Urteil des HessVGH vom 25.10.2004
VGH Kassel: wiedereinsetzung in den vorigen stand, klagefrist, hindernis, vertretung, gleichstellung, quelle, zivilprozessrecht, immaterialgüterrecht, dokumentation, rechtsberatung
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
5. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 TP 2880/04
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 60 Abs 1 VwGO, § 74
VwGO, § 188 VwGO
(Prozesskostenhilfe; Nichtbescheidung;
Klagefristversäumung; Wiedereinsetzung)
Leitsatz
Die Nichtbescheidung eines innerhalb der Klagefrist eingereichten
Prozesskostenhilfeantrages vor Ablauf dieser Frist stellt in gerichtskostenfreien
Verfahren nach § 188 VwGO auch dann kein der Klageerhebung entgegenstehendes
Hindernis im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO dar, wenn der Antrag von einem Rechtsanwalt
gestellt oder die Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt wird (Fortführung der
Rechtsprechung des 9. Senats des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs, vgl. Beschluss
vom 19. November 1993 - 9 TP 2075/93 -, HessVGRspr. 1994, 33 = AnwBl. 1994, 431;
Urteil vom 24. Oktober 1995 - 9 UE 1050/94 -).
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Kassel vom
25. August 2004 - 5 E 1468/04 - wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht
erstattet.
Gründe
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Versagung der beantragten
Prozesskostenhilfe durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Kassel vom 25.
August 2004 ist zulässig, jedoch nicht begründet. Nach summarischer Prüfung
geht auch der Senat davon aus, dass der Antrag auf Bewilligung von
Prozesskostenhilfe für das am 16. Juni 2004 anhängig gemachte Klageverfahren
abzulehnen ist, weil die Voraussetzungen des § 166 VwGO in Verbindung mit § 114
ZPO nicht vorliegen. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die
Klage mit dem Ziel der Gewährung von Ausbildungsförderung nicht fristgerecht
erhoben worden ist und eine Wiedereinsetzung in die Klagefrist gemäß § 60 VwGO
nicht in Betracht kommt. Zutreffend weist das Verwaltungsgericht darauf hin, dass
in gerichtskostenfreien Verfahren gemäß § 188 VwGO der innerhalb der Klagefrist
des § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO gestellte und noch nicht beschiedene Antrag auf
Bewilligung von Prozesskostenhilfe kein der Klageerhebung entgegenstehendes
Hindernis im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO darstellt.
Auch das Beschwerdevorbringen enthält keine Gesichtspunkte, die eine Änderung
der erstinstanzlichen Entscheidung rechtfertigen. Insbesondere verletzt der die
Prozesskostenhilfe versagende Beschluss des Verwaltungsgerichts nicht den
verfassungsrechtlich gebotenen Gleichstellungsgrundsatz von bemittelten und
unbemittelten Verfahrensbeteiligten.
Hierzu hat der früher für Streitigkeiten nach dem
Bundesausbildungsförderungsgesetz zuständige 9. Senat des Hessischen
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Bundesausbildungsförderungsgesetz zuständige 9. Senat des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs in seinem Urteil vom 24. Oktober 1995 - 9 UE 1050/94 -
ausgeführt:
"Einer mittellosen Partei ist es zwar nicht zuzumuten, Klage zu erheben, wenn sie
sich damit einem Kostenrisiko aussetzt, das sie nicht zu tragen vermag. Deshalb
wird ihr auch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der
Klagefrist gewährt, wenn sie innerhalb dieser Frist Prozesskostenhilfe beantragt
hat. In einem - wie hier - gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfreien
Verfahren setzt sich die mittellose Partei jedoch mit der Klageerhebung keinem
Kostenrisiko aus. Ihre eigenen, die dem Gegner und möglicherweise die einem
Beigeladenen entstehenden Aufwendungen hat sie zwar im Falle eines
Unterliegens auch in solchen Verfahren zu tragen (§ 154 Abs. 1, § 162 Abs. 1 und
