Urteil des HessVGH vom 14.08.1990

VGH Kassel: berufsunfähigkeit, gemeinschaftspraxis, bemessung der beiträge, gutachter, zumutbare tätigkeit, erwerbsfähigkeit, avg, begriff, ausbildung, bfa

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
11. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
11 UE 2092/89
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 5 Abs 2 HeilBerG HE vom
24.04.1986, § 2 Abs 2
ÄKammerVersorgWSa HE,
§ 3 Abs 1
ÄKammerVersorgO HE
(Zum Begriff der Berufsunfähigkeit in der
Versorgungsordnung der Landesärztekammer Hessen)
Tatbestand
Die am 16.04.1926 geborene Klägerin war bis zum 30.06.1984 als Ärztin für
Orthopädie in eigener Praxis tätig. Mit Schreiben vom 18.05.1984, das am 01.06.
1984 bei dem Versorgungswerk der Beklagten einging, teilte sie mit, daß ihr
Gesundheitszustand sie dazu zwinge, ihre Praxis an einen jungen Kollegen
abzugeben und beantragte formlos die Gewährung von Berufsunfähigkeitsrente.
Ausweislich des von ihr am 15.07.1984 ausgefüllten Fragebogens zu dem Antrag
auf Berufsunfähigkeitsrente stellte die Klägerin ihre gesamte ärztliche Tätigkeit seit
dem 30.06.1984 ein und verzichtete seit diesem Tag auf die RVO- und
Ersatzkassenzulassung. Ihre Praxis wurde ab 01.07.1984 von einem Nachfolger
weitergeführt.
In einem für die Kassenärztliche Vereinigung H erstellten ärztlichen Gutachten des
Dr. B vom 16.07.1984 wurde festgestellt, daß die Klägerin nicht voll berufsunfähig
sei, jedoch ihre bisherige Tätigkeit auch nicht ohne Einschränkungen fortgesetzt
werden könne. Eine Fortsetzung der bisherigen Tätigkeit sei möglich unter Mithilfe
eines Assistenzarztes oder in einer Gemeinschaftspraxis. Ein unter dem 20. März
1985 erstelltes fachärztliches orthopädisches Gutachten des Prof. Dr. med. E
gelangte zu dem Ergebnis, daß die Klägerin als alleinpraktizierende Fachärztin für
Orthopädie nicht mehr voll berufsfähig sei und die bisher ausgeübte Tätigkeit ohne
Einschränkungen nicht mehr fortgesetzt werden könne. Die bisherige Tätigkeit
könne allerdings fortgesetzt werden in einer Gemeinschaftspraxis oder unter
Mithilfe eines Assistenzarztes. Darüber hinaus hielt der Gutachter die Klägerin für
fähig, als Ärztin im Beratungs- und Gutachterdienst tätig zu sein. Eine
Berufsunfähigkeit auf orthopädischem Fachgebiet sei nicht gegeben.
Mit Bescheid 16.04.1985 lehnte die Beklagte daraufhin den Antrag der Klägerin auf
Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente ab. Zur Begründung wurde ausgeführt,
gemäß § 3 der Versorgungsordnung des Versorgungswerkes der
Landesärztekammer H sei Voraussetzung für die Zahlung einer
Berufsunfähigkeitsrente, daß gutachterlicherseits festgestellt werde, daß der
Antragsteller zur Ausübung des ärztlichen Berufs im allgemeinen nicht mehr fähig
sei. Im vorliegenden Fall hätten jedoch beide Gutachter die völlige
Berufsunfähigkeit der Antragstellerin nicht bejaht. Den hiergegen am 26.04.1985
eingelegten Widerspruch der Klägerin wies der Aufsichtsausschuß des
Versorgungswerks der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 19.07.1985 unter
Hinweis auf die Bestimmung des § 3 der Versorgungsordnung und die
vorliegenden Gutachten zurück.
Am 08.08.1985 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben, mit der sie ihr
Begehren auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente weiterverfolgt.
