Urteil des HessVGH vom 24.02.1993

VGH Kassel: allgemeine vertragsbedingungen, veranstaltung, flugblatt, gefahr, stadt, halle, widmung, magistrat, hessen, ausländerpolitik

1
2
3
4
Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
6. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 TG 414/93
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 20 Abs 3 GG, Art 21
GG, § 19 Abs 1 GemO HE, §
20 Abs 1 GemO HE, § 20
Abs 3 GemO HE
(Zulassung einer Partei zu einer gemeindlichen öffentlichen
Einrichtung - Gefahr gewalttätiger Gegenreaktionen)
Gründe
Die zulässige Beschwerde, die sich nach dem in der Beschwerdeschrift
enthaltenen Kurzrubrum nur noch gegen die Stadt richtet, ist zulässig, aber
unbegründet.
Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Erlaß der begehrten einstweiligen
Anordnung nicht glaubhaft gemacht (§§ 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 VwGO, 920 Abs.
2, 294 ZPO). Grundsätzlich sind juristische Personen und Personenvereinigungen
mit Sitz in der Gemeinde berechtigt, die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde
zu benutzen, allerdings nur "im Rahmen der bestehenden Vorschriften" (§ 20 Abs.
1 und 3 Hessische Gemeindeordnung -- HGO --). Zu den "bestehenden
Vorschriften" gehören neben Regeln über die Zweckbestimmung (Widmung) und
Benutzung auch das sonstige geltende Recht (vgl. Bundesverwaltungsgericht,
Urteil vom 18. Juli 1969 -- VII C 56.68 -- BVerwGE 32, 333 <337>, und Hess.VGH,
Beschluß vom 26. März 1987 -- 2 TG 820/87 -- HSGZ 1987, 263). Danach kann die
Benutzung gemeindlicher Einrichtungen eingeschränkt oder sogar ausgeschlossen
werden bei Gefahren, die sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der
Mittel auf andere Weise nicht angemessen vermeiden lassen.
§ 5 der Allgemeinen Vertragsbedingungen der Stadthallen GmbH, wonach allein
der Vermieter die Entscheidung darüber trifft, ob und inwieweit eine Veranstaltung
zugelassen wird, kann allerdings den grundsätzlichen Nutzungsanspruch der
Berechtigten nach § 20 HGO nicht in Frage stellen. Durch Benutzungsregelungen
oder Allgemeine Vertragsbedingungen können Rechte aus § 20 HGO nicht
dergestalt verringert werden, daß es in das Belieben der Gemeinde oder einer von
ihr beauftragten Verwaltungsgesellschaft gestellt wird, ob ein Nutzungsrecht
gewährt wird. Als Kompetenzregelung mag eine derartige Bestimmung, die einer
Verwaltungsgesellschaft die Zuständigkeit überträgt, zulässig sein, als Vorschrift,
daß nach Belieben verfahren werden kann, jedoch nicht. Hier hat die Stadthallen
GmbH ausdrücklich dargelegt, daß der Magistrat entscheiden werde, ob dem
Antragsteller die Halle vermietet werde. Daraus ergibt sich, daß von der
Stadthallen GmbH § 5 der Allgemeinen Vertragsbedingungen nicht als
Zuständigkeitsregelung angesehen wurde. Zugleich folgt aus dieser Erklärung, daß
der Antragsteller den Antrag, über den hier zu entscheiden ist, zu Recht gegen die
Stadt gerichtet hat.
Nutzungsmöglichkeiten können einer Partei als Veranstalter auch nicht schon
dann als sogenanntem "Zweckveranlasser" versagt werden, wenn zu erwarten ist,
daß eine rechtlich unbedenkliche Veranstaltung Gefahren nach sich zieht, die
durch Dritte hervorgerufen werden. In diesen Fällen gebietet es der Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit, im Rahmen des Möglichen den rechtswidrig hervorgerufenen
Gefahren zu begegnen und nicht das rechtmäßige Handeln zu unterbinden.
