Urteil des HessVGH vom 26.04.2002

VGH Kassel: amnesty international, politische verfolgung, auskunft, auswärtige angelegenheiten, staatsangehörigkeit, regierung, afrika, bevölkerung, gefahr, anerkennung

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
9. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 UE 1508/99.A
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 16a Abs 1 GG, § 51 Abs
1 AuslG 1990
(Eritrea:Staatsangehörigkeit;keine Gruppenverfolgung der
Zeugen Jehovas;Einreiseverweigerung)
Tatbestand
Die am 28. Oktober 1950 in Shiketi (Eritrea) geborene Klägerin gehört der
Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas an. Sie reiste am 28. August 1990 auf
dem Luftwege aus Addis Abeba kommend über den Flughafen Berlin-Schönefeld in
die damalige DDR ein und beantragte mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom
11. September 1990 ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Zur Begründung gab
sie an, sie gehöre der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas an und sei in
ihrem Heimatland wegen ihres Glaubens verfolgt worden. Sie sei zunehmend
polizeilichen Kontrollen ausgesetzt gewesen, da sie weder an den obligatorischen
politischen Schulungsterminen ihres Wohnbezirks noch an den regelmäßigen
Abstimmungen und Wahlen an ihrem Arbeitsplatz teilgenommen habe. Sie habe
die Teilnahme verweigert, weil sie die politische Indoktrination ablehne. Sie habe
sich auch nicht an den ständig durchgeführten Geldsammlungen für Zwecke
beteiligt, die von der Regierung bestimmt würden. Daraufhin sei sie mit
Lohnkürzungen, Einkaufsverbot in den staatlich subventionierten Läden und sich
häufenden Befragungen am Arbeitsplatz als Gegnerin der Regierung angesehen
worden. Ihre beiden Söhne hätten bereits ihr Heimatland verlassen, da sie auf
Grund ihres Glaubens jeglichen Dienst mit der Waffe ablehnten. Sie würden
deshalb in Äthiopien als Regimegegner angesehen.
Anlässlich der Anhörung im Rahmen der Vorprüfung vor dem Bundesamt für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 18. März 1993 wiederholte sie im
Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen und gab darüber hinaus an, sie sei nach
ihrem Ehemann befragt worden, der sie im Jahre 1976 verlassen habe. Er sei
damals zur ELF gegangen und im Jahre 1978 während der Kämpfe verstorben.
Dies habe sie 1982 von einer Freundin erfahren. Sie habe im Jahre 1982 die Schule
mit dem Abitur abgeschlossen und danach in Addis Abeba als Sekretärin
gearbeitet. Aus religiösen Gründen wolle sie nichts mit Politik zu tun haben. Sie
habe selbst entschieden, an den politischen Veranstaltungen im Betrieb nicht
teilzunehmen. Deshalb sei ihr Gehalt gekürzt worden. Sie habe auch nicht an den
regelmäßig stattfindenden Sonntagsveranstaltungen in ihrer Kebele
teilgenommen, weshalb sie keine Lebensmittelkarten mehr bekommen habe. In
ihrer Firma habe sie auf Grund ihrer guten Arbeit Rückendeckung durch ihren
Vorgesetzten gehabt. Dennoch habe sie Angst gehabt, dass die Kontrolleure der
Regierung sie belästigen oder ihr etwas antun könnten. Sie habe von anderen
Zeugen Jehovas gehört, dass diese ihre Arbeitsstelle verloren hätten. In Addis
Abeba seien sogar Zeugen Jehovas umgebracht worden.
Des Weiteren legte sie ein Schreiben der Wachtturm Bibel- und Traktat-
Gesellschaft, Deutscher Zweig, vom 28. Dezember 1992 vor, wonach ihr bei dem
am Wochenende des 27./28. März 1993 im Königreichssaal des Kongresssaals
Meckenheim stattfindenden Kreiskongresses in Tigrinja die Aufgabe übertragen
wurde, in der Theokratischen Predigtdienstschule mitzuwirken und für das Thema
"Die Taufe wäscht die Sünde nicht ab" eine Diskussion vorzubereiten. Weiterhin
legte sie ein Dokument in englischer und tigrinischer Sprache vor, wonach sie als
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legte sie ein Dokument in englischer und tigrinischer Sprache vor, wonach sie als
Zeugin Jehovas mit fester religiöser Überzeugung keine Bluttransfusion erhalten
dürfe. Hierzu legte sie auch eine entsprechende Patientenverfügung vor.
Mit Bescheid vom 10. August 1993 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag ab, stellte fest, dass die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53
AuslG nicht vorliegen und forderte die Klägerin auf, die Bundesrepublik
Deutschland binnen eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu
verlassen. Für den Fall der Nichtbefolgung wurde ihr die Abschiebung nach
Äthiopien oder Eritrea oder in einen anderen Staat, in den sie einreisen dürfe oder
der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei, angedroht.
Gegen den ihrer Bevollmächtigten am 13. September 1993 zugestellten Bescheid
erhob die Klägerin am 27. September 1993 Klage und wiederholte zur Begründung
im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen. Darüber hinaus legte sie eine
Bescheinigung der Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft vom 20. September
1993 vor, wonach sie am 23. Juli 1978 in Eritrea als Zeugin Jehovas getauft worden
sei. Sie sei aktiv mit der Versammlung (Gemeinde) Kassel-Englisch der Zeugen
Jehovas verbunden. Die Klägerin gab weiterhin an, sie habe erfahren, dass der
eritreische Staatspräsident im Juni 1991 erklärt habe, für Zeugen Jehovas fühle
sich die Regierung nicht verantwortlich, da diese sich aus religiösen Gründen nicht
an den Wahlen beteiligen würden. Sie habe erfahren, dass seither eine Vielzahl von
Zeugen Jehovas in ihrem Heimatland ihre Arbeit verloren hätten und auch nicht
wieder eingestellt würden. Auch sei die Religionsausübung illegal. Schließlich sei
Angehörigen der Zeugen Jehovas die Staatsbürgerschaft aberkannt worden, so
dass schon allein deshalb fraglich sei, ob ihr überhaupt die Einreise nach Eritrea
gestattet werde. Zeugen Jehovas werde nämlich durch die eritreische Regierung
jedes Recht abgesprochen, in Eritrea Wohnsitz zu nehmen.
Die Klägerin beantragte,
den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
vom 10. August 1993 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie als
Asylberechtigte anzuerkennen und festzustellen, dass bei ihr die Voraussetzungen
des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, hilfsweise festzustellen, dass die
Voraussetzungen des § 53 AuslG vorliegen.
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
Mit Urteil vom 19. März 1997 hob das Verwaltungsgericht Kassel den Bescheid des
Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 10. August 1993
auf und verpflichtete die Beklagte, die Klägerin als Asylberechtigte anzuerkennen
sowie festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klägerin habe Anspruch auf Anerkennung
als Asylberechtigte im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG, weil sie bei einer Rückkehr
nach Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit politischer Verfolgung auf
Grund ihrer Zugehörigkeit zu der Glaubensgruppe der Zeugen Jehovas zu rechnen
habe. Zur Überzeugung des Gerichts stehe fest, dass die Klägerin der
Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas angehöre. Als aktives Mitglied dieser
Glaubensgemeinschaft drohe ihr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Eritrea
politische Verfolgung, weil den Zeugen Jehovas mit Dekret des Staatspräsidenten
von Eritrea vom 25. Oktober 1994 die staatsbürgerlichen Rechte aberkannt worden
seien. Den Mitgliedern der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas würden auf
Grund ihrer Religion, die ihnen die Teilnahme an staatlichen Aktivitäten verbiete
und ihnen politische Passivität auferlege, wesentliche staatsbürgerliche Rechte
entzogen. Auf Grund der Tatsache, dass ihre Pässe eingezogen würden, könnten
sie sich weder frei im Land bewegen noch dieses offiziell verlassen. Auch könnten
sie sich keine wirtschaftliche Grundlage für eine Existenz schaffen, da ihnen
insoweit notwendige staatliche Lizenzen nicht erteilt würden. Sie dürften sich
zudem nicht an Geschäften und Unternehmungen solcher eritreischer Bürger
beteiligen, die nicht Zeugen Jehovas seien. Damit würden sie aus der staatlichen
Einheit ausgegrenzt.
Gegen das ihm am 2. April 1997 zugestellte Urteil hat der Bundesbeauftragte für
Asylangelegenheiten am 11. April 1997 die Zulassung der Berufung beantragt. Mit
Beschluss des 3. Senats vom 5. Mai 1999 - 3 UZ 1445/97.A - ist die Berufung
zugelassen worden.
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Zur Begründung seiner Berufung trägt der Bundesbeauftragte vor, eine
asylerhebliche Verfolgung von Zeugen Jehovas finde in Eritrea nicht statt.
Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten beantragt sinngemäß,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 19. März 1997 aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
Die Klägerin hat keinen Antrag gestellt.
Sie ist der Auffassung, nach wie vor würden Zeugen Jehovas in Eritrea verfolgt.
Hierzu legt sie ein Schreiben der Zeugen Jehovas vom 14. Februar 2000 an ihre
Bevollmächtigte vor, wonach die Regierung von Eritrea gegen Zeugen Jehovas
Maßnahmen unternommen habe, die dazu dienen sollten, das Leben für Zeugen
Jehovas unmöglich zu machen. Am Anfang seien viele geschlagen, und ihr
Eigentum sei geplündert worden. Die Polizei habe sich geweigert, gegen dieses
Unrecht einzuschreiten. Anderen sei medizinische Behandlung in den
Krankenhäusern verweigert worden. Um am Leben zu bleiben, hätten viele ihre
Ersparnisse aufgebraucht oder ihr Besitztum verkaufen müssen. Diese
Maßnahmen seien immer noch in Kraft. Private Arbeitgeber würden mündlich oder
schriftlich aufgefordert, Zeugen Jehovas zu entlassen. Für staatliche Angestellte im
Gesundheitswesen sei es seit 1993 ein wenig leichter geworden. Manche Mitglieder
der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas hätten begonnen, Gemüse
anzubauen und zu verkaufen. Wegen des Krieges mit Äthiopien seien die
Lebensmittel rationiert. Da den Zeugen Jehovas die Bürgerrechte entzogen
worden seien, bekämen sie keine Lebensmittelrationen. Ihre Kinder würden aus
religiösen Gründen von den Schulen verwiesen, hiergegen gäbe es kein
Rechtsmittel. Von Zeit zu Zeit führe man in den Medien Propagandakampagnen
gegen Zeugen Jehovas durch. Mit Hilfe von verleumderischen und hasserfüllten
Sendungen versuche man, die Bevölkerung gegen sie aufzuwiegeln.
Auch die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug
genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten, der vorgelegten Behördenakten der
Beklagten (1 Aktenhefter, 37 Blatt), der beigezogenen, die Klägerin betreffenden
Ausländerakte der Ausländerbehörde der Stadt Frankfurt am Main sowie der
Erkenntnisse "Eritrea, allgemeine Lage, Staatsangehörigkeit und Zeugen Jehovas",
die sämtlich Gegenstand der Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
A. Die Entscheidung konnte gemäß §§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO ohne
mündliche Verhandlung ergehen, da die Beteiligten hierauf verzichtet haben.
B.
Die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten ist begründet,
soweit das Verwaltungsgericht der auf die Verpflichtung zur Asylanerkennung nach
Art. 16 a GG und auf Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG
gerichteten Klage stattgegeben hat. Insoweit war das angefochtene Urteil
aufzuheben und die Klage abzuweisen, denn die Klägerin hat in dem nach § 77
Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsentscheidung keinen
Anspruch darauf, dass die Beklagte sie als Asylberechtigte nach Art. 16 a Abs. 1
GG anerkennt (I.) und feststellt, dass in ihrer Person die Voraussetzungen des § 51
Abs. 1 AuslG (II.) vorliegen. Allerdings hat die Klägerin Anspruch auf die
Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 AuslG hinsichtlich
Eritrea (III.). Die Abschiebungsandrohung erweist sich insoweit als rechtswidrig, als
der Klägerin die Abschiebung auch nach Äthiopien angedroht worden ist, in diesem
Umfang ist sie aufzuheben. (IV.). Daraus ergeben sich die zu treffenden
Nebenentscheidungen (V.).
I.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art.
16 a Abs. 1 GG.
Asylrecht als politisch Verfolgter im Sinne von Art. 16 a Abs. 1 GG genießt, wer bei
einer Rückkehr in seine Heimat aus politischen Gründen Verfolgungsmaßnahmen
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einer Rückkehr in seine Heimat aus politischen Gründen Verfolgungsmaßnahmen
mit Gefahr für Leib und Leben oder Beeinträchtigungen seiner persönlichen
Freiheit zu erwarten hat (BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147/80 -,
BVerfGE 54, 341). Wer unverfolgt seinen Heimatstaat verlassen hat, ist gemäß §
28 AsylVfG nur dann als Asylberechtigter anzuerkennen, wenn ihm aufgrund eines
beachtlichen Nachfluchttatbestandes politische Verfolgung droht (BVerfG,
Beschluss vom 26. November 1986
- 2 BvR 1058/85 -, BVerfGE 74, 51).
Eine Verfolgung ist in Anlehnung an den Flüchtlingsbegriff des Art. 1 Abschnitt A
Nr. 2 Genfer Konvention - GK - als politisch im Sinne von Art. 16 a Abs. 1 GG
anzusehen, wenn sie auf die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer
bestimmten sozialen Gruppe oder die politische Überzeugung des Betroffenen
zielt (BVerfG, Beschluss vom 1. Juli 1987 - 2 BvR 478/86 -, BVerfGE 76, 143;
BVerwG, Urteil vom 26. Juni 1984 - BVerwG 9 C 185.83 -, BVerwGE 69, 320). Diese
spezifische Zielrichtung ist anhand des inhaltlichen Charakters der Verfolgung
nach deren erkennbarem Zweck, nicht nach den subjektiven Motiven des
Verfolgenden zu ermitteln (BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 -,
BVerfGE 80, 315). Werden nicht Leib, Leben oder die physische Freiheit gefährdet,
sondern andere Grundfreiheiten wie etwa die Religionsausübung oder die
berufliche und wirtschaftliche Betätigung, so sind nur solche Beeinträchtigungen
asylrelevant, die nach Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und
über das hinausgehen, was die Bewohner des Heimatstaates aufgrund des dort
herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben (BVerfG, Beschluss vom 1.
Juli 1987 - 2 BvR 478/86 -, a. a. O.).
Die Gefahr einer derartigen Verfolgung ist gegeben, wenn dem Asylsuchenden bei
verständiger Würdigung aller Umstände seines Falles politische Verfolgung mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, wobei die insoweit erforderliche
Zukunftsprognose auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen
Tatsachenentscheidung abstellt und auf einen absehbaren Zeitraum ausgerichtet
sein muss (BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 1985 - BVerwG 9 C 22.85 -, NVwZ
1986, 760). Die Prüfung der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erfordert eine
qualifizierende Betrachtungsweise, die neben der Eintrittswahrscheinlichkeit auch
die zeitliche Nähe des befürchteten Eingriffs berücksichtigt (BVerwG, Urteil vom
14. Dezember 1993 - BVerwG 9 C 45.92 -, EZAR 200 Nr. 30).
Politische Verfolgung im Sinne von Art. 16 a Abs. 1 GG ist grundsätzlich staatliche
oder dem Staat zurechenbare Verfolgung. Für die Zuerkennung des
Asylanspruchs ist deshalb die Feststellung wesentlich, welchem Staat der
Asylsuchende angehört oder - sofern er staatenlos ist - in welchem Land er vor
seiner Flucht seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Auch diese Umstände
unterliegen wie die sonstigen tatbestandlichen Voraussetzungen der
uneingeschränkten tatrichterlichen Würdigung (§ 108 Abs. 1 VwGO). Der
Heimatstaat des Asylsuchenden ist nach dem jeweiligen
Staatsangehörigkeitsrecht der in Frage kommenden Staaten zu bestimmen, da
Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit grundsätzlich durch innerstaatliche
Rechtsvorschriften geregelt wird.
