Urteil des HessVGH vom 10.08.2006

VGH Kassel: aufschiebende wirkung, ersatzvornahme, anweisung, wirtschaftliche leistungsfähigkeit, aufsichtsbehörde, vollziehung, bedingung, rechtsgrundlage, form, aussetzung

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
8. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 TG 592/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 140 GemO HE, Art 28 Abs
2 GG, Art 137 Abs 3 Verf
HE, § 139 GemO HE, § 99
GemO HE
(Kommunalaufsicht; Ersatzvornahme; Änderung der
Haushaltssatzung)
Gründe
I.
Die antragstellende kreisangehörige Gemeinde Riedstadt wehrt sich gegen die
Heranziehung zur Kreisumlage für die Jahre 2005 und 2006 durch den
Antragsgegner, den Kreis Groß-Gerau.
Der Kreistag des Antragsgegners beschloss in seiner Sitzung vom 14. März 2005
den Doppelhaushalt 2005/2006. Dieser sah u. a. Fehlbeträge für 2005 von ca. 38,7
Mio. Euro und für 2006 von ca. 36,6 Mio. Euro, einen Anstieg der
Nettoneuverschuldung insbesondere für die Fortführung der
Schulsanierungsvorhaben und einen Kreisumlagesatz von jeweils 42 % der
Umlagegrundlage vor.
Nachdem ihm die Haushaltssatzung zur Genehmigung vorgelegt worden war, wies
das Regierungspräsidium (RP) Darmstadt für das beigeladene Land Hessen den
Antragsgegner mit Schreiben vom 22. April und 25. Mai 2005 u. a. darauf hin, dass
wegen der defizitären Entwicklung seiner Haushalts- und Finanzlage bis zum Ende
der beiden Planungsjahre eine Unterdeckung von ca. 101,8 Mio. Euro
prognostiziert werde und seine finanzielle Leistungsfähigkeit deshalb erheblich
gefährdet sei. Angesichts des Missverhältnisses zwischen Ausgaben und
Einnahmen seien die für das Schulbauprogramm beabsichtigten Kreditaufnahmen
und Verpflichtungsermächtigungen gemäß § 103 Abs. 2 Satz 3 und § 102 Abs. 4
Satz 2 der Hessischen Gemeindeordnung (HGO) nicht genehmigungsfähig. Zur
Verbesserung der Einnahmeseite sei eine Erhöhung des Hebesatzes für die
Kreisumlage für 2005 auf 45 % und für 2006 auf 47 % geboten und angesichts des
bei der Berechnung der Schlüsselzuweisungen nach dem Finanzausgleichsgesetz
(FAG) unterstellten Hebesatzes von 46 % und im Hinblick auf vergleichbare
Landkreise auch vertretbar, selbst wenn im kommunalpolitischen Bereich dagegen
Einwände erhoben würden. Bei unverändertem Ausgabevolumen sei eine deutliche
Verbesserung der Einnahmesituation Voraussetzung für die Genehmigung der
erheblichen Kreditaufnahmen. Die Haushaltssatzung sei im Interesse einer
geordneten Haushaltswirtschaft und im Hinblick auf die kommunale
Selbstverwaltungsgarantie dem Kreistag zur erneuten Beratung und
Beschlussfassung vorzulegen. Bis dahin kämen die Bestimmungen des § 99 HGO
über die vorläufige Haushaltsführung zur Anwendung.
Nachdem der Kreistag des Antragsgegners am 30. Mai 2005 sowohl die
Kredithöhe wie auch den Kreisumlagehebesatz unverändert gelassen und
Einsparungen von jeweils 2,5 Mio. Euro beschlossen hatte, erteilte das RP
Darmstadt unter dem 1. Juli 2005 für die vorgesehenen Kreditaufnahmen und die
Verpflichtungsermächtigungen eine beschränkte und mit Auflagen versehene
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Verpflichtungsermächtigungen eine beschränkte und mit Auflagen versehene
Haushaltsgenehmigung unter der aufschiebenden Bedingung, dass der Kreistag
des Antragsgegners die Kreisumlagehebesätze in § 5 der Haushaltssatzung bis
zum 15. Juli 2005 auf 44 % für 2005 und auf 46 % für 2006 erhöhen müsse.
