Urteil des HessVGH vom 15.03.1991

VGH Kassel: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, aufschiebende wirkung, abwasserbeseitigung, wasserversorgung, aufwand, vollziehung, satzung, erneuerung, doppelbelastung, absicht

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
5. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 TH 642/89
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 93 Abs 1 GemO HE vom
01.04.1981, § 138 GemO
HE vom 01.04.1981, § 10
KAG HE, § 93 Abs 2 Nr 1
GemO HE vom 01.04.1981,
§ 93 Abs 3 GemO HE vom
01.04.1981
(Aufwand für öffentliche Einrichtungen; Nichterhebung von
Beiträgen)
Tatbestand
Die in den 70er Jahren durch den Zusammenschluß von 19 Gemeinden
entstandene Antragsgegnerin besaß im Herbst 1987
-- eine Allgemeine Wasserversorgungssatzung (AWS) vom 15. Dezember 1986
-- eine Wasserbeitrags- und -gebührensatzung (WBGS) vom selben Tage,
-- eine Abwassersatzung (AbwS) vom 1. Dezember 1981 und
-- eine Abwasserbeitrags- und -gebührensatzung (AbwBGS) vom 6. Februar
1984, geändert durch Satzung vom 16. Dezember 1985.
In der Allgemeinen Wasserversorgungssatzung und der Abwassersatzung war
mehrfach auf die jeweils zugehörige Beitrags- und -gebührensatzung verwiesen;
die beiden Beitrags- und -gebührensatzungen sahen die Erhebung von Beiträgen
zur Deckung des Aufwandes für die Schaffung, Erweiterung und Erneuerung der
öffentlichen Wasserversorgungs- bzw. Abwasserbeseitigungsanlage sowie die
Erhebung von laufenden Benutzungsgebühren vor; die laufende
Benutzungsgebühr für die Wasserversorgung betrug 3,-- DM je Kubikmeter
Frischwasser, die für die Abwasserbeseitigung bei Abnahme des Abwassers ohne
Fäkalien 1,29 DM und bei Abnahme des Abwassers mit Fäkalien 1,65 DM je
Kubikmeter Abwasser.
Am 11. Dezember 1987 beschloß die Gemeindevertretung der Antragstellerin eine
neue Allgemeine Wasserversorgungssatzung (AWS), eine
Wassergebührensatzung, eine neue Abwassersatzung (AbwS) und eine
Abwassergebührensatzung. Diese Satzungen, die noch am selben Tage vom
Gemeindevorstand ausgefertigt wurden, sollten zum 1. Januar 1988 in Kraft treten,
gleichzeitig sollte die jeweilige frühere Satzung außer Kraft treten, wobei die AWS
und die WBGS als Satzungen vom 1. Januar 1987 -- dem Tage ihres Inkrafttretens -
- die AWS als Satzung vom 9. Oktober 1981 -- dem Tag des
Gemeindevertreterbeschlusses -- bezeichnet wurden und statt der AbwGS vom 6.
Februar 1984 irrtümlich die vorhergehende Satzung "vom 9. Oktober 1981 und die
1.Änderungssatzung vom 27. Januar 1984" genannt wurde.
In der neuen Allgemeinen Wasserversorgungs- und der neuen Abwassersatzung
sind an allen Stellen die früheren Hinweise auf die jeweils zugehörige Beitrags- und
-gebührensatzung durch Hinweise auf die Wasser- bzw. Abwassergebührensatzung
ersetzt; in den Gebührensatzungen ist, wie der Name sagt, keine
Beitragserhebung mehr vorgesehen; zur Deckung des Aufwandes für die
öffentliche Wasserversorgungsanlage und für die öffentliche
Abwasserbeseitigungsanlage sollen nur noch laufende Benutzungsgebühren
erhoben werden; daneben kommen beim Wasser noch Verwaltungsgebühren,
Zählermiete und Erstattungsansprüche, beim Abwasser Verwaltungsgebühren,
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Zählermiete und Erstattungsansprüche, beim Abwasser Verwaltungsgebühren,
Abwasserabgaben und Kleineinleiterabgaben sowie Erstattungsansprüche in
Betracht. Die Höhe der laufenden Benutzungsgebühr für Wasser wurde bei 3,-- DM
je Kubikmeter Frischwasser belassen, für Abwasser wurde sie auf 3,-- DM je
Kubikmeter Abwasser erhöht.
