Urteil des HessVGH vom 17.01.1990
VGH Kassel: grundstück, bebauungsplan, gebäude, gemeinde, freifläche, eigentum, eigentümer, breite, kreis, öffentlich
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
5. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 UE 175/86
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 133 Abs 1 BauGB, § 133
Abs 1 BBauG
Zum Erschlossensein eines Hinterliegergrundstücks; zur
einheitlichen Nutzung eines Anliegergrundstücks und
Hinterliegergrundstücks
Leitsatz
1. Der Übergang vom "grundbuchrechtlichen" zum "wirtschaftlichen" Grundstücksbegriff
ist nach der Rechtsprechung der BVerwG (Vergleiche BVerwG, 1989-02-03, 8 C 78/88,
DVBl 1989, 675) dann geboten, wenn die Anwendung des "Buchgrundstücksbegriffs"
dazu führt, daß ein Grundstück bei der Verteilung des umlagefähigen
Erschließungsaufwandes völlig unberücksichtigt bleiben muß, obwohl es - mangels
hinreichender Größe lediglich allein nicht bebaubar - zusammen mit einem oder
mehreren Grundstücken desselben Eigentümers ohne weiteres baulich benutzt werden
kann. Das gilt nicht nur bei - von der Straße her gesehen - nebeneinander gelegenen
Handtuchgrundstücken, sondern auch dann, wenn das "zu kleine" Grundstück vor
einem anderen Grundstück desselben Eigentümers liegt.
2. Ein nicht an eine Erschließungsanlage angrenzendes Grundstück gehört dann zu den
erschlossenen Grundstücken, wenn es selbst und das zwischen ihm und der
Anbaustraße liegende Anliegergrundstück im Eigentum derselben Person stehen und
es - das Hinterliegergrundstück - tatsächlich eine Zufahrt zu der Anbaustraße besitzt
oder zusammen mit dem Anliegergrundstück einheitlich genutzt wird (Vergleiche
BVerwG, 1988-01-15, 8 C 11/86, BVerwGE 79, 1). Eine "einheitliche Nutzung" liegt schon
dann vor, wenn auf der Grenze des Anliegergrundstücks mit dem
Hinterliegergrundstück ein Gebäude errichtet ist. Dem auf diese Weise begründeten
Erschlossensein eines Hinterliegergrundstücks steht nicht entgegen, daß dieses
Grundstück ("keine gefangene Parzelle" ist, sondern) bereits durch eine andere Straße
erschlossen ist, zu der es eine Zufahrt hat oder an die es sogar direkt angrenzt.
3. Wenn mehrere - im Hinblick auf ihre Größe an sich bebaubare - Grundstücke nach
den Festsetzungen eines Bebauungsplanes nur ein einziges Baugrundstück bilden,
dann liegt auch in der Nutzung des einen Grundstücks und eines Teils des anderen
Grundstücks als zu dem Gebäude gehörende Freifläche (Hausgarten) eine "einheitliche
Nutzung" - mag es sich auch nach der allgemeinen Auffassung um eine "Nichtnutzung"
handeln.
Tatbestand
Der Kläger ist Eigentümer der Flurstücke ... und ... der Flur ... in der Gemarkung O..
Das Flurstück ... grenzt als Eckgrundstück nach Norden an die O.-straße und nach
Osten an die H. Straße. Es ist von der O.-straße her rund 30 m tief und seit 1970
mit dem Doppelhaus O.-straße ... und ... bebaut. Das Flurstück ... schließt sich in
gleicher Breite und einer Tiefe von rund 10 m im Süden an. Auf der Grenze der
beiden Flurstücke stehen die Garagen für die beiden Wohnhäuser.
Die gleiche Aufteilung in ein etwa 30 m tiefes und bebautes Vordergrundstück und
ein etwa 10 m tiefes Hintergrundstück liegt auch bei den Anwesen O.-straße ... und
... vor. Alle diese Anwesen südlich der O.-straße sind von dem Bebauungsplan der
ehemaligen Gemeinde O. Nr. ... erfaßt, der von der ... erarbeitet, von der
Gemeinde O. im Frühjahr 1968 als Entwurf offengelegt und beschlossen, vom
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Gemeinde O. im Frühjahr 1968 als Entwurf offengelegt und beschlossen, vom
damaligen Regierungspräsident in Wiesbaden am 3. Main 1968 genehmigt und
sodann vom 6. bis zum 22. Juli 1968 offengelegt worden ist. Die heutige Grenze
der Grundstücke zur F.-straße bildete die südliche Grenze des
Bebauungsplangebietes; in die bereits dargestellten Bauplätze O.-straße ... bis Nr.