Zur Begründung trug sie u. a. vor, sie sei bis zum 01.07.1984 in eigener
Kassenarztpraxis mit etwa 15prozentigem Privatanteil tätig gewesen. Ihre Praxis
habe sie abgeben müssen, da sie seit Herbst 1983 einen kontinuierlichen
krankheitsbedingten Leistungsabfall habe konstatieren müssen, angesichts
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krankheitsbedingten Leistungsabfall habe konstatieren müssen, angesichts
dessen die Aufrechterhaltung der Kassen- und Privatpraxis nicht mehr
gewährleistet gewesen sei. So habe sie die Nachmittagssprechstunden überhaupt
nicht mehr durchführen können, so daß sowohl die Zuweisungen von Kollegen
nachgelassen hätten als auch der Patientenstrom von Primärpatienten sich immer
mehr verringert habe. Die Praxis habe sich von zunächst 900 Scheinen rapide auf
500 Scheine verkleinert. Beide Gutachter hätten übereinstimmend festgestellt,
daß eine teilweise Berufsunfähigkeit gegeben sei. Sie hätten ferner konstatiert,
daß sie, die Klägerin, die bisherige Tätigkeit ohne Einschränkungen nicht mehr
habe fortsetzen können. Soweit die Gutachter jedoch die Möglichkeit
angesprochen hätten, eine Gemeinschaftspraxis zu führen oder einen Assistenten
einzustellen, sei das unrealistisch und entspräche nicht der Aufgabe ärztlicher
Gutachter, die damit überfordert seien. Die Annahme der Gutachter, die Praxis
könne als Gemeinschaftspraxis fortgesetzt werden, verkenne, daß sie in ihrem
Alter mit ihren entsprechenden gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr
partnerschaftsfähig sei und ihre Praxis von der Grundstruktur her und aus
räumlicher Sicht keine Möglichkeit für die Bildung einer Gemeinschaftspraxis
geboten habe, zumal ein zweites Sprechzimmer nicht vorhanden gewesen sei. Im
übrigen könnten sich zwei Ärzte bei der Gewinnsituation der Praxis nicht ernähren,
eine Ausweitung der Praxis sei auf Grund der Lage in W mit einem nur
beschränkten Einzugsgebiet von Menschen nicht in dem notwendigen Umfange
möglich. Es sei ihr auch unmöglich, einen Assistenten zu beschäftigen. Die
Gewinnsituation der Praxis erlaube es nicht, einen Assistenten zu bezahlen, der
zur Zeit monatlich mindestens 6.000,00 DM koste. Es komme hinzu, daß durch die
Beschäftigung ständig wechselnder Assistenten -- einen Dauerassistenten könne
man nicht bekommen -- die Praxis sich nicht stabilisiere, sondern im Gegenteil ein
Einkommensverlust hingenommen werden müsse. Unter Berücksichtigung all
dieser Umstände sei davon auszugehen, daß sie, die Klägerin, berufsunfähig sei,
zumal auch das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. med. F eindeutig
zu dem Ergebnis geführt habe, daß eine Wiederherstellung ihrer Arbeitskraft nicht
mehr zu erhoffen sei. Auch ein Bedarf an Fachärzten für Orthopädie im Beratungs-
und Gutachterdienst im Bereich W bestehe nicht. Im übrigen sei eine solche
Tätigkeit nicht das, was den Arztberuf ausmache. Das sei typischerweise die
Tätigkeit als freiberuflicher niedergelassener Arzt. Zu einer solchen Tätigkeit sei sie
jedoch nicht mehr in der Lage.
Die Klägerin beantragte,
den Bescheid der Landesärztekammer vom 16.04.1985 und den
Widerspruchsbescheid vom 19.07.1985 aufzuheben und die Beklagte zu
verpflichten, an die Klägerin eine Berufsunfähigkeitsrente nach § 3 der
Versorgungsordnung zu zahlen.
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
Sie machte geltend, gemäß § 3 der Versorgungsordnung werde die
Berufsunfähigkeitsrente an ein Mitglied gewährt, welches infolge seiner
körperlichen oder geistigen Kräfte zur Ausübung des Arztberufs unfähig sei und
seine gesamte ärztliche Tätigkeit eingestellt habe. Die Berufsunfähigkeit werde
durch zwei voneinander unabhängige Gutachter festgestellt. Beide im
vorliegenden Fall eingeholten Gutachten seien jedoch zu dem Ergebnis
gekommen, daß die Klägerin zwar nicht mehr voll berufsfähig sei, aber in einer
Gemeinschaftspraxis, unter Zuhilfenahme eines Assistenten oder als Gutachterin
durchaus arbeiten könne. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei die Regelung
des § 3 der Versorgungsordnung nicht in dem Sinne interpretationsfähig, daß die
mögliche ärztliche Tätigkeit zumutbar und darüber hinaus auch wirtschaftlich
tragbar sei. Im übrigen habe die Klägerin auch nicht ihre gesamte ärztliche
Tätigkeit eingestellt.
Das Verwaltungsgericht hat gemäß Beschlüssen vom 09.09.1986 und 15.11.1988
Beweis erhoben über die Behauptungen der Klägerin, ihre Praxis biete nicht die
Voraussetzungen für eine Gemeinschaftspraxis und könne unter keinen
Umständen als solche fortgesetzt werden und die Praxis biete keine Grundlage,
die es erlaube, einen Assistenten zu beschäftigen durch Einholung einer
gutachtlichen Stellungnahme der Kassenärztlichen Vereinigung H sowie
schriftlicher Auskünfte der Landesversicherungsanstalt H und der
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in Berlin. Wegen des Ergebnisses der
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Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in Berlin. Wegen des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird auf die Auskunft der Landesversicherungsanstalt H vom
07.12.1988 (Blatt 96 der Akten), die Auskunft der Bundesversicherungsanstalt für
Angestellte vom 02.02.19 (Blatt 105 ff. der Akten) sowie die gutachtliche
Stellungnahme der Kassenärztlichen Vereinigung H vom 20.07.1988 (Blatt 77 ff.
der Akten) Bezug genommen.
