Urteil des HessVGH vom 13.12.1999

VGH Kassel: amnesty international, politische verfolgung, genfer konvention, staatliche verfolgung, asylbewerber, ausreise, polizei, regierung, bevölkerung, türkische republik

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
12. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 UE 2984/97.A
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 16a GG, § 51 Abs 1
AuslG 1990, § 51 Abs 3
AuslG 1990
(Türkei: Gruppenverfolgung der Kurden - inländische
Fluchtalternative bejaht; Sippenhaftgefahr;
Verfolgungsgefahr wegen exilpolitischer Aktivität in
exponierter Position; Verwirkung des Asylanspruchs -
Terrorismus)
Tatbestand
Der ... 1967 in I (Türkei) geborene Kläger zu 1) reiste zusammen mit den Klägern
zu 2) und 3), seiner ... 1966 in B (Türkei) geborenen Ehefrau und dem ... 1989 in I
(Türkei) geborenen gemeinsamen Kind, am 5. Juli 1989 über Österreich in die
Bundesrepublik Deutschland ein und stellte für sich und seine Familie einen Antrag
auf Anerkennung als Asylberechtigte.
Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge (Bundesamt) gab der Kläger zu 1) an, er sei über Istanbul eingereist,
wo er sich drei Tage aufgehalten habe. Zuvor habe er gemeinsam mit seinem
Vater, den Brüdern und der übrigen Familie in seinem Heimatort I gelebt. Von
1987 bis 1988 habe er seinen Wehrdienst abgeleistet, aus dem er wegen
Erkrankung entlassen worden sei. Er und seine Familie verfügten über eigene
Ländereien und hätten die PKK mit Essen versorgt; deshalb sei er einmal 14 Tage
in S inhaftiert gewesen. 10 Monate später habe man ihn aufgefordert, zur Wache
zu kommen. Sein Haus sei zweimal von Sondereinheiten umstellt worden, und
nachdem sie seine Ehefrau mitgenommen hätten, habe er sich gestellt und sei 20
Tage in I inhaftiert gewesen. Man habe ihn dann aufgefordert, Dorfschützer zu
werden und ihn wegen seiner Weigerung zweieinhalb Monate lang in S
festgehalten; dabei sei er auch gefoltert worden. Nach 10 Monaten im Militärdienst
sei er aufgrund dieser Folter erkrankt und 41 Tage im Krankenhaus gewesen.
Danach habe er seine Sachen verkauft, da er sich zur Flucht entschlossen habe.
Auch sein zweiter Bruder sei gefoltert worden, dieser sei jetzt taub und könne nur
noch schwer gehen.
Die Klägerin zu 2) berichtete davon, dass sie dann, wenn ihr Mann nicht zu Hause
gewesen sei, von den Sicherheitskräften belästigt und nach dem Aufenthalt ihres
Ehemannes befragt worden sei; dabei sei sie zweimal zwei Tage festgehalten
worden.
Mit Bescheid vom 21. Februar 1991 lehnte das Bundesamt den Asylantrag und die
Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 51 AuslG mit der Begründung
ab, das Vorbringen der Kläger sei wenig konkret und in vielerlei Hinsicht nicht
nachvollziehbar. Dass der Verkauf von Hausrat möglich gewesen sei und Pässe
ausgestellt worden seien, zeige das fehlende Interesse der Behörden an den
Klägern. Die angebliche Unterstützung der PKK durch den Kläger zu 1) sei den
Behörden offensichtlich nicht bekannt geworden.
Mit ihrer am 14. August 1991 erhobenen Klage haben die Kläger ihr Asylbegehren
weiterverfolgt und sich zur Begründung auf die geänderte allgemeine Situation in
ihrem Heimatland sowie auf exilpolitische Aktivitäten berufen. Unter anderem sei
ein Strafverfahren wegen Landfriedensbruchs auf Anzeige des türkischen
Generalkonsulats infolge der Teilnahme an einer Demonstration am 11. März 1992
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Generalkonsulats infolge der Teilnahme an einer Demonstration am 11. März 1992
gegen den Kläger zu 1) durchgeführt worden. Das Generalkonsulat habe gegen die
Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Beschwerde eingelegt und die
Strafakte zur Einsicht erhalten. Damit seien den türkischen Sicherheitskräften
seine Teilnahme an dieser Demonstration sowie nach seiner Identifizierung andere
Aktivitäten, nämlich die Teilnahme an einer Reihe von Aktionen, bekannt
geworden. Die Demonstration in Frankfurt sei in der Beschwerde des türkischen
Generalkonsulats als terroristisch eingestuft worden; bei einer Rückkehr habe er
deshalb Verfolgungsmaßnahmen zu befürchten. In der Folge wurde gegen den
Kläger zu 1) ein Strafverfahren wegen der Teilnahme an einer Autobahnblockade
auf der Autobahn A 45 am "Lemperberg" am 22. März 1994 eingeleitet. In deren
Verlauf hatte er sich mit Benzin übergossen, das dann in Brand geraten ist. Er
wurde insoweit mit Urteil des Landgerichts Limburg vom 13. November 1997,
hinsichtlich seiner Person am 29. Dezember 1997 rechtskräftig geworden, zu einer
Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung
zur Bewährung ausgesetzt wurde.
In seiner informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem
Verwaltungsgericht Gießen am 23. Februar 1996 stellte der Kläger zu 1) auf
Befragen nochmals den Zusammenhang zwischen der früher erlittenen Folter und
seiner Erkrankung während des Wehrdienstes dar. Bis zu seiner Ausreise ein Jahr
nach der letzten Inhaftierung habe es mehrfach Überfälle der Sicherheitskräfte,
Bedrohungen und Aufforderungen, Dorfschützer zu werden, gegeben. In
Deutschland habe er nach seiner Einreise außer an den schon bekannten Aktionen
an mehreren friedlichen Veranstaltungen und 1993 an einem Hungerstreik in
Mainz teilgenommen. Auch die Klägerin zu 2) berichtete von der Suche der
Sicherheitskräfte nach ihrem Ehemann vor ihrer Ausreise sowie von ihrer
Teilnahme an verschiedenen Demonstrationen in Deutschland.
Die Kläger haben beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
vom 21. Februar 1991 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie als
Asylberechtigte anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des §
51 Abs. 1 AuslG vorliegen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Bundesbeauftragte hat keinen Antrag gestellt und sich auch sonst nicht am
Verfahren beteiligt.
Mit Urteil vom 1. März 1996 hat das Verwaltungsgericht das Bundesamt unter
Aufhebung des angegriffenen Bescheides hinsichtlich des Klägers zu 1)
verpflichtet, in Bezug auf diesen das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs.
1 AuslG festzustellen; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Auf den Zulassungsantrag der Kläger hat der erkennende Senat die Berufung
hinsichtlich des erfolglos gebliebenen Klagebegehrens mit Beschluss vom 21.
August 1997 zugelassen. Zur Begründung der Berufung berufen sich die Kläger
auf ihr bisheriges Vorbringen und führen des weiteren an, dass aufgrund der gegen
den Kläger zu 1) eingeleiteten Strafverfahren, insbesondere nach der Verurteilung
durch das Landgericht Limburg am 13. November 1997 wegen der Teilnahme an
der Autobahnblockade, ein objektiver Nachfluchtgrund vorliege.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 23. Februar 1996 abzuändern,
soweit die Klage abgewiesen wurde, und die Beklagte zu verpflichten, sie als
Asylberechtigte anzuerkennen.
Die Beklagte und der Bundesbeauftragte haben keine Anträge gestellt.
Über die Asylgründe der Kläger ist aufgrund des Beweisbeschlusses vom 13.
August 1999 Beweis erhoben wurden durch Vernehmung der Kläger zu 1) und 2)
als Beteiligte. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die
Niederschrift über den Termin vor der Berichterstatterin am 9. September 1999
Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
Gerichtsakte nebst den von den Klägern vorgelegten Unterlagen und die die Kläger
betreffenden Behördenakten der Beklagten (Az.: 163-42520-89) sowie die Akten
der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Frankfurt am Main am Main (50 Js
12162.5/92) und bei dem Landgericht Limburg (25 Js 1449/94) Bezug genommen.
Diese waren ebenso Gegenstand der mündlichen Verhandlung wie die nachfolgend
aufgeführten, den Beteiligten mit Schreiben des Vorsitzenden vom 23. November
1999 bekanntgegebenen Erkenntnisquellen:
I.
1.
18.02.1981
Auswärtiges Amt an VG Berlin
2.
12.06.1981
Sachverständiger Roth vor VG Hamburg
3.
12.06.1981
Sachverständige Kappert vor VG Hamburg
4.
22.06.1981
Auswärtiges Amt an VG Oldenburg
5.
09.08.1981
a. i. an VG Mainz
6.
22.10.1981
Sternberg-Spohr vor VG Düsseldorf
7.
20.11.1981
Auswärtiges Amt an Bay. VGH
8.
10.11.1982
Nebez vor VG Berlin
9.
10.11.1982
Kaya vor VG Berlin
10. 11.11.1982
Taylan vor VG Berlin
11. 15.11.1982
von Sternberg-Spohr vor VG Berlin
12. 15.11.1982
Roth vor VG Berlin
13. 03.01.1983
Auswärtiges Amt an VG Hannover
14. 18.02.1983
Max-Planck-Institut Heidelberg an VG Karlsruhe
15. 12.06.1983
Oehring an VGH Baden-Württemberg
16. 16.06.1983
Hauser an VGH Baden-Württemberg
17. 06.02.1984
Sidiq an VG Hamburg
18. Mai 1984
Bericht der Delegation Fischer u. a.
