Urteil des HessVGH vom 19.02.1990

VGH Kassel: politische partei, wiederaufnahme, hessen, mitgliederversammlung, ermessen, erneuerung, zinn, gleichheit, meinung, gewalt

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
6. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 TG 382/90
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 3 GG, Art 21 GG, Art 70
GG, § 5 Abs 1 PartG vom
03.03.1989, § 1 Abs 1
BesatzRAufhG 3 vom
23.07.1958
1. Anspruch einer nicht ortsansässigen
Personenvereinigung auf Benutzung einer öffentlichen
Einrichtung - Parteienprivileg -
Gleichbehandlungsgrundsatz.
2. Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers zur Aufhebung
des Gesetzes Nr 5 der Militärregierung Deutschland)
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hat den
Antrag des Antragstellers auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123
Abs. 1 Satz 2 VwGO zu Unrecht abgelehnt.
Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht (§§ 123 Abs. 1
Satz 2, Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2, 294 ZPO). Wegen der Dauer eines
Hauptsacheverfahrens ist es im Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO nötig, schon
vor einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache über das Begehren des
Antragstellers zu entscheiden. Der Antragsteller will in der beabsichtigten
Mitgliederversammlung in der ... Kandidaten für die Ende dieses Jahres
stattfindenden Bundestagswahlen nominieren. Ein Anspruch darauf, den
gemeindlichen Raum für den vorgesehenen Zweck zu nutzen, würde vereitelt,
wenn erst nach der Bundestagswahl endgültig über die Raumvergabe entschieden
würde.
Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Wie der
Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, steht einer
Personenvereinigung wie dem Antragsteller, die ihren Sitz nicht im Gebiet einer
Gemeinde hat, kein Anspruch auf Benutzung einer gemeindlichen Einrichtung nach
§ 20 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 der Hessischen Gemeindeordnung -- HGO -- zu. Vielmehr
muß die Gemeinde in einem solchen Fall ihr im Hinblick auf die Überlassung
öffentlicher Einrichtungen zustehendes Ermessen sachgemäß ausüben. Auch
dann aber kann ein Anspruch auf Überlassung der Räumlichkeiten bestehen, wenn
das Ermessen der Gemeinde dahin reduziert ist, daß dem Antrag entsprochen
werden muß (vgl. etwa die Beschlüsse des Senats vom 21. November 1989 -- 6 TG
3442/89 -- und vom 11. November 1988 -- 6 TG 4250/88 --).
Eine derartige Ermessensreduzierung ist hier gegeben. Die Antragsgegnerin
vermietet nach ihrem Vortrag im Schriftsatz vom 18. Oktober 1989 in dem
Verfahren VII/2 G 2625/89 -- VG Frankfurt am Main -- den Wappensaal in der ...
generell an Parteien, so daß ein auf Art. 3 des Grundgesetzes gestützter Anspruch
des Antragstellers auf Gleichbehandlung besteht. Die Antragsgegnerin hat ihre
Ablehnung lediglich mit dem Beschluß der Stadtverordnetenversammlung,
Versammlungsräume weder links- noch rechtsextremen/-radikalen Gruppen zur
Verfügung zu stellen, begründet. Diese Begründung trägt die Ablehnung nicht.
Weitere Gründe sind von der Antragsgegnerin nicht vorgebracht worden und auch
für den Senat nicht ersichtlich.
Das Verwaltungsgericht hat entgegen der zutreffenden Rechtsprechung des 2.
Senats des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (Beschlüsse vom 12. Dezember
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Senats des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (Beschlüsse vom 12. Dezember
1985 -- 2 TG 2397/85 -- und vom 22. Januar 1986 -- 2 TG
169/86 -- ), des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluß vom 21.
Juli 1989 -- 7 B 184/88 -- ) und des Baden-Württembergischen
Verwaltungsgerichtshofs (Urteil vom 25. April 1989 -- 1 S 1635/88 --
136>) die Auffassung vertreten, dem Antragsteller sei es verwehrt, sich auf die
verfassungsrechtlich gewährleistete Gleichheit der politischen Parteien vor der
öffentlichen Gewalt und auf das Parteienprivileg zu berufen. Eines Verbotes der
NPD bedürfe es nicht. Durch das Gesetz Nr. 5 der Militärregierung Deutschland
(Amtsblatt der Militärregierung Nr. 3, Seite 11) seien die NSDAP und ihre
Unterorganisationen aufgelöst und Handlungen zur Fortsetzung oder
Wiederaufnahme der Tätigkeit dieser Organisationen verboten worden. Es gebe
gewichtige Anhaltspunkte dafür, daß die Tätigkeit der NPD als Erneuerung der
durch das Gesetz Nr. 5 verbotenen nationalsozialistischen Tätigkeiten anzusehen
sei. Das Gesetz Nr. 5 sei nicht durch § 1 Abs. 1 des Dritten Gesetzes zur
Aufhebung des Besatzungsrechts vom 23. Juli 1958 (BGBl. I S. 540, Teil B der
Anlage 1 zu § 1) aufgehoben worden.
