Urteil des HessVGH vom 27.06.1995

VGH Kassel: vorschlag, behörde, schule, ausnahme, amtsblatt, quelle, zugang, verbindlichkeit, mehrheit, beteiligter

1
2
3
4
Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
1. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 TG 610/95
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 33 Abs 2 GG, Art 134
Verf HE, § 8 Abs 1 BG HE, §
88 Abs 3 SchulG HE, § 88
Abs 4 SchulG HE
(Auswahl eines Schulleiters durch die
Schulaufsichtsbehörde - Abweichen vom begründeten
Vorschlag des Förderungsausschusses - Gelegenheit zur
erneuten Vorlage eines Vorschlags)
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers ist begründet. Der angefochtene Beschluß des
Verwaltungsgerichts ist mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung aufzuheben und
die vom Antragsteller beantragte einstweilige Anordnung zu erlassen.
Der Antragsteller ist durch die Art und Weise des Auswahlverfahrens und die
hierauf beruhende Auswahlentscheidung zugunsten des Beigeladenen in seinem
von Art. 33 Abs. 2 GG und Art. 134 HV gewährleisteten grundrechtsgleichen Recht
auf (chancen-)gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Maßgabe von
Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung (vgl. BVerfG (3. Kammer), Beschluß
vom 19. September 1989, DVBl. 1989, 1247) verletzt worden (zum
Bewerbungsverfahrensanspruch vgl. Senatsbeschlüsse vom 18. Februar 1985 - 1
TG 252/85 -, ESVGH 35, 315 Nr. 172, vom 12. Oktober 1987 - 1 TG 2724/87 - und
vom 26. Oktober 1993 - 1 TG 1585/93 -, DVBl. 1994, 593 = ZBR 1994, 347 jeweils
m.w.N.). Der Antragsgegner hätte vor seiner Entscheidung zugunsten des
Beigeladenen gemäß § 88 Abs. 4 Satz 2 Hessisches Schulgesetz den
anderslautenden Vorschlag des Findungsausschusses, der zur Vorbereitung der
Auswahl des Leiters der -Schule in gebildet worden ist, zurückweisen und dem
Findungsausschuß Gelegenheit geben müssen, innerhalb von 3 Wochen gemäß §
88 Abs. 4 Satz 3 Hessisches Schulgesetz einen neuen Vorschlag vorzulegen. Zur
Begründung verweist der Senat diesbezüglich zunächst auf die folgenden
zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen
Beschluß:
"§ 88 Abs. 2 des am 1.8.1993 in Kraft getretenen Hessischen Schulgesetzes vom
17.6.1992 - SchulG - (GVBl. I S. 233) bestimmt, daß zur Vorbereitung der Auswahl
eines Schulleiters ein Findungsausschuß gebildet wird. Dieser Ausschuß hat auf
der Grundlage der Bewerbungsunterlagen und der schulaufsichtlichen Überprüfung
der für die Auswahl zuständigen Schulaufsichtsbehörde eine Rangfolge der
Bewerber vorzuschlagen (§ 88 Abs. 3 SchulG). Die für die Auswahl zuständige
Schulaufsichtsbehörde trifft die Entscheidung unter den vorgeschlagenen
Bewerbern; wenn Bedenken gegen die Eignung der vorgeschlagenen Bewerber
bestehen, kann die Behörde den Vorschlag des Findungsausschusses ganz oder
teilweise zurückweisen. In diesem Fall hat der Findungsausschuß innerhalb von 3
Wochen einen neuen Vorschlag vorzulegen (§ 88 Abs. 4 SchulG).
Wie oben dargelegt, hat der in diesem Auswahlverfahren einberufene
Findungsausschuß in seiner Sitzung am 21.2.1994 eine Rangfolge vorgeschlagen,
bei welcher der Antragsteller den ersten Platz und der Beigeladene den zweiten
Platz einnahm. Die für die Auswahlentscheidung zuständige Behörde (§§ 91 Abs. 1,
185 Abs. 1 SchulG i.V.m. § 1 der Anordnung über die Zuständigkeit für die
Bestellung - Auswahl und Beauftragung - von Bewerberinnen und Bewerbern zur
Besetzung von Funktionsstellen in Schulen im Geschäftsbereich des Hessischen
5
6
7
8
Besetzung von Funktionsstellen in Schulen im Geschäftsbereich des Hessischen
Kultusministeriums vom 24.8.1993 - Amtsblatt des Hessischen Kultusministeriums
9/1993, S. 742 -) ist aber bei ihrer Auswahlentscheidung von dieser Rangfolge
abgewichen. Hierzu war sie - was keiner weiteren Begründung bedarf - insofern
berechtigt, als der vom Findungsausschuß vorgeschlagenen Rangfolge keine
Verbindlichkeit im Sinne einer ausnahmslos zu berücksichtigenden Vorgabe
zukommen kann. Fehlerhaft war es allerdings, dieses Abweichen von der
vorgeschlagenen Rangfolge unmittelbar in eine Auswahlentscheidung zugunsten
des Beigeladenen umzusetzen, denn gemäß § 88 Abs. 4 Satz 3 SchulG wäre es
geboten gewesen, zunächst den Findungsausschuß erneut mit der Angelegenheit
zu befassen. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts soll durch die Beteiligung
des Findungsausschusses bei der Bestellung eines Schulleiters ein Teilhaberecht
sowohl der Lehrer als auch der Eltern der betroffenen Schule begründet werden.
