Urteil des HessVGH vom 08.11.1993
VGH Kassel: aufschiebende wirkung, vorbescheid, vollziehung, befreiung, gemeinde, aussetzung, grundstück, bebauungsplan, verwaltungsakt, wahrscheinlichkeit
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
3. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 TH 1944/93
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 28 Abs 2 GG, § 80a Abs
3 VwGO, § 80 Abs 1 VwGO,
§ 31 Abs 2 Nr 1 BauGB, § 4
Abs 1 BauGBMaßnG
(Unanwendbarkeit des BauGBMaßnG § 10 Abs 2 bei
Anfechtung eines Vorbescheides; keine
Verwaltungsaktqualität der Anordnung der Aussetzung der
Vollziehung eines VA; zum Anspruch auf Befreiung von den
Festsetzungen des Bebauungsplans (hier: verneint))
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Anordnung
der sofortigen Vollziehung eines Vorbescheides betreffend die Errichtung von zwei
Mehrfamilienhäusern.
Der Antragsteller ist Miteigentümer des Grundstücks Gemarkung Flur 1, Flurstück
378/2. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans "Die und 1.
Änderung für den Ortsteil der beigeladenen Gemeinde. Für diesen Bereich enthält
der Bebauungsplan die Festsetzung "Gärten - private Grünflächen".
Mit am 27.09.1990 bei dem Antragsgegner eingegangener Voranfrage begehrte
der Antragsteller einen Vorbescheid über die Errichtung von zwei
Mehrfamilienhäusern auf dem vorgenannten Grundstück. Die Beigeladene
versagte hierzu unter dem 25.10.1990, bei dem Antragsgegner eingegangen am
05.11.1990, ihr Einvernehmen unter Hinweis auf die im Bebauungsplan
enthaltenen Festsetzungen.
Der Antragsgegner lehnte mit Bescheid vom 20.12.1990 die Erteilung des
begehrten Vorbescheides mit näherer Begründung ab. Gegen den ihm am
07.01.1991 zugestellten Bescheid erhob der Antragsteller Widerspruch. Der
Antragsgegner half diesem Widerspruch mit Vorbescheid vom 04.02.1992 ab.
Gegen den Vorbescheid vom 04.02.1992 erhob die Beigeladene am 14.02.1992
Widerspruch und stellte bei dem Antragsgegner gleichzeitig einen Antrag nach §
80 a Abs. 1 Nr. 2 VwGO. Auf diesen Antrag setzte der Antragsgegner am
05.06.1992 gemäß §§ 80 a Abs. 1 Nr. 2, 80 Abs. 4 VwGO die Vollziehung des
Vorbescheides aus. Zur Begründung führte er im wesentlichen aus, dem
Widerspruch gegen die Ablehnung der Voranfrage habe nur deshalb stattgegeben
werden müssen, weil die Frist von drei Monaten des § 5 Abs. 4 BauGB-
MaßnahmenG verstrichen gewesen sei. Durch die vorgenannte Regelung bleibe
jedoch das Recht der Gemeinde unberührt, einen ohne ihr Einvernehmen erteilten
Vorbescheid mit Erfolg anzufechten. Der Vorbescheid verstoße gegen die
Festsetzungen des Bebauungsplans, da Mehrfamilienhäuser auf dem Grundstück
des Antragstellers unzulässig seien. Dadurch werde die Beigeladene in ihrer durch
Art. 28 GG gewährleisteten Planungshoheit verletzt. Die Sicherung dieser Rechte
könne nur durch eine Aussetzung der Vollziehung des Vorbescheides erfolgen.
Hiergegen hat der Antragsteller mit Schreiben vom 11.06.1992 Widerspruch
erhoben.