19. 29.05.1984
Kappert an VGH Baden-Württemberg
20. 16.10.1984
Roth an Hess. VGH
21. Okt. 1984
Oguzhan, Die Rechtsstellung der Kurden in der Türkei
22. Sept. 1985
Das türkische Sprachenverbotsgesetz
23. 15.03.1987
Auswärtiges Amt -- Lagebericht Türkei
24. 29.06.1987
Auswärtiges Amt -- Lagebericht Türkei
25. 27.07.1990
Auswärtiges Amt an VG Oldenburg
26. 28.01.1991
FAZ: "Ankara hebt Verbot des Kurdischen auf"
27. 31.07.1991
Auswärtiges Amt an OVG Saarland
28. 10.10.1991
Auswärtiges Amt an VG Stade
29. 15.10.1991
Auswärtiges Amt an VG Hamburg
30. 10.12.1991
FR:"Demirel nennt Kurden Brüder"
31. 14.12.1991
FAZ: "Die türkische Republik ist unser gemeinsamer
Staat"
32. 20.02.1992
Auswärtiges Amt -- Lagebericht Türkei
33. 12.03.1992
Auswärtiges Amt an Niedersächsisches Innenministerium
34. 22.04.1992
Die Welt: "Ankara will mehr für Kurden tun"
35. 18.05.1992
Taylan an OVG Hamburg
36. 12.06.1992
Auswärtiges Amt -- Lagebericht Türkei
37. 30.06.1992
Kaya an VG Düsseldorf
38. 01.07.1992
Rumpf an VG Düsseldorf
39. 20.08.1992
SZ: "Özal kündigt Erleichterungen an"
40. 15.09.1992
Rumpf an VG Bremen
41. 30.10.1992
Auswärtiges Amt -- Lagebericht Türkei
42. 11.11.1992
Taylan an OVG Hamburg
43. 17.11.1992
Rumpf an OVG Hamburg
44. 24.11.1992
a. i. an VG Bremen
45. 08.12.1992
Zeugenvernehmung Heinecke vor OVG Hamburg
46. 10.12.1992
a. i., Bericht, Türkei (Kurden)
47. 15.12.1992
SZ: "Die fortgesetzte Chronik der Gnadenlosigkeit"
48. 15.01.1993
a. i. an VG Stuttgart
49. 25.01.1993
a. i. an VG Bremen
50. 02.02.1993
Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden
51. 03.03.1993
Oberdiek: "Gefährdung von Kurden in Städten der
Westtürkei"
52. 05.03.1993
Zeuge Ayzit vor VG Hamburg
53. 08.03.1993
Rumpf an VG Wiesbaden
54. 20.03.1993
a. i., Türkei (Kurden)
55. 28.04.1993
Auswärtiges Amt -- Lagebericht Türkei
56. 14.05.1993
Auswärtiges Amt an OVG Schleswig-Holstein
57. 17.05.1993
Der Spiegel: "Den eigenen Vater foltern"
58. 02.06.1993
Kaya an OVG Schleswig-Holstein
59. 15.07.1993
Auswärtiges Amt an Regierungspräsidium Ludwigsburg
60. 04.08.1993
Rumpf an VG Gießen
61. 06.08.1993
a. i., Türkei -- Menschenrechtsverletzungen an Kurden
62. 11.08.1993
FR: "Staatliche Gewalt"
63. 16.08.1993
SZ: "140.000 Soldaten gegen Kurden im Einsatz"
64. 21.08.1993
a. i., Türkei (Kurden)
65. 26.08.1993
Rechtsanwalt Sahin in Özgür Gündem
66. 27.08.1993
taz: "Hier gibt es keine zivile Gewalt, nur Militär"
67. 02.09.1993
FR: "Im Kurdenkonflikt setzt Tansu Ciller aufs Militär"
68. 18.09.1993
FR: "Publizist in Ankara verhaftet"
69. 20.09.1993
Kaya an VG Aachen
70. 23.09.1993
Gesellschaft für bedrohte Völker an VG Frankfurt am
Main
71. 30.09.1993
SZ: "PKK-Führer droht mit totalem Krieg"
72. 20.10.1993
a. i. an OVG Schleswig-Holstein
73. 20.10.1993
Kaya an VG Köln
74. 25.10.1993
SZ: "Berichte über Hunderte von getöteten Kurden"
75. 26.10.1993
FR:"Ausnahmezustand in Türkei verlängert"
76. 28.10.1993
FR: "Türkei will kurdische Rebellen ausrotten"
77. 29.10.1993
taz: "Der Kampf gegen den Terror"
78. 29.10.1993
Auswärtiges Amt an VG Aachen
79. 30.10.1993
FR: "Armee -- Auf Lice bestätigt"
80. 06.11.1993
FR: "Wegen Kurden-Verfolgung Waffenembargo gegen Türkei
verlangt"
81. 10.11.1993
FR:"Hilferufe aus Kurdendorf"
82. 11.11.1993
FR: "Parlament verlängert Notstand"
83. 16.11.1993
Auswärtiges Amt -- Lagebericht Türkei
84. 07.01.1994
Auswärtiges Amt an VG Bremen
85. 28.01.1994
a. i. an VG Ansbach
86. 20.04.1994
a. i. an VG Frankfurt am Main
87. 20.04.1994
Kaya an VG Kassel
88. 10.05.1994
Oberdiek an VG Frankfurt am Main
89. 06.06.1994
Auswärtiges Amt -- Lagebericht Türkei
90. 30.06.1994
Rumpf an VG Frankfurt am Main
91. 23.08.1994
Rumpf an VG Frankfurt am Main
92. 19.10.1994
Hartwig "Tränen des Krieges in Kurdistan" in Kurdistan
aktuell Nr. 31
93. 17.11.1994
a. i.: Menschenrechtsverletzungen an Kurden in der
Türkei
94. 21.11.1994
Dokumentation des Niedersächsischen Flüchtlingsrats
95. 04.12.1994
Sauter in Weltspiegel, Kurdistan aktuell Nr. 33
96. 02.01.1995
dpa: "Tote bei PKK-Überfall im türkischen Kurdengebiet"
97. 04.01.1995
Auswärtiges Amt an OVG Hamburg
98. 09.01.1995
FAZ: "Pro-Kurdische Zeitungen beschlagnahmt"
99. 17.01.1995
Auswärtiges Amt -- Lagebericht Türkei
100. 24.01.1995
dpa: "PKK will Genfer Konvention anerkennen"
101. 17.02.1995
FR: "PKK nennt manche türkische Lehrer Agenten"
102. 25.02.1995
FR: "Menschenrechtler gibt auf"
103. 27.02.1995
FR: "Politische Morde praktisch ohne Folgen"
104. 03.03.1995
Gesellschaft für bedrohte Völker an VG Aachen
105. 07.03.1995
Rumpf an OVG Hamburg
106. 13.03.1995
Auswärtiges Amt -- Lagebericht Türkei
107. 13.03.1995
dpa: "Schwerste Unruhen in Istanbul seit 15 Jahren"
108. 21.03.1995
Die Welt: "Türkische Armee marschiert in Nordirak ein"
109. 24.03.1995
FR: "Sorge um verschollene Reporter"
110. 07.04.1995
FAZ: "PKK-Rebellen kämpfen erstmals im Süden der
Türkei"
111. 10.04.1995
FR: "Für jedes Ohr gibt es eine Prämie"
112. 19.04.1995
SZ: "Mindestens 23 Tote bei Kämpfen in der Türkei"
113. 22.05.1995
Die Welt: "Acht PKK-Kämpfer bei Diyarbakir getötet"
114. 24.05.1995
Auswärtiges Amt an VG Aachen
115. 02.06.1995
SZ: "Aktion gegen mysteriöses Verschwinden in der
Türkei"
116. 07.06.1995
dpa: "Deutscher amnesty-Ermittler aus der Türkei
ausgewiesen"
117. 16.06.1995
Die Zeit: "Hörst du einen Schrei?"
118. 22.06.1995
Rumpf vor OVG Schleswig-Holstein
119. 22.06.1995
Kaya vor OVG Schleswig-Holstein
120. 24./25.06.1995 SZ: "Demirel ruft Kurden zum Frieden auf"
121. 26.06.1995
FR: "Immer mehr Menschen verschwinden in der Türkei"
122. 24.06.1995
Kaya an VG München
123. 12.07.1995
Auswärtiges Amt an VG Freiburg
124. 08.08.1995
FR: "Abgeordneter berichtet von Kurdenvertreibung"
125. 18.08.1995
FAZ: "Deutsche Aktivisten wieder frei"
126. 18.08.1995
NZZ: "Kurdenzeitung in der Türkei geschlossen"
127. 23.08.1995
NZZ: "Rekordzahl politischer Gefangener in der Türkei"
128. 01.09.1995
SZ: "Türkischer Journalist in der Haft gestorben"
129. 13.09.1995
dpa: "Wieder 23 Tote bei Kämpfen in türkischen
Kurdengebieten"
130. 14.09.1995
FR: "Bericht über folternde Polizisten"
131. 21.09.1995
FR: "a. i. greift Türkei erneut scharf an"
132. 01.10.1995
Rumpf an VG Aachen
133. 12.10.1995
dpa: "In Deutschland geehrt, in der Heimat Türkei mit
Gefängnis bedroht"
134. 13.10.1995
Die Zeit: "Exil in der Heimat"
135. 11./12.11.1995 FR: "Im Schatten der Bajonette"
136. 26.11.1995
dpa: "Türkische Menschenrechtsstiftung: Weiter Folter
von Festgenommenen"
137. 29.11.1995
dpa: "Mindestens 18 Tote bei Kämpfen in Kurdengebieten
der Türkei"
138. 30.11.1995
Kaya an VG Freiburg
139. 02./03.12.1995 SZ: "Europa siegt in Istanbul"
139. 02./03.12.1995 SZ: "Europa siegt in Istanbul"
140. 07.12.1995
Auswärtiges Amt: Lagebericht
141. 16.12.1995
SZ: "Kurden bieten Feuerpause an"
142. 18.12.1995
FR: "Soldaten töten vier PKK-Kämpfer"
143. 21.12.1995
FR: "Journalisten verurteilt"
144. 02.01.1996
SZ: "Kämpfe im Herzen der Türkei"
145. 02.01.1996
FR: "Kämpfe mit Kurden jetzt auch in Zentralprovinz"
146. 09.01.1996
taz: "Mit Stangen erschlagen"
147. 09.01.1996
FR: "Schläge beim morgendlichen Zählappell"
148. 11.01.1996
FR: "Journalist zu Tode gefoltert"
149. 17.01.1996
FAZ: "In der Türkei..."