Das Verwaltungsgericht gab mit Urteil vom 20.04.1989 der Klage nach vorherigem
Verzicht der Beteiligten auf (weitere) mündliche Verhandlung statt und verpflichtet
die Beklagte, der Klägerin gemäß ihrem Antrag vom 18.05.1984
Berufsunfähigkeitsrente zu gewähren. Zur Begründung führte das Gericht im
wesentlichen aus: Die Klage sei begründet, denn die Beklagte habe es mit den
angegriffenen Bescheiden zu Unrecht abgelehnt, der Klägerin
Berufsunfähigkeitsrente entsprechend ihrem Antrag vom 18.05.1984 zu gewähren.
Die Beklagte gehe zu Unrecht von der Berufsfähigkeit der Klägerin aus. Eine
Berufsunfähigkeit liege dann vor, wenn dem Arzt beziehungsweise der Ärztin eine
fortlaufende ärztliche Tätigkeit nicht zugemutet werden könne. Bereits nach der
Gutachtenlage zum Zeitpunkt der Klageerhebung sei es unstreitig gewesen, daß
die bisher ausgeübte Tätigkeit ohne Einschränkungen nicht mehr habe fortgesetzt
werden können. Die Ermittlungen des Gerichts hätten ergeben, daß die im
Gutachten des Prof. Dr. med. E aufgezeigten Alternativen nicht bestünden. Nach
der Stellungnahme der Kassenärztlichen Vereinigung H scheitere eine
Gemeinschaftspraxis an den räumlichen und sonstigen Voraussetzungen und die
Beschäftigung eines Assistenten sei wirtschaftlich nicht tragbar. Eine Tätigkeit im
Gutachterdienst sei wirtschaftlich genauso unrealistisch, denn die
Landesversicherungsanstalt H habe insoweit keinen und die
Bundesversicherungsanstalt nur einen völlig unbestimmten Bedarf. Damit gebe es
keine, auch keine teilweise wirtschaftlich vertretbaren ärztlichen Tätigkeiten, die
der Klägerin zugemutet werden könnten, womit ihre Berufsunfähigkeit feststehe.
Die rein theoretische Möglichkeit, eine ärztliche Tätigkeit auszuüben, könne nicht
als Berufsfähigkeit im Sinne des § 3 der Versorgungsordnung angesehen werden.
Die Möglichkeit einer Berufstätigkeit müsse vielmehr tatsächlich und wirtschaftlich
gegeben sein.
Gegen dieses ihr am 30.05.1989 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 15.06.1989
Berufung eingelegt. Sie nimmt Bezug auf ihr Vorbringen aus dem ersten
Rechtszug und trägt ergänzend vor: Gestritten werde um eine
Berufsunfähigkeitsrente für den Zeitraum vom 01.07.1984 bis Ende April 1986, da
die Klägerin seit dem 01.05.1986 eine vorgezogene Altersrente beziehe. Das
Verwaltungsgericht habe zu Unrecht der Klage stattgegeben. § 3 der
Versorgungsordnung sei eine Schutzvorschrift für die wirtschaftliche Sicherstellung
eines berufsunfähigen Mitgliedes und keineswegs eine Regelung für die
wirtschaftlichen Risiken des Arztberufes generell. Zu dem Vorbringen der Klägerin
sei zu bemerken, daß der Patientenrückgang eine allgemein zu beobachtende
wirtschaftliche Risikolage freipraktizierender Ärzte sei, die zur Konsequenz haben
müsse, geringeren Einnahmen mit geringeren Ausgaben zu begegnen und
trotzdem noch einen reduzierten Gewinnanteil zu erzielen. Die Frage einer zu
kleinen Praxis ließe sich durch Anmietung größerer Praxisräume erledigen und
auch der Hinweis auf die Bezahlung des Assistenten sei angesichts der
Ärzteschwemme und der Arbeitsbereitschaft junger Ärzte nicht überzeugend.
Dessen ungeachtet müßten derartige wirtschaftliche Erwägungen aus der
Betrachtung der Regelung des § 3 der Versorgungsordnung völlig ausscheiden. Die
Klägerin habe selbst vorgetragen, daß sie zur Ausübung des Arztberufes nur noch
in reduziertem Umfange fähig sei und daß sie ihre ärztliche Tätigkeit habe
reduzieren müssen. Entsprechende Feststellungen hätten auch die beiden
Gutachter getroffen. Angesichts dieser klaren Rechtslage und des eigenen
Sachvortrags der Klägerin sei bereits der Beweisbeschluß des Verwaltungsgerichts
contra legem oder zumindest praeter legem gewesen. Es sei weder Aufgabe der
Beklagten noch des Gerichts, für die Klägerin eine Ausweichbeschäftigung zu
suchen oder sich Gedanken über ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten zu machen.
