Urteil des HessVGH vom 15.10.1997
VGH Kassel: hessen, dienstzeit, urkunde, auszahlung, beurlaubung, verordnung, hauptsache, besoldung, unterricht, fürsorge
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
1. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 UE 3545/97
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 96 BG HE, § 1 JubV HE, §
2 JubV HE
(Ehrengabe zum Dienstjubiläum - Sonderurlaub für
Privatschuldienst)
Tatbestand
Die 58-jährige Klägerin begehrt die Auszahlung einer Ehrengabe anläßlich der
Vollendung ihres 25-jährigen Dienstjubiläums. Sie steht als Oberstudienrätin im
Dienst des beklagten Landes und ist seit ihrer Ernennung zur Assessorin im Jahre
1967 zum Unterricht an dem Privatgymnasium in Kassel ohne Dienstbezüge
beurlaubt. Das dienstliche Interesse an diesem Sonderurlaub wurde alle fünf Jahre
durch Erlasse des Hessischen Kultusministers, zuletzt am 11. August 1986,
anerkannt, soweit es sich aus den Personalakten ergibt. Nach Vollendung der 25-
jährigen Dienstzeit der Klägerin vermerkte der Personalsachbearbeiter des
Regierungspräsidiums Kassel unter dem 2. Februar 1990 in der Personalakte der
Klägerin "Ist a. Privatschule beurlaubt. Wird deshalb nicht geehrt."
Unter dem 17. September 1990 beantragte die Klägerin, ihr die Ehrengabe
auszuzahlen. Diesen Antrag lehnte das Regierungspräsidium Kassel mit Bescheid
vom 15. Oktober 1990 ab, weil die Klägerin fortdauernd in den Privatschuldienst
beurlaubt sei. Mit Schreiben vom 3. November 1990 widersprach die Klägerin
dieser Auffassung. Mit Widerspruchsbescheid vom 5. Dezember 1990 wies das
Regierungspräsidium Kassel den Widerspruch zurück, der am 20. Dezember 1990
der Klägerin ausgehändigt wurde.
Am 15. Januar 1991 hat sie Klage erhoben und beantragt,
den Bescheid des Regierungspräsidiums K vom 15. Oktober 1990 und den
Widerspruchsbescheid derselben Behörde vom 5. Dezember 1990 aufzuheben und
das beklagte Land zu verpflichten, die Ehrengabe aus Anlaß ihres 25-jährigen
Dienstjubiläums in Höhe von 600,00 DM an sie auszuzahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit Schriftsatz vom 25. Juli 1992 hat die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren
den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, weil ihr die Ehrengabe von
600,00 DM von dem Privatgymnasium freiwillig und ohne Anerkennung einer
Rechtspflicht ausgezahlt worden sei. Der Beklagte hat sich dieser
Erledigungserklärung nicht angeschlossen, weil auf Seiten des Landes ein
berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen Klärung des streitigen Sachverhalts
bestehe. Daraufhin hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 14. September 1992
mitgeteilt, daß sie ihre Erledigungserklärung nicht mehr aufrechterhalte und im
Termin den Antrag aus der Klageschrift stellen werde.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das Verwaltungsgericht der Klage mit
Gerichtsbescheid vom 22. März 1995 stattgegeben. Auf die Beschwerde des
Beklagten hat es mit Beschluß vom 5. Mai 1995 die Berufung zugelassen, die der
Beklagte wie folgt begründet:
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§ 96 Satz 1 HBG regele nur, daß die Beamten bei Dienstjubiläen eine Ehrengabe
erhielten; wie die Zahlung im einzelnen zu leisten sei, werde nicht bestimmt. Das
ergebe sich aus § 2 Abs. 2 Satz 1 der Dienstjubiläumsverordnung, wonach die
Ehrengabe und die Urkunde am Tage des Dienstjubiläums übergeben werden
sollen. Diese "Soll-Vorschrift" erfasse die typischen Normalfälle, im übrigen solle
sie ein Abweichen von der Regel in atypischen Situationen ermöglichen, die über
die Fälle des § 6 der Dienstjubiläumsverordnung hinaus denkbar seien. Der Fall der
Klägerin sei atypisch, weil sie nicht im öffentlichen Schuldienst tätig sei, sondern
Sonderurlaub ohne Bezahlung der Bezüge für den Privatschuldienst erhalten habe.
