Urteil des HessVGH vom 17.02.2011
VGH Kassel: wirtschaftliche einheit, unvollständige angabe, ablauf der frist, vorkaufsrecht, grundstück, stadt, magistrat, anfang, ermessensfehler, bankrecht
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
4. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 A 2397/10.Z
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 24 Abs 1 S 1 Nr 6 BauGB,
§ 24 Abs 3 S 2 BauGB, § 28
Abs 2 BauGB, § 34 Abs 2
BauGB, § 45 VwVfG HE
Ausübung eines gemeindlichen Vorkaufsrechts, Angabe
des Verwendungszwecks.
Leitsatz
1) Die fehlende oder unvollständige Angabe des Verwendungszwecks (§ 24 Abs. 3 Satz
2 BauGB) macht die Ausübung des Vorkaufsrechts für sich genommen nicht
rechtsfehlerhaft.
2) Ein Nachschieben des Verwendungszwecks nach Maßgabe des § 45 Abs. 1 Nr. 2
HVwVfG ist auch nach Ablauf der Zweimonatsfrist des § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB
möglich.
Tenor
Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 6. Oktober 2010 - 6 K 666/09.WI - wird
abgelehnt.
Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsantragsverfahrens je zu einem Drittel
zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Zulassungsantragsverfahren
auf 30.000,-- € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Kläger wenden sich gegen die Ausübung eines Vorkaufsrechts durch die
Beklagte.
Mit zwei notariellen Kaufverträgen vom 6. Dezember 2007 verkauften die Kläger zu
1. und 2. die Grundstücke Flur …, Flurstück ...a (Gemarkung X.), Flur …, Flurstücke
…b und …c (Gemarkung X.) an den Kläger zu 3.. Nach § 8 dieser Verträge besteht
eine wirtschaftliche Einheit zwischen beiden Kaufverträgen.
Mit Bescheid vom 31. Januar 2008 übte die Beklagte gegenüber dem Kläger zu 1.
das gemeindliche Vorkaufsrecht gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BauGB bezüglich
des Grundstücks Flur …, Flurstück …a, aus und erklärte, dass sie vollinhaltlich in
die eine wirtschaftliche Einheit bildenden Kaufverträge vom 6. Dezember 2007
eintrete.
Mit Schreiben vom 7. Februar 2008 erhoben der Kläger zu 3. und mit Schreiben
vom 26. Februar 2008 die Kläger zu 1. und 2. Widerspruch gegen den Bescheid der
Beklagten vom 31. Januar 2008. Der Kläger zu 3. führte zur Begründung seines
Widerspruchs u. a. aus, dass der angefochtene Bescheid formell rechtswidrig sei,
da er keine Begründung und keine Angabe des Verwendungszwecks enthalte.
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Daraufhin begründete die Beklagte mit Schreiben vom 10. März 2008 den
Bescheid vom 31. Januar 2008 nachträglich und führte aus:
„Gemäß § 34 Abs. 2 BauGB soll das Grundstück Gemarkung X. , Flur …,
Flurstück …a, im Rahmen der städtebaulichen Entwicklung und Neuordnung zur
Bebauung entwickelt und Taunussteinern im Rahmen der gültigen Grundsätze und
Richtlinien der Baulandpolitik der Stadt Taunusstein zum Erwerb angeboten
werden. Die Stadt Taunusstein weist nach den Grundsätzen und Richtlinien der
Baulandpolitik nur dort Bauland aus, die zum überwiegenden Teil im Eigentum der
Stadt Taunusstein stehen. Durch die Grundsätze und Richtlinien der Baulandpolitik
wird den sozialen Bedürfnissen bei der Auswahl der Grundstücksbewerber
Rechnung getragen. Die Grundstücke werden von der Stadt Taunusstein zum
Selbstkostenpreis an die ausgewählte Bewerbergruppe nach dem beschlossenen
Punktekatalog vergeben. Die Grundsätze und Richtlinien liegen als Anlage bei.“
Mit Bescheiden vom 5. Mai 2008 bzw. 25. Mai 2009 wies die Beklagte die
Widersprüche der Kläger zurück.
Das Verwaltungsgericht wies die hiergegen gerichtete Klage mit Urteil vom 6.
Oktober 2010 ab.
Die Kläger beantragen, die Berufung gegen diese Entscheidung zuzulassen.
II.
Der statthafte Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegt nicht vor.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtsstreitigkeit, wenn sie eine rechtliche
oder tatsächliche Frage aufwirft, die für die Berufungsinstanz
entscheidungserheblich ist und über den Einzelfall hinaus im Interesse der
Rechtsprechung einer Klärung bedarf. Die Rechts- oder Tatsachenfrage muss
allgemein klärungsbedürftig sein und nach Zulassung der Berufung anhand des
zugrundeliegenden Falles mittels einer verallgemeinerungsfähigen Aussage
geklärt werden können (Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 124 Rdnr. 10).