Einem Asylbewerber, der bereits einmal politisch verfolgt war, kann eine Rückkehr
in seine Heimat nur zugemutet werden, wenn die Wiederholung von
Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist
(BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147/80 -, a. a. O.). Allerdings kann die
Asylanerkennung wegen anderweitigen Verfolgungsschutzes, insbesondere nach
Einreise aus einem sicheren Drittstaat, ausgeschlossen sein (Art. 16 a Abs. 2 GG;
§§ 26 a, 27, 29 Abs. 1 und 2 AsylVfG; vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1996 - 2
BvR 1938/93 -, BVerfGE 94, 49).
Aufgrund der ihm obliegenden prozessualen Mitwirkungspflicht ist der
Asylbewerber gehalten, von sich aus umfassend die in seine Sphäre fallenden
Ereignisse substantiiert und in sich schlüssig zu schildern sowie eventuelle
Widersprüche zu seinem Vorbringen in früheren Verfahrensstadien nachvollziehbar
aufzulösen, so dass sein Vortrag insgesamt geeignet ist, den Asylanspruch
lückenlos zu tragen (BVerwG, Urteil vom 23. Februar 1988 - BVerwG 9 C 32.87 -,
EZAR 630 Nr. 25). Insbesondere muss das Vorbringen den politischen Charakter
der Verfolgungsmaßnahmen deutlich hervortreten lassen (BVerwG, Urteil vom 22.
März 1983 - BVerwG 9 C 68.81 -, Buchholz 402.24 Nr. 44 zu § 28 AuslG). Bei der
Darstellung der allgemeinen Umstände im Herkunftsland genügt es dagegen,
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Darstellung der allgemeinen Umstände im Herkunftsland genügt es dagegen,
dass die vorgetragenen Tatsachen die nicht entfernt liegende Möglichkeit
politischer Verfolgung ergeben.
Die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung kann schließlich nur festgestellt
werden, wenn sich das Gericht in vollem Umfang die Überzeugung von der
Wahrheit des von dem Asylbewerber behaupteten individuellen
Verfolgungsschicksals verschafft, wobei allerdings der sachtypische
Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerstaat bei der Auswahl der
Beweismittel und bei der Würdigung des Vortrags und der Beweise angemessen zu
berücksichtigen ist (BVerwG, Urteil vom 12. November 1985 - BVerwG 9 C 27.85 -,
InfAuslR 1986, 79).
Aufgrund der Begründung des Asylantrags vom 11. September 1990, der
persönlichen Angaben der Klägerin zu ihrem Asylbegehren im Rahmen der
Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am
18. März sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am
19. März 1997, ihres sonstigen schriftsätzlichen Vortrags im Rahmen des
Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens und der in das Verfahren eingeführten
Erkenntnisquellen steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Klägerin im
Falle der Rückkehr politische Verfolgung nicht mit der erforderlichen
Wahrscheinlichkeit droht.
Politische Verfolgung ist grundsätzlich staatliche oder dem Staat zurechenbare
Verfolgung. Deshalb bedarf es zunächst der Feststellung, welchem Staat der
Asylsuchende angehört oder - sofern er staatenlos ist - in welchem Land er vor
seiner Flucht seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
Die Klägerin ist (allein) eritreische Staatsangehörige.
Der Heimatstaat der Klägerin ist nach dem jeweiligen Staatsangehörigkeitsrecht
der in Frage kommenden Staaten zu bestimmen, da Erwerb und Verlust der
Staatsangehörigkeit grundsätzlich durch innerstaatliche Rechtsvorschriften
geregelt werden. In Frage kommen hier Äthiopien und Eritrea deshalb, weil die
Klägerin im Jahre 1950 in Shiketi, das zum damaligen Zeitpunkt im Staatsgebiet
Äthiopiens lag, geboren wurde, und sie später bis zu ihrer Ausreise in Asmara
gelebt und gearbeitet hat.
Mit ihrer Geburt in Shiketi und damit zum damaligen Zeitpunkt in äthiopischem
Staatsgebiet hatte die Klägerin zunächst die äthiopische Staatsangehörigkeit
erworben und, da sie sich bis zum Zeitpunkt ihrer Ausreise auf äthiopischem
Staatsgebiet aufgehalten hat, auch behalten. Da nach Art. 1 des Äthiopischen
Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 22. Juli 1930, das auch bis zum heutigen
Zeitpunkt in Äthiopien noch gilt (vgl. Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und
Kindschaftsrecht, 6. Aufl. Berlin 2002, "Äthiopien" S. 1 ff.), "äthiopischer Untertan"
und damit äthiopischer Staatsangehöriger ist, "wer als Kind eines äthiopischen
Mannes oder einer äthiopischen Frau in Äthiopien oder außerhalb geboren ist", hat
die Klägerin mit ihrer Geburt die äthiopische Staatsangehörigkeit erworben. Dafür,
dass ihre Eltern nicht äthiopische Staatsangehörige waren, bestehen keinerlei
Anhaltspunkte.
Die Klägerin hat aufgrund der Entstehung des neuen, selbstständigen Staates
Eritrea auf dem Gebiet ihres Geburtsortes sowie ihres letzten Aufenthalts im
heutigen Eritrea mit der Proklamation der Republik Eritrea vom 24. Mai 1993
zunächst zu ihrer äthiopischen Staatsangehörigkeit zusätzlich die eritreische
Staatsangehörigkeit erhalten. Sie erfüllt die Voraussetzungen der für den Staat
Eritrea geltenden Verordnung Nr. 21/1992 über die eritreische Staatsangehörigkeit
vom 6. April 1992 (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 30. August 1994 an VG Berlin,
Anlage). Nach Art. 2 Abs. 1 der Verordnung ist eritreischer Staatsangehöriger
durch Geburt, wer in Eritrea oder im Ausland als Kind eines Vaters oder einer
Mutter eritreischer Abstammung geboren ist. Nach Absatz 2 der Vorschrift ist
"eritreischer Abstammung", wer 1933 seinen Aufenthalt in Eritrea hatte. Wer durch
Geburt oder Abstammung Eritreer ist, erhält auf Antrag eine
Staatsangehörigkeitsbescheinigung vom Ministerium des Innern (Art. 2 Abs. 4).
Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin vor, denn sie wurde in Asmara, der
Hauptstadt des heutigen Eritrea geboren und mangels entgegenstehender
Anhaltspunkte auch als Kind von Eltern eritreischer Abstammung.
Allerdings könnte die Vorschrift des Art. 2 Abs. 5 der
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Allerdings könnte die Vorschrift des Art. 2 Abs. 5 der
Staatsangehörigkeitsverordnung darauf hindeuten, dass die Klägerin einen Antrag
auf Erwerb oder Anerkennung ihrer eritreischen Staatsangehörigkeit stellen
müsste und eine Bescheinigung über deren Bestehen konstitutiv ist, denn nach
Art. 2 Abs. 5 der Verordnung hat, wer durch Geburt Eritreer ist, seinen Aufenthalt
im Ausland hat und eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzt, einen Antrag
an das Ministerium des Innern zu richten, "wenn er förmlich auf seine ausländische
Staatsangehörigkeit verzichten und die eritreische Staatsangehörigkeit zu
erwerben wünscht oder wenn er wünscht, dass nach Vorliegen ausreichender
Gründe seine eritreische Staatsangehörigkeit anerkannt wird, während er eine
fremde Staatsangehörigkeit beibehält". Aus dem Zusammenhang mit den zuvor
genannten Regelungen des Artikels 2 der Verordnung kann jedoch der Schluss
gezogen werden, dass der Bescheinigung über die Staatsangehörigkeit nur
deklaratorische Wirkung zukommt, weil sie eine schon bestehende
Staatsangehörigkeit lediglich feststellt oder bestätigt. Art. 2 Abs. 5 der Verordnung
betrifft offenbar nur die Lösung des Konflikts bei Bestehen mehrerer
Staatsangehörigkeiten, insbesondere die Beibehaltung der
äthiopischen neben der eritreischen Staatsangehörigkeit.
Maßgeblich für die Beurteilung dieser Frage ist nach Auffassung des Senats die
Verbalnote der eritreischen Regierung vom 30. September 1993 (Auswärtiges
Amt, Auskunft vom 30. August 1994 an VG Berlin), da es sich hierbei um eine
authentische Auslegung der eritreischen Regierung handelt. In der Verbalnote hat
die eritreische Regierung erläutert, dass alle eritreischen Volkszugehörigen, die die
Bedingungen der Artikel 2 bis 6 der eritreischen Staatsangehörigkeitsverordnung
erfüllen, eritreische Staatsangehörige seien. Jeder Eritreer habe das Recht, auf
seine eritreische Staatsangehörigkeit zu verzichten und eine andere, z. B. die
äthiopische, anzunehmen. Für die Möglichkeit der doppelten Staatsangehörigkeit
gebe es noch keine Vereinbarungen zwischen den Regierungen von Eritrea und
Äthiopien, dies sei aber für die Zukunft nicht auszuschliessen. Danach steht zur
Überzeugung des Senats fest, dass es eines weiteren behördlichen Aktes zum
Erwerb der eritreischen Staatsangehörigkeit nicht bedarf, eine Bescheinigung über
das Bestehen der Staatsangehörigkeit lediglich deklaratorisch ist.
Die Verbalnote der eritreischen Regierung vom 30. September 1993 ist auch
heute noch gültig (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 20. Februar 2001 an VG
Gießen). Somit finden die Regelungen der eritreischen
Staatsangehörigkeitsverordnung vom 6. April 1992 auch auf solche eritreisch-
stämmigen Personen Anwendung, die vor der Einreise in die Bundesrepublik
Deutschland in Äthiopien gelebt haben und nicht über eine ID-Karte Eritreas
verfügen (vgl. auch Auswärtiges Amt, Auskunft vom 21. November 2001 an VG
Stuttgart).
Nichts anderes ergibt sich aus den dem Senat darüber hinaus vorliegenden
Erkenntnissen. In seiner Stellungnahme zu Staatsangehörigkeits- und
Statusfragen im Zusammenhang mit dem Konflikt zwischen Äthiopien und Eritrea
weist der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen darauf hin, dass
nach Art. 3 der eritreischen Verfassung Kinder mit Geburt die eritreische
Staatsangehörigkeit erwerben, wenn ein Elternteil die eritreische
Staatsbürgerschaft besitze (UNHCR, Stellungnahme zu Staatsangehörigkeits- und
Statusfragen im Zusammenhang mit dem Konflikt zwischen Äthiopien und Eritrea
vom 1. August 1999). Jeder, der einen eritreischen Vater oder eine eritreische
Mutter habe, erwerbe automatisch die eritreische Staatsangehörigkeit. Allerdings
komme es nicht allein auf die Volkszugehörigkeit, sondern auch auf bestehende
Bande zum Staatsgebiet an. Dies führt UNHCR auch in späteren Auskünften aus,
die zu der Frage der Staatsangehörigkeit von eritreischen Volkszugehörigen, die
im Zuge des
äthiopisch-eritreischen Krieges von Äthiopien nach Eritrea deportiert worden sind,
Stellung nehmen (UNHCR, Auskünfte vom 6. Februar 2001 und vom 12. März
2001 an VG Gießen). Auch nach Auffassung des Instituts für Afrika-Kunde steht
jeder Person mit einem eritreischen Elternteil das Recht auf die eritreische
Staatsangehörigkeit zu (Institut für Afrika-Kunde, Auskunft vom 15. November
1999 an VG Gießen). Mit hoher Wahrscheinlichkeit sei bei einer Person, die in
Asmara geboren sei und deren Eltern eritreischer Abstammung seien, davon
auszugehen, dass diese durch den eritreischen Staat als Staatsbürgerin
anerkannt werde (Institut für Afrika-Kunde, Auskünfte vom 18. November 1999 an
VG Darmstadt und vom 12. Juli 2000 an OVG Magdeburg). Soweit das Institut in
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VG Darmstadt und vom 12. Juli 2000 an OVG Magdeburg). Soweit das Institut in
einer Auskunft vom 17. April 2001 an Verwaltungsgericht Kassel ausführt,
möglicherweise würden einer in Eritrea geborenen Person keine eritreischen
Reisedokumente ausgestellt, da sie nicht am Referendum teilgenommen habe
und somit nicht als eritreische Staatsbürgerin registriert worden sei, lässt dies
nicht den Schluss auf den alleinigen Erwerb der Staatsangehörigkeit durch
förmlichen Antrag zu, denn das Institut hatte bereits zuvor darauf hingewiesen,
dass die eritreische Botschaft unabhängig von der Teilnahme am Referendum an
alle Personen eritreischer Volkszugehörigkeit Pässe ausstelle (Institut für Afrika-
Kunde, Auskunft vom 8. Dezember 2000 an VG Kassel). Auch amnesty
international geht davon aus, dass eine in Asmara geborene, von eritreischen
Eltern abstammende Person unabhängig von ihrer Teilnahme am Referendum
vom eritreischen Staat aufgenommen werden würde (amnesty international,
Auskunft vom 11. August 1999 an VG Darmstadt). In späteren Auskünften nimmt
amnesty international allerdings zur Staatsangehörigkeit nicht mehr explizit
Stellung, sondern weist auf die oben bereits angeführte Stellungnahme von
UNHCR vom 1. August 1999 hin. Schließlich hat das für
Staatsangehörigkeitsfragen zuständige eritreische "Department for Immigration
and Nationality" dem Auswärtigen Amt mitgeteilt, im Ausland lebende Eritreer, die
eine fremde Staatsangehörigkeit besäßen, müssten keinen förmlichen Antrag i.S.
von Art. 2 Abs. 5 der Staatsangehörigkeitsverordnung stellen, um als eritreische
Staatsangehörige anerkannt zu werden. Faktisch würde jeder im Ausland lebende
Eritreer als eritreischer Staatsangehöriger anerkannt, wenn er seine Abstammung
nachweisen oder ggf. Zeugen für seine Abstammung benennen könne
(Auswärtiges Amt, Auskunft vom 21. November 2001 an VGH Bad.-Württ.). Daraus
folgt, dass es für die Frage des Innehabens der eritreischen Staatsangehörigkeit
nicht darauf ankommt, ob jemand den Nachweis durch Urkunden oder Zeugen
tatsächlich erbringen kann; sofern er diesen allerdings nicht führt, kann er die
Ausstellung von Personenstandsurkunden nicht verlangen. Ist eine Person, die
nach alledem die eritreische Staatsangehörigkeit besitzt, nicht bereit, den
entsprechenden Nachweis gegenüber den eritreischen Behörden zu führen, so
handelt es sich ggf. um ein Abschiebungshindernis, dessen Beseitigung im
Übrigen zumutbar gefordert werden kann (vgl. hierzu auch OVG Hamburg,
Beschluss vom 26. Oktober 2000 - 3 Bf 239/99 -, InfAuslR 2001, 167).
Die Klägerin ist danach eritreische Staatsangehörige. Dass sie auf ihre eritreische
Staatsangehörigkeit verzichtet haben könnte, ist nicht ersichtlich und von ihr im
Übrigen auch nicht vorgetragen.
Ob der Klägerin auch in Äthiopien Verfolgung droht, kann dahinstehen, da sie nicht
mehr äthiopische Staatsangehörige ist.