3 VwGO). Vor diesem Risiko würde sie jedoch auch durch die Gewährung von
Prozesskostenhilfe nicht geschützt (§ 166 VwGO in Verbindung mit §§ 122 Abs. 1,
123 ZPO). Das Bundesverwaltungsgericht hat deshalb auch entschieden
(Beschluss vom 17. Februar 1989 - 5 ER 612.89 -, NVwZ-RR 1989, 665 = Buchholz
310 Nr. 161 zu § 60 VwGO), dass in gerichtskostenfreien Verfahren ein innerhalb
der Klagefrist gestellter Prozesskostenhilfeantrag kein der Klageerhebung
entgegenstehendes Hindernis im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO darstellt. Das gilt
nach der Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 19. November 1993 - 9 TP
2075/93 -, DVBl. 1994, 822 - Ls -) und anderer Oberverwaltungsgerichte (VGH
Mannheim, Urteil vom 20. Januar 1986 - 7 S 2303/85 -, NJW 1986, 2270; OVG
Bremen, Beschluss vom 9. Juli 1987 - 2 B 44/87 -, ZfSH/SGB 1988, 150 = NJW
1988, 842 - Ls - und OVG Berlin, Beschluss vom 17. Januar 1994 - 6 B 62.93 -,
DVBl. 1994, 805; a. A. OVG Münster, Urteil vom 13. Dezember 1982 - 8 A 1344/82
-, NJW 1983, 2046) auch dann, wenn ein Antragsteller bereits anwaltlich vertreten
ist und/oder mit dem Antrag auf Prozesskostenhilfe die Beiordnung eines Anwalts
beantragt wird. Zur Erhebung einer Klage ist die Zuziehung eines Anwalts nicht
erforderlich. Alles dafür Notwendige kann bei Anfechtungs- und
Verpflichtungsklagen - andere Klagen können ohne Einhaltung einer Klagefrist
erhoben werden - der dem Verwaltungsakt beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung
entnommen werden. Der mittellose Rechtsuchende wird selbst dann nicht an einer
Klageerhebung gehindert, wenn eine anwaltliche Vertretung im Sinne von § 121
Abs. 2 Satz 1 ZPO erforderlich erscheint. Auch in diesem Falle wird die
Rechtsverfolgung ohne eine vorherige Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht
unverhältnismäßig erschwert. Sofern eine anwaltliche Beratung vor Klageerhebung
geboten ist, wird eine Gleichstellung wirtschaftlich schwächerer Personen mit
wirtschaftlich Stärkeren durch die Bereitstellung der hierzu erforderlichen Mittel im
Rahmen des Gesetzes über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit
geringem Einkommen - Beratungshilfegesetz - gewährleistet. Nach § 4 Abs. 2 Satz
4 dieses Gesetzes kann sich ein Rechtsuchender sogar unmittelbar an einen
Rechtsanwalt wenden und einen Antrag auf Beratungshilfe nachträglich stellen.
Falls die Vertretung durch einen Rechtsanwalt in einem sich anschließenden
Klageverfahren geboten ist, kann noch nach Klageerhebung Prozesskostenhilfe
unter Beiordnung eines Anwalts beantragt werden. Die Beantragung und die
Bescheidung dieses Antrags vor Klageerhebung ist in den von § 188 Satz 2 VwGO
erfassten Verfahren jedenfalls zur Gewährleistung einer Gleichstellung von
bemittelten und unbemittelten Beteiligten bei der Rechtsverfolgung nicht
erforderlich (Beschluss des Senats vom 19. November 1993, a. a. O.)."
Dieser Auffassung, die im Einklang mit der nahezu einhelligen neueren
Rechtsprechung der anderen Oberverwaltungsgerichte steht (vgl. dazu VGH
Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 22. Mai 2001 - 7 S 646/01 -, NVwZ-RR 2001,
802 = DVBl. 2001, 1779 (Ls), und vom 2. Mai 1996 - 7 S 297/95 -, NVwZ-RR 1997,
502 = VBlBW 1996, 339; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 26. März 1999 - 12
E 12427/98 -, Juris; OVG Hamburg, Beschluss vom 5. Februar 1998 - Bs IV 171/97 -
, NJW 1998, 2547; offen gelassen OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom
8. September 2004 - 1 O 280/04 -, Juris), schließt sich der Senat aus den
dargelegten Gründen an.
Die Beschwerde der Antragstellerin ist nach allem mit der Kostenfolge aus § 154
Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Gerichtskosten werden nach § 188 Satz 2 VwGO
nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nach § 127 Abs. 4 ZPO in
Verbindung mit § 166 VwGO nicht erstattet.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.