Urteil des HessVGH vom 27.05.1988
VGH Kassel: aufschiebende wirkung, wiederherstellung des ursprünglichen zustandes, bauaufsicht, leiter, mitbestimmung, beamtenrecht, ermessensspielraum, duldung, fehlerhaftigkeit, behörde
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
1. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 TH 684/88
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 29 BG HE, § 74 BG HE, §
83 DO HE, § 123 VwGO
Beamtenrecht: einstweilige Anordnung zur Sicherung des
Anspruchs auf amtsangemessene Beschäftigung -
Rückumsetzung - Möglichkeit einer Umsetzung bei
disziplinarrechtlicher Vorermittlung
Gründe
I.
Der Antragsteller ist seit dem 1.12.1981 bei dem Antragsgegner als Leiter der
"Abteilung Bauaufsicht und Wohnbauförderung" tätig, seit dem 1.7.1982 als
Baudirektor. Mit Verfügung vom 4. Dezember 1987 setzte der Antragsgegner den
Antragsteller aus dienstlichen Gründen ab sofort vorübergehend zur Abteilung VI/2
- Bauamt - um und wies ihm bis auf weiteres kommissarisch die Aufgaben des
stellvertretenden Abteilungsleiters sowie eines Sachgebietsleiters zu, eine Stelle,
die bisher der Besoldungsgruppe A 13 - gehobener Dienst - zugeordnet war. Die
Umsetzung des Antragstellers wurde einerseits mit den gegen ihn als Leiter der
Bauaufsicht eingeleiteten Vorermittlungen nach der Hessischen
Disziplinarordnung, andererseits mit dem dienstlichen Bedürfnis begründet, den
Leiter des Bauamtes wegen seines schlechten Gesundheitszustandes zu
unterstützen. Im Rahmen der Vorermittlungen gemäß § 22 HDO werden dem
Antragsteller u.a. Duldung ungenehmigter Nebentätigkeiten von nachgeordneten
und anderen Mitarbeitern der Kreisverwaltung in mehr als 150 bekanntgewordenen
Fällen, Mißachtung von angeordneten Überstunden, Entgegennahme von
Arbeitsleistungen verschiedener Art durch dienstlich unterstellte Angehörige des
Bauaufsichtsamtes vorgeworfen.
Das Verwaltungsgericht hat die Anträge des Antragstellers vom 7./8. Dezember
1987,
1. festzustellen, daß der gegen die Versetzungsverfügung des Antragsgegners
vom 4.12.1987 mit Schreiben vom 4.12.1987 erhobene Widerspruch
aufschiebende Wirkung hat, hilfsweise
2. die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 4.12. 1987 gegen die
Versetzungsverfügung vom 4.12.1987 anzuordnen, hilfsweise
3. den Antragsgegner zu verpflichten, den Antragsteller bis zur Entscheidung in
der Hauptsache wieder als Leiter der Bauaufsicht des Antragsgegners
einzusetzen,
durch Beschluß vom 19.1.1988 - V/2 H 2294/87 - abgelehnt.
Gegen diesen am 22.1.1988 zugestellten Beschluß richtet sich die am 3.2.1988
eingegangene Beschwerde des Antragstellers, mit der er sich weiterhin gegen
seine Umsetzung wegen unterwertiger Beschäftigung wendet und seine
Rückumsetzung als Leiter der Bauaufsicht begehrt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
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II.
Die nach §§ 146, 147 VwGO zulässige Beschwerde ist teilweise begründet. Sie führt
zur Abänderung des angefochtenen Beschlusses und zum Erlaß einer einstweiligen
Anordnung mit dem aus dem Tenor ersichtlichen Inhalt.
