Urteil des HessVGH vom 29.07.1999
VGH Kassel: körperliche unversehrtheit, nebenanlage, gefahr, vorsorge, post, telekommunikation, hauptsache, empfehlung, erlass, grundstück
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
4. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 TG 2118/99
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 3 Abs 1 BImSchG, § 22
Abs 1 BImSchG, § 2
BImSchV 26, § 14 Abs 1
BauNVO, § 4 Abs 3 Nr 2
BauNVO
(Nachbarschutz gegen eine ortsfeste Sendefunkanlage -
Gefahr schädlicher Wirkungen von Funkwellen)
Tatbestand
Die Antragsteller begehren im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung
des Antragsgegners, gegen die Beigeladene ein Nutzungsverbot betreffend die
von dieser auf dem Gebäude ..., Ortsteil ... errichtete Sendefunkanlage
anzuordnen.
Die Antragsteller sind Eigentümer des Grundstücks ... in ... Die Beigeladene
errichtete auf dem 10,80 m hohen Flachdach eines Teilgebäudes des auf dem
Nachbargrundstück ... stehenden Feuerwehrgerätehauses eine insgesamt 7,60 m
hohe Sendefunkanlage für den Mobilfunk im E 2-Netz mit insgesamt 3
verschiedenen Funksystemen, nachdem ihr die Regulierungsbehörde für
Telekommunikation und Post, Außenstelle Eschborn, hierfür unter dem 26.08.1998
eine Standortbescheinigung gemäß § 59 TKG i.V.m. § 6 TKZulV erteilt hatte. In der
Standortbescheinigung wird ein Sicherheitsabstand von max. 6,0 m (ohne
Winkeldämpfung) und max. 0,5 m in vertikaler Richtung (mit Winkeldämpfung)
festgelegt, der alle sich am Standort befindlichen Funksysteme unter Einbeziehung
umliegender ortsfester Sendefunkanlagen, soweit deren Feldstärken für die
Bemessung des Sicherheitsabstands relevant sind, berücksichtigt. Der Fuß der
Antennenanlage hält zum Grundstück der Antragsteller eine Abstandsfläche von
ca. 8 m Breite ein.
Mit Schreiben vom 06.11.1998 begehrten die Antragsteller von dem
Antragsgegner den Erlass eines Nutzungsverbots betreffend die Antennenanlage
der Beigeladenen mit der Begründung, die Anlage sei bauplanungs- und
bauordnungsrechtlich unzulässig. Sie füge sich nach der Art ihrer Nutzung nicht in
die nähere Umgebung des allgemeinen Wohngebiets ein. Hierauf erwiderte der
Antragsgegner, dass er aufgrund der vorliegenden Standortbescheinigung von der
formellen und materiellen Rechtmäßigkeit der Anlage ausgehe.
Am 09.12.1998 haben die Antragsteller beim Verwaltungsgericht Darmstadt im
Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Antragsgegners zum
Erlass eines Nutzungsverbots gegen die Sendefunkanlage begehrt. Sie haben
geltend gemacht, die Anlage verstoße gegen das in § 34 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 15
BauNVO enthaltene nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme sowie gegen §
6 Abs. 5 Satz 1 HBO 1993. Die Antennenanlage sei nach der Art der baulichen
Nutzung in dem als allgemeines Wohngebiet zu beurteilenden Gebiet nicht
zulässig. Es handele sich um eine selbständige bauliche Anlage, die den
Anforderungen des § 4 BauNVO entsprechen müsse. Sie stehe in keinem Bezug
zu dem Wohngebiet, in dem sie errichtet worden sei, sondern diene der
Verdichtung des bundesweiten Mobilfunknetzes der Beigeladenen. Durch die
Verletzung des Merkmals der Art der baulichen Nutzung im Sinne des § 34 BauGB
verstoße die Baugenehmigung auch gegen das Gebot der Rücksichtnahme.