Später hat die Antragstellerin im Lauf des Verfahrens auch den Gebührensatz der
Abwasserbeitrags- und -gebührensatzung vom 6. Februar 1984 ab dem 1. Januar
1988 auf 3,-- DM je Kubikmeter Abwasser angehoben.
Der Landrat des Rheingau-Taunus-Kreises -- im folgenden: der Antragsgegner --,
der schon vorher Bedenken gegen die geplanten Satzungsänderungen geäußert
hatte, beanstandete dieselben -- nach Anhörung der Antragstellerin gemäß § 28
des Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (HVwVfG) -- mit Verfügung vom
10. Juni 1988 gemäß § 138 der Hessischen Gemeindeordnung (HGO) und ordnete
zugleich gemäß § 80 Abs.2 Nr.4 VwGO die sofortige Vollziehung dieser
Beanstandung an. Die Beanstandung begründete er wie folgt: Die Beschränkung
auf Gebühren unter Verzicht auf Beitragserhebung sei nach dem Gesetz
grundsätzlich zulässig, sei aber im vorliegenden Fall bedenklich. Die Finanzierung
der öffentlichen Einrichtungen werde teurer werden, weil keine Vorausleistungen
auf Beiträge mehr erhoben werden könnten, also der volle Aufwand im Kreditwege
beschafft werden müsse. Im Fall der Antragstellerin müßten die Gebühren, wenn
sie auch die Kosten für die Schaffung der Einrichtungen abdecken sollten, zu hoch
werden. Die Antragstellerin müsse nämlich in den nächsten Jahren allein für die
Abwasserbeseitigung in ihren einzelnen Ortsteilen 30 Millionen Deutsche Mark
aufbringen. Der dann notwendige Gebührenbetrag werde mindestens 10,-- DM je
Kubikmeter betragen und politisch nicht durchsetzbar sein. Außerdem begründe
der Verzicht auf Beiträge eine Ungleichbehandlung (Doppelbelastung) derjenigen
Gebührenpflichtigen, von denen schon einmal Beiträge für die öffentlichen
Einrichtungen gezahlt worden seien und die für die Kosten solcher Einrichtungen
jetzt durch die zu erhöhenden Gebühren noch einmal zahlen sollten. Wenn die
Antragstellerin aber die Gebühren nicht in dem beim Verzicht auf Beiträge
erforderlichen Maße zu erhöhen gedenke, dann verstießen die
Satzungsänderungen gegen die Vorschrift des § 93 Abs.2 HGO. Schließlich sei der
Übergang zur reinen Gebührenerhebung deshalb bedenklich, weil dann die
Eigentümer unbebauter Grundstücke nicht mit Kosten der öffentlichen Einrichtung
belastet werden könnten, obwohl deren Schaffung auch ihnen zu einer
Werterhöhung der Grundstücke verhelfe. -- Zur Begründung der Anordnung der
sofortigen Vollziehung hieß es, diese sei erforderlich, weil sonst im Fall der
Rechtsmitteleinlegung Bescheide auf Grund der neuen Satzungen ergehen
würden, die dann auf Rechtsbehelfe hin aufgehoben werden würden, so daß der
Antragstellerin Einnahmeverluste drohten; auch seien die in den neuen Satzungen
vorgesehenen Gebührensätze ungeeignet, die Kosten der öffentlichen
Einrichtungen zu decken.