Daß diese Beurlaubung im öffentlichen Interesse bewilligt worden sei, spiele keine
Rolle. Als beurlaubte Beamtin stehe sie anderen gleich, die während des
Sonderurlaubs keine Ansprüche auf Besoldung oder sonstige finanzielle
Leistungen hätten. Die Ehrengabe könne daher erst ausgezahlt werden, wenn der
Sonderurlaub beendet sei. Die Gewährung von Beihilfe während der Zeit des
Sonderurlaubs der Klägerin sei mit der Auszahlung der Ehrengabe nicht
vergleichbar, weil das Fortbestehen des Beihilfeanspruchs ausdrücklich geregelt
sei. Hätte der Verordnungsgeber für den Fall der Dienstjubiläen eine
entsprechende Ausnahmeregelung gewollt, so hätte er dies ebenfalls in die
Dienstjubiläumsverordnung aufgenommen.
Der Beklagte beantragt,
den angefochtenen Gerichtsbescheid aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin hat im Berufungsverfahren keinen Antrag gestellt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche
Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und die Personalakten des
Regierungspräsidiums K über die Klägerin (1 Band) Bezug genommen, die
Gegenstand der Senatsberatung waren.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten
ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 125 Abs. 1, § 101 Abs. 2
VwGO), bleibt ohne Erfolg, weil das Verwaltungsgericht der Klage in dem
angefochtenen Gerichtsbescheid zu Recht stattgegeben hat.
Das Verwaltungsgericht konnte über den Klageantrag entscheiden, obwohl die
Klägerin mit Schriftsatz vom 25. Juli 1992 den Rechtsstreit in der Hauptsache für
erledigt erklärt hatte. Dieser Erledigungserklärung hat sich der Beklagte nicht
angeschlossen, so daß die Klägerin diese Prozeßhandlung zurücknehmen konnte,
was sie mit Schriftsatz vom 14. September 1992 ausdrücklich getan hat (vgl.
hierzu BVerwG, Urteil vom 15. November 1991, DVBl. 1992, 277 m.w.N.). Der
Rechtsstreit ist also nicht - wie sonst in Fällen einseitiger klägerischer
Erledigungserklärung - in einen sog. Erledigungsrechtsstreit übergegangen, in dem
nur dann in der Hauptsache entschieden werden kann, wenn die Gegenseite - hier:
der Beklagte - ein schützenswertes Interesse an einer gerichtlichen Entscheidung
darüber hat, ob die erledigte Klage begründet war oder nicht (vgl. hierzu BVerwG,
Urteil vom 25. April 1989, BVerwGE 82, 41, 44 m.w.N.).
Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, daß die Klage nach
Durchführung des Vorverfahrens (§ 182 Abs. 3 HBG) als Leistungsklage zulässig
ist, weil in der Gewährung oder Versagung der Jubiläumszuwendung (Ehrengabe)
nebst Dankurkunde kein Verwaltungsakt liegt, sondern ihre Zahlung und Übergabe
ähnlich wie die Auszahlung der Besoldung unmittelbar aufgrund der gesetzlichen
Regelung vorgenommen wird (vgl. hierzu Plog/Wiedow/ Beck/Lemhöfer,
Kommentar zum Bundesbeamtengesetz, § 80 b Rdnr. 16 unter Hinweis auf
BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 1995, Buchholz 232 § 80 b Nr. 2; von
Hoerschelmann, in: Maneck/Schirrmacher, Hessisches Bedienstetenrecht, 19.
Erg.Lfg., § 96 HBG Rdnr. 3 unter Hinweis auf VG Stuttgart, Urteil vom 4. August
1993, PersR 1993, 575; a.A. OVG Hamburg, Urteil vom 29. Mai 1958, DÖV 1959,
266 mit Anmerkung Obermayer: gerichtlich nicht überprüfbarer Gnadenakt).
Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin auf Auszahlung der Ehrengabe ist
§ 96 Satz 1 HBG i.V.m. §§ 1, 2 der Verordnung über die Gewährung von
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§ 96 Satz 1 HBG i.V.m. §§ 1, 2 der Verordnung über die Gewährung von
Ehrengaben zu Dienstjubiläen an die Angehörigen des öffentlichen Dienstes im
Lande Hessen (Dienstjubiläumsverordnung - JVO -) vom 19. März 1980 (GVBl. I S.