In seiner Sitzung vom 11. Juli 2005 kam der Kreistag zwar den Auflagen für die
Kreditaufnahmen und Verpflichtungsermächtigungen nach, lehnte aber eine
Erhöhung der Kreisumlage ab.
Daraufhin wies das RP Darmstadt den Antragsgegner mit
kommunalaufsichtsrechtlicher Anweisung vom 13. Juli 2005 gemäß § 54 der
Hessischen Kreisordnung (HKO) i.V.m. § 139 HGO unter Anordnung der sofortigen
Vollziehbarkeit an, durch den Kreistag den Kreisumlagehebesatz auf 44 % für 2005
und auf 46 % für 2006 bis zum 15. August 2005 zu erhöhen, und drohte
andernfalls die Ersatzvornahme gemäß § 140 HGO an. Zur Begründung führte es
u. a. ergänzend aus, der Haushalt werde nur durch die Erfüllung der
Genehmigungsbedingung rechtswirksam und der Antragsgegner könne erst durch
die damit bewirkte Beendigung der vorläufigen Haushaltsführung seine öffentlichen
Aufgaben hinreichend wahrnehmen. Die Erhöhung des Kreisumlagehebesatzes
müsse innerhalb der Frist des § 37 Abs. 5 FAG (bis zum 31. August des jeweiligen
Haushaltsjahres) erfolgen.
Nachdem der Kreistag am 21. Juli 2005 die Erhöhung des Hebesatzes der
Kreisumlage wieder abgelehnt hatte, erhob der Antragsgegner unter dem 25. Juli
2005 gegen die Verfügungen zur Erhöhung der Kreisumlage vom 1. und 13. Juli
2005 Widerspruch, weil diese nur zu einer Defizitverschiebung führe, und
beantragte die Aussetzung der sofortigen Vollziehung. Dies lehnte das RP
Darmstadt unter dem 28. Juli 2005 ab. Den Widerspruch wies es später mit
Widerspruchsbescheid vom 9. Dezember 2005 zurück; Klage wurde nicht erhoben.
Ebenfalls unter dem 28. Juli 2005 änderte das RP Darmstadt im Wege der
kommunalaufsichtsrechtlichen Ersatzvornahme gemäß § 140 HGO i.V.m. § 54
HKO anstelle des Kreistages den § 5 Satz 1, 1. HS der Haushaltssatzung
2005/2006 dahin ab, dass der Hebesatz der Kreisumlage für 2005 auf 44 % und für
2006 auf 46 % festgesetzt wurde, so dass der Antragsgegner nach
Veröffentlichung der geänderten Haushaltssatzung über einen genehmigten
Haushalt verfüge und die vorläufige Haushaltsführung beenden könne.
Nach der am 11. August 2005 erfolgten Bekanntmachung der Haushaltssatzung
beschloss der Kreistag des Antragsgegners am 15. August 2005, keine Klage
gegen die Ersatzvornahme zu erheben, denn angesichts der erheblichen
Gefährdung der finanziellen Leistungsfähigkeit des Antragsgegners und des
deutlich unter dem Landesdurchschnitt von ca. 46 % liegenden Hebesatzes
bestehe dafür wenig Aussicht auf Erfolg.
Mit den vorliegend streitigen Bescheiden vom 15. August und 2. November 2005
zog der Antragsgegner die Antragstellerin auf Grund der Hebesätze von 44 % und
46 % zu Kreisumlagen für das Jahr 2005 endgültig in Höhe von 6.216.294,00 € und
für das Jahr 2006 vorläufig in Höhe von 6.604.853,00 € heran.
Dagegen erhob die Antragstellerin unter dem 8. September und 10. November
2005 hinsichtlich der Erhöhung der Kreisumlage Widersprüche und beantragte die
Aussetzung der Vollziehung. Zur Begründung machte sie u. a. geltend, die
Ersatzvornahme des RP Darmstadt greife unrechtmäßig in die
Selbstverwaltungsautonomie des Kreises ein und deshalb sei die Satzung nicht
wirksam zu Stande gekommen. Die ihr, der Antragstellerin, dadurch entstehenden
Mehrausgaben seien nicht gedeckt und führten zu einer erdrosselnden Höhe der
Kreisumlage.
