Urteil des HessVGH vom 06.11.2007

VGH Kassel: heim, eltern, unterbringung, trennung, form, jugendhilfe, erlass, geeignetheit, zukunft, auflage

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 TG 1954/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des
Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 29. August 2007 – 3 G 1267/07 -, soweit
hiermit der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt worden ist,
wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das
Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe
Die Beschwerde des Klägers gegen den im Tenor genannten Beschluss des
Verwaltungsgerichts Darmstadt ist zulässig, insbesondere statthaft sowie
rechtzeitig erhoben und begründet worden, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass der Antragsteller
einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht hat, weil er keinen Anspruch
gegen den Antragsgegner auf Übernahme der Kosten für seine weitere
Unterbringung in dem therapeutischen Heim St. Joseph in Würzburg hat.
Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat zunächst unter Anwendung
von § 122 Abs. 2 S. 3 VwGO auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts in den
Gründen zum angefochtenen Beschluss Bezug, in denen das Verwaltungsgericht
das Vorbringen der Beteiligten ausführlich und in rechtlicher Hinsicht sowohl
bezüglich des Haupt- als auch des Hilfsantrages zutreffend gewürdigt hat, und
sieht insofern von einer weiteren Darstellung der Gründe ab. Aufgrund des
Vorbringens des Antragstellers im Beschwerdeverfahren ist nur folgendes zu
ergänzen:
Das Verwaltungsgericht hat zunächst zutreffend festgestellt, dass dem
ursprünglichen Bewilligungsbescheid keine Dauerwirkung zugemessen werden
kann, die sich auf eine Bewilligung der Kostenübernahme für die Fortführung der
Maßnahme für den Antragsteller auch für den streitgegenständlichen Zeitraum
bezogen haben könnte. Im Hilfeplan aufgrund des Hilfeplangespräches vom 30.
November 2006 ist festgehalten, dass die Einrichtung für den Antragsteller bis
zum Sommer 2007 eine Klärung der Perspektive forderte. Hieraus folgt, dass
bereits im November 2006 für Sommer 2007 eine neue Entscheidung des
Jugendamtes für erforderlich angesehen wurde. Dies bedeutet, dass die
ursprünglich ausgesprochene Bewilligung keine in die Zukunft offene Bedeutung
haben konnte. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht daher festgestellt, dass der
Antragsteller seinen geltend gemachten Anspruch nicht auf den ursprünglichen
Bewilligungsbescheid stützen kann, ohne dass es einer ausdrücklichen Aufhebung
dieses Bescheides bedurft hätte.
Der Hilfeplan selbst hat keinen Verwaltungsaktscharakter (so Fischer, in:
Schellhorn/Fischer/Mann, SGB VIII/KJHG, 3. Auflage, § 36, Rdnr. 23), sondern bildet
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Schellhorn/Fischer/Mann, SGB VIII/KJHG, 3. Auflage, § 36, Rdnr. 23), sondern bildet
die Grundlage für die Entscheidung des Jugendamtes über die Hilfegewährung.
Schon aus § 36 Abs. 2 S. 2, zweiter Halbsatz SGB VIII, wonach regelmäßig geprüft
werden soll, ob die gewählte Hilfeart weiterhin geeignet und notwendig ist, ist zu
entnehmen, dass ein einmal aufgestellter Hilfeplan keine Wirkung für alle Zeit
entfaltet, sondern der ständigen Überprüfung hinsichtlich der Geeignetheit und
Notwendigkeit der gewählten Maßnahme unterliegt. Auch aus dem Hilfeplan
aufgrund des Gespräches vom 30. November 2006 kann der Antragsteller somit
keinen unmittelbaren Anspruch auf eine Fortführung der Finanzierung seiner
Unterbringung in dem fraglichen Heim in Würzburg über den vom Antragsgegner
bewilligten Zeitraum hinaus, also ab August 2007, herleiten.
