Urteil des HessVGH vom 07.01.2010

VGH Kassel: gemeinde, verzinsung, stadt, auflösung, entwässerung, anschluss, ableitung, kläranlage, hessen, form

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
5. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 A 2170/08.Z
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 10 Abs 2 S 2 Halbs 2 KAG
HE
Kalkulation der Abwassergebühren
Leitsatz
1. Bei dem gem. § 10 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz HessKAG vorzunehmenden Abzug des
aus Beiträgen und Zuschüssen Dritter aufgebrachten Kapitalanteils bei der
kalkulatorischen Verzinsung ist eine "Auflösung" des Abzugskapitals durch jährliche
Kürzung um einen dem kontinuierlichen Werteverlust entsprechenden Prozentsatz
zulässig.
2. Bei der Mitbenutzung der Entwässerungseinrichtung eines Abwasserverbandes für
die Entwässerung eines Ortsteils einer verbandsfremden Umlandgemeinde sind die
durch die Mitbenutzung verursachten Mehrkosten bei der Kalkulation der auf die
Benutzer im Einrichtungsgebiet des Abwasserverbandes entfallenden
Abwassergebühren vorab aus der umlegungsfähigen Kostenmasse auszusondern.
Tenor
Auf den Antrag des Klägers wird die Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Gießen vom 27. August 2008 - 8 E 1572/07 - zugelassen.
5 A 74/10
fortgeführt.
Gründe
Der Zulassungsantrag, den der Kläger fristgemäß gestellt und begründet hat, ist
zulässig und hat auch in der Sache Erfolg, denn der Kläger hat ernstliche Zweifel
an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils dargelegt, aufgrund derer gemäß §
124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO die Berufung gegen dieses Urteil zuzulassen ist.
Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist die Heranziehung des Klägers zu
Abwassergebühren für das Jahr 2006 durch den von den Gemeindewerken Sinn
erlassenen Abgabenbescheid vom 10. Januar 2007. Der Kläger macht geltend,
dass es für diese Heranziehung keine gültige Satzungsgrundlage gebe, da die in
der Entwässerungssatzung des Beklagten vom 3. November 2004 in der ab 1.
Januar 2006 geltenden Fassung der Zweiten Änderungssatzung vom 22.
Dezember 2005 festgelegten Gebührensätze in Höhe von 2,16 € je cbm
Frischwasserverbrauch für Schmutzwasser und von 0,65 € je cbm bebaute und
künstlich befestigte Grundstücksfläche für Niederschlagswasser gegen das
Kostenüberschreitungsverbot und den Gleichheitsgrundsatz verstießen. In diesem
Zusammenhang erhebt der Kläger eine Vielzahl von Einwänden, die sich gegen die
Kalkulation der Gebührensätze und deren Rechtmäßigkeit richten. Das
Verwaltungsgericht hat diese Einwände sämtlich als unberechtigt angesehen und
ist so zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klage abzuweisen sei.
Bei dem überwiegenden Teil der von dem Kläger erhobenen Einwände begegnet
deren Zurückweisung durch das Verwaltungsgericht keinen durchgreifenden
Bedenken.
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So ist es entgegen der Auffassung des Klägers nicht zu beanstanden, dass der
Beklagte bei der kalkulatorischen Verzinsung den gemäß § 10 Abs. 2 Satz 2 2.
Halbsatz des Hessischen Gesetzes über kommunale Abgaben (HessKAG) außer
Betracht zu lassenden Kapitalanteil aus Beiträgen und Zuschüssen Dritter
„auflöst“, indem er beim Abzug dieses Kapitals ab dem zweiten Jahr eine Kürzung
um jährlich 3 % vornimmt. Die Gesetzeslage in Hessen verbietet eine solche
Auflösung nicht. Mit der Kürzung wird dem Werteverlust Rechnung getragen, dem
im Zuge des kontinuierlichen Werteverlusts der Anlage auch das in die Anlage
investierte Kapital aus Zuschüssen und Beiträgen unterliegt. Die Auflösung des
Abzugskapitals hat zur Folge, dass der für die Verzinsung verbleibende
Restbuchwert weniger schnell zur Neige geht, so dass eine längerfristig erfolgende
kalkulatorische Verzinsung gewährleistet ist. Auf diese Weise wird im Vollzug der
„Restwertmethode“ ein Effekt erreicht, wie ihn - auf freilich elegantere Weise -
auch die „Durchschnittswertmethode“ anstrebt (zur Zulässigkeit beider Methoden
als Alternativen: Kommentierung in Driehaus, Hrsg., Kommunalabgabenrecht, § 6
Rn. 674).
