Urteil des HessVGH vom 27.07.1989
VGH Kassel: anweisung, öffentliches interesse, aufschiebende wirkung, verwaltungsakt, aufsichtsbehörde, vollziehung, unverzüglich, bekanntmachung, offenlegung, meinung
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
6. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 TH 1651/89
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 80 Abs 5 S 1 VwGO, § 139
GemO HE, § 142 GemO HE,
§ 18 Abs 3 FStrG, § 18 Abs
5 FStrG
Anweisung einer Kommunalaufsichtsbehörde an eine
Gemeinde nach GemO HE § 139, den Bau einer
Bundesfernstraße betreffende Planunterlagen gem FStrG §
18 Abs 3 und 5 öffentlich auszulegen
Leitsatz
Eine für sofort vollziehbar erklärte und mit einem Hinweis auf den Rechtsbehelf des
Widerspruchs versehene Anweisung einer Kommunalaufsichtsbehörde an eine
Gemeinde nach § 139 HGO (GemO HE), den Bau einer Bundesfernstraße betreffende
Planunterlagen gemäß §§ 18 Abs 3 und 5 FStrG nach vorheriger ortsüblicher
Bekanntmachung öffentlich auszulegen, stellt nach Form und Inhalt einen
Verwaltungsakt dar. Ob es sich bei jeder kommunalaufsichtlichen Anweisung - auch
dann, wenn sie keine Selbstverwaltungs-, sondern eine staatliche Weisungs- oder
Auftragsangelegenheit betrifft - um einen Verwaltungsakt handelt, läßt der Senat offen.
Eine Gemeinde ist auch dann verpflichtet, einen Plan nach §§ 18 Abs 3 und 5 FStrG
offenzulegen, wenn sie das Planaufstellungsverfahren für rechtswidrig, die
Planunterlagen für unvollständig und das beabsichtigte Vorhaben für mit ihren
Belangen unvereinbar hält.
Eine Anweisung, die Planunterlagen "unverzüglich auf die Dauer von vier Wochen"
auszulegen, ist rechtswidrig und verletzt die Gemeinde in ihren Rechten.
Gründe
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 Satz 1
VwGO ist statthaft, denn bei der auf § 139 der Hessischen Gemeindeordnung -
HGO - gestützten und für sofort vollziehbar erklärten Anweisung des Landrats des
Main-Taunus-Kreises vom 2. Januar 1989, unverzüglich gemäß § 18 Abs. 3 und 5
des Bundesfernstraßengesetzes - FStrG - nach vorheriger ortsüblicher
Bekanntmachung die den Bau der beabsichtigten Bundesstraße 519 neu
betreffenden Planunterlagen auf die Dauer von vier Wochen öffentlich auszulegen,
handelt es sich um einen anfechtbaren Verwaltungsakt. Ob jede kommunal-
aufsichtsrechtliche Anweisung - auch dann, wenn sie keine Selbstverwaltungs-,
sondern eine staatliche Weisungs- oder Auftragsangelegenheit betrifft - einen
Verwaltungsakt darstellt (so OVG Münster, Urteil vom 27. Oktober 1969 - III A
301/66 -, DÖV 1970, 607; in Fällen einer Anweisung der
Kommunalaufsichtsbehörde in bauaufsichtlichen Angelegenheiten, die gemäß § 81
Abs. 2 Satz 1 der Hessischen Bauordnung den kreisfreien Städten, Landkreisen
und kreisangehörigen Gemeinden mit mehr als 50.000 Einwohnern zur Erfüllung
nach Weisung im Sinne des § 4 Satz 1 HGO übertragen worden sind, auch Hess.
VGH, Beschluß vom 18. Januar 1988 - 4 TH 1663/85 - und Beschluß vom 16. April
1982 - III TH 18/82 -, HSGZ 1982, 259; differenzierend Schlempp, HGO, § 142 Anm.
II), läßt der Senat offen. Aus § 142 HGO, wonach gegen Anordnungen der
Aufsichtsbehörde die Anfechtungsklage nach Maßgabe der
Verwaltungsgerichtsordnung gegeben ist, können insoweit jedenfalls keine
Rückschlüsse gezogen werden, denn diese Vorschrift hat lediglich deklaratorische
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Rückschlüsse gezogen werden, denn diese Vorschrift hat lediglich deklaratorische
Bedeutung (Schlempp, a. a. O., § 142 Anm. II und Schneider/Jordan, HGO, § 142
Erl. 1).