Zutreffend hat das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass im vorliegenden
Fall eine Übernahme der Kosten bereits nach § 36a Abs. 1 S. 1 SGB VIII
ausscheidet, weil die Hilfe jedenfalls für den Zeitraum ab August 2007 nicht im
Sinne dieser Vorschrift auf der Grundlage der Entscheidung des Antragsgegners
als zuständigen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe nach Maßgabe des Hilfeplans
unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts erbracht wird. Auch eine
Verpflichtung des Antragsgegners, die Hilfe zu erbringen, ist nicht erkennbar. Bei
der Beurteilung, welche Hilfeart im Einzelfall als geeignet und notwendig
anzusehen ist, ist dem zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe ein
Entscheidungsspielraum eröffnet, der von den Verwaltungsgerichten nur daraufhin
überprüft werden kann, ob allgemein gültige fachliche Maßstäbe beachtet worden,
keine sachfremden Erwägungen eingeflossen und die Leistungsadressaten in
umfassender Weise beteiligt worden sind (Senatsurteil vom 8. September 2005 -
10 UE 1647/04 -, JAmt 2006,37; Fischer, a.a.O., § 35a Rdnr. 28 mit weiteren
Nachweisen zur Rechtsprechung). Im vorliegenden Verfahren auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung ließe sich somit ein Anspruch des Antragstellers auf
Gewährung der begehrten Leistung und damit ein Anordnungsanspruch nur
annehmen, wenn allein die Gewährung der Hilfe in der vom Antragsteller
begehrten Form als rechtmäßig und im Rahmen des Beurteilungsspielraums
zutreffend angesehen werden könnte. Davon kann jedoch nicht die Rede sein.
Vielmehr ist auch der Senat wie der Antragsgegner und das Verwaltungsgericht
der Auffassung, dass die weitere Unterbringung in dem Heim St. Joseph in
Würzburg nicht als geeignete Hilfe für den Antragsteller angesehen werden kann,
weshalb sich ein Anspruch für den Antragsteller auch nicht aus dem ihm und/oder
den personensorgeberechtigten Personen zustehenden Wunsch- und Wahlrecht
aus § 5 oder § 36 Abs. 1 S. 4 SGB VIII ergeben kann, weil sich dieses nur auf
geeignete Hilfen beziehen kann. Aus den dem gesamten Akteninhalt zu
entnehmenden Erkenntnisquellen ist ersichtlich, dass dem Antragsteller in dem
Heim in Würzburg zwar eine gewisse Hilfe zuteil wird, die seine Entwicklungsdefizite
in gewissem Umfang auszugleichen und aufzuholen geeignet sein mag, jedoch die
der offensichtlichen seelischen Behinderung des Antragstellers zu Grunde liegende
familiäre Problematik nicht hinreichend bearbeitet. Diese Problematik liegt zum
einen in dem als "symbiotische Verstrickung" beschriebenen Verhältnis zu seiner
Mutter, die offensichtlich nicht in der Lage ist, die Schädlichkeit ihres eigenen
Verhaltens für die Entwicklung des Antragstellers zu erkennen. Die von ihr über
viele Jahre hinweg erfolgreich betriebene Verhinderung des Umgangs mit dem
Vater des Antragstellers ist zumindest mit eine Ursache für die heute
festzustellenden Schwierigkeiten des Antragstellers. Die Mutter des Antragstellers
ist offenbar nicht in der Lage, die Bedeutung der Beziehung zum Vater für die
Entwicklung des Antragstellers zu erkennen und richtig einzuordnen. Die für sie
selbst wegen der offenbar erlittenen körperlichen und seelischen Verletzungen
verständlich und möglicherweise auch notwendig erscheinende weit gehende
Trennung vom Vater des Antragstellers ist für den Antragsteller selbst und seine
Entwicklung - gelinde ausgedrückt - hinderlich. Die Mutter erkennt dies nicht und
trägt die Konflikte mit ihrem ehemaligen Ehemann, dem Vater des Antragstellers,
über den Antragsteller selbst aus, indem sie ihm vermittelt, das Zusammensein
mit dem Vater habe für ihn selbst - den Antragsteller - schädliche Auswirkungen.
Sie projiziert geradezu ihre Aggressionen gegen den Vater des Antragstellers auf
den Antragsteller selbst und hält die weit gehende Abschottung des Antragstellers
vom Vater offensichtlich in Verkennung der sich hieraus für den Antragsteller
ergebenden fatalen Folgen für eine pädagogisch sogar gebotene Maßnahme, weil
sie den Umgang des Antragstellers mit dem Vater als für den Antragsteller
schädigend ansieht. Auch der Vater des Antragstellers scheint weitgehend unfähig
zu sein, die Konflikte mit seiner ehemaligen Ehefrau, der Mutter des Antragstellers,
vom Antragsteller möglichst fernzuhalten. Er scheint außerdem nicht dazu in der
Lage zu sein, dem Antragsteller die notwendige Hilfestellung anzubieten, indem er
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Lage zu sein, dem Antragsteller die notwendige Hilfestellung anzubieten, indem er
ihm das Gefühl vermittelt, immer für ihn da zu sein.
