Urteil des HessVGH vom 23.03.2011

VGH Kassel: öffentliche sicherheit, polizei, handlungsfähigkeit, straftat, kostenpflicht, sport, amtshandlung, verantwortlichkeit, geschäftsfähigkeit, verwaltungsgebühr

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
5. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 A 2224/10.Z
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
Nr 5322 VwKostO HE
Verwaltungsgebühr
Leitsatz
Ein zwölf Jahre alter Minderjähriger kann nicht Gebührenschuldner eines von ihm
verursachten Polizeieinsatzes sein, da ihm die insoweit erforderliche Handlungsfähigkeit
fehlt.
Auch der Tatbestand der 2. Alternative der Gebührenziffer 5322 der Anlage 1 zur
Verwaltungskostenordnung des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport -
Vortäuschen einer Gefahrenlage oder einer Straftat - setzt als Zielrichtung der
Täuschungshandlung voraus, einen Fehleinsatz der Polizei herbeiführen zu wollen.
Tenor
Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen den
Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Kassel vom 20. September 2010 - 6 K
649/10. KS - wird abgelehnt.
Der Beklagte hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Zulassungsverfahren auf 720,-
- € festgesetzt.
Gründe
Der Antrag des beklagten Landes auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts Kassel vom 20. September 2010 bleibt ohne Erfolg.
Gemäß § 83 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - in Verbindung mit § 17a
Abs. 5 Gerichtsverfassungsgesetz - GVG - prüft der Senat nicht, ob das
Verwaltungsgericht Kassel erstinstanzlich für die Klage des in Niedersachsen
wohnhaften Klägers gegen den Kostenbescheid des Präsidiums für Technik,
Logistik und Verwaltung mit Sitz in Wiesbaden örtlich zuständig war.
Die Ausführungen des beklagten Landes zu den Zulassungsgründen der
ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (§ 124 Abs.
2 Nr. 1 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2
Nr. 3 VwGO) rechtfertigen die Zulassung der Berufung nicht.
Gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO ist es Sache des die Zulassung der Berufung
anstrebenden Beteiligten darzulegen, aus welchen Gründen die Berufung gegen
das erstinstanzliche Urteil zuzulassen ist. Werden ernstliche Zweifel an der
Richtigkeit der Entscheidung geltend gemacht, so muss, um den gesetzlichen
Darlegungserfordernissen zu genügen, ein einzelner tragender Rechtssatz oder
eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage
gestellt werden.
Das Verwaltungsgericht hat den Kostenbescheid des Präsidiums für Technik,
Logistik und Verwaltung vom 26. April 2010 aufgehoben. Zur Begründung hat es
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Logistik und Verwaltung vom 26. April 2010 aufgehoben. Zur Begründung hat es
ausgeführt, der dem Kostenbescheid zu Grunde liegende Polizeieinsatz sei vom
Kläger mit seiner Äußerung im Schulbus, er werde einen Amoklauf an seiner
Schule durchführen, verursacht worden. Aus Rechtsgründen könne der Kläger
jedoch nicht zum Kostenersatz herangezogen werden, denn nicht jeder
Polizeieinsatz, den ein Bürger zurechenbar veranlasst habe, löse eine Kostenpflicht
aus. Die von dem beklagten Land herangezogene Kostenziffer 5322 der Anlage 1
zur Verwaltungskostenordnung für den Geschäftsbereich des Ministeriums des
Inneren und für Sport, nach der für einen Polizeieinsatz bei missbräuchlicher
Alarmierung oder dem Vortäuschen einer Gefahrenlage oder einer Straftat
Gebühren nach Zeitaufwand je Einsatz, mindestens jedoch 125,-- € erhoben
werden, rechtfertige den angegriffenen Kostenbescheid nicht. Beide Alternativen
erforderten die wissentliche und willentliche Veranlassung des Polizeieinsatzes.
Davon könne bei den Äußerungen des Klägers im Schulbus nicht ausgegangen
werden. Die Androhung eines Amoklaufs durch den Kläger stelle sich als
leichtfertige, großspurige Äußerung gegenüber Mitschülern dar. Über die
weitergehenden Auswirkungen seiner Äußerung habe er sich ersichtlich keine
Gedanken gemacht.