Mit am 20.07.1992 bei dem Verwaltungsgericht Gießen eingegangenem Antrag
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Mit am 20.07.1992 bei dem Verwaltungsgericht Gießen eingegangenem Antrag
hat der Antragsteller um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er hat die
Auffassung vertreten, sein Widerspruch gegen die Aussetzung der Vollziehung
habe aufschiebende Wirkung. Die Aussetzung der Vollziehung vom 05.06.1992 sei
auch rechtswidrig, denn sie sei nicht nötig, um Rechte der Beigeladenen zu
sichern. Dieser stünde ausreichend Rechtsschutz gegen die noch ausstehende
Baugenehmigung zu. Der Vorbescheid sei rechtlich nicht zu beanstanden. Das
Vorhaben beurteile sich bauplanungsrechtlich nach § 34 BauGB und sei nach
dieser Vorschrift zulässig. § 30 BauGB finde keine Anwendung, da der
Bebauungsplan aus formellen und materiellen Gründen nichtig sei.
Der Antragsteller hat beantragt,
die verwaltungsrechtliche Anordnung des Antragsgegners vom 5. Juni 1992
aufzuheben,
hilfsweise,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 11. Juni 1992
gegen die verwaltungsrechtliche Anordnung des Antragsgegners vom 5. Juni 1992
anzuordnen,
hilfsweise,
die sofortige Vollziehung des Vorbescheides vom 4. Februar 1992 anzuordnen.
Der Antragsgegner hat beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er hat die Auffassung vertreten, der Hauptantrag sei unzulässig. Insoweit fehle es
dem Antragsteller am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. Der Widerspruch der
Beigeladenen gegen den Vorbescheid vom 13.02.1992 habe aufschiebende
Wirkung, was von ihm ursprünglich zu Unrecht verneint worden sei.
Bauaufsichtliche Genehmigungen im Sinne des § 10 Abs. 2 BauGB-MaßnahmenG
seien anders als in § 5 BauGB-MaßnahmenG nur solche, die die Bauausführung
unmittelbar gestatteten, was beim Vorbescheid nicht der Fall sei. Durch den
Widerspruch der Beigeladenen sei daher gemäß § 80 Abs.1 Satz 2 VwGO die
aufschiebende Wirkung eingetreten. Somit könne der Antragsteller mit dem
vorliegenden Antrag nicht sein Ziel, die Vollziehbarkeit des Vorbescheides,
erreichen. Auch der Hilfsantrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des
Widerspruchs sei unzulässig, da die Außervollzugsetzung eines Verwaltungsakts
keinen Verwaltungsakt darstelle.
Die Beigeladene hat ausgeführt, der Bebauungsplan sei rechtlich nicht zu
beanstanden. Bereits aus der Gemarkungsbezeichnung ergebe sich, daß dieser
Bereich seit Jahrzehnten gärtnerisch genutzt werde. Die Festschreibung dieser
Nutzung im Bebauungsplan habe einer gerechten Abwägung der privaten und
öffentlichen Belange entsprochen. Durch § 5 Abs. 4 BauGB-MaßnahmenG werde
jedoch nicht in die Planungshoheit der Gemeinde eingegriffen. Bei Unwirksamkeit
des Bebauungsplans käme es auf die Wirkungen des § 5 Abs. 4 BauGB-
MaßnahmenG nicht an, da der Vorbescheid dann ohne weiteres auf ihren
Widerspruch hin hätte aufgehoben werden müssen.
Durch Beschluß vom 03.07.1993 hat das Verwaltungsgericht den Antrag des
Antragstellers abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Hauptantrag sei
wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Der Widerspruch der
Beigeladenen gegen den Vorbescheid vom 13.02.1992 habe gemäß § 80 Abs. 1
VwGO aufschiebende Wirkung, so daß mit einer Aufhebung der
Außervollzugsetzung des Vorbescheides die Rechtsposition des Antragstellers
nicht verbessert werden könne. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs sei
nicht nach § 10 Abs. 2 BauGB-MaßnahmenG entfallen, da diese Vorschrift auf
Vorbescheide keine Anwendung finde. Die vom Antragsgegner vorgenommene
Aussetzung der Vollziehung des Vorbescheides sei daher ins Leere gegangen.
