Urteil des HessVGH vom 06.07.1995

VGH Kassel: garage, widerruf, grundstück, auflage, entwässerung, rücknahme, mauer, behörde, verwaltungsakt, wasser

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
4. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 UE 3407/90
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 48 VwVfG HE, § 49 VwVfG
HE, § 51 VwVfG HE
(Zum Anspruch eines Nachbarn auf Aufhebung einer
bestandskräftigen Baugenehmigung)
Tatbestand
I.
Der Kläger und seine Ehefrau sind Erbbauberechtigte bezüglich des Grundstücks in
(Gemarkung, Flur 4, Flurstück 14/9); Eigentümerin des Grundstücks ist die
Waisenhausstiftung des öffentlichen Rechts,
Die Beigeladene ist Eigentümerin des Grundstücks (Gemarkung, Flur 4, Flurstück
14/5), welches nördlich an das Flurstück 14/9 angrenzt. Beide Grundstücke liegen
auf der Westseite einer von Süden kommenden privaten Zuwegung, die an dem
Grundstück der Beigeladenen endet. Das Gelände hat ein Gefälle von Süden nach
Norden und ein stärkeres Gefälle von Osten nach Westen; die oben genannten
Grundstücke liegen auf der Talseite der privaten Zuwegung.
Unter dem Datum des 09.06.1970 wurde dem Kläger die Baugenehmigung für ein
Einfamilienhaus auf dem Flurstück 14/9 erteilt, wobei die an der südlichen
Grundstücksgrenze vorgesehene Garage gestrichen und dem Kläger unter
anderem die Auflage gemacht wurde, Planunterlagen der PKW-Garage (mit
Nachbarerklärung) vorzulegen. In der Folgezeit gab der Kläger seinen Plan, die
Garage an die südliche Grundstücksgrenze zu setzen, auf und errichtete die
Garage an der nördlichen Längsseite seines Hauses, so daß die Garage mit dem
nordöstlichen Eck an das Flurstück 14/5 angrenzt und in einem Winkel zur
Grundstücksgrenze verläuft.
Der Beigeladenen und ihrem zwischenzeitlich verstorbenen Ehemann wurde unter
dem Datum des 30.05.1972 die Baugenehmigung für ein Wohnhaus sowie eine
Doppelgarage auf dem Flurstück 14/5 erteilt. Die Baupläne sahen vor, die
Doppelgarage unmittelbar an die vom Kläger errichtete Garage - also teilweise auf
dem Flurstück 14/9 - anzubauen, entsprechende Einverständniserklärungen des
Klägers und seiner Ehefrau sowie der Waisenhausstiftung des öffentlichen Rechts
lagen vor. Mit Schreiben vom 21.09.1972 beantragte der verstorbene Ehemann
der Beigeladenen eine Änderung der Stellung der bereits genehmigten Garage,
die nunmehr entlang der Grundstücksgrenze zum Flurstück 14/9 verlaufen sollte,
sowie eine Änderung von Massivgarage mit Keller in Fertiggarage ohne Keller. Der
Kläger erhob mit Schreiben vom 14.11.1972 "Widerspruch" gegen die
Grenzbebauung mit der Begründung, der bereits errichtete Unterbau der Garage
lasse erkennen, daß die Garage ganz erheblich über dem gewachsenen Boden zu
stehen komme und befürchten lasse, daß das Oberflächenwasser auf sein
Grundstück abgeleitet werde. Mit Schreiben vom 21.11.1972 wies er ergänzend
darauf hin, daß sich sein "Widerspruch" darauf beschränke, daß die Doppelgarage
nicht höher liegen dürfe als seine eigene Garage.
Unter dem Datum des 20.09.1976 wurde dem Ehemann der Beigeladenen die
Baugenehmigung für die veränderte Ausführung und Stellung der Doppelgarage
unter anderem mit der Auflage erteilt, das anfallende Oberflächenwasser des
Garagendaches und der Garagenzufahrt innerhalb des Grundstückes zu sammeln
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Garagendaches und der Garagenzufahrt innerhalb des Grundstückes zu sammeln
und der öffentlichen Entwässerung zuzuleiten.