150. 15.01.1996
FR: "Islamistische Wohlfahrtspartei bleibt weiter ohne
Partner"
151. 17.01.1996
NZZ: "Eingeständnis Ankaras zum jüngsten
Journalistenmord" und "Rache der PKK an Dorfmiliz in
Südostanatolien"
152. 24.01.1996
Auswärtiges Amt am BMI
153. 30.01.1996
Auswärtiges Amt an VG Freiburg
154. 30.01.1996
FR: "Nach der Abreise der GRÜNEN-Delegation kam die
Armee"
155. 01.02.1996
FR: "Abgeschobener Kurde ist auf freiem Fuß"
156. 02.02.1996
FR: "Keine Besserung für Kurdistan"
157. 10.04.1996
SZ: "100 PKK-Terroristen getötet"
158. 17.04.1996
Auswärtiges Amt: Lagebericht Türkei
159. 10.06.1996
dpa: "PKK kündigt verstärkte militärische Aktivitäten
in der Türkei an"
160. 18.06.1996
SZ: "Keine Offensive in Syrien"
161. 11.07.1996
dpa: "Türkische Luftwaffe bombardierte PKK-Lager im
Norden des Irak"
162. 06.09.1996
FAZ: "Das Einkommensgefälle in der Türkei nimmt weiter
zu"
163. 04.12.1996
Auswärtiges Amt -- Lagebericht
164. 20.12.1996
Oberdiek an OVG Schleswig-Holstein
165. 22.01.1997
Rumpf an VG Bremen
166. 01.02.1997
Taylan an OVG Schleswig-Holstein
167. 28.02.1997
Auswärtiges Amt an OVG Schleswig-Holstein
168. 02.04.1997
Rumpf an VG Bremen
169. 02.04.1997
Oberdiek an OVG Mecklenburg-Vorpommern
170. 10.04.1997
Auswärtiges Amt -- Lagebericht
171. 14.10.1997
Auswärtiges Amt an VG Bremen
172. 31.03.1998
Auswärtiges Amt -- Lagebericht Türkei
173. 22.06.1998
Gesellschaft für bedrohte Völker an VG Kassel
174. 29.07.1998
Gesellschaft für bedrohte Völker an VG Freiburg
175. 18.08.1998
Kaya an VG Würzburg
176. 18.09.1998
Auswärtiges Amt -- Lagebericht Türkei
177. 22.12.1998
Dokumentation des Auswärtigen Amtes
179. 04.01.1999
Dr. Rumpf an VG Saarlouis
180. 15.01.1999
Auswärtiges Amt an VG Sigmaringen
181. 15.01.1999
Kaya an VG Sigmaringen
182. 03.02.1999
amnesty international -- Gefährdung von Kurden im Falle
ihrer Rückkehr in die Türkei
183. 25.02.1999
Auswärtiges Amt -- ad hoc-Bericht zur aktuellen
Lageentwicklung in der Türkei
184. 24.02.1999
amnesty international an VG Berlin
20
185. 28.04.1999
Bundesministerium der Justiz an VG Bremen
186. 29.04.1999
Oberdiek an VG Berlin
187. 30.04.1999
amnesty international an VG Aachen
188. 04.06.1999
Auswärtiges Amt an VG Bremen
189. 01.07.1999
amnesty international an VG Bremen
190. 03.08.1999
Auswärtiges Amt an VG Stuttgart
191. 07.09.1999
Auswärtiges Amt -- Lagebericht Türkei
192. 13.09.1999
Kaya an VG Darmstadt
193. 22.09.1999
Süddeutsche Zeitung: "Einige Kämpfer sollen Waffen
abgeben"
194. 24.09.1999
Die Welt: "PKK will Friedensgruppe schicken"
195. 24.09.1999
Die Welt: "Angeklagt für das Zitieren türkischer
Soldaten"
196. 27.09.1999
Süddeutsche Zeitung: "Menschenrechtler Birdal aus der
Haft entlassen"
197. 29.09.1999
Die Welt: "Militär kämpft weiter gegen die PKK"
198. 29.09.1999
Frankfurter Rundschau: "Armee tötet PKK-Kämpfer"
199. 29.09.1999
Süddeutsche Zeitung: "Scheitern mit harter Hand"
200. 29.09.1999
Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Lage in türkischen
Gefängnissen weiter gespannt"
201. 30.09.1999
Neue Zürcher Zeitung: "Neue türkische Offensive im
Nordirak"
202. 30.09.1999
Die Welt: "Soldaten marschieren im Nord-Irak ein"
203. 30.09.1999
Frankfurter Rundschau: "Ankara beginnt Offensive gegen
PKK"
204. 01.10.1999
Frankfurter Rundschau: "Türkische Polizei nimmt viele
Demonstranten fest"
205. 02.10.1999
Die Welt: "Häftlinge beenden Gefängnisaufstände"
206. 02.10.1999
Frankfurter Rundschau: "Neun PKK-Kämpfer getötet"
207. 04.10.1999
Frankfurter Rundschau: "PKK-Kämpfer ergeben sich"
208. 04.10.1999
Neue Zürcher Zeitung: "Kapitulation einer Gruppe von
PKK-Kämpfern"
209. 19.10.1999
Frankfurter Rundschau: "Türkische Polizisten in Haft"
210. 20.10.1999
Frankfurter Rundschau: "Gericht lässt Polizisten gehen"
II.
Baden-Württemberg
2. 05.03.1990
Auswärtiges Amt an VG Hannover
3. 05.03.1990
Auswärtiges Amt an VG Hamburg
4. 29.03.1990
amnesty international an VG Stade
5. 18.06.1990
Oehring an VG Hannover
6. 29.08.1991
Kaya an VG Hamburg
7. 18.01.1993
amnesty international an VG Köln
8. 14.11.1994
amnesty international an VG Bremen
9. 17.02.1995
Kaya an VG Neustadt a.d.W.
10. 13.03.1995
amnesty international an VG München
11. 10.05.1995
Taylan an VG Mainz
12. 20.05.1995
Kaya an VG Mainz
13. 09.08.1995
Rumpf an VG Darmstadt
14. 14.08.1995
Auswärtiges Amt an VG Mainz
15. September 1995 amnesty international: Familien von "Verschwundenen"
als Opfer
21
16. 25.09.1995
SZ: "Bruder des PKK-Führers vorübergehend
festgesetzt"
17. 27.11.1995
Auswärtiges Amt an VG Stuttgart
18. 25.02.1996
Taylan an VG Neustadt a. d. W.
19. 22.07.1996
amnesty international an VG Stuttgart
20. 15.11.1996
Oberdiek an VG Hamburg
21. 17.02.1997
Oberdiek an VG Hamburg
22. 14.03.1997
Gesellschaft für bedrohte Völker an VG Hamburg
23. 16.03.1997
Kaya an VG Gießen
24. 17.03.1997
Kaya an VG Stuttgart
25. 21.04.1997
Auswärtiges Amt an VG Bayreuth
26. 15.05.1997
Taylan vor VG Gießen
27. 15.05.1997
Rumpf an VG Hamburg
28. 20.08.1997
Rumpf an VG Hamburg
29. 14.10.1997
Kaya an OVG Meckl.-Vorpommern
30. 11.02.1998
Dinc an VG Berlin
31. 11.03.1998
Kaya an VG Berlin
32. 15.04.1998
amnesty international an VG Hamburg
33. 24.07.1998
Rumpf an VG Berlin-Moabit
34. 05.01.1999
Auswärtiges Amt an VG Braunschweig
35. 05.05.1999
Oberdiek an VG Stuttgart
36. 03.08.1999
Auswärtiges Amt an VG Stuttgart
37. 13.10.1999
Kaya an VG Gelsenkirchen
III.
2. 01.10.1984 Max-Planck-Institut Heidelberg an Hess. VGH
3. 17.04.1986 Taylan an Hess. VGH
4. 15.05.1986 Auswärtiges Amt an Hess. VGH
5. 27.11.1989 Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden
6. 16.12.1991 Auswärtiges Amt an VG Stuttgart
7. 12.03.1992 Oberdiek an VG Hannover
8. 20.03.1992 Rumpf an VG Hannover
9. 06.04.1992 Taylan an VG Bremen
10. 11.01.1993 Auswärtiges Amt an VG Bremen
11. 03.02.1993 Auswärtiges Amt an VG Stuttgart
12. 09.11.1993 Kaya an VG Kassel
13. 31.01.1994 amnesty international an VG Ansbach
14. 10.03.1994 Innenministerium Nordrhein-Westfalen an VG Schleswig
15. 31.03.1994 amnesty international an VG Wiesbaden
16. 31.03.1994 amnesty international an VG Wiesbaden
17. 15.07.1994 Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf
18. 08.08.1994 Max-Planck-Institut Freiburg an VG Wiesbaden
19. 16.08.1994 Gesellschaft für bedrohte Völker an VG Wiesbaden
20. 29.12.1994 Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden
21. 12.02.1996 Rumpf an VG Kassel
22. 03.04.1996 Kaya an VG Neustadt
23. 17.04.1996 Auswärtiges Amt an VG Neustadt
24. 09.10.1996 Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg anVG
Stuttgart
25. 30.10.1996 Kaya an VG Bremen
26. 29.11.1996 Max-Planck-Institut Freiburg an VG Neustadt
22
23
27. 22.01.1997 Rumpf an VG Bremen
28. 25.07.1998 Kaya an VG Berlin
29. 07.10.1998 amnesty international an VG Freiburg
30. 20.10.1998 Oberdiek an VG Sigmaringen
31. 06.01.1999 Auswärtiges Amt an VG Sigmaringen
32. 12.01.1999 Rumpf an VG Berlin
34. 18.02.1999 Rumpf an VG Ansbach
35. 18.05.1999 Auswärtiges Amt an VG Hannover
Entscheidungsgründe
Die vom Senat hinsichtlich des in erster Instanz erfolglos gebliebenen
Verfahrensteils zugelassene und auch sonst zulässige Berufung ist nur hinsichtlich
des Klägers zu 1) begründet, im Übrigen ist sie unbegründet. Das
Verwaltungsgericht hat die auf Asylanerkennung gerichtete Klage des Klägers zu
1) zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten ist auch insoweit
rechtswidrig und verletzt den Kläger zu 1) in seinen Rechten, da dieser in dem
nach § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsentscheidung
verlangen kann, dass die Beklagte ihn als Asylberechtigten nach Art. 16a GG
anerkennt (A.). Demgegenüber ist im Hinblick auf die Kläger zu 2) und 3) die
Berufung unbegründet. Diese haben in dem hier maßgebenden Zeitpunkt der
Entscheidung über die Berufung keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte sie als
Asylberechtigte nach Art. 16a Abs. 1 GG anerkennt (A.) und zu ihren Gunsten die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG feststellt (B.). Hieraus ergeben sich die zu
treffenden Nebenentscheidungen (C.).
A.
Asylrecht als politisch Verfolgter im Sinne des mit dem früheren Art. 16 Abs. 2
Satz 2 GG übereinstimmenden Art. 16a Abs. 1 GG genießt, wer bei einer Rückkehr
in seine Heimat aus politischen Gründen Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für
Leib und Leben oder Beeinträchtigungen seiner persönlichen Freiheit zu erwarten
hat (BVerfG, 02.07.1980 -- 1 BvR 147/80 u.a. --, BVerfGE 54, 341 = EZAR 200 Nr.
1). Wer unverfolgt seinen Heimatstaat verlassen hat, ist nur dann als
Asylberechtigter anzuerkennen, wenn ihm aufgrund eines beachtlichen
Nachfluchttatbestandes politische Verfolgung droht (§ 28 AsylVfG; BVerfG,
26.11.1986 -- 2 BvR 1058/85 --, BVerfGE 74, 51 = EZAR 200 Nr. 18; BVerwG,
20.11.1990 -- 9 C 74.90 --, BVerwGE 87, 152 = EZAR 201 Nr. 22). Eine Verfolgung
ist in Anlehnung an den Flüchtlingsbegriff des Art. 1 Abschn. A Nr. 2 GK als
politisch im Sinne von Art. 16a Abs. 1 GG anzusehen, wenn sie auf die Rasse,
Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder die
politische Überzeugung des Betroffenen zielt (BVerfG, 01.07.1987 -- 2 BvR 478/86
u.a. --, BVerfGE 76, 143 = EZAR 200 Nr. 20; BVerwG, 17.05.1983 -- 9 C 874.82 --,
BVerwGE 67, 195 = EZAR 201 Nr. 5, u. 26.06.1984 -- 9 C 185.83 --, BVerwGE 69,
320 = EZAR 201 Nr. 8). Diese spezifische Zielrichtung ist anhand des inhaltlichen
Charakters der Verfolgung nach deren erkennbarem Zweck und nicht nach den
subjektiven Motiven des Verfolgenden zu ermitteln (BVerfG, 10.07.1989 -- 2 BvR
502/86 u.a. --, BVerfGE 80, 315, 344 = EZAR 201 Nr. 20; zur Motivation vgl.