... sind Bebauungsgrenzen jeweils in der nördlichen Hälfte festgelegt.
In den 70er Jahren ließ die Beklagte südlich des Anwesens des Klägers die F.-
straße herstellen; diese Straße zweigt von der H. Straße ab und verläuft bis vor die
Rückseite des Anwesens O.-straße ..., wo sie mit der Stirn auf das Gelände eines
großen Kindergartengrundstücks trifft. Nach Süden zweigt von ihr eine ebenfalls
als "F.-straße" bezeichnete Stichstraße ab, die der Erschließung von neun
Einfamilienhausgrundstücken dient.
Der Kläger wurde mit Bescheid der Beklagten vom 26. März 1981 zu einem
Erschließungsbeitrag für die F.-straße in Höhe von 4.080,15 DM herangezogen,
wobei die Flurstücke ... und ... - ebenso wie auch die Vorder- und
Hintergrundstücke der Anwesen O.-straße ... und ... - als erschlossen angesehen
wurden.
Der Kläger erhob gegen diese Heranziehung nach erfolglosem Widerspruch
Anfechtungsklage beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main. Zur Begründung
brachte er vor, er könne nicht zum Erschließungsbeitrag für die F.-straße
herangezogen werden, da diese Straße für die nördlichen Anliegergrundstücke
nicht zur Erschließung erforderlich sei; sie sei nur dazu bestimmt und erforderlich,
das Kindergartengrundstück und die südlich gelegenen, neu ausgewiesenen
Bauplätze zu erschließen. Das Flurstück ... könne deshalb nicht mit einem
Erschließungsbeitrag für die F.-straße belastet werden, weil es ausweislich der
Bezeichnung im Grundbuch Gartenland sei. Die Geltendmachung der
Erschließungsbeitragsforderung durch die Beklagte sei auch der Höhe nach
unbillig, weil er der einzige Grundstückseigentümer mit drei Straßenfronten sei. Als
er im Jahre 1973 an die Hessische Landgesellschaft mbH, die die Grundstücke an
der O.-straße bebaut und verkauft sowie die gesamten Erschließungsarbeiten
ausgeführt habe, einen Erschließungskostenanteil von 21.114,-- DM gezahlt habe,
sei dabei keine Eckgrundstücksermäßigung gewährt worden.
Der Kläger beantragte,
den Bescheid der Beklagten über die Heranziehung zu Erschließungsbeiträgen
vom 26. März 1981 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 1983
aufzuheben.
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
Sie führte aus, die F.-straße sei eine zur Erschließung von Bauland notwendige
Erschließungsanlage und bäte auch dem Kläger eine zusätzliche Erschließung, so
daß er zum Kreis der Beitragspflichtigen gehöre. Es hätten beide Flurstücke des
Klägers bei der Errechnung der Erschließungsbeiträge berücksichtigt werden
müssen, da sie, wie die Überbauung der Grenze mit den beiden Garagen zeige,
ein einheitliches Wirtschaftsgrundstück bildeten. Eine Unbilligkeit liege nicht vor, da
der Kläger niemals zu einem Erschließungsbeitrag für die O.-straße oder die H.
Straße herangezogen worden sei und in den von der Hessischen Landgesellschaft
mbH umgelegten "Erschließungskosten" von insgesamt von 565.310,40 DM nur
12.282,58 DM für "Wege- und Grabenbau" enthalten gewesen seien, so daß der
Kläger praktisch keine Straßenbaukosten getragen habe.
Das Verwaltungsgericht wies einen bei der Klageerhebung gestellten Antrag des
Klägers nach § 80 Abs. 5 VwGO - I/3 H 743/83 - mit Beschluß vom 11. Mai 1983
zurück, weil ernstliche Zweifel weder an der Erschließungsbeitragspflichtigkeit des
Klägers dem Grunde nach noch an der Rechtmäßigkeit der Berücksichtigung
beider Flurstücke bestünden. Das Flurstück ... habe schon auf Grund seines
schmalen Zuschnitts eindeutig dienende Funktion zu der Hausparzelle; durch
seine Hinzunahme habe sich die Ausnutzbarkeit der Hausparzelle erhöht, so daß
der Gedanke der Vorteilsausgleichung die Annahme einer wirtschaftlichen
Grundstückseinheit rechtfertige.