Nach Art. 11 a des äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 22. Juli 1930
verliert ein äthiopischer Staatsangehöriger diese Staatsangehörigkeit, wenn er
eine andere Staatsangehörigkeit erwirbt. Fraglich ist bereits, ob der Erwerb der
eritreischen Staatsbürgerschaft durch Sezession einen Erwerbstatbestand im
Sinne der genannten Vorschrift darstellt, denn es ist nicht erkennbar, dass zum
Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes ein solcher Fall überhaupt in
Erwägung gezogen worden ist. Die Regelung der Frage, welche
Staatsangehörigkeit im Falle der Sezession die hiervon betroffenen Personen
erhalten oder behalten, ist nach Völkerrecht allein den die Personalhoheit
ausübenden Staaten vorbehalten, sodass maßgeblich auf deren Erklärungen
abzustellen ist. Da die beiden Staaten Eritrea und Äthiopien diese Frage als von
Anfang an für regelungsbedürftig gehalten haben, und Äthiopien nicht mehr gewillt
war, eine doppelte Staatsangehörigkeit zuzulassen, wurde eine Kommission über
staatsangehörigkeitsrechtliche Fragen eingesetzt (Auswärtiges Amt, Auskunft vom
30. August 1994 an VG Berlin, amnesty international vom 1. April 1995). Zunächst
wurde eritreischen Volkszugehörigen, die einen äthiopischen Pass besaßen, ein
Wahlrecht eingeräumt und sie konnten ihre Pässe bei den äthiopischen Behörden
verlängern oder neu ausstellen lassen (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 7. Juni
1995 an VG Ansbach).
Soweit der Hessische Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 24. Oktober
1996 - 3 UE 2697/91 - noch davon ausgegangen ist, eritreische Volkszugehörige,
die vor der Unabhängigkeit Eritreas ihr früheres Heimatland Äthiopien verlassen
haben, seien sowohl Staatsangehörige Eritreas wie auch Äthiopiens, kann hieran
angesichts der neueren Entwicklung nach Ausbruch des Grenzkriegs zwischen
Äthiopien und Eritrea nicht mehr festgehalten werden. Die äthiopische Regierung
betrachtet nämlich alle diejenigen Personen, die am Referendum zur
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betrachtet nämlich alle diejenigen Personen, die am Referendum zur
Unabhängigkeit Eritreas teilgenommen haben, nicht mehr als äthiopische
Staatsangehörige, da die Teilnahme am Referendum die eritreische
Staatsangehörigkeit vorausgesetzt habe (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 16.
Februar 1999 an VG Gießen). Daher hat sie von ihnen, auch soweit sie im Ausland
leben, die Pässe eingefordert und erkennt sie nicht mehr als äthiopische
Staatsangehörige an (Institut für Afrika-Kunde, Auskünfte vom 18. November 1999
und 8. Dezember 1999 an VG Gießen). Die Deportationen äthiopischer
Staatsangehöriger eritreischer Volkszugehörigkeit aus Äthiopien nach Eritrea,
unabhängig von der Teilnahme an dem Unabhängigkeitsreferendum, lassen auf
eine Aberkennung der äthiopischen Staatsangehörigkeit schließen (Institut für
Afrika-Kunde, Auskunft vom 12. Juli 2000 an OVG Magdeburg). Nunmehr führen die
äthiopischen Behörden bei Personen, die über keine gültigen Papiere verfügen, vor
der Rückkehr nach Äthiopien eine Volks- und Staatsangehörigkeitsüberprüfung
durch, bei der die Grundsätze des äthiopischen Staatsangehörigkeitsrechts in der
nach wie vor gültigen Fassung von 1930 mit voluntativen Elementen verbunden
werden (Auswärtiges Amt, Auskünfte vom 8. September 2000 an VG München und
vom 8. Februar 2001 an VG Kassel). Damit soll vermieden werden, dass eritreische
Volkszugehörige, die vor Konfliktausbruch vielfach mit äthiopischen Reisepapieren
ausgestattet waren, ungehindert nach Äthiopien einreisen können (Auswärtiges
Amt, Auskunft vom 18. September 2000). Nach wie vor ist der Personenkreis, bei
dem eine eritreische Abstammung festgestellt oder vermutet wird, willkürlicher
Behandlung in Form von Pass- oder Einreiseverweigerung ausgesetzt (Schröder,
Stellungnahmen vom 24. Januar 2001 an VG Kassel und vom 25. April 2001 an VG
Gelsenkirchen, Institut für Afrika-Kunde, Auskunft vom 15. Januar 2001 an VG
Kassel, Auswärtiges Amt, Auskünfte vom 7. Februar 2001 und vom 8. Februar
2001 an VG Kassel, vom 6. Dezember 2000 an VG Würzburg und Lagebericht vom
20. Februar 2002).
Vor diesem Hintergrund kann nicht mehr angenommen werden, dass die Klägerin
von den äthiopischen Behörden auch heute noch als äthiopische
Staatsangehörige akzeptiert würde, denn sie wurde als Kind eritreischer Eltern auf
dem Staatsgebiet des heutigen Eritrea geboren.
Der Klägerin droht bei einer Rückkehr nach Eritrea politische Verfolgung nicht mit
der erforderlichen, nämlich beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Die beachtliche
Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung ist im Falle der Klägerin deshalb zu
fordern, weil die Klägerin nicht wegen bereits erlittener oder unmittelbar
bevorstehender Verfolgung aus-gereist ist und ihr deshalb der nur für Vorverfolgte
geltende herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab nicht zu Gute kommt.
Einer Betrachtung der für die Ausreise maßgeblichen Umstände ist der Senat nicht
deshalb enthoben, weil sich die politischen Verhältnisse seither - insbesondere
durch die Gründung des Staates Eritrea - grundlegend verändert haben. Nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt es für die Zuerkennung
des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabs darauf an, ob dem
Asylsuchenden eine Rückkehr wegen einer schon vor der Ausreise bestehenden
Verfolgungssituation zugemutet werden kann. Dies ist nicht der Fall, wenn ein
innerer Zusammenhang zwischen erlittener Verfolgung und der mit dem
Asylbegehren geltend gemachten Gefahr erneuter Verfolgung dergestalt besteht,
dass bei Rückkehr mit einem Wiederaufleben der ursprünglichen Verfolgung zu
rechnen ist oder das erhöhte Risiko einer gleichartigen Verfolgung besteht
(BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1997 - BVerwG 9 C.9.96 -, DVBl. 1997, 908). Ob
ein solcher innerer Zusammenhang besteht, ist allein nach dem Fortbestehen
objektiver Risikofaktoren zu beurteilen. Derartige Risikofaktoren können
ungeachtet eines zwischenzeitlich erfolgten Machtwechsels und des Untergangs
des zum Zeitpunkt der Flucht bestehenden Staates bzw. des mit einer
Neugründung verbundenen Abfalls eines Teils dieses Staatswesens weiter
bestehen, sofern zwischen den früheren verfolgungsauslösenden Umständen und
der jetzt befürchteten Verfolgung eine übergreifende Verbindung zu erkennen ist
(BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1997 - BVerwG 9 C 9.96 -, a.a.O.). An einer
Vorverfolgung der Klägerin fehlt es indes aus tatsächlichen Gründen, weil sie vor
ihrer Ausreise keine politische Verfolgung erlitten und eine solche auch nicht als
unmittelbar bevorstehend zu befürchten hatte. Gegen ihre religiöse Überzeugung
gerichteten Eingriffen, die ihrer Intensität nach als Verfolgung angesehen werden
könnten, war die Klägerin vor ihrer Ausreise nicht ausgesetzt. Zwar hat sie
angegeben, sie habe an ihrem Arbeitsplatz aus religiösen Gründen nicht an den
monatlich stattfindenden Mitarbeiterkonferenzen teilgenommen, aus diesem
Grunde sei ihr Gehalt gekürzt worden. Da sie sich auch geweigert habe, an den
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Grunde sei ihr Gehalt gekürzt worden. Da sie sich auch geweigert habe, an den
sonntäglichen Versammlungen ihrer Kebele teilzunehmen, habe sie keine
Lebensmittelkarten erhalten. Sie habe gehört, dass andere Zeugen Jehovas ihre
Arbeitsstelle verloren hätten, und gefürchtet, dass Kontrolleure der Regierung sie
belästigen oder ihr etwas antun könnten. Allerdings habe sie durch ihren
Vorgesetzten in ihrer Firma Rückendeckung erhalten und bis zu ihrer Ausreise in
der Firma gearbeitet. Danach sind Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin vor ihrer
Ausreise in ihrer Religionsausübung oder aus religiösen Gründen in ihrer
Berufsausübung in einem die Menschenwürde verletzendem Maße erheblich
beschränkt gewesen sein könnte, nicht ersichtlich.
Die somit unverfolgt ausgereiste Klägerin kann nach der Sachlage im Zeitpunkt
der Entscheidung des Senats derzeit und auf absehbare Zukunft nach Eritrea
zurückkehren, ohne dort wegen ihrer Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der
Zeugen Jehovas von politischer Verfolgung im Sinne von Art. 16 a Abs. 1 GG mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit bedroht zu sein.
Bei der Beurteilung der Verfolgungsgefährdung der Klägerin im Falle ihrer Rückkehr
nach Eritrea ist aufgrund der vorliegenden Auskünfte und Stellungnahmen und der
auf dieser Grundlage vom Senat gewonnenen Erkenntnisse bezüglich der
politischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung in Eritrea von folgenden
Tatsachen auszugehen:
Eritrea wurde am 1. Januar 1890 italienische Kolonie und wurde in der Zeit der
italienischen Besetzung zwischen 1936 und 1941 mit Äthiopien und der Kolonie
"Italienisch Somaliland" zu der italienischen Kolonie "Ostafrika" vereint. 1941
mussten die Italiener Eritrea räumen, nachdem sie von den Briten in der Schlacht
bei Keren geschlagen worden waren. Eritrea gelangte unter britische Verwaltung.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges erfolgte aufgrund eines Beschlusses der
Vereinten Nationen aus dem Jahre 1950 im Jahre 1952 die offizielle Ausrufung der
Föderation zwischen Äthiopien und Eritrea. Die für die Unabhängigkeit
eintretenden Parteien wurden aufgelöst. Der Sonderstatus Eritreas wurde nach
und nach aufgehoben. Im März 1958 fand ein Generalstreik statt, nachdem zuvor
die eritreischen Gewerkschaften aufgelöst und die in der eritreischen Verfassung
garantierte Pressefreiheit aufgehoben worden waren. Dies führte zur Gründung der
Eritreischen Befreiungsbewegung "Eritrean Liberation Movement" (ELM) und der
Eritreischen Befreiungsfront "Eritrean Liberation Front" (ELF). Uneinigkeit innerhalb
der ELF führte 1970 zur Gründung der Volksbefreiungsstreitkräfte "People's
Liberation Forces" (PLF), der Kern der späteren Eritreischen Volksbefreiungsfront
"Eritrean People's Liberation Forces" (EPLF), und mündete in einen Bürgerkrieg, der
sich bis in die 80er Jahre zog (Archiv der Gegenwart vom 24. Mai 1993). Aufgrund
einer im Jahr 1973 eskalierenden Hungerkatastrophe im Norden Äthiopiens und
wegen der aufgestauten Unzufriedenheit in der Bevölkerung über verbreitete
Korruption, Repression und Rückständigkeit, die durch die unzureichenden
Reformansätze des Kaiserreichs Äthiopien verschärft wurden, kam es im
September 1974 zum Putsch gegen den Kaiser Haile Selassie. Ein von jungen
Offizieren gebildeter "provisorischer Militärverwaltungsrat" (amharisch: DERG)
übernahm die Macht. Nach blutigen Machtkämpfen setzte sich im Februar 1977
Oberstleutnant Mengistu Haile Mariam durch, der das Land in den folgenden
Jahren mit "Rotem Terror" überzog. Zwischen 1977 und 1978 sollen den so
genannten Säuberungsaktionen des Mengistu-Regimes bis zu 15.000 Menschen
zum Opfer gefallen sein. Mengistu ging daran, Äthiopien als sozialistischen Staat
marxistisch-leninistischer Prägung umzugestalten, was mit der Verstaatlichung
von Banken, Versicherungen und größeren Unternehmen begann und schließlich
in eine neue Arbeitsgesetzgebung sowie in eine Landreform, verbunden mit
Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen, mündete. Diese Sozialisierung war mit
einer umfassenden staatlichen Überwachung nahezu aller Lebensbereiche,
zunehmender Repression und Willkür verbunden.
Das Mengistu-Regime setzte den Kampf gegen die Freiheitsbewegungen,
insbesondere in Eritrea, fort und lieferte sich einen blutigen Kampf vor allem mit
der "Eritrean People's Liberation Front" (EPLF) und der 1975 gegründeten "Tigray
People's Liberation Front" (TPLF), einer strikt marxistisch-leninistisch
ausgerichteten Organisation. Im Jahre 1990 zeichnete sich allmählich die
militärische Niederlage des Mengistu-Regimes ab; nachdem Verhandlungen mit
den Widerstandsbewegungen gescheitert waren, siegten die von der EPLF und der
TPLF angeführten Rebellenbewegungen schließlich im Mai 1991 über das DERG-
Regime. Mengistu floh am 21. Mai 1991 nach Simbabwe, wo er sich seitdem
aufhält.
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Nach der Eroberung der eritreischen Hauptstadt Asmara durch die EPLF erfolgte
im Mai 1991 die Gründung der Provisorischen Regierung Eritreas, an deren Spitze
der EPLF-Generalsekretär Issayas Afewerki trat. Im April 1993 fand ein Referendum
über die Unabhängigkeit Eritreas von Äthiopien statt, das fast einstimmige
Zustimmung fand und den Weg für einen friedlichen Austritt aus dem äthiopischen
Staatsverband ebnete (amnesty international, April 1995). Am 24. Mai 1993 wurde
Eritrea nach 30-jährigem Unabhängigkeitskampf mit Äthiopien selbstständig. Im
Juni 1993 wurde Issayas Afewerki von der Nationalversammlung zum
Staatspräsidenten gewählt. Die Provisorische Regierung wurde allein von der
"Eritrean People's Liberation Front" (EPLF) gestellt, andere politische Parteien
wurden nicht zugelassen (amnesty international, April 1995). Präsident Afewerki
rief alle Angehörigen der verschiedenen Fraktionen der "Eritrean Liberation Front"
(ELF) auf, nach Eritrea zurückzukehren und beim Aufbau des Landes mitzuhelfen
(amnesty international, Auskunft vom 23. Juli 1993 an VG Ansbach).
Voraussetzung war jedoch, dass sie sich jeglicher oppositioneller Aktivitäten zu
enthalten hatten. Viele ELF-Mitglieder folgten diesem Aufruf und erhielten wichtige
politische Positionen, andere weigerten sich, unter der Bedingung der Aufgabe der
eigenen politischen Identität nach Eritrea zurückzukehren (Auswärtiges Amt,
Lagebericht vom 3. August 1994). In den Jahren 1991 bis 1994 verkündete
Präsident Afewerki drei Amnestien, die jedoch nicht für ehemalige Dissidenten und
Deserteure aus der ehemaligen EPLF und jetzigen PFDJ galten (amnesty
international, Auskunft vom 16. Januar 1995 an VG Wiesbaden). Im Februar 1994
änderte die EPLF auf ihrem dritten Parteikongress ihren Namen in "People's Front
for Democracy and Justice" (PFDJ).
Im Frühjahr 1994 nahm eine Verfassungskommission die Arbeit auf; Eritrea sollte
ein demokratischer und pluralistischer Staat werden, Gewaltenteilung, Achtung der
Menschenrechte, Säkularismus sowie ein Mehrparteiensystem sollten in der
Verfassung verankert werden (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 2. August 1995).