Mit Bescheiden vom 15. September und 11. November 2005 lehnte der
Antragsgegner die Aussetzung der Vollziehung ab; über die Widersprüche ist noch
nicht entschieden.
Die Antragstellerin hat am 21. Oktober und 21. Dezember 2005 beim
Verwaltungsgericht Darmstadt hinsichtlich der Erhöhung der Kreisumlage
einstweiligen Rechtsschutz beantragt und dies im Wesentlichen wie folgt
begründet:
Die Festsetzung des Umlagesatzes durch die Kommunalaufsichtsbehörde im
Wege der Ersatzvornahme gemäß § 140 HGO sei rechtswidrig, so dass es an einer
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Wege der Ersatzvornahme gemäß § 140 HGO sei rechtswidrig, so dass es an einer
wirksamen satzungsrechtlichen Grundlage für die Heranziehung fehle. Eine
Ersatzvornahme zur Vollziehung einer Anweisung setze einen Gesetzesverstoß
durch Unterlassen voraus. Da der Kreistag demgegenüber aber eine Entscheidung
getroffen und den Kreisumlagesatz auf 42 % festgesetzt habe, sei allenfalls eine
Beanstandung gemäß § 138 HGO in Betracht gekommen. Der Beschlussfassung
des Kreistages über die Umlagenhöhe sei eine komplexe, gesetzgeberische
Abwägungs- und Prognoseentscheidung vorausgegangen, die sowohl vom Gericht
wie auch von der staatlichen Aufsichtsbehörde nur eingeschränkt überprüft werden
könne und einer kommunalaufsichtsrechtlichen Ersatzvornahme nicht zugänglich
sei. Allein wegen dieses unrechtmäßigen Vorgehens der Aufsichtsbehörde werde
ihr Selbstverwaltungsrecht ungerechtfertigt beeinträchtigt. Es komme deshalb im
vorliegenden Eilverfahren nicht darauf an, ob es auch durch die nunmehr erreichte
Höhe der Kreisumlage verletzt werde. Sie mache das Fehlen einer wirksamen
Rechtsgrundlage, nicht aber die Unverhältnismäßigkeit der erhöhten Kreisumlage
geltend.
Demgegenüber hat der Antragsgegner u. a. vorgetragen:
Die Antragstellerin habe eine Verletzung ihres Selbstverwaltungsrechts nicht
schlüssig dargetan. Allein die Entziehung eigener Haushaltsmittel rechtfertige
nicht die Annahme, durch die Anhebung der Kreisumlage fehle ihr etwa die
erforderliche finanzielle Mindestausstattung einschließlich einer kleinen freien
Spitze. Die Klärung der komplexen Rechtsfragen hinsichtlich der Festsetzung des
Umlagesatzes im Wege einer kommunalaufsichtsrechtlichen Ersatzvornahme
müssten dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Zudem dürften die
Aufsichtsmittel der Beanstandung einerseits und der Anweisung/Ersatz-vornahme
andererseits wohl unabhängig voneinander zur Verfügung stehen und auch
Satzungsbestimmungen bzw. Regelungen des Haushaltsplans Gegenstand einer
Ersatzvornahme sein. Schließlich sei er, der Antragsgegner, auch an die
Anweisung und Ersatzvornahme des RP Darmstadt gebunden.