Im vorliegenden Verfahren zur Hauptsache gab das Verwaltungsgericht dann der
Klage mit Urteil vom 12. Dezember 1985 teilweise statt, indem es den
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Klage mit Urteil vom 12. Dezember 1985 teilweise statt, indem es den
Heranziehungsbescheid "insoweit" aufhob, "als der Kläger auch für das Flurstück ...
herangezogen wurde". In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, es fehle nicht
an der Erforderlichkeit der F.-straße und auch nicht an der Erschließung des
Flurstücks ... durch diese Straße, so daß der Kläger zum Erschließungsbeitrag
habe herangezogen werden können. Rechtswidrig sei jedoch die
Zusammenfassung der beiden Flurstücke ... und ... zu einem einheitlichen
Wirtschaftsgrundstück. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,
insbesondere nach dem Urteil vom 7. Februar 1982 (HSGZ 1983,77) sei im
Erschließungsbeitragsrecht grundsätzlich der bürgerlich-rechtliche
Grundstücksbegriff zugrundezulegen; die Möglichkeit, von ihm abzuweichen, solle
in den Fällen bestehen, in denen es nach dem Inhalt und Sinn des
Erschließungsbeitragsrechts gröblich unangemessen wäre, an ihm festzuhalten. In
dem genannten Urteil vom 7. Februar 1982 habe das Bundesverwaltungsgericht
Garagengrundstücke als von Wohngrundstücken erschließungsbeitragsrechtlich
selbständige Grundstücke mit der Begründung angesehen, zum einen hingen die
Grundstücksflächen nicht zusammen, zum anderen seien die
Eigentumsverhältnisse nicht identisch, darüber hinaus entsprächen die
Garagengrundstücke in Form und Größe vielen anderen benachbarten
Wohngrundstücken. Ausgehend von dieser Rechtsprechung komme das
Verwaltungsgericht jetzt zu dem Ergebnis, daß es sich bei dem Flurstück ... um ein
erschließungsbeitragsrechtlich eigenständiges Grundstück handele, das nicht
zusammen mit dem Grundstück ... ein sogenanntes Wirtschaftsgrundstück bilde.
Für die Zusammenfassung beider Grundstücke ergebe sich im Hinblick auf eine
beitragsgerechte Verteilung des Erschließungsbeitrags keine zwingende
Notwendigkeit. Das Flurstück ... sei mit seinen 298 qm sogar noch größer als
andere durch die F.-straße erschlossene Grundstücke; es sei auch nicht derart
ungünstig geschnitten, daß seine Bebauung, wie etwa bei einem
handtuchschmalen, aber extrem langen Grundstück, ausgeschlossen werden
müßte. Hinzu komme, daß das Flurstück ... auch in bestimmtem Umfange
gewerblich nutzbar wäre, da die F.-straße nach den Angaben der Beklagten im
Verhandlungstermin zum allgemeinen Wohngebiet zähle. Die Beklagte werde
deshalb eine Neuberechnung des im Grunde zu Recht erhobenen
Erschließungsbeitrags vornehmen müssen, wobei die Kammer aus Zeitgründen im
Hinblick auf die Arbeitsbelastung durch die Vielzahl entscheidungsreifer
Altverfahren die Berechnung durch die Beklagte für angemessen und geboten
halte.
Gegen dieses ihrem Bevollmächtigten am 19. Dezember 1985 zugestellte Urteil
richtet sich die am 14. Januar 1986 beim Verwaltungsgericht eingegangene
Berufung der Beklagten.
Die Beklagte rügt den Entscheidungsausspruch des Verwaltungsgerichts, da dieser
nicht erkennen lasse, in welcher Höhe der angefochtene Bescheid tatsächlich
aufgehoben worden ist und inwieweit die Klage abgewiesen wurde. Was die
materielle Rechtslage anlange, so habe das Verwaltungsgericht zu Recht die
Behandlung der beiden herangezogenen Flurstücke als "Wirtschaftsgrundstück"
abgelehnt. Damit hätte jedoch die Überprüfung des angefochtenen Bescheides
nicht enden dürfen; das Gericht habe vielmehr feststellen müssen, ob nicht das
Flurstück ... als "Hinterliegergrundstück" erschlossen und beitragspflichtig sei.
Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Januar 1988 - BVerwG 8
C 111.86 - HSGZ 1988,203) gehöre ein Hinterliegergrundstück zum Kreis der
durch die Erschließungsanlage erschlossenen Grundstücke, wenn es mit dem
Vordergrundstück im Eigentum derselben Person stehe und wenn es entweder
tatsächlich eine Zufahrt zu der Erschließungsanlage besitze oder zusammen mit
dem Anliegergrundstück einheitlich genutzt werde; eine einheitliche Nutzung
werde durch eine die Grenze überschreitende Bebauung begründet. Die vom
Bundesverwaltungsgericht in dieser Entscheidung offengelassene Frage, ob sich
auch das einschlägige Bauordnungsrecht mit der gegenwärtig durch die
Eigentümeridentität gesicherten Zugänglichkeit des rückwärtigen Grundstücks
begnüge oder ob es mehr fordere, sei zu verneinen. Der erkennende Senat werde
seine in einem Beschluß vom 23. Februar 1988 - 5 TH 2511/86 - zu einer
vergleichbaren Sachlage geäußerte Ansicht überprüfen müssen. Wenn die
Eigentümeridentität im Augenblick der Entstehung der Erschließungsbeitragspflicht
für die Heranziehung des Hintergrundstücks nicht ausreichen würde, wäre es für
findige Grundstückseigentümer leicht, die Höhe des auf sie entfallenden
Erschließungsbeitrags durch rechtzeitige Grundstücksteilungen zu manipulieren.
Die Beklagte beantragt,
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unter Abänderung des Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom
12. Dezember 1985 - I/3 E 707/83 - die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil, in welchem das Verwaltungsgericht mit
Recht angenommen habe, daß das Flurstück ... groß genug sei, um selbst bebaut
oder gewerblich benutzt zu werden. Es könne ihm auch nicht zum Nachteil
gereichen, daß er seine Garagen nicht - was durchaus möglich gewesen wäre
ausschließlich auf das Flurstück ..., sondern im wesentlichen auf das Flurstück ...
habe bauen lassen.
Dem Senat liegen die Akten des Verfahrens VG Frankfurt am Main I/3 H 743/83,
die Unterlagen der Beklagten über den Herstellungsaufwand der F.-straße, die
Heranziehung des Klägers und das Widerspruchsverfahren vor sowie der
Bebauungsplan für O. Nr. 3 vor. Auf diese Unterlagen, die Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen sind, und auf den Inhalt der Gerichtsakten wird
zur Ergänzung dieses Tatbestandes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig. Die Beschwerde der Beklagten durch das angefochtene
Urteil übersteigt, wie es nach Art. 2 S. 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes zur
Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31.
März 1978 (BGBl. I S.446) erforderlich ist, fünfhundert Deutsche Mark. Denn bei
der für die Beklagte ungünstigsten Auslegung der Entscheidungsformel - wenn
nämlich bei der Berechnung des auf das 298 qm große Flurstück ... entfallenden
Erschließungsbeitrags nur das dem Kläger gehörende, 875 qm große Flurstück ...
aus der Gesamtverteilungsfläche auszuscheiden sein sollte - würde sich die
Gesamtverteilungsfläche (4.884 qm) um 875 x 0,3 x 2 : 3 = 175 qm auf 4.709 qm
verringern. Es würde dann von dem umzulegenden Aufwand (84.797,60 DM) auf
jeden Quadratmeter Verteilungsfläche 8.497,6 : 4.709 = 18,007559 DM entfallen,
und der Kläger hätte statt der angeforderten 4.080,15 DM nur 298 x 0,3 x 2 : 3 x
18,007559 = 1.073,25 DM zu zahlen.