Dieses erschöpft sich nicht in der einmaligen Aufstellung einer Rangfolge, sondern
verpflichtet die Behörde darüber hinaus, im Falle der völligen oder teilweisen
Zurückweisung des Vorschlages des Findungsausschusses diesen erneut mit der
Angelegenheit zu befassen, um auf diese Weise sicherzustellen, daß die
maßgeblichen Erwägungen der für die Personalentscheidung zuständigen Behörde
dem Findungsausschuß dann, wenn die Behörde seinem Vorschlag nicht folgen
will, bekanntgemacht werden und der Ausschuß somit in die Lage versetzt wird,
seinen Entscheidungsvorschlag unter Berücksichtigung dieser Erwägungen zu
überprüfen. Wenn in der maßgeblichen Vorschrift des § 88 Abs. 4 Satz 2 SchulG
die Rede davon ist, der Vorschlag des Findungsausschusses könne "ganz oder
teilweise" zurückgewiesen werden, so kann dies nach Ansicht des Gerichts nur so
interpretiert werden, daß die Behörde entweder keinen der vorgeschlagenen
Bewerber auswählen möchte und sich daher für die Durchführung eines neuen
Auswahlverfahrens entscheidet (="ganz zurückweisen") oder aber von der
vorgeschlagenen Rangfolge abweichen und einen nicht an erster Stelle des
Vorschlages plazierten Bewerber auswählen möchte (="teilweise zurückweisen").
Für jede andere Auslegung dieser Vorschrift ist angesichts des Umstandes, daß
letztlich immer nur ein Bewerber für die Bestellung als Schulleiter in Frage
kommen kann, kein Raum.
Für das hier zu beurteilende Verfahren bedeutet dies, daß das Hessische
Kultusministerium gehalten war, wegen der von ihm beabsichtigten Abweichung
von der vorgeschlagenen Rangfolge des Findungsausschusses diesen erneut mit
der Angelegenheit zu befassen (vgl. hierzu auch Nr. 7.6 des Erlasses des
Hessischen Kultusministeriums vom 2.9.1994 - Amtsblatt 10/94, S. 946 -,
betreffend Ausschreibungs- und Auswahlverfahren zur Besetzung von Stellen).
Das Vorbringen des Antragsgegners gebietet keine andere rechtliche Beurteilung.
Wenn die Behörde in diesem Zusammenhang ausführt, es läge keine
Zurückweisung des Vorschlages des Findungsausschusses vor, sondern sie habe
nur von der in § 88 Abs. 4 Satz 1 SchulG vorgesehenen Auswahlmöglichkeit
Gebrauch gemacht, so wird diese Auffassung den oben beschriebenen
gesetzlichen Vorgaben nicht gerecht, denn die Behörde hat ihre Entscheidung
gerade auf Eignungsbedenken hinsichtlich des Antragstellers gestützt; dann ist sie
aber - wie oben dargestellt - zunächst verpflichtet, den Findungsausschuß erneut
mit der Angelegenheit zu befassen. Wollte man diesbezüglich der Auffassung der
Behörde folgen, würde dies bedeuten, daß der Findungsausschuß zwar eine
Rangfolge vorschlagen kann, daß die Behörde aber ohne weitere Beteiligung des
Findungsausschusses hiervon abweichen kann; der Regelungsgehalt der Sätze 3
und 4 des Absatzes 4 des § 88 SchulG liefe dann ins Leere."