Der Senat legt das Begehren des Antragstellers nach §§ 88, 86 Abs. 3 VwGO
dahingehend aus, daß er seine Rückumsetzung auf den Dienstposten des Leiters
der Bauaufsicht verlangt. Bei der Würdigung dieses Antrages ist davon
auszugehen, daß die Umsetzung als Zuweisung eines anderen Dienstpostens
innerhalb einer Behörde im Ermessen des Dienstherrn steht. Die Rückumsetzung
kann daher im Rahmen des § 114 VwGO diesem von den Gerichten nur
aufgegeben werden, wenn sich sein Ermessensspielraum auf eine allein denkbare,
fehlerfreie Entscheidung(Ermessensreduktion auf Null) beschränkt (vgl. hierzu
Senatsbeschluß vom 6.1.1987 - 1 TG 3035/86 - unter Hinweis auf OVG Münster,
Beschluß vom 11.4.1984, RiA 1984, 240; OVG Münster, Beschluß vom 7.7.1987,
RiA 1988, 18 und Beschluß vom 12.10.1987, DÖD 1988, 95 jeweils mit weiteren
Nachweisen). Insbesondere wenn die Fehlerhaftigkeit der Umsetzung darauf
beruht, daß verfahrensmäßige Beteiligungsrechte Dritter nicht beachtet worden
sind, wie etwa die Beteiligung des Personalrats an einer Umsetzung, kann der
Dienstherr durch die Gerichte auch im Wege einer einstweiligen Anordnung zur
(vorläufigen) Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes verpflichtet werden
(vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 13.11.1986, DÖD 1987, 76). Ein derartiger Fall liegt
hier jedoch nicht vor, denn die Umsetzung des Antragstellers vom 4.12.1987
unterlag mangels Wechsels des Dienstortes durch den Antragsteller weder der
Mitbestimmung der zuständigen Personalvertretung nach § 64 Abs. 1 Nr. 2 -
Buchst. c (2. Alternative) - HPVG a.F. noch der Mitbestimmung nach § 64 Abs. 1
Nr. 1 - Buchst. c - HPVG a.F., der die Übertragung einer höher oder niedriger zu
bewertenden Tätigkeit auf Dauer verlangt (vgl. hierzu Senatsbeschluß vom
1.2.1988 - 1 TG 3967/87 - unter Hinweis auf Hess.VGH, Beschluß vom 17.7.1985 -
HPV TL 2026/84 -, ZBR 1986, 59 f. ).
Eine Ermessensreduktion auf Null hinsichtlich der begehrten Rückumsetzung ist
deshalb nicht eingetreten, weil der Antragsgegner in seiner Abteilung "Bau- und
Wohnungswesen - VI -" noch über eine weitere A-15 BBesO-Stelle verfügt oder im
Wege der Organisationsänderung einen solchen Dienstposten für den Antragsteller
neu schaffen kann. Gibt es aber mehrere Möglichkeiten, eine
ermessensfehlerhafte Umsetzung wieder rückgängig zu machen, so darf einem
Dienstherrn durch die Gerichte nicht eine bestimmte Maßnahme, sondern lediglich
die Vornahme einer ordnungsgemäßen Betätigung seines Ermessens
vorgeschrieben werden (so OVG Münster, Beschluß vom 7.7.1987, a.a.O.). Der
Antragsteller konnte daher mit seinem Begehren auf Rückumsetzung nur in dem
aus dem Tenor ersichtlichen Umfange Erfolg haben, im übrigen war seine
Beschwerde zurückzuweisen.
Die Umsetzung des Antragstellers vom 4.12.1987 erweist sich als rechtswidrig und
verletzt den Antragsteller in seinen Rechten, weil er auf dem neuen Dienstposten
des stellvertretenden Leiters des Bauamtes und Sachgebietsleiters - VI/2 -
unterwertig beschäftigt wird. Der Antragsteller muß auf dem ihm zugewiesenen
Dienstposten, der mit einer Planstelle A-13 - gehobener Dienst - BBesO verbunden
ist, Tätigkeiten verrichten, die nicht seinem statusrechtlichen Amt als Baudirektor -
Besoldungsgruppe A-15 BBesO - entsprechen. Zwar gehört es nicht zu den
hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums, daß ein Beamter
unverändert und ungeschmälert einen ihm einmal übertragenen Dienstposten
ausübt, doch muß ein neuer Aufgabenbereich in seiner Wertigkeit den abstrakten
Tätigkeitsmerkmalen des statusrechtlichen Amtes des Beamten entsprechen.
Deshalb darf ihm keine Tätigkeit zugewiesen werden, die - gemessen an seinem
statusrechtlichen Amt und seiner Laufbahn - "unterwertig" ist (so Senatsbeschluß
vom 9.7.1987 - 1 TG 795/87 - unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 29.4.1982,
BVerwGE 65, 270, 273). Demgemäß stellt der Senat bei der Antwort auf die Frage,
ob eine Tätigkeit dem Amt des umgesetzten Beamten entspricht, also nicht
unterwertig ist, darauf ab, ob für die neue Tätigkeit im Stellenplan eine seinem
statusrechtlichen Amt entsprechende Planstelle ausgewiesen ist oder nicht (vgl.