Der Kläger legte gegen die vorgenannte Baugenehmigung mit Schreiben vom
16.11.1976 Widerspruch ein, den der Regierungspräsident in Darmstadt mit
Widerspruchsbescheid vom 05.03.1979 zurückwies. Die dagegen erhobene
Anfechtungsklage nahm der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem
Verwaltungsgericht Frankfurt am Main (IV/1 E 1080/79) am 08.05.1984 zurück.
Mit Schreiben vom 16.05.1984 wandte sich der damalige Bevollmächtigte des
Klägers erneut an die Beklagte und bat, dafür Sorge zu tragen, daß die
Doppelgarage - deren Höhe nicht den Baugenehmigungsunterlagen entspreche -
tiefer gesetzt werde, das Gegengefälle beseitigt und die zur Auflage gemachte
Entwässerung eingehalten werde. Der Beklagte schlug daraufhin der Beigeladenen
vor, sich schriftlich bereit zu erklären, die vor der Garage des Klägers befindliche
Ablaufrinne auf ihre Kosten bis an ihr Grundstück zu verlängern, sofern der Kläger
zustimme, diese Arbeiten auf seinem Grundstück durchführen zu lassen. Mit
Schreiben vom 04.10.1984 erklärte sich die Beigeladene mit dem Vorschlag des
Beklagten einverstanden und bot darüber hinaus an, eine kleine Mauer entlang der
Grundstücksgrenze mit einer erhöhten Kante von ca. 8 bis 10 cm zu bauen sowie
die Hälfte der Kosten für die Verlängerung des zwischen den Garagen befindlichen
Abflußrohres zu tragen.
Mit Bescheid vom 18.10.1984 lehnte der Beklagte ein Tätigwerden in bezug auf die
Doppelgarage durch Abbruchverfügung ab und führte zur Begründung folgendes
aus: Das Garagenbauwerk sei zwar in Abweichung von den genehmigten
Planunterlagen durch Unterbau höhergesetzt worden, gleichwohl sei sie bezüglich
ihrer Höhe materiell nicht illegal, da sie zum Zeitpunkt der Geltung der HBO 1957
errichtet worden sei, die eine höhenmäßige Begrenzung von Grenzgaragen nicht
vorgesehen habe. Unabhängig davon führe das Vorhandensein der Doppelgarage
nicht zu einer Störung der Nutzung des klägerischen Grundstücks, da der Kläger
auch unmittelbar anschließend seine Garage errichtet habe. Auch das anfallende
Oberflächenwasser könne einen Abbruch der Doppelgarage nicht rechtfertigen. Die
Beigeladene habe sich mit Schreiben vom 04.10.1984 bereit erklärt, die vor der
Garage des Klägers befindliche Ablaufrinne auf ihre Kosten bis auf ihr Grundstück
zu verlängern oder eine kleine Mauer entlang der Grundstücksgrenze zu bauen
sowie die Hälfte der Kosten der Verlängerung des zwischen den Garagen
befindlichen Abflußrohres zu tragen. Darüber hinaus werde ein erheblicher Teil des
Oberflächenwassers aufgrund des Gefälles der Zuwegung in Richtung Garage des
Klägers geführt.
Der Bescheid wurde zum Zweck der Zustellung per Einschreiben am 23.10.1984
bei der Post eingeliefert.
Der Kläger legte gegen den Bescheid mit Schreiben vom 22.11.1984, eingegangen
am 26.11.1984, Widerspruch ein, den er im wesentlichen wie folgt begründete: Die
Beigeladene habe die Baugenehmigung mit falschen Angaben erschlichen. Die
alte Hessische Bauordnung - HBO - in Verbindung mit der Reichsgaragenordnung
habe die gleichen Anforderungen an die Höhe von Grenzgaragen gestellt wie der
spätere § 7 Abs. 5 HBO. Der von der Beigeladenen angebotene Bau einer kleinen
Mauer würde das von der Beigeladenen geschaffene Gegengefälle noch verstärken
und damit das Oberflächenwasser am Weiterfluß hindern. Eine Verlängerung des
zwischen den Garagen befindlichen Abflußrohres sei ebenfalls nicht erforderlich;
das Rohr sei 1972 bis weit in seinen Garten hin verlegt worden, fasse bei starkem
Regen aber nicht all das Wasser, welches sich wegen des Gegengefälles staue.
