Urteil des HessVGH vom 15.01.1997
VGH Kassel: gericht erster instanz, politische verfolgung, staatliche verfolgung, erheblicher grund, rechtliches gehör, persönliches erscheinen, pakistan, vertagung, einzelrichter, beteiligter
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
10. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 UZ 2085/96.A
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 95 Abs 1 S 1 VwGO, § 173
VwGO, § 227 ZPO
(Antrag auf Terminsverlegung bzw Vertagung wegen
Erkrankung eines Beteiligten, dessen persönliches
Erscheinen angeordnet worden war)
Gründe
Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Kassel vom 26. April 1996 ist abzulehnen, weil weder der
geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG noch der behauptete
Verfahrensmangel einer Verletzung des rechtlichen Gehörs der Kläger gemäß § 78
Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO eine Berufungszulassung
rechtfertigen können.
Soweit sich die Kläger zur Begründung der grundsätzlichen Bedeutung des
vorliegenden Rechtsstreites darauf berufen haben, die Furcht vor weiteren
Verfolgungsmaßnahmen sowie die Vernichtung ihrer beruflichen Existenzbasis
rechtfertigten die Annahme einer Vorverfolgung, und hierzu nähere Ausführungen
zur Situation der Ahmadis in Pakistan gemacht haben, so begegnet ihr Vorbringen
bereits unter formellen Gesichtspunkten Bedenken. Gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4
AsylVfG ist es nämlich Sache der Kläger, die Gründe, aus denen die Berufung
zuzulassen ist, darzulegen. Beruft sich ein Kläger wie im vorliegenden Fall auf den
Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache, so muß er, um
dem Darlegungserfordernis des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG Genüge zu tun,
zumindest darlegen, welche konkrete und in ihrer Bedeutung über den Einzelfall
hinausreichende Rechtsfrage oder welche bestimmte und für eine Vielzahl
gleichgelagerter Fälle bedeutsame Frage tatsächlicher Art er einer
obergerichtlichen Klärung zugeführt wissen möchte. Es genügt deshalb regelmäßig
nicht, daß der Kläger eine von den Entscheidungsgründen des Verwaltungsgerichts
abweichende sachliche und rechtliche Würdigung seines Verfolgungsschicksals
vornimmt. Vielmehr muß er aufgrund der von dem Gericht erster Instanz
getroffenen Entscheidung eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formulieren,
die einer allgemeinen Klärung im Berufungsverfahren zugänglich ist.
Der Senat legt hier zugrunde, daß die Kläger die Frage einer Gruppenverfolgung
der Ahmadis in Pakistan erneut für grundsätzlich klärungsbedürftig halten. Er leitet
dies aus dem ersten Satz auf S. 13 der Antragsschrift ab, wo es heißt, "die
Situation der Ahmadis in Pakistan dränge die Bejahung einer asylrelevanten
staatlichen Verfolgung aus religiösen Gründen geradezu auf". Diese Frage erweist
sich aber nur dann als grundsätzlich bedeutsam und klärungsbedürftig, wenn sich
nach Auswertung der hierzu bereits vorliegenden und in das Verfahren bereits
eingeführten Auskünfte und Erkenntnisquellen noch klärungsbedürftige und
klärungsfähige Gesichtspunkte ergeben, etwa weil die zur Verfügung stehenden
Auskünfte, Stellungnahmen und sonstigen verwertbaren Erkenntnisse die
Tatsachenfrage nicht erschöpfend behandeln, hierzu keine klare und eindeutige
Aussage enthalten oder sich etwa in der Bewertung der entscheidungserheblichen
Aspekte wesentlich unterscheiden.