Die Berufung ist auch begründet; denn das Verwaltungsgericht hat der Klage zu
Unrecht teilweise stattgegeben. Mit Recht bemängelt die Beklagte bereits die
Fassung des Urteilsausspruchs. Dabei liegt der Fehler nicht so sehr darin, daß das
Verwaltungsgericht es überhaupt unterlassen hat, den Teil, zu dem der
angefochtene Heranziehungsbescheid nach seiner Meinung nicht rechtmäßig war,
auszurechnen und im Urteil in einer Geldsumme auszudrücken, als vielmehr darin,
daß der Beklagten in dem Urteil keine eindeutige Anweisung dafür gegeben wurde,
wie der rechtmäßige Teil der Erschließungsbeitragsforderung errechnet werden
sollte. Denn außer der vom Senat oben bei der Feststellung der Zulässigkeit der
Berufung zugrundegelegten Auslegung, daß nur das Flurstück ... unberücksichtigt
bleiben sollte, lag auf Grund der Ausführungen in den Entscheidungsgründen die
Annahme näher, daß nicht nur das Flurstück ..., sondern ebenso bei den Anwesen
O.-straße ... und ... die - von der F.-straße her - hinteren Flurstücke
unberücksichtigt zu bleiben hätten, da bei diesen drei Anwesen die Verhältnisse
genauso liegen wie beim Anwesen des Klägers. Es hätte sich dann die
Gesamtverteilungsfläche um die zulässigen Geschoßflächen der Flurstücke ... und
... vermindert; andererseits hätte allerdings bei den beitragspflichtig bleibenden
Flurstücken ... und ... die Eckgrundstücksermäßigung entfallen müssen, da diese
Grundstücke allein durch die F.-straße erschlossen werden. Für den Kläger hätte
sich dann insgesamt eine geringere als die vom Senat oben errechnete
Herabsetzung seines Erschließungsbeitrags ergeben. Die mangelnde Eindeutigkeit
der Entscheidungsformel allein führt allerdings nicht zur Aufhebung des
angefochtenen Urteils, der Urteilsausspruch hätte vielmehr, wenn die
Ausführungen in den Entscheidungsgründen richtig gewesen wären, vom Senat
unter Zurückweisung der Berufung neu gefaßt werden können.
Der Senat kann aber der Ansicht, daß die Klage teilweise erfolgreich sein müsse,
nicht zustimmen.
Maßgeblich für die Entscheidung sind die §§ 127 ff des hier noch anwendbaren
Bundesbaugesetzes (BBauG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 18.
August 1976 (BGBl. I 5.2256) und die Satzung der Beklagten über das Erheben
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August 1976 (BGBl. I 5.2256) und die Satzung der Beklagten über das Erheben
von Erschließungsbeiträgen vom 20. Juli 1978 in der Fassung der
Änderungssatzung vom 21. Dezember 1978. Die Herstellung der F.-straße war
unzweifelhaft ein Beitragstatbestand nach § 127 BBauG; denn es handelt sich um
eine Erschließungsanlage, deren Anlegung erst unter der Geltung des
Bundesbaugesetzes begonnen worden ist. Darüber, daß die Herstellung beendet
ist, und über die Höhe des nach §§ 128, 129 BBauG umzulegenden Aufwandes
besteht kein Streit; auch der Senat sieht insoweit keinen Anlaß zu Zweifeln.
Das Verwaltungsgericht hat sodann zutreffend dargelegt, daß auch die
Grundstücke auf der Nordseite der F.-straße zu den bei der Umlegung des
Aufwandes zu berücksichtigenden erschlossenen Grundstücken zählen. Der Senat
folgt - wie auch die Beklagte selbst in der Berufung - dem Verwaltungsgericht in
der Ansicht, daß die Mitberücksichtigung des Flurstücks ... bei der Errechnung des
vom Kläger zu zahlenden Erschließungsbeiträge nicht durch den Übergang vom
"grundbuchrechtlichen" zum "wirtschaftlichen" Grundstücksbegriff begründet
werden kann. Dieser Übergang ist nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 3. Februar 1989 - BVerwG 8 C 78.88 -
DVBl. 1989, 675 = NVwZ 1989,1072 = HSGZ 1989,264; Urteil vom 15. Januar
1988 - BVerwG 8 C 11.86 - BVerwGE 79,1 = DVBl. 1988, 896 = NVwZ 1988,630 =
NJW 1988,789= KStZ 1988,110 = HSGZ 1988,203; Urteil vom 12. Dezember 1986
- BVerwG 8 C 9.86 - DVBl. 1987, 630 = NVwZ 1987,420 = BauR 1987, 432 =
HSGZ 1987,364) dann geboten, wenn die Anwendung des
"Buchgrundstücksbegriffs" dazu führt, daß ein Grundstück beider Verteilung des
umlagefähigen Erschließungsaufwandes völlig unberücksichtigt bleiben muß,
obwohl es - mangels hinreichender Größe lediglich allein nicht bebaubar -
zusammen mit einem oder mehreren Grundstücken desselben Eigentümers ohne
weiteres baulich benutzt werden kann. Das gilt nicht nur bei - von der Straße her
gesehen - nebeneinander gelegenen Handtuchgrundstücken, sondern, wie sich
aus dem in BVerwGE 79,1 behandelten Sachverhalt ergibt, auch dann, wenn das
"zu kleine" Grundstück vor einem anderen Grundstück desselben Eigentümers
liegt. Das Flurstück ... ist nicht "mangels hinreichender Größe" nicht bebaubar; es
könnte auf ihm ein kleines Gebäude mit Zugang und Zufahrt von der F.-straße her
errichtet werden. Die Unbebaubarkeit des Flurstücks ... beruht vielmehr darauf,
daß es voll in einer Fläche liegt, die nach dem Bebauungsplan Nr. 3 der
ehemaligen Gemeinde O. den außerhalb der Baugrenzen liegenden Teil nach § 23
Abs. 3 der Baunutzungsverordnung (BauNVO) in der Fassung der
Bekanntmachung vom 15. September 1977 (BGBl I S. 1763) liegenden Teil eines
Baugrundstücks bildet, die also zwar wegen ihrer Mitberücksichtigung bei der
Feststellung der auf dem Baugrundstück zulässigen Grund- und Geschoßfläche
nach §§ 16, 17, 19 BauNVO das Maß der baulichen Nutzbarkeit des
Baugrundstücks beeinflußt, die aber selbst nicht bebaut werden darf, sondern
nach § 10 Abs. 1 der Hessischen Bauordnung (HBO) in der Fassung vom 16.
