Urteil des HessVGH vom 30.10.1997
VGH Kassel: klagefrist, anerkennung, bundesamt, begriff, asylbewerber, abweisung, zivilprozessrecht, quelle, klagebegehren, gleichbehandlung
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
13. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
13 UZ 2684/97.A
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 16a Abs 1 GG, § 51 Abs
1 AuslG 1990, § 13 Abs 2
AsylVfG 1992, § 31 Abs 3
AsylVfG 1992, § 34 AsylVfG
1992
(Geltung der verkürzten Klagefrist des AsylVfG 1992 § 74
Abs 1 für Klagen des Bundesbeauftragten)
Gründe
Der Antrag des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten auf Zulassung der
Berufung gegen das im Tenor dieses Beschlusses näher bezeichnete Urteil des
Verwaltungsgerichts Darmstadt ist gemäß § 78 Abs. 4 AsylVfG statthaft, bleibt in
der Sache aber ohne Erfolg, da der geltend gemachte Zulassungsgrund der
grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) nicht
gegeben ist.
Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG hat ein
Asylstreitverfahren nur dann, wenn es eine tatsächliche oder rechtliche Frage
aufwirft, die für die Berufungsinstanz entscheidungserheblich ist und die über den
Einzelfall hinaus im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung einer Klärung
bedarf (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. beispielsweise Beschluß vom
13. März 1996 - 13 UZ 195/96 -).
Diese Voraussetzungen erfüllt das Vorbringen des Bundesbeauftragten für
Asylangelegenheiten in seiner Antragsschrift vom 17. Juli 1997 nicht.
Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten wendet sich mit seinem Antrag
auf Zulassung der Berufung gegen die seine Klage als verfristet abweisende
Entscheidung des Gerichts erster Instanz und dessen Auffassung, die einwöchige
Klagefrist des § 74 Abs. 1, 2. Halbsatz AsylVfG gelte auch in Fällen, in denen der
Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten sich im Wege der Klage gegen eine
Entscheidung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
wendet, in der ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt, gleichzeitig
aber Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG zugesprochen wird. Insoweit erachtet
es der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten für grundsätzlich
klärungsbedürftig, "ob die Verkürzung der Klagefrist in § 74 Abs. 1 AsylVfG für die
'vollständige Asylklage' i. w. S. sowie alle potentiellen Kläger gilt".
Zur Klärung dieser Rechtsfragen bedarf es indes nicht der Durchführung eines
Berufungsverfahrens, weil sie sich anhand des Wortlautes des § 74 Abs. 1 AsylVfG
sowie dessen Sinn und Zweck beantworten lassen.
Die einwöchige Klagefrist des § 74 Abs. 1, 2. Halbsatz AsylVfG gilt zum einen für
alle in Betracht kommenden Kläger, also auch für den Bundesbeauftragten für
Asylangelegenheiten, und zum anderen nicht nur, wie der Bundesbeauftragte für
Asylangelegenheiten meint, für Klagen gegen Entscheidungen des Bundesamtes
für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge im Hinblick auf Art. 16 a Abs. 1 GG,
§ 51 Abs. 1 AuslG, sondern auch dann, wenn ein Asylantrag als offensichtlich
unbegründet abgelehnt und lediglich das Vorliegen von Abschiebungshindernissen
nach § 53 AuslG festgestellt worden ist.
Nach § 74 Abs. 1, 2. Halbsatz AsylVfG ist "die Klage" innerhalb einer Woche zu
erheben, wenn der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO innerhalb einer Woche zu stellen
ist (§ 36 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG). Hinsichtlich welcher Klage die Wochenfrist gelten
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ist (§ 36 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG). Hinsichtlich welcher Klage die Wochenfrist gelten
soll, läßt sich der Bestimmung des § 74 Abs. 1, 2. Halbsatz AsylVfG unmittelbar
nicht entnehmen. Da der Gesetzgeber die einwöchige Klagefrist jedoch im 2.
