Urteil des HessVGH vom 03.09.2008

VGH Kassel: lebensgemeinschaft, aufenthaltserlaubnis, beweislast, trennung, stadt, einreise, ausländer, familiennachzug, bayern, anfang

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
11. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
11 B 1690/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 27 Abs 1a AufenthG
2004, § 82 Abs 1 AufenthG
2004, Art 16 EGRL 86/2003,
Art 2d EGRL 86/2003
(Aufenthaltserlaubnis und familiäre Lebensgemeinschaft
im Sinne einer Beistandsgemeinschaft - Beweislast)
Leitsatz
Für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 27 Abs. 1 AufenthG ist auch nach Einführung der
Bestimmung des § 27 Abs. 1 a Nr. 1 AufenthG aufgrund des Gesetzes zur Umsetzung
aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007
(BGBl. I S. 1970) erforderlich, dass eine familiäre Lebensgemeinschaft im Sinne einer
Beistandsgemeinschaft besteht. Die objektive Beweislast für den Bestand einer
ehelichen Lebensgemeinschaft trifft weiterhin den sich auf diese für ihn günstige
Tatsache berufenden Ausländer.
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts
Darmstadt vom 16. Juli 2008 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,-- € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig (§§ 146 Abs. 1, 4; 147 VwGO), aber nicht begründet.
Das Vorbringen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren, das allein das
Beschwerdegericht zu überprüfen hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), gibt keine
Veranlassung, die verwaltungsgerichtliche Entscheidung abzuändern.
Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht festgestellt, dass weder die
Voraussetzungen für die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zur Fortsetzung
der familiären Lebensgemeinschaft gemäß § 28 AufenthG noch für die Erteilung
einer eigenständigen Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG erfüllt sind.
Allerdings lässt sich aus den für die Zeit bis etwa Ende 2006 getroffenen
Feststellungen nicht mit der erforderlichen Sicherheit der Schluss ziehen, dass die
eheliche Lebensgemeinschaft zu keinem Zeitpunkt bestanden hat. Gefestigte
Erkenntnisse über unterschiedliche Lebensmittelpunkte des Antragstellers und
seiner Ehefrau liegen für den Zeitraum seit Erteilung der ersten
Aufenthaltserlaubnis im März 2005 bis September 2006 nicht vor, und allein die
übrigen Umstände wie die finanzielle Zwangssituation der Ehefrau des
Antragstellers, der erhebliche Altersunterschied und die womöglich erst kurze Zeit
währende Bekanntschaft der Eheleute vor Eheschließung stellen ebenso wie die
getroffene Wahl der getrennten anstelle der gemeinsamen Veranlagung durch das
Finanzamt zwar Indizien dar, lassen aber nicht schon zwingend den Schluss zu, in
Wahrheit habe zu keinem Zeitpunkt eine eheliche Lebensgemeinschaft bestanden.
Unstreitig wurde jedoch der jedenfalls nach den Meldedaten und dem Mietvertrag
bisher in Suhl bewohnte gemeinsame Lebensmittelpunkt im Zeitraum September
bis November 2006 aufgegeben, da der Antragsteller allein eine Hauptwohnung in
A-Stadt bezogen hat und seine Ehefrau schließlich spätestens zum Januar 2007
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A-Stadt bezogen hat und seine Ehefrau schließlich spätestens zum Januar 2007
Unterkunft bei einer Freundin in Bayern fand. Das Vorbringen im
Beschwerdeverfahren ebenso wie das Vorbringen im erstinstanzlichen Eilverfahren
ist nicht geeignet, hinreichend substantiiert darzutun, dass gleichwohl eine
familiäre Lebensgemeinschaft als Beistandsgemeinschaft weiterhin bestand oder
gar noch besteht. Zwar ist ein vorübergehendes Getrenntleben der Eheleute
unschädlich, wenn es nicht auf dem gemeinsamen Entschluss der Beendigung der
ehelichen Lebensgemeinschaft, sondern auf beruflichen, gesundheitlichen oder
ähnlichen sachlichen Gründen beruht, die das Fortbestehen der ehelichen
Lebensgemeinschaft nicht in Zweifel ziehen (dazu schon Hess. VGH, 21.03.2000 -
12 TG 2545/99 -). Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die persönliche und
emotionale Verbundenheit der Eheleute, ihr "Füreinander-Dasein" durch die
räumliche Trennung nicht in einer so nachhaltigen Weise aufgegeben wird, dass
nicht mehr von einer Beistandsgemeinschaft, sondern allenfalls noch von einer
bloßen Begegnungsgemeinschaft gesprochen werden kann, im Rahmen derer
selbst regelmäßige Treffen und Freizeitaktivitäten nur noch den Charakter
gegenseitiger Besuche miteinander befreundeter Personen haben (Hess. VGH,
16.01.2007 - 7 TG 2879/06 -, AuAS 2007, 134). Die Führung oder der weitere
Bestand einer ehelichen Lebensgemeinschaft gehört zudem zu den für den
Ausländer günstigen Umständen, die er unter Angabe nachprüfbarer Umstände
unverzüglich geltend zu machen und mit Nachweisen zu belegen hat (§ 82 Abs. 1
AufenthG). Bei der Feststellung des (weiteren) Bestands einer familiären
Lebensgemeinschaft im Sinne der §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 2 AufenthG besteht
deshalb keine "Beweislast" der Ausländerbehörde, vielmehr setzt das Bestehen
eines Anspruchs auf Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis
voraus, dass die dafür erforderlichen Voraussetzungen nachweisbar vorliegen
(Hess. VGH, 16.09.2007, a.a.O.; 09.08.2004 - 9 TG 1179/04 -, FamRZ 2005, 989;
zu § 17 Abs. 1 AuslG: Hess. VGH, 09.02.2000 - 12 TZ 343/00 -). Wenn die
Ausländerbehörde begründete Zweifel am Bestehen der ehelichen
Lebensgemeinschaft hegt und diese gegenüber dem ausländischen Ehegatten
äußert, sind die Ehegatten deshalb auch zu einer näheren Darlegung ihrer
innerfamiliären Lebensumstände verpflichtet.