Das Verwaltungsgericht Darmstadt hat die Anträge auf Gewährung einstweiligen
Rechtsschutzes mit Beschlüssen vom 10. Februar 2006 – 3 G 1893/05 und 3 G
2415/05 – abgelehnt.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Nach summarischer Prüfung
bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der
Festsetzungsbescheide vom 15. August und 2. November 2005. Rechtsgrundlage
für die Kreisumlage sei § 53 Abs. 2 HKO i.V.m. § 5 der veröffentlichten
Haushaltssatzung des Antragsgegners. Diese stelle gegenüber der Antragstellerin
eine wirksame Rechtsgrundlage dar. Ihr Vorbringen, das RP Darmstadt habe den
Antragsgegner zu Unrecht zur Anhebung der Kreisumlage angewiesen und zu
Unrecht die Ersatzvornahme angeordnet, begründe nicht deren Unwirksamkeit. Da
der Antragsgegner gegen die Ersatzvornahme kein Rechtsmittel eingelegt habe,
sei er an die Regelung dieses Verwaltungsaktes gebunden. Er habe deshalb die
Haushaltssatzung in der geänderten Form am 11. August 2005 öffentlich bekannt
gemacht. Sie sei nach summarischer Prüfung auch nicht nichtig. Selbst wenn die
Anweisung des RP vom 13. Juli 2005 rechtswidrig wäre, stünde ein
Anfechtungsrecht nicht der Antragstellerin zu, weil sie durch die Anweisung nicht in
ihrem eigenen Selbstverwaltungsrecht verletzt sein könne. Sie könne sich im
Rahmen dieses Verfahrens lediglich darauf berufen, durch die Festsetzung der
Kreisumlage in ihrem Selbstverwaltungsrecht beeinträchtigt zu sein. Dies mache
sie jedoch im vorliegenden Eilverfahren gerade nicht geltend, denn sie wolle sich
ausdrücklich nicht auf die Unverhältnismäßigkeit ihrer Heranziehung zu der
erhöhten Kreisumlage berufen. Deshalb könne deren Vollziehung auch nicht eine
unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur
Folge haben.
Gegen die am 16. Februar 2006 zugestellten Beschlüsse hat die Antragstellerin
am 27. Februar 2006 die vorliegenden Beschwerden eingelegt.
Zur Begründung hat sie in den Beschwerdeschriftsätzen vom 27. Februar 2006
und in ergänzenden Schriftsätzen vom 13. März 2006 im Wesentlichen
vorgetragen: Das Verwaltungsgericht verkenne, dass die Heranziehung zur
Kreisumlage in ihre Finanzhoheit eingreife und dass dieser Eingriff nicht
gerechtfertigt sei, wenn und soweit eine gültige Rechtsgrundlage fehle. Die durch
die kommunale Aufsichtsbehörde gemäß §§ 137, 140 HGO erfolgte Festsetzung
des Umlagesatzes über 42 % hinaus sei rechtswidrig und verletze ihr
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des Umlagesatzes über 42 % hinaus sei rechtswidrig und verletze ihr
Selbstverwaltungsrecht. Die kommunalaufsichtsrechtlichen Befugnisse
beschränkten sich bei Haushaltssatzungen auf deren genehmigungspflichtige
Teile, wie etwa die Kreditaufnahmen. Es handele sich insoweit um präventive
Aufsichtsbefugnisse, die im eigenen kommunalen Wirkungskreis nicht auf
Zweckmäßigkeitserwägungen erstreckt werden dürften. Dem Staat sei es
verwehrt, gestaltend in die Kommunalsphäre einzugreifen und seine Auffassung zu
den dort zu regelnden Angelegenheiten an die Stelle der Auffassung der
kommunalen Körperschaft zu setzen. Die Festsetzung des Kreisumlagesatzes sei
aber eine Selbstverwaltungsangelegenheit der Landkreise, so dass diese nicht mit
den repressiven kommunalaufsichtsrechtlichen Mitteln gemäß §§ 137 ff. HGO
erfolgen dürfe. Die Aufsichtsbehörde sei im Bereich der Haushaltsplanung nicht
berechtigt, ihre Beurteilung an die Stelle derjenigen der dazu originär berufenen
kommunalen Gremien zu setzen, nämlich hier des Kreistages als der gewählten
Volksvertretung.