BVerwG, 19.05.1987 -- 9 C 184.86 --, BVerwGE 77, 258 = EZAR 200 Nr. 19).
Werden nicht Leib, Leben oder physische Freiheit gefährdet, sondern andere
Grundfreiheiten wie etwa die Religionsausübung oder die berufliche und
wirtschaftliche Betätigung, so sind allerdings nur solche Beeinträchtigungen
asylrelevant, die nach Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und
über das hinausgehen, was die Bewohner des Heimatstaats aufgrund des dort
herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben (BVerfG, 02.07.1980 -- 1
BvR 147/80 u.a. --, a.a.O., u. 01.07.1987 -- 2 BvR 478/86 u.a. --, a.a.O.; BVerwG,
18.02.1986 -- 9 C 16.85 --, BVerwGE 74, 31 = EZAR 202 Nr. 7). Die Gefahr einer
derartigen Verfolgung ist gegeben, wenn dem Asylsuchenden bei verständiger
Würdigung aller Umstände seines Falles politische Verfolgung mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit droht, wobei die insoweit erforderliche Zukunftsprognose auf die
Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung
abgestellt und auf einen absehbaren Zeitraum ausgerichtet sein muss (BVerwG,
03.12.1985 -- 9 C 22.85 --, EZAR 202 Nr. 6 = NVwZ 1986, 760 m.w.N.). Die
Prüfung der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erfordert eine qualifizierende
24
25
26
27
Prüfung der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erfordert eine qualifizierende
Betrachtungsweise, die neben der Eintrittswahrscheinlichkeit auch die zeitliche
Nähe des befürchteten Eingriffs berücksichtigt (BVerwG, 14.12.1993 -- 9 C 45.92 --
, EZAR 200 Nr. 30). Einem Asylbewerber, der bereits einmal politisch verfolgt war,
kann eine Rückkehr in seine Heimat nur zugemutet werden, wenn die
Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
ausgeschlossen ist (BVerfG, 02.07.1980 -- 1 BvR 147/80 u.a. --, a.a.O.; BVerwG,
25.09.1984 -- 9 C 17.84 --, BVerwGE 70, 169 = EZAR 200 Nr. 12 m.w.N.). Die
Asylanerkennung kann wegen anderweitigen Verfolgungsschutzes, insbesondere
nach Einreise aus einem sicheren Drittstaat ausgeschlossen sein (Art. 16a Abs. 2
GG; §§ 26a, 27, 29 Abs. 1 und 2 AsylVfG, Anlage I zum AsylVfG; vgl. vor allem
BVerfG, 14.09.1996 -- 2 BvR 1516/93 --, BVerfGE 94, 49 = EZAR 208 Nr. 7).
Der Asylbewerber ist aufgrund der ihm obliegenden prozessualen
Mitwirkungspflicht gehalten, von sich aus umfassend die in seine eigene Sphäre
fallenden Ereignisse substantiiert und in sich schlüssig zu schildern sowie
eventuelle Widersprüche zu seinem Vorbringen in früheren Verfahrensstadien
nachvollziehbar aufzulösen, so dass sein Vortrag insgesamt geeignet ist, den
Asylanspruch lückenlos zu tragen (BVerwG, 08.05.1984 -- 9 C 141.83 --, EZAR 630
Nr. 13 = NVwZ 1985, 36, 12.11.1985 -- 9 C 27.85 --, EZAR 630 Nr. 23 = InfAuslR
1986, 79, u. 23.02.1988 -- 9 C 32.87 --, EZAR 630 Nr. 25), und insbesondere auch
den politischen Charakter der Verfolgungsmaßnahmen festzustellen (vgl. BVerwG,
22.03.1983 -- 9 C 68.81 --, Buchholz 402.24 Nr. 44 zu § 28 AuslG, u. 18.10.1983 --
9 C 473.82 --, EZAR 630 Nr. 8 = ZfSH/SGB 1984, 281). Bei der Darstellung der
allgemeinen Umstände im Herkunftsland genügt es dagegen, dass die
vorgetragenen Tatsachen die nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer
Verfolgung ergeben (BVerwG, 23.11.1982 -- 9 C 74.81 --, BVerwGE 66, 237 =
EZAR 630 Nr. 1). Die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung kann schließlich nur
festgestellt werden, wenn sich das Gericht in vollem Umfang die Überzeugung von
der Wahrheit des von dem Asylbewerber behaupteten individuellen
Verfolgungsschicksals verschafft, wobei allerdings der sachtypische
Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerstaat bei der Auswahl der
Beweismittel und bei der Würdigung des Vortrags und der Beweise angemessen zu
berücksichtigen ist (BVerwG, 12.11.1985 -- 9 C 27.85 --, a.a.O.).
Nach diesen Grundsätzen kann aufgrund der Begründung des Asylantrags, der
Anhörung durch das Bundesamt am 23. März 1990 und durch das
Verwaltungsgericht am 23. Februar 1996 und der Vernehmung im
Berufungsverfahren durch die Berichterstatterin am 9. September 1999 sowie
aufgrund der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen nicht zur
Überzeugung des Senats festgestellt werden, dass die Kläger kraft innerstaatlich
geltender völkerrechtlicher Vereinbarung als politisch verfolgte Flüchtlinge
anzuerkennen sind (vgl. dazu Hess.VGH, 25.02.1991 -- 12 UE 2106/87 --, EZAR
231 Nr.1 = NVwZ-RR 1991, 516), dass sie bis zu ihrer Ausreise aus der Türkei (I.)
wegen ihrer Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe (1.) oder aus individuellen
Gründen (2.) politisch verfolgt waren und dass die Kläger zu 2) und 3) bei einer
Rückkehr in die Türkei (II.) die trotz der in den Notstandsgebieten festzustellenden
Gruppenverfolgung (1.) bestehende Möglichkeit des verfolgungsfreien Lebens in
ihrer Heimat (2.) nicht wahrnehmen (a.) und erreichen können (b., e., f.). Dagegen
steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger zu 1) die interne
Fluchtalternative wegen der aus individuellen Gründen zu befürchtenden
politischen Verfolgung nicht wahrnehmen kann (c.) und sein Asylanspruch auch
nicht aufgrund seiner exilpolitischen Aktivitäten ausgeschlossen ist (d.).
I.
Es kann nicht festgestellt werden, dass die Kläger, an deren kurdischer
Volkszugehörigkeit der Senat keinen Zweifel hat, bis zu ihrer Ausreise im Juli 1989
einer landesweiten politischen Verfolgung als kurdische Volkszugehörige oder aus
individuellen Gründen ausgesetzt waren. Dabei ist ihr möglicher Anspruch auf
Asylanerkennung nicht schon wegen des seit 1993 als Ausschlusstatbestand in
Art. 16a Abs.2 GG aufgenommenen Reiseweges der Kläger durch sichere
Drittstaaten ausgeschlossen, da hiervon zuvor gestellte Asylanträge nicht erfasst
werden.
Die Kläger können die Anerkennung als Asylberechtigte nicht bereits aufgrund des
Abkommens über die Ausdehnung gewisser Maßnahmen zugunsten russischer
und armenischer Flüchtlinge auf andere Kategorien von Flüchtlingen vom 30. Juni
1928 (abgedruckt in: Societe des Nations, Recueil des Traites, Bd. 89 <1929>, S.
28
29
30
1928 (abgedruckt in: Societe des Nations, Recueil des Traites, Bd. 89 <1929>, S.
64) erreichen. Da der Kläger zu 1) im Jahr 1967, die Klägerin zu 2) im Jahr 1966
und der Kläger zu 3) im Jahr 1989 geboren sind und sie 1989 die Türkei verlassen
haben, kann dieses Abkommen auf sie nicht angewandt werden (vom BVerwG
durch Urteil vom 17.05.1985 -- 9 C 874.82 --, BVerwGE 67, 195 = EZAR 201 Nr. 5,
bestätigte ständige Rechtsprechung des Hess. VGH, vgl. z. B. 11.08.1981 -- X OE
649/81 --, ESVGH 31, 268, und 25.02.1991 -- 12 UE 2106/87, EZAR 231 Nr. 1 =
NVwZ-RR 1991, 516).
1. Die Kläger unterlagen im Zeitpunkt ihrer Ausreise wegen ihrer Zugehörigkeit zur
kurdischen Volksgruppe keiner Verfolgung, da die Bevölkerungsgruppe der Kurden
in der Türkei bis zum Zeitpunkt der Ausreise der Kläger und auch danach bis etwa
Mitte 1993 allgemein dem türkischen Staat zurechenbarer politischer Verfolgung
nicht ausgesetzt war (st. Rspr. Hess.VGH, 07.08.1986 -- X OE 109/82 --; zuletzt
07.12.1998 -- 12 UE 2091/98 u.a. --).