Mit Bescheid vom 06.08.1985 genehmigte der Beklagte die im Sockelbereich
veränderte Ausführung der Doppelgarage der Beigeladenen nachträglich.
Der Regierungspräsident wies den Widerspruch des Klägers vom 22.11.1984 gegen
den Bescheid des Beklagten vom 18.10.1984 mit Widerspruchsbescheid vom
08.08.1986 mit der Begründung zurück, der Beklagte habe ein bauaufsichtliches
Einschreiten gegen die Doppelgarage der Beigeladenen zu Recht abgelehnt. Die
Voraussetzungen für einen Widerruf bzw. eine nachträgliche Einschränkung einer
Baugenehmigung nach § 101 Abs. 1 HBO lägen nicht vor. Die Genehmigung der
Grenzgarage sei gemäß § 13 Abs. 4 Buchst. a Reichsgaragenordnung - RGaO -
erteilt worden und habe im Hinblick auf die ungünstigen topographischen
Verhältnisse und die Tatsache, daß auf dem klägerischen Grundstück in
Grenznähe bereits eine Garage vorhanden gewesen sei, gemäß § 13 Abs. 5 RGaO
auch trotz Verweigerung der Zustimmung des Klägers erteilt werden können. Die
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auch trotz Verweigerung der Zustimmung des Klägers erteilt werden können. Die
durch die topographischen Verhältnisse bedingte Sockelhöhe der Doppelgarage
sei mit Bauschein vom 06.08.1985 ausdrücklich sanktioniert worden. Die im
Verhältnis zur Garage höherversetzte Doppelgarage führe auch zu keinen
wesentlichen Beeinträchtigungen für den Kläger. Der Beklagte habe dem Ehemann
der Beigeladenen bereits in der Baugenehmigung vom 20.09.1976 zur Auflage
gemacht, das anfallende Oberflächenwasser des Garagendaches und der
Garagenzufahrt innerhalb des Grundstücks zu sammeln und der öffentlichen
Entwässerung zuzuleiten. Die im Zuge des Widerspruchsverfahrens erörterten
Möglichkeiten zur Lösung der Abwasserproblematik seien dem Kläger aber im
Vergleich zu dem geforderten Abbruch der Garage nicht akzeptabel erschienen.
Eine unzumutbare Beeinträchtigung des Klägers oder gar eine Gefährdung der
öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die ein weiteres Einschreiten gemäß § 83
HBO erfordern würde, sei nicht ersichtlich.