Daß es sich bei der Anweisung vom 2. Januar 1989 um einen Verwaltungsakt
handelt, folgt bereits aus ihrem äußeren Erscheinungsbild (vgl. dazu Redeker/von
Oertzen, VwGO, 9. Aufl. 1988, § 42 Rdnr. 13 und Kopp, VwVfG, 4. Aufl. 1986, § 35
Rdnr. 30, ferner BVerwG, Urteil vom 18. Juni 1962 - V C 22.61 -, DÖV 1962, 907
und Urteil vom 31. August 1960 - V C 174.59 -, NJW 1961, 234). Der Landrat hat
gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung seiner Anweisung
angeordnet und in der beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung auf die Möglichkeit des
Widerspruchs hingewiesen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung und der
förmliche Rechtsbehelf des Widerspruchs sind nur bei Verwaltungsakten möglich.
Aber auch inhaltlich enthält die Anweisung alle Merkmale eines Verwaltungsaktes.
Insbesondere ist sie auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet, denn
sie verpflichtet die Antragstellerin in ihrer Eigenschaft als selbständige Trägerin
hoheitlicher Verwaltung, einem anderen Träger hoheitlicher Verwaltung - nämlich
dem Land, das das dem Bau von Fernstraßen vorausgehende
Planfeststellungsverfahren im Auftrag des Bundes durchführt - Amtshilfe zu
leisten. Daß die Offenlegung der Planunterlagen durch eine Gemeinde im Rahmen
eines Anhörungsverfahrens nach § 18 FStrG als ein gesetzlich geregelter Fall der
Amtshilfe anzusehen ist, entspricht herrschender Meinung (vgl. OVG Koblenz,
Urteil vom 28. September 1977 - 7 A 68/76 -, AS Band 15 Nr. 5 = DÖV 1978, 377
Rdnr. 4.1; Kodal/Krämer, Straßenrecht, 4. Aufl. 1985, S. 1013). Hiervon
abzuweichen besteht im Eilverfahren kein Anlaß.
Die Antragstellerin hat auch zu Recht die Wiederherstellung und nicht die
Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs beantragt, denn bei
der Anweisung handelt es sich entgegen der ihr beigefügten
Rechtsbehelfsbelehrung nicht um eine gemäß §§ 80 Abs. 2 Nr. 3, 187 Abs. 3 VwGO
i.V.m. § 12 des Hessischen Ausführungsgesetzes zur VwGO sofort vollziehbare
Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung (mißverständlich insoweit auch
Schlempp, a. a. O., § 142 Anm. II). Vollstreckungsmaßnahme ist die
Ersatzvornahme des § 140 HGO, die erfolgt, wenn die Gemeinde eine Anweisung
der Aufsichtsbehörde nicht innerhalb der ihr gesetzten Frist nachkommt (vgl.
Hess. VGH, Beschlüsse vom 25. März 1982 - III TH 15/82 -, HSGZ 1982, 186 und
vom 5. Oktober 1971 - IV TH 49/71 -). Die Anweisung selbst ist dafür lediglich
Voraussetzung.
Der Antrag ist auch sachlich begründet, denn die Anweisung vom 2. Januar 1989
ist offensichtlich rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten, so
daß der eingelegte Rechtsbehelf hohe Aussicht auf Erfolg hat. An der sofortigen
Vollziehung eines solchen Verwaltungsaktes besteht kein öffentliches Interesse.