Darüber hinaus verstoße die Anlage auch gegen § 22 Abs. 1 BImSchG, da von
ihrem Betrieb schädliche Umwelteinwirkungen ausgingen. Dies ergebe sich aus
den elektromagnetischen Feldern mit ihren thermischen und athermischen
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den elektromagnetischen Feldern mit ihren thermischen und athermischen
Effekten. Durch die erteilte Standortbescheinigung, die wegen des von ihnen
hiergegen erhobenen Widerspruchs keine Wirksamkeit entfalte, würden die
Bedenken gegen die schädlichen Umwelteinwirkungen nicht ausgeräumt, da diese
auf die Sicherheit von Personen abstelle und gerade nicht der Verhinderung von
schädlichen Umwelteinwirkungen den Vorrang einräume. Die Sicherheit von
Personen könne jedoch nicht mit dem umfassenden Schutz vor schädlichen
Umwelteinwirkungen gleichgestellt werden. Es sei daher unzutreffend, aufgrund
der Standortbescheinigung von einer Einhaltung der nach der 26. BImSchV
geforderten Grenzwerte auszugehen. Nehme man den von der
Regulierungsbehörde ermittelten Sicherheitsabstand von 6 m und multipliziere ihn
nach der Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs mit dem Faktor
10, ergebe sich ein Mindestabstand von 60 m. Die Anlage verstoße auch gegen
die Abstandsvorschrift des § 6 Abs. 5 Satz 1 HBO, da die erforderliche
Abstandsfläche nicht eingehalten werde.
Die Antragsteller haben beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ein
Nutzungsverbot bezüglich der Sendefunkanlage der Beigeladenen auszusprechen.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Durch Beschluss vom 16.03.1999 hat das Verwaltungsgericht den Antrag mit der
Begründung abgelehnt, die Antragsteller hätten keinen Anordnungsanspruch
glaubhaft gemacht, da die Mobilfunkanlage nicht gegen öffentlich-rechtliche
Vorschriften verstoße.
Bauordnungsrechtlich sei die nach § 6 Abs. 5 HBO 1993 gebotene Abstandsfläche
von 7,2 m eingehalten. Bauplanungsrechtlich beurteile sich die Anlage nach § 34
Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO. Es handele sich um eine fernmeldetechnische
Nebenanlage im Sinne des § 14 Abs. 2 BauNVO, da die Mobilfunkanlage auch dem
Baugebiet selbst diene. Sie sei in einem allgemeinen Wohngebiet ausnahmsweise
zulässig. Weder aufgrund ihres Erscheinungsbildes noch aufgrund ihrer Nutzung
störe die Anlage das Wohnen in einem allgemeinen Wohngebiet und widerspreche
auch nicht dem Gebot der Rücksichtnahme. Das Vorhaben rufe zu Lasten der
Antragsteller keine schädlichen Umwelteinwirkungen hervor. Die Beigeladene
genüge ihren immissionsschutzrechtlichen Betreiberpflichten. Das Maß der für
einen Nachbarn zumutbaren elektromagnetischen Strahlungen ergebe sich aus
den §§ 3 Abs. 1 und 22 Abs. 1 BImSchG sowie der gemäß § 23 BImSchG
erlassenen 26. Verordnung zur Durchführung des
Bundesimmissionsschutzgesetzes (Verordnung über elektromagnetische Felder --
26. BImSchV -- vom 16.12.1996, BGBl. I S. 1966). Die nach diesen Vorschriften
festgelegten Grenzwerte würden von der Anlage der Beigeladenen eingehalten.
Dies folge aus der Standortbescheinigung der Regulierungsbehörde für
Telekommunikation und Post -- Außenstelle Eschborn -- vom 26.08.1998. Der von
der Regulierungsbehörde berechnete Sicherheitsabstand betrage max. 6 m, in
vertikaler Richtung max. 0,5 m. Soweit sich die Antragsteller auf die
Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs zur Erhöhung des
ermittelten Sicherheitsabstandes berufen, sei dieser durch die 26. BImSchV
überholt, in der verbindlich die Grenzwerte konkretisiert worden seien.