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 09.09.1986, bei dem Verwaltungsgericht
Frankfurt am Main eingegangen am darauffolgenden Tag, Klage erhoben. Zur
Begründung seiner Klage hat der Kläger im wesentlichen folgendes vorgetragen:
Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 20.09.1976 hätte widerrufen
werden müssen. § 7 Abs. 5 HBO schreibe für Garagen im Bauwich eine
Außenwandhöhe von 2,50 m vor, tatsächlich werde im vorliegenden Fall eine
solche von mindestens 3,02 m bis 4,42 m erreicht. Auch nach der
Reichsgaragenordnung sei die Erstellung einer Garage an der Nachbargrenze
gegen den Willen des Nachbarn nur dann zulässig gewesen, wenn die Garage nur
dort habe erstellt werden können; die Doppelgarage der Beigeladenen hätte
dagegen auch an anderer Stelle errichtet werden können. Gemäß § 12 RGaO hätte
die Traufe nicht höher als 2,50 m über dem Gelände liegen sollen. Die
topographischen Verhältnisse hätten die Sockelhöhe nicht bedingt, wenn die
Beigeladene nicht zuvor ein Gegengefälle geschaffen und die Garagenzufahrt
aufgeschüttet hätte. Die im Verhältnis zur klägerischen Garage höherversetzte
Doppelgarage der Beigeladenen führe zu folgenden Beeinträchtigungen: Bei jeder
Schneeschmelze und bei jedem Gewitterregen stehe die Garage des Klägers
regelmäßig unter Wasser. In einem der letzten Winter sei der Mieter der
Beigeladenen derart mit seinem Auto abgerutscht, daß das Garagentor des
Klägers erheblich beschädigt worden sei. Im letzten Winter sei das Wasser vor der
Garage des Klägers derart gefroren, daß sich das Garagentor verzogen habe und
nicht mehr abschließbar gewesen sei. Einige Autotypen setzten aufgrund der
Steigung aus der Garage auf. Die Beigeladene habe die ihr in der
Baugenehmigung vom 20.09.1976 zur Auflage gemachte Forderung, das
anfallende Oberflächenwasser des Garagendaches und der Garagenzufahrt
innerhalb ihres Grundstücks zu sammeln und der öffentlichen
Entwässerungsleitung zuzuleiten, bis heute nicht erfüllt.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides des
Regierungspräsidenten vom 8. August 1986 zu verpflichten, die der Beigeladenen
und ihrem verstorbenen Ehemann erteilte Baugenehmigung für die Doppelgarage
vom 20. September 1976 und 6. August 1985 zu widerrufen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat er ausgeführt, dem Kläger stehe ein nachbarrechtlicher
Abwehranspruch, aufgrund dessen er ein Einschreiten gegen die Doppelgarage
verlangen könnte, nicht zu. Ein Großteil des Oberflächenwassers fließe vom
Grundstück der Beigeladenen in Richtung Straße und nicht auf das Grundstück des
Klägers, so daß allenfalls aus einem kleinen Randbereich Oberflächenwasser von
der Garagenzufahrt der Beigeladenen auf das Grundstück des Klägers fließe.
Diesbezüglich habe sich die Beigeladene mit Schreiben vom 04.10.1984 und
03.12.1984 verpflichtet, Abhilfe zu schaffen; der Kläger habe dies jedoch
abgelehnt, so daß die Beigeladene bislang nichts habe veranlassen können. Die
Entwässerungsproblematik habe zudem ihre wesentliche Ursache darin, daß der
Kläger seine eigene Garage im Verhältnis zum Straßenniveau abgesenkt habe. Die
Entwässerung des Garagendaches der Beigeladenen erfolge ordnungsgemäß.
Auch die Garage des Klägers entspreche nicht den Anforderungen des § 7 Abs. 5
HBO.
Die Beigeladene hat sich den Ausführungen des Beklagten angeschlossen und
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Die Beigeladene hat sich den Ausführungen des Beklagten angeschlossen und
ergänzend folgendes vorgetragen: Der Sockel der Doppelgarage sei nötig
gewesen, um auf gleichem Niveau von der Zuwegung in die Garage einfahren zu
können. Der Kläger habe seine Garage dagegen abgesenkt, da das Dach der
Garage ursprünglich als Terrasse genutzt werden sollte. Das Gefälle der
Sackgasse - deren Ausbau von der Gemeinde vorgenommen worden sei - gehe
auf ihrem Grundstück in ein fast ebenes Niveau über; der Regen werde von ihrer
Drainage auf ihr Grundstück geleitet, so daß lediglich von ca. 1,5 qm
Grundstücksfläche eventuell das Regenwasser auf das Grundstück des Klägers
fließe.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 21.08.1990, dem Kläger
zugestellt am 30.10.1990, abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die
Klage auf Widerruf auch der Baugenehmigung vom 06.08.1985 sei zwar trotz
fehlenden Widerspruchsverfahrens zulässig, die Klage sei jedoch insgesamt
unbegründet. Der Kläger habe weder einen Anspruch auf Aufhebung der beiden
Baugenehmigungen noch einen Anspruch darauf, daß der Beklagte nach
pflichtgemäßem Ermessen über die Aufhebung der Baugenehmigung entscheide,
da er durch die Baugenehmigungen vom 20.09.1976 und 06.08.1985 nicht in
seinen öffentlich-rechtlich geschützten Nachbarinteressen verletzt sei.