Die erstinstanzliche Entscheidung sei auch deswegen zu beanstanden, weil darin
der Beklagten praktisch der Nachweis der Berufsfähigkeit der Klägerin
zugeschoben werde. Für eine solche Annahme lasse § 3 der Versorgungsordnung
keinen Raum. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts begründe auch die
rein theoretische Möglichkeit, eine ärztliche Tätigkeit auszuüben, nicht die
Berufsunfähigkeit im Sinne des § 3 der Versorgungsordnung. Diese Vorschrift solle
lediglich die wirtschaftlichen Risiken für den Fall einer nachgewiesenen kompletten
Berufsunfähigkeit absichern bei Einstellung der gesamten ärztlichen Tätigkeit und
keineswegs eine Arbeits- und Zahlungsgarantie für den berufstätigen Arzt
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keineswegs eine Arbeits- und Zahlungsgarantie für den berufstätigen Arzt
darstellen. Beide Gutachter hätten eine eingeschränkte Berufsfähigkeit
festgestellt. Wenn die Klägerin gleichwohl ihre gesamte ärztliche Tätigkeit freiwillig
einstelle, sei das ihre freie Entscheidung, die aber nicht durch Rentenzahlung
honoriert werden könne.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 20. April 1989 -- VIII/2 E
707/85 -- aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und führt u. a. aus: Entgegen der
Auffassung der Beklagten sei § 3 der Versorgungsordnung auslegungsfähig und
auslegungsbedürftig. Eine rein theoretische Möglichkeit, ärztliche Tätigkeit
auszuüben, könne nicht als Berufsfähigkeit im Sinne dieser Vorschrift angesehen
werden, insbesondere dann nicht, wenn es sich dabei um Möglichkeiten handele,
die kaum noch als ärztliche Tätigkeit bezeichnet werden könnten. Insoweit sei die
Rechtsprechung im Bereich der Berufsunfähigkeitsrente nach der RVO
heranzuziehen. Danach sei derjenige berufsunfähig, der infolge Krankheit oder
anderer Gebrechen oder Schwächen seiner körperlichen oder geistigen Kräfte
durch zumutbare Tätigkeit nur noch weniger als die Hälfte eines vergleichbaren
Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und
Fähigkeiten verdienen könne. Zumutbar seien alle Tätigkeiten, die der Dauer und
dem Umfang der Ausbildung und den Anforderungen des bisherigen Berufes und
der Berufstätigkeit entsprächen und nach den vorhandenen Kräften und
Fähigkeiten ausgeübt werden könnten. Unzumutbar sei eine Tätigkeit, wenn damit
ein wesentlicher sozialer Abstieg verbunden sei. Diese Rahmenkriterien müßten
auch hier gelten, wobei als Maßstab nur die Tätigkeit eines in selbständiger Praxis
niedergelassenen Orthopäden gelten könne. Zur Ausübung dieser ärztlichen
Tätigkeit sei die Klägerin auf Grund ihres gesundheitlichen Zustandes jedoch
unfähig. Sie habe darüber hinaus auch ihre gesamte ärztliche Tätigkeit eingestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Prozeßakten und die einschlägigen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (1
Heft) Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
Auf die Berufung der Beklagten ist das angefochtene Urteil abzuändern und die
Klage abzuweisen.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben; denn die
Ablehnung des Antrags der Klägerin vom 18. Mai 1984, ihr eine
Berufsunfähigkeitsrente nach Maßgabe des § 3 der Versorgungsordnung des
Versorgungswerks der Beklagten zu gewähren, ist rechtmäßig und verletzt die
Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 4 VwGO).
Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig. Für sie ist insbesondere auch der
Verwaltungsrechtsweg eröffnet; denn bei dem Streit um die Gewährung von
Leistungen des Versorgungswerks der Beklagten handelt es sich um eine
öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art im Sinne von § 40
Abs. 1 VwGO, die keinem anderen Gericht durch Bundesgesetz ausdrücklich
zugewiesen ist. Die Beklagte ist nach § 1 Satz 1 des Gesetzes über die
Berufsvertretungen, die Berufsausübung, die Weiterbildung und die
Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte und Apotheker
(Heilberufsgesetz) in der Fassung vom 24. April 1986 (GVBl. I S. 122) eine
Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie ist nach § 5 Abs. 2 Satz 1
Heilberufsgesetz ermächtigt, durch Satzung Fürsorgeeinrichtungen und
Versorgungseinrichtungen für Kammerangehörige und deren Familienmitgliedern
zu schaffen. Von dieser Ermächtigung hat die Beklagte mit der Schaffung des
Versorgungswerks Gebrauch gemacht. Als Träger dieser Einrichtung nimmt sie
daher gegenüber ihren Mitgliedern bei der Erbringung von Versorgungsleistungen
hoheitliche Aufgaben wahr, wobei die Mitgliedschaft in dem Versorgungswerk der
Beklagten auf der durch § 2 Abs. 1 Heilberufsgesetz begründeten
Zwangsmitgliedschaft der Ärzte in der Landesärztekammer beruht (vgl. BVerwG,
NJW 1964, 463, 464; Hess.VGH, Urteile vom 25. Juni 1974 -- V OE 22/72 -- und vom
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NJW 1964, 463, 464; Hess.VGH, Urteile vom 25. Juni 1974 -- V OE 22/72 -- und vom
26. April 1988 -- 11 UE 1588/85 --; BGHZ 4, 208 (211)). Für die Entscheidung der
vorliegenden Streitigkeit sind auch nicht nach § 51 Abs. 1 SGG die Gerichte der
Sozialgerichtsbarkeit zuständig, die nach dieser Vorschrift über öffentlich-
rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialversicherung, der
Arbeitslosenversicherung und der übrigen Aufgaben der Bundesanstalt für
Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung sowie der Kriegsopferversorgung
entscheiden. Denn der Begriff der Sozialversicherung im Sinne von § 51 Abs. 1
Satz 1 SGG umfaßt nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur
nur die klassischen Zweige der Sozialversicherung, wozu das Versorgungswerk der
Beklagten anerkanntermaßen nicht gehört (vgl. BVerwG und Hess.VGH, jeweils
a.a.O.).