Selbst ihre Anwendbarkeit unterstellt lägen auch die tatbestandlichen
Voraussetzungen der §§ 139, 140 HGO nicht vor. Aus § 37 FAG könne keine Pflicht
des Landkreises hergeleitet werden, Fehlbeträge im Kreishaushalt vollständig über
die Kreisumlage zu refinanzieren und deshalb einen Umlagesatz in einer
bestimmten Höhe festzusetzen; dadurch würden die kreisangehörigen Gemeinden
in ihrem Selbstverwaltungsrecht verletzt. Der Kreistag habe vielmehr eine
abwägende, auch von politischen Wertungen beeinflusste Entscheidung zu treffen
und dabei schonend auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der kreisangehörigen
Städte und Gemeinden Rücksicht zu nehmen. Diese zukunftsgerichtete
Prognoseentscheidung unterliege nur in eingeschränktem Umfang einer
Rechtskontrolle und könne nicht durch die kommunale Aufsichtsbehörde ersetzt
werden. Deshalb sei hier allenfalls das aufsichtsbehördliche Mittel der
Beanstandung gemäß § 138 HGO in Frage gekommen.
Die Antragstellerin beantragt – sinngemäß -,
die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 10. Februar 2006
– 3 G 1893/05 und 3 G 2415/05 – abzuändern und
die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche vom 8. September und 10.
November 2005 gegen die Bescheide des Antragsgegners vom 15. August und 2.
November 2005 anzuordnen, soweit die Heranziehung zur Kreisumlage über den
Betrag hinausgeht, der fällig wäre, wenn die Kreisumlage auf 42 v. H. festgesetzt
wäre.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerden abzuweisen,
und wiederholt neben einem Bezug auf die verwaltungsgerichtlichen
Entscheidungen weitgehend sein erstinstanzliches Vorbringen.
Für das beigeladene Land macht das RP Darmstadt im Wesentlichen geltend, die
den Heranziehungsbescheiden zu Grunde liegende Haushaltssatzung in der durch
die kommunalaufsichtsrechtliche Ersatzvornahme bewirkten und veröffentlichten
Fassung sei nicht nichtig, also rechtswirksam. Die aufsichtsbehördlichen
Maßnahmen seien in Bestandskraft erwachsen. Unabhängig davon seien sie auch
rechtmäßig und verletzten weder den Antragsgegner noch die Antragstellerin in
ihren Rechten. Der Antragsgegner, der als Landkreis über keine nennenswerten
Steuereinnahmen verfüge und zur Finanzierung seines Bedarfs neben den
Schlüsselzuweisungen ganz überwiegend auf die Kreisumlage angewiesen sei, sei
gemäß § 37 Abs. 1 FAG verpflichtet gewesen, zum Ausgleich seines defizitären
Haushalts eine erhöhte Kreisumlage zu erheben. Die das kommunale
Selbstverwaltungsrecht im Rahmen der Gesetze ausgestaltende
Kommunalaufsicht erstrecke sich auch auf die Gemeindewirtschaft und damit auf
die Pflicht zur sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung, die der
Antragsgegner durch Nichterhöhung der Kreisumlage auf Grund einer
ermessensfehlerhaften Entscheidung seines Kreistages verletzt habe. Schließlich
habe die Antragstellerin nicht vorgetragen, dass die Aufsichtsbehörde mit der
Anhebung der Kreisumlage durch Einschnürung ihrer Finanzhoheit in den
Kernbestand ihrer Selbstverwaltungsgarantie eingegriffen habe.
Zu diesen Ausführungen des Beigeladenen hat die Antragstellerin nochmals mit
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Zu diesen Ausführungen des Beigeladenen hat die Antragstellerin nochmals mit
Schriftsatz vom 24. Mai 2006 Stellung genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens
wird auf den Inhalt der vorliegenden Streitakten einschließlich der
Verwaltungsvorgänge verwiesen.
II.
Die gemäß § 93 Satz 1 VwGO zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen
Beschwerden der Antragstellerin gegen die ihrem Verfahrensbevollmächtigten am
16. Februar 2006 zugestellten Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Darmstadt
vom 10. Februar 2006 sind innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 147 Abs. 1
VwGO am 27. Februar 2006 eingelegt und innerhalb der Monatsfrist des § 146 Abs.
4 Satz 1 VwGO mit den Beschwerdeschriftsätzen gleichen Datums und den
ergänzenden Schriftsätzen vom 13. März 2006 rechtzeitig begründet worden; sie
haben aber in der Sache keinen Erfolg.