Die Antragstellerin legte am 6. Juli 1988 gegen die Beanstandungsverfügung vom
10. Juni 1988 Widerspruch ein und beantragte am selben Tage beim
Verwaltungsgericht Wiesbaden die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung
dieses Widerspruchs. Zur Begründung brachte sie vor: Der Antragsgegner habe
das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung seiner
Beanstandung nicht dargelegt, sondern nur Gründe genannt, die auch schon die
Beanstandung selbst beträfen. Der Übergang zur reinen Gebührenerhebung
entspräche dem Verursacherprinzip, da nur noch diejenigen zahlen müßten, die
die Leistungen der öffentlichen Einrichtungen tatsächlich in Anspruch nähmen. Die
Beitragserhebung sei kompliziert und stoße auf Schwierigkeiten im Einzelfall; die
Beiträge würden für die Pflichtigen zu hoch; schon in der Vergangenheit seien
Beiträge niemals in der sich aus den Satzungen ergebenden Höhe erhoben
worden. Der Vorwurf eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz sei unrichtig;
denn in die Gebührenbedarfsberechnung seien Investitionskosten bisher noch gar
nicht eingeflossen; die Gebühren deckten noch nicht einmal die Kosten des
laufenden Betriebs der Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung. Bisher seien
auch nur in wenigen Ortsteilen Beiträge erhoben worden. Auch wenn einmal
Investitionskosten bei der Ermittlung der Gebührenhöhe berücksichtigt werden
sollten, könne es nicht zu Doppelbelastungsfällen kommen, weil immer nur die
neuen Investitionen berücksichtigt werden würden. Im übrigen werde eine
Regelung zur Entlastung derjenigen angestrebt, die schon einmal Beiträge gezahlt
hätten. Der Antragsgegner hätte ihr, der Antragstellerin, insoweit mit Ratschlägen
helfen müssen, statt die neuen Satzungen im ganzen aufzuheben. Auch auf § 93
Abs.2 und 3 HGO könne der Antragsgegner die Beanstandung nicht stützen. Eine
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Abs.2 und 3 HGO könne der Antragsgegner die Beanstandung nicht stützen. Eine
volle Kostendeckung durch Abgaben sei in § 93 Abs.2 HGO nicht vorgeschrieben;
im übrigen habe der Antragsgegner auch nur die zu geringe Höhe der Gebühren,
aber nicht die Satzungen im ganzen beanstanden dürfen. Auf zu hohe
Kreditaufnahmen in ihren Haushaltssatzungen könne sich der Antragsgegner
schon deshalb nicht berufen, weil er diese Haushaltssatzungen selbst genehmigt
habe. Die Antragstellerin beantragte,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 6. Juli 1988 gegen die
Verfügung des Landrats des ... Kreises vom 10. Juni 1988 wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragte,
den Antrag zurückzuweisen,
und führte aus, ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz liege auch dann vor, wenn
bei der Gebührenbedarfsberechnung die Herstellungskosten nicht eingesetzt
seien; denn dann seien diejenigen, die schon einmal Beiträge gezahlt hätten,
schlechter behandelt, als die, die in Zukunft in keiner Weise mehr mit den
Investitionskosten belastet würden. Im übrigen sei die jetzige einheitliche
Abwassergebühr ohne Differenzierung nach der Ableitung von Abwasser mit
Fäkalien oder Abwasser ohne Fäkalien bedenklich. Der Vortrag, daß
Kostendeckung nicht erstrebt werde, ergebe einen Verstoß gegen die §§ 92 und 93
HGO, die nicht nur Programmsätze, sondern für die Gemeinden verbindliche
gesetzliche Regelungen seien. Er, der Antragsgegner, habe die Verstöße der
Antragsgegnerin auch nicht durch die Genehmigung der Haushaltspläne
sanktioniert; denn die Genehmigung sei nur für die Kreditaufnahme im Ganzen
erforderlich und habe wegen des Gesamtdeckungsprinzips nicht verweigert werden
können; er habe aber die Antragsgegnerin auch in der Vergangenheit schon auf
die Notwendigkeit der Ausschöpfung ihrer Einnahmemöglichkeiten hingewiesen.
Die Anordnung des Sofortvollzugs sei unabhängig davon, wie hoch die Gebühren
nach den beanstandeten Satzungen seien, deswegen erforderlich, weil alle auf die
neuen Satzungen gestützten Bescheide wegen Ungültigkeit dieser Satzungen
aufgehoben werden müßten, so daß der Antragstellerin Einnahmeausfälle drohten.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag mit Beschluß vom 21. Oktober 1988
zurückgewiesen. In den Gründen des Beschlusses heißt es: Der Antragsgegner
habe die Begründung des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung
zwar etwas summarisch, aber doch zutreffend mit dem Hinweis auf die Gefahr
begründet, daß der Antragstellerin bei der unsicheren Situation Einnahmeausfälle
drohten. -- Die Beanstandung sei offensichtlich rechtmäßig, da die in den neuen
Satzungen vorgesehene undifferenzierte Erhebung von Gebühren eine
Ungleichbehandlung derjenigen Benutzer, die schon einmal zum Aufwand
beitragen hätten, im Verhältnis zu den übrigen Benutzern bedeute. Selbst wenn
aber die angefochtene Beanstandung nicht als offensichtlich rechtswidrig
anzusehen sein sollte, würde die vorzunehmende Interessenabwägung den
Vorrang des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung der
Beanstandung ergeben. Bei Satzungen, die als Rechtsgrundlage für eine Vielzahl
von Fällen dienen müßten und auf deren Grundlage Verwaltungsakte ergingen, sei
es notwendig, einen Schwebezustand zu vermeiden. Es könne dahingestellt
bleiben, ob darüber hinaus die Argumentation des Antragsgegners zutreffend sei,
daß die Antragstellerin den Rahmen einer angemessenen Haushaltsführung
verlasse.
