Urteil des HessVGH vom 13.01.1994
VGH Kassel: rechtliches gehör, amnesty international, ausreise, verfahrensmangel, kausalität, minderheit, kausalzusammenhang, staat, entstehungsgeschichte, tatsachenfeststellung
1
2
3
4
Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
12. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 UZ 2930/93
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 103 Abs 1 GG, § 108
VwGO, § 132 Abs 2 Nr 3
VwGO, § 138 Nr 3 VwGO, §
144 Abs 4 VwGO
(Gewährung rechtlichen Gehörs im Asylrechtsstreit:
Einführung von Erkenntnisquellen in den Prozeß -
Bezugnahme auf andere Entscheidungen;
Berufungszulassung wegen eines schweren
Verfahrensmangels - Ursächlichkeit)
Gründe
Der auf den asylrechtlichen Verfahrensteil beschränkte Antrag ist zulässig,
insbesondere ist er fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 78 Abs. 4
Sätze 1 bis 4 AsylVfG).
Der Antrag ist auch begründet; denn mit ihm ist zu Recht geltend gemacht, daß
die Berufung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG zuzulassen ist.
Mit dem Zulassungsantrag ist zu Recht gerügt, das Verwaltungsgericht habe den
Klägern das rechtliche Gehör versagt (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3
VwGO). Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG; vgl. dazu Fritz,
ZAR 1984, 189 ff.) verschafft den Verfahrensbeteiligten ein Recht darauf, sich zu
allen entscheidungserheblichen Tatsachen zweckentsprechend und erschöpfend
zu erklären und Anträge zu stellen (§§ 86 Abs. 2 und 3, 104 Abs. 1, 108 Abs. 2
VwGO, BVerfG, 15.01.1980 - 2 BvR 920/79 -, BVerfGE 53, 109 (113); Kopp, VwGO,
9. Aufl., 1992, Rdnr. 19 § 108 m.w.N.), und verpflichtet das Gericht darüber hinaus,
das Vorbringen und die Anträge der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und auch
in Erwägung zu ziehen (BVerfG, 09.02.1982 - 1 BvR 1379/80 -, BVerfGE 60, 1;
Hess. VGH, 10.03.1989 - 12 TE 1580/88 -, InfAuslR 1989, 256). Die Gerichte sind
nicht dazu verpflichtet, sich mit jedem Parteivorbringen in der Begründung
ausdrücklich zu befassen; alle wesentlichen, der Rechtsverfolgung und
Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen müssen jedoch in den
Entscheidungsgründen verarbeitet werden, damit festgestellt werden kann, daß
das Gericht das Urrecht des Menschen auf rechtliches Gehör beachtet und nicht
etwa "kurzen Prozeß" mit den Beteiligten gemacht hat (vgl. dazu: § 108 Abs. 1
Satz 2 VwGO; BVerfG, 15.04.1980 - 1 BvR 1365/78 -, BVerfGE 54, 43; BVerwG,
15.10.1985 - 9 C 3.85 -, EZAR 630 Nr. 22 = ZfSH/SGB 1986, 505; Hess. VGH,
25.11.1986 - 10 TE 2696/86 -).
Das Verwaltungsgericht hat den Anspruch der Kläger auf Gewährung rechtlichen
Gehörs dadurch verletzt, daß es seine Feststellungen zu einer Gruppenverfolgung
von Kurden in der Türkei und zu einer internen Fluchtalternative auf
Entscheidungen des beschließenden Senats gestützt und diese nicht
ordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt hat. Das Verwaltungsgericht hat den
Beteiligten mit der Terminsladung vier Listen mit insgesamt 263 schriftlichen
Unterlagen übersandt und diese ebenso wie 21 weitere ausdrücklich zum
Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 18. Oktober 1993 gemacht; dem
Terminsprotokoll zufolge erhielt die Bevollmächtigte der Kläger Gelegenheit zur
Einsichtnahme. Auf die insgesamt 284 Dokumente ist im Tatbestand des Urteils
Bezug genommen. In den Entscheidungsgründen heißt es zunächst, das Gericht
könne nicht feststellen, daß die kurdische Minderheit in der Türkei bis zur Ausreise
der Kläger allgemein dem türkischen Staat zuzurechnenden politischen
5
6
der Kläger allgemein dem türkischen Staat zuzurechnenden politischen
Repressalien ausgesetzt war; dazu wird lediglich auf die ständige Rechtsprechung
des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs und dessen Urteile vom 30. März 1992 -
12 UE 1631/86 -, vom 6. Juli 1992 - 12 UE 702/87 - und vom 23. November 1992 -
12 UE 2590/89 - verwiesen. Im Rahmen der Rückkehrprognose ist ausgeführt, eine
Gruppenverfolgung der türkischen Minderheit in der Türkei finde nach wie vor nicht
statt und dies gelte auch angesichts der in den letzten Monaten verschärften
Militäraktionen gegen die PKK im Südosten der Türkei und in den angrenzenden
Gebieten des Iraks sowie der damit teilweise verbundenen Repressalien gegenüber
der Zivilbevölkerung. Insoweit schließt sich das Verwaltungsgericht "unter
Zugrundelegung" der den Beteiligten übersandten Erkenntnisquellen zu II. 102. ff.
der Rechtsprechung des beschließenden Senats an und zitiert dazu außer dem
Urteil vom 23. November 1992 den Beschluß vom 17. Juni 1993 - 12 UZ 62/93 -.