102). Die Klägerin ist Beamtin des Landes Hessen. Sie hat eine Dienstzeit von 25
Jahren vollendet. Die Zeiten ihrer Beurlaubung ohne Dienstbezüge sind als
Dienstzeit zu berücksichtigen, denn die oberste Dienstbehörde hat ein dienstliches
Interesse an der Beurlaubung vor Antritt des Sonderurlaubs schriftlich anerkannt.
Das ist erstmals - und folgend in 5-jährigem Bestand - durch Erlaß des Hessischen
Kultusministers vom 28. März 1967 geschehen, durch den die Klägerin mit Wirkung
vom 1. April 1967 als Assessorin im Lehramt berufen und ihr gleichzeitig
Sonderurlaub ohne Dienstbezüge zum Unterricht an dem privaten Gymnasium
gewährt worden ist. Desweiteren wurde anerkannt, daß die Zeit der Beurlaubung
im dienstlichen Interesse liege und öffentlichen Belangen diene. Weitere
Voraussetzungen für die Gewährung von Ehrengaben sehen § 96 Satz 1 HBG und
die Vorschriften der Dienstjubiläumsverordnung nicht vor. Insbesondere steht sie
nicht im Ermessen des Dienstherrn, wie etwa in der bundesgesetzlichen Regelung
des § 80 b Satz 1 Bundesbeamtengesetz oder in den meisten anderen
Landesbeamtengesetzen (vgl. Plog/Wiedow/ Beck/Lemhöfer, a.a.O., § 80 b Rdnr.
17).
Nach dem Standort des § 96 HBG im Zweiten Titel des Dritten Abschnitts des
Hessischen Beamtengesetzes unter der Überschrift "Fürsorge und Schutz" stellt
die Gewährung einer Jubiläumszuwendung eine Maßnahme der Fürsorge des
Dienstherrn dar, auf die der Beamte einen Rechtsanspruch hat. Sie wird als
Ehrengabe für langjährige treue Pflichterfüllung gewährt und soll es dem Beamten
ermöglichen, sich einen individuellen Wunsch zu erfüllen (so
Plog/Wiedow/Beck/Lemhöfer, a.a.O., § 80 b Rdnr. 3). Die Ehrung wird nach § 6 Abs.
1 JVO zurückgestellt bei Disziplinarmaßnahmen oder Strafen, sie kann nach Abs. 2
dieser Vorschrift auch zurückgestellt werden, solange gegen den Beamten
disziplinarrechtliche Ermittlungen außerhalb des förmlichen Disziplinarverfahrens
geführt werden. Andere Ablehnungsgründe sind in den einschlägigen Vorschriften
nicht enthalten.
Sie lassen sich entgegen der Auffassung des Beklagten und des
Verwaltungsgerichts Gießen (Gerichtsbescheid vom 16. Februar 1994 - 5 E 970/92
-) nicht aus § 2 Abs. 2 Satz 1 JVO herleiten, wonach die Ehrengabe und die
Urkunde am Tage des Dienstjubiläums übergeben werden sollen. Diese Vorschrift
regelt nicht, "ob" eine Ehrengabe zu gewähren ist, sondern allein "wie" sie
zusammen mit der Urkunde übergeben werden soll. Sie enthält demnach keine
materielle, anspruchsbegründende oder -vernichtende Regelung, sondern allein
einen formalen Annex über die Art und Weise, in der die Jubiläumsehrung vollzogen
werden soll. Mit diesem Inhalt nimmt sie erkennbar auf die Ausnahmefälle des § 6
JVO Bezug, in denen die Ehrengabe und die Urkunde gerade nicht am Tag des
Dienstjubiläums überreicht werden.
Der Zahlung der Ehrengabe steht auch nicht entgegen, daß der Klägerin während
ihrer gesamten 25-jährigen Dienstzeit, die Voraussetzung für die Ehrengabe ist,
Sonderurlaub ohne Dienstbezüge gewährt worden ist. Die Jubiläumszuwendung ist
kein Dienstbezug im Sinne des § 1 BBesG, sondern eine finanzielle Leistung aus
dem Beamtenverhältnis (so Plog/Wiedow/Beck/Lemhöfer, a.a.O., § 80 b Rdnr. 3),
so daß sie nicht von der Regelung in § 15 Abs. 1 der Urlaubsverordnung für die
Beamten im Lande Hessen in der Fassung vom 16. November 1982 (GVBl. I S.