Ein im Jahre 1995 der Nationalversammlung vorgelegter Entwurf einer Verfassung
wurde zur weiteren Beratung einzelner Punkte mit der Öffentlichkeit
zurückgegeben (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 14. August 1996). Das
Parteienverbot gilt weiterhin. In der Verfassung ist das Mehrparteiensystem nicht
verankert; Grundlage für die Parteienbildung sollte ein noch zu verabschiedendes
Parteiengesetz sein (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 2. Dezember 1997). Zwar
wurde die Verfassung am 24. Mai 1997 von der Nationalversammlung
verabschiedet, ist allerdings bislang nicht in Kraft getreten. Die regierende PFDJ hat
ein weitverzweigtes Netz von parteieigenen Firmen aufgebaut, das in erster Linie
der Versorgung alter Kämpfer diente, gleichzeitig aber auch eine einseitige
Stärkung der PFDJ zur Folge hatte (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 14. August
1996).
Seither bemühte sich die politische Führung, das Land politisch, wirtschaftlich und
sozial zu stabilisieren. Beim Aufbau des Landes waren erste Erfolge zu spüren,
diese betrafen insbesondere die Stärkung des privaten Sektors bei gleichzeitiger
Zurücknahme staatlichen Einflusses sowie die Förderung privater Investitionen und
damit insgesamt eine marktwirtschaftliche Orientierung sowie Aussicht auf eine
innenpolitische Öffnung in Richtung zu mehr Demokratie. Diese Erfolge wurden seit
dem Ausbruch des Konflikts mit Äthiopien über streitige Gebiete entlang der
Grenze zwischen beiden Staaten im Mai 1998, der seitdem das politische und
wirtschaftliche Leben in Eritrea bestimmte, nicht mehr weiter verfolgt (Auswärtiges
Amt, Lagebericht vom 18. Dezember 1998).
Im Zuge dieses Konfliktes hat die äthiopische Regierung Personen, die sie als
Eritreer ansah, inhaftiert, in Bussen zur eritreischen Grenze transportiert und sie
gezwungen, diese in Richtung Eritrea zu passieren. Bis Dezember 1998 sollen es
38.000 Personen gewesen sein, die bei ihrer Ankunft in Eritrea von dem dort seit
Juni 1998 vertretenen IKRK betreut wurden (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 18.
Dezember 1998). In der Folgezeit wurden bis Oktober 1999 mehrere Tausend
Äthiopier, unter ihnen auch solche, die nicht am Unabhängigkeitsreferendum
teilgenommen hatten und sich trotz eritreischer Volkszugehörigkeit als äthiopische
Staatsangehörige betrachteten, nach Eritrea deportiert (amnesty international,
Auskunft vom 10. November 1999 an VG Wiesbaden). Im Frühsommer 2000
begann die eritreische Regierung, äthiopische Staatsangehörige, insbesondere
Männer im Alter zwischen 18 und 45 Jahren, in Lagern zu internieren und sie nach
Äthiopien auszuweisen. Zum Teil fanden die Umsiedlungen unter Mithilfe des IKRK
statt (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 10. November 2000).
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Nachdem am 18. Juni 2000 ein Waffenstillstand in Kraft getreten war, haben die
Konfliktparteien am 12. Dezember 2000 einen Friedensvertrag geschlossen, der
nach Angaben des Auswärtigen Amtes angesichts tiefsitzenden gegenseitigen
Misstrauens nicht in allen Teilen implementiert wurde, hinsichtlich seiner
Hauptbestimmung, der Einsetzung einer Grenzdemarkationskommission, jedoch
gute Fortschritte macht (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 14. Oktober
2001). Aufgrund einer Friedensmission der Vereinten Nationen wurde eine
Pufferzone zwischen den Staaten eingerichtet, was zu einer Stabilisierung der Lage
geführt hat.
Auch nach dem Friedensschluss mit Äthiopien ist die Verfassung bis heute nicht in
Kraft getreten und nur politische Programmatik geblieben. Die einzig zugelassene
Partei ist nach wie vor die Regierungspartei "People's Front for Democracy and
Justice" (PFDJ ) des Präsidenten Issayas Afewerki. Die Veröffentlichung zweier
Gesetzentwürfe über die Abhaltung von Wahlen und die Gründung von Parteien
sowie ein im Mai 2001 veröffentlichter Brief von 15 Mitgliedern der PFDJ an den
Präsidenten, der insbesondere den Ruf nach demokratischen Reformen enthält,
haben die innenpolitische Diskussion in Bewegung gebracht. Allerdings hat die
politische Führung lediglich mit einer Verhärtung ihrer Haltung reagiert und die
Unterzeichner des Briefes zunächst aus ihren Staatsämtern entfernt und im
September 2001 diejenigen, die nicht bereits das Land verlassen hatten,
verhaftet. Die durch offiziöse Medien verbreiteten Vorwürfe lassen mit Verfahren
wegen Hoch- und Landesverrates rechnen. Anzeichen für eine politische
Einflussnahme auf die formell unabhängige Justiz ergeben sich daraus, dass der
mit kritischen Äußerungen an die Öffentlichkeit getretene Präsident des Obersten
Gerichtshofs ohne Angabe von Gründen seines Amtes enthoben worden ist.
Kritische Stimmen werden durch die politische Führung zunehmend unter Druck
gesetzt und durch auch persönliche Diffamierung zum Schweigen gebracht. Die
unabhängigen Medien wurden zeitgleich mit den Verhaftungen "suspendiert". Die
zuvor in Aussicht gestellten freien Wahlen Ende des Jahres 2001 haben nicht
stattgefunden. Insgesamt hat sich die von Präsident Issayas Afewerki geführte
Regierung 2001 anstelle der erhofften Öffnung weiter in Richtung einer autoritären
Einparteiendiktatur entwickelt (Auswärtiges Amt, Lagebericht Eritrea vom 14.
Oktober 2001).
Organisierte politische Opposition gegenüber Regierung und der Staatspartei PFDJ
ist in der Öffentlichkeit nicht möglich. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
sind dementsprechend eingeschränkt. Studenten in Asmara, die sich im August
2001 dem gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitsdienst während der Semesterferien
entziehen wollten, wurden in großer Zahl umgehend im Fußballstadion
zusammengetrieben und unter Militärbewachung in Arbeitslager verbracht
(Human Rights Watch vom 21. September 2001).
Eritrea hat 1991 im wesentlichen das äthiopische Straf- und Strafprozessrecht von
1957 übernommen, dabei jedoch die Prügelstrafe abgeschafft, die
Gleichberechtigung der Frauen und den Grundsatz "in dubio pro reo" eingeführt.
Bei verschiedenen Verbrechen kann die Todesstrafe ausgesprochen werden. Seit
der Machtübernahme durch die EPLF (PFDJ) im Mai 1991 ist allerdings kein Fall
einer vollzogenen Todesstrafe mehr bekannt geworden. Folter ist durch das
eritreische Strafgesetzbuch verboten. Allerdings gibt es Berichte zahlreicher
Beobachter, wonach die Polizei aber mindestens gelegentlich, u.a. bei Verhören,
Schläge und andere physische Misshandlungen anwendet; u.a. sollen
Militärdienstverweigerer langandauernden Handfesselungen und ungeschützten
Aufenthalten in der Sonne bei großer Hitze ausgesetzt worden sein.
Zu extralegalen Tötungen, Fällen von "Verschwinden lassen" und unmenschlichen
oder erniedrigenden Strafen gibt es keine gesicherten Erkenntnisse. Angesichts
des gegenüber Äthiopien aufgestauten Hasses ist es sehr wahrscheinlich, dass
insbesondere während der eskalierenden Kriegsphase Übergriffe gegen einzelne
Äthiopier oder ganze Gruppen stattgefunden haben, die in Körperverletzungen
oder Tötungen endeten. Dass es sich hierbei um eine gezielte, verordnete Politik
gehandelt hat, ist nicht erkennbar. Über derartige, aktuelle Vorfälle liegen keine
Berichte mehr vor. Die Haftbedingungen sind für alle Inhaftierten gleich und
entsprechend der wirtschaftlichen Situation sehr spartanisch. (Auswärtiges Amt,
Lagebericht vom 14. Oktober 2001).
Bei Delikten wie Korruption, Weitergabe von vertraulichen Informationen, offene
Opposition gegen die Regierung u. a., die nach Meinung der Regierung das
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Opposition gegen die Regierung u. a., die nach Meinung der Regierung das
Staatswesen gefährden, reagiert der Sicherheitsapparat außerordentlich
empfindlich und brutal. Viele Personen wurden ohne Aussicht auf baldigen
Prozeßbeginn inhaftiert, wovon insbesondere ELF-Anhänger und ehemalige
Kollaborateure betroffen waren. Zum Teil wurden sie auch ohne jede
Rechtsgrundlage inhaftiert und abgeurteilt (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 2.
Dezember 1997).
Eine zentrale Säule des eritreischen Staatsverständnisses ist der Säkularismus.
Partei und Regierung weisen immer wieder auf die strikte Neutralität allen
staatlichen Handelns in Religionsfragen hin. Die beiden dominierenden Religionen,
Islam und Christentum, bestehen in Harmonie nebeneinander (Ministerium für
Auswärtige Angelegenheiten der Niederlande, Lagebericht Eritrea vom 20. Oktober
2000). Religion ist Privatsache, jedoch darf ihre Ausübung nicht dazu führen, dass
unter Berufung auf religiöse Grundüberzeugungen staatspolitische Pflichten
infrage gestellt werden. Bei der Heranziehung zum Militärdienst werden alle
gesellschaftlichen Gruppen gleich behandelt, auch hier findet eine Unterscheidung
nach Rasse, Religion bzw. Nationalität nicht statt. Kriegsdienstverweigerer und
Fahnenflüchtige müssen mit Gefängnisstrafen rechnen. Einen Ersatzdienst gibt es
nicht; von diesen Pflichten kann man sich auch nicht freikaufen. Zeugen Jehovas,
die aufgrund ihrer religiösen Überzeugung den Wehrdienst und auch den
paramilitärischen Dienst im obligatorischen "National Service" (Nationaler Dienst)
verweigern, werden verfolgt und bestraft. Partei und Regierung zeigen gegenüber
der moslemischen Bevölkerung, die ca. die Hälfte der Einwohner Eritreas
ausmacht, in diesen Fragen eine deutliche Sensibilität; mit gleichem Verständnis
und Toleranz können kleinere Religionsgemeinschaften, insbesondere die Zeugen
Jehovas, nicht rechnen (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 10. November 2000).
Gesicherte Erkenntnisse, dass Personen oder Personengruppen wegen ihrer
Rasse, Religion, Nationalität (Ausnahme Äthiopier), Zugehörigkeit zu einer
bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung
staatlichen Repressionen, Misshandlungen, Verhaftungen oder sonstigen
willkürlichen Handlungen der Staatsorgane ausgesetzt sind, liegen dem
Auswärtigen Amt nicht vor (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 14. Oktober 2001).
Eine rassisch diskriminierende Gesetzgebung gibt es nicht. Eritrea ist ein multi-
ethnischer Staat; es gibt neun ethnische oder Sprachgruppen im Land, die
größten Gruppen bilden die Tigrinya sprechenden (vor allem Christen) und die
Tigre sprechenden (mehrheitlich Moslems) Ethnien. Daneben gibt es die Kunama,
die Baira (oder Nara), die Beja, die Bilen, die Saho, die Afer (oder Danakli), die alle
ihre eigene Sprache sprechen, sowie die Gruppe der Rashayda, arabisch
sprechende islamische Nomaden. Die einzelnen Volksgruppen leben weitgehend
einvernehmlich zusammen. Dies entspricht der formulierten Politik der Führung,
ethnische Parteibildungen und Spaltungen zu verhindern, was auch in dem Entwurf
zum Parteiengesetz zum Ausdruck kommt (Ministerium für Auswärtige
Angelegenheiten der Niederlande, Lagebericht vom 20. Oktober 2000).
Frauen ausdrücklich oder tatsächlich diskriminierende Gesetze gibt es nicht.
Allerdings sind Frauen in der patriarchalisch strukturierten und in ländlichen
Gegenden archaisch verfassten Gesellschaft nach wie vor benachteiligt. Die
Regierung ist jedoch bemüht, im Rahmen ihrer Politik, vor allem Schulpolitik,
Abhilfe zu schaffen. Die Strafgesetze verbieten sexuelle Gewalt wie Vergewaltigung
(Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 14. Oktober 2001). Die nach Einschätzung von
UN-Organisationen noch immer weit verbreitete Genitalverstümmelung von
Mädchen und Frauen ist nicht verboten; ein gesetzliches Verbot wäre auch kaum
durchsetzbar. Doch ist es erklärtes politisches Ziel der Regierung, diese Praxis in
erster Linie durch Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit zu reduzieren
(Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der Niederlande, Lagebericht Eritrea
vom 20. Oktober 2000).
Seit Januar 1992 müssen alle eritreischen Staatsangehörigen eine Steuer
entrichten, die vor allem der Unterstützung Kriegsversehrter und Hinterbliebener
von während des Unabhängigkeitskampfes getöteter Kämpfer dient. Seit 1994
beträgt der Steuersatz für im Ausland lebende Eritreer 2 Prozent des
Nettoeinkommens, über deren Entrichtung die eritreische Botschaft eine
Bescheinigung ausstellt. Die Vorlage dieser Bescheinigung ist für die
Inanspruchnahme konsularischer oder anderer staatlicher Dienste erforderlich
(amnesty international, Auskunft vom 28. Februar 2000 an VG Köln).
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Viele Eritreer leben dauerhaft im Ausland (sog. Diaspora), vor allem in USA, Saudi-
Arabien, Deutschland und in den skandinavischen Ländern. Sie finden in Eritrea
wenig Beachtung und sind relativ einflusslos. Ihre Finanzkraft wird geschätzt.
Sofern sie sich kritisch über die Situation in Eritrea äußern, findet dies in der
breiten Öffentlichkeit in Eritrea nur wenig Widerhall. Oppositionelles Verhalten im
Ausland wird in der eritreischen Öffentlichkeit kaum registriert. Eine Person, die in
Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, hatte bisher in der Regel nicht mit
staatlichen Maßnahmen zu rechnen. Vielmehr machen die eritreischen Behörden
kaum einen Hehl daraus, dass Auswanderung wegen der damit verbundenen
finanziellen Unterstützung des Landes erwünscht ist; ein Asylantrag gilt als
legitimes Mittel, Aufenthalt im Ausland zu erlangen (Auswärtiges Amt, Lagebericht
vom 14. Oktober 2001).