Damit hat das Verwaltungsgericht seine Pflicht mißachtet, die in dem Urteil
verwerteten Erkenntnisquellen so in das Verfahren einzuführen, daß die Beteiligten
ausreichend Gelegenheit hatten, zu diesen Dokumenten und den dort
wiedergegebenen Tatsachenschilderungen Stellung zu nehmen und auch ihre
sonstige Prozeßführung darauf einzurichten.
Die Verwaltungsgerichte sind aufgrund Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 1 Satz 2
und Abs. 2 VwGO verpflichtet, das Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse
zu stützen, zu denen die Beteiligten sich zuvor äußern konnten, und die Gründe in
dem Urteil anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
Sie dürfen deshalb nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse verwerten, die von
einem Verfahrensbeteiligten oder dem Gericht im einzelnen bezeichnet zum
Gegenstand des Verfahrens gemacht wurden und zu denen die Beteiligten sich
äußern konnten (vgl. dazu grundsätzlich und wegen Einzelheiten: BVerfG,
18.05.1985 - 2 BvR 414/84 -, BVerfGE 70, 180; BVerwG, 11.02.1982 - 9 B 429.81 -,
EZAR 610 Nr. 17 = DÖV 1983, 207; BVerwG, 25.02.1982 - 9 B 3184.80 -, EZAR
610 Nr. 18 = NVwZ 1982, 683; BVerwG, 13.07.1982 - 9 C 53.82 -, EZAR 610 Nr. 19
= NVwZ 1983, 99 = DVBl. 1983, 34 = InfAuslR 1982, 249; BVerwG, 23.11.1982 - 9
C 844.80 -, EZAR 610 Nr. 20 = DÖV 1983, 206 = InfAuslR 1983, 60; BVerwG,
08.05.1984 - 9 C 208.83 -, EZAR 610 Nr. 24 = NVwZ 1985, 411; BVerwG,
16.10.1984 - 9 C 67.83 -, EZAR 610 Nr. 25 = NVwZ 1985, 337 = InfAuslR 1985, 81;
OVG Hamburg, 15.07.1993 - Bs VII 93/93 -; Hess. VGH, st. Rspr., z. B. 05.06.1984 -
10 TE 1309/84 -; Hess. VGH, 16.12.1987 - 12 TP 3020/87 -, EZAR 610 Nr. 27; Hess.
VGH, 20.09.1993 - 12 UZ 97/93 -; Fritz, ZAR 1984, 189; GK-AsylVfG a. F., § 32
Anhang I Rdnr. 259 - 286; Höllein, ZAR 1989, 109; Kanein/Renner, AuslR, 6. Aufl.,
1993, § 78 AsylVfG Rdnr. 29 - 32; Renner, ZAR 1985, 70). Die Verpflichtung zur
sach- und zweckgerichteten Gehörsgewährung kann nicht mit der Erwägung
bestritten werden, das Urteil beruhe auf einer wertenden Erkenntnis und auf einer
Überzeugungsbildung, die keines Nachweises und keiner weiteren Darlegung
bedürfe; denn nur bei Offenlegung der Erkenntnisquellen über tatsächliche
Vorgänge in dem betreffenden Herkunftsstaat oder (für Nachfluchttatbestände)
außerhalb desselben wird den Beteiligten eine effektive Prozeßführung ermöglicht
und die Gelegenheit eröffnet, durch Vortrag und Anträge auf die
Zusammensetzung des Quellenmaterials Einfluß zu nehmen (vgl. BVerfG -
Kammer -, 18.02.1993 - 2 BvR 1869/92 -, InfAuslR 1993, 146). Unzureichend ist
daher, soweit es die Feststellung von Tatsachen angeht, die bloße Bezugnahme
auf andere Gerichtsentscheidungen, auch wenn das Verwaltungsgericht deren
wesentlichen Inhalt wiedergibt und sich deren Entscheidungsfindung anschließt
(vgl. BVerwG, 08.02.1983 - 9 C 847.82 -, InfAuslR 1983, 184 = Buchholz 310 § 108
VwGO Nr. 132; BVerwG, 22.02.1983 - 9 C 860.82 -, NVwZ 1983, 738 = Buchholz
310 § 108 VwGO Nr. 133; BVerwG, 18.10.1983 - 9 C 1036.82 -, EZAR 630 Nr. 10 =
InfAuslR 1984, 20; a.A. betr. Rechtsausführungen zu Recht BVerwG, 10.08.1978 - 2
C 36.77 -, Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 105). Ist die Übernahme von
Erkenntnissen anderer Gerichte oder anderer Entscheidungen desselben Gerichts
beabsichtigt, ist es erforderlich, die Beteiligten hierauf hinzuweisen und ihnen
Gelegenheit zu geben, zum Inhalt der maßgeblichen Erkenntnismittel, deren
Verwertung bei einer Entscheidung in Betracht gezogen wird, Stellung zu nehmen.
Falls das Gericht im Urteil wegen des tatsächlichen Inhalts der maßgeblichen
Erkenntnismittel nur auf eine andere Gerichtsentscheidung verweist, genügt die
Übermittlung einer Liste mit über 300 Erkenntnisquellen allein selbst dann nicht,
wenn die in Bezug genommene Entscheidung ganz oder teilweise hierauf gestützt
ist (BVerfG - Kammer -, 06.07.1993, - 2 BvR 514/93 -, AuAS 1993, 249).