Dieser Auffassung vermag der beschließende Senat nicht zu folgen. Das
Verwaltungsgericht geht zu Unrecht davon aus, daß sich der Antragsteller nicht
auf das Parteienprivileg des Art. 21 Abs. 2 GG berufen könne, wonach über die
Verfassungswidrigkeit einer Partei allein das Bundesverfassungsgericht
entscheidet. Solange dies Gericht die Verfassungswidrigkeit der NPD nicht
festgestellt hat, können weder die Antragsgegnerin noch die Verwaltungsgerichte
sie als verfassungswidrige Partei bei der Vergabe gemeindlicher Einrichtungen
gegenüber anderen Parteien benachteiligen.
Die Durchführung einer Mitgliederversammlung der NPD in gemeindlichen Räumen
ist auch nicht gemäß Nr. 4 des Gesetzes Nr. 5 der Militärregierung verboten. Das
Gesetz ist jedenfalls wirksam aufgehoben worden, soweit es sich auf Tätigkeiten
politischer Parteien bezieht.
Der Senat vermag insoweit nicht der vom Verwaltungsgericht unter Bezugnahme
auf Stimmen in der Literatur (Stein in Zinn-Stein, Verfassung des Landes Hessen,
Kommentar, Zweiter Band, Stand: September 1984, Anm. 5. zu Art. 158; von
Roetteken in Maneck/Schirrmacher, Hessisches Bedienstetenrecht, 6. Aufl.,
Ergänzungsband IV, Stand: November 1989, Rdnr. 48 zu § 7 HBG; Süsterhenn-
Schäfer, Kommentar der Verfassung für Rheinland-Pfalz, 1950, Anm. 4 zu Art. 140)
vertretenen Auffassung zu folgen, nicht der Bundesgesetzgeber sei für eine
Aufhebung des von der Militärregierung Deutschland erlassenen Gesetzes Nr. 5
zuständig, sondern der Landesgesetzgeber. Das Verwaltungsgericht begründet
seine Meinung damit, das Gesetz Nr. 5 sei dem "Entnazifizierungsrecht"
zuzuordnen. Eine Gesetzgebungskompetenz für den Bund bestehe nach den
Regelungen des Grundgesetzes für "Entnazifizierungsrecht" nicht, so daß die
Gesetzgebungskompetenz insoweit gemäß Art. 70 Abs. 1 des Grundgesetzes den
Ländern zustehe.
Diese Auffassung geht von der Prämisse aus, nicht nur das Verbot der NSDAP und
der sonstigen im Gesetz Nr. 5 ausdrücklich aufgeführten nationalsozialistischen
Organisationen habe seinen Schwerpunkt im "Entnazifizierungsrecht", sondern
auch die Frage, ob eine nach Abschluß der Entnazifizierung gegründete politische
Partei nationalsozialistische und damit verfassungsfeindliche Ziele verfolge und
welche Rechtsfolgen sich aus der Bejahung dieser Frage im einzelnen ergäben.
Jedenfalls die letztgenannte Frage ist nicht Gegenstand des
"Entnazifizierungsrechts", sondern des Parteienrechts. Für diese Auffassung des
Senats spricht zunächst die Wortbedeutung des Begriffs "Entnazifizierung". Das
Wort "Entnazifizierung" zeigt, daß die nach Ende des zweiten Weltkrieges noch
bestehenden nationalsozialistischen Strukturen aufgelöst werden sollten.
"Entnazifizierung" bedeutet nicht notwendig den Schutz der Bundesrepublik vor
zukünftig irgendwann entstehenden rechtsradikalen Gruppierungen. Zur
Gewährung dieses Schutzes ist die Bundesrepublik selbst verpflichtet und
zuständig. Auch der Sinn und Zweck und die Systematik des Gesetzes Nr. 5
sprechen für diese Auslegung. Während in Ziffer 1 und Ziffer 2 alle Gruppierungen
genannt werden, die verboten sein sollen, ordnet Ziffer 3 an, daß alle Amtsstellen
der NS-Volkswohlfahrt in dem besetzten Gebiet geschlossen werden und deren
Wohlfahrtstätigkeit -- vorbehaltlich weiterer Anweisungen durch die Militärregierung
-- von dem Bürgermeister übernommen wird. Im Zusammenhang der Ziffern 1 bis
3 ist die Ziffer 4 zu sehen, wonach "jegliche Tätigkeit seitens von der
Militärregierung aufgelöster oder geschlossener Organisationen, deren Offiziere
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Militärregierung aufgelöster oder geschlossener Organisationen, deren Offiziere
oder Mitglieder, und irgendwelche Handlungen, die in irgendeiner Weise die
Fortsetzung oder Wiederaufnahme solcher Tätigkeiten vorbereiten oder zur Folge
haben könnten", verboten sind. Mit dieser Formulierung werden nur solche
Handlungen verboten, die die Fortsetzung oder Wiederaufnahme der Tätigkeit
aufgelöster oder geschlossener Organisationen vorbereiten oder zur Folge haben
können, nicht aber die Tätigkeit neuer Organisationen. Darüber hinaus steht Ziffer
4 in erkennbarem Zusammenhang mit den Ziffern 1 bis 3 und bezieht sich auch
deshalb nur auf die Fortsetzung oder Wiederaufnahme der Tätigkeiten der dort im
einzelnen genannten Gruppen und Amtsstellen. Das Gesetz Nr. 5 enthält keine
Anhaltspunkte dafür, daß generell die rechtsradikale politische Betätigung durch
dieses Gesetz erfaßt und der Regelungsbefugnis der für das allgemeine
Parteienrecht zuständigen deutschen Stellen entzogen werden sollte.