Die dagegen von dem beklagten Land erhobenen Einwendungen wecken beim
Senat keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen
Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat den angefochtenen Kostenbescheid
von 26. April 2010 im Ergebnis bereits deshalb zu Recht aufgehoben, weil der im
Zeitpunkt der Entstehung der Kostenschuld (§ 12 Abs. 1 des Hessischen
Verwaltungskostengesetzes – HVwKostG) zwölfjährige Kläger nicht
Kostenschuldner sein kann. Wird eine Amtshandlung auf Veranlassung, aber ohne
Antragstellung eines Minderjährigen vorgenommen, so ist er als Kostenschuldner
anzusehen, sofern er auch für die kostenpflichtige Amtshandlung handlungsfähig
ist (Schlabach, Gebührenrecht der Verwaltung, 35. Lfg. 2008, 3.2 § 13 Rn. 14;
Böhm/Fabry, Hessisches Verwaltungsgebührenrecht, Erl. § 11 Rn. 8).
Grundsätzlichen Aufschluss über die Handlungsfähigkeit - also die Fähigkeit zur
Vornahme von Verfahrenshandlungen - gibt § 12 HVwVfG. Nach Abs. 1 Nr. 2 dieser
Vorschrift sind handlungsfähig "natürliche Personen, die nach bürgerlichem Recht
in der Geschäftsfähigkeit beschränkt sind, soweit sie für den Gegenstand des
Verfahrens durch Vorschriften des bürgerlichen Rechts als geschäftsfähig oder
durch Vorschriften des öffentlichen Rechts als handlungsfähig anerkannt sind".
Vorschriften, die für das vorliegende Verfahren die Geschäftsfähigkeit oder die
Handlungsfähigkeit des zwölfjährigen Klägers ausdrücklich normieren, bestehen
nicht. Insbesondere wird die Kostenschuldnerschaft des Klägers nicht durch die
Polizeipflichtigkeit gemäß § 6 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche
Sicherheit und Ordnung - HSOG - begründet. Die Polizeipflichtigkeit - also die
Fähigkeit, Adressat einer Maßnahme der Gefahrenabwehr zu sein - ist
altersunabhängig und Verschuldens-, Schuld- und Zurechnungsfähigkeit spielen
für die Verantwortlichkeit keine Rolle. Dies gilt jedoch nicht hinsichtlich der
Kostentragungspflicht für polizeiliche Maßnahmen der Gefahrenabwehr, jedenfalls
insoweit, als dem Gebührentatbestand eine subjektive Komponente innewohnt.
Vor diesem Hintergrund fehlt dem Kläger die Geschäfts-/Handlungsfähigkeit, so
dass er nicht Kostenschuldner des Polizeieinsatzes sein kann. Dies gilt im Übrigen
auch, wenn man wegen der polizeirechtlichen Beziehung auf die Strafmündigkeit
des Minderjährigen - schuldfähig erst ab 14 Jahren (§ 19 StGB - (vgl. dazu
Schlabach, a.a.O., VwKostG § 13 Rn. 6.) oder - in entsprechender Anwendung - auf
die deliktische Haftungsregelung des § 828 BGB zurückgreifen würde, da dem
Kläger im vorliegenden Zusammenhang die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit
erforderliche Einsicht fehlt.
Der Senat teilt aber darüber hinaus auch nicht die Auffassung des beklagten
Landes, für die Erfüllung des Tatbestandes der Gebührenziffer 5322 2. Alt. der
Anlage 1 zur Verwaltungskostenordnung für den Geschäftsbereich des
Ministeriums des Inneren und für Sport - Vortäuschen einer Gefahrenlage oder
einer Straftat - reiche es aus, dass die Täuschungshandlung vorsätzlich begangen
werde, die damit in Gang gesetzte Kausalkette dem Täuschenden jedoch
zugerechnet werden müsse, ohne dass es dabei auf sein Verschulden ankomme.