Auch das hilfsweise Begehren des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung
seines Widerspruchs gegen die Anordnung des Antragsgegners vom 05.06.1992
anzuordnen, sei unzulässig, denn die Aussetzung des Vollzugs eines
Verwaltungsakts sei - ebenso wie die Anordnung des Vollzugs - kein
Verwaltungsakt im Sinne des § 35 HVwVfG.
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Der weitere Hilfsantrag sei unbegründet. Der dem Antragsteller erteilte
Vorbescheid erweise sich als objektiv rechtswidrig und verletze Abwehrrechte der
Beigeladenen. Bei dieser Sachlage komme eine Verpflichtung der Behörde zur
Anordnung des Sofortvollzugs nicht in Betracht. Der Vorbescheid verstoße gegen §
30 Abs. 1 BauGB und verletze die Beigeladene in ihrer durch Art. 28 GG
geschützten Planungshoheit. Die §§ 5 Abs. 4 und 10 Abs. 2 BauGB-MaßnahmenG
fänden auf Voranfragen keine Anwendung. Die gleichwohl vorgenommene
Erteilung des Vorbescheids führe nicht zur materiellen Rechtmäßigkeit des
Vorhabens unter Ausschluß von Abwehrrechten der Beigeladenen.
Gegen den ihm am 28.07.1993 zugestellten Beschluß hat der Antragsteller am
11.08.1993 Beschwerde eingelegt und mit seinem am 26.10.1993 eingegangenem
Schriftsatz wie folgt begründet: Der Antragsgegner habe seiner Anordnung vom
05.06.1992 jedenfalls dadurch Verwaltungsaktqualität gegeben, daß er ihr eine
Rechtsmittelbelehrung beigefügt habe. Hiergegen seien dieselben Rechtsbehelfe,
also auch Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, zulässig, wie bei
"normalen" Verwaltungsakten. § 5 Abs. 4 BauGB-MaßnahmenG finde auch auf
Anträge Anwendung, die auf Erteilung eines Vorbescheides gerichtet seien und
unter der bauaufsichtlichen Genehmigung im Sinne des § 10 Abs. 2 BauGB-
MaßnahmenG seien auch Vorbescheide zu verstehen. Gleichgültig, ob man dieser
Rechtsauffassung folge, komme es bei der summarischen Prüfung im Eilverfahren
darauf an, ob der Widerspruch der Beigeladenen Aussicht auf Erfolg habe. Bei der
Wirksamkeit des Bebauungsplans widerspreche das Vorhaben zwar dessen
Festsetzungen, allerdings sei der Antragsgegner bei fehlerfreier Ausübung seines
Ermessens verpflichtet, von diesen Festsetzungen Befreiung gemäß § 31 Abs. 2
Nr. 1 BauGB zu erteilen und die Beigeladene zu verpflichten, ihr Einvernehmen
hierzu zu erteilen. Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 BauGB-MaßnahmenG
seien erfüllt, wonach Gründe des Wohls der Allgemeinheit im Sinne des § 31 Abs. 2
Nr. 1 BauGB bei dringendem Wohnbedarf vorlägen. Die bei der Beschließung des
Bebauungsplans getroffene Entscheidung, im Gemeindegebiet "eine grüne Lunge"
zu schaffen, sei unter Berücksichtigung heutiger Verhältnisse nicht mehr
vertretbar. Eine weitere Verdichtung der Wohnbebauung sei hier unschädlich. Der
Widerspruch der Beigeladenen könne daher unabhängig davon, ob ihm der
Suspensiveffekt zukomme, keinen Erfolg haben.
Der Antragsgegner hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert; die
Beigeladene verteidigt den angefochtenen Beschluß.
Die das Vorhaben des Antragstellers betreffenden Verwaltungsvorgänge des
Antragsgegners (1 Hefter) waren Gegenstand der Beratung.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg, denn das
Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes zu Recht abgelehnt.
Haupt- und erster Hilfsantrag des Antragstellers sind unzulässig. Sein
Rechtsschutzziel kann der Antragsteller nur mit dem zweiten Hilfsantrag erreichen.