Um den Beteiligten Gelegenheit zu einer sachgerechten Stellungnahme zu geben,
erscheint es zweckmäßig, ihnen ausreichende Zeit vor einer mündlichen
Verhandlung eine Übersicht über die in Betracht kommenden Erkenntnismittel
7
8
9
Verhandlung eine Übersicht über die in Betracht kommenden Erkenntnismittel
zuzusenden. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, daß im vorliegenden Fall das
Verwaltungsgericht den Beteiligten mit der Terminsladung 263 Erkenntnisquellen
mitgeteilt hat. Trotz der großen Anzahl (insoweit mißverständlich Satz 2 der in
AuAS 1993, 249 gebildeten Leitsätze zu BVerfG - Kammer -, 06.07.1993) war den
Beteiligten eine sachgemäße Befassung mit diesen Erkenntnisgrundlagen möglich,
weil diese nach Themen geordnet und im übrigen nach Datum, Autor und Adressat
hinreichend gekennzeichnet waren. Denn die Kläger und ihre Bevollmächtigten
waren daraufhin imstande, erforderlichenfalls in die mitgeteilten Gutachten,
Auskünfte und sonstigen Unterlagen vor dem Verhandlungstermin Einsicht zu
nehmen und sodann die ihnen notwendig erscheinenden Stellungnahmen
abzugeben und Anträge zu stellen (zum Beweismittelcharakter derartiger
Schriftstücke vgl. BVerwG, 15.10.1985 -9 C 3.85 -, EZAR 630 Nr. 22 m.w.N.; Hess.
VGH, 14.02.1985 - X OE 589/82 -; zur Frage der Protokollierung in der mündlichen
Verhandlung vgl. BVerwG, 16.10.1984, a.a.O.; Hess. VGH, 19.02.1985 - 10 TE
311/83 -; Hess. VGH, 21.12.1992 - 12 TE 1576/92 -). Unzureichend war diese
Verfahrensweise jedoch deshalb, weil das Verwaltungsgericht es versäumt hat, die
Beteiligten auf die später in Bezug genommenen Entscheidungen des
beschließenden Senats und die diesen zugrundeliegenden Erkenntnismittel
hinzuweisen; denn dies war, da das Verwaltungsgericht die Entscheidung über eine
Gruppenverfolgung im Zeitpunkt der Ausreise der Kläger im Urteil allein und die
Entscheidung über die Fluchtalternative auch auf diese Gerichtsentscheidungen
gestützt hat, erforderlich, um den Beteiligten konkret vor Augen zu führen, welche
tatsächlichen Umstände und Verhältnisse das Gericht für entscheidungserheblich
hielt.
In diesem Zusammenhang ist allerdings zu betonen, daß die direkte Einführung
der Erkenntnismittel dem Umweg über die Benennung von
Gerichtsentscheidungen im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes vorzuziehen
ist. Denn die Entscheidungsgründe eines Urteils enthalten vor allem rechtliche und
tatsächliche Bewertungen und benennen im allgemeinen im Zusammenhang mit
den Feststellungen und Bewertungen des Gerichts nur einen Teil der insoweit
verwerteten Erkenntnisquellen ausdrücklich, während andere nur pauschal in die
Würdigung einbezogen werden oder aber als letztlich rechtlich oder tatsächlich
unerheblich keinen Eingang in die konkrete Überzeugungsbildung finden und
deshalb im Urteil meist überhaupt nicht erwähnt werden. Deshalb genügt im
allgemeinen zur Vorbereitung einer Verhandlung ein bloßer Hinweis auf andere
Gerichtsentscheidungen nicht. Anders kann es sich etwa dann verhalten, wenn
dort eine Liste der schriftlichen Erkenntnisgrundlagen aufgenommen ist, wie es
teilweise der Hessische Verwaltungsgerichtshof seit langem praktiziert, und den
Beteiligten ausdrücklich mitgeteilt wird, es sei beabsichtigt, den Inhalt der
aufgelisteten Unterlagen zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Im übrigen
kann die Übersendung von Erkenntnismittellisten eine sachgemäße
Entscheidungsfindung durch das Gericht einerseits und wirksamen Rechtsschutz
für die Beteiligten andererseits nur dann sichern, wenn die Auswahl der
herangezogenen schriftlichen Unterlagen routinemäßig überprüft und aktualisiert
wird. Denn nur eine beständige Kontrolle der in Betracht kommenden
Informationen kann das Gericht in die Lage versetzen, anhand des Inhalts einer
überschaubaren Anzahl von Erkenntnismitteln zu verhandeln, zu beraten und zu
entscheiden. Dementsprechend wird eine sinnvolle Prozeßführung der Beteiligten
vielfach erst dadurch ermöglicht, daß das Gericht das meist umfangreiche
Informationsmaterial vorab sichtet und die voraussichtlich
entscheidungserheblichen Quellen auswählt; damit erhalten die Beteiligten eine
faire Chance, die Auswahl zu beanstanden und ihrerseits Ergänzungen
vorzunehmen oder zu beantragen.
Das Verwaltungsgericht hat den Klägern nach alledem rechtliches Gehör zunächst
dadurch versagt, daß es zum Beleg für die Verneinung einer Gruppenverfolgung
der türkischen Minderheit in der Türkei im Zeitpunkt der Ausreise der Kläger
lediglich auf die drei oben genannten Entscheidungen des beschließenden Senats
verwiesen hat.