Die Antragstellerin hat gegen diesen ihr am 4. November 1988 zugestellten
Beschluß -- in welchem die Entscheidungen zu Nr.1 und Nr.2 des Tenors andere,
hier nicht mehr interessierende Punkte betrafen -- am 11. November 1988
Beschwerde eingelegt. Sie verweist wiederum darauf, daß sie bei der
Gebührenbedarfsberechnung bisher keine Investitionskosten berücksichtigt habe,
so daß keine Fälle von Doppelbelastung eintreten könnten. Im übrigen verstehe sie
das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. September 1981 -- BVerwG 8 C
48/81 -- so, daß Ungleichbehandlungen nicht schlechthin verboten seien. Sie sei
auch zum Ausgleich etwa doch auftretender Ungleichbehandlungen durch
Billigkeitsregelungen bereit; das ermöglichten die in Hessen durch § 4 KAG für
anwendbar erklärten Bestimmungen der Abgabenordnung; eine ausdrückliche
Regelung in den Gebührensatzungen darüber, wie der Ausgleich von
Doppelbelastungen erfolgen solle, sei nicht nötig; wenn diese ihre Ansicht aber
nicht zutreffen sollte, dann sei es Aufgabe des Antragsgegners gewesen, ihr
entsprechende Regelungen anzuraten oder als Aufsichtsbehörde aufzugeben. --
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entsprechende Regelungen anzuraten oder als Aufsichtsbehörde aufzugeben. --
Im übrigen habe der Antragsgegner ihr bis zum Herbst 1990 noch keine konkrete
Weisung erteilt, die auf Grund ihrer früheren Satzungen entstandenen
Beitragsforderungen oder mögliche Vorausleistungsforderungen geltend zu
machen. An diesen möglichen Forderungen zeige sich im übrigen, daß das
Beitragsrecht ungerecht sei, weil häufig nur die Größe eines Ortsteils darüber
entscheide, ob Baumaßnahmen desselben Umfangs eine beitragsfähige
Erneuerung oder eine nichtbeitragsfähige Erhaltungsmaßnahme darstellten. -- Sie
habe inzwischen die Wassergebühr zum 1. Januar 1990 auf 3,50 DM und die
Abwassergebühr zum 1. Januar 1991 auf 3,70 DM je Kubikmeter erhöht, so daß ein
als Vorwurf gemeinter Hinweis des Antragsgegners, sie habe lediglich die Beiträge
abgeschafft, unzutreffend sei.
Die Antragstellerin beantragt,
unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom
21. Oktober 1988 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die
Beanstandungsverfügung des Landrats des ... Kreises vom 10. Juni 1988
wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er führt aus: Daß die Antragstellerin die durch den Sofortvollzug gebotene
Möglichkeit, die im Jahre 1988 entstandenen Beitragsforderungen geltend zu
machen und für die Kläranlage ... Vorausleistungen zu erheben, nicht verwirkliche,
könne die Notwendigkeit der Anordnung des Sofortvollzuges nicht in Frage stellen.
Er gedenke auch noch weitere kommunalaufsichtliche Maßnahmen zu ergreifen.
Die Beteiligten haben zur Untermauerung ihrer Ausführungen weitere Unterlagen
vorgelegt; auf diese wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet; das Verwaltungsgericht hat es
mit Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der
Antragstellerin wiederherzustellen.