Die Kläger haben die Frage als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfen, ob
das Fehlen der Angabe des Verwendungszwecks die Ausübung des gemeindlichen
Vorkaufsrechts rechtswidrig macht. Diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung
der Berufung, da sich deren Beantwortung aus dem Gesetz ergibt. Zwar hat das
Bundesverwaltungsgericht (Beschluss vom 15.02.1990 - BVerwG 4 B 245/89 - BRS
50 Nr. 107) offengelassen, welche Folgen das Fehlen der Angabe des
Verwendungszwecks hat. Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass die
fehlende Angabe des Verwendungszwecks die Ausübung des Vorkaufsrechts für
sich genommen rechtsfehlerhaft macht (Schrödter, Baugesetzbuch, 7. Aufl., § 24
Rdnr. 38 Roos, in: Brügelmann, Baugesetzbuch, Stand: September 2010, § 28
Rdnr. 15 b). Die damit vertretene Beschränkung der Prüfung, ob das Wohl der
Allgemeinheit die Ausübung des Vorkaufsrechts rechtfertigt, auf den angegebenen
Verwendungszweck, findet im Gesetz jedoch keine Stütze. Dem Gesetz lässt sich
nicht entnehmen, dass in der Verpflichtung zur Angabe des Verwendungszwecks
(vgl. § 24 Abs. 3 Satz 2 BauGB) eine zusätzliche materielle Anforderung neben
dem Gemeinwohlerfordernis des § 24 Abs. 3 Satz 1 BauGB geregelt werden sollte.
Zwar hat die Angabe des Verwendungszwecks Bedeutung für die Möglichkeit der
Abwendung des Vorkaufsrechts nach § 27 Abs. 1 BauGB und ist auch Grundlage
für die Beurteilung der Frage, ob die Inanspruchnahme des Grundstücks durch das
Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt ist. Die fehlende oder unvollständige Angabe
des Verwendungszwecks macht die Ausübung des Vorkaufsrechts für sich
genommen aber nicht rechtsfehlerhaft, weil es objektiv darauf ankommt, ob das
Wohl der Allgemeinheit die Ausübung des Vorkaufsrechts für den von der
Gemeinde beabsichtigten Verwendungszweck rechtfertigt (Paetow, in: Berliner
Kommentar zum Baugesetzbuch, Stand: September 2010, § 24 Rdnr. 22; Stock,
in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, Baugesetzbuch, Stand: September 2010, § 24 Rdnr.
81; Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 11. Aufl., § 24 Rdnr.
21; Jäde, in: Jäde/Dirnberger/Weiss, Baugesetzbuch, Baunutzungsverordnung, 4.
Aufl., § 24 Rdnr. 23; Bracher, in: Gelzer/Bracher/Reidt, Bauplanungsrecht, 7. Aufl.,
Rdnr. 2553).
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Die weiter von den Klägern aufgeworfene Frage, ob „das Nachschieben eines von
Anfang an fehlenden Verwendungszwecks zeitlich unbegrenzt möglich ist“,
rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Berufung. Auch diese Frage lässt sich
aus dem Gesetz beantworten.
Die Frist des § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB gilt nach dem eindeutigen Wortlaut der
Bestimmung nur für die Ausübung des Vorkaufsrechts. Fehlt die Angabe des
Verwendungszwecks, so ist die Begründung der Ermessensentscheidung
unvollständig und der Bescheid über die Ausübung des Vorkaufsrechts deshalb
rechtswidrig. Ein solcher Ermessensfehler ist allerdings nach Maßgabe des
Verwaltungsverfahrensrechts (§ 45 Abs. 1 Nr. 2 HVwVfG) heilbar, und zwar auch
nach Ablauf der Frist des § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB. Die Verpflichtung zur Angabe
des Verwendungszwecks „bei der Ausübung des Vorkaufsrechts“ schließt spätere
Korrekturen, insbesondere im Widerspruchsverfahren, soweit das
Verwaltungsverfahrensrecht dies zulässt, aber auch im Klageverfahren nicht aus
(Bracher, a. a. O., Rdnr. 2553).
Die weiterhin geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des
angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht.
Die Kläger machen insoweit geltend, das Verwaltungsgericht sei rechtsfehlerhaft
davon ausgegangen, dass vor der Nennung des Verwendungszwecks kein weiterer
Magistratsbeschluss habe gefasst werden müssen. Dem Protokoll der Sitzung des
Magistrats vom 28. Januar 2008 lasse sich nicht entnehmen, dass der
Verwendungszweck der Beschlussfassung über die Ausübung des Vorkaufsrechts
zugrundegelegen habe. Wenn man - dem Verwaltungsgericht folgend - die
Möglichkeit einer nachträglichen Angabe des Verwendungszwecks zulasse, setze
dies die Entscheidung des zuständigen Gemeindeorgans voraus. Eine solche liege
hier nicht vor.
Dieser Vortrag begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der
angefochtenen Entscheidung. Gemäß § 2 der Hauptsatzung der Beklagten ist dem
Magistrat die Entscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts übertragen.