Die Voraussetzungen für eine kommunalaufsichtsbehördliche Anweisung nach §
139 HGO sind zwar erfüllt, denn die Antragstellerin hat die ihr im Rahmen des
Anhörungsverfahrens gemäß § 18 Abs. 3 und 5 FStrG obliegenden Pflichten nicht
erfüllt. Der Regierungspräsident in Darmstadt als nach § 18 Abs. 1 Satz 1 FStrG
i.V.m. § 4 der "Anordnung über die Straßenbaubehörden sowie zur Bestimmung
der höheren Verwaltungsbehörde und der Anhörungsbehörde nach dem
Bundesfernstraßengesetz" vom 14. Dezember 1979 (GVBl. I S. 253) zuständige
Anhörungsbehörde hatte die Antragstellerin mit Schreiben vom 25. März 1988
aufgefordert, die die Bundesstraße 519 neu - Umgehung Hofheim - betreffenden
Planunterlagen nach ortsüblicher Bekanntmachung einen Monat zur Einsicht
auszulegen. Diesem Ersuchen hätte die Antragstellerin unverzüglich
(Marschall/Schroeter/Kastner, a. a. O., § 18 Rdnr. 4.1) - also ohne schuldhaftes
Zögern (vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) - nachkommen müssen. Insbesondere
durfte sie sich nicht deshalb weigern, den Plan öffentlich auszulegen, weil sie
gegen das Schreiben des Regierungspräsidenten vom 25. März 1988 Widerspruch
und nach dessen Zurückweisung Klage erhoben hatte, denn dieses Schreiben
enthält keine Regelung und ist damit kein Verwaltungsakt, dessen Anfechtung die
Rechtswirkungen des § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO auslösen konnte. Sofern die
Antragstellerin gegenteiliger Auffassung sein sollte, beruht ihre Meinung auf einem
vorwerfbaren Rechtsirrtum.
Die Antragstellerin durfte die Auslegung des Plans auch nicht deshalb ablehnen,
weil sie die zur Offenlegung bestimmten Planunterlagen für unvollständig, die
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weil sie die zur Offenlegung bestimmten Planunterlagen für unvollständig, die
Linienbestimmung durch den Bundesminister für Verkehr für rechtswidrig und das
beabsichtigte Vorhaben für mit ihren eigenen Belangen unvereinbar hält. Die
Verantwortung für die Rechtmäßigkeit des Planaufstellungsverfahrens und die
Vollständigkeit der Planunterlagen tragen allein die nach dem
Bundesfernstraßengesetz und den zu seiner Ausführung ergangenen
Bestimmungen der Länder zuständigen staatlichen Behörden. Ihre Tätigkeit
unterliegt nicht der Rechtsaufsicht der Gemeinden. Diese haben lediglich für die
ordnungsgemäße öffentliche Auslegung des Plans zu sorgen. Sie können den
Fortgang des Planfeststellungsverfahrens auch dann nicht verhindern, wenn der
Plan ihren eigenen Vorstellungen über eine geordnete städtebauliche Entwicklung
zuwiderläuft. Die Gemeinden haben aufgrund ihres Selbstverwaltungsrechts
lediglich einen Anspruch darauf, vor einem Eingriff in ihre Planungshoheit gehört zu
werden (vgl. BVerfG, Beschluß vom 7. Oktober 1980 - 2 BvR 584 u. a./76 -, NJW
1981, 1659; BVerwG, Urteil vom 22. März 1974 - IV C 42.73 -, DVBl. 1974, 562;
Marschall/Schroeter/Kastner, a. a. O., § 18 Rdnr. 3.2). Dieses Recht wird im
Planfeststellungsverfahren nach dem Bundesfernstraßengesetz durch die in § 18
Abs. 2 FStrG vorgeschriebene Mitwirkung der Gemeinden ausreichend gesichert.
Im übrigen kann sich eine straßenrechtliche Planung, die im konkreten Falle auf
einer hinreichenden Planrechtfertigung beruht, mit Hilft einer gerechten Abwägung
der nach Lage der Dinge durch die Planung berührten öffentlichen und privaten
Belange ohne Verstoß gegen das kommunale Selbstverwaltungsrecht auch über
städtebauliche und planerische Interessen einer Gemeinde hinwegsetzen
(BVerwG, Beschluß vom 10. September 1981 - 4 B 84.81 -, NVwZ 1982, 115). Eine
rechtmäßige Behördenentscheidung kann jedoch nicht verhindert werden. Ist eine
Gemeinde der Auffassung, daß ihre Belange nicht ausreichend berücksichtigt
worden sind, muß sie abwarten, bis der Planfeststellungsbeschluß ergangen ist,
um dagegen Klage zu erheben; dadurch erreicht sie zugleich, daß vor der
endgültigen Klärung der Rechtmäßigkeit des Vorhabens keine vollendeten
Tatsachen geschaffen werden. Sie darf sich jedoch nicht weigern, den Plan
offenzulegen, um bereits einen solchen Beschluß zu verhindern.