Dezember 1977 (GVBl. 1978 I S.1) gärtnerisch anzulegen ist, soweit sie nicht als
hauswirtschaftliche Fläche, als Arbeits-, Lager- oder Stellplatzfläche, als Zufahrt
oder als Fläche sonstiger Nutzung erforderlich ist. Es drängt sich die Frage auf, ob
diese durch die Ausweisung im Bebauungsplan begründete Unbebaubarkeit nicht
der Unbebaubarkeit "mangels hinreichender Größe" gleichzusetzen ist, so daß bei
einer Sachlage, wie sie nördlich der F.-straße gegeben ist, doch - wie die Beklagte
es im angefochtenen Bescheid und das Verwaltungsgericht in seinem Beschluß
vom 11. Mai 1983 (I/3 H 743/83) gemeint haben die an die F.-straße angrenzenden
"Gartenparzellen" mit den - von der F.-straße her hinter ihnen liegenden
"Wohnparzellen" jeweils als Wirtschaftsgrundstück zu behandeln wären. Ein solches
Vorgehen würde aber mit den für die Maßgeblichkeit des Buchgrundstücksbegriffs
entscheidenden Interessen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit (BVerwGE 79,1
[3]) schlecht zu vereinbaren sein, zumal die Frage, ob ein bestimmtes Flurstück
als Teil der "Freifläche" eines bestimmten Baugrundstücks anzusehen ist,
ihrerseits selbst wieder umstritten sein kann, wenn kein Bebauungsplan besteht
oder die Gültigkeit eines bestehenden Bebauungsplans zweifelhaft ist. Es besteht
außerdem in den Fällen hintereinanderliegender Flurstücke keine Notwendigkeit,
zur Vermeidung von "nach dem Inhalt und Sinn des Erschließungsbeitragsrechts
gröblich unangemessenen" Ergebnissen (BVerwGE 79,1 [3]; BVerwGE 42,269
[272]) vom Buchgrundstücksbegriff zum wirtschaftlichen Grundstücksbegriff
überzugehen; denn zur Vermeidung solch gröblich unangemessener Ergebnisse
greifen die für die beitragsrechtliche Behandlung von Hinterliegergrundstücken
entwickelten Grundsätze ein.
Nach diesen Grundsätzen, unter deren Blickwinkel das Verwaltungsgericht den
angefochtenen Bescheid nicht geprüft hat, ist die Mitberücksichtigung des
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angefochtenen Bescheid nicht geprüft hat, ist die Mitberücksichtigung des
Flurstücks ... rechtmäßig. Sie besagen, daß ein nicht an eine Erschließungsanlage
angrenzendes Grundstück dann zu den erschlossenen Grundstücken gehört, wenn
es selbst und das zwischen ihm und der Anbaustraße liegende Anliegergrundstück
im Eigentum derselben Person stehen und es - das Hinterliegergrundstück -
tatsächlich eine Zufahrt zu der Anbaustraße besitzt oder zusammen mit dem
Anliegergrundstück einheitlich genutzt wird (BVerwGE 79,1[5-6]); eine "einheitliche
Nutzung" liegt schon dann vor, wenn auf der Grenze des Anliegergrundstücks mit
dem Hinterliegergrundstück ein Gebäude errichtet ist (BVerwGE 79,1 [7]). Dem auf
diese Weise begründeten Erschlossensein eines Hinterliegergrundstücks steht
nicht entgegen, daß dieses Grundstück gefangene Parzelle" ist, sondern) bereits
durch eine andere Straße erschlossen ist, zu der es t eine Zufahrt hat (Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 1. April 1981 - BVerwG 8 C 5.81 - KStZ 1981,192
= MDR 1982,522 = HSGZ 1982, 176 = ZKF 1982,94 = BayVBl. 1982, 471 =
VerwRspr. 32,1018) oder an die es sogar direkt angrenzt (so der Sachverhalt von
BVerwGE 79,1).