Der Antrag auf Aufhebung der Außervollzugsetzung ist allerdings statthaft. Mit der
Aufhebung der Außervollzugsetzung würde es bei der Regelung der Vollziehbarkeit
der behördlichen Genehmigung kraft Gesetzes verbleiben. Im vorliegenden Fall
kann der Antragsteller jedoch sein Ziel, nämlich die Vollziehbarkeit des
Vorbescheides, nicht mit der Aufhebung der Außervollzugsetzung erreichen, weil -
wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - der Widerspruch der
beigeladenen Gemeinde gegen den Vorbescheid vom 04.02.1992 gemäß § 80
Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung entfaltet, die nicht durch die Aufhebung einer
fehlerhaften Außervollzugsetzung entfällt, sondern nur durch die Anordnung der
sofortigen Vollziehung. Daher fehlt seinem Aufhebungsantrag das erforderliche
Rechtsschutzinteresse.
§ 10 Abs. 2 BauGB-MaßnahmenG, wonach Widerspruch und Anfechtungsklage
eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Genehmigung eines Vorhabens, das
ausschließlich Wohnzwecken dient, keine aufschiebende Wirkung haben, findet bei
der Anfechtung eines Vorbescheides keine Anwendung. Zur Unrecht zieht der
Antragsteller für seine entgegenstehende Auffassung § 5 Abs. 1 BauGB-
MaßnahmenG heran. Die dort getroffene Regelung "Verfahren über die Erteilung
von Genehmigungen" bezieht zwar im Hinblick darauf, daß § 5 Abs. 2 Halbsatz 1
und Abs. 3 Satz 1 BauGB-MaßnahmenG auch das Teilungsverfahren erfaßt, das
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und Abs. 3 Satz 1 BauGB-MaßnahmenG auch das Teilungsverfahren erfaßt, das
mit seiner Bindungswirkung (§ 21 Abs. 1 BauGB) auch vorbescheidsartigen
Charakter hat, auch Vorbescheidsanträge in den Genehmigungsbegriff mit ein
(vgl. Jäde, UPR, 1991, 50 (56); Schröder, BauGB, 5. Aufl., § 5 BauGB-
MaßnahmenG, Rdnr. 9; Bönker, DVBl. 1993, 134 (136)); dieser Begriff ist jedoch
anders zu verstehen als der Genehmigungsbegriff des § 10 Abs. 2 BauGB-
MaßnahmenG. Während es bei § 5 Abs. 1 Satz 1 BauGB-MaßnahmenG darum
geht, mit der zeitlich befristeten Verkürzung bestimmter Fristen bei der Erteilung
von Genehmigungen die baurechtlichen Genehmigungsverfahren für Wohnbauten
zu beschleunigen, verfolgt § 10 Abs. 2 BauGB-MaßnahmenG den Zweck zu
verhindern, daß Rechtsbehelfe Dritter die Verwirklichung eines Bauvorhabens über
Gebühr verzögern. Bauaufsichtliche Genehmigung im Sinne der zuletzt genannten
Bestimmung ist daher nur die Genehmigung, die die Bauausführung unmittelbar
gestattet. Das sind Teilbaugenehmigung und Baugenehmigung, nicht jedoch der
Vorbescheid (vgl. Jäde, a.a.O., S. 59).
Auch der erste Hilfsantrag ist unzulässig. Die verwaltungsrechtliche Anordnung des
Antragsgegners, mit der er den Vorbescheid vom 04.02.1992 außer Vollzug
gesetzt hat, ist kein Verwaltungsakt, so daß der hiergegen erhobene Widerspruch
des Antragstellers unzulässig ist und keine Suspensivwirkung gemäß § 80 Abs. 1
Satz 1 VwGO entfalten kann. Die Aussetzung der Vollziehung bezweckt, ebenso
wie die Anordnung der sofortigen Vollziehung, nicht den Abschluß einer
Verwaltungssache, sondern betrifft nur die Frage, ob eine getroffene Regelung
bereits vor ihrer formellen Bestandskraft vollzogen werden kann. Die Entscheidung
über die Vollziehung ist daher nach überwiegender Auffassung, der der Senat folgt,
kein Verwaltungsakt (vgl. OVG Koblenz, Beschluß vom 25.11.1987, NVwZ 1988,
748; Simon, Bayerische Bauordnung, Stand: April 1993, Art. 74 Rdnr. 73).