Asylrelevante politische Verfolgung kann sich nicht nur gegen Einzelpersonen,
sondern auch gegen eine durch gemeinsame Merkmale verbundene Gruppe von
Menschen richten mit der Folge, dass dann jedes Gruppenmitglied als von dem
Gruppenschicksal mitbetroffen anzusehen ist (BVerfG, 02.07.1980 -- 1 BvR 147/80
u. a. --, a.a.O., 01.07.1987 -- 2 BvR 478/86 u. a. --, a.a.O., und 23.01.1991 -- 2 BvR
902/85 u. a. --, BVerfGE 83, 216 = EZAR 202 Nr. 20, 531; BVerwG, 02.08.1983 -- 9
C 599.81 --, BVerwGE 67, 314 = EZAR 203 Nr. 1 und 23.02.1988 -- 9 C 85.87 --,
a.a.O.). Die Gefahr eigener politischer Verfolgung eines Asylbewerbers kann sich
deshalb auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese
wegen eines asylerheblichen, auch bei ihm vorliegenden Merkmals verfolgt werden
und er sich in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsgefahr vergleichbaren Lage
befindet. Gilt die Verfolgung unabhängig von individuellen Umständen allein einer
durch ein asylerhebliches Merkmal gekennzeichneten Gruppe als solcher und
damit grundsätzlich allen Gruppenmitgliedern, so kann eine solche
Gruppengerichtetheit der Verfolgung dazu führen, dass jedes Mitglied der Gruppe
im Verfolgerstaat jederzeit der Gefahr eigener Verfolgung ausgesetzt ist (BVerfG,
23.01.1991 -- 2 BvR 902/85 u. a. --, a.a.O.). Die Annahme einer Gruppenverfolgung
setzt eine Verfolgungsdichte voraus, die in quantitativer Hinsicht die Gefahr einer
so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen aufweist, dass ohne weiteres von einer
aktuellen Gefahr eigener Betroffenheit jedes Gruppenmitglieds gesprochen werden
kann (BVerwG, 08.02.1989 -- 9 C 33.87 -- , EZAR 202 Nr. 15 = NVwZ-RR 1989,
502, 23.07.1991 -- 9 C 154.90 --, EZAR 202 Nr. 21 = DVBl. 1991, 1089 = InfAuslR
1991, 363, 24.09.1992 -- 9 B 130.92 --, EZAR 202 Nr. 23 = NVwZ 1993, 192,
05.07.1994 -- 9 C 158.94 --, EZAR 202 Nr. 25 = NVwZ 1995, 175). Mit dem Begriff
der Gruppenverfolgung werden derartige Fallkonstellationen schlagwortartig
zusammengefasst (BVerwG, 05.11.1991 -- 9 C 118.90 --, BVerwGE 89, 162 =
EZAR 202 Nr. 22). Eine mittelbare Gruppenverfolgung setzt nicht unbedingt
Pogrome oder vergleichbare Massenausschreitungen voraus (BVerwG, 24.09.1992
-- 9 B 130.92 --, a.a.O.). Übergriffe Privater sind dem Staat aber nur zuzurechnen,
wenn er dagegen grundsätzlich keinen effektiven Schutz gewährt (BVerwG,
05.07.1994 -- 9 C 1.94 --, EZAR 202 Nr. 24 = InfAuslR 1995, 24). Allerdings erfüllt
nicht erst eine (physische) Vernichtung einer Volksgruppe den Tatbestand einer
Gruppenverfolgung (BVerfG -- Kammer --, 11.05.1993 -- 2 BvR 2245/92 --; BVerfG -
- Kammer --, 09.12.1993 -- 2 BvR 1916/93 --, InfAuslR 1994, 156). Um zu
beurteilen, ob eine ausreichende Verfolgungsdichte vorliegt, müssen Intensität
und Anzahl aller Verfolgungshandlungen auch zur Größe der Gruppe in Beziehung
gesetzt werden (BVerwG, 05.07.1994 -- 9 C 158.94 --, a.a.O.). Als nicht vor -
verfolgt ist nur derjenige Gruppenangehörige anzusehen, für den die
Verfolgungsvermutung widerlegt werden kann (BVerwG, 03.10.1984 -- 9 C 24.84 --,
EZAR 202 Nr. 3); es kommt nicht darauf an, ob sich die Verfolgungsmaßnahmen
schon in seiner Person verwirklicht haben (BVerwG, 23.02.1988 -- 9 C 85.87 --,
a.a.O.).
Bei der Prüfung, ob die kurdische Minderheit in der Türkei seinerzeit asylrechtlich
relevante Beeinträchtigungen zu erleiden oder zu befürchten hatte, ist zunächst
von der Befugnis eines Mehrvölkerstaates auszugehen, seine staatliche Einheit
und seinen Gebietsstand zu sichern und dieses Selbsterhaltungsinteresse auch
durchzusetzen. Dieser Grundsatz verbietet es, die von solchen Maßnahmen
Betroffenen notwendigerweise als politisch Verfolgte anzusehen. Eine andere
Beurteilung könnte Platz greifen, wenn ein Mehrvölkerstaat nach seiner Verfassung
oder in der Staatswirklichkeit von der Vorherrschaft einer Volksgruppe über andere
ausgeht, die ethnischen, kulturellen oder religiösen Eigenarten bestimmter
Volksgruppen überhaupt leugnet und diese an einer ihrer Eigenart entsprechenden
31
32
33
Volksgruppen überhaupt leugnet und diese an einer ihrer Eigenart entsprechenden
Existenzweise hindert (BVerwG, 17.05.1983 -- 9 C 36.83 --, BVerwGE 67, 184, und -
- 9 C 874.82 --, a.a.O.), wenn er also insbesondere eine Zwangsassimilierung
betreibt. Deshalb bedarf es vor allem der Untersuchung, wie der türkische Staat
die Kurden in seiner Rechts- und Wirtschaftsordnung bis zum Ausreisezeitpunkt
behandelt hat, wie sich deren Lebensverhältnisse im Vergleich zu denen der
türkischen Mehrheit in der Wirklichkeit darstellten und ob dabei etwa Unterschiede
je nach der soziologischen Herkunft, den regionalen Strukturen und dem Maß der
Assimilation der Minderheit an die Mehrheit festzustellen sind. Dabei genügt nicht
eine isolierte Untersuchung einzelner Ausschnitte des individuellen Schicksals des
Asylsuchenden; es kommt vielmehr auf eine umfassende Gesamtbetrachtung der
innenpolitischen Lage in dem angeblichen Verfolgerstaat und aller irgendwie
relevanten Lebensumstände der Betroffenen an. Hierfür sollen sowohl allgemein-
oder gerichtsbekannte geschichtliche Vorgänge als auch Tatsachenbekundungen
aus den oben aufgeführten Unterlagen verwertet werden.
Die im Gebiet des ehemaligen Osmanischen Reiches siedelnden Kurden erlebten
nach dessen Zerfall eine wechselvolle Geschichte. Nach der Aufteilung ihrer
angestammten Heimat auf Syrien, den Irak und die Türkei und der Zusicherung
einer lokalen Autonomie und eines späteren Volksentscheids über die volle
Selbständigkeit in dem Friedensvertrag von Sevres vom August 1920 waren im
Vertrag von Lausanne vom 21. Juli 1923 für ethnische Minderheiten wie Kurden
keinerlei Sonderrechte mehr vorgesehen. Nach der Proklamation der Türkischen
Republik im Oktober 1923 und der Wahl von Mustafa Kemal --"Atatürk" -- zum
Staatspräsidenten wurden verstärkt Türkisierungsversuche unternommen. So
wurden etwa kurdische Dorfnamen und kurdische Vornamen geändert, die
kurdische Sprache als Amts- und Unterrichtssprache verboten und die Türkei in
drei ethnisch abgegrenzte Regionen aufgeteilt. Die erste war das Gebiet, in dem
die türkische Kultur in der Bevölkerung sehr stark verankert war; die zweite war
diejenige, in der die Bevölkerung angesiedelt werden sollte, die zu türkisieren war;
bei der dritten handelte es sich um Gebiete, die aus gesundheitlichen,
ökonomischen, kulturellen, militärischen und sicherheitstechnischen Gründen
entvölkert werden sollten und in denen sich niemand mehr ansiedeln durfte. Es
kam zu großangelegten Umsiedlungsaktionen, die teilweise in
Zwangsdeportationen ausarteten. Die auf Atatürk zurückgehenden sechs
kemalistischen Grundprinzipien des türkischen Staats -- Nationalismus,
Säkularismus, Republikanismus, Populismus, Etatismus und Reformismus --
wurden auch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht aufgegeben. Nach anfänglichen
Erfolgen bei Demokratisierungsbestrebungen unter den Ministerpräsidenten Inönü
(CHP) und Menderes (DP) kam es im Mai 1960 zu einem Militärputsch und im Juli
1961 zu einer neuen Verfassung, die wiederum vom Kemalismus geprägt war. In
den nachfolgenden zwei Jahrzehnten gab es in der Türkei verschiedene Koalitions-
und Minderheitsregierungen, bis im Dezember 1978 von Ecevit das Kriegsrecht vor
allem über ostanatolische Provinzen verhängt und später auf weitere Provinzen
ausgedehnt und verlängert wurde. Nach dem Militärputsch im Jahre 1980 kam es
zunächst zu einer Verschärfung und gesetzlichen Absicherung der Restriktionen
und Diskriminierungen der kurdischen Volksgruppe durch Maßnahmen, mit denen
der Gebrauch der kurdischen Sprache behindert, die Kurden in der Pflege ihrer
kulturellen Eigenheiten eingeschränkt und in den kurdischen Provinzen massiert
Sicherheitskräfte eingesetzt wurden. Seit Beginn der 90er Jahre verschärften sich
die Auseinandersetzungen mit der PKK (Partiya Karkeren Kurdistan --
Arbeiterpartei Kurdistans) insbesondere in den südöstlichen Landesteilen.
Trotz einer Vielzahl von Restriktionen und Diskriminierungen der kurdischen
Volksgruppe vermag der Senat nicht zu der Überzeugung zu gelangen, dass in der
Vergangenheit jedenfalls in dem hier maßgeblichen Zeitraum eine staatliche
Verfolgung der ethnischen Minderheit der Kurden erfolgt ist. Obwohl der türkische
Staat den Gebrauch der kurdischen Sprache behinderte, die kurdische
Volksgruppe in der Pflege ihrer kulturellen Eigenheiten einschränkte und der
wirtschaftlichen und kulturellen Unterentwicklung in kurdischen Provinzen nicht
effektiv entgegentrat, lässt sich nach Auffassung des Senats (für den insoweit
maßgeblichen Zeitraum) nicht der Schluss ziehen, der türkische Staat unterdrücke
und verfolge die Kurden bewusst mit dem Ziel, sie zu assimilieren, zu vertreiben
oder zu vernichten.
Anzeichen für eine asylerhebliche Zwangsassimilierung der Kurden ergeben sich
zunächst nicht aus dem Leugnen ihrer Existenz als eigenständige Volksgruppe.
Die Kurden wurden in der Vergangenheit nach dem historisch gewachsenen
Selbstverständnis der Türkischen Republik offiziell als nicht vorhanden angesehen
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Selbstverständnis der Türkischen Republik offiziell als nicht vorhanden angesehen
und damit von Staats wegen als ethnische Gruppe schlechtweg ignoriert. Diese
Einstellung gegenüber den Kurden kam unter anderem in der in den letzten
Jahrzehnten offiziell verwandten Bezeichnung als "Bergtürken" zum Ausdruck (I 3,
6.). Selbst wenn indessen die Kurden in der Türkei aufgrund dieser Umstände auf
Dauer gesehen der Assimilierung nicht entgehen sollten, ließe sich daraus ein
asylrelevanter Umstand nicht herleiten. Denn das Asylrecht schützt nicht vor
langfristigen und allmählichen Anpassungsprozessen aufgrund veränderter
Lebensbedingungen (BVerwG, 15.02.1984 -- 9 CB 191.83 --, EZAR 203 Nr. 2 =
InfAuslR 1984, 152).