Es kann offen bleiben, ob ein weiterer Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG und § 108
Abs. 2 Satz 1 VwGO darin zu sehen ist, daß für den Rückkehrzeitpunkt auf zwei
Entscheidungen des beschließenden Senats und zusätzlich auf die
Erkenntnismittel der "Liste II. 102. ff." verwiesen ist. Rechtliches Gehör wäre
verletzt, wenn die Ausführungen in diesem Zusammenhang so zu verstehen
wären, daß das Gericht wegen der im Rückkehrzeitpunkt herrschenden
Verhältnisse zumindest auch auf die genannten Gerichtsentscheidungen
10
11
Verhältnisse zumindest auch auf die genannten Gerichtsentscheidungen
verweisen wollte. Hierfür könnten folgende Überlegungen sprechen: Da die Kläger
die Türkei im Dezember 1988 verlassen haben, beziehen sich die Erkenntnismittel
zu II. 102. ff. (datiert vom 10. Dezember 1991 bis 23. Oktober 1992) ebenso auf
den Zeitraum zwischen der Ausreise der Kläger aus der Türkei und der mündlichen
Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht wie ein Teil der in den Entscheidungen
des beschließenden Senats vom 23. November 1992 und vom 17. Juni 1993
verwerteten schriftlichen Unterlagen; aus der Zeit nach der Ausreise der Kläger
stammen auch die Erkenntnisquellen zu II. 54. bis 101., und das
Verwaltungsgericht hat zusätzlich eine Auskunft vom 12. September 1989 und 20
Erkenntnisgrundlagen aus der Zeit von Ende Oktober 1992 bis Mitte Juli 1993 in
das Verfahren eingeführt, ohne daß im Urteil kenntlich gemacht oder ersichtlich
ist, daß diese für die Frage einer Gruppenverfolgung von Kurden nach Dezember
1988 ohne Bedeutung sind. Andererseits kann die Passage "unter
Zugrundelegung der ...Erkenntnisquellen..." darauf hindeuten, daß das
Verwaltungsgericht lediglich wegen des Ergebnisses seiner rechtlichen Bewertung
auf die Rechtsprechung des beschließenden Senats verweisen, die
Tatsachenfeststellung aber allein auf die Unterlagen zu II. 102. ff. stützen wollte
und nur versehentlich die Benennung weiterer Erkenntnismittel als Grundlagen
seiner Tatsachenfeststellungen unterlassen hat. Letzteres kommt vor allem für die
aus der Zeit ab 30. Oktober 1992 stammenden Gutachten und Auskünfte in
Betracht, die zusätzlich in die mündliche Verhandlung eingeführt worden waren. Ob
die Entscheidung über eine Gruppenverfolgung im Zeitpunkt der Rückkehr danach
zumindest auch auf die nicht in das Verfahren eingeführten Entscheidungen des
Senats vom 23. November 1992 und vom 17. Juni 1993 gestützt ist, braucht indes
nicht endgültig geklärt zu werden. Die Ablehnung der Asylanerkennung leidet
nämlich wegen der Gehörsversagung bei Verneinung der Vorverfolgung an einem
Fehler, der sich in jedem Fall auf die Asylablehnung auswirkt; denn bei -
unterstellter - Vorverfolgung der Kläger hätte das Verwaltungsgericht die Asylklage
nur bei festgestellter hinreichender Verfolgungssicherheit abweisen dürfen.
Rechtliches Gehör ist den Klägern ferner im Zusammenhang mit der Feststellung
versagt worden, für Kurden bestehe eine inländische Fluchtalternative in der
Westtürkei. Das Verwaltungsgericht hat hierzu auf drei Entscheidungen des
beschließenden Senats (vom 23. November 1992 - 12 UE 2590/89 -, vom 24. Mai
1993 - 12 UZ 2519/92 - und vom 22. September 1993 - 12 UZ 907/93 - )
hingewiesen, wobei diejenige vom 24. Mai 1993 auszugsweise wörtlich
wiedergegeben ist, und es ist zumindest nicht auszuschließen, daß dies zum
Nachweis für Tatsachenfeststellungen geschah. Im übrigen ist zwar noch auf den
Lagebericht Türkei des Auswärtigen Amts vom 28. April 1993, auf die
Stellungnahme von amnesty international vom 5. Februar 1993 an das VG
Wiesbaden und auf das Gutachten von amnesty international vom 10. Dezember
1992 eingegangen, dies diente aber offenbar nur der Erörterung von Einzelfragen,
die sich teilweise aus Geschehnissen in den Jahren 1992 und 1993 ergaben. Für die
Feststellungen über die Möglichkeit verfolgungsfreien Lebens in der Westtürkei und
über fehlende Anhaltspunkte für eine Förderung, Billigung oder Duldung von
Amtswalterexzessen durch den türkischen Staat ist dagegen ausschließlich auf die
genannten drei Entscheidungen des Senats hingewiesen. In das Verfahren
eingeführtes Erkenntnismaterial ist hier anders als zu der Frage, ob es überhaupt
zu Exzessen kommt, nicht benannt. Eine andere Auslegung der Urteilsgründe
erscheint dem Senat jedenfalls nach deren Wortlaut und Systematik nicht möglich,
weil insoweit die Sicht der Beteiligten maßgeblich ist und nicht ein etwaiger - nicht
deutlich zum Ausdruck gelangter - andersartiger Wille des Verwaltungsgerichts.
Den Klägern kann nicht entgegengehalten werden, daß sie die fehlerhafte
Verfahrensweise des Verwaltungsgerichts nicht spätestens in der mündlichen
Verhandlung gerügt und nicht auf eine ordnungsgemäße Einführung der
Erkenntnismittel hingewirkt haben. Die Garantie rechtlichen Gehörs ist nicht
verletzt, wenn es der Beteiligte verabsäumt, sich unter Einsatz der ihm nach der
Prozeßordnung zur Verfügung stehenden Mittel rechtliches Gehör zu verschaffen
(BVerwG, 16.10.1984 - 9 C 67.83 -, EZAR 610 Nr. 25 = NVwZ 1985, 337; OVG
Hamburg, 15.07.1993, a.a.O.; Hess. VGH, 31.05.1990 - 12 TE 2512/89 -). Für die
Kläger bestand jedoch bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung am 18.