Die Prüfungskompetenz des Beschwerdegerichts beschränkt sich gemäß § 146
Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die frist- und formgerecht dargelegten Gründe des
Beschwerdeführers, so dass es im Beschwerdeverfahren einstweiligen
Rechtsschutzes im Ergebnis zu einer Amtsermittlung gemäß § 86 Abs. 1 VwGO nur
insoweit kommt, wie die den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO
entsprechende Darlegung dazu Anlass gibt.
Die Beschwerdebegründung muss nach dieser Vorschrift neben einem
bestimmten Antrag die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern
oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung so
auseinandersetzen, dass tragende Erwägungen des Verwaltungsgerichts in
Anlehnung an die Darlegungsvoraussetzungen des § 124 a Abs. 4 Satz 4 i.V.m. §
124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO mit schlüssigen Gegenargumenten so in Frage gestellt
werden, dass die Richtigkeit des angefochtenen verwaltungsgerichtlichen
Beschlusses erfolgreich in Zweifel gezogen wird.
Entsprechend den vom Gesetzgeber mit der Einführung der besonderen und
fristgebundenen Begründungspflicht des Beschwerdeführers und der
Einschränkung des obergerichtlichen Prüfungsumfangs verfolgten Zielen der
Verfahrensvereinfachung und –beschleunigung des Beschwerdeverfahrens ist
Vorbringen, das nach der einmonatigen Begründungsfrist geltend gemacht wird,
grundsätzlich ausgeschlossen, soweit es nicht bereits form- und fristgerecht sowie
im obigen Sinne hinreichend dargelegte Beschwerdegründe erläutert bzw. ergänzt.
Diesen Anforderungen werden die mit Schriftsätzen vom 27. Februar und 13. März
2006 dargelegten Beschwerdegründe der Antragstellerin zur Rechtswidrigkeit der
kommunalaufsichtsrechtlichen Maßnahmen des RP Darmstadt gegenüber dem
Antragsgegner nicht gerecht, weil sie die tragenden Erwägungen des
Verwaltungsgerichts nicht schlüssig in Zweifel ziehen. Das gilt auch für die
ergänzende Begründung im Schriftsatz vom 24. Mai 2006; darüber hinausgehende
Erwägungen sind wegen Ablaufs der Begründungsfrist nicht
berücksichtigungsfähig.
Die vom Verwaltungsgericht angenommene Wirksamkeit der im Wege der
kommunalaufsichtsrechtlichen Ersatzvornahme gemäß § 140 HGO i.V.m. § 54
HKO anstelle des Kreistages vom RP Darmstadt vorgenommenen Festsetzung der
Hebesätze in § 5 der Haushaltssatzung 2005/2006 des Antragsgegners wird von
den Einwänden der Antragstellerin nicht berührt.
Diese Satzungsänderung ist durch einen gegenüber dem Antragsgegner
ergangenen rechtsgestaltenden Verwaltungsakt in Form der Ersatzvornahme
erfolgt. Für den Eintritt dieser rechtsgestaltenden Wirkung kommt es deshalb nur
auf die Wirksamkeit dieses Verwaltungsaktes gegenüber dem Antragsgegner an,
mit der Folge, dass die vom RP Darmstadt getroffene Regelung wie ein Beschluss
des Kreistages wirkt. Die Wirksamkeit des dem Antragsgegner am 28. Juli 2005 per
Telefax übermittelten und am 29. Juli 2005 gegen Empfangsbekenntnis
zugestellten Ersatzvornahmebescheides ist aber schon dadurch eingetreten, dass
dagegen kein Rechtsmittel eingelegt worden ist, dem gegebenenfalls gemäß § 142
HGO i.V.m. § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung hätte zukommen können,
die ohnehin bei dieser Vollstreckungsmaßnahme gemäß § 16 HAGVwGO
ausgeschlossen gewesen wäre; zudem ist der Ersatzvornahmebescheid
inzwischen gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO mit Ablauf des 29. August 2005 oder
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inzwischen gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO mit Ablauf des 29. August 2005 oder
jedenfalls gemäß § 58 Abs. 2 VwGO mit Ablauf des 28. bzw. 31. Juli 2006
bestandskräftig geworden, so dass er auch deshalb seit seinem Erlass am 28./29.