Der Antragsgegner hat die sofortige Vollziehung seiner Beanstandungsverfügung
wirksam angeordnet; insbesondere hat er -- entgegen der Ansicht der
Antragstellerin -- dem § 80 Abs.3 Satz 1 VwGO entsprechend das besondere
Interesse an dieser Anordnung schriftlich begründet. Während die
Beanstandungsverfügung an sich darlegt, daß die am 11. Dezember 1987
beschlossenen und ausgefertigten Satzungen das Recht verletzen, ist in der
Begründung des Sofortvollzugs dargetan, daß diese rechtswidrigen neuen
Satzungen auch nicht bis zum Abschluß eines etwaigen Rechtsbehelfsverfahrens
angewandt werden dürften, sondern daß im Gegenteil die früheren, zu Unrecht
aufgehobenen Satzungsbestimmungen über den 31. Dezember 1987 hinaus
angewandt werden müßten, um Schaden von der Antragstellerin selbst
abzuwenden.
Das Verwaltungsgericht ist sodann mit Recht davon ausgegangen, daß ein Antrag
auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs.5 VwGO Erfolg
haben muß, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist,
daß er erfolglos bleiben muß, wenn der Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig
ist, und daß dann, wenn weder Rechtmäßigkeit noch Rechtswidrigkeit
"offensichtlich" sind, die Entscheidung auf Grund einer Abwägung der Interessen
der Beteiligten zu treffen ist. Die Beanstandungsverfügung vom 10. Juni 1988 ist
nicht offensichtlich rechtswidrig. Ob sie als offensichtlich rechtmäßig bezeichnet
werden kann, kann der Senat offenlassen, da auch dann, wenn eine
Interessenabwägung vorzunehmen ist, diese zu einer Bestätigung der
Vollzugsanordnung führen muß.
Mit der Antragstellerin und dem Antragsgegner ist der Senat der Auffassung, daß
es einer Gemeinde grundsätzlich erlaubt ist, die Kosten ihrer der
Wasserversorgung und der Abwasserbeseitigung dienenden öffentlichen
Einrichtungen allein durch Benutzungsgebühren nach § 10 des Gesetzes über
kommunale Abgaben (KAG) vom 17. März 1970 (GVBl.I S.225), zuletzt geändert
durch Gesetz vom 25. September 1987 (GVBl.I S.174), zu decken. Die zur
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durch Gesetz vom 25. September 1987 (GVBl.I S.174), zu decken. Die zur
Ausführung eines derartigen Entschlusses geschaffene Gebührenregelung,
insbesondere die Höhe des in der einschlägigen Satzung festgelegten
Gebührensatzes, muß dann aber der Vorschrift des § 93 der Hessischen
Gemeindeordnung (HGO) in der Fassung vom 1. April 1981 (GVBl.I S.66)
entsprechen. Nach § 93 Abs.1 HGO "erhebt" die Gemeinde Abgaben nach den
gesetzlichen Vorschriften, das heißt sie ist zur Abgabenerhebung verpflichtet.
Nach § 93 Abs.2 HGO hat die Gemeinde die zur Erfüllung ihrer Aufgaben
erforderlichen Einnahmen 1. soweit vertretbar und geboten aus Entgelten für ihre
Leistungen, 2. im übrigen aus Steuern zu beschaffen, soweit die sonstigen
Einnahmen nicht ausreichen. Nach § 93 Abs.3 HGO darf die Gemeinde Kredite nur
aufnehmen, wenn eine andere Finanzierung nicht möglich ist oder wirtschaftlich
unzweckmäßig wäre. Diese Bestimmungen stellen nicht nur Ratschläge dar, die die
Gemeinde auf Grund von Zweckmäßigkeitsüberlegungen befolgen oder auch nicht
befolgen kann, sondern sie enthalten gesetzliche Verpflichtungen, deren
Nichtbeachtung das Recht verletzt, was zur Beanstandung durch die
Aufsichtsbehörde nach § 138 HGO führen kann. Der Senat schließt sich insoweit
der zu den entsprechenden Bestimmungen das rheinland-pfälzischen und des
nordrhein-westfälischen Rechts ergangenen Rechtsprechung des OVG Rheinland-
Pfalz (Urteil vom 25. Mai 1982 -- 6 A 21/81 -- KStZ 1983,144) und des OVG
Münster (Urteil vom 20. September 1979 -- XV A 2589/78 -- OVGE 34,233 = DVBl.