Oktober 1993 keine Veranlassung für ein derartiges Vorgehen. Denn das
Verwaltungsgericht hatte durch Übersendung der Erkenntnislisten an die
Beteiligten die mündliche Verhandlung sachgemäß vorbereitet und auch die
nachträglich ausgewählten Erkenntnismittel ordnungsgemäß in das Verfahren
eingeführt, wie sich der Verhandlungsniederschrift entnehmen läßt, und die
Versagung rechtlichen Gehörs hat sich danach letztlich erst durch Abfassung der
12
13
14
15
Versagung rechtlichen Gehörs hat sich danach letztlich erst durch Abfassung der
schriftlichen Urteilsgründe manifestiert, in denen hinsichtlich einer
Gruppenverfolgung vor der Ausreise der Kläger lediglich auf Entscheidungen des
beschließenden Senats und hinsichtlich einer internen Fluchtalternative teilweise
hierauf verwiesen ist.
Die Verletzung rechtlichen Gehörs betrifft auch die Ablehnung der Feststellung der
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG in der Person der Kläger. Das
Verwaltungsgericht hat nämlich die Klage insoweit aus denselben Gründen wie
hinsichtlich der förmlichen Asylanerkennung abgewiesen.
Aufgrund der festgestellten Gehörsversagungen ist die Berufung hinsichtlich des
asylrechtlichen Verfahrensteils zuzulassen, ohne daß zu prüfen ist, ob das
angegriffene Urteil hierauf beruht (Hess. VGH, 20.09.1993 - 12 UZ 97/93 -).
Insbesondere scheitert der Zulassungsantrag nicht daran, daß nicht dargelegt ist,
was die Kläger bei ordnungsgemäßer Gewährung rechtlichen Gehörs noch
vorgetragen oder welche Anträge sie gestellt hätten; ferner ist nicht zu
untersuchen, ob sich das Urteil aus anderen Gründen als richtig erweist.
Gemäß § 78 Abs. 2 Nr. 3 AsylVfG ist die Berufung zuzulassen, wenn ein in § 138
VwGO bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt; es wird
nicht verlangt, daß das Urteil auf dem Verfahrensmangel beruht oder beruhen
kann. Eine derartige Kausalitätsprüfung ist hier anders als bei der
Divergenzberufung (vgl. § 78 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG) nicht gefordert. Dagegen ist
eine potentielle Kausalität bei Zulassung der Revision wegen eines
Verfahrensfehlers vorausgesetzt; diese darf nur erfolgen, wenn die
Berufungsentscheidung auf dem festgestellten Verfahrensmangel beruhen kann (§
132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO; ebenso für die Berufungszulassung nach § 131 Abs. 3 Nr.
3 VwGO). Bei dieser Kausalitätsprüfung ist jedoch nach der Art der
Verfahrensmängel zu unterscheiden, da nach § 138 VwGO ein Urteil bei Vorliegen
eines der dort bezeichneten schweren Verfahrensmängel stets als auf der
Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen ist. Dies ist zwar dort
unmittelbar nur für die Überprüfung im Revisionsverfahren geregelt, da bei
Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes im Sinne von § 138 VwGO für die
revisionsrechtliche Überprüfung die Kausalität unwiderlegbar vermutet wird. Das
fehlerhaft zustande gekommene Urteil wäre deshalb auch dann aufzuheben, wenn
es sich aus anderen Gründen als richtig erwiese; die Anwendung des § 144 Abs. 4
VwGO ist insoweit ausgeschlossen (Kopp, VwGO, 9.Aufl., 1991, § 144 Rdnr. 6
m.w.N.; Redeker/von Oertzen, VwGO, 10. Aufl., 1991, § 138 Rdnr. 1, § 144 Rdnr. 3;
BVerwG, 20.02.1981 - 7 C 78.80 -, BVerwGE 62, 6 = NJW 1981, 1852). Abgesehen
von dieser unmittelbaren Wirkung der unwiderlegbaren Kausalität nach § 138
VwGO bei absoluten Revisionsgründen fällt aber bei ihnen auch die nach § 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO vorgeschriebene Kausalitätsprüfung zwingend positiv aus; ihr
kommt deshalb nur bei sonstigen Verfahrensmängeln eine eigenständige
Bedeutung zu (vgl. Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, Rdnr. 204,
244; Redeker/von Oertzen, a.a.O., § 132 Rdnr. 18; Weyreuther, Revisionszulassung
und Nichtzulassungsbeschwerde in der Rechtsprechung der obersten
Bundesgerichte, 1971, Rdnr. 153). Die vom Gesetz angenommene notwendige
Kausalität ergibt sich für die Verfahrensfehler des § 138 Nr. 1, 2 und 4 bis 6 VwGO
aus deren Eigenart, weil sich in diesen Fällen die Frage nach dem Ergebnis der
Entscheidung ohne Verfahrensfehler aus rechtlichen oder zumindest aus
tatsächlichen Gründen nicht beantworten läßt. Für die Versagung rechtlichen
Gehörs kann aber letztlich nichts anderes gelten, zumal es sich um ein "Urrecht
des Menschen" (so BVerfG, 15.04.1980 - 1 BvR 1365/78 -, a.a.O.) handelt; auch
insoweit ist die Vorschrift des § 144 Abs. 4 VwGO nicht schon im
Zulassungsverfahren zu berücksichtigen. Eine derartige in das
Zulassungsverfahren vorgezogene Ergebniskontrolle wird dementsprechend für
die Revisionsinstanz nur bei anderen als absoluten Verfahrensmängeln für
statthaft erachtet (vgl. BVerwG, 29.10.1979 - 4 CB 73.79 -, Buchholz 310 § 144
VwGO Nr. 34 betr. Unzulässigkeit der Klage; BVerwG, 30.08.1983 - 9 CB 222.81 -
Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 13; dies wird übersehen von VGH Baden-
Württemberg, 16.03.1990, a.a.O. und OVG Hamburg, 15.07.1993, a.a.O.). Dabei
ist selbstverständlich darauf Bedacht zu nehmen, daß eine Versagung rechtlichen
Gehörs nur bezüglich entscheidungserheblicher Tatsachen von Bedeutung ist (vgl.
