Urteil des HessVGH vom 01.04.1992

VGH Kassel: lärm, stand der technik, grundstück, bebauungsplan, erheblichkeit, anleitung, zumutbarkeit, auskunft, gemeinde, ermessensausübung

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
14. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
14 UE 3441/88
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 24 S 1 BImSchG, § 8
BauNVO, § 9 BauNVO, Nr
2321a TA Lärm, Nr 2321b
TA Lärm
(Zur Feststellung der immissionsschutzrechtlichen
Zulässigkeit einer Anlage)
Tatbestand
Die Klägerin stellt in ihrem Betrieb in K Faltschachteln her. Zur Abscheidung von
Papierschnitzeln brachte sie im Mai 1984 auf dem Dach des Fabrikgebäudes einen
Zyklonabscheider an.
Am 16. August 1984 zwischen 22.00 und 23.00 Uhr führte das Staatliche
Gewerbeaufsichtsamt W auf einem bewohnten Grundstück, das in der
Nachbarschaft des Betriebes und ebenso wie der Betrieb selbst nach den von
gerichtlicher Seite beigezogenen Bebauungsplänen der Gemeinde K in einem
Gewerbegebiet liegt, Geräuschmessungen durch. Der Beurteilungspegel betrug 55
dB (A), der maximale Einzelwert 60 dB (A).
Mit Bescheid vom 13. November 1984 ordnete die Behörde an, daß die
Lärmemissionen des Betriebes soweit gesenkt werden müßten, daß an dem in der
Nachbarschaft liegenden Wohnhaus Bstraße 9 der nach Nr. 2.321 b der
Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm für die Nachtzeit festgesetzte
Immissionsrichtwert von 50 dB (A) nicht überschritten werde. Zugleich drohte die
Behörde der Klägerin ein Zwangsgeld in Höhe von 3.000,00 DM an. Im
Vorverfahren änderte das Regierungspräsidium D durch Widerspruchsbescheid
vom 29. März 1985 die Zwangsgeldandrohung dahingehend ab, daß der
auferlegten Verpflichtung innerhalb von zwei Monaten nach Vollziehbarkeit der
Anordnung des Staatlichen Gewerbeaufsichtsamts nachzukommen sei. Im übrigen
wies das Regierungspräsidium den Widerspruch der Klägerin gegen die von dem
Gewerbeaufsichtsamt getroffene Anordnung zurück.
Mit der am 2. Mai 1985 bei dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main
eingegangenen Klage verfolgte die Klägerin ihren Anspruch auf Aufhebung der an
sie gerichteten behördlichen Anordnung in der Gestalt des ihr am 3. April 1985
zugestellten Widerspruchsbescheides weiter. Das Verwaltungsgericht Frankfurt am
Main hob die angefochtenen Bescheide durch Urteil vom 9. Juni 1988 mit der
Begründung auf, daß der Beklagte bei Erlaß der von ihm zutreffend auf § 24 des
Bundes-Immissionsschutzgesetzes gestützten Anordnung von dem ihm durch
diese Vorschrift eingeräumten Ermessen keinen Gebrauch gemacht habe.
Der Beklagte hat gegen das ihm am 27. Juni 1988 zugestellte Urteil mit einem am
25. Juli 1988 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung
eingelegt. Er meint, daß er sich bei Ausübung seines Ermessens nicht ausdrücklich
zur Ermessensausübung äußern müsse. Im übrigen habe die erhebliche
Überschreitung des Immissionsrichtwertes im vorliegenden Falle für ein
behördliches Ermessen keinen Raum mehr gelassen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 9. Juni 1988
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie meint, daß nach der Technischen Anleitung Lärm für das Gewerbegebiet, in
dem ihr Betrieb liegt, ein Immissionsrichtwert von 70 dB (A) maßgebend sei.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die von den Beteiligten eingereichten
Schriftsätze nebst Anlagen, die Niederschriften über die mündlichen
Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main vom 9. Juni 1988
und vor dem erkennenden Senat vom 1. April 1992 sowie auf die beigezogenen
Akten des Regierungspräsidiums in D (1 Hefter) verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die
angefochtenen Bescheide zu Recht aufgehoben.