Zu einer ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln war das
Land seither nicht in der Lage, die Versorgung wurde durch internationale
Hilfsprogramme sichergestellt (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 21. März 1993 an
VG Gießen). Drohende Hungerkatastrophen konnten immer wieder durch
Nahrungsmittelhilfe und staatlichen Ankauf von Getreide verhindert werden
(Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 18. Dezember 1998). Die ohnehin
angespannte wirtschaftliche Situation hat sich während der kriegerischen
Auseinandersetzung mit Äthiopien weiter verschärft, während der die äthiopische
Armee einen nicht unerheblichen Teil Eritreas besetzte. Infolge dessen begaben
sich etwa 1 Mio. Eritreer (etwa 1/3 der Bevölkerung) auf die Flucht ins
Landesinnere. Die Folgen des Konflikts überschatten das politisch-gesellschaftliche
Leben des Landes. Die Kosten des Konflikts haben die Wirtschaft zum Erliegen
kommen lassen. Die Nahrungsmittelproduktion, die auch zu normalen Zeiten für
die Versorgung der Bevölkerung kaum ausreichend war, ist durch eine
Dürreperiode im Jahr 2000 fast völlig ausgefallen; ca. 60 % der Bevölkerung
werden von der internationalen Gebergemeinschaft etwa als bezugsberechtigt für
Nahrungsmittelhilfe identifiziert und entsprechend versorgt. Bereits im Jahr 1999
war es zu einer Dürreperiode gekommen, wodurch ca. 20 % der Bevölkerung auf
Überlebenshilfe von außen angewiesen waren (amnesty international, Auskunft
vom 28. Februar 2000 an VG Köln). Die eritreischen Behörden waren nicht in der
Lage, die große Zahl von Binnenflüchtlingen und der aus Äthiopien Vertriebenen
mit Nahrungsmitteln zu versorgen, so dass die Hauptlast der Grundversorgung
aus dem Ausland erfolgen musste (Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 3. April
2000 und vom 10. November 2000). Zwischenzeitlich konnten die
Binnenflüchtlinge im Wesentlichen wieder in ihre Siedlungsräume zurückkehren,
allerdings treffen sie dort häufig auf weiträumig verminte Gebiete, deren
Säuberung Jahre in Anspruch nehmen wird (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 14.
Oktober 2001).
Die Klägerin kann sich als Mitglied der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas
nicht auf eine Gruppenverfolgung aller Angehörigen dieser Glaubensgemeinschaft
in Eritrea berufen.
Asylrelevante politische Verfolgung kann sich nicht nur gegen Einzelpersonen,
sondern auch gegen eine durch gemeinsame Merkmale verbundene Gruppe von
Menschen richten mit der Folge, dass dann jedes Gruppenmitglied als von dem
Gruppenschicksal mitbetroffen anzusehen ist (BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 -
1 BvR 147/80 u. a. -, a.a.O., BVerwG, Urteil vom 2. August 1983 - BVerwG 9 C
599.81 -, BVerwGE 67, 314). Nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts kommt die Regelvermutung eigener Verfolgung
grundsätzlich allen Gruppenangehörigen ohne Rücksicht darauf zugute, ob sich die
Verfolgungsmaßnahmen in ihrer Person konkret verwirklicht haben, wenn jedes im
Verfolgungsgebiet im Verfolgungszeitraum lebende Gruppenmitglied nicht nur
möglicherweise, latent oder potentiell, sondern wegen der Gruppenzugehörigkeit
aktuell gefährdet ist, weil den Gruppenangehörigen insgesamt politische
Verfolgung droht (BVerwG, Urteil vom 23. Februar 1988 - BVerwG 9 C 85.87 -,
BVerwGE 79, 79). Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von
Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es
sich dabei nicht mehr um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine
Vielzahl einzelner Übergriffe handelt, sondern dass die Verfolgungshandlungen im
Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden
Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so
ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden
Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle
Gefahr eigener Betroffenheit entsteht, weil auch keine verfolgungsfreien oder
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Gefahr eigener Betroffenheit entsteht, weil auch keine verfolgungsfreien oder
deutlich weniger gefährdeten Zonen oder Bereiche vorhanden sind (BVerwG, Urteil
vom 23. Februar 1988 - BVerwG 9 C 85.87 -, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 15. Mai
1990 - BVerwG 9 C 17.89 -, BVerwGE 85, 139).
In Anwendung dieser Grundsätze kann eine asylrelevante Gruppenverfolgung aller
Angehörigen der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Eritrea nicht
festgestellt werden. Die den Zeugen Jehovas auferlegten Beschränkungen
betreffen weder Leib noch Leben oder die persönliche Freiheit dieser
Bevölkerungsgruppe.
Eine Gruppenverfolgung könnte sich allenfalls aus einer Umsetzung der Direktive
des eritreischen Staatspräsidenten vom 25. Oktober 1994 ergeben. Bei dieser
Direktive handelt es sich um ein offizielles Schreiben des Präsidenten Eritreas an
den damaligen Innenminister Ali Said Abdalla (Institut für Afrika-Kunde, Auskunft
vom 19. Januar 2001 an VG Kassel; Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft
vom 19. November 1996 an Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge), die durch eine Stellungnahme des eritreischen Innenministeriums
vom 25. Oktober 1995 (UNHCR vom 25. Juni 1996 an Bundesamt für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge), bestätigt worden ist. Danach unterliegen
Zeugen Jehovas einer erheblichen Einschränkung ihrer staatsbürgerlichen Rechte
und Freiheiten, weil sie sich aus religiösen Gründen geweigert haben, am
bewaffneten Kampf und am Referendum für die Unabhängigkeit Eritreas im Jahre
1993 teilzunehmen, und die gesetzliche Pflicht zur Ableistung des 18-monatigen
"Nationalen Dienstes" ablehnen (UNHCR, Auskunft vom 25. Juni 1996 an
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge). Staatspräsident
Afewerki ordnete an, dass Zeugen Jehovas eine Beschäftigung im öffentlichen
Dienst ("governmental office") nicht mehr erlaubt sein sollte, soweit sie dort
bereits beschäftigt waren, sollten sie entlassen werden. Sie sind nicht mehr
berechtigt, in Häusern oder Wohnungen zu wohnen, die im staatlichen Besitz oder
unter staatlicher Verwaltung stehen, und müssen diese räumen, wenn ihre
Religionszugehörigkeit bekannt wird. Zeugen Jehovas, die über eine Gewerbe- oder
Geschäftslizenz ("trading license") verfügten, wurde diese entzogen. Betriebe bzw.
Geschäfte oder Büros wurden geschlossen, offenbar auch dann, wenn ein
Teilhaber eine andere Religionszugehörigkeit hatte, oder sie wurden an Personen
vergeben, die sich nicht zu der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas
bekennen. Die Ausstellung von Personenstandsurkunden wurde ebenso erschwert
wie andere staatliche Serviceleistungen wie z. B. die Registrierung für die
Landzuteilung (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 2. Dezember 1997). Die
Ausstellung eines eritreischen Reisepasses wurde generell versagt (Auswärtiges
Amt, Auskunft vom 8. März 2001 an VG Kassel). Von diesen Maßnahmen waren
nicht nur diejenigen im dienstpflichtigen Alter, sondern alle Zeugen Jehovas,
unabhängig von Alter, Familienstand und sozialer Lage, betroffen (Institut für
Afrika-Kunde, Auskunft vom 8. Februar 1996 an VG Würzburg).
Es ist allerdings schon fraglich, ob die genannte Direktive zum gegenwärtigen
Zeitpunkt noch Anwendung findet, denn es gibt keine konkreten Auskünfte
darüber, dass sie auch heute noch umgesetzt wird. Zwar ist amnesty international
der Auffassung, die Direktive sei nach wie vor gültig (amnesty international,
Auskunft vom 20. August 2001 an VG Kassel), ohne dies indes durch Referenzfälle
zu belegen. Dies gilt gleichermaßen für das Institut für Afrika-Kunde, dem keine
Informationen darüber vorliegen, dass die Direktive widerrufen worden sein könnte,
und das deshalb davon ausgeht, sie besitze weiterhin Gültigkeit, wenn auch nicht
ausgeschlossen werden könne, dass die darin enthaltenen Handlungsanweisungen
zwischenzeitlich durch neuere regierungsinterne Schreiben modifiziert wurden
(Institut für Afrika-Kunde, Auskunft vom 19. Januar 2001 an VG Kassel). Dagegen
ist das Auswärtiges Amt der Auffassung, die Direktive werde nicht mehr
angewandt, wenn sie auch nicht förmlich außer Kraft gesetzt worden sein soll
(Auswärtiges Amt, Auskünfte vom 3. März 2001 an VG Kassel und vom 21.
November 2001 an VG Darmstadt).
Es mag indessen dahin stehen, ob und ggf. in welchem Umfang die oben
genannte Direktive auch heute noch umgesetzt wird. Selbst wenn diese Anweisung
heute noch Anwendung finden sollte, erfüllen die mit ihr verordneten
Beschränkungen der staatsbürgerlichen Rechte und Freiheiten der Zeugen
Jehovas nach Intensität und Dichte nicht die Voraussetzungen für eine
asylrechtsrelevante Gruppenverfolgung der Zeugen Jehovas in Eritrea. Zwar sind
diese Beschränkungen - wie sich insbesondere aus der Stellungnahme des
eritreischen Innenministeriums vom 25. Oktober 1995 ergibt - ausschließlich
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eritreischen Innenministeriums vom 25. Oktober 1995 ergibt - ausschließlich
gegen Angehörige der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas gerichtet und
knüpfen somit an ein asylrechtlich bedeutsames persönliches Merkmal, nämlich
die Religionszugehörigkeit, an; gleichwohl liegen keine Anhaltspunkte dafür vor,
dass diesen Maßnahmen der Charakter politischer Verfolgung anhaftet. Es ist
nämlich nicht ersichtlich, dass Zeugen Jehovas hierdurch aus der übergreifenden
Friedensordnung der staatlichen Gemeinschaft ausgegrenzt und damit in eine
ausweglose Lage versetzt würden.
Die Freiheit des religiösen Bekenntnisses oder der Religionsausübung wird nicht
angetastet. Politische Verfolgung liegt in diesem Bereich vor, wenn das religiöse
Existenzminimum, der unverzichtbare Kern der Religionsfreiheit, nämlich die
Religionsausübung im häuslich - privaten Bereich sowie das Gebet und der
Gottesdienst abseits von der Öffentlichkeit in persönlicher Gemeinschaft mit
anderen Gläubigen entsprechend den tragenden Glaubensinhalten, nicht mehr
gewährleistet ist (BVerfG, Beschluss vom 1. Juli 1987 - 2 BvR 478, 962/86 -,
BVerfGE 765, 143; BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1990 - BVerwG 9 C 60.89 -,
BVerwGE 87,52). Ein solcher Eingriff in das religiöse Existenzminimum ist nicht
festzustellen. Die eritreische Regierung gewährleistet die Freiheit der
Religionsausübung jedenfalls in ihrem unverzichtbaren Kernbereich. Nach dem
Inhalt der Proklamation Nr. 73/1995 der Regierung von Eritrea vom 15. Juli 1995
(Auswärtiges Amt, Auskunft vom 14. August 1996 an VG Wiesbaden), die erlassen
wurde, "um die Aktivitäten der Religionen und der religiösen Einrichtungen klar zu
definieren und gesetzlich zu regeln", erkennt der eritreische Staat an, dass Staat
und Religion zwei getrennte Wesen sind (Präambel), der Staat sich nicht in
Angelegenheiten der Religionen und der religiösen Einrichtungen einmischt (
Artikel 2) und Religionen und religiöse Einrichtungen das Recht haben, ihre
religiösen Aktivitäten durchzuführen und zu predigen, sofern sie sich nicht in
politische Einrichtungen einmischen und ihre Veröffentlichungen nicht dem
Pressegesetz unterliegen (Artikel 3). Danach können Zeugen Jehovas ihren
Glauben frei praktizieren. Die nach der Direktive auferlegten Beschränkungen
knüpfen nicht an die Tatsache, ob eine Person als Zeuge Jehovas getauft ist,
ausschlaggebend ist vielmehr, ob der oder die Betreffende aufgrund der religiösen
Überzeugung die nach Art. 25 der eritreischen Verfassung verbindliche Pflicht
jeden Bürgers und jeder Bürgerin, das Land zu verteidigen (Abs. 2) und den
Nationalen Dienst zu absolvieren (Abs. 3), verweigert oder andere als
staatsbürgerliche Pflichten betrachtete Handlungen wie z. B. die Teilnahme am
Unabhängigkeitsreferendum im Jahre 1993 unterlässt (Institut für Afrika-Kunde,
Auskunft vom 19. Januar 2001 an VG Kassel). Dies stellt indes noch keinen Eingriff
in den Kern der religiösen Betätigungsfreiheit dar, insbesondere ist auch eine
Verletzung der Menschenwürde des einzelnen Zeugen Jehovas durch die präsidiale
Direktive nicht ersichtlich.
Auch die Beschränkungen der beruflichen und erwerbswirtschaftlichen
Betätigungsfreiheit der Zeugen Jehovas sind nicht asylrechtlich erheblich.
Benachteiligungen im Berufs- und Arbeitsleben sind nur dann asylerheblich, wenn
sie sich nach Intensität und Schwere als Eingriff in die Menschenwürde darstellen,
wenn also die wirtschaftliche Existenz der Zeugen Jehovas bedroht und damit
jenes Existenzminimum nicht mehr gewährleistet ist, das ein menschenwürdiges
Dasein erst ausmacht (BVerwG, Beschluss vom 5. April 1983 - BVerwG 9 CB 12.80
-, Buchholz 402.24 § 28 Nr. 45). Die von den Zeugen Jehovas zu erduldenden
Maßnahmen berühren nicht ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage. Zwar wurden
Zeugen Jehovas aus dem Staatsdienst ausgeschlossen bzw. entlassen und
mussten die ihnen vom Staat zur Verfügung gestellten Wohnungen räumen.
Indessen liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sie auch außerhalb des
staatlichen Bereichs keine ausreichende Erwerbsgrundlage und keinen
menschenwürdigen Wohnraum finden können.
Anhaltspunkte für eine Gruppenverfolgung ergeben sich auch nicht aus dem
Umstand, dass Zeugen Jehovas durch den Entzug bzw. durch die Versagung der
hierfür erforderlichen Lizenzen ohne zureichende Begründung faktisch die
Betätigung als selbständige Unternehmer verboten wurde. Der Kreis der von
diesen Maßnahmen betroffen Personen ist sehr gering; das Auswärtige Amt geht
aufgrund von Angaben aus der Religionsgemeinschaft insgesamt von lediglich ca.
1.500 bis 2.000 Zeugen Jehovas in Eritrea aus (Auswärtiges Amt, Lageberichte
vom 2. Dezember 1997 und vom 18. Dezember 1998). Eigenen Angaben der
Zeugen Jehovas zufolge waren von der Entlassung aus dem Staatsdienst oder
dem Entzug der Geschäftslizenz insgesamt ca. 130 Personen betroffen
(Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft vom 11. Juni 1997 an VG Stuttgart), so
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(Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft vom 11. Juni 1997 an VG Stuttgart), so
dass die in der Beschränkung als selbständige Unternehmer Betroffenen innerhalb
der Gruppe der Zeugen Jehovas eine besonders kleine Gruppe darstellen. Bereits
die geringe Zahl der betroffenen Zeugen Jehovas spricht dafür, dass es sich
allenfalls um Fälle individueller Verfolgung ohne Bezug zur Gruppenzugehörigkeit
handelt. Diese Frage bedarf aber keiner abschließenden Beantwortung, denn für
die von der Teilnahme am Wirtschaftsleben als selbständige Unternehmer
ausgeschlossenen Zeugen Jehovas besteht die Möglichkeit der Existenzsicherung
durch eine Beschäftigung in der Privatwirtschaft oder auch der Landwirtschaft
(Institut für Afrika-Kunde, Auskunft vom 19. Januar 2001 an VG Kassel, amnesty
international, Auskunft vom 20. August 2001 an VG Kassel). Hiervon haben sie
auch Gebrauch gemacht. Nach Auskunft der Zeugen Jehovas gehen Angehörige
ihrer Glaubensgemeinschaft zum Teil nur gering bezahlter Arbeit nach oder haben
bei Privatunternehmern Beschäftigung gefunden; andere sind auch auf die
Unterstützung durch Familienangehörige angewiesen (Wachtturm Bibel- und
Traktat-Gesellschaft vom 11. Juni 1997 an VG Stuttgart). Allerdings soll im Jahre
1997 von staatlichen Stellen eine Fragebogenaktion an private Arbeitgeber im
Raum Asmara veranlasst worden sein, in der nach Beschäftigungsverhältnissen
mit Zeugen Jehovas gefragt worden sein soll. Ob es daraufhin im Einzelfall
tatsächlich zu Entlassungen gekommen ist, ist nicht bekannt (Institut für Afrika-
Kunde, Auskunft vom 19. Januar 2001 an VG Kassel) . Auch liegen über
vergleichbare Vorkommnisse in jüngerer Zeit keine Erkenntnisse vor. Auch soweit
nach der Direktive des Präsidenten Zeugen Jehovas keine Personenstandspapiere,
insbesondere eritreische Reisepässe nicht ausgestellt worden sind, liegen
Anhaltspunkte für einen nach Intensität und Schwere die Menschenwürde der
Betroffenen verletzenden Eingriff in die Freizügigkeit dieses Personenkreises nicht
vor.