Insoweit gilt das gleiche wie in den Fällen, in denen die Rechtsordnung
Berechtigungen einräumt, die gefahrbringende Folgen haben können (z.B.
rechtmäßige Kündigung des Mieters, der sodann obdachlos wird). Politische
5
6
7
8
rechtmäßige Kündigung des Mieters, der sodann obdachlos wird). Politische
Parteien und deren Funktionäre dürfen mit allgemein erlaubten Mitteln an der
Bildung des politischen Willens des Volkes mitwirken, eine Regel die selbst für
verfassungswidrige Parteien gilt, solange sie nicht gem. Art. 21 Abs. 2 GG vom
Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden sind (vgl.
Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 21. März 1961 -- 2 BvR 27/60 -- NJW 1961,
723). Gefahren, die sie durch solches Verhalten "provoziert" haben, vermögen
Einschränkungen ihrer Handlungsfreiheit nicht zu begründen, es sei denn, daß sich
ernste Gefahren oder Schäden auf andere Weise nicht abwenden lassen (vgl.
Bundesverwaltungsgericht, Beschluß vom 18. Juli 1969 a.a.O.). Würde anders
verfahren, hinge die Nutzung gemeindlicher Einrichtungen durch zugelassene
Parteien davon ab, wie weit dabei Störer auftreten mit der Folge, daß die
Durchführung von Veranstaltungen zugelassener Parteien von dem Verhalten von
Personen abhinge, die es darauf anlegen, solche Veranstaltungen unmöglich zu
machen. Da auch rechtmäßiges Handeln rechtswidriges Tun provozieren kann,
folgt der Senat daher nicht der allgemein gehaltenen Formulierung des
Verwaltungsgerichts, der Antragsteller habe die durch die Gegendemonstrationen
zu erwartende Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch sein eigenes
vorausgegangenes provozierendes Verhalten in hohem Maße mitverursacht und
sei daher als Zweckveranlasser dafür verantwortlich. Überdies läßt sich allenfalls
vermuten, aber kaum beweisen, daß Reaktionen gegen eine
Wahlkampfveranstaltung durch eine Flugblattaktion der veranstaltenden Partei
hervorgerufen oder verstärkt werden.
Die Voraussetzungen dafür, daß der Antragsteller als Gliederung einer
zugelassenen Partei die Benutzung der Stadthalle am 27. Februar 1993
beanspruchen kann, sind dennoch nicht glaubhaft gemacht, denn es besteht die
Gefahr, daß es bei der Nutzung der Halle zu Rechtsverstößen kommt, die dem
Antragsteller zuzurechnen sind. Da die Ausländerpolitik ein zentrales Thema der
Partei des antragstellenden Stadtverbandes ist, deswegen in der geplanten
Wahlkampfveranstaltung am 27. Februar 1993 mit Äußerungen dazu zu rechnen
ist, welche den bisherigen entsprechen, die der Antragsteller für legitim hält, und
dazu auch die Darstellungen in dem in der Stadt verteilten Flugblatt des
Kreisverbandes der Partei des Antragstellers gehörten, ist es wahrscheinlich, daß
sich die Veranstaltung nicht im Rahmen der Rechtsordnung und damit der politisch
erlaubten Mittel halten wird, an der auch die Funktionäre zugelassener Parteien ihr
Handeln auszurichten haben (vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 21. März
1961 a.a.O.).
Das Flugblatt erfüllt objektiv den Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130
Strafgesetzbuch), indem es die in Deutschland lebenden Ausländer als einen
Bevölkerungsteil böswillig verächtlich macht. Unter einem Bild, das anscheinend
demonstrierende Moslems darstellt, wird die Sure 33, Vers 27 des Korans mit den
Worten zitiert: "Allah hat Euch zu Erben gesetzt über die Ungläubigen (das sind
wir), über ihre Äcker und Häuser, über all ihre Güter und über alle Lande, in denen
Ihr Fuß fassen werdet.....". Darunter steht fettgedruckt: "Und sie fassen immer
dreister Fuß, dank ihrer Bonner und Wiesbadener Helfershelfer!". Im unteren Teil
heißt es "multikultureller multikrimineller Alltag in Deutschland". Sodann werden
sechs Notizen aus verschiedenen Zeitungen über Kapitalverbrechen von
Ausländern wiedergegeben. Anschließend steht fettgedruckt: "Achtung: Bei einem
Unfall mit einem Asylbewerber, welcher unversichert fährt (und immer mehr fahren
Autos der Mittelklasse), zahlt keiner Ihren Schaden. Sozialhilfe ist nicht pfändbar!"