Diese Voraussetzungen liegen im Fall des Flurstücks ... vor. Es steht wie das
Flurstück ... im Eigentum des Klägers, und die Grenze ist mit zwei Garagen bebaut.
Es erscheint dem Senat zwar fraglich, ob jede Grenzüberbauung mit einem noch
so kleinen Nebengebäude zur Bejahung der einheitlichen Nutzung auch dann
führen könnte, wenn es sich um zwei große Grundstücke handelte; im
vorliegenden Falle besteht aber kein Zweifel daran, daß durch die Errichtung der
beiden Garagen der Wille des Klägers zum Ausdruck gekommen ist, das Flurstück
... nicht als einen vom Flurstück ... losgelösten, für spätere anderweitige
Dispositionen verfügbaren Vermögensgegenstand zu behandeln, sondern es bei
seiner Eigenschaft als zu dem Doppelhaus O.-straße gehörender Freifläche auf
Dauer zu belassen. Der Fall gleicht im Hinblick auf die Größe der betroffenen
Grundstücke dem, zu dem die Entscheidung BVerwGE 79,1 ergangen ist, wo das
Bundesverwaltungsgericht ebenfalls die einheitliche Nutzung wegen auf der
Grenze stehender Garagengebäude bejaht hat. Der Senat ist darüber hinaus der
Meinung, daß eine einheitliche Nutzung der Flurstücke ... und ... auch dann
vorliegen würde, wenn die beiden auf der Grenze stehenden Garagen nicht
vorhanden wären, wenn also das Flurstück ... - ebenso wie bei den Anwesen O.-
straße ... und ... die Flurstücke ... und ... - nur Hausgarten wäre. Denn wenn
mehrere - im Hinblick auf ihre Größe an sich bebaubare - Grundstücke nach den
Festsetzungen eines Bebauungsplanes nur ein einziges Baugrundstück bilden,
dann liegt auch in der Nutzung des einen Grundstücks und eines Teiles des
anderen Grundstücks als zu dem Gebäude gehörende Freifläche (Hausgarten)
eine "einheitliche Nutzung" - mag es sich auch nach der allgemeinen Auffassung
um eine "Nichtnutzung" handeln. Das Flurstück ... wäre auch ohne die auf der
Grenze errichteten Garagen einer gesonderten Verwertung als
Vermögensgegenstand durch die Festsetzungen des Bebauungsplanes
entzogenem Erschlossensein des Flurstücks ... durch die F.-straße steht auch das
hessische Bauordnungsrecht nicht entgegen. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 HBO dürfen
allerdings Gebäude nur errichtet werden, wenn das Grundstück in einer solchen
Breite an eine befahrbare öffentliche Verkehrsfläche grenzt oder eine solche
öffentlich- rechtlich gesicherte Zufahrt zu einer befahrbaren öffentlichen
Verkehrsfläche hat, daß der Einsatz von Feuerlösch- und Rettungsgeräten ohne
Schwierigkeiten möglich ist. Wenn die O.-straße und die H. Straße nicht vorhanden
wären, könnte ein vom Kläger für das Grundstück ... gestellter Bauantrag nicht, wie
die Beklagte in der Berufungsbegründung meint, ohne weiteres genehmigt
werden, denn das Flurstück ... grenzt nicht an die dann allein in Betracht
kommende F.-straße an und besitzt auch keine öffentlich-rechtlich gesicherte
Zufahrt zu dieser. Daran müßte aber das hypothetische Bauvorhaben des Klägers
nicht scheitern; denn es liegt ja in seiner Hand, das Hindernis zu beseitigen, indem
er entweder die von der Voreigentümerin der beiden Flurstücke aus unbekannten
Gründen unterlassene Vereinigung der beiden Flurstücke - von der der
Bebauungsplan ausgeht - nunmehr vornimmt oder ein Zufahrts- und
Zugangsrecht von der F.-straße zum Flurstück ... über das Flurstück ... als Baulast
nach § 109 HBO begründe. Sollte der Kläger bei der Stellung des hypothetischen
Bauantrages dies - etwa aus Kostengründen - nicht bereits von sich aus getan
haben, so müßte die Bauaufsichtsbehörde den Bauantrag dennoch genehmigen
