenrechtswidrige Behandlung drohen kann. Für
den Kläger besteht daher die Möglichkeit, jedenfalls gefahrlos nach Äthiopien,
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den Kläger besteht daher die Möglichkeit, jedenfalls gefahrlos nach Äthiopien,
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, zurückzukehren. Ob er darüber hinaus die
eritreische Staatsangehörigkeit besitzt oder diese erlangen kann, ist für die
Rückkehrfrage nach Äthiopien nicht ausschlaggebend.
Schließlich droht dem Kläger auch nicht allein wegen dessen Asylantragstellung im
Bundesgebiet in Äthiopien eine menschenrechtswidrige Behandlung. Der Senat ist
aufgrund der vorliegenden amtlichen Auskünfte des Auswärtigen Amtes zu der
Überzeugung gelangt, dass der äthiopische Staat zwar die Tätigkeit oppositioneller
Gruppen und Bewegungen beobachtet und sich diese Beobachtungen nicht nur
auf Äthiopien beschränken, sondern dass auch im Ausland die Tätigkeit
oppositioneller Gruppen aufmerksam registriert wird, dass aber eine hinreichend
wahrscheinliche Gefahr, allein wegen einer Asylantragstellung in Äthiopien in
menschenrechtswidriger Weise behandelt zu werden, nicht droht. Der äthiopische
Staat wird in aller Regel gegen oppositionelle Gruppen nur dann aktiv, wenn diese
ihre politischen Ziele mit Gewalt durchzusetzen versuchen, wohingegen die bloße
Asylantragstellung ohne auch nach außen hin dokumentierte und manifestierte
oppositionelle Einstellung vom äthiopischen Staat im Allgemeinen nicht zum
Anlass genommen wird, gegen den Betreffenden in einer nach § 53 Abs. 4 AuslG
relevanten Weise vorzugehen. Die Berichte von amnesty international und die
Auskünfte des Instituts für Afrika-Kunde enthalten ebenfalls keine Informationen
dahingehend, dass es in Äthiopien allein wegen einer Asylantragstellung zu einer
menschenrechtswidrigen Behandlung durch den Staat oder eine staatsähnliche
Organisation kommt.
Die allgemeine schwierige wirtschaftliche Lage in Äthiopien sowie die Tatsache,
dass der Kläger in Äthiopien möglicherweise über keine familiären Bande mehr
verfügt, stellen ebenfalls keine Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 4 AuslG
dar; insoweit fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten für eine gezielte staatliche
Vorgehensweise.
Der Kläger kann sich auch nicht auf Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6
Satz 1 AuslG berufen. Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach dieser
Vorschrift setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein
Ausländer lediglich auf allgemeine Gefahren im Sinne von § 53 Abs. 6 Satz 2
AuslG, die - wie beispielsweise die typischen Bürgerkriegsgefahren - nicht nur ihm
persönlich, sondern zugleich der ganzen Bevölkerung oder einer
Bevölkerungsgruppe drohen, wird Abschiebungsschutz ausschließlich durch eine
generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 54 AuslG gewährt. § 53
Abs. 6 Satz 1 AuslG erfasst allgemeine Gefahren im Sinne des Satzes 2 dieser
Vorschrift auch dann nicht, wenn sie den einzelnen Ausländer konkret und in
individualisierbarer Weise betreffen (BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C
15.95 - NVwZ 1996, 476; Urteil vom 4. Juni 1996 - 9 C 134.95 - InfAuslR 1996, 289).
Allerdings ist § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG verfassungskonform dahin auszulegen und
anzuwenden, dass von der Abschiebung eines unter diese Bestimmung fallenden
Ausländers nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG abzusehen ist, wenn das
Verfassungsrecht dies gebietet (BVerwG, Urteil vom 18. April 1996 - 9 C 77.95 -
InfAuslR 1996, 289). Ein solcher Fall ist nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts gegeben, wenn die oberste Landesbehörde trotz einer
extremen allgemeinen Gefahrenlage, die jeden einzelnen Ausländer im Falle seiner
Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten
Verletzungen ausliefern würde, von ihrer Ermessensermächtigung nach § 54 AuslG
keinen Gebrauch gemacht hat, einen generellen Abschiebestopp zu verfügen. Zu
diesen extremen Gefahren für Leib und Leben dürften auch Gefahren gehören, die
infolge völliger Unterversorgung der Bevölkerung mit dem elementaren Bedarf des
täglichen Bestehens entstehen, denn auch ein solcher extremer Mangel kann die
Existenz der davon Betroffenen in lebensbedrohlicher Weise gefährden (so auch
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25. September 1996 - A 16 S 2211/95 -).
Liegen die genannten Voraussetzungen vor, gebieten es die Grundrechte aus Art.
1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, dem einzelnen Ausländer unabhängig von
einer Ermessensentscheidung nach §§ 53 Abs. 6 Satz 2, 54 AuslG
Abschiebungsschutz zu gewähren. Dabei kommt es nicht darauf an, von wem die
Gefahr ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen wird.
Von einer derart zugespitzten extremen Gefahrenlage kann jedenfalls bezogen auf
die Lebensverhältnisse in Äthiopien nicht ausgegangen werden. Wie oben
dargelegt, wird zwar die Versorgungslage in Äthiopien als teilweise schwierig
beschrieben; die Entwicklung hat aber gleichwohl nicht zu einer akuten, das
gesamte Land erfassenden Hungersnot oder zu ähnlichen Mangelerscheinungen
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gesamte Land erfassenden Hungersnot oder zu ähnlichen Mangelerscheinungen
geführt. Diesbezügliche Schilderungen finden sich weder in den detailliert über die
Verhältnisse in Äthiopien berichtenden Auskünften des Auswärtigen Amtes noch
des Institutes für Afrika-Kunde oder von amnesty international. Auch kann bei
einer Gesamtschau der Lage in Äthiopien und der persönlichen Situation des
Klägers nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger als gesunder junger
Mann allein aufgrund der Tatsache, ohne familiäre Bande nach Äthiopien
zurückkehren zu müssen, sehenden Auges, d. h. mit hoher Wahrscheinlichkeit,
den oben umschriebenen hochgradigen Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt
würde. Da mithin die Schwelle einer konkreten Existenzgefährdung nicht erreicht
ist, kann die Frage, ob dem Kläger und anderen Flüchtlingen Abschiebungsschutz
gewährt werden soll, auch insofern nur politisch gemäß §§ 53 Abs. 6 Satz 2, 54
AuslG durch die obersten Landesbehörden entschieden werden. Für eine
gerichtliche Verpflichtung der Behörde fehlt es an den gesetzlichen
Voraussetzungen.
Da der Kläger unterlegen ist, hat er die Kosten des gesamten Verfahrens zu
tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO), wobei die Entscheidung über die
Gerichtskostenfreiheit auf § 83 b Abs. 1 AsylVfG beruht.
Der Ausspruch über die vorläufige vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt
aus §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 10, 711 ZPO entsprechend.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht vorliegen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.