Gegen den ihnen am 08.04.1999 zugestellten Beschluss wenden sich die
Antragsteller mit ihrer vom Senat zugelassenen Beschwerde. Sie sind der
Auffassung, das Verwaltungsgericht habe die Sendefunkanlage zu Unrecht ihrer
Art nach gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 Abs. 2 BauNVO in einem
allgemeinen Wohngebiet als zulässig angesehen. Die Sendefunkanlage sei keine
Nebenanlage im Sinne des § 14 Abs. 2 BauNVO. Selbst wenn man der Auffassung
des Verwaltungsgerichts folgte, dass eine selbständige Sendefunkanlage eine
Nebenanlage darstelle, wenn sie auch dem jeweiligen Baugebiet diene, so fehle es
hier an dieser Voraussetzung, da die Benutzung von Mobiltelefonen in keinem
Zusammenhang mit dem in dem Baugebiet gelegenen Grundstück stehe. Das
Verwaltungsgericht sei zu Unrecht zu dem Ergebnis gekommen, die Beigeladene
habe ihren immissionsschutzrechtlichen Betreiberpflichten Genüge getan.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts enthalte die
Standortbescheinigung nicht die Einhaltung der nach der 26. BImSchV
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Standortbescheinigung nicht die Einhaltung der nach der 26. BImSchV
vorgegebenen Maximalfeldstärken. Die Standortbescheinigung werde unter den
Voraussetzungen der §§ 6 TKG und 6 TKZulV erteilt, ohne dass es darauf
ankomme, ob die Voraussetzungen der 26. BImSchV eingehalten seien. Eine
Prüfung, ob die Anlage der 26. BImSchV entspreche, habe somit noch nicht
stattgefunden. Das Verwaltungsgericht habe auch unberücksichtigt gelassen, dass
sie die Standortbescheinigung mit Widerspruch angegriffen hätten und über den
Widerspruch noch nicht entschieden worden sei und damit bereits die
Voraussetzungen für den Betrieb einer Antennenanlage nicht gegeben seien. Es
sei zur Zeit vollkommen ungewiss, ob die Anlage die Vorgaben der 26. BImSchV
einhalte oder nicht.
Schließlich weiche die Entscheidung auch von dem Beschluss des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs vom 30.12.1994 -- 3 TH 525/94 -- ab, welcher im Hinblick
auf die Vorsorge den vom Bundesamt für Post und Telekommunikation ermittelten
Sicherheitsabstand um den Faktor 10 erhöht habe.
Der Antragsgegner und die Beigeladene haben sich im Beschwerdeverfahren nicht
geäußert.
Die einschlägigen Verwaltungsakten des Antragsgegners (2 Hefter) sowie die
Akten des Klageverfahrens VG Darmstadt 2 E 2552/98 waren Gegenstand der
Beratung.
Entscheidungsgründe
Die vom Senat zugelassene Beschwerde ist nicht begründet.
Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, den Antragsgegner im Wege
der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu verpflichten,
gegen die Beigeladene bauaufsichtlich einzuschreiten und hinsichtlich der
Sendefunkanlage ein Nutzungsverbot zu erlassen. Die Antragsteller haben keinen
Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 ZPO).
Nach § 78 Abs. 1 HBO 1993 kann die Bauaufsichtsbehörde bei einem Verstoß
baulicher Anlagen gegen baurechtliche Vorschriften die Nutzung dieser Anlagen
untersagen. Es steht danach im pflichtgemäßen Ermessen der
Bauaufsichtsbehörde, ob sie die Benutzung einer Anlage untersagt, die im
Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften benutzt wird. Ergibt sich der
Widerspruch zum öffentlichen Recht allerdings aus der Verletzung einer
nachbarschützenden Vorschrift, dann hat der Nachbar einen Anspruch auf
fehlerfreie Ermessensausübung. Dieser Anspruch kann sich zu einem
Rechtsanspruch auf ein bauaufsichtliches Einschreiten verdichten, wenn sich das
Ermessen auf Null reduziert. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts kommt dies allerdings nur bei hoher Intensität der
Störung oder Gefährdung in Betracht (BVerwG, Beschluss vom 24.05.1988 -- 4 B
93.88 -- Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 88; Urteil vom 04.06.1996 -- 4 C
15.95 -- BauR 1996, 841 (842); ebenso Hess. VGH, Urteil vom 20.07.1994 -- 3 UE
3593/89 --). Dies kann der Fall sein, wenn eine unmittelbar auf andere Weise nicht
zu beseitigende Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit oder
Eigentum droht oder sonstige unzumutbare Belästigungen abzuwehren sind (vg.