Für die Entwicklung des Antragstellers scheint es daher dringend geboten, den
Antragsteller soweit wie möglich aus den offenbar nach wie vor zwischen seinen
Eltern bestehenden Konflikten, ihren Streitigkeiten und gegenseitigen Vorwürfen so
weit wie irgend möglich herauszunehmen, um ihm eine eigenständige Entwicklung
seiner Persönlichkeit zu ermöglichen. Hierfür ist es erforderlich, dass der
Antragsteller in einer Einrichtung untergebracht wird, die ihn zumindest für einen
gewissen Zeitraum weitgehend von seinen Eltern und ihren Auseinandersetzungen
fernhält. Dieses ist in dem Heim St. Joseph in Würzburg offensichtlich nicht
gewährleistet. Der Antragsteller pflegt ausgiebigen Kontakt mit seiner Mutter, was
von der Einrichtung offenbar gefördert wird. Die Elternarbeit findet andererseits
offenbar nahezu ausschließlich mit der Mutter statt. Die weitgehend unabhängig
von den Konflikten seiner Eltern zu erfolgende Persönlichkeitsentwicklung des
Antragstellers scheint somit in keiner Weise gewährleistet, da der Antragsteller
immer wieder durch die Mutter in diese hineingezogen wird. Durch eine weitere
Betreuung des Antragstellers in dem Heim St. Joseph in Würzburg können seine
Schwierigkeiten allenfalls gelindert, offensichtlich jedoch nicht behoben werden. Ein
Anspruch auf weitere Finanzierung dieser Maßnahme besteht daher nicht.
Der Senat verkennt nicht, dass die Aufnahme des Antragstellers in eine vom
Antragsgegner vorgeschlagene Einrichtung und insbesondere eine weitgehende
Abkapselung von seiner Mutter für den Antragsteller schwierig bis schmerzlich sein
wird und mit erheblichen Konflikten zu rechnen ist. Dennoch scheint in einer
solchen Vorgehensweise die einzige Chance des Antragstellers zu bestehen, die
durch die Trennung seiner Eltern und ihre Streitigkeiten und
Auseinandersetzungen bedingten Beeinträchtigungen irgendwann überwinden zu
können.
Ebenfalls verkennt der Senat nicht, dass eine Aufnahme des Antragstellers in einer
anderen Einrichtung nur mit Zustimmung der nach dem Beschluss des
Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 11. Juli 2007 nunmehr allein
sorgeberechtigten Mutter des Antragstellers erfolgen könnte. Aufgrund der nach
dem Akteninhalt bisher gezeigten fehlenden Einsichtsfähigkeit der Mutter des
Antragstellers in die oben beschriebenen Notwendigkeiten erscheint es indessen
ausgesprochen zweifelhaft, ob diese Zustimmung erteilt wird. Dies könnte zur
Folge haben, dass der Antragsteller wieder in den Haushalt seiner Mutter
zurückkehrt, womit das Ziel des Antragsgegners gerade in sein Gegenteil verkehrt
würde. In dem Heim St. Joseph in Würzburg erhält er jedenfalls eine Hilfestellung
außerhalb des Haushalts seiner Mutter, was zwar gegenüber der nach den obigen
Ausführungen als notwendig anzusehenden Hilfe zu wenig ist, jedoch gegenüber
dem Aufenthalt allein bei seiner Mutter noch erstrebenswerter erscheint. Dennoch
ist der Senat der Auffassung, dass eine Verpflichtung des Antragsgegners zur
Erbringung der als unzulänglich anzusehenden Hilfe in Form der weiteren
Unterbringung des Antragstellers in dem Heim St. Joseph in Würzburg nicht
besteht. Der Antragsgegner wird den Hilfefall jedoch weiter im Blick zu behalten
haben, wobei der Senat keinen Zweifel daran hegt, dass der Antragsgegner dieser
Aufgabe nachkommen wird.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat gemäß § 154 Abs. 2 VwGO der
Antragsteller zu tragen, weil er mit seinem Rechtsmittel erfolglos geblieben ist.
Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 S. 2 VwGO.
Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das
Beschwerdeverfahren ist abzulehnen, weil es ungeachtet der Bedürftigkeit des
Antragstellers nach den obigen Ausführungen an der hinreichenden
Erfolgsaussicht der angestrebten Rechtsverfolgung im Sinne von § 166 VwGO
i.V.m. § 114 ZPO fehlt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.