Soweit der Kläger einen Gleichheitsverstoß darin sieht, dass Alt- und Neuanlieger
aufgrund der in der Entwässerungssatzung des Beklagten festgelegten
Gebührensätze für Schmutz- und Niederschlagswasser einer gleich hohen
Gebührenbelastung unterliegen, obwohl als Folge der Umstellung des
Finanzierungssystems auf Beitragsfinanzierung bei Investitionsmaßnahmen seit 1.
Januar 1986 von hinzukommenden Neuanliegern ein Schaffungsbeitrag erhoben
wird, den die Altanlieger für ihre schon vorher anschließbaren Grundstücke noch
nicht zu leisten hatten, kann auch dem nicht gefolgt werden. Ein Ausgleich für die
jetzt Beiträge u n d Gebühren umfassende Belastung der Neuanlieger im
Verhältnis zu den Altanliegern ergibt sich daraus, dass die seinerzeit
ausschließliche Gebührenbelastung der Altanlieger als solche entsprechend
stärker ausfallen musste. So hätte mangels Möglichkeit des Zugriffs auf ein zu
erzielendes Beitragsaufkommen ungekürztes Abschreibungskapital angesammelt
werden müssen, und es hätte zudem bei der Bemessung der kalkulatorischen
Verzinsung der Tatsache Rechnung getragen werden müssen, dass als Folge
reiner Gebührenfinanzierung kein Abzugskapital zur Verfügung stand. Sollte
seinerzeit von der Erhebung entsprechend höherer Gebühren zum Vorteil der
Altanlieger abgesehen worden sein, so könnte das nicht zur Folge haben, dass
nunmehr „im Nachhinein“ ein Belastungsausgleich in Form der Festlegung
niedrigerer Gebühren für Neuanlieger zu schaffen wäre. Übrigens kann sich -
worauf der Bevollmächtigte des Beklagten in seiner Antragserwiderung zu Recht
hinweist - der Kläger über eine mit zu niedrigerer früherer Gebührenerhebung
verbundene Besserstellung der Altanlieger nur freuen, denn er selbst ist
Altanlieger und hat damit als solcher von möglichen Vorteilen partizipiert, die
dieser Anliegergruppe durch eine zu niedrige Belastung seinerzeit zugute kamen.
Der Kläger hält des Weiteren der Kalkulation der streitigen Gebührensätze
entgegen, die Nichterhebung kostendeckender Gebühren im Einrichtungsgebiet
Nenderoth des Beklagten wirke sich zu Lasten der Benutzer im Einrichtungsgebiet
A-Stadt gebührenerhöhend für die Inanspruchnahme der dortigen Einrichtung aus.
Hier unterstellt der Kläger spekulativ, dass die dem Verband durch die
Unterdeckung im Einrichtungsgebiet Nenderoth entgehenden Zinserträge als
Kosten in die Gebührenkalkulation für die Einrichtung A-Stadt eingestellt und auf
diese Weise doch noch „hereingeholt“ werden. Eine Substantiierung dieser
Behauptung ist der Kläger auch im Zulassungsverfahren schuldig geblieben, so
dass auch in diesem Punkt kein Anlass besteht, ernstlich an der Richtigkeit der
erstinstanzlichen Entscheidung zu zweifeln.