Simon, Bay. BauO, Stand: Januar 1999, Art. 78 Rn. 44 b m.w.N.). Der Senat kann
es im vorliegenden Fall dahingestellt sein lassen, ob diese Rechtsprechung
dahingehend fortentwicklungsbedürftig ist, dass die Bauaufsichtsbehörde in
weitergehendem Umfang zum Einschreiten zugunsten des betroffenen Nachbarn
verpflichtet ist -- eine Andeutung findet sich insoweit im Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 04.06.1996, a.a.O. --, bei Verstößen gegen
nachbarschützende Vorschriften des Bundesrechts --, denn die Nutzung der
Sendefunkanlage verletzt die Antragsteller nicht in Rechten aus
nachbarschützenden Vorschriften.
Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die
Sendefunkanlage eine bauliche Anlage im Sinne des § 29 Satz 1 BauGB ist. Eine
Anlage in diesem Sinne wird von § 29 Satz 1 BauGB nur erfasst, wenn sie gemäß §
1 Abs. 3 BauGB eine städtebauliche (bauplanungsrechtliche) Relevanz besitzt. Das
ist der Fall, wenn die Anlage geeignet ist, ein Bedürfnis nach einer ihre Zulässigkeit
regelnden Bauleitplanung hervorzurufen. Eine solche städtebauliche Relevanz
besteht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat
folgt, wenn die Anlage -- auch und gerade in ihrer unterstellten Häufigkeit --
Belange erfasst oder berührt, welche im Hinblick auf das grundsätzliche Gebot des
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Belange erfasst oder berührt, welche im Hinblick auf das grundsätzliche Gebot des
§ 1 Abs. 3 BauGB i.V.m. § 1 Abs. 5 BauGB auch städtebauliche Betrachtung und
Ordnung verlangen, wozu auch das Ortsbild der Gemeinde zählt (BVerwG, Urteil
vom 03.12.1992 -- 4 C 27.91 -- BauR 1993, 315 (316)). Für das Ortsbild ist nach
Auffassung des Senats auch eine Antennenanlage der hier im Streit befindlichen
Art relevant, die in aller Regel an erhöhter Stelle angebracht wird und im Ortsbild
auffällt.
Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene bauplanungsrechtliche Beurteilung
der Sendefunkanlage allein am Maßstab des Begriffs der Nebenanlage im Sinne
des § 14 Abs. 1 BauNVO teilt der Senat nicht. Auch Abs. 2 Satz 2 der Vorschrift
betrifft die Sendefunkanlage nicht. Diese ist keine Nebenanlage im Sinne der
vorgenannten Bestimmungen, sondern eine Hauptanlage, die Gegenstand einer
planungsrechtlich eigenständigen Regelung im Sinne der §§ 2 bis 13 BauNVO ist.
Das hat unter anderem zur Folge, dass die Genehmigungspflichtigkeit der Anlage
nicht nur davon abhängt, ob die Errichtung der Antennenanlage als solche unter
die Regel des § 62 Abs. 1 HBO oder die Aufzählung baugenehmigungsfreier
Vorhaben in § 63 HBO fällt. Die Baugenehmigungspflicht ist auch danach zu
beurteilen, ob mit einer weiteren Hauptnutzung des Gebäudes, an dem die
Antennenanlage angebracht wird, dessen bisherige Art der baulichen Nutzung
durch Hinzufügung einer neuen Nutzungsart rechtserheblich geändert wird (VGH
Bad.- Württ., U. v. 26.10.1998 -- 8 S 1848/98 -- in VBlBW 1999, 218). Für den
Nachbarschutz hat die Frage, ob die Baugenehmigungspflicht richtig beurteilt
worden und erfüllt ist, allerdings keine Bedeutung.
Die Mobilfunksendeanlage auf dem Feuerwehrgerätehaus in Dreieich-
Dreieichenhain ist bauplanungsrechtlich nach den allgemeinen Bestimmungen der
§§ 2 f. BauNVO zu beurteilen. Es handelt sich um einen Fall gewerblicher Nutzung,
die in einem allgemeinen Wohngebiet gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO (sonstige
nichtstörende Gewerbebetriebe) ausnahmsweise zulässig ist. Sonstige nicht
störende Gewerbebetriebe können in einem allgemeinen Wohngebiet unabhängig
davon zugelassen werden, ob sie im Rechtssinne der Versorgung des Gebiets
dienen. Ein Betrieb stört nicht, wenn er die dem allgemeinen Wohngebiet eigene
Wohnruhe einhält, was bei der im Streit befindlichen Sendefunkanlage der Fall ist.