Wie das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden hat, ist der Bescheid vom 2.
Januar 1989 gleichwohl offensichtlich rechtswidrig, weil die Antragstellerin nicht
angewiesen worden ist, die ortsübliche Bekanntmachung der öffentlichen
Auslegung des Plans und die Offenlegung der Planunterlagen innerhalb einer
bestimmten Frist durchzuführen. Nach § 139 HGO kann die Aufsichtsbehörde die
Gemeinde anweisen, innerhalb einer bestimmten Frist das Erforderliche zu
veranlassen, wenn die Gemeinde die ihr gesetzlich obliegenden Pflichten oder
Aufgaben nicht erfüllt. Kommt die Gemeinde dieser Anweisung nicht innerhalb der
ihr gesetzten Frist nach, kann die Aufsichtsbehörde gemäß § 140 HGO anstelle der
Gemeinde das Erforderliche anordnen und auf deren Kosten selbst durchführen
oder durch einen Dritten durchführen lassen. Unter Frist im Sinne dieser
Vorschriften ist ein feststehender Zeitraum zu verstehen (Schneider/Jordan, a. a.
O., §§ 138 bis 140, Erl. 5). Die Anweisung, "unverzüglich" - also ohne schuldhaftes
Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) - tätig zu werden, erfüllt diese Anforderungen
nicht, denn sie stellt auf die individuellen Umstände des Einzelfalles ab. Auf eine
bestimmte Frist durfte auch nicht deshalb verzichtet werden, weil die
Aufsichtsbehörde die sofortige Vollziehung ihrer Anweisung angeordnet hatte
(anderer Ansicht Schneider/Jordan, a. a. O., §§ 138 bis 140, Erl. 5). Die Anordnung
der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts hat lediglich zur Folge, daß die
aufschiebende Wirkung eines hiergegen eingelegten Rechtsbehelfs entfällt (§ 80
Abs. 2 Nr. 4 VwGO). Die Erfüllung der Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen des
Verwaltungsakts wird dadurch nicht entbehrlich. Die danach rechtswidrige
Anweisung, die Planunterlagen unverzüglich auszulegen, verletzt die
Antragstellerin auch in ihren Rechten. Durch die erforderliche Fristsetzung soll der
Gemeinde Gelegenheit gegeben werden, selbst das Notwendige zu veranlassen.
Insoweit dient die gesetzliche Regelung ihrem Schutz vor vorzeitigen staatlichen
Zwangsmaßnahmen.
Offensichtlich rechtswidrig ist weiterhin die Anweisung der Aufsichtsbehörde, die
Planunterlagen auf die Dauer von vier Wochen öffentlich auszulegen, denn § 18
Abs. 3 FStrG schreibt eine Auslegungsfrist von einem Monat vor. Auch insoweit
wird die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt, denn sie ist für die Einhaltung der
Frist verantwortlich.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist ferner entgegen § 80 Abs. 3 Satz 1
VwGO nicht ausreichend begründet worden. Insbesondere hat die
Aufsichtsbehörde nicht dargelegt, weshalb die Auslegung der Planunterlagen
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Aufsichtsbehörde nicht dargelegt, weshalb die Auslegung der Planunterlagen
sofort erfolgen muß, also eilbedürftig ist (vgl. dazu zuletzt Hess. VGH, Beschluß
vom 6. Oktober 1988 - 4 TG 3126/88 -, HessVGRspr. 1989, 27). Die Dringlichkeit
folgt jedenfalls nicht aus der zeitlichen Verzögerung, die ohne Anordnung der
sofortigen Vollziehung aufgrund der aufschiebenden Wirkung eines gegen einen
Verwaltungsakt eingelegten Rechtsbehelfs eintritt. Mit dieser Begründung verkennt
der Antragsgegner das Regel-Ausnahme-Verhältnis, das zwischen § 80 Abs. 1 und
2 VwGO besteht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 20 Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 und dem
entsprechend anzuwendenden § 14 GKG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.