Diese Grundsätze sind auch unter der Geltung des neuen Aufenthaltsrechts
anzuwenden; die mit dem Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher
Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970) eingeführte
Bestimmung des § 27 Abs. 1 a AufenthG hat daran nichts geändert. Entgegen der
Ansicht des Antragstellers kann nach dieser Regelung die Aufenthaltserlaubnis und
deren Verlängerung nicht erst verweigert werden, wenn positiv feststeht, dass die
Ehe beispielsweise allein aus aufenthaltsrechtlichen Gründen geschlossen wurde.
Vielmehr ist eine derartige Feststellung ein zwingender Grund für die Versagung
der Genehmigung des Familiennachzugs, für deren Erteilung nach wie vor
Voraussetzung ist, dass eine gelebte familiäre Lebensgemeinschaft als
Beistandsgemeinschaft besteht. Nach ihrem Wortlaut enthält die Vorschrift keine
abschließende Regelung für die Versagung des Familiennachzugs, und auch die
systematische Stellung des Abs. 1a spricht gegen eine solche Interpretation. Der
Grundsatz des § 27 Abs. 1 AufenthG, wonach die Aufenthaltserlaubnis zum Schutz
von Ehe und Familie erteilt wird, gilt vielmehr unverändert fort und wird durch die
neue Vorschrift des Abs. 1a nicht eingeschränkt. Eine Umkehrung der Darlegungs-
und Beweislast würde weder dem Willen des Gesetzgebers noch dem Zweck des
neuen Absatzes 1a gerecht werden. Die Neufassung des Aufenthaltsgesetzes
erfolgte unter anderem zur Umsetzung der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom
22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung gemäß
der Familiennachzugsrichtlinie (ABl. EU Nr. L 251 S. 12), die jedoch ebenfalls der
Herstellung und Wahrung des Familienlebens auf der Grundlage tatsächlicher
Bindungen zwischen den Ehepartnern dient. Dies ergibt sich sowohl aus der
Definition des Ausdrucks "Familienzusammenführung" in Art. 2d als auch aus den
Erwägungsgründen 4 und 6 und aus den in Art. 16 getroffenen Regelungen.
Danach können die Mitgliedsstaaten einen Antrag auf Einreise und Aufenthalt zum
Zweck der Familienzusammenführung beispielsweise dann ablehnen, wenn
zwischen dem Zusammenführenden und dem Familienangehörigen keine
tatsächlichen ehelichen oder familiären Bindungen bestehen (Art. 16 Abs. 1b
Familiennachzugsrichtlinie) oder wenn feststeht, dass die Ehe oder
Lebenspartnerschaft nur zu dem Zweck geschlossen wurde, um der betreffenden
Person die Einreise in einen Mitgliedsstaat oder den Aufenthalt in einem
Mitgliedsstaat zu ermöglichen (Art. 16 Abs. 2b Familiennachzugsrichtlinie). Mithin
eröffnet auch die Familiennachzugsrichtlinie die Möglichkeit, einen
Familiennachzug sowohl dann zu verweigern, wenn keine tatsächlichen ehelichen
oder familiären Bindungen bestehen, als auch dann, wenn eine Ehe nur zu dem
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oder familiären Bindungen bestehen, als auch dann, wenn eine Ehe nur zu dem
Zweck geschlossen worden ist, um der betreffenden Person die Einreise zu
ermöglichen. Diesen Vorgaben entspricht § 27 Abs. 1a AufenthG, denn auch den
Gesetzesmaterialien lässt sich nicht entnehmen, dass diese Vorschrift eine
Ausnahme von dem Grundsatz des Abs. 1 darstellen soll. Vielmehr sollte damit ein
Ausschlussgrund für den Familiennachzug bei Scheinehen ausdrücklich geregelt
werden, um dem Missbrauch eines Aufenthaltsrechts entgegenzuwirken (vgl. BT-
Drs. 16/5065 S. 3 und S. 170). Dieser Zweck erfordert es aber nicht, zugleich die
auch aus § 82 Abs. 1 AufenthG folgende Darlegungs- und Beweislast umzukehren.
