Urteil des HessVGH vom 16.08.2005

VGH Kassel: mitwirkungspflicht, nachlässigkeit, datum, quelle, beteiligter, zivilprozessrecht, immaterialgüterrecht, dokumentation, verwaltungsprozess, absicht

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
10. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 TP 1538/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 120 Abs 4 S 2 ZPO, § 124
Nr 2 Alt 2 ZPO
Prozesskostenhilfe; Aufhebung; Mitwirkungspflicht
Leitsatz
Seiner Mitwirkungspflicht nach §§ 120 Abs. 4 Satz 2, 124 Nr. 2, 2. Alt. ZPO entzieht sich
ein Beteiligter nicht im Hauptsacheverfahren, wenn er in dem parallelen
Eilrechtsschutzverfahren eine zeitnahe und ausreichende Erklärung nach § 120 Abs. 4
Satz 2 ZPO abgegeben hat.
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts
Darmstadt vom 26. April 2005 - 6 E 57/01 (3) - aufgehoben. Gerichtskosten
werden nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Die Beschwerde des Klägers gegen den im Tenor genannten Beschluss des
Verwaltungsgerichts Darmstadt ist zulässig und auch begründet. Zu Unrecht hat
das Verwaltungsgericht die mit Beschluss vom 27. April 2001 - 6 E 57/01 (3) -
bewilligte Prozesskostenhilfe aufgehoben, weil der Kläger die von ihm geforderte
Erklärung nach § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO nicht abgegeben habe (§ 124 Nr. 2, 2. Alt.
ZPO).
Nach § 124 Nr. 2, 2. Alt. ZPO kann das Gericht die Bewilligung der
Prozesskostenhilfe dann aufheben, wenn die Partei eine Erklärung nach § 120 Abs.
4 Satz 2 ZPO nicht abgegeben hat. Diese Vorschriften gelten gemäß § 166 VwGO
auch im Verwaltungsprozess. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Aufhebung
der Prozesskostenhilfe liegen jedoch entgegen der Auffassung des
Verwaltungsgerichts hier nicht vor.
Das Verwaltungsgericht hat zunächst außer Acht gelassen, dass eine Aufforderung
des Gerichts nach § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO nur dann in Betracht kommen wird,
wenn dazu ein konkreter Anlass besteht. An die Notwendigkeit einer
routinemäßigen Überprüfung hat der Gesetzgeber bei § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO
nicht gedacht (siehe Bork in: Stein/Jonas, Kommentar zur ZPO, 22. Aufl. 2004, §
120 Rdnr. 34 m.w.N. , u.a. unter Hinweis auf die Amtliche Begründung BT- Drucks.
10/3054 S.18). Dass ein solcher konkreter Anlass für die - erstmalige - gerichtliche
Aufforderung vom 23. Oktober 2003 und die nachfolgenden jährlichen
Aufforderungen bestand, lässt sich den Akten nicht entnehmen. Das
Verwaltungsgericht setzt sich in dem angegriffenen Beschluss damit nicht
auseinander, offenbar weil es der Auffassung ist, routinemäßige Überprüfungen
seien vom Gesetz gewollt.
In der Sache ist nicht zu erkennen, dass der Kläger absichtlich oder aus grober
Nachlässigkeit ( für die Anwendbarkeit dieser qualifizierenden Merkmale auch auf §
124 Nr. 2 2.Alt. ZPO : Kalthoener u.a., a.a.O., Rdnr. 842; a.A. Philippi in Zöllner,
ZPO-Kommentar, 25. Aufl. 2005, § 124 Rdnr. 10a) den Aufforderungen des
Gerichts nicht nachgekommen ist. Auf die zweite Aufforderung vom 17. November
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Gerichts nicht nachgekommen ist. Auf die zweite Aufforderung vom 17. November
2003 ging der von der Mutter des Klägers ausgefüllte Fragebogen mit dem Datum
28. November 2003 am 2. Dezember 2003 beim Verwaltungsgericht ein. Aus dem
Fragebogen und der beigefügten Bescheinigung ergab sich, dass der Kläger noch
Schüler war. Dem ausgefüllten Fragebogen war auch die Verdienstabrechnung der
Mutter beigefügt. Unter dem 1. September 2004 forderte das Verwaltungsgericht
den Kläger erneut auf, eine Erklärung nach § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO abzugeben.
