Urteil des HessVGH vom 30.08.1991

VGH Kassel: öffentliches interesse, vollziehung, aufschiebende wirkung, geschäftsführung, zivilprozessrecht, quelle, immaterialgüterrecht, unternehmen, verwaltungsrecht, rechtsschutz

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
8. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 TH 1655/91
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 35 Abs 1 GewO, § 80 Abs
5 VwGO
(Sofortige Vollziehung der Gewerbeuntersagung; Anstieg
von Rückständen; Einfluß auf Geschäftsführung)
Gründe
I.
Die Antragstellerin wendet sich in diesem Eilverfahren gegen die sofortige
Vollziehung der ihr gegenüber vom Regierungspräsidium Kassel durch Bescheid
vom 4. April 1989 ausgesprochenen Gewerbeuntersagung; die Antragstellerin
betreibt das von ihrem Ehemann am 1. April 1987 übernommene
Sandstrahlunternehmen. Bis zum 31. März 1987 hatte der Ehemann der
Antragstellerin das Unternehmen betrieben, nachdem ihm ebenfalls vom
Regierungspräsidium Kassel durch Bescheid vom 6. Januar 1986 wegen
Unzuverlässigkeit jede selbständige Gewerbeausübung untersagt worden war.
Die gegen die Antragstellerin gerichtete Gewerbeuntersagung begründete das
Regierungspräsidium im wesentlichen damit, die Antragstellerin habe
Sozialbeiträge nicht pünktlich und freiwillig gezahlt, habe ihre steuerlichen
Zahlungs- und Erklärungspflichten nicht erfüllt, gegen die Antragstellerin seien
Haftbefehle zur Erzwingung der eidesstattlichen Versicherung ergangen, die
Antragstellerin sei finanziell leistungsunfähig und sie räume ihrem
gewerberechtlich unzuverlässigen Ehemann maßgeblichen Einfluß auf ihren
Gewerbebetrieb ein.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung im Widerspruchsbescheid vom 8.
September 1989 stützte das Regierungspräsidium im wesentlichen darauf, der
Rückstand der Antragstellerin beim Finanzamt sei von 56.529,-- DM bei
Gewerbeuntersagung innerhalb von nur fünf Monaten auf über 100.000,-- DM
angewachsen, mit einem weiteren erheblichen Anstieg der Rückstände müsse
gerechnet werden.
Nach erfolgtem Vorverfahren erhob die Antragstellerin bei dem Verwaltungsgericht
Kassel am 12. Oktober 1989 Klage (2/3 E 1500/89) und begehrte dort am 3. Januar
1990 auch vorläufigen Rechtsschutz. Letzterem Begehren entsprach das
Verwaltungsgericht durch Beschluß vom 27. Mai 1991 im wesentlichen mit der
Begründung, ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der
Gewerbeuntersagung sei im Falle der Antragstellerin nicht gegeben, weil nicht nur
die Antragstellerin selbst, sondern auch deren Ehemann inzwischen schuldenfrei
gegenüber den öffentlichen Kassen seien und der Ehemann der Antragstellerin
deren Gewerbebetrieb nicht konkret negativ beeinflusse; dies folge daraus, daß
der Gewerbebetrieb inzwischen sogar schuldenfrei sei.
Gegen den ihm am 21. Juni 1991 zugestellten Beschluß hat das
Regierungspräsidium am 4. Juli 1991 Beschwerde eingelegt und diese mit
Schriftsatz vom 12. Juli 1991 näher begründet. Die Antragstellerin ist der
Beschwerde entgegengetreten.
Wegen des weiteren Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im
einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Akten des Verwaltungsgerichts
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einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Akten des Verwaltungsgerichts
Kassel - 2/3 E 1500/89 - und auf den Inhalt der die Antragstellerin betreffenden
Verwaltungsvorgänge des Regierungspräsidiums Kassel (4 Hefter), die beigezogen
und zum Gegenstand der Beratung gemacht worden sind, Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg und ist daher zurückzuweisen. Denn
der zur Entscheidung angerufene Senat folgt dem Verwaltungsgericht in der
Rechtsauffassung, daß ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der
erfolgten Gewerbeuntersagung im gegebenen Falle nicht vorliegt. Der von dem
Regierungspräsidium in erster Linie zur Begründung der angeordneten sofortigen
Vollziehung herangezogene Grund, es müsse bei der Antragstellerin mit einem
weiteren erheblichen Anstieg der Rückstände gerechnet werden, ist entfallen.
Denn die Rückstände der Antragstellerin sind nicht nur nicht erheblich
angestiegen, sie sind vielmehr vollständig zurückgeführt worden; zudem sind auch
die Rückstände des Ehemannes der Antragstellerin getilgt worden.
Soweit die angeordnete sofortige Vollziehung darauf gestützt worden ist, daß die
Antragstellerin ihrem gewerberechtlich unzuverlässigen Ehemann maßgeblichen,
negativen Einfluß auf die Geschäftsführung ihres Gewerbebetriebes einräume, ist
dem Verwaltungsgericht ebenfalls in der Rechtsauffassung zu folgen, daß ein
etwaiger Einfluß des gewerberechtlich unzuverlässigen Ehemannes der
Antragstellerin in Ansehung der zurückgeführten Schulden jedenfalls nicht derart
negativ auf die Geschäftsführung des Gewerbebetriebes sein kann, daß vorliegend
die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse geboten wäre. Es mag sein, daß
es sich für die Antragstellerin im Klageverfahren nachteilig auswirkt, wenn sie
ihrem gewerberechtlich unzuverlässigen Ehemann Einfluß auf die
Geschäftsführung ihres Gewerbebetriebes einräumt. Es kann nach der
Rechtsansicht des Senats aber nicht die Rede davon sein, die Klage der
Antragstellerin sei offensichtlich aussichtslos und bereits deshalb die sofortige
Vollziehung geboten.
Im übrigen war der Tenor des erstinstanzlichen Beschlusses zum Teil neu zu
fassen, weil nach der Rechtsauffassung des Senats das Verwaltungsgericht die
aufschiebende Wirkung der Klage und nicht die des Widerspruchs hätte
wiederherstellen müssen. Die sofortige Vollziehung ist erst im
Widerspruchsbescheid angeordnet worden. Die vom Verwaltungsgericht für die
gegenteilige Ansicht zitierte Literaturstelle erfaßt den vorliegenden Fall nicht,
sondern unterscheidet lediglich danach, ob der Klage ein Widerspruchsverfahren
vorausgeht oder nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf dem entsprechend
anzuwendenden § 14 und auf § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO und § 25 Abs. 2 Satz 2
GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.