Das Staatliche Gewerbeaufsichtsamt W ist in dem angefochtenen Bescheid vom
13. November 1984 allerdings zutreffend von § 24 des Bundes-
Immissionsschutzgesetzes - BImSchG - ausgegangen. Nach Satz 1 dieser
Bestimmung kann die zuständige Behörde im Einzelfall die zur Durchführung des §
22 und der auf das Bundes-Immissionsschutzgesetz gestützten
Rechtsverordnungen erforderlichen Anordnungen treffen. Nach der Begründung
des Bescheides verfolgt die Behörde das Ziel, den Betreiber durch Verringerung
der Schallabstrahlung dazu anzuhalten, seine Anlage so zu betreiben, daß nach
dem Stand der Technik vermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen verhindert
werden. Damit greift die Behörde die in § 24 Satz 1 BImSchG genannte Vorschrift
des § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 desselben Gesetzes auf, wonach nicht
genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und betreiben sind, daß
schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der
Technik vermeidbar sind.
Bei dem Betrieb zur Herstellung von Faltschachteln handelt es sich um eine nicht
genehmigungsbedürftige Anlage im Sinne des Gesetzes. Aus dem Anhang zu der
nach § 4 Abs. 1 Satz 2 BImSchG für die genehmigungsbedürftigen Anlagen
maßgeblichen Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen - 4. BImSchV -
ergibt sich, daß weder die Faltschachtelherstellung als solche noch der Betrieb
eines Zyklonabscheiders genehmigungspflichtig sind.
Was unter schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
BImSchG zu verstehen ist, ergibt sich aus § 3 Abs. 1 BImSchG. Es handelt sich
danach um Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind,
Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die
Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Zu den Immissionen
gehören nach § 3 Abs. 2 BImSchG auch Geräusche. Dabei werden von der Klägerin
die auf einem benachbarten und bewohnten Grundstück zur Nachtzeit
gemessenen Immissionen mit einem Beurteilungspegel von 55 dB (A) und einem
maximalen Einzelwert von 60 dB (A) nicht in Frage gestellt.
Rechtlich nicht zu beanstanden ist es weiterhin, daß die Behörde zur Beantwortung
der Frage, ob die von ihr angenommene Gefahr gesundheitsbeeinträchtigender
Schlafstörungen vorliegt, die Technische Anleitung Lärm - TA Lärm - herangezogen
hat. Diese noch auf der Grundlage des § 16 der Gewerbeordnung - GewO -
ergangene allgemeine Verwaltungsvorschrift ist nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des erkennenden Senats als
Ausgangspunkt für die Beurteilung der Zumutbarkeit von Geräuschen für die
Nachbarschaft geeignet. In tatsächlicher Hinsicht stellt das Staatliche
Gewerbeaufsichtsamt ebenso wie später das Regierungspräsidium im
Widerspruchsbescheid fehlerfrei fest, daß der Betrieb der Klägerin in einem
Gewerbegebiet liegt. Dies ergibt sich nunmehr eindeutig aus der von dem
erkennenden Gericht eingeholten Auskunft des Gemeindevorstands der Gemeinde
K vom 10. März 1992 und dem beigefügten Bebauungsplan für das Gebiet östlich
der Istraße, der nach dem Inhalt der Auskunft seit dem 28. November 1975
rechtsverbindlich ist. Auch das Grundstück Bstraße 9, auf dem das Staatliche
Gewerbeaufsichtsamt am 16. August 1984 die Geräuschmessungen durchgeführt
hat, liegt in einem Gewerbegebiet, wie dem seit dem 1. Januar 1970
rechtsverbindlichen Bebauungsplan für das Gebiet beiderseits der Istraße zwischen
H Straße und Sch zu entnehmen ist. Es handelt sich mithin bei allen für die
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H Straße und Sch zu entnehmen ist. Es handelt sich mithin bei allen für die
Beurteilung der Schädlichkeit der Geräusche in Betracht kommenden Flächen um
Gebiete, die nach den Festsetzungen im jeweiligen Bebauungsplan als
Gewerbegebiete im Sinne des § 8 der Baunutzungsverordnung - BauNVO -
anzusehen sind.