Mit Schriftsatz vom 23.11.1990, bei dem Verwaltungsgericht eingegangen am
26.11.1990, hat der Kläger Berufung eingelegt und ergänzend im wesentlichen
folgendes vorgetragen: Bevor die Doppelgarage der Beigeladenen errichtet
worden sei, sei die Zufahrt zu seiner eigenen Garage abgeflachter gewesen; durch
den Bau der Doppelgarage sei für ihn die Möglichkeit der Einfahrt in seine Garage
verschlechtert worden. Bei normalem Regen fließe das Oberflächenwasser
zwischen den beiden Garagen ab, nur bei starkem Gewitterregen oder
Schneeschmelze staue sich das Wasser vor seiner Garage; das angebotene
Mäuerchen würde indessen den natürlichen Abfluß noch mehr verhindern.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids des
Regierungspräsidenten vom 8. August 1986 zu verpflichten, die der Beigeladenen
und ihrem verstorbenen Ehemann erteilte Baugenehmigung für die Doppelgarage
vom 20.09.1976 und 06.08.1985 zu widerrufen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladene trägt ergänzend vor, durch den Bau der Doppelgarage sei die
Zufahrt zur klägerischen Garage nicht verändert worden. Die Erd- und
Planierarbeiten für die Privatstraße hätten unter der Aufsicht des Klägers
stattgefunden, die Beigeladene und ihr Ehemann hätten sich zu dieser Zeit im
Urlaub befunden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug
genommen auf die Gerichtsakte des streitgegenständlichen Verfahrens und die in
diesem Verfahren beigezogenen Verwaltungsvorgänge (2 Hefte - Bauakte).
Entscheidungsgründe
II.
Der Senat weist die zulässige Berufung (§§ 124, 125 VwGO) durch Beschluß
zurück, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung
nicht für erforderlich hält (§ 130a VwGO).
Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise gehört worden.
Die vom Kläger erhobene Verpflichtungsklage auf Widerruf der Baugenehmigungen
vom 20.09.1976 und 06.08.1985 ist trotz Verstoßes gegen die Vorschrift des § 68
Abs. 2 VwGO, wonach vor Erhebung der Verpflichtungsklage Rechtmäßigkeit und
Zweckmäßigkeit des den Antrag auf Vornahme ablehnenden Verwaltungsaktes in
einem Vorverfahren nachzuprüfen sind, zulässig. Der Kläger begehrt die
Verpflichtung des Beklagten, die der Beigeladenen und ihrem verstorbenen
Ehemann erteilten Baugenehmigungen für die Doppelgarage vom 20.09.1976 und
06.08.1985 unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids des
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06.08.1985 unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids des
Regierungspräsidenten vom 08.08.1986 zu widerrufen. Einen entsprechenden
Antrag auf Widerruf der vorgenannten Baugenehmigungen hatte der Kläger jedoch
zuvor bei der Beklagten nicht gestellt. Er bat vielmehr mit Schreiben vom
16.05.1984, nachdem er die Anfechtungsklage gegen die Baugenehmigung vom
20.09.1976 in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt
am Main am 08.05.1985 zurückgenommen hatte, den Beklagten darum, dafür
Sorge zu tragen, daß die Doppelgarage, deren Höhe nicht den
Baugenehmigungsunterlagen entspreche, tiefergesetzt, das Gegengefälle
beseitigt und die zur Auflage gemachte Entwässerung eingehalten werde. Der
Beklagte lehnte ein entsprechendes Tätigwerden mit Bescheid vom 18.10.1984
ab. Erst der Regierungspräsident in Darmstadt führte in seinem
Widerspruchsbescheid vom 08.08.1986 ergänzend aus, daß die Voraussetzungen
für einen Widerruf der Baugenehmigung vom 20.09.1976 sowie der
zwischenzeitlich erlassenen Baugenehmigung vom 06.08.1985 nicht vorlägen. Der
Verpflichtungsklage ging demzufolge ein erfolgloses Antragsverfahren, dessen
Recht- und Zweckmäßigkeit in einem Vorverfahren nachzuprüfen gewesen wäre,
nicht voraus.
