Urteil des HessVGH vom 09.10.1989
VGH Kassel: aufschiebende wirkung, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, gemeinde, genehmigungsverfahren, kritik, form, öffentlich, sicherstellung, beteiligungsrecht, dokumentation
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
8. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 TH 2582/89
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 4 BImSchG, § 10 Abs 5
BImSchG, § 13 BImSchG, §
36 Abs 1 S 1 BauGB, § 36
Abs 1 S 2 BauGB
(Gemeindliches Einvernehmen in
immissionsschutzrechtlichen Verfahren)
Gründe
I.
Die antragstellende Gemeinde bekämpft die Erteilung der Genehmigung zur
Erweiterung eines vom Beigeladenen betriebenen Steinbruchs mit dem
Vorbringen, sie habe ihr hierzu erforderliches Einvernehmen nicht erklärt.
Ihr Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs
gegen den zwischenzeitlich vom Antragsgegner für sofort vollziehbar erklärten
Genehmigungsbescheid hatte vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main
Erfolg. Dagegen richten sich die vom Antragsgegner und vom Beigeladenen
eingelegten Beschwerden.
II.
Die Beschwerden sind begründet; denn das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main
hat zu Unrecht die aufschiebende Wirkung des von der Antragstellerin erhobenen
Widerspruchs gegen den Genehmigungsbescheid des Antragsgegners
wiederhergestellt.
Dem jedenfalls nach Anordnung des Sofortvollzugs der Genehmigung zutreffend
auf § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung -- VwGO -- gestützten Antrag ist
der Erfolg zu versagen.
Ohne Beanstandung hat das Verwaltungsgericht zunächst festgestellt, daß der
Antragsgegner das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des
angegriffenen Genehmigungsbescheides den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz
1 VwGO entsprechend schriftlich begründet hat.
Bei der sodann nach § 80 Abs. 5 VwGO vom Gericht zu treffenden eigenständigen
Ermessensentscheidung sind die einander widerstreitenden Interessen
abzuwägen. Die Interessenabwägung erfolgt nicht ohne Rücksicht auf eine etwa
gegebene offensichtliche Begründetheit oder Unbegründetheit des Rechtsmittels,
dessen aufschiebende Wirkung wiederhergestellt werden soll. Auf der Grundlage
des im Eilverfahren möglichen Erkenntnisstandes kann jedenfalls -- anders als es
das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main annimmt -- nicht davon ausgegangen
werden, daß der Genehmigungsbescheid offensichtlich rechtswidrig ist und die
Antragstellerin dadurch in ihren Rechten verletzt wird.
Die Erteilung der Genehmigung zur Erweiterung des Steinbruchs verletzt nicht
bereits um deswillen Rechte der antragstellenden Gemeinde, weil -- was unterstellt
werden kann -- diese ihr Einvernehmen versagt hat.
Bei einer -- wie hier -- nach den §§ 4 ff. des Bundesimmissionsschutzgesetzes --
BImSchG -- zu erteilenden Genehmigung von Anlagen bzw. deren wesentlichen
Änderung ist eine gemeindliche Beteiligung in Form des Einvernehmens nicht
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Änderung ist eine gemeindliche Beteiligung in Form des Einvernehmens nicht
erforderlich. Der beschließende Senat folgt dieser in der Literatur (vgl. Hinweise bei
Jarass, Kommentar zum Bundesimmissionsschutzgesetz, § 13 Rdnr. 8) nahezu auf
einhellige Kritik gestoßenen Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (U. v.
11.02.77 -- IV C 9.75 --, DVBl. 1977, S. 770 mit ablehnender Anmerkung von
Schrödter, ebenda, S. 772). Der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung
kommt nach § 13 BImSchG Konzentrationswirkung mit der Folge zu, daß anderen
Entscheidungen durch Verwaltungsbehörden, die sich auf die Zulässigkeit der
Anlage beziehen, nur in den in dieser Vorschrift aufgeführten Fällen noch
eigenständige Bedeutung zukommt. Gerade die in dieser Vorschrift nicht als
Ausnahme vorgesehene Baugenehmigung wird durch die
immissionsschutzrechtliche Genehmigung eingeschlossen (vgl. Begründung zu §
13 des Entwurfs zum Bundesimmissionsschutzgesetz, in: BT-Drucks. 7/179, S.