1980,72 = HSGZ 1980,223 und Urteil vom 7. September 1989 -- 4 A 698/84 --
ZKF 1989,276 = NVwZ 1990,393 = DÖV 1990,615 = KStZ 1990,157 = HSGZ
1990,145) an. Im vorliegenden Fall ist nichts dafür ersichtlich, daß die
Antragstellerin die Wasserversorgung und die Abwasserbeseitigung mit "sonstigen
Einnahmen" finanzieren kann. Sie ist also nach § 93 Abs.2 HGO verpflichtet, die zur
Erfüllung dieser Aufgaben erforderlichen Einnahmen aus Entgelten für ihre
Leistungen und nur "im übrigen", das heißt subsidiär, aus Steuern zu beschaffen.
Dem genügen aber die Wassergebührensatzung und die
Abwassergebührensatzung vom 11. Dezember 1987 nicht. Die darin
vorgesehenen Gebühren von 3,-- DM je Kubikmeter Wasser bzw. Abwasser
deckten nach dem eigenen Vortrag der Antragstellerin, die damit den Vorwurf der
gleichheitswidrigen Doppelbelastung früherer Beitragszahler entkräften wollte,
noch nicht einmal die laufenden Kosten der Wasserversorgung und der
Abwasserbeseitigung. Der in einzelnen Ortsteilen schon entstandene, in anderen
Ortsteilen zu erwartende Aufwand für die Schaffung, Erweiterung und Erneuerung
der Einrichtungen selbst konnte damit also nicht gedeckt werden. Dasselbe ist
auch bei der jetzt durch Satzungsänderungen erreichten Gebührenhöhe (3,50 DM
je Kubikmeter Wasser und 3,70 DM je Kubikmeter Abwasser) zu erwarten. Die
Verpflichtung der Antragstellerin, die zur Erfüllung der Aufgaben auf dem Gebiete
der Wasserversorgung und der Abwasserbeseitigung erforderlichen Einnahmen
aus Entgelten für ihre Leistungen zu beschaffen, also die Wassergebühren und die
Abwassergebühren so hoch festzusetzen, daß auch die
"Investitionsaufwendungen" gedeckt werden, entfällt auch nicht deswegen, weil
dies nicht im Sinne von § 93 Abs.2 Nr.1 HGO "vertretbar" wäre. Die Antragstellerin
hat zwar ausgeführt, daß die in den früheren Satzungen vorgesehene Erhebung
von Beiträgen auf Schwierigkeiten gestoßen sei; das bedeutet aber nicht, daß sie
Beitragsforderungen nicht doch unter Überwindung dieser Schwierigkeiten hätte
durchsetzen können und daß jetzt als Ersatz für die Beiträge erhöhte
Gebührenforderungen nicht ebenfalls durchgesetzt werden könnten.
Da die Satzungen vom 11. Dezember 1987 so, wie sie jetzt der Prüfung
unterliegen, wegen Verstoßes gegen § 93 HGO rechtswidrig erscheinen, kann
offenbleiben, ob sie auch deswegen rechtswidrig sind, weil die Eigentümer nicht
bebauter Grundstücke keine Gebühren zu zahlen haben, also der auf ihre
Grundstücke entfallende Teil der der Antragstellerin entstehenden Kosten von den
Eigentümern der bebauten Grundstücke mitgetragen werden muß. Das
Bundesverwaltungsgericht hat in seinen Urteilen vom 16. September 1981 --
BVerwG 8 C 47.81 und BVerw 8 C 48.81 -- DVBl.1982,76 = DÖV 1982,154 = HSGZ
1982,108 = KStZ 1982,69 = MDR 1982,432 = NVwZ 1982,622 angenommen, daß
eine Gebührensatzung aus diesem Grunde nur dann ungültig sein kann, wenn die
Zahl der unbebauten, aber bebaubaren Grundstücke auf längere Zeit einen Anteil
von 20 vom Hundert der insgesamt anschließbaren Grundstücke erreicht. --
Ebenso kann offenbleiben, ob die Satzungen vom 11. Dezember 1987 so, wie sie
der Überprüfung unterliegen -- also ohne einen zur Deckung von
Investitionskosten dienenden Anteil an den Gebühren --, einen Verstoß gegen den
Gleichheitssatz zu Lasten derjenigen darstellten, die schon einmal Beiträge für die
Wasserversorgung oder die Abwasserbeseitigungsanlage in ihrem Ortsteil geleistet
haben.