Im vorliegenden Fall zitieren die Kläger in ihrem Berufungszulassungsantrag
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Im vorliegenden Fall zitieren die Kläger in ihrem Berufungszulassungsantrag
zahlreiche Auskünfte und Erkenntnisquellen, um deutlich zu machen, daß die
Zukunftsprognose des Verwaltungsgerichts hinsichtlich der Verfolgung der
Ahmadis in Pakistan keine Gültigkeit mehr haben könne. Eine Vielzahl dieser
Erkenntnisquellen hat bereits das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung
zugrunde gelegt. Diese sowie andere von den Klägern zitierten Auskünfte
rechtfertigen indes keine andere Beurteilung der Verfolgungssituation bzw. der
vom Verwaltungsgericht aufgestellten Verfolgungsprognose, die auch den Ahmadi-
Urteilen des erkennenden Senats bis in die jüngste Zeit zugrunde liegt (siehe
Urteile vom 31.01.1996 - 10 UE 674/94 - und vom 24.10.1996 - 10 UE 1510/91 -).
Noch in dem letztgenannten Urteil hat der erkennende Senat "auch unter
Berücksichtigung der zwischenzeitlichen Entwicklung der für die Lage der
Ahmadiyya in Pakistan maßgeblichen Verhältnisse" die Auffassung vertreten, den
Klägern drohe wegen ihrer praktizierten Mitgliedschaft in der Ahmadiyya-
Glaubensgemeinschaft mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit in
Pakistan derzeit und in absehbarer Zukunft weder eine mittelbare, dem Staat
zurechenbare politische Verfolgung durch Übergriffe orthodoxer Mitbürger, noch
eine unmittelbare staatliche Verfolgung durch die oder aufgrund der die
Religionsausübung der Ahmadis beschränkenden Strafvorschriften der sec. 298-B,
298-C und 295-C PPC. Diese und andere Urteile des erkennenden Senats in
Sachen Ahmadi in Pakistan berücksichtigen die Grundsätze, die das
Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 26. Oktober 1993 (- 9 C 50.92 u.a.
-, NVwZ 1994, 500 ff.) aufgestellt hat.
Ohne Erfolg macht die Klägerin zu 2. weiterhin geltend, das Verwaltungsgericht
habe, obwohl es durch Vorlage der ärztlichen Bescheinigung des Herrn Dr. vom
22. April 1996 über ihre Erkrankung informiert worden sei, zur Sache entschieden.
Dadurch habe sie keine Gelegenheit gehabt, ihr Verfolgungsschicksal aus ihrer
Sicht darzustellen, um das Gericht von ihrem persönlichen Verfolgungsschicksal zu
überzeugen. Der gerügte Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§
78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) liegt indes nicht vor. Zwar
verpflichtet der durch Art. 103 Abs. 1 GG auch verfassungsrechtlich verbürgte
Anspruch des Bürgers auf Gewährung des rechtlichen Gehörs das zuständige
Prozeßgericht dazu, in seinem Verfahren alle diejenigen Verfahrensvorschriften zu
beachten, die der Wahrung des rechtlichen Gehörs dienen (BVerfG, Beschluß vom
21.04.1982 - 2 BvR 810/81 -, BVerfGE 60, 310, 311).
Diese dem Prozeßgericht von Verfassungs wegen auferlegte Verpflichtung
erfordert es jedoch nicht in jedem Fall, eine Endentscheidung nur aufgrund einer
mündlichen Verhandlung zu treffen, zu der sämtliche Prozeßbeteiligte erschienen
waren. Nach § 173 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann ein Termin zur
mündlichen Verhandlung zwar aus erheblichen Gründen aufgehoben oder verlegt
werden, eine Verhandlung kann vertagt werden. Ein erheblicher Grund im Sinne
der zitierten Vorschrift liegt in einer unverschuldeten Verhinderung des
Prozeßbeteiligten oder seines Prozeßbevollmächtigten, im Termin zur mündlichen
Verhandlung zu erscheinen, so z.B. bei einer Krankheit, die nicht nur zur
Arbeitsunfähigkeit, sondern auch zur Verhandlungsunfähigkeit des Beteiligten führt
(Hess. VGH, Beschluß vom 30.03.1993 - 13 UZ 387/93 -). Doch ist ein Beteiligter,
der sich durch eine ernsthafte Erkrankung gehindert sieht, der Ladung zur
mündlichen Verhandlung nachzukommen, gehalten, rechtzeitig einen Antrag auf
Terminsverlegung zu stellen. Ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen
Gehörs kann nur dann in Betracht kommen, wenn das Gericht den Antrag des
Beteiligten auf Terminsaufhebung zu Unrecht ablehnt.