Das Verwaltungsgericht hat unter Hinweis auf die Urteile des Verwaltungsgerichts
Arnsberg vom 16. März 2010 (11 K 2865/09 und 11 K 2004/09) zu gleichartigen
Gebührentatbeständen in Nordrhein-Westfalen ausgeführt, die 2. Alternative der
Gebührenziffer 5322 erfasse den Fall, in dem die missbräuchliche Alarmierung
nicht selbst, sondern durch einen Dritten erfolge, dem eine Gefahrenlage
vorgespiegelt werde, um ihn zur Alarmierung der Polizei zu veranlassen.
Gemeinsam sei beiden Alternativen des Gebührentatbestandes die Zielrichtung
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Gemeinsam sei beiden Alternativen des Gebührentatbestandes die Zielrichtung
der entsprechenden Täuschungshandlung, mit der absichtlich ein Fehleinsatz der
Polizei herbeigeführt werden solle. Das vorwerfbare Verhalten, das eine der Höhe
nach nicht beschränkte Kostenpflicht für einen Polizeieinsatz nach der
Gebührenziffer 5322 auslöse, bestehe darin, dass der Polizeieinsatz absichtlich
herbeigeführt werde, obwohl in Wahrheit keine Gefahrenlage bestehe. Die
Zielrichtung, einen letztlich unnötigen Polizeieinsatz auszulösen, stelle eine
Steigerung gegenüber der vorstehenden Gebührenziffer 5321 dar, nach der bei
grob fahrlässiger Alarmierung der Polizei Kosten in Höhe eines festen Betrages
von 125,-- € erhoben würden. Es reiche deshalb nicht aus, wenn jemand durch sein
Verhalten einen Polizeieinsatz verursache, ohne dass dies Ziel seines Handelns
sei. Diese Auffassung teilt der Senat. Zu Recht weist das Verwaltungsgericht
Arnsberg in diesem Zusammenhang darauf hin, dass nicht angenommen werden
könne, dass der Verordnungsgeber an Tathandlungen, die sich in ihrem
Unwertgehalt derart deutlich unterschieden, die gleiche Rechtsfolge (nach
hessischem Recht für beide Alternativen der Gebührenziffer 5322 eine der Höhe
nach nicht beschränkte Kostenpflicht) habe anknüpfen wollen.
Auch die Ausführungen zur grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im
Schriftsatz des beklagten Landes vom 22. November 2010 rechtfertigen die
Zulassung der Berufung nicht. Wird die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
geltend gemacht, so muss, um dem gesetzlichen Darlegungserfordernis des §
124a Abs. 4 Satz 4 VwGO zu genügen, dargetan werden, welche konkrete und in
ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausreichende Rechtsfrage oder welche
bestimmte und für eine Vielzahl gleich gelagerter Fälle bedeutsame Frage
tatsächlicher Art im Berufungsverfahren geklärt werden soll und in wieweit diese
Frage einer (weitergehenden) Klärung im Berufungsverfahren bedarf.
Grundsätzliche Bedeutung hat ein Verwaltungsstreitverfahren nur dann, wenn es
eine tatsächliche oder rechtliche Frage aufwirft, die für die Berufungsinstanz
entscheidungserheblich ist und über den Einzelfall hinaus im Interesse der
Einheitlichkeit der Rechtsprechung einer Klärung bedarf. Die in diesem
Zusammenhang aufgeworfene Frage, ob die zweite Alternative der Kostenziffer
5322 tatbestandlich Absicht oder bedingten Vorsatz erfordert, ist gemessen an
den zuvor genannten Grundsätzen bereits nicht entscheidungserheblich, weil die
Rechtswidrigkeit des angefochtenen Kostenbescheides bereits aus der fehlenden
Kostenschuldnerschaft des Klägers folgt. Insoweit wird auf die Ausführungen zum
Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen
Urteils Bezug genommen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die
Höhe des Streitwerts aus den §§ 47, 52 Abs. 2 und 3 Gerichtskostengesetz - GKG -
.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 153 Abs. 1 VwGO und § 68 Abs. 1 Satz 5 in
Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.