Der zulässige zweite Hilfsantrag ist unbegründet. Was das Verwaltungsgericht
hierzu ausgeführt hat, ist zutreffend. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine
andere Beurteilung der Sach- und Rechtslage. Zur Vermeidung von
Wiederholungen nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des
Verwaltungsgerichts mit den nachfolgenden Ergänzungen Bezug. Bei der
Entscheidung des Gerichts über einen Antrag des Bauherrn auf Anordnung der
sofortigen Vollziehung einer bauaufsichtlichen Genehmigung gemäß § 80 a Abs. 3
Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 VwGO gegen die ein Dritter Widerspruch mit der Folge
des § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO erhoben hat, ist eine Abwägung der privaten
Interessen des Bauherrn an der Vollziehung der Genehmigung und der Interessen
des Dritten an der Vollzugsaussetzung vorzunehmen, wobei in die Abwägung auch
die Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg des Rechtsbehelfs des Dritten unterhalb der
Stufe der Offensichtlichkeit einzubeziehen ist. Im vorliegenden Fall ergibt die
Abwägung, daß das Interesse der beigeladenen Gemeinde an einer
Vollzugsaussetzung gegenüber dem Interesse des Antragstellers an einer
sofortigen Vollziehung des Vorbescheides überwiegt, denn der dem Antragsteller
erteilte Vorbescheid wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit als rechtswidrig
erweisen und die Beigeladene in ihrer durch Art. 28 Abs. 2 GG gewährleisteten und
in § 2 Abs. 1 Satz 1 BauGB durch die Worte "in eigener Verantwortung"
konkretisierten kommunalen Planungshoheit verletzen. Das Vorhaben des
Antragstellers beurteilt sich bauplanungsrechtlich nach § 30 BauGB, weil es auf
einem Grundstück ausgeführt werden soll, das im Geltungsbereich des
Bebauungsplans der Beigeladenen "Die liegt, gegen dessen Gültigkeit der
Antragsteller im Beschwerdeverfahren ernsthaft keine Bedenken mehr erhoben
hat und Bedenken auch sonst nicht ersichtlich sind. Den für das Grundstück des
Antragstellers getroffenen Festsetzungen als "Gärten - private Grünflächen"
widerspricht eine Wohnbebauung, was der Antragsteller selbst einräumt. Er ist
allerdings der Auffassung, daß die Voraussetzungen für die Erteilung einer
Befreiung von diesen Festsetzungen nach § 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB vorlägen, weil
Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Befreiung erforderten. Derartige Gründe
lägen gemäß § 4 Abs. 1 BauGB-MaßnahmenG vor, wenn - wie hier - ein dringender
Wohnbedarf gegeben sei. Dem vermag der Senat im Ergebnis nicht zu folgen. Es
kann dahingestellt bleiben, ob der Antragsgegner hier aufgrund des verweigerten
Einvernehmens der Gemeinde den Vorbescheid trotz eingetretener
planungsrechtlicher Zulässigkeitsfiktion gemäß § 5 Abs. 4 BauGB-MaßnahmenG
wegen Vorliegens der Voraussetzungen einer Rücknahme hätte versagen (so Jäde,
a.a.O., S. 58) oder ihn sofort, d. h. im selben Bescheid wieder zurücknehmen
können (so Köhler in Schrödter, BauGB, 5. Aufl., BauGB-MaßnahmenG, § 5 Rdnr.