Unabhängig davon, ob die NPD die Voraussetzungen der Nr. 4 des Gesetzes Nr. 5
erfüllt, war der Bundesgesetzgeber zur Aufhebung des Gesetzes Nr. 5 zuständig,
soweit sich das Gesetz auf das Verbot zukünftiger Parteien und deren Tätigkeit
beziehen sollte. Nach Art. 1 Abs. 1 Satz 1 des Ersten Teils des Vertrages zur
Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen zwischen der
Bundesrepublik Deutschland, den Vereinigten Staaten von Amerika, dem
Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland und der Französischen
Republik in der durch das Protokoll vom 23. Oktober 1954 über die Beendigung des
Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland geänderten Fassung
(BGBl. 1955 II, S. 405 f.) sind die Organe der Bundesrepublik und der Länder
gemäß ihrer im Grundgesetz festgelegten Zuständigkeit befugt, von den
Besatzungsbehörden erlassene Rechtsvorschriften aufzuheben und zu ändern. Zu
den besatzungsrechtlichen Vorschriften, die nach Art. 1 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 des
Ersten Teils des Vertrages oder nach den weiteren in diesem Artikel erwähnten
Verträgen ausnahmsweise nicht oder nur unter besonderen Voraussetzungen der
Disposition der zuständigen deutschen Organe unterliegen, zählt das Gesetz Nr. 5
der Militärregierung nicht (vgl. BVerwG, Beschluß vom 21. Juli 1989 -- 7 B 184/88 --,
NJW 1990, 134 f.). Die Zuständigkeit des Bundes folgt aus Art. 21 Abs. 3 des
Grundgesetzes. Während Art. 21 Abs. 2 GG diejenigen Parteien für
verfassungswidrig erklärt, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer
Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu
beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik
Deutschland zu gefährden, wobei über die Frage der Verfassungswidrigkeit das
Bundesverfassungsgericht entscheidet, ist in Art. 21 Abs. 3 ausdrücklich
bestimmt, daß Bundesgesetze das Nähere regeln. Absatz 3 weist somit die
ergänzende gesetzliche Regelung ausschließlich dem Bundesgesetzgeber zu
(BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 1987 -- VII C 73.57 --, BVerwGE 6, 96 f.;
Hamann-Lenz, Grundgesetz, Kommentar, 3. Aufl. 1970, Anm. 10 zu Art. 21; von
Münch in von Münch, Grundgesetzkommentar, 2. Aufl., 1983, Band 2, Rdnr. 80 zu
Art. 21 GG).
Aber selbst wenn man das Parteienrecht der konkurrierenden Gesetzgebung
zuweist (so Henke in Bonner Kommentar, Grundgesetz, Stand: Dezember 1989,
Band 4, Rdnr. 80 zu Art. 21), steht dies der hier vertretenen Auffassung nicht
entgegen, denn der Bund hat mit dem Dritten Gesetz zur Aufhebung des
Besatzungsrechts vom 23. Juli 1958 (BGBl. I 1958 S. 540) parteienrechtliche
Fragen geregelt, soweit das aufgehobene Gesetz Nr. 5 die Neugründung von
Parteien und die Tätigkeit der neuen Parteien betreffen sollte, also seine
Gesetzgebungszuständigkeit wahrgenommen. Eine ausschließliche
Gesetzgebungszuständigkeit der Länder folgt auch aus dieser Auffassung nicht.
Nach allem ist durch das Dritte Gesetz zur Aufhebung des Besatzungsrechts vom
23. Juli 1958 das Gesetz Nr. 5 der Militärregierung Deutschland jedenfalls insoweit
wirksam aufgehoben worden, als es die Tätigkeit neuer rechtsradikaler Parteien
betreffen könnte. Der Antragsteller untersteht daher -- solange die NPD nicht nach
Art. 21 Abs. 2 Satz 3 des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht
verboten ist -- dem Schutz des Art. 21 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 GG und § 5 Abs. 1 des
Parteiengesetzes in der Fassung vom 3. März 1989 (BGBl. I S. 327).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.