Urteil des HessVGH vom 04.10.1988

VGH Kassel: wiedereinsetzung in den vorigen stand, rechtsmittelbelehrung, berufungsfrist, unrichtigkeit, form, anhörung, zivilprozessrecht, kur, begriff, quelle

1
2
3
4
Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
5. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 UE 2491/86
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 58 Abs 2 VwGO, § 124
Abs 2 VwGO, § 124 Abs 3 S
1 VwGO, § 125 Abs 2 VwGO
Zur Unrichtigkeit einer Rechtsmittelbelehrung -
Falschbezeichnung
Leitsatz
Die falsche Bezeichnung "Urteil" anstelle "Gerichtsbescheid" in der
Rechtsmittelbelehrung macht diese nicht unrichtig im Sinne des § 58 Abs 2 VwGO.
Gemäß § 124 Abs 2 und 3 S 1 VwGO ist eine Berufung dann unzulässig, wenn nicht
innerhalb der Berufungsfrist die Identität des angefochtenen Urteils
(Gerichtsbescheides), zB aufgrund er Angaben in der Rechtsmittelschrift oder sonstiger
Angaben, unzweifelhaft feststeht.
Gründe
Mit seiner beim Verwaltungsgericht Darmstadt am 17. September 1985
erhobenen Klage erstrebte der Kläger von der Beklagten den Erlaß seines
Jahresbeitrags für 1985 in Höhe von 420,00 DM. Nach Anhörung der Beteiligten
wies das Gericht die Klage durch Gerichtsbescheid vom 28. April 1986 ab, wobei
die Rechtsmittelbelehrung anstelle der Bezeichnung "Gerichtsbescheid" den Begriff
"Urteil" verwendete. Der Gerichtsbescheid und der am gleichen Tage erlassene
und ebenfalls mit einer Rechtsmittelbelehrung versehene Streitwertbeschluß
wurden dem Kläger gemeinsam am 24. Mai 1986 zugestellt. Durch
Berichtigungsbeschluß vom 23. Mai 1986 wurde die in der Rechtsmittelbelehrung
des Gerichtsbescheides verwendete unzutreffende Bezeichnung "Urteil" durch
"Gerichtsbescheid" ersetzt; dieser ebenfalls mit einer Rechtsmittelbelehrung
versehene Beschluß wurde dem Kläger am 11. Juni 1986 zugestellt.
Am 24. Juni 1986 ging beim Verwaltungsgericht Darmstadt folgendes Schreiben
des Klägers vom Vortage ein:
"Gegen den mir am 11.6.1986 bekanntgegebenen Beschluß lege ich hiermit
fristgerecht Beschwerde ein. Ausführliche Begründung folgt nach Rückkehr von
Kur."
Die "Beschwerdebegründung" des Klägers vom 6. September 1986 richtete sich
allein gegen die Ausführungen im Gerichtsbescheid. Das Verwaltungsgericht legte
daraufhin die "Beschwerde" dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof als Berufung
zur Entscheidung vor. In seiner Eingangsverfügung vom 7. November 1986 hat der
amtierende Vorsitzende des 5. Senats den Kläger darauf aufmerksam gemacht,
daß erhebliche Bedenken bestünden, ob er form- und fristgerecht Berufung
eingelegt habe. Unter dem 22. November 1986 hat der Kläger mitgeteilt, er
berichtige sein Schreiben vom 23. Juni 1986 dahingehend, daß es anstelle von
Beschwerde "Berufung" heißen müsse. Auf den Hinweis des Gerichts vom 27. Juli
1988 an beide Beteiligte, daß eine Verwerfung der Berufung gemäß § 125 Abs. 2
VwGO in Betracht komme, hat der Kläger in seinem Schreiben vom 23. August
1988 ausgeführt, er habe in seinem Brief vom 22. November 1986 die Bedenken
gegen die Zulässigkeit der Berufung ausgeräumt und beantrage hiermit
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
5
6
7
8
9
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und
Behördenvorgänge, die zum Gegenstand der Beratung gemacht worden sind,
Bezug genommen.
Die Berufung ist unzulässig, da sie nicht fristgerecht in der gesetzlich
vorgeschriebenen Form eingereicht worden ist und eine Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand ausscheidet.
Gemäß § 124 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit Art. 2 § 1 Abs. 2 des Gesetzes zur
Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit ist die
Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides
einzulegen. Der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 28.
April 1986 wurde dem Kläger am 24. Mai 1986 zugestellt. An diesem Tag begann
die Berufungsfrist zu laufen, weil der Kläger über den Rechtsbehelf - hier die
Berufung - , das Gericht, bei dem die Berufung anzubringen ist, den Sitz und die
einzuhaltende Frist ordnungsgemäß schriftlich belehrt worden ist (§ 58 Abs. 1
VwGO). Die falsche Bezeichnung "Urteil" anstelle. "Gerichtsbescheid" machte die
Rechtsmittelbelehrung nicht unrichtig im Sinne des § 58 Abs. 2 VwGO, denn der
Fehler war nicht geeignet, beim Kläger einen Irrtum über die formellen oder
materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs
hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, einen Rechtsbehelf insbesondere
rechtzeitig einzulegen (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 13. Dezember 1978
- BVerwGE 57,188 [190]; Urteil vom 27. Mai 1981 - MDR 1982,257). Für den Kläger
war offensichtlich, daß sich die Bezeichnung "Urteil" allein auf den
Gerichtsbescheid bezog, dem die Rechtsmittelbelehrung beigefügt war. - Der
Berichtigungsbeschluß vom 23. Mai 1986 eröffnete ebenfalls keine neue
Berufungsfrist gegen den berichtigten Gerichtsbescheid (vgl. Kopp, VwGO, 7. Aufl.,
§ 118 Rdnr. 11).