Kopp, a.a.O., § 144 Rdnr. 6; dazu näher unten S. 13).
Die in § 78 Abs. 2 Nr. 3 AsylVfG erfolgte Bezugnahme auf § 138 VwGO betrifft nach
alledem zwar nur die Art der für die Berufungszulassung tauglichen
Verfahrensmängel und nicht die dort angeordnete Rechtsfolge. Die absolute
16
17
Verfahrensmängel und nicht die dort angeordnete Rechtsfolge. Die absolute
Wirkung dieser Verfahrensmängel ergibt sich aber für die Berufungszulassung im
Asylprozeß aus dem Fehlen einer entsprechenden Voraussetzung in den
Zulassungsvorschriften. Ein kausaler Zusammenhang zwischen Verfahrensfehler
und Klageentscheidung ist weder bei Beschreibung des Zulassungsgrunds (§ 78
Abs. 2 Nr. 3 AsylVfG) noch bei den Anforderungen an die Begründung des
Zulassungsantrags (§ 78 Abs. 4 Satz 3 AsylVfG) erwähnt. Erkennbar soll, wenn das
verwaltungsgerichtliche Urteil an einem schweren Verfahrensmangel leidet, in
jedem Fall eine Überprüfung durch eine zweite Tatsacheninstanz durchgeführt
werden. Im Berufungsverfahren selbst spielt der erstinstanzliche Verfahrensfehler
dagegen überhaupt keine Rolle. Das Berufungsgericht hat ungeachtet der
Verfahrensweise und des Ergebnisses erster Instanz eine eigene
Sachentscheidung zu treffen; eine Zurückverweisung ist in Asylsachen anders als
im allgemeinen Verwaltungsprozeß (§ 130 VwGO) nicht statthaft (§ 79 Abs. 2
AsylVfG).
Das Ergebnis der grammatikalischen und systematischen Auslegung des § 78 Abs.
2 Nr. 3 AsylVfG wird durch die Entstehungsgeschichte bestätigt. Die gleichlautende
Vorgängerbestimmung des § 32 Abs. 2 Nr. 3 AsylVfG 1982/1991 beruhte auf
einem Kompromiß zwischen verschiedenen Gesetzentwürfen. Die Fraktion der
CDU/CSU hatte zunächst vorgeschlagen, die Berufung gänzlich auszuschließen
und die Revision unmittelbar gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil unter
anderem bei "wesentlichen Mängeln des Verfahrens" vorzusehen (§ 34 AuslG-E,
BT-Drs. 8/3402); ein Kausalzusammenhang war nicht ausdrücklich verlangt, dem
Erfordernis "wesentlich" aber zu entnehmen. Später unternahm der Bundesrat den
Versuch, die Zulassungsbedürftigkeit der Berufung einzuführen, wollte aber die
Zulassung auf die Fälle der grundsätzlichen Bedeutung und der Divergenz
beschränken (§ 7b Zweites Gesetz zur Beschleunigung des Asylverfahrens-E, BT-
Drs. 9/221). Schließlich sollten die Zulassungsgründe nach dem Willen der
Fraktionen der SPD und FDP unter anderem um den Fall der Geltendmachung
eines Verfahrensfehlers nach § 138 VwGO erweitert werden; weder das Vorliegen
des Fehlers noch ein Kausalzusammenhang waren verlangt (§ 28 Abs. 3 Nr. 4
AsylVfG-E, BT-Drs. 9/875). Der BT-Innenausschuß empfahl die später Gesetz
gewordene Fassung, wonach die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung oder
wegen Divergenz oder dann zuzulassen war, wenn ein Verfahrensfehler nach § 138
VwGO geltend gemacht wird und vorliegt (§ 28 Abs. 2 Nr. 3 AsylVfG-E, BT-Drs.
9/1630). Die Einfügung der zusätzlichen Voraussetzung, daß die "Entscheidung auf
dem Verfahrensmangel beruhen kann", wurde erwogen, aber verworfen, weil "diese
Voraussetzung zum einen kaum nachweisbar sein wird, zum anderen aber auch
der Bedeutung der in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung genannten
Verfahrensgrundsätze wohl nicht gerecht würde." (BT- Drs. 9/1630 S. 25).