Die Sendefunkanlage verstößt nicht gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der
Rücksichtnahme. Soweit es -- wie hier -- um schädliche Umwelteinwirkungen im
Sinne des § 3 BImSchG geht, konkretisiert § 22 BImSchG für nicht
genehmigungspflichtige Anlagen die gebotene Rücksichtnahme auf die
Nachbarschaft allgemein und damit auch für das Baurecht (vgl. Schmaltz in
Schrödter, BauGB, 6. Aufl., § 34 Rn. 87). Für die Beantwortung der Frage, welche
Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme bei der Zulassung einer
Mobilfunkanlage stellt, ist § 22 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 BImSchG heranzuziehen
(Beschluss des Senats vom 30.12.1994 -- 4 TH 2064/94 --, ESVGH 45, 164 ff. =
NVwZ 1995, 1010 ff. = BRS 56 Nr. 175). Der Senat folgt der Auffassung des
Verwaltungsgerichts, dass die Antragsteller nichts hinreichend dafür vorgetragen
haben, dass ihnen unter Verstoß gegen die §§ 3 Abs. 1, 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
BImSchG, 15 Abs. 1 BauNVO unzulässige schädliche Umwelteinwirkungen durch
die Sendefunkanlage drohen.
Durch die 26. BImSchVO vom 16.12.1996 hat der Verordnungsgeber die
Anforderungen an die Errichtung, Beschaffenheit und den Betrieb nicht
genehmigungsbedürftiger Anlagen geregelt. Mit der Grenzwertfestsetzung hat der
Verordnungsgeber auf der Grundlage der Empfehlungen der
Strahlenschutzkommission (SSK) zum Schutz vor hochfrequenter
elektromagnetischer Strahlung beim Mobilfunk von 1991 und der Empfehlungen
der Strahlenschutzkommission zum Schutz vor niederfrequenten elektrischen und
magnetischen Feldern bei der Energieversorgung von 1995 von dem ihm
zustehenden weiten Ermessen Gebrauch gemacht und damit eine gesetzliche
Regelung zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung mit konkreten Schutz- und
Vorsorgepflichten geschaffen. Die Grenzwerte dienen der Vermeidung von
Gesundheitsgefahren, so dass der Gegenbeweis, bei Überschreitung drohe keine
Gefahr, grundsätzlich ausgeschlossen ist; andererseits wird auch umgekehrt im
Einzelfall der Beweis, dass trotz Einhaltung der Grenzwerte eine Gefahr bestehe,
nur schwer zu führen sein (vgl. Kirchberg in NVwZ 1998, 375 (377); Kutscheidt in
NJW 1997, 2481 (2486)). Der Senat hat daher bereits in seinem Beschluss vom
30.12.1994 (a.a.O.) ausgeführt, dass die Zugrundelegung der Empfehlungen der
Strahlenschutzkommission, die zudem mit den Richtwerten der Internationalen
Strahlenschutzassoziation -- IPRA -- übereinstimme, rechtlich hinsichtlich der
thermischen Wirkungen nicht zu beanstanden sei. Auf die Anlage der
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thermischen Wirkungen nicht zu beanstanden sei. Auf die Anlage der
Beigeladenen finden die Vorschriften der 26. BImSchV Anwendung, wie das
Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat. Wie Hochfrequenzanlagen zum
Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen zu errichten und zu betreiben sind,
bestimmt § 2 26. BImSchV. Danach dürfen 1. die im Anhang 1 bestimmten
Grenzwerte der elektrischen und magnetischen Feldstärke für den jeweiligen
Frequenzbereich nicht überschritten werden und 2. bei gepulsten
elektromagnetischen Feldern zusätzlich der Spitzenwert für die elektrische und die
magnetische Feldstärke das 32fache der Werte des Anhangs 1 nicht
überschreiten.