und die Herstellung eines dem Baurecht entsprechenden Zustandes durch eine
Auflage nach § 96 Abs. 4 HBO sicherstellen. Da die Flurstücke ... und ... nach dem
Bebauungsplan einen einzigen, einheitlichen Bauplatz bilden, ist das sich aus § 4
Abs. 1 HBO ergebende, vom gemeinsamen Eigentümer jederzeit ausräumbare
Hindernis von so geringem Gewicht, daß das Flurstück ... durch die F.-straße auch
bereits im Sinne von § 133 Abs. 1 BBauG erschlossen ist und der Kläger schon mit
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bereits im Sinne von § 133 Abs. 1 BBauG erschlossen ist und der Kläger schon mit
dem angefochtenen Bescheid zur Zahlung des Erschließungsbeitrages
herangezogen werden konnte. Dadurch, daß die Erschließung auch des jeweiligen
Hinterliegergrundstücks von der F.-straße und von der O.-straße durch den
Bebauungsplan vorausgesetzt und gefordert wird, unterscheidet sich der
vorliegende Fall von demjenigen, zu dem der Beschluß des Senats vom 23.
Februar 1988 - 5 TH 2511/86 (KStZ 1988,148 = ZKF 1988,183 = NVwZ RR 1989,44
= Gemeinde H 1989,41) ergangen ist. Dort war das "Hinterliegergrundstück"
gerade erst durch Abtrennung von einem übernormal großen Grundstück
geschaffen worden.
Die Beklagte hat also der Berechnung der Erschließungsbeitrage für die F.-straße
mit Recht die gesamten Anwesen O.-straße ... und ... zugrundegelegt; aber auch
wenn das bei den Anwesen O.-straße ... und ... nicht der Fall gewesen sein sollte,
weil dort die Grenzen zwischen Anliegerflurstück und Hinterliegerflurstück nicht
überbaut sind, so würde das doch den Kläger nicht beschweren. Ebensowenig
beschwert es den Kläger, daß die Beklagte die Anwesen O.-straße ... und ... als
"durchlaufende" Grundstücke zwischen der F.-straße und der O.-straße mit einer
Eckgrundstücksermäßigung gemäß § 6 d ihrer Erschließungsbeitragssatzung in die
Verteilung eingestellt hat, was im übrigen nach der Ansicht des Senats zu Recht
erfolgt ist, da ein Anlieger-/Hinterliegerverhältnis bei all diesen Grundstücken
sowohl von der O.-straße her als auch von der F.-straße her gegeben ist, also alle
betroffenen Flurstücke jeweils von beiden Straßen erschlossen sind. Der Senat
brauchte deshalb nicht aufzuklären, ob die Voraussetzungen für eine Ermäßigung
nach § 6 d der Erschließungsbeitragssatzung überhaupt bestanden, was deshalb
zweifelhaft ist, weil weder die ehemalige Gemeinde O. noch die Beklagte jemals
Beiträge für die O.-straße erhoben haben.
Es bestand für die Beklagte auch kein Anlaß, dem Kläger einen Billigkeitsnachlaß
wegen Nichtberücksichtigung seiner zweifachen Eckgrundstückslage bei der
Zahlung der Erschließungskosten an die Hessische Landgesellschaft mbH zu
gewähren. Wie die Aufklärung des Sachverhalts durch den Widerspruchsausschuß
beim Landrat des Main-Kinzig-Kreises ergeben hat, enthielten diese
Erschließungskosten keine Kosten der Herstellung der O.-straße oder der H.
Straße, sondern nur 12.282,58 DM für "Wege- und Grabenbau".
Die Klage ist nach alledem unter Abänderung des angefochtenen Urteils im vollen
Umfang abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die
Vollstreckbarkeitsentscheidungen ergeben sich aus § 167 VwGO, § 708 r. 10, 711
ZPO.
Die Revision gegen dieses Urteil läßt der Senat zu, da der weiteren Klärung der
Fragen, wann eine "einheitliche Nutzung" von Anlieger- und Hinterliegergrundstück
anzunehmen ist, und unter welchen Voraussetzungen ein Hinterliegergrundstück
im Sinne von § 133 Abs. 1 BBauG/BauGB erschlossen ist, von grundsätzlicher
Bedeutung ist.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.