Nach alledem kann eine Gruppenverfolgung der Zeugen Jehovas in Eritrea nicht
festgestellt werden.
Die Klägerin kann eine begründete Furcht vor politischer Verfolgung auch nicht aus
Verfolgungseingriffen gegen Angehörige der Zeugen Jehovas in Eritrea unterhalb
der Schwelle der Gruppenverfolgung herleiten.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss
vom 21. Januar 1991 - 2 BvR 902/85, 515/89, 1827/89 - BVerfGE 83, 216, 231)
kann sich die Gefahr eigener politischer Verfolgung eines Asylbewerbers auch aus
gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines
asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich
mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren
Lage befindet und deshalb seine eigene bisherige Verschonung von
ausgrenzenden Rechtsgutsbeeinträchtigungen als eher zufällig anzusehen ist. In
solcher Lage kann die Gefahr eigener politischer Verfolgung auch aus fremdem
Schicksal abgeleitet werden. Gewichtige Indizien für die Gefahr politischer
Verfolgung in diesem Übergangsbereich zwischen anlassgeprägter
Einzelverfolgung und gruppengerichteter Kollektivverfolgung sind neben
Referenzfällen politischer Verfolgung ein Klima allgemeiner moralischer, religiöser
oder gesellschaftlicher Verachtung. Diese können in einem Asylbewerber
begründete Verfolgungsfurcht entstehen lassen, so dass es ihm nicht mehr
zumutbar ist, in seinem Heimatland zu bleiben bzw. nach dort zurückzukehren.
Wann eine solche Verfolgungsfurcht begründet und asylrechtlich beachtlich ist,
hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein
quantitativen oder statistischen Betrachtung; die für eine Verfolgung sprechenden
Umstände müssen jedoch nach Intensität und Häufigkeit von einem solchen
Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Asylsuchenden
die begründete Furcht ableiten lässt, selbst Opfer solcher Verfolgungsmaßnahmen
zu werden (BVerwG, Urteil vom 23. Juli 1991 - BVerwG 9 C 154.90 -, BVerwGE 88,
367).
Auch insoweit liegen die Voraussetzungen für eine Anerkennung der Klägerin als
Asylberechtigte nicht vor. Die Klägerin kann - wie alle Angehörigen der
Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas - ihre Religion in Eritrea ungehindert
ausüben. Für eine die Menschenwürde der Klägerin antastende Beeinträchtigung
der Freiheit der Erwerbstätigkeit liegen keine Anhaltspunkte vor. Weder war sie vor
ihrer Ausreise aus dem damaligen Äthiopien als selbständige Gewerbetreibende
tätig noch war sie im Staatsdienst beschäftigt. Sie hat vielmehr in einer privaten
Firma die Tätigkeit einer Sekretärin ausgeübt. Anhaltspunkte dafür, dass sie
gerade wegen ihrer Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas
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gerade wegen ihrer Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas
eine vergleichbare Beschäftigung im Falle ihrer Rückkehr nach Eritrea nicht würde
finden können, liegen nicht vor. Beschränkungen der Freiheit der
Religionsausübung oder Berufsausübung liegen somit für die Klägerin nicht vor.
Schließlich berücksichtigt der Senat, dass sich nach Angaben des Auswärtigen
Amtes das gesellschaftliche Klima in Eritrea nicht gegen Zeugen Jehovas richtet,
der Bevölkerung sei die Problematik bekannt, eine Antipathie sei nicht spürbar.
Teilweise werde sogar die Zuverlässigkeit und die Fähigkeiten der Zeugen Jehovas,
insbesondere von privaten Unternehmern, ausdrücklich geschätzt (Auswärtiges
Amt, Auskunft vom 21. November 1997 an VG Stuttgart).
Politische Verfolgung droht der Klägerin weiterhin auch nicht wegen der Gefahr, im
Falle ihrer Rückkehr nach Eritrea möglicherweise zu dem dort gesetzlich
vorgeschriebenen "Nationalen Dienst" einberufen zu werden.
Der "Nationale Dienst" wurde durch Gesetz Nr. 11/1991, das am 6. November
1991 in Kraft getreten ist, eingeführt. Dienstpflichtig sind alle männlichen und
weiblichen Staatsbürger ab dem vollendeten 18. bis zum vollendeten 40.
Lebensjahr. Eine erste Gruppe von Dienstpflichtigen wurde im Jahr 1992 rekrutiert;
diese wurden im Wesentlichen als Hilfskräfte bei der Registrierung der Einwohner
des Landes, der Ausstellung von Personalausweisen und bei der Durchführung des
Referendums über die Unabhängigkeit im Jahre 1993 eingesetzt. Mit der
systematischen Einziehung zum Nationalen Dienst wurde im Sommer 1994
begonnen. Die Ableistung der Dienstpflicht erfolgt in der Armee, der Polizei oder
anderen staatlichen Stellen (Institut für Afrika-Kunde, Auskunft vom 9. Januar 2001
VG Regensburg). Die Durchführungsbestimmungen werden vom
Verteidigungsministerium erlassen, das auch die Einteilung der Dienstpflichtigen
vornimmt und im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben über die Dauer des Dienstes
entscheidet. Dieser kann zwischen 12 bis 18 Monaten dauern. In der Praxis hat der
Nationale Dienst eine Gesamtdauer von 18 Monaten; an eine militärische
Grundausbildung von 6 Monaten schließt sich eine weitere Dienstzeit von 12
Monaten an, die entweder in der Armee oder in zivilen Einrichtungen als eine Art
Arbeitsdienst abgeleistet wird. Nach Ableistung des Nationalen Dienstes erfolgt die
Zuweisung zu einer Armeeeinheit, bei der sich die Betreffenden für
Reserveübungen oder im Falle der Mobilmachung im Kriegsfall zu melden haben.
Das Gesetz sieht das Recht, den Nationalen Dient zu verweigern, nicht vor;
allerdings gibt es die Möglichkeit der Befreiung von der Dienstpflicht, die bei der
zuständigen Erfassungsstelle vor der Einberufung zu beantragen ist. Eine
Dienstbefreiung aus religiösen oder Gewissensgründen ist nach dem Gesetz nicht
vorgesehen. Dienstbefreiung können nur diejenigen beantragen, die bereits vor
Erlass des Gesetzes gedient haben, also diejenigen, die am bewaffneten
Unabhängigkeitskampf teilgenommen haben (Kämpferinnen und Kämpfer der
Eritreischen Volksbefreiungsfront EPLF) und diejenigen, die in einer der
Einrichtungen tätig sind, in denen der Nationale Dienst abgeleistet wird, soweit sie
an ihrem Arbeitsplatz nicht ersetzt werden können. Auch aus gesundheitlichen
Gründen ist eine Dienstbefreiung möglich, wenn ein Ausschuss die fehlende
Tauglichkeit bescheinigt. Für Verstöße gegen das Gesetz über den Nationalen
Dienst sind Haftstrafen von bis zu zwei Jahren und/oder Geldstrafen vorgesehen. Je
nach Sachlage kann auch das Strafgesetzbuch von 1991, mit dem das äthiopische
Strafrecht mit geringfügigen Änderungen übernommen worden ist (Auswärtiges
Amt, Auskunft vom 2. Februar 2001 an VG Regensburg), zur Anwendung kommen.
Ausdrücklich als Straftatbestände im Sinne dieses Gesetzes aufgeführt sind der
Versuch, sich der Dienstpflicht zu entziehen, die Mithilfe bei einem solchen
Versuch sowie die Mitwisserschaft. Nach Ableistung der Strafe ist der Nationale
Dienst zu absolvieren (Institut für Afrika-Kunde, Auskunft vom 8. Februar 1996 an
VG Würzburg, UNHCR vom 25. Juni 1996 an Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge).
Ob die im Oktober 1950 geborene Klägerin im Falle ihrer Rückkehr nach Eritrea
überhaupt noch mit einer Einberufung zum Nationalen Dienst rechnen muss, ist
fraglich, da sie die gesetzliche Höchstgrenze mit Vollendung des 40. Lebensjahres
bereits überschritten hat. Allerdings weist das Auswärtige Amt im Jahre 2000
darauf hin, dass - aufgrund des zum damaligen Zeitpunkt herrschenden Konflikts
mit Äthiopien - dem Vernehmen nach auch eritreische Staatsangehörige bis zum
55. Lebensjahr einberufen worden sein sollen (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 10.
Februar 2000 an VG Ansbach). Die Frage, ob die Klägerin tatsächlich noch zum
Nationalen Dienst einberufen werden würde und im Falle der
Wehrdienstverweigerung eine Bestrafung nach den einschlägigen Vorschriften des
Strafgesetzbuchs zu befürchten hätte, kann indessen offen bleiben, denn eine
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Strafgesetzbuchs zu befürchten hätte, kann indessen offen bleiben, denn eine
derartige Bestrafung stellt sich nicht als Maßnahme politischer Verfolgung dar.
Die Einberufung zum Wehrdienst und die Bestrafung wegen der Verweigerung der
Erfüllung der Wehrpflicht stellen grundsätzlich keine Maßnahmen politischer
Verfolgung dar. Das Grundrecht auf Asyl schließt nämlich nicht auch das
Grundrecht auf Verweigerung des Kriegsdienstes aus Gewissensgründen mit ein
(BVerfG, Beschlüsse vom 11. Dezember 1985 - 2 BvR 361/83 und 2 BvR 449/83 -,
BVerfGE 71, 276). Auch einer generellen Maßnahme oder Regelung wie gerade der
Verpflichtung zum Waffendienst kann allerdings eine - nicht offen zutage liegende -
politische Verfolgungstendenz innewohnen, etwa dann, wenn zugleich eine
politische Disziplinierung und Einschüchterung von politischen Gegnern in den
eigenen Reihen, eine Umerziehung von Andersdenkenden oder eine
Zwangsassimilation von Minderheiten bezweckt wird. Anhaltspunkte für derartige
Intentionen können sich aus der besonderen Ausformung der die Wehrpflicht
begründenden Regelungen, aus ihrer praktischen Handhabung, aber auch aus
ihrer Funktion im allgemeinen politischen System der Organisation ergeben. Dabei
sind der totalitäre Charakter einer Organisation oder einer Staatsform, die
Radikalität ihrer Ziele, der Rang, den sie dem Einzelnen und seinen Belangen
einräumen, sowie das Maß an geforderter und durchgesetzter Unterwerfung
wichtige Gradmesser für Verfolgungstendenzen in Regelungen, denen eine
gezielte Diskriminierung nicht ohne weiteres anzusehen ist (BVerwG, Urteil vom
31. März 1981 - BVerwG 9 C 6.80 -, BVerwGE 62, 123).
Anhaltspunkte dafür, dass der eritreische Staat mit der Bestrafung von Zeugen
Jehovas wegen Verweigerung der Ableistung des Nationalen Dienstes Angehörige
dieser Glaubensgemeinschaft gerade wegen ihres Bekenntnisses noch zusätzlich -
über die Ahndung zivilen Ungehorsams gegenüber der allgemeinen Dienstpflicht
hinaus - bestrafen wolle, sind nach allen dem Senat zur Verfügung stehenden
Erkenntnissen nicht ersichtlich. Zum einen können nämlich Zeugen Jehovas in
Eritrea in dem oben dargestellten Rahmen der Proklamation Nr. 73/1995 ihren
Glauben frei praktizieren, zum anderen werden nach den vorliegenden
Erkenntnissen auch andere Personen, die den Dienst - auch aus religiösen
Gründen - verweigern, insbesondere moslemische Frauen, bestraft.
Es kann nicht festgestellt werden, dass die Ausgestaltung des Nationalen Dienstes
als solche in Eritrea ausnahmsweise politischen Charakter hätte, indem ihr neben
der allgemeinen Zweckbestimmung auch eine asylrelevante Verfolgungstendenz
anhaftet (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. März 1981 - BVerwG 9 C 6.80 -, a.a.O.). Es
liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Verweigerer oder Deserteure, die der
Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas angehören, übermäßig hart bestraft,
insbesondere zu besonders gefährlichen Einsätzen kommandiert oder sonst
allgemein geächtet würden, oder sie aber im Falle einer Verurteilung wegen
Verweigerung des Nationalen Dienstes hinsichtlich des Strafmaßes oder der
Haftbedingungen härter behandelt würden, als andere Straftäter, ihrer
Verurteilung somit eine auf die Zugehörigkeit zu ihrer Glaubensgemeinschaft
asylerhebliche "überschießende" Zielrichtung (sog. Politmalus) zukäme.
Zwar berichtet das US-Departement of State in seinem Jahresbericht 1999 und
wiederholt dies in seinem Jahresbericht 2000, im Jahre 1998 seien mehrere
Mitglieder der Zeugen Jehovas festgenommen worden, weil sie mit dem Gesetz
über den Nationalen Dienst in Konflikt geraten seien, einige von ihnen seien auch
vor Gericht gestellt worden. Allerdings habe man keine verlässlichen Informationen
über den Inhalt der Anklageschriften oder Verurteilungen. Amnesty international
zufolge sollen in der südöstlichen Region Danakli sehr wahrscheinlich auch
Wehrdienstverweigerer in Haft genommen worden sein, ob sich darunter allerdings
auch Zeugen Jehovas befunden haben, ist nicht bekannt. Unter Berufung auf den
zuvor genannten Bericht des US-Departement of State 1999 wird weiter
ausgeführt, Zeugen Jehovas würden zweifellos anders behandelt als andere
Wehrdienstverweigerer, 1994 und 1995 hätten auch viele muslimische Frauen den
Dienst verweigert, was aber nicht zu ähnlichen Strafmaßnahmen gegenüber
Muslimen geführt habe (amnesty international, Auskunft vom 27. Juni 1996 an VG
Würzburg). In einer späteren Auskunft hält amnesty international an dieser
Auffassung offenbar nicht mehr fest, denn es wird berichtet, die Verweigerung des
Nationalen Dienstes werde auch bei anderen Personen, z. B. bei Moslems, die den
Dienst für Frauen ablehnten, sanktioniert. Einzelheiten über gegen
Dienstverweigerer verhängte Urteile lägen nicht vor (amnesty international,
Auskunft vom 20. August 2001 an VG Kassel). Unter dem 11. Juni 1997 führt die
Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft aus, es scheine, als ob die Regierung
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Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft aus, es scheine, als ob die Regierung
sich gegenüber anderen Personen, die den Nationalen Dienst verweigerten und
keine Zeugen Jehovas seien, blind stelle, dies treffe auf moslemische Mädchen zu.