Die in der Rechtsprechung zur Revisionszulassung für den Fall der Versagung
rechtlichen Gehörs verlangte Darlegung dessen, was der Beteiligte bei
ordnungsgemäßer Gewährung noch zusätzlich vorgetragen hätte (vgl. dazu
Kummer, a.a.O., Rdnr. 183 ff., auch bezüglich der Unterschiede in den öffentlich-
rechtlichen Verfahrensordnungen VwGO, FGO und SGG; ders. auch in NJW 1989,
1645 betr. SGG), ist auf den Bereich der asylrechtlichen Berufungszulassung nicht
übertragbar (im Ergebnis ebenso VGH Baden-Württemberg, 16.03.1990 - A 14 S
28/89 -, EZAR 633 Nr. 15). Wenn nämlich für das Revisionszulassungsverfahren
generell eine potentielle Kausalität des Verfahrensfehlers und dessen Darlegung
verlangt werden, beruht dies zunächst allein auf den ausdrücklichen
Anforderungen des § 133 Abs. 2 Satz 3 in Verbindung mit § 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO. Die Sachverhalte, die eine Zulassung der allgemeinen Revision einerseits
und der Asylberufung andererseits erlauben, unterscheiden sich so erheblich
voneinander, daß eine den unterschiedlichen Wortlaut überspielende
Gleichstellung hinsichtlich des Kausalzusammenhangs und der
Darlegungserfordernisse nicht zu rechtfertigen ist. In diesem Zusammenhang ist
allerdings festzustellen, daß in der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts teilweise der Unterschied zwischen absoluten und
anderen Verfahrensmängeln im Zulassungsverfahren nicht deutlich zum Ausdruck
gelangt und bei Versagung rechtlichen Gehörs z. T. allgemein ohne nähere
Begründung die Darlegung des bei ordnungsgemäßer Gewährung rechtlichen
Gehörs beabsichtigten weiteren Vorbringens verlangt wird (z.B. BVerwG,
09.10.1984 - 9 B 138.84-, InfAuslR 1985, 83; BVerwG, 10.08.1978 - 2 C 36.77 -,
Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 105; BVerwG, 03.11.1971 - I B 68.71 - Buchholz 310
§ 132 VwGO Nr. 84). Dies kann nur dann als zutreffend angesehen werden, wenn
die jeweils gerügte Art und Weise des Versagung rechtlichen Gehörs einen
entsprechenden Vortrag erfordert. Wenn etwa geltend gemacht wird, der
18
19
entsprechenden Vortrag erfordert. Wenn etwa geltend gemacht wird, der
Vorsitzende eines Spruchkörpers habe einem Beteiligten das Wort abgeschnitten,
so gehört zur ordnungsgemäßen Geltendmachung der Rüge der Vortrag, aus
welchen Gründen die abgeschnittenen Äußerungen entgegen der Meinung des
Vorsitzenden für den entschiedenen Fall von Bedeutung waren (vgl. BVerwG,
29.09.1976 - VII CB 46.76 -, Buchholz 310 § 138 Ziff. 3 VwGO Nr. 23). Ähnlich
verhält es sich, wenn ein für die Rechtsverfolgung erhebliches Vorbringen eines
Beteiligten oder ein ordnungsgemäß gestellter Beweisantrag zu
entscheidungserheblichen Tatsachen vom Gericht übergangen worden ist. Auch in
diesen Fällen bedarf es zur Geltendmachung eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs.
1 GG nicht der Darlegung etwaigen weiteren Vorbringens bei ordnungsgemäßer
Verfahrensweise des Gerichts; denn der Verfahrensverstoß besteht ja gerade in
der Nichtberücksichtigung entscheidungsrelevanten Vorbringens.
Im übrigen ist hier zu betonen, daß eine Verletzung rechtlichen Gehörs nur
hinsichtlich entscheidungserheblicher Tatsachen festgestellt werden kann (Kopp,
VwGO, 9. Aufl., 1992, § 138 Rdnr. 20 m.w.N.). Gemäß § 108 Abs. 2 VwGO darf das
Gericht nur diejenigen Tatsachen verwerten, zu denen sich die Beteiligten äußern
konnten. Damit kommt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör
insoweit nur bezüglich solcher Tatsachen in Betracht, auf die das Gericht seine
Entscheidung gestützt hat. Auch hinsichtlich des Vortrags und der Anträge der
Beteiligten scheiden Tatsachen, auf die es aus Gründen des materiellen Rechts
nicht ankommt oder die nach den Regeln des jeweiligen Verfahrensrechts nicht zu
berücksichtigen sind, von vornherein aus. Das Gericht hat aufgrund Art. 103 Abs. 1
GG letztlich nur diejenigen Tatsachen mit den Beteiligten zu erörtern, die für die
Entscheidung rechtlich bedeutsam sind. Da das Gericht über die
Entscheidungserheblichkeit endgültig erst aufgrund der letzten Beratung befindet,
wird den Beteiligten zwar oft vorsorglich auch zu anderen Tatsachen rechtliches
Gehör gewährt werden müssen, um einen eventuellen Wiedereintritt in die
mündliche Verhandlung zu erübrigen. Dies ändert aber nichts daran, daß
rechtliches Gehör im Sinne von § 138 Nr. 3 VwGO nur hinsichtlich rechtserheblicher
Tatsachen versagt sein kann. War die Tatsachenfeststellung unter keinem
denkbaren Gesichtspunkt entscheidungserheblich, ist die Nichtgewährung
rechtlichen Gehörs unschädlich (Redeker/von Oertzen, a.a.O., § 138 Rdnr. 5;
BVerwG, 27.02.1992 - 4 C 42.89 -, NJW 1992, 2042 m.w.N.; BVerwG, 04.11.1977 -
IV C 77.76 -, Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 142). Ist ein Urteil kumulativ oder
alternativ auf mehrere Gründe gestützt, muß den Beteiligten zu den jeweils
erheblichen Tatsachen rechtliches Gehör gewährt sein. Eine Zulassung kommt
dann nur in Betracht, wenn hinsichtlich aller Begründungen ein Zulassungsgrund
geltend gemacht wird und vorliegt (Kummer, a.a.O., Rdnr. 101). Anders verhält es
sich mit Tatsachen, die nur im Rahmen einer Hilfserwägung oder eines obiter
dictum verwertet sind. Eine Hilfsbegründung kommt im Zulassungsverfahren nur
zum Tragen, wenn hinsichtlich der Hauptbegründung ein Zulassungsgrund geltend
gemacht und gegeben ist; die Berufung ist in diesem Fall nur zuzulassen, wenn
auch für die Eventualbegründung ein Zulassungstatbestand dargetan ist. Ein
obiter dictum gehört nicht zu den Entscheidungsgrundlagen und kann daher nie
einen Grund für die Berufungszulassung abgeben.