Diese Entscheidung hat der Magistrat der Beklagten in dem Beschluss vom 28.
Januar 2008 gefasst. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen,
dass sich der Magistrat auch mit der Frage befasst hat, zu welchem Zweck das
Vorkaufsrecht ausgeübt werden soll. Dies ergibt sich daraus, dass mit dem
Beschluss vom 28. Januar 2008 einer Beschlussvorlage des Fachbereichs 2,
Liegenschaftsmanagement, der Beklagten zugestimmt wurde und in der
betreffenden Beratungs- und Beschlussvorlage vom 18. Januar 2008 der
Sachverhalt beschrieben und der Verwendungszweck genannt wird. Unabhängig
hiervon steht der Annahme der Kläger, dass die Angabe des Verwendungszwecks
durch ein unzuständiges Gemeindeorgan erfolgt sei, entgegen, dass die mit
Schreiben vom 10. März 2008 erfolgte Angabe des Verwendungszwecks auch vom
Magistrat der Beklagten unterzeichnet wurde.
Die Kläger machen ferner geltend, die Ermessensausübung sei fehlerhaft, da die
Beklage das Vorkaufsrecht lediglich für das Grundstück Flur …, Flurstück …a,
Gemarkung X. , geltend gemacht habe und dennoch vollinhaltlich in die
Kaufverträge auch bezüglich der Grundstücke Flur …, Flurstücke …b und …c,
Gemarkung X. , eingetreten sei. Dieser Vortrag führt ebenfalls nicht zur Zulassung
der Berufung. Das Vorkaufsrecht wurde ausweislich des Bescheids der Beklagten
vom 31. Januar 2008 nur für das Grundstück Flur …, Flurstück …a, Gemarkung X.,
ausgeübt. Die Tatsache, dass die Beklagte durch die Ausübung des
Vorkaufsrechts in die Kaufverträge bezüglich der Grundstücke Flur …, Flurstück …b
und …c, eingetreten ist, ergibt sich daraus, dass die beiden
Grundstückskaufverträge nach dem Willen der Vertragsparteien eine
wirtschaftliche Einheit bilden (vgl. § 8 der Grundstückskaufverträge). Nach § 464
Abs. 2 BGB, der gemäß § 28 Abs. 2 Satz 2 BauGB für anwendbar erklärt wird,
entsteht zwischen dem Verkäufer und der Gemeinde mit der Ausübung des
Vorkaufsrechts ein selbständiger Kaufvertrag, der den zwischen dem Verkäufer
und dem Käufer vereinbarten Inhalt hat (Schrödter, a. a. O., § 28 Rdnr. 12).
Entgegen der Auffassung der Kläger liegen auch die materiell-rechtlichen
Voraussetzungen für das auf § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BauGB gestützte
Vorkaufsrecht vor. Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BauGB steht der Gemeinde ein
Vorkaufsrecht zu beim Kauf von Grundstücken in Gebieten, die nach §§ 30, 33
oder 34 Abs. 2 BauGB vorwiegend mit Wohngebäuden bebaut werden können,
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oder 34 Abs. 2 BauGB vorwiegend mit Wohngebäuden bebaut werden können,
soweit die Grundstücke unbebaut sind. Da diese Bestimmung nur auf Gebiete
verweist, die nach § 34 Abs. 2 BauGB vorwiegend mit Wohngebäuden bebaut
werden können, muss die Eigenart der Umgebung nach den Grundsätzen des § 34
Abs. 2 BauGB einem Kleinsiedlungsgebiet, einem reinen Wohngebiet, einem
allgemeinen Wohngebiet oder einem besonderen Wohngebiet entsprechen, da nur
diese Gebiete nach den Bestimmungen der Baunutzungsverordnung vorwiegend
dem Wohnen dienen (Schrödter, a. a. O., § 24 Rdnr. 18 e). Diese Voraussetzung ist
hier erfüllt, da - wie sich aus den von der Beklagten im erstinstanzlichen Verfahren
vorgelegten Unterlagen (vgl. Bl. 76 ff. Gerichtsakte) ergibt - für die umliegenden
Bereiche des streitgegenständlichen Grundstücks verschiedene Bebauungspläne
vorliegen, die sämtlich allgemeine bzw. reine Wohngebiete ausweisen. An dieser
Einschätzung ändert sich auch nichts dadurch, dass der Flächennutzungsplan das
in Rede stehende Grundstück als gemischte Baufläche darstellt. Die Darstellungen
im Flächennutzungsplan sind ohne rechtliche Auswirkungen auf das Vorkaufsrecht
(vgl. Paetow, in: Berliner Kommentar zum Baugesetzbuch, Stand: September
2010, § 24 Rdnr. 18).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100
Abs. 1 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach der Bedeutung der Sache für die Kläger
(§§ 47, 52 GKG) und entspricht der nicht zu beanstandenden Festsetzung der
Vorinstanz.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m.
§ 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.