Der Kläger hat es versäumt, innerhalb der Monatsfrist formgerecht gemäß § 124
Abs. 3 Satz 1 VwGO Berufung einzulegen. Zwar ist die "Beschwerde" des Klägers
noch am letzten Tag der Berufungsfrist (24. Juni 1986) bei Gericht eingegangen
und ist an sich die falsche Bezeichnung des Rechtsbehelfs bzw. der angefochtenen
Entscheidung dann unschädlich, wenn kein Zweifel besteht, welche Entscheidung
und damit welches Rechtsmittel gemeint sind (vgl. Eyermann-Fröhler, VwGO, 9.
Aufl., § 124 Rdnr. 29; Kopp, a.a.O., § 124 Rdnr. 5 mit weiteren Nachweisen); das
Fehlen eines schriftsätzlichen Berufungsantrags ist ebenfalls unerheblich, wenn die
Tatsache der Rechtsmitteleinlegung aus sich heraus das Ziel der Berufung
erkennen läßt, denn an das Erfordernis eines hinreichend bestimmten Antrags im
Sinne des § 124 Abs. 3 Satz 1 VwGO sind keine strengen Anforderungen zu stellen
(Hess. VGH, Urteil vom 29. März 1979 - V OE 55/76; Beschluß vom 12. November
1986 - 7 UE 1085/85 mit weiteren Nachweisen). Im vorliegenden Fall war aber aus
dem Inhalt der am letzten Tag der Berufungsfrist eingegangenen
Rechtsmittelschrift nicht zweifelsfrei erkennbar, daß die "Beschwerde" vom 23. Juni
1986 als Berufung gegen den Gerichtsbescheid behandelt werden sollte. Denn der
Kläger hatte ausdrücklich Beschwerde erhoben, und zwar - nach dem Wortlaut
seines Schreibens - gegen den ihm am 11. Juni 1986 bekanntgegebenen
Beschluß. Hierbei handelte es sich um den Berichtigungsbeschluß, der in seiner
Rechtsmittelbelehrung den Hinweis auf die Beschwerdemöglichkeit beinhaltete.
Die Rechtsmittelschrift des Klägers enthielt auch weder einen Antrag noch eine
Begründung, die hätten erkennen lassen, daß eine Überprüfung des
Gerichtsbescheides gewollt war. Auf eine nähere Bezeichnung des angegriffenen
Gerichtsbescheides in der Rechtsmittelschrift konnte schon deshalb nicht
verzichtet werden, weil das Verwaltungsgericht insgesamt drei den Kläger
betreffende anfechtbare und deshalb mit einer Rechtsmittelbelehrung versehene
Entscheidungen - Gerichtsbescheid, Streitwertbeschluß, Berichtigungsbeschluß -
getroffen hatte. Zwar hat der Kläger nach Ablauf der Berufungsfrist die
"Beschwerde" mit Argumenten gegen den Gerichtsbescheid begründet und auf
Anfrage auch erklärt, daß "Berufung" eingelegt werden sollte. Diese Klarstellung
war jedoch verspätet erfolgt (vgl. dazu Bundesverwaltungsgericht, Beschluß vom
14. April 1961 - BVerwGE 12,189; Hess. VGH, Urteil vom 12. Oktober 1961 -
ESVGH 12,82; Urteil vom 6. Juni 1977 - VI OE 20/77; Urteil vom 4. August 1977 - VII
OE 117/76; BFH, Beschluß vom 24. November 1976 - NJW 1977,696; BAG,
Beschluß vom 12. März 1982 - 7 AZB 19/81 -; Kopp, a.a.O., § 124 Rdnr. 5;
Eyermann-Fröhler, a.a.O., § 124 Rdnr. 30,31).
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Fristversäumung (§ 60
VwGO) scheidet schon deshalb aus, weil der Kläger den Wiedereinsetzungsantrag
10
11
12
VwGO) scheidet schon deshalb aus, weil der Kläger den Wiedereinsetzungsantrag
nicht innerhalb eines Jahres seit dem Ende der versäumten Berufungsfrist gestellt
hat (§ 60 Abs. 3 VwGO). Die Jahresfrist ist eine Ausschlußfrist, die auch einer
Wiedereinsetzung von Amts wegen entgegensteht (vgl. Kopp, a.a.O., § 60 Rdnr.
21).
Die Berufung ist damit als unzulässig zu verwerfen (§ 125 Abs. 2 Satz 2 VwGO).
Der Senat macht nach vorheriger Anhörung der Beteiligten von der Möglichkeit
Gebrauch, diese Entscheidung durch Beschluß zu treffen (§ 125 Abs. 2 Satz 3
VwGO; vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, Beschluß vom 3. April 1986 - VBlBW
1986,351) . Die ausgesprochene Kostenfolge beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Der Beschluß ist gemäß § 152 Abs. 1 Satz 1 VwGO unanfechtbar. Denn eine
Beschwerde gegen diesen Beschluß ist nicht zuzulassen, da auch gegen ein Urteil
gleichen Inhalts mangels Vorliegens eines der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten
Gründe die Revision nicht zuzulassen wäre (§ 125 Abs. 2 Satz 4 VwGO). Eine
Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Beschwerde entsprechend § 132 Abs. 3
VwGO ist ebenfalls nicht gegeben (Bundesverwaltungsgericht, Beschluß vom 29.
November 1974 - MDR 1975,427; Hess. VGH, Beschluß vom 26. November 1984 -
3 UE 2436/84).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 2, 14 GKG. Insoweit ist der
Beschluß nach § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG unanfechtbar.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.