35/36). Der damit beabsichtigten Verwaltungsvereinfachung, insbesondere der
Beschleunigung des Verfahrens, sowie der im Interesse der Unternehmer
erwünschten größtmöglichen Rechtsklarheit und Rechtssicherheit liefe es zuwider,
zwar die an sich von der Baugenehmigungsbehörde zu erteilende Genehmigung
zu ersetzen, aber die der Erteilung der Baugenehmigung vorausgehenden
verwaltungsinternen Beteiligungsrechte in vollem Umfang (hier: das Erfordernis
eines Einvernehmens der Gemeinde nach § 36 Abs. 1 Satz 1 des
Baugesetzbuches -- BauGB --) beizubehalten. Das immissionsschutzrechtliche
Genehmigungsverfahren ist nach Maßgabe des § 10 BImSchG durchzuführen;
nach dessen Abs. 5 holt die Genehmigungsbehörde die Stellungnahmen
derjenigen Behörden ein, deren Aufgabenbereich durch das Vorhaben berührt
wird. Die den Standortgemeinden danach zustehende formelle Rechtsposition
erschöpft sich -- ebenso wie etwa im luftverkehrsrechtlichen
Genehmigungsverfahren (BVerwG, U. v. 16.12.1988 -- 4 C 40/86 --, NVwZ 1989, S.
750, 754) -- in einem bloßen -- vorliegend gewährten -- Anhörungsrecht. Den
dagegen in der Literatur (namentlich von Gusy, Die Mitwirkung der Gemeinden bei
Genehmigungen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz im nichtbeplanten
Bereich, BauR 1978, S. 336, 337) unter dem Gesichtspunkt der aus Art. 28 Abs. 2
des Grundgesetzes -- GG -- folgenden gemeindlichen Planungshoheit erhobenen
Bedenken wird dadurch hinreichend Rechnung getragen, daß die Genehmigung
nur zu erteilen ist, wenn -- neben einer Sicherstellung, daß die sich aus § 5
BImSchG ergebenden Pflichten erfüllt werden (§ 6 Nr. 1 BImSchG) -- andere
öffentlich-rechtliche Vorschriften der Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht
entgegenstehen (§ 6 Nr. 2 BImSchG). Andere die Planungshoheit der Gemeinden
betreffende öffentlich-rechtliche Vorschriften im Sinne des § 6 Nr. 2 BImSchG sind
bei einer Gesamtschau der §§ 10 Abs. 5 und 13 BImSchG aber nur die materiell
schützenden Normen, nicht dagegen auch die das formelle Beteiligungsrecht der
Gemeinden regelnde Vorschrift des § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB.
An dieser rechtlichen Beurteilung vermag auch die später als das
Bundesimmissionsschutzgesetz erlassene Vorschrift des § 36 Abs. 1 Satz 2
BauGB (eingeführt durch die Novelle vom 06.06. 1979, BGBl. I S. 949 in den § 36
des damaligen Bundesbaugesetzes) nichts zu ändern. Nach dieser neu
eingefügten Vorschrift ist das Einvernehmen der Gemeinde auch erforderlich,
wenn in einem anderen Verfahren über die Zulässigkeit nach der in Satz 1
bezeichneten Vorschriften entschieden wird. Der vom Verwaltungsgericht Frankfurt
am Main vertretenen Ansicht, daß mit diesen dort genannten "anderen Verfahren"
auch das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren gemeint sei, kann
nicht gefolgt werden. Vielmehr sollte mit dieser Novellierung lediglich sichergestellt
werden, daß die Zulässigkeit auch kleinerer baulicher Anlagen, die inzwischen zwar
bauaufsichtlich genehmigungsfrei aber gleichwohl städtebaulich relevant sind und
für die der Landesgesetzgeber das bauaufsichtliche durch andere Verfahren
ersetzt hat (z.B. nach den Landespflege- oder Denkmalschutzgesetzen), auch in
diesen Verfahren nach den Vorschriften der §§ 30 ff. BauGB geprüft wird (siehe
dazu die Stellungnahme des Bundesrats zum Entwurf eines Gesetzes über das
Baugesetzbuch -- BT-Drucks. 10/4630 --, in: BT-Drucks. 10/5027, S. 8/9; zum