Senatsbeschluß vom 8.7.1987 - 1 TG 1242/87 -). Von diesem Anknüpfungspunkt,
nämlich der haushaltsmäßigen Festlegung der Beamtenstelle, geht auch der
Fachsenat für Personalvertretungssachen (Land) des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs in seiner Rechtsprechung bei der Beurteilung der Frage
aus, ob die Übertragung einer höher oder niedriger zu bewertenden Tätigkeit der
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aus, ob die Übertragung einer höher oder niedriger zu bewertenden Tätigkeit der
Mitbestimmung des Personalrats nach § 64 Abs. 1 Nr. 1 - Buchst. c - HPVG a.F.
unterliegt (vgl. hierzu Hess.VGH, Beschluß vom 22.10.1986 - HPV TL 946/84 -
unter Hinweis auf seinen Beschluß vom 26.1.1983 - HPV TL 22/81-). Derselbe
Grundsatz liegt auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
zugrunde (vgl. Urteil vom 24.1.1985, DÖD 1985, 132,133 f. = RiA 1985, 162 = ZBR
1985, 223 = NVwZ 1985, 416). Danach wird der Amtsinhalt des statusrechtlichen
Amtes grundsätzlich vom Gesetzgeber, und zwar durch das Besoldungsrecht
sowie ergänzend durch die haushaltsrechtliche Einrichtung von Planstellen
bestimmt. In diesem Rahmen liegt es in der organisatorischen Gestaltungsfreiheit
des Dienstherrn, den einzelnen Dienstposten wertend Ämtern zuzuordnen, soweit
dies nicht bereits durch den Gesetzgeber selbst durch funktionsbezogene
Amtsbezeichnungen, z.B. "Präsident der/des ..." geschehen ist. Im übrigen
konkretisiert der Haushaltsgesetzgeber durch die Einrichtung von Planstellen und
nicht die Verwaltung durch die Bewertung der Dienstposten den Amtsinhalt des
jeweiligen statusrechtlichen Amtes (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 2.4.1981, ZBR
1981, 315). Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall des
Antragstellers an, so erweist sich seine Umsetzung als ermessensfehlerhaft, weil
die ihm übertragenen Aufgaben nicht seinem statusrechtlichen Amt entsprechen.
Sie sind vielmehr lediglich einer Planstelle der Besoldungsgruppe A 13 - gehobener
Dienst - BBesO zugewiesen. Wenn sich diese Planstelle auch noch im Schnittpunkt
der Laufbahn des gehobenen und des höheren Dienstes bewegt, so liegt die
Besoldungsgruppe A 13 BBesO doch zwei Stufen unter der Besoldungsgruppe A
15 BBesO des statusrechtlichen Amtes eines Baudirektors, das der Antragsteller
innehat.
Diese Bedenken gegen die Umsetzung des Antragstellers vom 4. Dezember 1987
werden nach Auffassung des erkennenden Senats auch nicht durch die gegen den
Antragsteller erhobenen disziplinaren Vorwürfen und die Einleitung von
Vorermittlungen aufgewogen. Zwar ist anerkannt, daß der Beamte schon während
der Vorermittlungen, wenn die jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind,
abgeordnet, umgesetzt oder zwangsbeurlaubt werden kann (vgl. hierzu
Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, 2. Aufl. 1987, Rdnr. 79, 131).
Insbesondere kann es mit Rücksicht auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
gerechtfertigt sein, im Falle disziplinarrechtlicher Verdächtigungen oder
Vorermittlungen vor dem Verbot der Führung der Dienstgeschäfte nach § 74 HBG
oder gar einer vorläufigen Dienstenthebung nach § 83 HDO eine Umsetzung des
Beamten in Betracht zu ziehen, insbesondere, um ihn "aus der Schußlinie" zu
nehmen. Indessen kann eine derartig abgestufte Betrachtungsweise der in
Betracht zu ziehenden Maßnahmen nur dann erwogen werden, wenn nach der
Umsetzung des Beamten seine gleichwertige Beschäftigung - gemessen an
seinem statusrechtlichen Amt - gewährleistet ist. Im übrigen ist davon
auszugehen, daß der Gesetzgeber bewußt die Schranken des § 74 Abs. 1 HBG
("aus zwingenden dienstlichen Gründen") oder des § 83 HDO ("wenn das förmliche
Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet wird oder eingeleitet worden ist")
errichtet hat, um eine amtsangemessene Beschäftigung des Beamten zu sichern.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.
Der Antragsteller ist mit seinem Antrag nur zu einem geringen Teil unterlegen, weil
er lediglich nicht seine Wiederbeschäftigung auf der Stelle des Leiters der
Bauaufsicht als alleinige Möglichkeit einer Rückumsetzung verlangen kann.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 20 Abs. 3, 25
Abs. 1 GKG. Seine Höhe entspricht dem halben Regelstreitwert, den der Senat
auch in vergleichbaren Fällen wegen der Vorläufigkeit der Regelung festsetzt.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar ( § 152 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 25 Abs. 2 Satz 2
GKG ).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.