In der Rechtsprechung wird allgemein die Auffassung vertreten, daß eine
Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage auch ohne Vorverfahren im Sinne der §§ 68
ff. VwGO zulässig ist, wenn sich der Beklagte in der Sache auf die Klage einläßt und
deren Abweisung beantragt oder wenn der Zweck des Vorverfahrens ohnehin nicht
mehr erreicht werden kann (vgl. beispielsweise BVerwG, Urteil vom 15.01.1982 - 4
C 26.78 -, BVerwGE 64, 325 (330)). Es bestehen keine Bedenken, diesen
Gedanken auf die für die Verpflichtungsklage bestehende Prozeßvoraussetzung
des vorausgegangenen Antragsverfahrens zu übertragen (Hess. VGH, Urteil vom
29.11.1973 - IV OE 9/73 -, ESVGH 24 Nr. 34). Eines besonderen Antragsverfahrens
als Prozeßvoraussetzung für eine Verpflichtungsklage bedarf es danach nicht,
wenn der Erhebung der Klage ein Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist, das
unmittelbar zwar ein anderes Begehren des Klägers betraf, mittelbar aber
eindeutig erkennen läßt, daß die Behörde auch einen Antrag des Klägers auf Erlaß
des Verwaltungsakts, den er mit der Verpflichtungsklage erstreiten will, ablehnen
würde; dies gilt jedenfalls, wenn sich die Behörde auf die Verpflichtungsklage in
ablehnendem Sinne sachlich eingelassen hat (Hess. VGH, Urteil vom 29.11.1973,
a.a.O.). Der Beklagte hat mit Bescheid vom 18.10.1994 ein bauaufsichtliches
Einschreiten gegen die Doppelgarage der Beigeladenen abgelehnt und die im
Sockelbereich veränderte Ausführung mit Bescheid vom 06.08.1985 ausdrücklich
sanktioniert. Der Regierungspräsident in Darmstadt hat zudem in seinem
Widerspruchsbescheid vom 08.08.1986 ergänzend ausgeführt, daß die
Voraussetzungen für einen Widerruf bzw. eine nachträgliche Einschränkung der
Baugenehmigungen vom 20.09.1976 und 06.08.1985 gemäß § 101 Abs. 1 HBO
1977 nicht vorlägen. Das vorangegangene Verwaltungsverfahren läßt demzufolge
eindeutig erkennen, daß die Behörde auch einen Antrag des Klägers auf Widerruf
der Baugenehmigungen ablehnen würde. Der Beklagte hat sich zudem in seiner
Klageerwiderung zur Sache eingelassen, ohne das fehlende Antragsverfahren in
bezug auf den begehrten Widerruf der Baugenehmigungen zu rügen. Nach
alledem setzt die Zulässigkeit der Verpflichtungsklage im vorliegenden Fall ein
erfolgloses Antragsverfahren, dessen Recht- und Zweckmäßigkeit in einem
Vorverfahren nachzuprüfen gewesen wäre, nicht voraus.
Die Klage ist indessen unbegründet.
Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Rücknahme oder Widerruf noch ein
Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über Rücknahme oder Widerruf
der Baugenehmigungen vom 20.09.1976 und 06.08.1985 zu.
Die Rücknahme bzw. der Widerruf von Baugenehmigungen richtet sich auch unter
Geltung der am 01.06.1994 in Kraft getretenen neuen Hessischen Bauordnung
vom 20.12.1993 (GVBl. 1993 I 655) nach §§ 48 ff. HVwVfG, da die neue HBO
ebenso wie die HBO 1990 keine dem früheren § 101 HBO 1977 entsprechende
Vorschrift enthält; das Wahlrecht des Art. 2 § 1 Abs. 3 HBOÄndG zugunsten
früheren Baurechts gilt dabei nur für den Bauantragsteller selbst, nicht für seinen
Nachbarn.