Von allen legislativen und administrativen Mitteln, die zum Zwecke der
Verdrängung oder vollständigen Angleichung gegen eine ethnische Minderheit
eingesetzt werden können, kommt einem Verbot der eigenen Sprache eine
wesentliche Bedeutung zu. Soweit es das Primat der türkischen Sprache und den
Ausschluss jeder anderen -- und damit vor allem der kurdischen -- Sprache
angeht, lässt sich eine eindeutige Rechtslage und Rechtswirklichkeit seit Bestehen
der Türkischen Republik nicht erkennen. Andererseits kann aber auch nicht
festgestellt werden, der Gebrauch der kurdischen Sprache sei im hier
maßgeblichen Zeitraum in der Türkei praktisch verboten gewesen.
Staatspräsident Atatürk soll bereits einige Monate nach Unterzeichnung des
Lausanner Friedensvertrages vom Juli 1923, nach dessen Art. 39 keinem
türkischen Staatsbürger irgendwelche Beschränkungen beim Gebrauch einer
Sprache auferlegt werden können, Kurdisch als Amtssprache verboten haben (I 3,
17). Anderen Angaben zufolge soll der Gebrauch der kurdischen Sprache jedenfalls
in der Zeit von 1924 bis 1929 gesetzlich verboten worden sein. Dieses Verbot ist
aber danach staatlicherseits im Laufe der Zeit nicht mehr durchgesetzt worden (I
5). Im Jahre 1967 machte sodann der Ministerrat von einer im Pressegesetz von
1950 enthaltenen Ermächtigung Gebrauch und verbot die Einfuhr und die
Verteilung sämtlicher in kurdischer Sprache im Ausland herausgegebenen
Druckerzeugnisse, Schallplatten, Tonbänder und dergleichen. Damit war die
Verbreitung von im Ausland hergestellten Erzeugnissen dieser Art unter Strafe
gestellt (I 5, 14). Wenn demgegenüber teilweise ohne nähere Erläuterung und
ohne Schilderung nachprüfbarer Beispiele angegeben wird, allgemein seien der
Besitz (I 2, 12) oder die Herausgabe und nicht nur die Einfuhr kurdischer Schriften
und Tonträger verboten und strafbar gewesen (I 3, 8), so kann dies durchaus auf
Missverständnissen und Ungenauigkeiten bei der Einholung und Wiedergabe von
Informationen beruhen. Denn nach den glaubhaften Angaben von anderen
Sachverständigen (I 14, 15) wurde die Herausgabe kurdischer Zeitschriften --
teilweise mit Beiträgen in türkischer Sprache -- nur dann und nur deswegen
verboten und strafrechtlich verfolgt, weil deren Inhalt als autonomistisch oder
separatistisch angesehen wurde.
Nach dem Militärputsch von 1980 wurden die Kurden zunehmend stärker in der
Pflege ihrer Kultur und Sprache behindert. Nach der neuen Verfassung vom 9.
November 1982 ist die Türkische Republik als Einheitsstaat konzipiert (Präambel)
und als dem Nationalismus Atatürks verbundener Staat bezeichnet (Art. 2).
Gemäß Art. 3 stellt sie in ihrem Staatsgebiet und Staatsvolk ein unteilbares
Ganzes dar, dessen Sprache Türkisch ist. Die auch in der Verfassung von 1982
zum Ausdruck gelangte Negierung der Existenz der kurdischen Volksgruppe durch
den türkischen Staat rechtfertigt indessen nicht den Schluss auf eine staatlich
bezweckte asylerhebliche Zwangsassimilierung.
Im Umgang mit Behörden und anderen staatlichen Stellen sowie im Militärdienst
wurde seit jeher auf den Gebrauch der türkischen Sprache Wert gelegt. Darüber
hinaus war wegen der Türkisierung der Vor-, Familien- und Ortsnamen die
Registrierung kurdischer Namen nicht erlaubt (vgl. I 8). Anders als in der Schule,
im Rundfunk und im amtlichen Verkehr war der Gebrauch des Kurdischen jedoch
bei privaten Unterhaltungen und im geschäftlichen Verkehr in den von Kurden
bewohnten Siedlungsgebieten im hier maßgeblichen Zeitraum allgemein üblich
und weder verboten noch gar strafbar (I 5, 9, 13, 15). Am 19. Oktober 1983 erging
das Gesetz Nr. 2932 über "Veröffentlichungen in einer anderen als der türkischen
Sprache" Sprachenverbotsgesetz -- (I 22), das die Grundlagen und Verfahren
regelte, "die auf Veröffentlichungen in nicht zugelassenen Sprachen Anwendung
finden" (Art. 1). Gemäß Art. 2 Abs. 2 dieses Gesetzes waren die Erklärung,
Verbreitung und Veröffentlichung von Meinungen in jeder Sprache verboten, die
nicht die erste offizielle Sprache eines von der Türkei anerkannten Staats war.
Obwohl das Gesetz nach seiner Überschrift und der Beschreibung seines
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Obwohl das Gesetz nach seiner Überschrift und der Beschreibung seines
Gegenstandes in Art. 1 nur "Veröffentlichungen" betraf und nur auf die allein für die
Presse geltende Bestimmung des Art. 28 Abs. 2 der Verfassung Bezug zu nehmen
schien, ging der Wortlaut der Vorschriften der Art. 2 und 3 darüber hinaus und
erfasste auch andere als veröffentlichte schriftliche Meinungsäußerungen. Eine
entsprechende verfassungsrechtliche Grundlage befindet sich in Art. 26 Abs. 3 der
Verfassung, der lautet: "Bei der Äußerung oder Verbreitung von Meinungen darf
keine durch Gesetz verbotene Sprache verwendet werden ...". Deshalb bestanden
gewichtige Bedenken gegen die Auffassung, nur der "öffentliche" Gebrauch der
kurdischen Sprache sei untersagt und der private Bereich "nicht berührt" (I 21).
Allerdings wurde das Monopol der türkischen Sprache seit dem Militärputsch
lediglich im Umgang mit Behörden und anderen staatlichen Stellen sowie im
Militärdienst durchgesetzt (I 8, 9, 12). Gegen den Gebrauch des Kurdischen bei
privaten Unterhaltungen und im geschäftlichen Verkehr wurde dagegen nicht
eingeschritten, und es war im eigentlichen Siedlungsgebiet der Kurden, im
Südosten der Türkei, jedenfalls faktisch möglich, sich des Kurdischen als
Umgangssprache zu bedienen (I 5, 7, 13, 15, 16, 18, 19, 23, 24).
Neben dem Gebrauch der Sprache ist für den Bestand und die Erhaltung einer
eigenständigen Nationalkultur die Pflege von Brauchtum und Sitte wichtig und
letztlich unerlässlich. Auch in dieser Hinsicht unterliegen die Kurden gewissen
Beschränkungen. Sie konnten allerdings im hier maßgeblichen Zeitraum
grundsätzlich ungehindert ihre Nationaltracht tragen, kurdische Volkslieder singen
und ihr Newroz-Fest sowie andere bäuerliche Feste feiern und sich auch sonst als
Kurden zu erkennen geben -- angesichts ihrer kurdischen Sprache können sie ihre
Herkunft ohnehin kaum verbergen. Man kann für diesen Zeitraum im Vergleich zu
der Zeit bis 1950 von einer relativen Liberalisierung sprechen (I 9).
Es kann schließlich nicht festgestellt werden, dass der türkische Staat eine gezielte
Assimilierungspolitik durch bewusste Vernachlässigung kurdischer
Siedlungsgebiete in kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht betrieben hat. Während
Industrie und Wirtschaft der Türkei hauptsächlich in den westlichen Teilen des
Landes, vorzugsweise in den Ballungsgebieten um die großen Städte angesiedelt
und konzentriert sind, sind die überwiegend von Kurden bewohnten 18 Provinzen in
Ostanatolien von der Agrarwirtschaft geprägt, und deren Strukturen und
Arbeitsweisen sind zudem durch die Herrschaft von Großgrundbesitzern
gekennzeichnet (I 2, 3). Aufgrund unsicherer Besitzverhältnisse, Streitigkeiten um
Weideland und Ackerboden und wegen der Hoffnung auf bessere
Verdienstmöglichkeiten im Westen der Türkei und den Industrieländern Mittel- und
Westeuropas haben im Hinblick auf die eklatante Unterentwicklung der östlichen
Gebiete im Laufe der letzten 30 Jahre immer mehr kurdische Bauern ihre Dörfer
verlassen. Diese Landflucht hat das Ungleichgewicht zwischen den östlichen und
westlichen Provinzen der Türkei noch verstärkt. Das Einkommensgefälle hat auch
in den letzten Jahren weiter zugenommen (I 162). Die Bodenschätze des Ostens
wurden zur Industrialisierung des Westens genutzt. Gesundheitswesen und
Schulen sind wesentlich schlechter ausgestattet als allgemein in der Türkei. Es
sind jedoch keine konkreten Tatsachen festzustellen, die den Vorwurf
rechtfertigen, die türkische Regierung hätte die kurdischen Provinzen in der
Absicht vernachlässigt, die dort lebenden Kurden ihres Volkstums wegen zu
benachteiligen, oder in ihrer Politik habe dieses Ziel zumindest eine nicht
unwesentliche Rolle gespielt (so aber etwa I 10, 18). Gegen eine solche Annahme
spricht, dass von den im Osten der Türkei herrschenden Lebensbedingungen auch
andere Bevölkerungsgruppen wie etwa Christen, Jeziden und Muslime betroffen
waren und sind. Für die Benachteiligung der kurdischen Regionen scheinen
insgesamt gesehen ganz unterschiedliche Faktoren verantwortlich zu sein, etwa
die ungünstigen Boden-, Klima- und Verkehrsverhältnisse. Das Fehlen besonderer
Erschließungs- und Entwicklungsprogramme dürfte auf den desolaten Zustand der
Staatsfinanzen der Türkei zurückzuführen gewesen sein.
Ungeachtet dessen bestand für Kurden, die ihre Volkszugehörigkeit im
gesellschaftlichen Bereich verbunden mit der Forderung nach politischer
Autonomie oder Unabhängigkeit vom türkischen Staat ostentativ bekundeten, die
Gefahr, durch staatliche Organe des Separatismus bezichtigt zu werden (I 3, 6, 7,
9, 11, 15 bis 20). Insoweit war aber auch eine deutliche Liberalisierung und
Zurückhaltung der Sicherheitskräfte gegenüber friedlichen Meinungsäußerungen
für ein eigenständiges Kurdistan erkennbar. Wegen des schlichten Bekenntnisses
zu ihrer Volkszugehörigkeit waren Kurden nicht von staatlicher Verfolgung bedroht
(I 4, 5). Eine sich in diesem Rahmen haltende Pflege kurdischen Brauchtums war
legal möglich (I 19, 24).