Entgegen der Auffassung der Antragsteller wird durch die vorliegende
Standortbescheinigung bestätigt, dass der in der 26. BImSchV vorgeschriebene
Schutz bei Beachtung der Sicherheitsabstände gegeben ist. Nach § 6 Abs. 1 Satz
2 Telekommunikationszulassungsverordnung vom 20.08.1997 (BGBl. I S. 2117) --
TKVZulV -- müssen ortsfeste Sendeanlagen mit einer äquivalenten isotropen
Strahlungsleistung (EIP) von 10 oder mehr als 10 Watt die grundlegenden
Anforderungen zur Sicherheit von Personen und zur effizienten Nutzung des
Frequenzspektrums nach § 59 Abs. 2 Nr. 1 und 5 des
Telekommunikationsgesetzes -- TKG --, insbesondere soweit sie den Standort der
Sendeanlage betreffen, einhalten. In der Standortbescheinigung vom 26.08.1998
wird unter Bezugnahme auf die genannten Vorschriften für den Standort der
Sendefunkanlage der Beigeladenen Dorotheenstraße 30 in Dreieich-
Dreieichenhain zugleich mit der Festsetzung der Sicherheitsabstände die
Einhaltung der Personenschutzgrenzwerte für Bereiche, in denen ein zeitlich
unbegrenzter Aufenthalt von Personen angenommen werden kann, festgestellt.
Die festgelegten Sicherheitsabstände werden zum Grundstück der Antragsteller
gewahrt.
Die Antragsteller haben auch nicht glaubhaft gemacht, dass von der
Sendefunkanlage schädliche Umwelteinwirkungen aufgrund athermischer
Wirkungen von Hochfrequenzanlagen ausgehen, die von der 26. BImSchV nicht
berücksichtigt werden. Solche Wirkungen sind auch nicht erkennbar.
Der 4. Senat hat schon in seinem Beschluss vom 30.12.1994 (a.a.O) in
Übereinstimmung mit mehreren Beschlüssen vom selben Tage des damals für
dasselbe Sachgebiet zuständigen 3. Senats (3 TH 177, 525, 1781, 1782 und
2286/94) angenommen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung keine
überwiegende Wahrscheinlichkeit für die gesundheitliche Schädigung oder
Belästigung von Nachbarn in der Umgebung von Sendemasten des Mobilfunks im
C-und D-Netz, deren Nutzung damals im Streit war, bestand. Er ging allerdings
unter Berücksichtigung des Zeitraums, der bei gewöhnlichem Verfahrensverlauf
bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache vergeht, davon aus, dass die
Informationsgrundlage zu diesem Zeitpunkt breiter und tiefer sein werde
angesichts des noch bestehenden Forschungsbedarfs auf verschiedenen mit der
Funktechnik gegebenen Problemfeldern. So gesehen ließ sich nicht ausschließen,
dass bezüglich strittiger und in ihren Wirkungen nicht geklärter biologischer
Phänomene bei weiterer Forschung Gefahren oder Belästigungen erkennbar
werden würden, die im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die
Hauptsache den immissionsschutzrechtlichen Gefahrenbegriff erfüllen würden. In
diesem Sinne hat der Senat unter Berücksichtigung eines Zeitfaktors und der
Eigenart der Materie die Entscheidung in der Hauptsache als offen angesehen, was
sich auf die Entscheidung im Eilverfahren in der Weise auswirkte, dass sie
unabhängig vom möglichen Ausgang der Hauptsache allein in einer Abwägung der
beteiligten privaten und öffentlichen Interessen zu finden war, die für oder gegen
die sofortige Nutzung der Sendeanlage aufgrund der gegebenen bauaufsichtlichen
Zustimmung sprachen. Bei der Berücksichtigung des Interesses der damaligen
Antragsteller, von möglichen Gesundheitsbeeinträchtigungen verschont zu
bleiben, musste auch der Umfang der Vorsorge selbst Gegenstand seiner
Abwägung sein. Im Zusammenhang mit der Vorsorge vor etwaigen athermischen
Wirkungen stand der Senat vor der Schwierigkeit, dass in der wissenschaftlichen
Diskussion Grenzwerte, bei denen athermische Wirkung sicher ausgeschlossen
werden können, nicht angegeben wurden. In dieser bei der Ermittlung von
Sicherheitsgrenzwerten nicht ganz ungewöhnlichen Situation hat es der Senat für
möglich gehalten, zur Bestimmung einer Sicherheits- oder Risikogrenze auch auf
der Grundlage lückenhafter Daten mit Vermutungen zu arbeiten. Die