Die Behörde kann zwar einen rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt
gemäß § 48 Abs. 1 HVwVfG grundsätzlich jederzeit zurücknehmen; der Betroffene
hat darauf jedoch keinen jederzeit geltend zu machenden Rechtsanspruch. Die
Rechtsmittelfristen geben dem Betroffenen eine zeitlich begrenzte Möglichkeit,
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Rechtsmittelfristen geben dem Betroffenen eine zeitlich begrenzte Möglichkeit,
sich gegen Verwaltungsakte zur Wehr zu setzen, die er für rechtswidrig hält. Nach
Ablauf dieser Fristen hat sich der Betroffene des Rechts begeben, rechtliche
Einwendungen gegen einen fehlerhaften, aber gültigen Verwaltungsakt
vorzubringen (Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Erster Band,
Allgemeiner Teil, 10. Aufl., 1973, § 13b (S. 264)). Aufgrund der Tatsache, daß die
Verbindlichkeit des (unanfechtbaren) Verwaltungsaktes mit Drittwirkung nicht nur
im öffentlichen Interesse der Rechtssicherheit, sondern ebenso im Interesse des
Begünstigten liegt, kann dem Dritten ein öffentlichrechtlicher Aufhebungsanspruch
nur solange zuerkannt werden, wie der Verwaltungsakt, auf den er gerichtet ist,
noch nicht unanfechtbar geworden ist (Horn, Der Aufhebungsanspruch beim
Verwaltungsakt mit Drittwirkung, DÖV 1990, 864 (867 f.); Ule/Laubinger,
Verwaltungsverfahrensrecht, 3. Aufl., 1986, § 61 IV 2 (S. 423)). Eine Ausnahme gilt
nur dann, wenn der Betroffene gemäß § 51 HVwVfG das Wiederaufgreifen des
Verfahrens und in diesem Zusammenhang gegebenenfalls die Rücknahme oder
den Widerruf des (unanfechtbaren) Verwaltungsaktes verlangen kann
(Ule/Laubinger, a.a.O.).
Der Kläger hat die von ihm ursprünglich erhobene Anfechtungsklage gegen die
Baugenehmigung vom 20.09.1976 in der mündlichen Verhandlung vor dem
Verwaltungsgericht Frankfurt am Main am 08.05.1984 zurückgenommen. Gegen
die Nachtragsbaugenehmigung vom 06.08.1985, von deren Existenz der Kläger
aufgrund der Ausführungen des Regierungspräsidenten in der Begründung des
Widerspruchsbescheides vom 08.08.1986 Kenntnis erlangte, hat der Kläger bis
zum heutigen Zeitpunkt keinen Widerspruch eingelegt. Die Baugenehmigung vom
20.09.1976 und die Nachtragsbaugenehmigung vom 06.08.1985 sind demzufolge
zwischenzeitlich unanfechtbar (bestandskräftig) geworden. Die Voraussetzungen
für einen Anspruch auf Rücknahme oder Widerruf der vorgenannten
Baugenehmigungen in Verbindung mit den Voraussetzungen für ein
Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 HVwVfG hat der Kläger allenfalls
insoweit dargetan, als er sich darauf beruft, daß die Beigeladene die mit der
Baugenehmigung vom 20.09.1976 verbundene Auflage, das anfallende
Oberflächenwasser des Garagendaches und der Garagenzufahrt innerhalb ihres
Grundstück zu sammeln und der öffentlichen Entwässerung zuzuleiten, bis zum
heutigen Tag nicht erfüllt habe. Dies ist ein nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HVwVfG
beachtlicher Tatbestand. Ein Widerruf kommt auch bei rechtswidrigen
Verwaltungsakten in Betracht, die nicht zurückgenommen werden (sollen) (Kopp,
VwVfG, 5. Aufl., § 48 Rdnrn. 19 u. 39), so daß die Frage der Rechtmäßigkeit der der
Beigeladenen erteilten Baugenehmigung offen bleiben kann.