269) erfaßt wird, denn der darin gewählte Begriff der "Besoldung" entspricht dem
des § 1 Absätze 2 und 3 BBesG. Unter den dort aufgezählten Dienstbezügen und
sonstigen Bezügen ist die Jubiläumsehrengabe nicht erwähnt, so daß sie auch im
Falle eines Sonderurlaubs am Tage des Dienstjubiläums zu übergeben ist.
Die bundesrechtliche Regelung in § 6 Abs. 2 der Verordnung über die Gewährung
von Jubiläumszuwendungen an Beamte und Richter des Bundes (JubV) in der
Fassung der Bekanntmachung vom 7. Mai 1965 (BGBl. I S. 410), geändert durch
Dritte Verordnung vom 22. Januar 1980 (BGBl. I S. 88), wonach die
Jubiläumszuwendung erst bei Beendigung des Sonderurlaubs ohne Bezüge bei
Wiederaufnahme des Dienstes gewährt wird, ist auf Landesbeamte nicht
anwendbar. Es kommt hinzu, daß dem hessischen Verordnungsgeber diese
Bundesregelung bei Erlaß der Dienstjubiläumsverordnung vom 19. März 1980
bekannt gewesen sein dürfte, so daß nicht davon ausgegangen werden kann, daß
die hessische Regelung eine Lücke enthält. Die Bundesregelung stellt sich zudem
als ein Fall der verordnungsrechtlich geregelten Ermessensausübung dar, weil den
Bundesbeamten und -richtern bei Dienstjubiläen eine Jubiläumszuwendung
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Bundesbeamten und -richtern bei Dienstjubiläen eine Jubiläumszuwendung
gewährt werden kann, während die Beamten in Hessen bei Vollendung der
entsprechenden Dienstzeiten eine Ehrengabe erhalten.
Auch der Umstand, daß die Klägerin als Beamtin des Landes Hessen Unterricht an
einer Schule in freier Trägerschaft erteilt, nimmt sie nicht aus dem Kreis der
Anspruchsberechtigten nach § 96 Satz 1 HBG i.V.m. §§ 1, 2 JVO heraus. Diese
Schulen bereichern im Rahmen des Art. 7 Abs. 4 Grundgesetz und des Art. 61 der
Verfassung des Landes Hessen nach § 166 Abs. 1 des Hessischen Schulgesetzes
vom 17. Juni 1992 (GVBl. I S. 233) das Schulwesen des Landes, ihnen obliegt u.a.
die Entscheidung über eine besondere pädagogische, religiöse oder
weltanschauliche Prägung (§ 167 Abs. 1 Hessisches Schulgesetz), sie unterliegen
der staatlichen Aufsicht und als Ersatzschulen der Genehmigung. Die Klägerin hat
also während ihrer Dienstzeit ebenso wie die Lehrerinnen und Lehrer an
staatlichen Schulen den ihnen in Art. 56 der Verfassung des Landes Hessen
erteilten gemeinsamen Bildungsauftrag erfüllt (§ 2 Hessisches Schulgesetz).
Schließlich kann sich der Beklagte auch nicht auf § 39 Abs. 2 BAT und § 45 Abs. 2
MTL II berufen, die eine dem § 6 Abs. 2 JubV entsprechende Regelung enthalten.
Angesichts der insgesamt unterschiedlichen Rechtssysteme für Beamte,
Angestellte und Arbeiter kann nicht geltend gemacht werden, daß unterschiedliche
Einzelregelungen für Beamte einerseits und Arbeitnehmer andererseits dem
Gleichheitssatz zuwiderlaufen (so ausdrücklich BVerwG, Urteil vom 26. Oktober
1995, Buchholz 232 § 80 b BBG Nr. 2 unter Hinweis auf seine ständige
Rechtsprechung).
Als unterlegener Rechtsmittelführer hat der Beklagte die Kosten des
Berufungsverfahrens nach § 154 Abs. 2 VwGO zu tragen.
Die Revision gegen dieses Urteil ist nicht zuzulassen, weil es an den hierfür
erforderlichen Voraussetzungen fehlt (§ 127 BRRG, § 183 HBG und § 132 Abs. 2
VwGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils
hinsichtlich der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.