Diese Behauptung wird jedoch durch keinen Fall belegt. Weiter heißt es, Zeugen
Jehovas könnten in einem solchen Fall kaum auf eine Anstellung hoffen. Auch gebe
es eine Vielzahl von Zeugen Jehovas, die den Zivilen Nationalen Dienst leisteten,
ohne dass ihnen irgendeine Erleichterung erwiesen würde (Wachtturm Bibel- und
Traktat-Gesellschaft, Auskunft vom 11. Juni 1997 an VG Stuttgart). Auch das
Institut für Afrika-Kunde kann keine Angaben darüber machen, ob Zeugen Jehovas
anders als andere Dienstverweigerer behandelt werden, weil Fälle von offener
Verweigerung nicht bekannt seien. Es geht aber davon aus, dass sie nach einer
zwangsweisen Einziehung größeren Härten ausgesetzt wären als andere Personen.
Im Falle einer Verurteilung befänden sich Wehrdienstverweigerer nicht im regulären
Strafvollzug, sondern würden in und bei den Ausbildungslagern für die
Grundausbildung inhaftiert. Die Haftbedingungen dürften darauf ausgerichtet sein,
die Inhaftierten von ihrer Verweigerung abzubringen. Die Haftbedingungen im
Regelstrafvollzug entsprächen den wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten
des Landes; Folter werde, soweit bekannt, nicht angewendet, könne aber auch
nicht ausgeschlossen werden (Institut für Afrika-Kunde, Auskunft vom 8. Februar
1996 an VG Würzburg). Dies wird auch durch das Auswärtige Amt bestätigt, das im
Übrigen darauf hinweist, die Verpflegung von Inhaftierten sei von Verwandten bzw.
Bekannten sicherzustellen. Auch könnten Häftlinge zu Arbeitsdiensten, wie z. B.
Arbeiten auf Baumwollfeldern, herangezogen werden. Der Botschaft der
Bundesrepublik Deutschland in Eritrea sei neben den Zeugen Jehovas keine
andere Gruppe bekannt, die sich in ähnlicher Weise dem Militärdienst zu entziehen
versuche; eine Andersbehandlung sei zwar nicht gänzlich auszuschließen, jedoch
kaum anzunehmen (Auswärtiges Amt, Auskünfte vom 27. März 1996 an VG
Würzburg und vom 21. November 1997 an VG Stuttgart). Dies wird später durch
das Auswärtige Amt bekräftigt, indem es darauf hinweist, hinsichtlich der Folgen
der Verweigerung des Nationalen Dienstes bestünden nach seinen Informationen
keine Unterschiede zu anderen Gruppen (Auswärtiges Amt, Auskünfte vom 8.
März 2001 an VG Kassel und vom 21. November 2001 an VG Darmstadt). Auch
nach Angaben des niederländischen Außenministeriums sind keine Urteile
bezüglich Wehrdienstverweigerern und Deserteuren bekannt geworden, es wird
davon ausgegangen, dass (potentielle) Wehrdienstverweigerer einfach gezwungen
würden zu dienen (Niederlande, Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten,
Lagebericht Eritrea von Oktober 2000). Im Januar 2001 teilt das Institut für Afrika-
Kunde mit, hinsichtlich der Bestrafung wegen Verweigerung des Nationalen
Dienstes komme es nicht darauf an, ob jemand als Zeugen Jehovas getauft sei,
ausschlaggebend sei vielmehr, ob die Person aufgrund der religiösen Überzeugung
den Dienst verweigere (Institut für Afrika-Kunde, Auskunft vom 19. Januar 2001 an
VG Kassel).
Es bestehen somit keine Anhaltspunkte für die Annahme, Zeugen Jehovas würden
im Vergleich zu anderen Gruppen von Dienstverweigerern, insbesondere der
Gruppe von moslemischen Frauen, möglicherweise härter bestraft, da den
auskunftsgebenden Stellen keine Urteile gegen Dienstverweigerer bekannt sind
und somit keine zuverlässigen Vergleiche gezogen werden können. Dabei
berücksichtigt der Senat zudem, dass auch die Wachtturm Bibel- und Traktat-
Gesellschaft über eine entsprechende bloße Vermutung hinaus keine konkreten
Fälle benannt hat. Auch hinsichtlich der Haftbedingungen ist eine über die
offensichtlich bezweckte Beugewirkung hinaus Zeugen Jehovas wegen ihres
Bekenntnisses treffende Schlechterstellung nicht erkennbar. Soweit im Übrigen im
Jahresbericht 1999 des US-Departement of State unter Berufung auf Mitteilungen
aus Kreisen der Zeugen Jehovas von März 1999 berichtet wird, drei Mitglieder der
Zeugen Jehovas seien wegen Verweigerung des Nationalen Dienstes ohne
Gerichtsverfahren mehr als vier Jahre festgehalten worden, ist dieser Sachverhalt
durch keine der bekannten auskunftsgebenden Stellen bestätigt worden. Selbst
wenn man indes diesen Vorgang als wahr unterstellt, kann daraus angesichts der
oben dargestellten Auskunftslage nicht die Schlussfolgerung gezogen werden,
dass ein derart ungesetzliches Verhalten des eritreischen Staates gegenüber
Verweigerern des Nationalen Dienstes die Regel sei.
Nach alledem steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin - ihre
künftige Einberufung zum Nationalen Dienst und ihre Weigerung, diesen
abzuleisten unterstellt - zwar damit rechnen müsste, nach den für
Dienstverweigerer geltenden gesetzlichen Bestimmungen bestraft und
anschließend zwangsweise dem Nationalen Dienst zur Ableistung zugeführt zu
werden, sie aber wegen ihrer Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der
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werden, sie aber wegen ihrer Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der
Zeugen Jehovas nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer schärferen
Behandlung ausgesetzt wäre als andere Dienstverweigerer (wie hier: BayVGH,
Urteil vom 24. März 2000 - 9 B 96.35177).
Entgegen der Annahme der Klägerin beinhaltet auch die Forderung, für die Einreise
nach Eritrea eine Genehmigung einzuholen, keine politische Verfolgung.
Allerdings kann die Verweigerung der Einreise in das Heimatland eine Maßnahme
politischer Verfolgung darstellen. "Aussperrungen" und "Ausgrenzungen" in Gestalt
von Rückkehrverweigerungen stellen jedenfalls dann politische Verfolgung dar,
wenn sie wegen asylerheblicher Merkmale des Betroffenen erfolgen (vgl. BVerwG,
Urteil vom 24. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 75.95 -, InfAuslR 1996, 225). Dies ist
hier nicht der Fall.
Dass die Klägerin wegen ihres Wohnsitzes im Ausland einer Einreisegenehmigung
in ihr Heimatland Eritrea bedarf, hat keinerlei politische Hintergründe. Es handelt
sich um eine rein ordnungsrechtliche Maßnahme, da bei der Erteilung bzw.
Verweigerung der Einreisegenehmigung erkennbar an keine asylrechtlich
bedeutsamen persönlichen Merkmale angeknüpft wird.
Nach übereinstimmenden Berichten der auskunftsgebenden Stellen verlangt die
eritreische Regierung von im Ausland lebenden Eritreern zwei Prozent vom
jeweiligen Bruttoeinkommen als sog. "Aufbausteuer" für den Wiederaufbau des
Landes. Die Verweigerung der Abgabe hat rechtliche und soziale Konsequenzen,
der Erwerb von Grundeigentum und Immobilien in Eritrea ist ausgeschlossen,
Eigentumsansprüche können nicht angemeldet werden und Geschäftsgründungen
sind nicht möglich (Auswärtiges Amt, Auskünfte vom 12. Oktober 1999 an VG Köln
und vom 3. Februar 2000 an VG Gießen, Institut für Afrika-Kunde, Auskünfte vom
15. November 1999 an VG Gießen und vom 29. November 1999 an VG Köln,
amnesty international, Auskunft vom 28. Februar 2000 an VG Köln). Soweit
amnesty international noch im Jahre 1995 angegeben hat, die Aufbausteuer werde
nicht von jedem eritreischen Staatsbürger verlangt (amnesty international vom
April 1995), wiederholt amnesty international diese Behauptung in späteren
Auskünften nicht mehr. Vielmehr wird in der Auskunft vom 28. Februar 2002 an VG
Köln darauf hingewiesen, dass die Aufbausteuer auch für Sozialhilfeempfänger
obligatorisch sei.
Zwar bestehen nach amnesty international Zweifel, ob einem politisch
oppositionell eingestellten eritreischen Staatsangehörigen überhaupt die
notwendigen Dokumente für eine Rückkehr in den Heimatstaat ausgestellt werden
würden (amnesty international, Auskunft vom 1. März 1996 an VG Ansbach);
daraus lässt sich jedoch für die Annahme einer Einreiseverweigerung wegen der
Religionszugehörigkeit der Klägerin nichts herleiten.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es keine Anhaltspunkte dafür gibt,
dass die Einreise aus asylrechtlich beachtlichen Gründen verweigert wird;
insbesondere liegen für eine derartige Praxis der eritreischen Behörden keine
Referenzfälle vor. Amnesty international hat diesbezügliche Behauptungen durch
keinen Fall belegt, und auch sonst sind keine Einzelfälle von Einreiseverweigerung
bekannt geworden. Es ist lediglich festzustellen, dass insbesondere Oppositionelle
entweder freiwillig und unter Aufgabe ihrer oppositionellen Haltung oder nur für
Besuchsaufenthalte zurückgekehrt sind. Auch eine unterstellte willkürliche Praxis
der Erhebung der "Aufbausteuer" an sich ohne erkennbare Anknüpfung an
asylrelevante Merkmale lässt nicht zwingend auf eine asylrelevante Behinderung
der Einreise schließen. Die Beobachtung von Oppositionellen im Ausland und der
Ausschluss jeglicher Opposition in Eritrea legen zwar die Vermutung nahe, dass
durch die Rücknahme nur von freiwilligen Rückkehrern unerwünschte Opposition im
Ausland belassen werden soll; mit Tatsachen belegt ist diese Vermutung bisher
jedoch nicht. Im Übrigen ist die Klägerin selbst nicht individuell in dieser Weise
betroffen worden, da sie bisher keinen entsprechenden Antrag bei den eritreischen
Behörden gestellt hat (vgl. auch Hess. VGH, Urteil vom 24. Oktober 1996 - 3 UE
2697/91 -).
Schließlich sind Fälle einer förmlichen Aberkennung der eritreischen
Staatsangehörigkeit aufgrund der präsidialen Direktive vom 26. Oktober 1994
nicht bekannt geworden. Zwar weisen die auskunftsgebenden Stellen - wie oben
dargestellt - auf die Entziehung staatsbürgerlicher Rechte hin; ein Fall von
Ausbürgerung eines Zeugen Jehovas wird aber weder von amnesty international,
dem Institut für Afrika-Kunde oder der Wachtturm Bibel- und Traktat-
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dem Institut für Afrika-Kunde oder der Wachtturm Bibel- und Traktat-
Gesellschaft berichtet. UNHCR und das Auswärtige Amt heben vielmehr hervor,
dass ein derartiger Fall nicht bekannt geworden sei (UNHCR Zirndorf, Auskunft
vom 25. Juni 1996 an Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge;
Auswärtiges Amt, Auskunft vom 21. November 2001 an VG Wiesbaden).
Die Klägerin hat somit keinen Anspruch auf Anerkennung als politisch Verfolgte
nach Art. 16 a Abs. 1 GG.
II.
Der Klägerin kann auch nicht der ausländerrechtliche Abschiebungsschutz für
politisch Verfolgte nach § 51 Abs. 1 AuslG gewährt werden. Für die Feststellung
dieses Anspruchs gilt der gleiche Prognosemaßstab wie für Art. 16 a Abs. 1 GG
(BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - BVerwG 9 C 1.94 -, Buchholz 402.25 AsylVfG § 1
Nr. 173). Der Klägerin droht - wie oben dargestellt - bei einer Rückkehr nach Eritrea
nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung wegen ihrer
Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas.
III.
Die hilfsweise begehrte Feststellung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen
ist nur zum Teil begründet, denn die Klägerin hat im Zeitpunkt der Entscheidung
des Senats keinen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungshindernissen nach
§ 53 Abs. 4 AuslG in Verbindung mit Art. 3 der Konvention zum Schutze der
Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - vom 4. November 1950 (BGBl. II
1952 S. 686), es liegt aber ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1
AuslG hinsichtlich Eritrea vor.
Nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand des Senats droht der Klägerin keine im
Sinne der Vorschrift des § 53 Abs. 4 AuslG i. V. m Art. 3 EMRK hinreichend
wahrscheinliche Gefahr, dass die Behörden in Eritrea sie mittels schwerer Eingriffe
in elementare Rechtsgüter unmenschlich oder erniedrigend behandeln werden.
Nach § 53 Abs. 4 AuslG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich
aus der Anwendung von Art. 3 EMRK, die der deutsche Gesetzgeber bereits mit
Zustimmungsgesetz vom 7. August 1952 (BGBl. II, 685) in innerstaatliches
deutsches Recht transformiert hat und die seitdem in der Bundesrepublik
Deutschland im Range eines einfachen Bundesgesetzes gilt, ergibt, dass die
Abschiebung unzulässig ist. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (grundlegend: Urteil vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9
C 15.95 -, NVwZ 1996, 476; bestätigt durch Urteile vom 4. Juni 1996 - BVerwG 9 C
134.95 -, InfAuslR 1996, 289, vom 19. November 1996 - BVerwG 1 C 6.95 -, NVwZ
1997, 685, vom 8. April 1997 - BVerwG 1 C 12.94 -, NVwZ 1997, 1112, vom 11.
November 1997 - BVerwG 9 C 13.96 -, DVBl. 1998, 282 und vom 25. November
1997 - BVerwG 9 C 58.96 -, DVBl. 1998, 284) geht auch der erkennende Senat
davon aus, dass Art. 3 EMRK ebenso wie das Asylrecht nicht vor den allgemeinen
Folgen von Naturkatastrophen, Bürgerkriegen und anderen bewaffneten Konflikten
schützt, sondern dass eine Verantwortlichkeit des Vertragsstaates grundsätzlich
nur für die Folgen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung besteht. Dabei
setzt der Begriff der Behandlung ein geplantes, vorsätzliches, auf eine bestimmte
Person gerichtetes Handeln voraus. Diese Begrenzung des Schutzbereichs des
Art. 3 EMRK ergibt sich, wie das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom
17. Oktober 1995 (- BVerwG 9 C 15.95 -, NVwZ 1996, 476) ausführlich dargelegt
hat, aus der Entstehungsgeschichte sowie aus Sinn und Zweck der Europäischen
Menschenrechtskonvention. In Fällen der Abschiebung ist ein Verstoß gegen Art. 3
EMRK mithin nur dann in Betracht zu ziehen, wenn ernsthafte Gründe für die
Annahme bestehen, dass der Abgeschobene im aufnehmenden Land einer von
Art. 3 EMRK verbotenen Behandlung unterworfen wird, was bei allgemeinen Folgen
von Naturkatastrophen, Bürgerkriegen, nachteiligen Auswirkungen eines
unterentwickelten Gesundheitssystems und anderen bewaffneten Konflikten
offensichtlich nicht zutrifft, sondern vielmehr grundsätzlich nur eine vom Staat
ausgehende oder zumindest von ihm zu verantwortende Misshandlung eine
unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK sein
kann (so ebenfalls: Hess. VGH, Urteile vom 29. Juli 1996 - 13 UE 2378/96.A -, vom
18. Dezember 1997 - 3 UE 3402/97.A - und vom 28. Mai 1998 - 3 UE 755/98.A -).
Auch im Hinblick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte - EGMR - vom 17. Dezember 1996 (Nr. 71/1995-577-663 - Ahmed
gegen Österreich - InfAuslR 1997, 279) ist mit dem Bundesverwaltungsgericht (vgl.