Strahlenschutzkommission hat bei der Exposition von Menschen gegenüber
Hochfrequenzenergie für die Allgemeinbevölkerung, die auch empfindliche
Personen einschließt, eine spezifische Absorptionsrate (SAR) von 0,08 W/kg,
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Personen einschließt, eine spezifische Absorptionsrate (SAR) von 0,08 W/kg,
gemittelt über 6-Minuten-Intervalle und über den ganzen Körper, in erster Linie
zum Schutz vor thermischen Effekten empfohlen. Im Hinblick auf einzelne
biologische Phänomene, die bei noch geringerer Strahlenschutzbelastung
zustande kommen können, haben der 3. und der 4. Senat in den Beschlüssen
vom 30.12.1994 zur Vorsorge vor Gesundheitsrisiken im athermischen Bereich
eine Erhöhung des vom damals zuständigen Bundesamt für Post und
Telekommunikation ermittelten Sicherheitsabstands, der der Empfehlung der
Strahlenschutzkommission Rechnung trug, in der Weise für angemessen erachtet,
dass ein auf 1/10 des empfohlenen Basisgrenzwerts geminderter SAR-Wert von
0,008 W/kg nicht überschritten werden würde. Wegen der Schwierigkeit, die
Einhaltung des Basisgrenzwerts für die Bevölkerung oder auch eines Bruchteils von
ihm messtechnisch zu erfassen, wurden zusätzlich abgeleitete Grenzwerte
eingeführt. Zu ihnen gehört die elektrische Ersatzfeldstärke, die in die Berechnung
des Sicherheitsabstands Eingang gefunden hat. Der 3. und der 4. Senat haben
den unter Vorsorgegesichtspunkten für angemessen erachteten SAR-Grenzwert
bei einer Herabsetzung des Grenzwerts der elektrischen Ersatzfeldstärke auf 1/10
als gewährleistet angesehen. Beide Senate sind in ihren Entscheidungen vom
30.12.1994 davon ausgegangen, dass, um dies zu erreichen, der Schutzabstand
für das jeweilige Funksystem auf das Zehnfache zu erhöhen sei. Der 3. Senat hat
auf fachlichen Einwand hin in seinem Beschluss vom 17.08.1995 -- 3 TH 798/94 --
(BauR 1996, 223) seine Auffassung dahin korrigiert, dass, um eine Verminderung
der elektrischen Ersatzfeldstärke auf 1/10 zu erreichen, eine Vergrößerung des
Sicherheitsabstandes nur um den Faktor der Quadratwurzel aus 10, also ungefähr
3, 16, erforderlich ist. Dieser Auffassung folgt der 4. Senat, der seither keine
Gelegenheit hatte, sich zu diesem Punkt zu äußern.
Der beschließende Senat, der mittlerweile allein für Streitverfahren auf dem Gebiet
des Baurechts zuständig ist, hält an der beschriebenen Rechtsprechung aber nicht
länger fest. Er sieht sich zu dieser Änderung seiner Rechtsprechung im
Eilrechtsschutzverfahren einmal dadurch veranlasst, dass ein bei Abfassung
seines Beschlusses vom 30.12.1994 (a.a.O.) gedachter Zeitraum, der bis zu einer
Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren vergehen könnte, inzwischen
verstrichen ist, ohne dass dem Senat zusätzliche Erkenntnisse zur Verfügung
stehen, die es erlauben würden, athermische Wirkungen der Aufnahme von
Hochfrequenzenergie im menschlichen Körper, wie sie unter Beachtung der
geltenden Grenzwerte möglich ist, als schädliche Umwelteinwirkung zu qualifizieren
und für diese Wirkung wiederum eine Grenze anzugeben. Zum anderen hat sich,
wie vom Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss ausgeführt, die
Rechtslage geändert. Mit dem Erlass der 26. BImSchV ist eine zuvor nur durch
technische Regeln, die keine Normqualität haben, gefüllte Lücke im
Immissionsschutz in Bezug auf Einwirkungen durch elektromagnetische Felder
nunmehr durch den Verordnungsgeber zumindest weitgehend und auch im hier
interessierenden Bereich geschlossen werden. In dieser vom nachgeordneten
Gesetzgeber in Erfüllung eines Gesetzesauftrags mit Zustimmung des Bundesrats
und nach Anhörung der beteiligten Kreise getroffenen Regelung ist eine in Kenntnis
des wissenschaftlichen Forschungs- und Meinungsstandes getroffene amtliche,
auch politische, Entscheidung über die Reichweite des Immissionsschutzes