Juli 2005 wirksam (geblieben) ist.
Die Wirksamkeit dieser Ersatzvornahme vom 28. Juli 2005 hängt demgegenüber –
wie bei jedem Verwaltungsakt – nicht von seiner Rechtmäßigkeit, also davon ab, ob
das RP Darmstadt gegenüber dem Antragsgegner zum Erlass dieser repressiv-
gestaltenden Aufsichtsmaßnahme im Bereich der Haushaltssatzung berechtigt
war, oder ob es vielmehr – wie die Antragstellerin geltend macht – rechtswidrig in
dessen in Art. 28 Abs. 2 GG und Art. 137 Abs. 3 HV garantiertes
Selbstverwaltungsrecht eingegriffen hat. Letzteres hätte lediglich zur
Aufhebbarkeit der Ersatzvornahme gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 142
HGO auf Grund eines vom Antragsgegner eingelegten Rechtsmittels in Form eines
Anfechtungswiderspruchs oder einer Anfechtungsklage geführt.
Die Ausführungen der Antragstellerin, das RP Darmstadt sei als kommunale
Aufsichtsbehörde nicht befugt gewesen, im Wege der Ersatzvornahme die
abwägende, zukunftsgerichtete und von politischen Wertungen beeinflusste
Entscheidung des Kreistages über die Festsetzung des Hebesatzes der
Kreisumlage zu ersetzen, sind deshalb für die Frage der Wirksamkeit der
rechtsgestaltend in die Haushaltssatzung einwirkenden Ersatzvornahme nicht
erheblich. Anhaltspunkte dafür, dass diese Gesichtspunkte nicht nur zur
Rechtswidrigkeit, sondern sogar wegen eines besonders schwerwiegenden und
offensichtlichen Fehlers zur Nichtigkeit gemäß § 44 Abs. 1 HVwVfG führen könnten,
hat die Antragstellerin nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich.
Die Ersatzvornahme dürfte im Gegenteil rechtmäßig erfolgt sein. Diese
kommunalaufsichtsrechtliche Vollstreckungsmaßnahme gemäß § 140 HGO setzt
nämlich lediglich voraus, dass die Kommune einer gemäß § 2 HVwVG
vollziehbaren aufsichtsbehördlichen Anweisung gemäß § 139 HGO trotz einer
Androhung entsprechend § 69 Abs. 1 HVwVG nicht innerhalb der ihr gesetzten
Frist nachgekommen ist.
Die – mit Ablauf des 13. Januar 2006 ohnehin bestandskräftig gewordene –
aufsichtsbehördliche Anweisung des RP Darmstadt vom 13. Juli 2005 zur
Festsetzung der erhöhten Hebesätze der Kreisumlage war gemäß § 80 Abs. 2 Satz
1 Nr. 4 VwGO i.V.m. § 142 HGO sofort vollziehbar, so dass dem Widerspruch des
Antragsgegners vom 25. Juli 2005 keine aufschiebende Wirkung zukam. Der Ablauf
der bis zum 15. August 2005 gesetzten Frist musste nicht abgewartet werden, weil
der Antragsgegner in seinem Widerspruchsschreiben vom 25. Juli 2005 die
Befolgung der Anweisung ausdrücklich abgelehnt und mitgeteilt hatte, dass der
Kreistag erst wieder am 10. Oktober 2005 zu seiner nächsten planmäßigen
Sitzung zusammentreten werde. Schließlich können auch Gegenstand einer
Ersatzvornahme gemäß § 140 HGO alle rechtserheblichen Erklärungen sein, zu
denen die Gemeinde oder eines ihrer Organe fähig sind, also auch der Erlass oder
einzelne Änderungen von gemeindlichen Satzungen, also auch von
Haushaltssatzungen (vgl. Meiß, in Bennemann/Beinlich u.a., HGO, Stand: März
2006, Rdnrn. 5 und 8 zu § 140).