Auf seine im erstinstanzlichen Verfahren geltend gemachten Einwände der
unterbliebenen Aussonderung einrichtungsfremder Kosten für die Ableitung von
„Fremdwasser“ aus Außengebieten sowie der Nichteinstellung von
Einmalzahlungen der Straßenbaulastträger für die Ableitung von
Straßenoberflächenwasser in die Gebührenrechnung ist der Kläger bei seinen
Darlegungen zum Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel nicht wieder
zurückgekommen, so dass - mangels entsprechender Darlegung - im
Zulassungsverfahren auf diese Einwände nicht weiter einzugehen ist.
Als Einwand, auf den ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des
Verwaltungsgerichts auch tatsächlich zu stützen sind, verbleibt die bereits im
erstinstanzlichen Verfahren erhobene Rüge des Klägers, das zwischen dem
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erstinstanzlichen Verfahren erhobene Rüge des Klägers, das zwischen dem
Beklagten und der Gemeinde Breitscheid vereinbarte Entgelt für die Mitbenutzung
der Verbandsanlagen zur Entwässerung des Ortsteils Medenbach der Gemeinde
Breitscheid sei nicht kostendeckend ausgestaltet, so dass es zu einem
Einnahmeausfall komme, mit dem der Beklagte unzulässigerweise die Benutzer
seiner Entwässerungseinrichtung im Einrichtungsgebiet A-Stadt belaste. Das
Verwaltungsgericht hat auch diesen Einwand nicht durchgreifen lassen und zur
Begründung im Anschluss an ein Urteil der 2. Kammer des Verwaltungsgerichts
vom 20. November 2002 (2 E 1424/02) darauf verwiesen, dass die vereinbare
„Abschlagssumme“ als Ertrag in die Gebührenkalkulation eingeflossen sei. Bei der
Mitbenutzung der Anlage eines Abwasserverbandes durch eine verbandsfremde
Umlandgemeinde müsse, um nicht die Gebührenschuldner mit betriebsbedingten
Kosten eines Dritten zu belasten, gewährleistet sein, dass die durch die
Mitbenutzung der Anlage verursachten Zusatzkosten ausgesondert würden. Eben
dieser Effekt werde hier erreicht, denn die Gemeinde Breitscheid habe neben
geleisteten Landeszuschüssen die Investitionskosten für den Anschluss des
Ortsteils Medenbach getragen, und sie zahle außerdem neben den Betriebskosten
jährlich unstreitig kalkulatorische Kosten in Höhe von 7.834,-- €. Der Kläger hält
dem in der Begründung seines Zulassungsantrags entgegen, dass mit dem
fraglichen Mitbenutzungsentgelt eine unzulässige Mehrbelastung der Benutzer im
Einrichtungsgebiet A-Stadt des Beklagten nicht vermieden werde. Nach dem
Anschluss des Ortsteils Medenbach an die Kläranlage Edingen seien mehrere - im
Jahre 2002 für fertig gestellt erklärte - aufwändige Baumaßnahmen wie die
Errichtung von Regenwasserentlastungsanlagen und der Bau einer dritten
Klärstufe durchgeführt worden. Der Kostenbeitrag, den die Gemeinde Breitscheid
erbringe, enthalte keine Beteiligung an den Abschreibungen des für den Ortsteil
Medenbach mitgenutzten Gruppensammlers und der Kläranlage mit zugehörigen
Regenentlastungsanlagen sowie an der kalkulatorischen Verzinsung des
Anlagekapitals. An kalkulatorischen Kosten sei in das Mitbenutzungsentgelt
lediglich die Abschreibung des Sammelkanals von Medenbach nach Uckersdorf
einbezogen worden. Diesem Vorbringen des Klägers ist der Bevollmächtigte des
Beklagten seinerzeit nicht substantiiert entgegengetreten. Es heißt in der
Antragserwiderung vom 12. Februar 2009 in einer mehr oder weniger vagen
Formulierung lediglich, dass „aufgrund der Kostenbeteiligung der Gemeinde
Breitscheid zu Investitionen und zu laufenden Kosten eine Minderung des
gebührenfähigen Aufwands eingetreten“ sei, die allen Gebührenzahlern des
Verbandes „zugute“ komme, und dass ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz
„bereits aufgrund der unterschiedlichen Sachverhalte betreffend das