Die Klage ist jedoch -- entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts -- nicht
begründet.
Nach § 1 Abs. 2 der Satzung des Versorgungswerks der Beklagten in der hier
maßgeblichen Fassung vom 25. Februar 1984 hat das Versorgungswerk der
Beklagten die Aufgabe, für die Kammerangehörigen und ihre Hinterbliebenen
Versorgungsleistungen nach Maßgabe der Versorgungsordnung des
Versorgungswerks zu gewähren, soweit sie Mitglieder des Versorgungswerks sind.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 der Versorgungsordnung in der am 25. Februar 1984
geltenden Fassung hat jedes ordentliche Mitglied des Versorgungswerks nach
Entrichtung mindestens eines bedingungsgemäßen Beitrages auf Antrag Anspruch
auf Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente vom Beginn der 27. Woche des Eintritts
der Berufsunfähigkeit an, wenn es infolge seiner körperlichen und geistigen Kräfte
zur Ausübung des ärztlichen Berufes unfähig ist und seine gesamte ärztliche
Tätigkeit eingestellt hat. Nach § 3 Abs. 1 Satz 3 der Versorgungsordnung besteht
dieser Anspruch bei dauernder Berufsunfähigkeit des Mitglieds -- von Ausnahmen
abgesehen -- nach Entrichtung mindestens eines bedingungsgemäßen Beitrags
bereits vom Beginn des Monats an, der der Feststellung der Berufsunfähigkeit
folgt. Nach § 3 Abs. 1 Sätze 7 und 8 der Versorgungsordnung wird die
Berufsunfähigkeit durch zwei voneinander unabhängige Gutachter festgestellt,
wobei Antragsteller und Versorgungswerk je einen Gutachter bestimmen.
Unter Berücksichtigung der vorgenannten Vorschriften, gegen deren
Rechtswirksamkeit Bedenken weder geltend gemacht worden noch ersichtlich sind
(vgl. dazu auch Hess.VGH, Urteil vom 25. Juni 1974 -- V OE 22/72 -- S. 21 ff.), steht
der Klägerin ein Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente (für den hier
interessierenden Zeitraum vom 1. Juli 1984 bis Ende April 1986) nicht zu. Denn es
kann -- entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts -- unter
Berücksichtigung der beiden Gutachten nicht davon ausgegangen werden, daß die
Klägerin während dieses Zeitraums berufsunfähig im Sinne des § 3 Abs. 1 der
Versorgungsordnung der Beklagten war.
Was den Begriff der Berufsunfähigkeit im Sinne des § 3 der Versorgungsordnung
angeht, kann entgegen der im Berufungsrechtszug von der Klägerin vertretenen
Auffassung nicht an die Definition der Berufsunfähigkeit im Bereich der
gesetzlichen Rentenversicherung (§ 1246 Abs. 2 RVO bzw. § 23 AVG) bzw. die dazu
ergangene Rechtsprechung angeknüpft werden. Danach ist berufsunfähig ein
Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen
Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger
als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit
ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten
herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit
eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt dabei alle Tätigkeiten, die seinen
Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer
und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der
besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden
können. Wegen der Unterschiedlichkeit der Versorgungssysteme können diese
Vorschriften regelmäßig für die Auslegung des Begriffs der Berufsunfähigkeit in
den Satzungen berufsständiger Versorgungseinrichtungen nicht herangezogen
werden (vgl. etwa BVerwG, NJW 1988, 354; Niesel, Kasseler Kommentar,
Sozialversicherungsrecht, Stand: 1. Januar 1990, Rdnr. 2 zu § 1246 RVO). Der 8.
Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs hat zu der Frage der Unterschiede
zwischen dem Versorgungssystem der Beklagten und der gesetzlichen
Rentenversicherung in anderem Zusammenhang in seinem Urteil vom 18. Juli
1988 -- VIII OE 32/81 -- u.a. folgendes ausgeführt:
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"Die Versorgungswerke der Berufsstände verfolgen den Zweck, den
Angehörigen des jeweiligen Berufsstandes eine auf dessen besondere Bedürfnisse
abgestellte Versorgung anzubieten... Die für die Versicherten der BfA geltenden
Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit
unterscheiden sich grundlegend von den entsprechenden beim Versorgungswerk
der Beklagten geltenden Bestimmungen. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 der
Versorgungsordnung des Versorgungswerkes ... liegt eine Berufsunfähigkeit dann
vor, wenn das Mitglied infolge seiner körperlichen oder geistigen Kräfte zur
Ausübung des ärztlichen Berufes unfähig ist und seine gesamte ärztliche Tätigkeit
eingestellt hat. Es handelt sich also um eine berufsbezogene Regelung, die auf die
besonderen Bedürfnisse der Ärzteschaft abstellt. Insbesondere wird den
Mitgliedern des Versorgungswerks nicht zugemutet, sich auf eine andere
zumutbare Beschäftigung verweisen zu lassen. Die für die Versicherten der BfA
einschlägigen Bestimmungen des Angestelltenversicherungsgesetzes weichen
hiervon grundlegend ab. Das Gesetz unterscheidet zwischen Erwerbs- und
Berufsunfähigkeit. Erwerbsunfähig ist der Versicherte nach § 24 Abs. 2 AVG, wenn
er infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder von Schwächen seiner
körperlichen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in
gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige
Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann. Das Gesetz stellt also nicht auf den
zuletzt ausgeübten Beruf, sondern auf die Fähigkeit zur Erwerbstätigkeit im
allgemeinen ab. Daneben kennt es auch eine Berufsunfähigkeit, die jedoch trotz
der Anknüpfung an den Beruf in der Ausdrucksweise der Sache nach auf die
Erwerbsfähigkeit im allgemeinen abstellt. Berufsunfähig ist nach § 23 Abs. 2 AVG
ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen
Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger
als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit
ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten
herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit
eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften
und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des
Umfanges seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen
Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Eine
Tätigkeit, für die der Versicherte durch Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung oder
Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult
worden ist, ist stets zumutbar. Nicht vergleichbar sind etwaige
Versorgungsansprüche des Klägers gegen die BfA mit denen gegen das
Versorgungswerk der Beklagten auch hinsichtlich der Wartezeit. In der
Rentenversicherung wird eine Rente wegen Berufsunfähigkeit nach § 23 Abs. 1
AVG nur gewährt, wenn eine Wartezeit von 60 Monaten ... erfüllt ist (§ 23 Abs. 3
AVG). Demgegenüber gewährt das Versorgungswerk in der 27. Woche des Eintritts
der Berufsunfähigkeit eine Berufsunfähigkeitsrente allein unter der Voraussetzung,
daß das Mitglied mindestens einen bedingungsmäßigen Beitrag entrichtet hat (§ 3
Abs. 1 der Versorgungsordnung). Auch hier gelangt das Ziel des
Versorgungswerks, eine den freiberuflich Tätigen angemessene Versorgung zu
entwickeln, zum Ausdruck. Infolge der für die freien Berufe kennzeichnenden
langen Ausbildungsdauer entstehen nämlich Schwierigkeiten, wenn lange
Wartezeiten vorgesehen sind. Die Berücksichtigung sogenannter
Ausbildungsausfallzeiten ist nur von eingeschränktem Nutzen, wenn deren
Anrechnungsfähigkeit von der sogenannten Halbbelegung abhängt, der
Versicherte also die Zeit vom Eintritt in die Versicherung bis zum Versicherungsfall
zur Hälfte mit Pflichtbeiträgen belegt haben muß (vgl. hierzu Ruland, NJW 1982,
1847, 1851). Darüber hinaus sind die Leistungen der BfA ... auch der Höhe nach
nicht mit den Leistungen des Versorgungswerks der Beklagten vergleichbar. Dies
gilt durchweg, ohne daß es auf den Umfang der von dem einzelnen Versicherten
erworbenen Ansprüche ankäme. Wie sich aus § 9 Abs. 1 Satz 2 der
Versorgungsordnung der Beklagten ergibt, errechnet sich im Versorgungswerk die
Höhe der Leistung für das einzelne Mitglied nach seinen Beitragsentrichtungen. §
15 a.a.O. bestimmt, welche Leistungen den einzelnen Beiträgen zuzuordnen sind.
Die Beiträge entsprechen dabei von vornherein dem jeweils geltenden
Höchstbeitrag in der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 12 Abs. 1 und 2 a.a.O.).
Eine zusätzliche Höherversorgung ist gemäß § 12 der Satzung des
Versorgungswerks möglich. Die in dieser Weise berechneten Renten werden nach §
10 der Versorgungsordnung durch die zusätzliche Gewährung freiwilliger, jederzeit
widerrufbarer Rentenleistungen an die Veränderungen der Lebenshaltungskosten
für Rentenempfänger angepaßt. In der gesetzlichen Rentenversicherung ist
zwischen freiwillig Versicherten ... und Versicherungspflichtigen ... zu
unterscheiden. Anders als im Versorgungswerk der Beklagten stellt die
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unterscheiden. Anders als im Versorgungswerk der Beklagten stellt die
Beitragsbemessungsgrenze des § 112 Abs. 1 und 2 AVG nicht die untere, sondern
die obere Grenze für die Bemessung der Beiträge dar. Es ist daher im Rahmen der
gesetzlichen Angestelltenversicherung ausgeschlossen, ein die
Beitragsbemessungsgrenze überschreitendes Einkommen zu versichern."