Für die Frage, ob eine Tatsache rechtserheblich ist, ist auf die Rechtsmeinung des
Ausgangsgerichts abzustellen (Kopp, a.a.O., § 132 Rdnr. 23 m.w.N.; a.A. VGH
Baden-Württemberg, 15.03.1990, a.a.O.; OVG Hamburg, 15.07.1993, a.a.O.; die
Entscheidungen des BVerwG vom 20.02.1981 und 27.02.1992, a.a.O., besagen
nichts anderes, sondern bestätigen nur, daß rechtliches Gehör nicht verletzt ist,
wenn es auf die betreffenden Tatsachen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt
ankommt). Beispielsweise kann eine bestimmte Sachaufklärung nur verlangt
werden, wenn diese nach der Rechtsauffassung des Ausgangsgerichts notwendig
ist (Kummer, a.a.O., Rdnr. 231; Weyreuther, a.a.O., Rdnr. 141). Insbesondere sind
Schlüssigkeit und Erheblichkeit des Vorbringens und der Anträge der Beteiligten
ausschließlich aus der Sicht des über die Klage entscheidenden Gerichts zu
beurteilen. Auch insoweit findet im Zulassungsverfahren keine vorgezogene volle
Überprüfung des Ausgangsurteils statt. Der Rechtsgedanke des § 144 Abs. 4
VwGO ist, wie schon ausgeführt, hier nicht anwendbar (a.A. wohl Weyreuther,
a.a.O., Rdnr. 237). Die Fälle der Kumulativ-, Alternativ- und Eventualbegründung
sowie des obiter dictum sind mit dieser Frage nicht zu vermengen (so aber VGH
Baden- Württemberg, a.a.O.); sie erlauben, wie oben ausgeführt, nur unter
bestimmten Voraussetzungen die Feststellung einer zur Rechtsmittelzulassung
führenden Gehörsversagung. Die Zulassung aufgrund von Verfahrensmängeln soll
den Beteiligten die Möglichkeit eröffnen, sich gegen Verfahrensverstöße der
Vorinstanz zur Wehr zu setzen; sie dient nicht primär der Rechtseinheit, sondern
20
21
Vorinstanz zur Wehr zu setzen; sie dient nicht primär der Rechtseinheit, sondern
der Einzelfallgerechtigkeit (vgl. Kummer, a.a.O., Rdnr. 187). Im Asylrechtsstreit
liegt die Bedeutung der Verfahrensberufung darin, daß dem durch einen
Verfahrensfehler betroffenen Beteiligten ausnahmsweise eine weitere
Tatsacheninstanz eröffnet wird. Weder Wortlaut noch Entstehungsgeschichte
lassen erkennen, daß hierbei "Pyrrhussiege" verhindert werden sollten und dürften.
Soweit für die Zulässigkeit einer auf Versagung rechtlichen Gehörs gestützten
Verfassungsbeschwerde die Darlegung verlangt wird, was bei Beachtung von Art.
103 Abs. 1 GG noch weiter vorgetragen worden wäre (BVerfG, 26.02.1990 - 1 BvR
776/84 -, BVerfGE 82, 236), handelt es sich um bereichsspezifische, aus § 92
BVerfGG abzuleitende Anforderungen. Die Zulässigkeit der
Verfassungsbeschwerde setzt danach nämlich die Behauptung voraus, durch eine
bestimmte Handlung oder Unterlassung in einem Grundrecht verletzt zu sein (vgl.
dazu im einzelnen Kley in Umbach/Clemens (Hrsg.), BVerfGG, 1992, § 92 Rdnr. 9
ff.). Soweit das Bundesverfassungsgericht bei Geltendmachung eines Verstoßes
gegen Art. 103 Abs. 1 GG prüft, ob eine dem Verfassungsbeschwerdeführer
günstigere Entscheidung des Ausgangsgerichts bei ausreichender Gewährung
rechtlichen Gehörs nicht auszuschließen ist (vgl. 14.12.1982 - 2 BvR 434/82 -,
BVerfGE 62, 392; BVerfG, 06.07.1993 - Kammer -, a.a.O.), beruht dies auf dem
Umstand, daß es für das verfassungsgerichtliche Verfahren an einer § 138 VwGO
ähnlichen Vorschrift fehlt. Diese Kausalitätsprüfung wird bei auf Verfahrensfehler
gestützten Verfassungsbeschwerden allgemein vorgenommen. Wenn schließlich
das Bundesverfassungsgericht nach Feststellung einer Grundrechtsverletzung
noch untersucht, ob nach einer Aufhebung und Zurückweisung eine Wiederholung
der angegriffenen Entscheidung mit anderer Begründung nach dem Stand der
fachgerichtlichen Rechtsprechung zu erwarten ist (z. B. BVerfG - Kammer -,
06.07.1993, a.a.O.), so wird damit lediglich dem allgemeinen Grundsatz Genüge
getan, unnötige Aufhebungen von Gerichtsentscheidungen durch das
Verfassungsgericht zu vermeiden.
Das Verfahren wird gemäß § 78 Abs. 5 Satz 4 AsylVfG als Berufungsverfahren
fortgesetzt, ohne daß es der Einlegung einer Berufung bedarf.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.