Ein weiteres Bild zeigt eine vor einem Tor oder durch ein Tor drängende Menge
ausländisch aussehender Menschen mit der Überschrift "Auf auf ins rot-grüne
Hessen -- auf nach Gelnhausen, Hanau, Maintal -- viel Money -- nix Arbeit -- gut
AOK!"
Mit den verallgemeinernden Aussagen, die Moslems faßten im Sinne des zitierten
Koranverses "immer dreister Fuß" und die Kriminalität sei ebenso kennzeichnend
für Ausländer, wie die Inanspruchnahme von Geld- und Versicherungsleistungen
ohne zu arbeiten, wird die Menschenwürde der Ausländer als Teil der Bevölkerung
zumindest dadurch angegriffen, daß die in Deutschland lebenden Ausländer
böswillig verächtlich gemacht werden (§ 130 Nr. 3 StGB), wenn nicht sogar zum
Haß gegen die Ausländer aufgestachelt wird (§ 130 Nr. 1 StGB). Die Parteien und
ihre Funktionäre haben jedoch alles zu unterlassen, was nach den allgemeinen
Rechtsvorschriften verboten ist (Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 21. März
1961, a.a.O.).
Das Flugblatt ist dem Antragsteller auch zuzurechnen. Wie weit fehlerhaftes
8
9
10
Das Flugblatt ist dem Antragsteller auch zuzurechnen. Wie weit fehlerhaftes
Handeln einer einzelnen Parteigliederung einer anderen zuzurechnen sein mag,
kann im Einzelfall zweifelhaft sein. Hier bestehen derartige Zweifel nicht, denn für
das auch im Gebiet des Antragstellers verteilte Flugblatt ist nach dessen Aufdruck
der Kreisverband der Partei verantwortlich, dessen Vorsitzender auch Vorsitzender
des Antragstellers ist und das nach dessen eidesstattlicher Versicherung im
August 1992 verteilt wurde. Das Verhalten einer höheren Parteigliederung, in
deren Gebiet sich eine untere Parteigliederung (hier der Stadtverband) befindet,
müßte diesem selbst dann zugerechnet werden, wenn die Vorsitzenden der beiden
Gliederungen nicht personengleich wären, solange sich die Untergliederung nicht
klar und eindeutig von dem Handeln der oberen Parteigliederung distanziert,
anstatt die Verteilung im eigenen Gebiet zuzulassen.
Da der Antragsteller nach seinem Vortrag in der Beschwerdebegründung das
Flugblatt für "rechtlich legitim" und als "Ausdrucksmittel des politischen
Meinungskampfes" für zulässig hält und die vorgesehene Veranstaltung
Wahlkampfzwecken dient, besteht die Wahrscheinlichkeit, daß derartige
Äußerungen, die als Straftaten jedoch nicht durch das Grundrecht der
Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) geschützt sind, wiederholt werden, zumal die
Ausländerproblematik ein zentrales Thema der Partei des Antragstellers ist.
Besteht aber eine erhebliche Gefahr, daß durch Redner bei der Veranstaltung
erneut gegen § 130 StGB verstoßen wird, dann besteht kein Anspruch auf
Überlassung einer öffentlichen Einrichtung (vgl. zur Überlassung Öffentlicher
Einrichtungen zu Aufrufen zum Volkszählungsboykott, BayVGH, Beschluß vom 20.
März 1987 -- 4 CE 87.00861 -- BayVBl 1987, 403; VGH Mannheim Beschluß vom
20. Mai 1987 -- 1 S 1278/87 -- NJW 1987, 2698). Schon der Widmungszweck
gemeindlicher Versammlungsräume, die sozialen und kulturellen Zwecken dienen
sollen (§ 19 Abs. 1 HGO), schließt deren rechtswidrige Nutzung aus, denn die
Widmung steht unter dem selbstverständlichen Vorbehalt, daß ihre Nutzung durch
Dritte im Rahmen der Rechtsordnung erfolgt (vgl. schon Schulke, BayVBl. 1961,
206 <207>). Der Magistrat der Antragsgegnerin als an Recht und Gesetz
gebundenes Exekutivorgan (Art. 20 Abs. 3 GG) ist nicht verpflichtet, die beantragte
voraussichtlich rechtswidrige Nutzung zuzulassen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.