Einrichtungsgebiet des Beklagten und den Ortsteil Medenbach der Gemeinde
Breitscheid“ ausscheide. Das ist zu wenig, um die durch die Angaben des Klägers
ausgelösten Zweifel an der korrekten Erfassung des für die Mitbenutzung der
Gemeinde Breitscheid auszusondernden Kostenanteils zu entkräften. In einem
Beschluss vom 27. April 1999 (5 N 3909/98 - NVwZ-RR 2000, 243 = GemHH 2001,
235) hat der Senat für den Fall einer Müllverbrennungsanlage entschieden, dass
die jeweilige Nutzergruppe nur mit den Kosten belastet werden darf, die ihr
zuzurechnen sind, soweit die Entsorgungskapazität von vornherein auch für
andere Nutzergruppen geplant und aufgebaut worden ist. Kosten, die durch den
„Fremdleistungsbezug“ anderer Gebietskörperschaften für die Entsorgung in
ihrem eigenen Einrichtungsgebiet bedingt sind, müssen vorab ausgesondert
werden. Für den Bereich der Erhebung von Abwassergebühren kann in diesem
Punkt nichts anderes gelten. In die Kostenaussonderung sind insbesondere auch
kalkulatorische Kosten der mitbenutzten Anlagenteile einzubeziehen. Dass dies im
vorliegenden Fall in Bezug auf die Mitbenutzung der Anlagen des Beklagten für die
Entwässerung des Ortsteils Medenbach der Gemeinde Breitscheid in
ausreichendem Maße geschehen wäre, ist in der Tat fraglich. Dem ausgehandelten
„Fremdleistungsentgelt“ auf das der Beklagte verweist, liegt eine präzise
Berechnung der auszusondernden Kostenmasse ganz offensichtlich nicht
zugrunde. Es ist nicht auszuschließen, dass bei vollständiger Erfassung
insbesondere auch der kalkulatorischen Kosten die noch zulässige Belastung der
Benutzer im Einrichtungsgebiet A-Stadt unter die Höhe der in der
Entwässerungssatzung des Beklagten festgelegten Gebührensätze für Schmutz-
und Niederschlagswasser sinkt. An der Richtigkeit der Entscheidung des
Verwaltungsgerichts bestehen damit jedenfalls in diesem Punkt ernstliche Zweifel,
die eine Zulassung der Berufung, wie sie der Kläger beantragt, rechtfertigen.
Auch wenn sich unter diesen Umständen eine Befassung mit den anderen vom
Kläger geltend gemachten Zulassungsgründen erübrigt, sei zur Klarstellung doch
angemerkt, dass von deren Vorliegen nicht ausgegangen werden kann. Ein
Verfahrensmangel wegen Nichtgewährung rechtlichen Gehörs, wie ihn der Kläger
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Verfahrensmangel wegen Nichtgewährung rechtlichen Gehörs, wie ihn der Kläger
aus angeblichen Mängeln und Unvollständigkeiten im Urteilstatbestand und aus
der Nichtbehandlung einzelner Punkte seiner Begründung in den
Entscheidungsgründen herzuleiten versucht, ist nicht zu erkennen, und auch für
das Bestehen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten geben die
hierauf bezogenen Darlegungen des Klägers nichts her. Soweit sich der Kläger
darüber hinaus auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache beruft, fehlt es
an jeglicher Darlegung, die auf eine grundsätzliche Bedeutung schließen lassen
könnte.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens folgt der
Kostenentscheidung im Berufungsverfahren.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Es wird darauf hingewiesen, dass gemäß § 124a Abs. 6 VwGO die nunmehr
zugelassene Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses
zu begründen ist. Die Begründung ist beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof in
34117 Kassel, Brüder-Grimm-Platz 1, einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf
einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden.
Die Begründung muss einen bestimmten Antrag und im Einzelnen anzuführende
Berufungsgründe enthalten. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die
Berufung unzulässig.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.