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Der Ansicht der Antragstellerin, auch wenn die Satzungen vom 11. Dezember
1987 gegen § 93 HGO verstoßen sollten, habe der Antragsgegner sie nicht im
Ganzen durch Beanstandung aufheben dürfen, sondern nur die Bestimmungen
über die Gebührenhöhe beanstanden dürfen und ihr mit Hinweisen auf eine
rechtmäßige Gestaltung helfen müssen, kann der Senat nicht zustimmen. Dieser
Gedanke liefe praktisch darauf hinaus, daß die Gemeinden den Erlaß von
rechtsgültigen Satzungen auf die Aufsichtsbehörden abwälzen können, indem sie
irgendeinen beliebigen Satzungstext formulieren und seine Umänderung in
sorgfältig redigierte, mit übergeordnetem Recht in Einklang stehende
Rechtsnormen der Aufsichtsbehörde überlassen. Für den Senat besteht aber kein
Zweifel daran, daß mit dem Recht der Selbstverwaltung und der autonomen
Satzungsgebung auch die Pflicht zur sorgfältigen und verantwortungsbewußten
Ausübung verbunden ist. Es wird also Aufgabe der Antragstellerin sein, wenn sie
bei ihrer Absicht, keine Beiträge zur erheben, bleiben will, diese Absicht durch eine
dem § 93 HGO genügende Gestaltung der Gebühren zu verwirklichen. Sobald sie
dies unternimmt, wird sie dem Umstand Rechnung zu tragen haben, daß bei der
Einbeziehung der Investitionskosten in die Errechnung des Gebührenbedarfs und
die sich dann ergebende Gebührenhöhe das Problem der ungleichen Behandlung
(Mehrfachbelastung) derjenigen Gebührenpflichtigen auftreten wird, die in der
Vergangenheit Beiträge zu dem Aufwand für die Wasserversorgungs- bzw.
Abwasserbeseitigungsanlage geleistet haben, und zwar auch dann, wenn bei der
Gebührenberechnung nur Investitionskosten für neu zu schaffende Anlagen und
nicht die für schon in der Vergangenheit geschaffene Anlagen entstandenen
Investitionskosten eingestellt werden. Denn auch dann sind diejenigen
Gebührenpflichtigen, die in der Vergangenheit Beiträge geleistet haben, höher
belastet, weil sie die Kosten für "ihre" Anlage getragen haben und zusätzlich über
die Gebühren auch die Kosten der Anlage in anderen Ortsteilen mittragen müßten.
Insoweit wird die Antragstellerin, wie sie es schon als ihre Absicht angedeutet hat,
bei der Erhöhung der Gebühren eine Berücksichtigung der früher erbrachten
Beiträge durch Anrechnung in der Satzung selbst vorsehen müssen; die
Beschränkung auf die Erklärung, zu Billigkeitsmaßnahmen bereit zu sein, würde
nach der Ansicht des Senats nicht ausreichen, weil die einschlägigen Fälle wohl
nicht als "Einzelfälle" anzusehen sein werden, für die das
Bundesverwaltungsgericht in der schon genannten Entscheidung vom 16.
September 1981 (BVerwG 8 C 48.81 -- DVBl.1982,76 usw.) einen Ausgleich durch
eine Billigungsregelung für ausreichend gehalten hat. Denn die Fälle, in denen
früher Beiträge erhoben worden sind, scheinen in der planmäßigen Heranziehung
der Eigentümer in ganzen Ortsteilen bestanden zu haben.
Nach alledem spricht mehr für die Rechtmäßigkeit als für die Rechtswidrigkeit der
Beanstandung vom 10. Juni 1988. Die Abwägung der beiderseitigen Interessen
ergibt dann, daß die Anordnung des sofortigen Vollzuges der Beanstandung
gerechtfertigt war und vom Gericht nicht abzuändern ist. Es ist besser, wenn die
Rechtslage, wie sie in den früheren Satzungen der Antragstellerin geregelt war,
weiterhin als gültig behandelt wird und zur Erhebung der entstandenen Beiträge
und möglichen Vorausleistungen führt -- zu der die Antragstellerin durch den
Antragsgegner anzuhalten sein wird --, als daß die neuen Satzungen als gültig
behandelt werden und später im Fall der Erfolglosigkeit von Widerspruch und Klage
die Erhebung der Beiträge wegen Verjährung nicht mehr möglich ist.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.