ganzen auch Bielenberg/Krautzberger/Söfker, zum Baugesetzbuch -- Abschluß des
Gesetzgebungsverfahrens, in: DVBl. 1987, S. 109, 115). Für nach § 4 BImSchG
genehmigungspflichtige Anlagen, deren Genehmigung nach Maßgabe des § 13
BImSchG andere behördliche Entscheidungen einschließt, wurde die
Anwendbarkeit der das formelle Beteiligungsrecht der Gemeinden regelnden
Vorschrift des Baugesetzbuches aber gerade verneint. Hätte der Gesetzgeber
eine gemeindliche Beteiligung in Form des Einvernehmens auch für die nach dem
Bundesimmissionsschutzgesetz zu erteilenden Genehmigungen für erforderlich
gehalten, dann hätte gesetzestechnisch eine Novellierung des
Bundesimmissionsschutzgesetzes nahegelegen; dies gilt um so mehr in Ansehung
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Bundesimmissionsschutzgesetzes nahegelegen; dies gilt um so mehr in Ansehung
der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1977 (a.a.O.), die
nicht zuletzt wegen der nahezu einhellig erfahrenen Kritik auch dem Gesetzgeber
nicht verborgen geblieben sein kann.
Die im Eilverfahren angezeigte summarische Prüfung läßt auch nicht den Schluß
zu, daß die antragstellende Gemeinde materiell in ihren Rechten verletzt ist. Die
Gemeinden können in ihrer Planungshoheit beeinträchtigt werden, wenn das
Vorhaben eine hinreichend bestimmte Planung nachhaltig stört, wesentliche Teile
des Gemeindegebietes einer durchsetzbaren Planung entzieht oder wenn
kommunale Einrichtungen durch das Vorhaben erheblich beeinträchtigt werden
(BVerwG, U. v. 16.12.1988, a.a.O., S. 754). Ausführungen dazu lassen sich dem
angegriffenen Beschluß des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main nicht
entnehmen, da dieser nur auf eine vom Verwaltungsgericht angenommene
Verletzung des formellen Mitwirkungsrechts der Gemeinde abstellt. Den bisher von
der Antragstellerin lediglich in ihrem Antragsschriftsatz vom 2. Juni 1989
vorgetragenen Tatsachen und den daraus von ihr gezogenen Schlußfolgerungen --
Heranrücken des Steinbruchs an die Wohnbebauung, Entzug der Möglichkeit, für
an den Steinbruch angrenzende unbebaute Baugrundstücke ihre Planungshoheit
ausüben zu können, sowie Verwendung eines in ihrem Eigentum stehenden
Feldweges als Lärmschutzwall -- ist der Beigeladene teils mit einer abweichenden
Darstellung der Tatsachen, teils mit Rechtsausführungen entgegengetreten.
Der Senat ist angesichts des Eilcharakters des vorliegenden Verfahrens nicht
gehalten, Beweis über die streitigen Tatsachen zu erheben. Er sieht sich darüber
hinaus auch nicht veranlaßt, die Stellungnahme der Antragstellerin zu der erst am
9. Oktober bei Gericht eingegangenen Beschwerdebegründung des
Antragsgegners abzuwarten, da diese die Entscheidung des Senats nicht trägt; im
übrigen hatte die Antragstellerin Gelegenheit, auf die Beschwerden zu erwidern.
Bei dem hiernach mindestens offenen Ausgang des Widerspruchsverfahrens ergibt
die Abwägung der widerstreitenden Interessen, daß das Interesse der
Antragstellerin an der Verhinderung des erweiterten Betriebes gegenüber den
Interessen des Beigeladenen an der genehmigten Erweiterung des Steinbruchs
sowie gegenüber dem öffentlichen Interesse an der weiteren Sicherstellung einer
Versorgung mit magnesiumhaltigen Kalk geringer zu veranschlagen ist. Dabei ist
auch zu berücksichtigen, daß bei einem genehmigungsgemäßen Betrieb der
Anlage Beeinträchtigungen der übrigen Nachbarschaft nach dem bisherigen
Vorbringen nicht zu erwarten sind.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.