Das Gewerbeaufsichtsamt und das Regierungspräsidium setzen Gewerbegebiete
in diesem Sinne mit Gebieten im Sinne der Nr. 2.321 b TA Lärm gleich. Auch diese
rechtliche Auffassung des Beklagten ist zutreffend.
Unter Nr. 2.321 setzt die TA Lärm verschiedene gebietsbezogene
Immissionsrichtwerte fest. Dabei bestimmt die von der Behörde herangezogene
Nr. 2.321 b für Gebiete, in denen vorwiegend gewerbliche Anlagen untergebracht
sind, Richtwerte von tagsüber 65 dB (A) und nachts 50 dB (A). Die Klägerin nimmt
dagegen den für die Tages- und Nachtzeit gleichermaßen geltenden Wert von 70
dB (A) der Nr. 2.321 a für sich in Anspruch. Dieser Wert bezieht sich auf Gebiete, in
denen nur gewerbliche oder industrielle Anlagen und Wohnungen für Inhaber und
Leiter der Betriebe sowie für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen untergebracht
sind.
Aus dem Vergleich der Texte der Baunutzungsverordnung und der TA Lärm ergibt
sich, daß es zutreffend ist, Gebiete im Sinne der Nr. 2.321 a TA Lärm mit
Industriegebieten im Sinne des § 9 BauNVO und Gebiete im Sinne der Nr. 2.321 b
TA Lärm mit Gewerbegebieten im Sinne des § 8 BauNVO gleichzusetzen. Es zeigt
sich zwar, daß in allen vier Regelungen gewerbliche Anlagen, wie es in der TA Lärm
heißt, bzw. Gewerbebetriebe, wie sich die Baunutzungsverordnung ausdrückt,
behandelt werden. Die Regelungen in § 8 BauNVO und Nr. 2.321 b entsprechen
sich jedoch in besonderem Maße, indem sie auf Gebiete abstellen, in denen
vorwiegend solche Betriebe bzw. Anlagen untergebracht sind. Auf der anderen
Seite entsprechen sich § 9 BauNVO und Nr. 2.321 a TA Lärm, indem sie sich auf
Gebiete beziehen, in denen ausschließlich bzw. nur Gewerbebetriebe bzw.
gewerbliche Anlagen untergebracht sind. Bereits diese wechselseitige
Übereinstimmung spricht für die genannte Zuordnung der bau- und
immissionsschutzrechtlichen Regelungen zueinander. Verstärkt wird diese
Auffassung durch die in § 9 Abs. 1 BauNVO enthaltene Wendung, wonach
Industriegebiete vorwiegend der Unterbringung solcher Betriebe dienen, die in
anderen Baugebieten unzulässig sind. Es erscheint naheliegend, hierunter
industrielle Anlagen im Sinne der Nr. 2.321 a TA Lärm zu verstehen, die zum einen
besonders häufig zu erheblichen Immissionen führen und zum anderen unter Nr.
2.321 b bis g TA Lärm nirgends erwähnt sind.