Das Bestehen einer demnach weiter erforderlichen, den oben genannten
Grundsätzen entsprechenden familiären Lebensgemeinschaft zwischen dem
Antragsteller und seiner Ehefrau lässt sich zur Überzeugung des beschließenden
Senats seit der räumlichen Trennung im September 2006 - jedenfalls aber seit
Ende des Jahres 2006 - nicht (mehr) feststellen. Das Vorbringen zu den
tatsächlichen Umständen der behaupteten Fortsetzung der ehelichen
Lebensgemeinschaft nach der räumlichen Trennung enthält eine ganze Reihe von
Widersprüchen und Ungereimtheiten sowie pauschal gehaltene und detailarme
Aussagen dazu, wie diese geführt wird. Das Vorbringen zu der angeblich wegen
Streitigkeiten zunächst erfolgten Trennung, nach der aber im Frühjahr 2007 eine
Versöhnung erfolgt sein soll, ist aufgrund mehrerer Widersprüche zwischen den
diesbezüglichen Angaben des Antragstellers und seiner Ehefrau sowie infolge der
Detailarmut nicht geeignet, einen über den Anfang des Jahres 2007
hinausreichenden Bestand der familiären Lebensgemeinschaft feststellen zu
können. Die offensichtliche Unkenntnis der Eheleute von wesentlichen Bereichen
der gegenseitigen jeweiligen Lebensumstände bis hin zu Wohnung und
Wohnanschrift lässt sich bei Unterstellung mindestens zweiwöchiger, teilweise
angeblich wöchentlicher mehrtägiger gegenseitiger Besuche nicht nachvollziehen.
Als zweifelhaft stellt sich auch das Vorbringen zum geplanten erneuten
Zusammenziehen in A-Stadt dar. Zunächst für den Zeitpunkt Sommer 2007,
schließlich 2008 geplant und mehrfach schriftsätzlich in Aussicht gestellt, wurden
jedoch jeweils bei Näherrücken des hierfür angegebenen Zeitpunkts neue Gründe
angeführt, die dann doch an den dazu erforderlichen Bemühungen hinderten.
Plausibel erscheint auch nicht, dass der Tochter der Ehefrau auch nach Abschluss
der Schule die Verlegung des Lebensmittelpunkts von Bayern nach A-Stadt nicht
zugemutet werden kann, denn auch hierfür fehlen substantiierte Angaben. Trotz
der behaupteten zahlreichen Besuche vor allem der Ehefrau bei dem Antragsteller
mittels Pkw fehlt es bis jetzt an jeglichen Nachweisen hierfür, wie beispielsweise
Tankrechnungen, obwohl spätestens seit der Anhörung durch die
Ausländerbehörde mit Schreiben vom 12. Juni 2007 deutlich geworden sein muss,
dass es auf den Nachweis des Bestandes der ehelichen Lebensgemeinschaft oder
deren Dauer entscheidend ankommt. Sämtliche Angaben zu den nach dem
Vorbringen gemeinsam verbrachten Zeiten sind detailarm und nicht geeignet,
eine über gelegentliche Begegnungen hinausgehende Gemeinschaft zwischen den
Eheleuten darzutun. Schließlich ergibt sich auch aus der Berufung des
Antragstellers auf ein eigenständiges Aufenthaltsrecht ein deutliches Indiz dafür,
dass eine eheliche Lebensgemeinschaft tatsächlich nicht mehr geführt wird.
Die Voraussetzungen für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 AufenthG
liegen ebenfalls nicht vor, da dem Antragsteller die erste Aufenthaltserlaubnis zum
Zweck der Familienzusammenführung am 9. März 2005 erteilt wurde, die eheliche
Lebensgemeinschaft jedoch Anfang des Jahres 2007 schon nicht mehr bestand,
und zwar auch wenn man den vom Antragsteller selbst mehrfach angeführten
Trennungszeitpunkt im Februar 2007 zugrunde legt.
Die Entscheidung über die Kosten und den Streitwert des Beschwerdeverfahrens
ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO und §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 GKG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3
Satz 3 GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.