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gegen Österreich - InfAuslR 1997, 279) ist mit dem Bundesverwaltungsgericht (vgl.
Urteil vom 15. April 1997 - BVerwG 9 C 38.96 -, NVwZ 1997, 1127 - und vom 2.
September 1997 - BVerwG 9 C 40.96 -, BVerwGE 105, 187) an dieser Auslegung
von § 53 Abs. 4 AuslG festzuhalten. Danach ist auch weiterhin davon auszugehen,
dass Abschiebungsschutz nach dieser Bestimmung nur gewährt werden kann,
wenn die Klägerin im Zielland der Abschiebung (hier Eritrea) Gefahr läuft, einer
unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung durch den Staat
oder eine staatsähnliche Organisation unterworfen zu werden. Wie das
Bundesverwaltungsgericht in der vorgenannten Entscheidung ausgeführt hat,
ergibt sich die Begrenzung des Schutzbereichs von Art. 3 EMRK aus den nach Art.
31 der Wiener Vertragsrechtskonvention (BGBl. 1985 II, S. 926) vorrangigen
Gesichtspunkten der gewöhnlichen Bedeutung der Vertragsbestimmungen in
ihrem Zusammenhang sowie aus deren Sinn und Zweck unter Berücksichtigung
auch der Entstehungsgeschichte, wobei den Erkenntnissen der
Konventionsorgane, vornehmlich des EGMR, besonderes Gewicht zukommt. Nach
alledem ist bei der Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 4 AuslG
i.V.m. Art. 3 EMRK auch weiterhin von den oben genannten Voraussetzungen
auszugehen.
Für die Feststellung dieses Anspruchs gilt der gleiche Prognosemaßstab wie für
Art. 16 a Abs. 1 GG (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - BVerwG 9 C 1.94 -,
Buchholz 402.25 AsylVfG § 1 Nr. 173 Seite 17), hier also der Maßstab der
beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Dies gilt unbeschadet dessen, ob im Zeitpunkt
der Ausreise der Klägerin aus ihrem damaligen Heimatland Äthiopien eine
Verfolgung durch die äthiopischen Behörden gegeben war oder unmittelbar
bevorstand oder eine unterstellte Verfolgung ihrem jetzigen Heimatland Eritrea
zuzurechnen wäre. Der im Asylrecht für die Fälle politischer Verfolgung geltende so
genannte herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist bei der Anwendung des §
53 Abs. 4 AuslG nämlich auch dann nicht anwendbar, wenn der Schutzsuchende
schon einmal Opfer einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung
gewesen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1996 - BVerwG 9 C 134.95 - InfAuslR
1996, 289). Das auch in § 53 Abs. 4 AuslG enthaltene Element der Konkretheit der
Gefahr für diesen Ausländer kennzeichnet jedoch das zusätzliche Erfordernis einer
einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation.
Des Weiteren gilt, dass der Umstand, dass sich eine Vielzahl von Personen in
derselben Situation befindet, die Anwendung von § 53 Abs. 4 AuslG nicht
ausschließt (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1996 - BVerwG 9 C 134.95 -, a.a.O.).
Überträgt man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall, ergibt sich, dass der
Klägerin im Falle ihrer Rückkehr nach Eritrea wegen ihrer Zugehörigkeit zur
Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas keine im Sinne des § 53 Abs. 4 AuslG
i. V. m. Art. 3 EMRK beachtlich wahrscheinliche Gefahr droht, in Eritrea durch
staatliche Eingriffe oder durch Dritte, für die der Staat verantwortlich ist, mittels
schwerer Eingriffe in elementare Rechtsgüter unmenschlich behandelt zu werden.
Zur Begründung kann insoweit auf die Ausführungen oben zu Art. 16 a Abs. 1 GG
und § 51 Abs. 1 AuslG Bezug genommen werden.
Allerdings kann sich die Klägerin auf Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6
Satz 1 AuslG hinsichtlich Eritrea berufen.
Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach dieser Vorschrift setzt grundsätzlich
das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer lediglich auf
allgemeine Gefahren im Sinne von § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG, die - wie
beispielsweise die typischen Bürgerkriegsgefahren - nicht nur ihm persönlich,
sondern zugleich der ganzen Bevölkerung oder einer Bevölkerungsgruppe drohen,
wird Abschiebungsschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der
obersten Landesbehörde nach § 54 AuslG gewährt. § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG
erfasst allgemeine Gefahren im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG grundsätzlich
auch dann nicht, wenn sie den einzelnen Ausländer konkret und in
individualisierbarer Weise betreffen (BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 -
BVerwG 9 C 15.95 -, NVwZ 1996, 476; Urteil vom 4. Juni 1996 - BVerwG 9 C 134.95
-, InfAuslR 1996, 289).
Allerdings ist § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG verfassungskonform dahin auszulegen und
anzuwenden, dass von der Abschiebung eines unter diese Bestimmung fallenden
Ausländers nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG abzusehen ist, wenn das
Verfassungsrecht dies gebietet (BVerwG, Urteil vom 18. April 1996 - BVerwG 9 C
77.95 -, InfAuslR 1996, 289, Urteil vom 12. Juli 2001 - BVerwG 1 C 2.01 -, DVBl.
2001, 1531). Ein solcher Fall ist nach der Rechtsprechung des
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2001, 1531). Ein solcher Fall ist nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts gegeben, wenn die oberste Landesbehörde trotz einer
extremen allgemeinen Gefahrenlage, die jeden einzelnen Ausländer im Falle seiner
Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten
Verletzungen ausliefern würde, von ihrer Ermessensermächtigung nach § 54 AuslG
keinen Gebrauch gemacht hat, einen generellen Abschiebestopp zu verfügen. Zu
diesen extremen Gefahren für Leib und Leben gehören auch Gefahren, die infolge
völliger Unterversorgung der Bevölkerung mit dem elementaren Bedarf des
täglichen Lebens entstehen, denn auch ein solcher extremer Mangel kann die
Existenz der davon Betroffenen in lebensbedrohlicher Weise gefährden (so auch
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25. September 1996 - A 16 S 2211/ 95 -,
VBlBW 1997, Teil 1 B6). Liegen die genannten Voraussetzungen vor, gebieten es
die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, dem einzelnen
Ausländer unabhängig von einer Ermessensentscheidung nach §§ 53 Abs. 6 Satz
2, 54 AuslG Abschiebungsschutz zu gewähren. Dabei kommt es nicht darauf an,
von wem die Gefahr ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen wird.
Von einer individuellen, d. h. der Klägerin als Einzelperson drohenden Gefahr - wie
dies in § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG im Regelfall verlangt wird - kann nicht
ausgegangen werden. Die Klägerin träfe im Falle einer Rückkehr in ihr Heimatland
auf fraglos beschwerliche Lebensumstände, denen aber in gleichem Maße die
Bevölkerung in Eritrea allgemein ausgesetzt ist. Es sind im Falle der Klägerin auch
keine Anhaltspunkte vorgetragen oder erkennbar, die die Annahme rechtfertigen
könnten, dass sie auf Grund von persönlichen - etwa gesundheitlichen -
Umständen stärker gefährdet wäre als die Vielzahl ihrer in Eritrea lebenden
Landsleute.
Die Klägerin hat indes Anspruch auf Abschiebungsschutz gemäß § 53 Abs. 6 Satz
1 AuslG in verfassungskonformer Auslegung wegen allgemeiner Gefahren im Sinne
von § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG. Der Senat geht unter Berücksichtigung der ihm zur
Verfügung stehenden Erkenntnisse davon aus, dass die Klägerin auf Grund der
allgemeinen Lage in Eritrea bei einer Rückkehr akut an Leib und Leben gefährdet
wäre.
Eritrea ist eines der ärmsten Länder der Welt, in der internationalen Rangliste für
Soziale Entwicklung nimmt Eritrea Platz 167 von 174 Staaten ein (Niederlande,
Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, Lagebericht vom 20. Oktober 2000).
Das Land hat unter den hohen Kosten des Krieges mit Äthiopien erheblich gelitten.
Die heftigen Kämpfe mit Äthiopien und die Besetzung großer Teile Westeritreas
durch äthiopische Truppen hatten eine Verschärfung der Versorgungssituation,
insbesondere der ca. 3,5 Millionen Flüchtlinge, zur Folge. Zur weiteren
Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage trug der Ausfall des Hafens Assab
sowie der kriegsbedingte Wegfall des Handels mit Eritreas bedeutendstem
Handelspartner Äthiopien bei (amnesty international, Auskunft vom 28. Februar
2000 an VG Köln). Hinzu kamen Dürreperioden in den Jahren 1999 und 2000, die
das Land zusätzlich geschwächt haben. Aus diesem Grunde hat das Auswärtige
Amt bereits unter dem 3. April 2000 darauf hingewiesen, dass die
Grundversorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln nicht gewährleistet sei. Nach
damaligen Schätzungen der Vereinten Nationen waren ca. 600.000 Eritreer auf
internationale Hilfsleistungen angewiesen sein, nach Schätzungen der eritreischen
Regierung sollen es sogar 900.000 Personen gewesen sein (Auswärtiges Amt,
Lagebericht vom 3. April 2000). Diese Situation hat sich im Jahre 2000 noch weiter
verschärft. Das Auswärtige Amt spricht in seinem ad hoc-Bericht vom 18. Mai
2000 von einer aktuellen Hungerkatastrophe. Soweit das Auswärtige Amt wenig
später mitteilt, die Grundversorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln sei
gesichert, in den Städten bestehe die Möglichkeit, Lebensmittel - wenn auch zu
gestiegenen Preisen - zu kaufen, während die Versorgung der Bevölkerung in den
ländlichen Gebieten durch Hilfsorganisationen sichergestellt sei (Auswärtiges Amt,
Auskunft vom 26. Juli 2000 an VG München), vermag der Senat dem nicht zu
folgen, denn die Auskunft steht im Widerspruch zu dem nachfolgenden
Lagebericht. Hier wird nämlich wiederum ausgeführt, die Grundversorgung der
Bevölkerung mit Lebensmitteln sei nicht gewährleistet. Die eritreischen Behörden
seien angesichts der wirtschaftlichen Lage und der hohen Anzahl von Flüchtlingen
mit der Aufgabe der Versorgung der Bevölkerung völlig überfordert, die daher aus
dem Ausland erfolgen müsse (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 10. November
2000). Auch den nachfolgenden Berichten der auskunftgebenden Stellen lässt sich
keine grundlegende Verbesserung der Versorgungssituation der Menschen in
Eritrea entnehmen. So gibt das Institut für Afrika-Kunde an, die eritreische
Regierung verteile Nahrungsmittel an Flüchtlinge und sonstige Bedürftige, weist
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Regierung verteile Nahrungsmittel an Flüchtlinge und sonstige Bedürftige, weist
aber zugleich darauf hin, eine Rückkehrerin aus Deutschland würde wohl nicht den
notleidenden Gruppen zugerechnet (Institut für Afrika-Kunde, Auskunft vom 9.
Januar 2001). Dem entsprechen letztlich auch die weiteren Stellungnahmen des
Auswärtigen Amtes, wonach die Versorgung der Bevölkerung wegen der
Dürreperioden in den Jahren 1999 und 2000 mit Nahrungsmitteln nur durch
prompte und effiziente Hilfe von Hilfsorganisationen sichergestellt und eine
Krisensituation habe verhindert werden können (Auswärtiges Amt, Auskunft vom
15. Februar 2001 an VG Ansbach und Lagebericht vom 14. Oktober 2001). Nach
alledem geht der Senat davon aus, dass die Lebensmittelversorgung der
Menschen in Eritrea lediglich aufgrund des Einsatzes von Hilfsorganisationen
möglich ist. Zwar können in Asmara oder anderen Städten des Landes
Lebensmittel auch auf dem freien Markt erworben werden; da hierfür jedoch ein
monatlicher Aufwand von (umgerechnet) ca. 120 DM zu erbringen ist, dürfte dies
allerdings nur denjenigen möglich sein, die über entsprechende finanzielle
Reserven verfügen. Hinzu kommt, dass im Bedarfsfalle Angehörige durch ein
weitverzweigtes Netz von Großfamilien unterstützt werden (Auswärtiges Amt,
Auskunft vom 21. November 2001 an VG Darmstadt).
Zwar hat die Klägerin das Abitur erworben und bis zu ihrer Ausreise aus ihrem
Heimatland als Sekretärin in der Privatwirtschaft gearbeitet. Sie ist jedoch während
ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland, wie sich aus dem Inhalt der
vom Senat beigezogenen, die Klägerin betreffenden Ausländerakte ergibt, keiner
Berufstätigkeit nachgegangen. Diese Umstände haben es der Klägerin nicht
ermöglicht, einen nennenswerten Geldbetrag anzusparen, der sie in die Lage
versetzten könnte, in Eritrea, selbst bei einer Wohnsitznahme in der Hauptstadt
Asmara, die Grundlagen für ihr Überleben zu legen, geschweige denn, sich mit
wenn auch nur geringen Erfolgsaussichten eine eigene Existenz aufzubauen. Die
Klägerin kann auch nicht auf die Hilfe von Familienangehörigen zurückgreifen. Ihr
Ehemann ist schon lange vor ihrer Ausreise verstorben, ihre beiden Söhne leben in
der Bundesrepublik Deutschland. Darüber hinaus erscheint dem Senat die
Realisierung einer möglicherweise gegebenen Chance einer Berufsausübung
angesichts des Gesundheitszustandes der Klägerin kaum aussichtsreich. Dies
ergibt sich aus dem Inhalt des ärztlichen Attests der Orthopädischen Universitäts-
und Poliklinik Friedrichsheim Frankfurt am Main vom 6. August 2001. Danach leidet
die Klägerin seit neun Jahren unter Brust- und Lendenwirbelsäulenschmerzen, die
u. a. durch Osteoporose hervorgerufen werden. Hinzu kommt eine Hypertonie. Die
Klägerin bedarf deshalb der ständigen medikamentösen und
krankengymnastischen Therapie. Angesichts dieses Krankheitsbildes bestehen
kaum Chancen auf eine Berufstätigkeit. Dabei berücksichtigt der Senat auch, dass
es in Eritrea keine gesetzliche Krankenversicherung gibt, die Klägerin also für die
notwendigen Medikamente selbst aufkommen müsste (Auswärtiges Amt, Auskunft
vom 19. März 2001 an VG Ansbach). Hierfür fehlen ihr jedoch - wie zuvor dargelegt
- die finanziellen Mittel. Nach alledem ist nach Auffassung des Senats für die heute
52 Jahre alte Klägerin die Schwelle einer konkreten Existenzgefährdung erreicht.
IV.
Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sind hinsichtlich Eritrea
rechtmäßig (§ 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG i. V. m. § 50 AuslG). Das Vorliegen eines
Abschiebungshindernisses i. S. v. § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG berührt die
Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung hinsichtlich Eritrea nicht (§ 50 Abs. 3
Satz 3 AuslG). Die Ausreisefrist von einem Monat entspricht der gesetzlichen
Regelung gemäß § 37 Abs. 1 AsylVfG.
Allerdings ist die Berufung nicht begründet, soweit das Verwaltungsgericht im
angefochtenen Urteil auch die Abschiebungsandrohung hinsichtlich Äthiopien
aufgehoben hat.
Gemäß § 50 Abs. 2 AuslG soll in der Abschiebungsandrohung der Staat bezeichnet
werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll. Da zur Überzeugung des
Senats - wie oben dargestellt - feststeht, dass die Klägerin allein eritreische
Staatsangehörige ist, erweist sich eine beabsichtigte Abschiebung nach Äthiopien
als rechtswidrig.
V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Gerichtskosten
werden gemäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt
aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht vorliegen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.