Auffällig ist bei der vergleichenden Betrachtung der bau- und
immissionsschutzrechtlichen Vorschriften, daß nach den baurechtlichen
Bestimmungen des § 8 Abs. 3 Nr. 1 und des § 9 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO Wohnungen
für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und
Betriebsleiter, die dem Gewerbebetrieb zugeordnet sind, sowohl in Gewerbe- als
auch in Industriegebieten zugelassen werden können, während derartige
Wohnungen in der TA Lärm zwar unter Nr. 2.321 a, nicht aber unter Nr. 2.321 b
aufgeführt sind. Das Bestehen derartiger Wohnungen schließt es jedoch nicht aus,
daß in dem betreffenden Gebiet vorwiegend gewerbliche Anlagen im Sinne der Nr.
2.321 b untergebracht und dementsprechend für den Immissionsschutz die dort
genannten Richtwerte heranzuziehen sind. Damit gehen Versuche der Klägerin, § 8
ebenso wie § 9 BauNVO ausschließlich der Nr. 2. 321 a TA Lärm zuzuordnen, fehl.
Erweisen sich die Heranziehung der TA Lärm als solche und deren Auslegung
durch die Behörde als rechtsfehlerfrei, so ist doch die Umsetzung der dort
vorgefundenen Immissionsrichtwerte durch die Behörde auf den vorliegenden Fall
rechtsfehlerhaft. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts führt
die TA Lärm ebensowenig wie die VDI-Richtlinie 2058 im Einzelfall zu einer richtigen
Bewertung (U. v. 19. Januar 1989 - 7 C 77.87 - BVerwGE 81, 197, 202 - Tegelsbarg
-). Auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der ebenso wie das
Bundesverwaltungsgericht von einer Deckungsgleichheit des privatrechtlichen und
des öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzes ausgeht, verbietet sich eine
schematische Anwendung der TA Lärm (U. v. 23. März 1990 - V ZR 58/89 - NJW
1990, 2465, 2466). Demgegenüber wirken die Ausführungen in dem mit der Klage
angefochtenen Erstbescheid und in dem Widerspruchsbescheid schematisch und
erwecken den Eindruck, als ginge es um die Anwendung einer Rechtsvorschrift. Für
eine rechtsfehlerfreie Anwendung des § 24 BImSchG hätte die Behörde zwar auf
die TA Lärm und die VDI-Richtlinie 2058 zurückgreifen dürfen, jedoch sodann auf
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die TA Lärm und die VDI-Richtlinie 2058 zurückgreifen dürfen, jedoch sodann auf
dieser Grundlage einen Maßstab für den Einzelfall bilden müssen.
Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. April 1988 (- 7 C 33.87 -
BVerwGE 79, 254, 260 - Feueralarmsirene -) wird die Erheblichkeit und damit die
Zumutbarkeit von Geräuschimmissionen von wertenden Elementen wie der
Herkömmlichkeit, der sozialen Adäquanz und einer allgemeinen Akzeptanz
mitgeprägt. Die Beurteilung der Erheblichkeit von Lärm setzt eine Wertung voraus,
die im Sinne einer Güterabwägung die konkreten Gegebenheiten zum einen der
emittierenden, zum anderen der immissionsbetroffenen Nutzung in Betracht zieht.
Notwendig ist also eine Würdigung der im Einzelfall herrschenden tatsächlichen
Verhältnisse, wobei auch die tatsächliche bauliche Nutzung zu berücksichtigen ist,
wie dies Nr. 2.322 Abs. 3 der TA Lärm für den Fall, daß die tatsächliche von der im
Bebauungsplan festgesetzten Nutzung abweicht, ausdrücklich selbst vorsieht.
Es ist dem erkennenden Senat nicht möglich, die zur Anwendung des § 24 Satz 1
BImSchG erforderlichen tatsächlichen Feststellungen selbst zu treffen. Zwar ist die
Beurteilung der Erheblichkeit von Belästigungen der Nachbarschaft durch
Geräusche eine Frage tatrichterlicher Bewertung (BVerwGE 81, 197, 203). Das
gleiche muß für die Gesundheitsschädlichkeit von Geräuschen gelten. Jedoch
handelt es sich bei dem von der Behörde zu Recht herangezogenen § 24 Satz 1
BImSchG um eine Ermessensvorschrift. Solange die Behörde die notwendigen
tatsächlichen Feststellungen nicht getroffen hat, fehlt es an einer
rechtsfehlerfreien Ermessensbetätigung, die allein der Verwaltungsbehörde obliegt
und von dem erkennenden Senat nicht nachgeholt werden kann.