Halbsatz des § 74 Abs. 1 AsylVfG und nicht in einem besonderen Satz, Absatz
oder Paragraphen geregelt hat, bringt er damit hinlänglich deutlich zum Ausdruck,
daß er den Begriff der Klage im Sinne des § 74 Abs. 1, 2. Halbsatz AsylVfG so
versteht wie den Begriff der Klage im 1. Halbsatz desselben Absatzes. Danach gilt
§ 74 Abs. 1, 2. Halbsatz AsylVfG allgemein für "die Klage gegen Entscheidungen
nach diesem Gesetz", das heißt nach dem Asylverfahrensgesetz. Entscheidungen
nach dem Asylverfahrensgesetz sind jedoch nicht nur Entscheidungen über Art. 16
a Abs. 1 GG und § 51 Abs. 1 AuslG (vgl. § 13 Abs. 1 AsylVfG) sowie über den Erlaß
einer Abschiebungsandrohung (§ 34 AsylVfG), sondern auch die durch das
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge nach § 31 Abs. 3
AsylVfG zu treffende Entscheidung, ob Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG
vorliegen (so auch GK-AsylVfG, Stand: 49. Ergänzungslieferung April 1997, § 74
Rdnr. 91).
Anhaltspunkte für eine einschränkende Auslegung der Bestimmung des § 74 Abs.
1 AsylVfG dahingehend, daß für Entscheidungen nach §§ 31 Abs. 3 AsylVfG, 53
AuslG zwar § 74 Abs. 1, 1. Halbsatz AsylVfG nicht jedoch § 74 Abs. 1, 2. Halbsatz
AsylVfG gelten soll, sind nicht gegeben. Derartige Anhaltspunkte lassen sich auch
nicht der Regelung des § 30 Abs. 1 AsylVfG entnehmen, wonach als "offensichtlich
unbegründet" nur Entscheidungen zu Art. 16 a Abs. 1 GG und § 51 Abs. 1 AuslG
abgelehnt werden können, nicht aber Entscheidungen zu § 53 AuslG. Aus dieser
Regelung ergibt sich entgegen der Auffassung des Bundesbeauftragten für
Asylangelegenheiten nicht, daß auch nur hinsichtlich der Streitgegenstände des
Art. 16 a Abs. 1 GG und des § 51 Abs. 1 AuslG, verbunden mit der entsprechenden
Abschiebungsandrohung, die verkürzte Klagefrist gelten soll, nicht aber hinsichtlich
der Entscheidung zu § 53 AuslG. Vielmehr ist dem Asylverfahrensgesetz zu
entnehmen, daß die Entscheidung über das Vorliegen von
Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG im Hinblick auf dagegen zulässige
Rechtsbehelfe/Rechtsmittel das Schicksal der Entscheidung über den eigentlichen
Asylantrag (§ 13 Abs. 2 AsylVfG) teilt. Dies ist für den Rechtsmittelausschluß
gegen Urteile der Verwaltungsgerichte in § 78 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG ausdrücklich
geregelt. Diese Bestimmung besagt nämlich, daß der Rechtsmittelausschluß
wegen Abweisung einer Klage als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich
unbegründet für die Entscheidung nach § 53 AuslG auch dann gilt, wenn nur die
Klage auf Anerkennung als Asylberechtigter und/oder auf Feststellung der
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG als offensichtlich unzulässig oder
offensichtlich unbegründet, das Klagebegehren im übrigen hingegen als (einfach)
unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden ist. Dieser Rechtsgedanke liegt,
wie der eindeutige Wortlaut der Bestimmung zeigt, auch der Regelung des § 74
Abs. 1, 2. Halbsatz AsylVfG zugrunde.