Im vorliegenden Fall hat der damalige Bevollmächtigte der Kläger ausweislich der
Verhandlungsniederschrift vom 26. April 1996 das Überreichen der ärztlichen
Bescheinigung des Dr. nicht mit einem Vertagungsantrag nach § 227 Abs. 1 ZPO
verbunden. Er hat auch nicht widersprochen, als der Kläger zu 1. im Rahmen
seiner informatorischen Anhörung den vom Einzelrichter vorgetragenen
Sachbericht hinsichtlich aller Kläger genehmigt und bestätigt hat, das, was seine
Frau und er vor dem Bundesamt vorgetragen hätten, seien ihre Asylgründe. Hat
indes ein Beteiligter es unterlassen, die verfahrensrechtlich gebotenen
Möglichkeiten, sich rechtliches Gehör zu verschaffen, zu ergreifen, so liegt eine
Versagung des rechtlichen Gehörs durch das Gericht nicht vor (BVerwG, Urteil vom
30.08.1982 - 9 C 1.81 -, DÖV 1983, 247; Hess. VGH, Beschluß vom 15.03.1995 -
12 UZ 1023/94 -; Hess. VGH, Beschluß vom 28.07.1995 - 10 UZ 1810/95 -).
An diesem Ergebnis ändert sich hier nichts dadurch, daß das Verwaltungsgericht
mit der Ladung das persönliche Erscheinen der Kläger zu 1. und 2. angeordnet
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mit der Ladung das persönliche Erscheinen der Kläger zu 1. und 2. angeordnet
hat. Auch in einem solchen Fall hat ein Beteiligter, der sich durch eine ernsthafte
Erkrankung gehindert sieht, dieser Anordnung nachzukommen, rechtzeitig einen
begründeten Antrag auf Verlegung des Termins bzw. auf Vertagung der
Verhandlung zu stellen (BVerwG, Urteil vom 26.01.1961 - III B 289/59 -, NJW 1961,
892). Die vom Vorsitzenden bzw. Einzelrichter verfügte Anordnung des
persönlichen Erscheinens hat allerdings zur Folge, daß der Beteiligte bei
Beantragung der Terminsaufhebung, Terminsverlegung bzw. Vertagung der
Verhandlung die Gründe für die Notwendigkeit seiner persönlichen Anwesenheit in
der mündlichen Verhandlung nicht substantiiert darlegen muß (siehe BVerwG,
Urteil 26.04.1985 - 6 C 40.82 -, Buchholz 303 zu § 227 ZPO Nr. 4 = NJW 1986,
2897; Urteil vom 19.03.1976 - 6 C 5.75 -, BVerwGE 50, 275 = Buchholz 448.0, § 25
WPflG Nr. 98 zur Notwendigkeit, diese Angaben zu machen, wenn das persönliche
Erscheinen nicht angeordnet worden ist). Das Gericht ist dann verpflichtet, über
einen derartigen Antrag auf Verlegung etc. zu entscheiden. Will es den Antrag
ablehnen, so muß es substantiiert dartun, weshalb es trotz Anordnung des
persönlichen Erscheinens des Beteiligten den Rechtsstreit für entscheidungsreif
hält. Gegebenenfalls muß es den Beteiligten die Möglichkeit geben, etwa mit
Rücksicht auf die Anordnung des persönlichen Erscheinens durch den
Vorsitzenden bzw. Einzelrichter bisher unterlassene Ausführungen schriftsätzlich
nachzuholen (BVerwG, Urteil vom 26.01.1961, a.a.O.).
Die Entscheidungen über die Kostentragungspflicht folgen aus §§ 154 Abs. 2
VwGO, 83 b Abs. 1 AsylVfG).
Dieser Beschluß ist nach § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG unanfechtbar.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.