Zur tatsächlichen Lage in dem hier interessierenden Gebiet fehlt es an
behördlichen Feststellungen. Insbesondere läßt sich nicht erkennen, ob die
tatsächliche Nutzung des Geländes des Bebauungsplans für das Gebiet östlich der
Istraße, auf dem das Grundstück der Klägerin liegt, der eines Industriegebiets im
Sinne des § 9 BauNVO entspricht. Die Klägerin macht dies in der Klagebegründung
ausdrücklich geltend, wobei sie freilich nicht an die bauliche Nutzung im einzelnen
anknüpft.
Nach Feststellung der für eine Anordnung nach § 24 Satz 1 BImSchG
maßgeblichen Tatsachen wird sich die Behörde bei der Bildung des Maßstabes für
die Gesundheitsschädlichkeit von Geräuschen im vorliegenden Fall von folgenden
rechtlichen Grundsätzen leiten lassen müssen: Falls die Gebiete beider hier
herangezogener Bebauungspläne entgegen ihrer Ausweisung als Gewerbegebiet
tatsächlich wie Industriegebiete genutzt werden sollten, falls es sich insbesondere
bei den im Gebiet beiderseits der Istraße gelegenen Wohnungen um solche für
Aufsichts- und Bereitschaftspersonen oder für Inhaber und Leiter der Betriebe
handeln sollte, wäre die Behörde gehalten, einen großzügigeren Maßstab als den
Immissionsrichtwert aus Nr. 2.321 b TA Lärm ihrer Beurteilung der Schädlichkeit
der Geräusche zugrundezulegen. Sollte lediglich das Gebiet östlich der Istraße, auf
dem das Grundstück der Klägerin liegt, wie ein Industriegebiet genutzt werden, so
müßte die Behörde die Grundsätze beachten, die gelten, wenn Gebiete
unterschiedlicher Art aneinandergrenzen, und insbesondere das Gebot
gegenseitiger Rücksichtnahme beachten, dem die Personen unterliegen, die ihre
Grundstücke in Grenznähe in unterschiedlicher Weise nutzen. Dabei wäre zu
Lasten der Klägerin zu berücksichtigen, daß ein Immissionsrichtwert von 70 dB (A),
der tagsüber um 15 dB (A) und nachts um 20 dB (A) über den Richtwerten für die
nächstliegende Gebietsklasse im Sinne der TA Lärm liegt, nur ausnahmsweise
hingenommen werden kann. Es besteht Einigkeit darüber, daß besonders
lautstarke Betriebe selbst in Industriegebieten so weit in deren Inneres verlegt
werden müssen, daß der Nachtwert von 50 db (A) in einem benachbarten Gebiet
im Sinne der Nr. 2.321 b TA Lärm eingehalten werden kann (Feldhaus, TA Lärm,
3.0.1; Bethge/Meurers, TA Lärm, 4. Aufl., B 2.321 Rdrn. 8).
Die unzureichende tatsächliche Grundlage der gebotenen Ermessensentscheidung
schließt es aus, mit dem Vorbringen des Beklagten im Berufungsverfahren
anzunehmen, daß bei der von der Behörde festgestellten Sachlage für eine
Ermessensausübung kein Raum gewesen, vielmehr die Anwendung der in Nr.
2.321 b TA Lärm festgesetzten Richtwerte ohne weiteres rechtlich geboten
gewesen sei. Die nach Auffassung des Beklagten naheliegende Anwendung des §
46 des Hess. Verwaltungsverfahrensgesetzes kommt aus diesem Grunde nicht in
Betracht.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.