Schließlich sprechen – obwohl es vorliegend darauf nicht entscheidend ankommt –
sogar erhebliche Gesichtspunkte für die Rechtmäßigkeit der
kommunalaufsichtsbehördlichen Anweisung vom 13. Juli 2005. Das RP Darmstadt
hatte gemäß § 103 Abs. 2 und § 102 Abs. 4 HGO i.V.m. § 52 Abs. 1 HKO über die
Genehmigungsfähigkeit der vom Antragsgegner vorgesehenen Kreditaufnahmen
und Verpflichtungsermächtigungen zu befinden und dabei – wie die Antragstellerin
selbst ausführt – die Einhaltung der Grundsätze einer geordneten
Haushaltswirtschaft zu prüfen. Es dürfte deshalb nicht zu beanstanden sein, dass
es seine Haushaltsgenehmigung vom 1. Juli 2005 von der aufschiebenden
Bedingung der Verbesserung der Einnahmesituation durch Erhöhung der
Kreisumlage abhängig gemacht hat. Nachdem der Kreistag des Antragsgegners in
seiner Sitzung vom 11. Juli 2005 zwar den Auflagen für die Kreditaufnahmen und
die Verpflichtungsermächtigungen nachgekommen war, aber die Erhöhung der
Kreisumlage abgelehnt und damit den Eintritt der aufschiebenden Bedingung
verhindert hatte, war das RP Darmstadt zur Herbeiführung der Wirksamkeit der
Haushaltssatzung und damit zur Beendigung der eingeschränkten vorläufigen
Haushaltsführung gemäß § 99 HGO entsprechend seiner Androhung gehalten, den
Eintritt dieser Bedingung zu erzwingen, um die im öffentlichen Interesse liegende
ausreichende Aufgabenerfüllung des Antragsgegners zu ermöglichen.
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Da danach die vom RP Darmstadt im Wege der kommunalaufsichtsrechtlichen
Ersatzvornahme erfolgte Festsetzung der erhöhten Hebesätze für die Kreisumlage
einschließlich der dafür gegebenen Begründung dem Antragsgegner wie eine
Entscheidung seines Kreistages zuzurechnen ist (vgl. Meiß a.a.O., Rdnr. 5 zu §
140), könnte die Antragstellerin gegen die Heranziehung zu der darauf
beruhenden Kreisumlage eine Verletzung ihres gemeindlichen
Selbstverwaltungsrechts auch im Rahmen einer Inzidentkontrolle der Festsetzung
in der Haushaltssatzung lediglich damit begründen, dass ihr wegen deren Höhe die
finanzielle Mindestausstattung einschließlich einer wenn auch kleinen freien Spitze
entzogen werde und/oder dass die Festsetzung des Hebesatzes auf einer
fehlerhaften Abwägung zwischen der Bedeutung der Aufgabenwahrnehmung des
Antragsgegners und der dadurch verursachten Einschränkung ihrer kommunalen
Finanzhoheit beruhe (vgl. dazu u. a. Hess. VGH, Urteil vom 27. Januar 1999 – 8 N
3392/94 – ESVGH 49 S. 132 ff. = NVwZ-RR 2000 S. 180 ff. = juris). Gegen die
Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass sie gerade dies nicht geltend gemacht
habe, hat die Antragstellerin jedoch zur Begründung ihrer Beschwerden keine
Einwände erhoben, so dass diese Fragen gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO der
Prüfung des Senats entzogen sind.
Die Beschwerden der Antragstellerin sind nach alledem mit der Kostenfolge aus §
154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO zurückzuweisen.
Die das erstinstanzliche Verfahren des VG Darmstadt – 3 G 2415/05 –
einbeziehende Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 i.V.m. § 52 Abs. 3 und § 63
Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 GKG und ergibt sich aus der Differenz der Höhe der
streitigen Kreisumlage unter Heranziehung des erhöhten Hebesatzes im
Verhältnis zu der sich aus den ursprünglichen Hebesätzen von jeweils 42 %
ergebenden Höhe; der danach errechnete Betrag wird wegen der Vorläufigkeit der
vorliegenden Verfahren halbiert.
Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und gemäß § 66 Abs. 3 Satz 3
i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG unanfechtbar.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.