Urteil des HessVGH vom 30.11.1987
VGH Kassel: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, treu und glauben, freizügigkeit, abschiebung, aufenthalt, ausreise, vollziehung, vollzug, anfechtungsklage, zustellung
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
12. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 TH 137/87
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 28 Abs 1 S 2 AsylVfG, §
30 AsylVfG, Art 12 EWGAbk
TUR
(Ausreiseaufforderung gegenüber Türken nach
Asylablehnung)
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden
Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers gegen die ausländerbehördliche
Abschiebungsandrohung vom 15.10.1986 (VIII E 21103/86) zu Recht abgelehnt;
denn diese ist auch nach Auffassung des beschließenden Senats offenbar
rechtmäßig mit der Folge, daß das öffentliche Interesse an ihrem sofortigen
Vollzug das private Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der
Vollziehung auch unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des
Antragstellers überwiegt.
Es bestehen keine durchgreifenden Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der
Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung vom 15.10.1986, da diese
weder verfahrensfehlerhaft zustande gekommen ist noch sonstige Mängel
aufweist.
Wie in dem angegriffenen Beschluß zutreffend ausgeführt ist, war die
Ausländerbehörde dadurch, daß die Asylverpflichtungsklage mit rechtskräftig
gewordenem Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 04.12.1985 (IX/1 E
7266/81) abgewiesen war, nicht daran gehindert, den Antragsteller gemäß § 28
Abs. 1 AsylVfG zur Ausreise aufzufordern und ihm die Abschiebung für den Fall
anzudrohen, daß er die Bundesrepublik nicht innerhalb eines Monats nach
Zustellung der Ausreiseaufforderung verlassen habe. Zwar hat der damals für
Asylstreitigkeiten allein zuständige 10. Senat des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs mit Beschluß vom 06.02.1984 - 10 TH 570/83 - (EZAR
223 Nr. 6 = InfAuslR 1984, 295 = NVwZ 1985, 67) entschieden, die
Ausländerbehörde dürfe nach rechtskräftigem Abschluß des Asylverfahrens keine
Ausreiseaufforderung nach § 28 Abs. 1 AsylVfG mehr erlassen. Inzwischen hat das
Bundesverwaltungsgericht jedoch klargestellt, daß aufenthaltsbeendende
Maßnahmen gegen einen Asylbewerber auch dann auf die Vorschrift des § 28 Abs.
1 AsylVfG gestützt werden dürfen, wenn Asylablehnungsbescheid und
Ausreiseaufforderung nicht gemeinsam zugestellt werden, wenn die
Ausreiseaufforderung nicht unverzüglich nach der Asylablehnung ergeht und wenn
die Asylablehnung bereits unanfechtbar ist (BVerwGE 74, 189 = EZAR 223 Nr. 12).
Der beschließende 12. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs schließt
sich dieser Auffassung zumindest für die hier vorliegende Fallkonstellation an, daß
eine Ausreiseaufforderung im Anschluß an die Ablehnung eines Asylantrags
ergeht, nachdem eine zuvor erlassene Ausreiseaufforderung im Verbundverfahren
(§ 30 AsylVfG aufgehoben worden war (der 10. Senat des Hess. VGH hält für diese
Konstellation ebenfalls nicht mehr an seiner früheren Ansicht fest).
Die zuständige Ausländerbehörde des Antragsgegners war auch nicht im Hinblick
auf das Assoziationsabkommen zwischen der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei daran gehindert, dem Antragsteller die
Abschiebung anzudrohen. Denn der Antragsteller ist nicht als türkischer
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Abschiebung anzudrohen. Denn der Antragsteller ist nicht als türkischer
Staatsangehöriger aufgrund dieses Assoziationsabkommens im Sinne des § 28
Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylVfG aus anderen Gründen berechtigt, sich im
Geltungsbereich des Asylverfahrensgesetzes aufzuhalten. Türkische
Staatsangehörige sind nicht nach Ablauf der Übergangszeit für die Herstellung der
Freizügigkeit gemäß Art. 12 des Assoziationsabkommens zwischen der
Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei sowie Art. 36 des
Zusatzprotokolls zu diesem Abkommen unmittelbar aufgrund dieser
völkerrechtlichen Vereinbarungen berechtigt, zur Ausübung einer
Arbeitnehmertätigkeit in das Bundesgebiet einzureisen und sich darin aufzuhalten
(BVerwG, B. v. 20.02.1987 - 1 A 94.86 -, EZAR 106 Nr. 8 = DVBl. 1987, 786 = NJW
1987, 3093; vgl. auch BSG, U. v. 09.09.1986 - 7 RAr 67/85 -, EZAR 314 Nr. 1 =
InfAuslR 1987, 47).
Denn die Vorschriften des Art. 12 des Assoziationsabkommens EWG/Türkei und
des durch Verordnung Nr. 2760/72 des Rats der EWG vom 19.12.1972
geschlossenen Zusatzabkommens i.V.m. Art. 7 des Assoziationsabkommens sind
keine in der innerstaatlichen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten unmittelbar
anwendbaren gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften, aus denen türkische
Staatsangehörige ein Recht auf Freizügigkeit innerhalb der EG-Mitgliedstaaten
herleiten können (EuGH, U. v. 30.09.1987 - Rs. 12/86 -, EZAR 811 Nr. 8, Ls, in
ABl./EWG Nr. C 282/9; so auch schon Hailbronner, ZAR 1984, 176 ff.).
Zu Unrecht macht der Antragsteller mit der Beschwerde demgegenüber geltend,
die Ausreiseaufforderung verstoße gegen Treu und Glauben, weil die
Bundesregierung in den mit der türkischen Republik schwebenden Verhandlungen
einen Kompromiß dahingehend anstrebe (vgl. auch Bericht in ZAR 1987, 2), daß
zumindest die derzeit in der Bundesrepublik lebenden türkischen
Staatsangehörigen ein dauerndes Bleiberecht erhalten sollten. Es braucht nicht
weiter untersucht zu werden, ob die Bundesregierung tatsächlich ein derartiges
Verhandlungsergebnis verfolgt und welche Aussichten bestehen, daß eine
derartige Regelung von den EG-Mitgliedstaaten vereinbart und in der
Bundesrepublik in innerstaatlich verbindliches Recht umgesetzt wird. Denn derzeit
steht dem Antragsteller aufgrund dieser unsicheren Erwartungen noch kein Recht
zum Aufenthalt im Bundesgebiet im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylVfG zu,
und ihm wird als türkischem Staatsangehörigen auch nicht etwa ungeachtet der
Ablehnung seines Asylantrags der Aufenthalt im Bundesgebiet im Sinne des § 28
Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG ermöglicht .
Die Entscheidungen über die Kosten und den Streitwert des Beschwerdeverfahrens
beruhen auf § 154 Abs. 2 VwGO und §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3, 73 Abs. 1 GKG.
Giese Entscheidung ist unanfechtbar.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.