Unabhängig davon, ob es sich dabei um eine nachträgliche Änderung der
Sachlage handelt, die ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 Abs. 1 Nr.
1 HVwVfG ermöglichen könnte, und ob die mit der Baugenehmigung vom
20.09.1976 verbundene Auflage zugunsten des Klägers drittbegünstigende
Wirkung entfaltet, würde dem Kläger daraus ein Anspruch auf Widerruf der
Baugenehmigung vom 20.09.1976 - und damit auch der
Nachtragsbaugenehmigung vom 06.08.1985 - bzw. auf ermessensfehlerfreie
Entscheidung über den Widerruf gemäß § 49 Abs. 2 Nr. 2 HVwVfG nicht erwachsen.
Der Beklagte hat in seiner Klageerwiderung vom 05.03.1987 vorgetragen, daß die
Entwässerung des Garagendaches nochmals überprüft und für ordnungsgemäß
befunden worden sei; der Kläger ist diesem Vortrag nicht entgegengetreten.
Hinsichtlich der Entwässerung der Garagenzufahrt, die nur auf einer kleinen
Teilfläche Gefälle zur Grenze mit dem Grundstück des Klägers hat, hat sich die
Beigeladene bereits mit Schreiben vom 16.05.1984 auf Vorschlag des Beklagten
verpflichtet, die vor der Garage des Klägers befindliche Ablaufrinne auf ihre Kosten
bis an ihr Grundstück zu verlängern, sofern der Kläger zustimme, diese Arbeiten
auf seinem Grundstück durchführen zu lassen; der Kläger hat diesem Vorschlag
nicht zugestimmt. Darüber hinaus hat die Beigeladene angeboten, eine kleine
Mauer entlang der Grundstücksgrenze mit einer erhöhten Kante von ca. 8 bis 10
cm zu bauen sowie die Hälfte der Kosten für die Verlängerung des zwischen den
Garagen befindlichen Abflußrohres zu tragen. Im Hinblick auf die Teilerfüllung der
mit der Baugenehmigung vom 20.09.1976 verbundenen Auflage, die geringe
tatsächliche Bedeutung des ausstehenden Restes und der im übrigen gezeigten
Bereitschaft der Beigeladenen zu einer angemessenen Lösung wäre ein Widerruf
der Baugenehmigung unverhältnismäßig und damit ermessensfehlerhaft.
Darüber hinausgehende Gründe, die ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im Sinne
des § 51 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 HVwVfG und gegebenenfalls die Rücknahme oder den
Widerruf der Baugenehmigungen gemäß §§ 48, 49 HVwVfG rechtfertigen könnten,
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Widerruf der Baugenehmigungen gemäß §§ 48, 49 HVwVfG rechtfertigen könnten,
hat der Kläger nicht dargetan. Die Ausführungen des Klägers wiederholen sich
darin, daß die Baugenehmigung vom 20.09.1976 und die
Nachtragsbaugenehmigung vom 06.08.1985 bereits zum damaligen Zeitpunkt
materiell rechtswidrig gewesen seien.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Billigkeit gebietet es nicht, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen
gemäß § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig zu erklären, da sie keinen Antrag
gestellt und damit kein Kostenrisiko auf sich genommen hat (vgl. § 154 Abs. 3
VwGO).
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2
VwGO nicht vorliegen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 1 Abs. 1b, 13 Abs. 1 Satz 2, 14 Abs. 1 des
Gerichtskostengesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Änderung von
Kostengesetzen vom 09.12.1986 (BGBl. I 2326) - GKG -. Der Senat bemißt das
Interesse des Klägers an dem begehrten Widerruf der Baugenehmigungen für die
Doppelgarage mangels anderweitiger Anhaltspunkte mit dem im Zeitpunkt des
Eingangs der Berufung geltenden Auffangstreitwert von 6.000,-- DM.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.