Den vorstehenden Ausführungen stimmt der Senat in vollem Umfang zu. Sie
zeigen mit aller Deutlichkeit, daß das Versorgungswerk der Beklagten als
berufsständische Versorgungseinrichtung von der gesetzlichen
Rentenversicherung in wesentlichen Punkten derart abweicht, daß es weder
geboten erscheint noch sachgerecht ist, für den Begriff der Berufsunfähigkeit im
Sinne des § 3 Abs. 1 der Versorgungsordnung der Beklagten an den
entsprechenden Begriff in den Bestimmungen der gesetzlichen
Rentenversicherung anzuknüpfen. Die Auslegung des Begriffs der
Berufsunfähigkeit im Sinne des § 3 der Versorgungsordnung der Beklagten hat
vielmehr ausschließlich unter Berücksichtigung der Besonderheiten des
Versorgungswerkes und des in den Vorschriften der Satzung des
Versorgungswerkes und der Versorgungsordnung zum Ausdruck gekommenen
Willens des Satzungsgebers zu erfolgen. Nach § 3 Abs. 1 der Versorgungsordnung
knüpft der Satzungsgeber die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente daran,
daß das Mitglied infolge seiner körperlichen und geistigen Kräfte zur Ausübung des
ärztlichen Berufes unfähig ist, wobei ärztliche Tätigkeit jede Tätigkeit ist, zu deren
Ausübung die ärztliche Vorbildung ganz oder teilweise Voraussetzung ist (§ 3 Abs.
1 Satz 6 der Versorgungsordnung). Weitere Voraussetzung für die
Rentengewährung ist, daß das Mitglied seine gesamte ärztliche Tätigkeit
eingestellt hat. Die gemeinsame Betrachtung dieser Regelungen zeigt, daß der
Satzungsgeber eine Berufsunfähigkeitsrente nur bei voller Berufsunfähigkeit als
Arzt gewähren wollte, also in einem Fall, in dem ein Mitglied infolge seiner
körperlichen oder geistigen Kräfte zur Ausübung jeglicher Tätigkeit, die eine
ärztliche Vorbildung ganz oder teilweise zur Voraussetzung hat, unfähig ist.
Maßstab dieser Beurteilung ist -- entgegen der Auffassung der Klägerin -- also
keineswegs nur die Tätigkeit eines in selbständiger Praxis niedergelassenen Arztes
bzw. die vorherige konkrete ärztliche Tätigkeit des Rentenantragstellers, sondern
jegliche ärztliche Tätigkeit im zuvor beschriebenen Sinne. Es ist daher davon
auszugehen, daß durch die Gewährung der Berufsunfähigkeitsrente lediglich die
wirtschaftlichen Risiken für den Fall einer nachgewiesenen vollständigen
Berufsunfähigkeit eines Mitglieds bei Einstellung der gesamten ärztlichen Tätigkeit
abgesichert werden sollen, eine Gewährung der Berufsunfähigkeitsrente hingegen
nicht in Betracht kommt bei einer nur teilweisen Berufsunfähigkeit oder bei
gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die nicht zu einer vollständigen
Berufsunfähigkeit, sondern lediglich zu einer Einschränkung der
Erwerbsmöglichkeiten des Mitglieds führen. Die oben aufgezeigte Andersartigkeit
der Versorgungseinrichtung der Beklagten im Verhältnis zur gesetzlichen
Rentenversicherung rechtfertigt es nach Auffassung des Senats auch ohne
weiteres, daß an die Gewährung von Leistungen wegen Invalidität bzw. vorzeitiger
Berufsunfähigkeit strengere Anforderungen gestellt werden als bei den
gesetzlichen Rentenversicherungen, zumal -- anders als in der gesetzlichen
Rentenversicherung -- bei dem Versorgungswerk eine Rentenleistung ohne längere
Wartezeit und bereits nach Entrichtung eines bedingungsgemäßen Beitrags
gewährt wird.
Im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen liegt eine Unfähigkeit zur
Ausübung des ärztlichen Berufs im Sinne von § 3 Abs. 1 der Versorgungsordnung
der Beklagten nur dann vor, wenn dem betreffenden Arzt unter Berücksichtigung
seines Alters und aller sonstigen Umstände eine irgendwie geartete fortlaufende
ärztliche Tätigkeit, zum Beispiel auch als angestellter Arzt oder in einem anderen
Sachgebiet oder auch nach einer Ortsveränderung und gegebenenfalls nach einer
Umschulung unmöglich ist.