11), denn die Erteilung eines Vorbescheides auf der Grundlage der
planungsrechtlichen Zulässigkeitsfiktion des § 5 Abs. 4 BauGB-MaßnahmenG
vermag an der materiellen Rechtswidrigkeit ebensowenig etwas zu ändern, wie an
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vermag an der materiellen Rechtswidrigkeit ebensowenig etwas zu ändern, wie an
der Möglichkeit Dritter, hiergegen vorzugehen und die Verletzung eigener Rechte
geltend zu machen.
Die Voraussetzungen für einen Anspruch des Antragstellers auf Gewährung einer
Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans liegen nicht vor. Zwar dient
die Errichtung der geplanten Wohnungen der Deckung dringenden Wohnbedarfs,
so daß gemäß § 4 Abs. 1 BauGB-MaßnahmenG Gründe des Wohls der
Allgemeinheit im Sinne des § 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB vorliegen; die Befreiung muß
jedoch auch mit den öffentlichen Belangen vereinbar sein, wobei auch die
beispielhaft in § 1 Abs. 5 und § 35 Abs. 3 BauGB genannten öffentlichen Belange in
Betracht kommen. Die geplanten Mehrfamilienhäusern stehen mit dem Belang
der Gestaltung des Orts- und Landschaftsbildes, des Naturschutzes und der
Landschaftspflege (§ 1 Abs. 5 Nr. 4 und 7, § 35 Abs. 3 5. und 7. Spiegelstrich
BauGB) der in diesem Bereich nach dem unwidersprochenen Vorbringen der
Beigeladenen seit Jahrzehnten vorhandenen gärtnerischen Nutzung der
Grundstücke nicht im Einklang. Die Gestaltung des Landschaftsbildes bedeutet,
daß bei der Bauleitplanung die naturgegebene Lage in Betracht zu ziehen ist und
daß das Gesamtbild der Landschaft nicht zerrissen werden darf.
Planungsrechtliche Konsequenzen können in bezug auf das Landschaftsbild u. a.
durch Festsetzungen über nicht überbaubare Grundstücksflächen, durch
öffentliche oder - wie hier - durch private Grünflächen (§ 9 Nr. 15 BauGB) getroffen
werden. Der Auffassung des Antragstellers, daß die planerische Entscheidung der
Beigeladenen in ihrem Gemeindegebiet eine "grüne Lunge" zu schaffen, jedenfalls
unter Berücksichtigung heutiger Verhältnisse nicht mehr vertretbar sei, vermag
der Senat nicht zu teilen. Dem Belang "Klima" kommt auch heute, wie die
Regelung des § 1 Abs. 5 Nr. 7 BauGB zeigt, eine besondere Bedeutung zu. Er
gehört zu den umweltrelevanten Belangen der Bauleitplanung. Grünflächen
können die Durchlüftung von Siedlungen günstig beeinflussen, da sich über ihnen
nach Sonnenuntergang Kaltluft bildet und so eine Luftzirkulation mit einem
Temperaturaustausch zu benachbarten Baugebieten entsteht (vgl. Söfker in Ernst-
Zinkahn-Bielenberg, BauGB, Stand: 01.11.1992, § 1 Rdnr. 155). Damit stehen sich
hier widerstreitende öffentliche Belange entgegen, wobei die öffentlichen Belange
der Gemeinde nicht gegenüber anderen öffentlichen Belangen unverhältnismäßig
zurückgesetzt werden dürfen. Die Ermessenserwägungen der Beigeladenen und
des Antragsgegners für die Ablehnung einer Befreiung beruhen daher auf
sachlichen Erwägungen und sind nicht zu beanstanden.
Die Beschwerde ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO
zurückzuweisen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind gemäß §
132 Abs. 3 VwGO nicht erstattungsfähig. Es würde nicht der Billigkeit entsprechen,
diese Kosten dem Antragsteller aufzuerlegen, denn die Beigeladene hat keinen
Antrag gestellt und damit auch nicht das Risiko eigener Kostentragung gemäß §
154 Abs. 3 VwGO auf sich genommen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.