Auch Sinn und Zweck der Vorschrift des § 74 Abs. 1 AsylVfG sprechen dafür, daß
die einwöchige Klagefrist im Falle der Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich
unbegründet oder unbeachtlich auch für Entscheidungen des Bundesamtes für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zu § 53 AuslG gilt. Die Vorschrift soll die im
Anschluß an die Ablehnung des Asylantrages möglichen asyl- und
ausländerrechtlichen Gerichtsverfahren konzentrieren und damit beschleunigen
(vgl. hierzu Kanein/Renner, Ausländerrecht, 6. Aufl., München 1993, § 74 AsylVfG
Rdnr. 2). Dieser Absicht liefe es zuwider, wenn man im Falle der Ablehnung eines
Asylantrages durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
als unbeachtlich oder offensichtlich unbegründet für die Klage auf Anerkennung als
Asylberechtigter und auf Feststellungen der Voraussetzungen des § 51 AuslG eine
andere Klagefrist annehmen wollte, als für die Klage auf Feststellung von
Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG.
Auch zur Klärung der vom Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten
aufgeworfenen Rechtsfrage, ob die Klagefrist des § 74 Abs. 1, 2. Halbsatz AsylVfG
auch dann gilt, wenn er gegen die Feststellung des Vorliegens von
Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG durch das Bundesamt für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge Klage erhebt, bedarf es der Durchführung
eines Berufungsverfahrens nicht. Diese Frage läßt sich ebenfalls anhand des
Wortlauts des Gesetzes beantworten. Die Regelung des § 74 Abs. 1, 2. Halbsatz
AsylVfG bestimmt ohne Einschränkung, daß in den Fällen, in denen ein Antrag
nach § 80 Abs. 5 VwGO innerhalb einer Woche (§ 36 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG) zu
stellen ist, auch die Klage innerhalb einer Woche erhoben werden muß. Daß die
Wochenfrist nur für Klagen der Asylbewerber, nicht jedoch für Klagen des
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Wochenfrist nur für Klagen der Asylbewerber, nicht jedoch für Klagen des
Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten gelten soll, kann der Bestimmung
nicht entnommen werden. Eine derartige Einschränkung läßt sich auch nicht aus
der Bezugnahme des § 74 Abs. 1, 2. Halbsatz AsylVfG auf die gemäß § 36 Abs. 3
Satz 1 AsylVfG innerhalb einer Woche zu stellenden Anträge nach § 80 Abs. 5
VwGO ableiten. Durch diese Bezugnahme wird die Geltung der einwöchigen
Klagefrist gegenständlich dahingehenden umschrieben, daß sie nur dann gilt, wenn
der Asylantrag als unbeachtlich oder offensichtlich unbegründet abgelehnt worden
ist (§§ 36 Abs. 3 und Abs. 1, 75 AsylVfG). Eine Einschränkung dahingehend, daß
die kurze Klagefrist auch in persönlicher Hinsicht nur für denjenigen gelten soll, der
nach § 80 Abs. 5 VwGO auch gegen die Abschiebungsandrohung vorgehen kann,
kann dieser Bezugnahme nicht entnommen werden.
Auch im übrigen gibt es keine Gründe, die es rechtfertigten, die nach ihrem
Wortlaut auch für Klagen des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten
geltende Bestimmung des § 74 Abs. 1, 2. Halbsatz AsylVfG dahingehend
einzuschränken, daß die kurze Frist nur auf Klagen eines Asylbewerbers
Anwendung findet. Der bestandskräftige Abschluß von Asylverfahren, der durch die
Bestimmung des § 74 Abs. 1, 2. Halbsatz AsylVfG gefördert werden soll, wird durch
Klagen des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten ebenso hinausgezögert
wie durch Klagen des Asylbewerbers. Folglich ist es gerechtfertigt und entspricht
im übrigen auch dem Gebot der Gleichbehandlung, die verkürzte Klagefrist nicht
nur auf Klagen der Asylbewerber, sondern auch auf solche des
Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten anzuwenden.
Da der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten mit seinem Antrag erfolglos
bleibt, hat er die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).
Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Infolgedessen
bedarf es keiner Festsetzung eines Streitwertes für das Antragsverfahren.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§§ 78 Abs. 5 Satz 2, 80 AsylVfG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.