Von einer solchen Sachlage kann indes für den hier in Rede stehenden Zeitraum in
Bezug auf die Klägerin nicht ausgegangen werden. Nicht einmal die Klägerin selbst
hat behauptet, aus gesundheitlichen Gründen in dem hier in Rede stehenden
Zeitraum zu jeglicher ärztlicher Tätigkeit außerstande gewesen zu sein. Beide im
Rentenantragsverfahren herangezogenen ärztlichen Gutachten sind
übereinstimmend zu dem Ergebnis gelangt, daß die Klägerin nicht voll
berufsunfähig sei. So wird in dem ärztlichen Gutachten des Dr. B vom 16. Juli 1984
festgestellt, daß die Klägerin nicht voll berufsunfähig sei, jedoch ihre bisherige
Tätigkeit auch nicht ohne Einschränkungen fortgesetzt werden könne. Eine
Fortsetzung der bisherigen Tätigkeit sei aber möglich unter Mithilfe eines
Fortsetzung der bisherigen Tätigkeit sei aber möglich unter Mithilfe eines
Assistenzarztes oder in einer Gemeinschaftspraxis. Das Gutachten des Professor
Dr. med. E vom 20. März 1985 konstatiert, daß die Klägerin als alleinpraktizierende
Fachärztin für Orthopädie nicht mehr voll berufsfähig sei und die bisher ausgeübte
Tätigkeit ohne Einschränkungen nicht mehr fortgesetzt werden könne. Eine
Fortsetzung der bisherigen Tätigkeit könne allerdings in einer Gemeinschaftspraxis
oder unter Mithilfe eines Assistenzarztes erfolgen. Darüber hinaus sei die Klägerin
auch fähig, als Ärztin im Beratungs- und Gutachterdienst tätig zu sein. Eine
Berufsunfähigkeit auf orthopädischem Fachgebiet sei nicht gegeben. Angesichts
dieser übereinstimmenden Feststellungen kann von einer vollständigen
Berufsunfähigkeit der Klägerin, wie sie nach den obengenannten Bestimmungen
Voraussetzung für die Gewährung der Berufsunfähigkeitsrente ist, für den
fraglichen Zeitraum nicht ausgegangen werden. Soweit das Verwaltungsgericht
ausgeführt hat, die rein theoretische Möglichkeit, eine ärztliche Tätigkeit
auszuüben, könne nicht als Berufsfähigkeit im Sinne des § 3 der
Versorgungsordnung angesehen werden, vielmehr müsse die Möglichkeit einer
Berufstätigkeit tatsächlich und wirtschaftlich gegeben sein, kann dem in dieser
Allgemeinheit nicht zugestimmt werden. Das Verwaltungsgericht hat bei der
Beurteilung der in den Gutachten aufgezeigten Alternativen auf die Räumlichkeiten
der damaligen Praxis der Klägerin bzw. die wirtschaftliche Tragbarkeit einer
Assistentenbeschäftigung in der bisher vorhandenen W Orthopädenpraxis der
Klägerin abgestellt bzw. auf eine mangelnde wirtschaftliche Grundlage einer
Gutachtertätigkeit in der Stadt W bzw. in der engeren Umgebung. Dabei ist das
Verwaltungsgericht offenbar stillschweigend davon ausgegangen, daß jeder
Ortswechsel bzw. jede räumliche Veränderung oder eine Veränderung des
sachlichen Betätigungsfeldes für die Klägerin von vornherein unzumutbar sei. Dem
kann nicht beigepflichtet werden. Es kann dahinstehen, ob die rein theoretische
Möglichkeit, eine ärztliche Tätigkeit irgendwelcher Art auszuüben, in jedem Fall
dazu führt, die Berufsunfähigkeit im Sinne des § 3 der Versorgungsordnung zu
verneinen. Von einer solchen "rein theoretischen" Möglichkeit kann aber jedenfalls
dann nicht gesprochen werden, wenn der betroffene Arzt notfalls durch eine
Änderung seiner Lebens- und Arbeitsgewohnheiten sowie eine Ortsveränderung
oder Ausdehnung des räumlichen Wirkungskreises imstande ist, irgendeine
Tätigkeit wahrzunehmen, zu deren Ausübung die ärztliche Vorbildung ganz oder
teilweise Voraussetzung ist (z.B. eine Gutachtertätigkeit für
Krankenversicherungen in einem größeren Gebiet, Einrichtung einer
Gemeinschaftspraxis oder Eintritt in eine Gemeinschaftspraxis in einem Ort mit
größerem Einzugsbereich und dergleichen). Daß die Klägerin auch unter solchen
Umständen vom 1. Juli 1984 an außerstande gewesen sein sollte, jegliche
Tätigkeit, zu deren Ausübung die ärztliche Vorbildung ganz oder teilweise
Voraussetzung ist, fortzuführen, ist indes unter Berücksichtigung der beiden von
der Beklagten eingeholten Gutachten, an deren inhaltlicher Richtigkeit keine
Zweifel bestehen, auch unter Berücksichtigung der vom Verwaltungsgericht
angestellten Ermittlungen nicht ersichtlich.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.