eingeschlossen. Die 26. BImSchV enthält allerdings keine Vorsorgeanforderungen
an Hochfrequenzanlagen zur Berücksichtigung athermischer Wirkungen. Der
entsprechenden Empfehlung des Umweltausschusses des Bundesrates, der das
Plenum des Bundesrats nicht gefolgt ist, hatte der Wirtschaftsausschuss mit der
Begründung widersprochen, die Grenzwerte seien entsprechend der Empfehlung
der SSK auf der Grundlage gesicherter wissenschaftlicher, internationaler
Erkenntnisse festgelegt worden. Zum Schutz der Allgemeinbevölkerung seien die
Werte durch Anwendung zusätzlicher Sicherheitsfaktoren vermindert worden,
womit die Grenzwerte der Verordnung Immissionsschutzes eingeschlossen. Die
26. BImSchV enthält allerdings keine Kenntnisstand mit Gesundheitsgefahren zu
rechnen sei. Den wissenschaftlichen Fragestellungen nach nicht unbedenklichen
biologischen Wirkungen kleiner elektromagnetischer Felder werde dadurch
Rechnung getragen, dass eine Einzelfallentscheidung getroffen werden könne. Die
Annahme unbegründeter Grenzwerte habe unnötige wirtschaftliche Belastungen
zur Folge. Die in der Empfehlung des Umweltausschusses des Bundesrates
ebenfalls vorgesehene allgemeine Vorsorgepflicht für Hochfrequenzanlagen
entbehre jeder wissenschaftlicher Grundlage und würde überdies wegen Fehlens
von Maßstäben für die geforderte Vorsorge zu erheblichen Rechtsunsicherheiten
führen (Bundesrat-Drucksache 393/1/96, S. 5). Das Bundesverfassungsgericht hat
in seinem Beschluss vom 17.02.1997 -- 1 BvR 1658/96 --, BRS 59 Nr. 183
ausgeführt, die Auffassung des Oberlandesgerichts, dass in eine wertende
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ausgeführt, die Auffassung des Oberlandesgerichts, dass in eine wertende
Betrachtung über die Wesentlichkeit von Grundstücksbeeinträchtigungen
bestrittene und noch nicht gesicherte Erkenntnisse nicht einzugehen hätten, sei
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Schutzpflicht für die körperliche
Unversehrtheit, die alle staatliche Organe binde, verlange von den allgemein
zuständigen Gerichten nicht, dass sie nicht verifizierte und teils widersprüchliche
Befunde bestätige und so mit den Mitteln des Prozessrechts ungesicherten
wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Durchsetzung verhelfe. Dieser Ansicht
schließt sich der Senat an (im Ergebnis ebenso Sächsisches OVG, Beschluss vom
17.12.1997 -- 1 S 746/96 --, DÖV 1998, 431 (432) m.w.N.).
Auch das Vorbringen der Antragsteller, sie hätten gegen die
Standortbescheinigung Widerspruch erhoben mit der Folge, dass derzeit für den
Betrieb der Anlage keine wirksame Standortbescheinigung vorliege, ergibt keinen
Anspruch auf Einschreiten gegen den Antragsgegner in dem begehrten Umfang.
Selbst wenn die auf § 6 TKZulV beruhende Bescheinigung nicht nur eine
bauaufsichtlich verwertbare fachspezifische Aussage darstellt, sondern als
feststellender Verwaltungsakt mit Eingriffswirkung anzusehen sein sollte, was der
Senat hier dahingestellt sein lässt, erforderte ein Anspruch auf fehlerfreie
Ermessensbetätigung des Antragsgegners, dass die Antragsteller über die
formelle Wirkung ihres Widerspruchs hinaus die festgestellten
Immissionsgrenzwerte in der Sache erschütterten. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen beruht auf
§ 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht nicht der Billigkeit, diese Kosten für
erstattungsfähig zu erklären, denn die Beigeladene hat sich im
Beschwerdeverfahren nicht geäußert und damit auch nicht das Risiko eigener
Kostentragung gemäß § 154 Abs. 3 VwGO auf sich genommen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1, 14, 20 Abs. 3 GKG. Der Senat
folgt der Wertfestsetzung des Verwaltungsgerichts für das Beschwerdeverfahren.
Hinweis: Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3 Satz 2
GKG). _
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.