Auf diese Anfrage erfolgte zwar keine Reaktion von Seiten der Mutter bzw. des
Klägers, wobei sich aus den Unterlagen ergibt, dass der Kläger offensichtlich
sowohl in seinem Hauptwohnsitz A-Stadt als auch in seinem Nebenwohnsitz B.
jeweils einmal umgezogen ist. Im Zeitpunkt der erneuten Anfrage am 1.
September 2004 lag dem Verwaltungsgericht jedoch unter dem Aktenzeichen 6 G
56/01 (PKH) - es handelt sich um das denselben Streitgegenstand betreffende
Eilverfahren - der vom Kläger unter dem Datum 7. Juli 2004 ausgefüllte
Fragebogen vor. Dort erklärt der Kläger, er sehe sich nicht in der Lage, seine
Kostenschuld abzutragen, weil er noch kein Geld verdiene. Der Akte 6 G 56/01
(PKH) ist nicht zu entnehmen, dass das Verwaltungsgericht die Angaben des
Klägers in dem Fragebogen für unzureichend gehalten hat.
Das Verwaltungsgericht hätte bei seiner Entscheidung vom 26. April 2005 den
Eingang dieses Fragebogens nicht außer Acht lassen dürfen. Auch bei seiner
Entscheidung nach § 148 Abs. 1 VwGO am 31. Mai 2005 hätte das
Verwaltungsgericht berücksichtigen müssen, dass der Kläger inzwischen erneut
am 9. Mai 2005 unter dem Aktenzeichen 6 G 56/01 einen ausgefüllten Fragebogen
mit zwei Anlagen übersandt hatte. Auch verspätet eingegangene Erklärungen sind
nämlich soweit möglich noch zu berücksichtigen (Bork, a.a.O., § 120 Rdnr. 34;
Philippi, a.a.O.).
Die Bestimmung des § 124 Nr. 2 i.V.m. § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO sanktioniert
ebenso wie die für das Bewilligungsverfahren geltende Regelung des § 118 Abs. 2
Satz 4 ZPO die fehlende Kooperationsbereitschaft der Partei (Bork, a.a.O., § 121
Rdnr. 16). Die Aufhebung der PKH-Bewilligung setzt voraus, dass sich der Beteiligte
absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit seiner Mitwirkungsverpflichtung
entzogen hat. Davon kann aber keine Rede sein, wenn in dem parallelen
Eilrechtsschutzverfahren zeitnahe und ausreichende Erklärungen der Partei
vorliegen und dieselbe Kammer des Verwaltungsgerichts auch für das
Eilrechtsschutzverfahren zuständig ist. Gemessen an Sinn und Zweck der
gesetzlichen Vorschriften durfte das Verwaltungsgericht im Hauptsacheverfahren
nicht so tun, als ob die zu dem Eilrechtsschutzverfahren eingereichten Unterlagen
nicht vorlägen, zumal es der Beteiligte in der Hand gehabt hätte, den ausgefüllten
Fragebogen sowohl mit dem Aktenzeichen des Hauptsacheverfahrens als auch mit
dem Aktenzeichen des Eilrechtsschutzverfahrens zu versehen.
In seinem Schriftsatz vom 25. Mai 2005 weist der Bevollmächtigte des Klägers
darauf hin, dass sich die Angelegenheit für diesen als e i n rechtliches Verfahren
dargestellt habe. Selbst wenn ihm zwei verschiedene Aufforderungen zugegangen
wären, sei für ihn nicht erkennbar gewesen, dass zwei getrennte Erklärungen
einzureichen seien. Ihm könne deshalb keine Absicht oder grobe Nachlässigkeit
bzw. ein sonstiger Verstoß seine Mitwirkungsverpflichtung aus § 124 Nr. 2 ZPO
unterstellt werden. Der beschließende Senat teilt diese Auffassung. Im übrigen hat
der Kläger inzwischen dem Senat eine aktuelle Erklärung über die persönlichen
und wirtschaftlichen Verhältnisse (Datum : 11. August 2005) vorgelegt. Diese kann
noch berücksichtigt werden (Philippi, a.a.O.).
Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 VwGO in der bis zum 31.
Dezember 2004 geltenden Fassung, die nach § 206 Abs. 1 SGG in der ab dem 1.
Januar 2005 geltenden Fassung im vorliegenden Fall noch anzuwenden ist.
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO
i.V.m. § 166 VwGO.
Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.