Ergänzend weist der Senat darauf hin, daß es nach der gesetzlichen Regelung in §
88 Abs. 4 SchulG im Unterschied zu den Vorschriften bei der Berufung von
Universitäts- und Fachhochschulprofessoren (vgl. § 40 Abs. 5 HUG und § 30 Abs. 5
FHG) dem Dienstherrn gerade nicht möglich ist, ohne nochmalige Beteiligung des
Findungsausschusses von dessen Vorschlag abzuweichen. Anders als im
Universitätsgesetz und im Fachhochschulgesetz enthält das Hessische
Schulgesetz keine derartige Regelung, daß der Dienstherr an die in dem Vorschlag
des Findungsausschusses angegebene Reihenfolge, durch die eine
unterschiedliche Einschätzung der Qualifikation der Bewerber zum Ausdruck
gebracht wird, nicht gebunden ist. Offenbar sollte durch die nochmalige Beteiligung
des Findungsausschusses die Akzeptanz einer vom Vorschlag des
Findungsausschusses abweichenden Auswahlentscheidung durch dessen
nochmalige Beteiligung erhöht werden.
Ob sich die für die Auswahl zuständige Schulaufsichtsbehörde über einen
8
9
10
11
12
13
14
15
Ob sich die für die Auswahl zuständige Schulaufsichtsbehörde über einen
Vorschlag des Findungsausschusses ohne nochmalige Beteiligung hinwegsetzen
kann, wenn der Vorschlag entgegen der Vorschrift in § 88 Abs. 3 Satz 1 SchulG
nicht begründet ist, kann offenbleiben, denn in dem Protokoll der Sitzung des
Findungsausschusses vom 21. Februar 1994 werden in noch hinreichender Weise
die Erwägungen dargelegt, die für die Mehrheit der Mitglieder des Ausschusses bei
ihrer Entscheidung maßgeblich waren.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts kann allerdings auch im
vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen werden, daß der Findungsausschuß bei
einer nochmaligen Befassung mit der Angelegenheit weitere, bislang nicht
angesprochene oder bekannt gewordene Tatsachen bzw. Erwägungen hätte
anführen können, die bei der gebotenen Beachtung des Prinzips der
Bestenauslese eine dem Antragsteller günstige Entscheidung hätten ermöglichen
können. Es liegt nicht nur ein reiner Verfahrensfehler vor. Die nochmalige
Beteiligung des Findungsausschusses kann inhaltliche Auswirkungen auf die
Auswahlentscheidung des Antragsgegners haben. Ihr Unterbleiben würde - auch
im Fall des Antragstellers - dem Anliegen des Gesetzgebers, dem
Findungsausschuß auch bei Zurückweisung seines ersten Vorschlags eine weitere
inhaltliche Einflußmöglichkeit zu geben, zuwiderlaufen.
Hierbei ist insbesondere auch zu beachten, daß das persönlichkeitsbedingte
Eignungsurteil des Dienstherrn über die Bewerber der verwaltungsgerichtlichen
Überprüfung nur in einem beschränkten Umfang unterliegt. Bei derartigen
Werturteilen besteht für den Dienstherrn eine Beurteilungsermächtigung, so daß
das Gericht die "Richtigkeit" des Eignungsurteils nicht in einzelnen überprüfen oder
dieses gar durch ein eigenes ersetzen darf (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Juni 1980 -
2 C 8.78 -, BVerwGE 60, 245 f.; Hess. VGH, Urteil vom 25. Oktober 1978 - I OE
93/75 -, ESVGH 29, 40).
Vor seiner neuen Auswahlentscheidung hat das Kultusministerium nunmehr den
Vorschlag des Findungsausschusses zurückzuweisen, wobei es seine Bedenken
gegen das in der Reihenfolge zum Ausdruck kommende, unterschiedliche
Eignungsurteil des Findungsausschusses darlegen muß. Dies kann auch durch
Bezugnahme auf den einschlägigen Besetzungsbericht des Regierungspräsidiums
Darmstadt geschehen.
Obwohl es darauf nicht mehr ankommt, weist der Senat noch darauf hin, daß
inhaltlich die bisherigen Auswahlerwägungen des Antragstellers zugunsten des
Beigeladenen bei Beachtung des dem Dienstherrn zustehenden
Beurteilungsspielraums gerichtlich nicht beanstandet werden können. Zur
Begründung nimmt der Senat gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug auf die
zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Beschluß (S. 8, dritter Absatz
bis S. 14, zweiter Absatz des Beschlußabdrucks). Das Beschwerdevorbringen des
Antragstellers rechtfertigt insofern keine andere Beurteilung.
Der Antragsgegner hat als unterliegender Beteiligter die Kosten des Verfahrens in
beiden Rechtszügen mit Ausnahme außergerichtlicher Kosten des Beigeladenen
zu tragen (§§ 154 Abs. 2 und 3, 162 Abs. 3 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 14 analog i.V.m. §§ 13 Abs. 1 Satz
2, 20 Abs. 3 GKG. Seine Höhe entspricht dem Betrag, von dem das
Verwaltungsgericht bereits für das erstinstanzliche Verfahren zutreffend
ausgegangen ist.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.