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In engem Zusammenhang mit Ermittlungen und Verfolgungen wegen Verdachts
des Separatismus standen die nach dem Militärputsch verstärkt unternommenen
Razzien, die der Suche nach Waffen und dem Aufspüren Krimineller dienten, die
aber in der Regel pauschal alle Bewohner von Grenzdörfern oder bestimmten
Gecekondu-Bereichen erfassten und diese oft einer erniedrigenden, brutalen oder
sonst menschenrechtswidrigen Behandlung unterzogen (I 2, 10, 11, 17, 23, 24). Im
Zuge der Verfolgung kurdischer Separatisten kam es dabei im Herbst 1984
("Operation Sonne") auch zu türkischen militärischen Aktionen auf irakischem
Gebiet (I 23). Während teilweise angenommen wird, diese Aktionen richteten sich
systematisch gegen die kurdische Bevölkerung und sollten deren Einschüchterung
bewirken (I 2, 11, 12), wird in anderen Berichten betont, kurdische
Siedlungsgebiete seien nur wegen der dort festzustellenden Häufigkeit von
anarchistischen, extremistischen und separatistischen Untergrundorganisationen
besonders oft und hart betroffen (I 1, 4, 7, 13, 23, 24). Aufgrund der Vielzahl
terroristischer Aktionen in den kurdischen Siedlungsgebieten kam es nach und
nach zu einer stärkeren Konzentration von Sicherheitskräften in diesen Gebieten
und im Zusammenhang damit zu vielen militärischen Aktionen gegen die PKK, die
das Ziel der Gründung eines unabhängigen kurdischen Staats in den von Kurden
besiedelten Gebieten des türkischen Staatsgebiets verfolgen. Zur Durchsetzung
dieses Ziels führte die PKK in den südöstlichen Landesteilen der Türkei einen
bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat; bei ihren Operationen bediente
sie sich der Guerillataktik (I 25).
Die Maßnahmen des türkischen Staates in den kurdischen Siedlungsgebieten,
insbesondere in den Notstandsgebieten im südöstlichen Grenzgebiet, richteten
sich zunächst im wesentlichen gegen die Kampfaktionen der PKK. Der Senat hat
dazu schon früher festgestellt, dass anläßlich dieser Maßnahmen gehäuft
vorkommende illegale oder sogar menschenrechtswidrige Übergriffe auf
Zivilpersonen nicht zu der Annahme einer allgemeinen und landesweiten
Verfolgung der Kurden in Anknüpfung an ihre Volkszugehörigkeit führten (vgl.
Hess.VGH, 23.11.1992 B 12 UE 2590/89 --). Erkenntnisse in tatsächlicher Hinsicht,
die Anlass geben könnten, diese Einschätzung neu zu überdenken, liegen für den
hier maßgeblichen Zeitraum nicht vor (vgl. Hess.VGH, 24.01.1994 B 12 UE 200/91
--; 19.01.1998 B 12 UE 1624/95 --; zuletzt 07.12.1998 -- 12 UE 2091/98 u.a. --).
2. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Kläger in der Türkei vor ihrer Ausreise
aus individuellen Gründen politische Verfolgung erlitten haben.
Zwar kann dem Kläger zu 1) geglaubt werden, dass er in seinem Heimatort die
PKK -- ebenso wie seine Familie -- mit Lebensmitteln und ähnlichen Leistungen
unterstützt hat und schließlich in Sirnak inhaftiert wurde, weil er sich weigerte,
Dorfschützer zu werden. Die Gegend um Sirnak lag zur Zeit vor der Ausreise der
Kläger in einem Gebiet, in dem die PKK operierte und wo deshalb auch die
Sicherheitskräfte Aktionen durchführten. Dazu gehörte auch, in den von
Operationen der PKK betroffenen Ortschaften Männer zu rekrutieren, die als
Dorfschützer den Staat vertreten und -- mit Waffen ausgestattet --
Abwehrmaßnahmen gegenüber der PKK leisten sollten, um deren Beschaffungs-
und Rückzugsmöglichkeiten zu beeinträchtigen. Hinsichtlich der in Sirnak 1986
oder 1987 erlittenen Inhaftierung fehlt es jedoch einerseits an dem erforderlichen
kausalen Zusammenhang zu der Flucht im Jahr 1989, da der Kläger zu 1)
zwischenzeitlich ohne weitere Beeinträchtigungen seinen Militärdienst abgeleistet
hat. Während der zehn Monate des Militärdienstes blieb er völlig unbehelligt, und
es ist auch sonst nichts dafür erkennbar, dass er während dieser Zeit auf ihn
individuell gerichtete, über den Bereich seines Heimatortes hinausreichende
Maßnahmen der Sicherheitskräfte erlitten oder zu befürchten hatte. Selbst wenn
die von ihm angeführte Erkrankung auf die in Sirnak während seiner Inhaftierung
nach seinem Vorbringen erlittenen Folterungen zurückzuführen sein sollte, bietet
dies keinen erkennbar relevanten Anlass für seine Flucht; denn er wurde daraufhin
ja sogar aus dem Militärdienst als untauglich entlassen, sodass es auch insoweit
an dem erforderlichen Zusammenhang zwischen erlittenen Maßnahmen des
Heimatstaates und der Flucht fehlt. Auch die von ihm behaupteten erneuten
Verhaftungen nach seiner Entlassung vom Militär in seinem Heimatort lassen nicht
erkennen, dass der Kläger zu 1) individuell und landesweit in die Gefahr politischer
Verfolgung geraten war. Vielmehr handelte es sich bei den geschilderten
Maßnahmen der Sicherheitskräfte nicht erkennbar um gezielt gegen ihn
gerichtete, sondern um insgesamt zur Bekämpfung der PKK in der dortigen Region
durchgeführte Aktionen, bei denen der Kläger zu 1) -- ebenso wie alle anderen dort
lebenden Einwohner -- Beachtung fand. Dabei mag durchaus die frühere
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lebenden Einwohner -- Beachtung fand. Dabei mag durchaus die frühere
Weigerung, Dorfschützer zu werden, besondere Aufmerksamkeit der
Sicherheitskräfte auf ihn gelenkt haben. Es ist aber nicht erkennbar, dass er
erneuten Verhaftungen nicht durch Wegzug in einen Ort im Westen der Türkei
hätte ausweichen können. Die eher vage und pauschal gehaltenen Ausführungen
zu den angeblich nach Entlassung aus dem Militärdienst erlittenen Verhaftungen
geben zu erheblichen Zweifel an der Glaubhaftigkeit insbesondere hinsichtlich der
behaupteten Inhaftierung des Klägers zu 1) nach einer auf ihn gezielten
Suchaktion Anlass. Er vermochte auch auf mehrfache Nachfrage weder den
ungefähren Zeitpunkt noch die ungefähre Dauer der Inhaftierungen anzugeben
und auch sonst keinerlei Umstände wie etwa den jeweiligen Anlass für die
Verhaftungen oder die ihm gegenüber hierbei erhobenen Vorwürfe zu schildern.
Demgegenüber ist ihm von der viel weiter zurückliegenden Verhaftung vor seinem
Militärdienst eine Reihe von Einzelheiten in Erinnerung geblieben. Angesichts der
früher von ihm hierzu gemachten Angaben ist allenfalls davon auszugehen, dass
der Kläger zu 1) von pauschalen, in Zusammenhang mit der Bekämpfung der PKK
stehenden Razzien und Verhaftungen betroffen war, dass er jedoch nicht darüber
hinaus individuell auf ihn gerichtete, über das örtliche Umfeld hinausreichende
Maßnahmen erlitten oder zu befürchten hatte. Es gibt keine weiteren
Anhaltspunkte dafür, dass er über die allgemein angewandten Drangsalierungen
hinaus vor seiner Ausreise derart in das Visier der Sicherheitskräfte geraten war,
dass landesweit nach ihm gefahndet worden wäre, insbesondere wurden
offensichtlich keine landesweit wirksamen Verfahren gegen den Kläger zu 1)
eingeleitet.
Auch die gegen den Bruder des Klägers zu 1) gerichteten Maßnahmen lassen nicht
erkennen, dass letzterem deshalb gezielt und auch ausserhalb seines
heimatlichen Bereiches -- landesweit -- Verfolgung gedroht hat; denn auch die
Maßnahmen gegen den Bruder standen offenbar in unmittelbarem
Zusammenhang mit den örtlich konzentrierten Aktionen der Sicherheitskräfte zur
Verfolgung der dortigen PKK-Aktivitäten. Aus dem Vorbringen des Klägers zu 1) ist
auch insoweit kein Anhaltspunkt für auf ihn individuell gerichtete und über das
heimatliche Umfeld hinausreichende Suchaktionen erkennbar, wie die schon
erwähnte unbehelligte Ableistung des Militärdienstes ebenso zeigt wie die spätere
unproblematische Ausreise mit selbst beschafften Reisepässen.
Für die Kläger zu 2) und 3) ist ebenfalls nicht feststellbar, dass diese asylrechtlich
relevanten Verfolgungsmaßnahmen vor ihrer Ausreise unterlagen. Die
geschilderten Aktionen im Zusammenhang mit der Suche nach dem Kläger zu 1)
fanden teilweise so weit vor dem Zeitpunkt der Ausreise statt, dass sich ein
kausaler Zusammenhang auch hier nicht mehr herstellen lässt. Für die
Maßnahmen nach Entlassung des Klägers zu 1) aus dem Militärdienst fehlt es --
wie schon oben festgestellt -- an einer über das heimatliche Umfeld
hinausgehenden landesweiten Bedrohung. Darüber hinaus hat die Klägerin zu 2)
mehr als Belästigungen nicht vorgebracht, sodass es auch den Klägern zu 2) und
3) ohne weiteres möglich gewesen wäre, wie der Kläger zu 1) -- und vor allem
gemeinsam mit diesem -- vor möglicherweise drohenden weiteren, auch sie selbst
betreffenden Beeinträchtigungen im heimatlichen Bereich in den Westen der
Türkei auszuweichen, wo sie, da eine landesweite Verfolgung nicht zu befürchten
war, insoweit sicher gewesen wären.
II.
Der somit unverfolgt ausgereiste Kläger zu 1) kann seine Anerkennung als
Asylberechtigter aufgrund eines im Sinne von § 28 AsylVfG beachtlichen
Nachfluchtgrundes verlangen; dies trifft jedoch nicht auf die Kläger zu 2) und 3) zu.
Ein Nachfluchtgrund setzt voraus, dass dem Asylbewerber aufgrund von
Umständen, die nach seiner Ausreise aus seinem Heimatland eingetreten sind, für
den Fall seiner Rückkehr dort gegenwärtig und in absehbarer Zeit politische
Verfolgung droht. Dabei ist zu unterscheiden zwischen objektiven
Nachfluchtgründen, die durch Vorgänge im Heimatland des Asylbewerbers
unabhängig von seiner Person ausgelöst wurden, und subjektiven
Nachfluchtgründen, die der Asylbewerber nach Verlassen des Heimatstaates aus
eigenem Entschluss geschaffen hat (§ 28 AsylVfG; BVerfG, 26.11.1986 -- 2 BvR
1058/85 --, a.a.O.). Für die Prognose der Verfolgungsgefahr ist der Maßstab
anzulegen, ob dem unverfolgt ausgereisten Asylbewerber politische Verfolgung bei
einer Rückkehr in sein Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht
(BVerwG, 31.03.1981 -- 9 C 286.80 --, EZAR 200 Nr. 3, 25.09.1984 -- 9 C 17.84 --,
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(BVerwG, 31.03.1981 -- 9 C 286.80 --, EZAR 200 Nr. 3, 25.09.1984 -- 9 C 17.84 --,
a.a.O., 03.12.1985 -- 9 C 22.85 --, a.a.O.).
1. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass zwar nach den Feststellungen des
Senats die Bevölkerungsgruppe der Kurden in den Notstandsprovinzen der Türkei
seit etwa Mitte 1993 allgemein dem türkischen Staat zuzurechnender politischer
Verfolgung ausgesetzt ist (zuletzt: Hess. VGH, 07.12.1998 -- 12 UE 232/97.A --
und -- 12 UE 2185/97.A --; so auch: Hess.VGH, 14.10.1998 -- 6 UE 214/98. A -- und
-- 6 UE 900/98.A --), die jedoch als örtlich begrenzte und nicht als regionale
Verfolgung zu qualifizieren ist. Die Kläger stammen aus der auch derzeit noch
unter Notstandsrecht stehenden Provinz Sirnak (I 191), so dass sie bei einer
Rückkehr dorthin einer Gruppenverfolgung unterliegen würden. Es ist jedoch
festzustellen, dass die Kläger als Angehörige der kurdischen Volksgruppe nach der
Sachlage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats zwar nicht in ihre unter
Notstandsrecht stehende Heimatregion zurückkehren können, ohne dort
politischer Verfolgung ausgesetzt zu sein, ihnen jedoch die Möglichkeit eines
verfolgungsfreien Lebens in den Gebieten außerhalb der Notstandsprovinzen, vor
allem im Westen der Türkei, offen steht, da ihnen dort nicht mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht und sie dort auch -- für den Fall,
dass trotz der als örtlich begrenzt und nicht regional anzusehenden
Gruppenverfolgung in ihrer Heimatregion der herabgestufte Prognosemaßstab
Anwendung finden sollte -- hinreichend sicher vor politischer Verfolgung sind.
Zu Beginn der 90er Jahre trat zunächst eine gewisse Entspannung der Lage der
Kurden ein. Durch Art. 23e des "Gesetzes über die Bekämpfung des Terrors" (Nr.
3713) -- Anti-Terror-Gesetz (ATG) -- vom 12. April 1991 wurde das
Sprachenverbotsgesetz ersatzlos aufgehoben (I 28). Daraus kann angesichts des
in Art. 1 normierten Zwecks des Sprachenverbotsgesetzes entnommen werden,
dass der Gebrauch einer anderen als der türkischen, insbesondere der Sprache
der Kurden als größter nichttürkischer Volksgruppe im Staatsverband der Türkei,
nicht mehr als separatistische, gegen die Einheit des türkischen Staats gerichtete
Handlung qualifiziert wird. Zudem wird mit der Aufhebung der bisherigen
Feststellung des Art. 3 Abs. 1 des Sprachenverbotsgesetzes, die Muttersprache
der türkischen Staatsbürger sei türkisch, für die türkischen Staatsbürger auch der
Besitz einer anderen Muttersprache begrenzt und nicht regional anzusehenden
Gruppenverfolgung in ihrer Heimatregion der herabgestufte Prognosemaßstab
Anwendung finden sollte -- hinreichend sicher vor politischer Verfolgung sind.
Zu Beginn der 90er Jahre trat zunächst eine gewisse Entspannung der Lage der
Kurden ein. Durch Art. 23e des "Gesetzes über die Bekämpfung des Terrors" (Nr.
3713) -- Anti-Terror-Gesetz (ATG) -- vom 12. April 1991 wurde das
Sprachenverbotsgesetz ersatzlos aufgehoben (I 28). Daraus kann angesichts des
in Art. 1 normierten Zwecks des Sprachenverbotsgesetzes entnommen werden,
dass der Gebrauch einer anderen als der türkischen, insbesondere der Sprache
der Kurden als größter nichttürkischer Volksgruppe im Staatsverband der Türkei,
nicht mehr als separatistische, gegen die Einheit des türkischen Staats gerichtete
Handlung qualifiziert wird. Zudem wird mit der Aufhebung der bisherigen
Feststellung des Art. 3 Abs. 1 des Sprachenverbotsgesetzes, die Muttersprache
der türkischen Staatsbürger sei türkisch, für die türkischen Staatsbürger auch der
Besitz einer anderen Muttersprache eingeräumt und damit mittelbar auch die
Existenz anderer ethnischen Gruppen neben den Türken anerkannt. Die Aufgabe
der Leugnung der Existenz einer kurdischen Volksgruppe in der Türkei kommt im
Übrigen in der Anfang 1991 getroffenen Feststellung des damaligen
Staatspräsidenten Özal zum Ausdruck, in der Türkei lebten 10 bis 12 Millionen
Kurden (I 26). Insgesamt wurde durch die Aufhebung des
Sprachenverbotsgesetzes vor allem der öffentliche Gebrauch der kurdischen
Sprache erheblich erleichtert. So ist es nicht mehr verboten, auf Versammlungen
und Demonstrationen Plakate in einer anderen als der türkischen Sprache zu
zeigen und dort in diesen Sprachen Schallplatten und ähnliches abzuspielen oder
kurdischsprachige Lieder zu singen (I 27). Wenngleich für bestimmte Bereiche das
Verbot der Verwendung anderer Sprachen als der türkischen, wie etwa im
Parteiengesetz und Vereinsgesetz (I 22), weiter fortbesteht, hat dennoch die
Aufhebung des Sprachenverbotsgesetzes zunächst in einer wesentlichen Frage zu
einer Abnahme der Beeinträchtigungen der kurdischen Volksgruppe in der Türkei
geführt. So wurde vom Kultusministerium die Freigabe von ungefähr 25.000 früher
verbotenen Buchtiteln bestätigt (I 26). Dies führte zum Beispiel auch Ende
1991/Anfang 1992 zur Herausgabe zweier kurdischsprachiger Wochenzeitungen (I
32), von denen allerdings eine inzwischen ihr Erscheinen -- möglicherweise
aufgrund behördlicher Schikanen -- wieder eingestellt hat (I 47). Die Zeitung Özgür
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aufgrund behördlicher Schikanen -- wieder eingestellt hat (I 47). Die Zeitung Özgür
Gündem wurde seit ihrem Erscheinen von den türkischen Behörden belästigt (I
68), ein Verbot dieser Zeitung war letztlich nur eine Frage der Zeit (I 77), und auch
die Nachfolgezeitung Özgür Ülke hatte von Anfang an mit Schwierigkeiten
gegenüber den Behörden zu kämpfen (vgl. I 91). Darüber hinaus wurde im Jahre
1993 durch den Nationalen Sicherheitsrat das Anti-Terror-Gesetz (ATG) wieder
verschärft. Danach werden kurdische Musik, kurdische Reden und das Bekenntnis,
Kurde zu sein, mit der Strafandrohung des Art. 8 ATG verfolgt (I 80); auch
Demonstrationen und Märsche gegen die nationale und territoriale Einheit der
Türkei sowie gegen die laizistische Grundordnung auf der Basis einer strikten
Trennung von Staatsführung und Religion sollen schwerer als früher geahndet
werden (I 82).
Die von Dezember 1991 an amtierende Regierungskoalition von DYP und SHP
setzte die zuvor begonnene Liberalisierung in der Kurdenpolitik verstärkt fort,
indem sie mehrfach ausdrücklich bekundete, dass sie die Kurden als eine
eigenständige ethnische Minderheit anerkenne und grundsätzlich ein friedvolles
Zusammenleben von Kurden und Türken anstrebe (I 30, 31,40). In dem
Regierungsprogramm war vorrangig die Fortsetzung des
Demokratisierungsprozesses und die Verbesserung der Menschenrechtssituation,
wozu vor allem eine Normalisierung der Situation in den Notstandsgebieten zählt,
aufgenommen worden (I 32). Das Versprechen für mehr Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit konnte die Regierungskoalition allerdings nicht einlösen (I 41).
Nach einem im April 1992 von der türkischen Regierung gefassten Beschluss sollte
die soziale und wirtschaftliche Lage der Kurden dadurch verbessert werden, dass in
den zehn südöstlichen Provinzen der Türkei, also in den Siedlungsgebieten der
Kurden, 10.000 neue Arbeitsplätze geschaffen und das Erziehungs- und
Gesundheitswesen ausgebaut werden sollten (I 34). Auf dieser Linie lag auch die
Ankündigung des damaligen türkischen Staatspräsidenten Özal, in Zukunft
könnten auch Unterricht sowie Rundfunk- und Fernsehsendungen in kurdischer
Sprache erlaubt werden (I 39). Da die PKK -- bei ihr handelt es sich um eine
stalinistische Organisation, die blutigen Terror für ein legitimes Mittel hält (I 25) --
offensichtlich die "Gefahr" sah, dass es auf der Grundlage dieses
Öffnungsprozesses zu einer geregelten Autonomie der kurdischen
Siedlungsgebiete innerhalb des türkischen Staatsverbands kommen könnte,
versucht sie seit dem Frühjahr 1992 mit umfangreichen militärischen Aktionen,
den türkischen Staat und insbesondere das Militär zum Rückzug aus den
kurdischen Siedlungsgebieten sowie zur Aufgabe staatlicher Hoheitsgewalt in
diesem Gebiet zu zwingen. Durch Gegenaktionen der türkischen Armee wurde
auch die kurdische Zivilbevölkerung zum Teil erheblich in Mitleidenschaft gezogen.
Erster Höhepunkt waren die schweren Zusammenstöße zwischen türkischen
Sicherheitskräften und kurdischen Guerillas aus Anlass des kurdischen
Neujahrsfestes (Newroz) am 21. März 1992. Es kam zu zahlreichen Toten und
Verwundeten, wobei diese Unruhen in Cizre begannen und danach unter anderem
noch Sirnak, Nusaybin, Batman erfassten. In Sirnak kam es Mitte August 1992 zu
weiteren heftigen Kämpfen, in deren Folge die Stadt von ihren Bewohnern
weitgehend verlassen wurde, wobei allerdings die PKK eine Verwicklung ihrer
Mitglieder in die Vorfälle leugnete und sich im weiteren Verlauf die Anzeichen
mehrten, dass es sich allein um eine von den Sicherheitskräften zu
verantwortende Aktion gegen die Bevölkerung handelte (I 40). Gegen die unter
Einsatz von militärischen Mitteln -- mit Bomben, Mörsern und Raketenwaffen --
zum Teil mit Hunderten von Guerillakämpfern durchgeführten Überfälle der PKK,
Anschläge in zahlreichen Städten und Ortschaften des südöstlichen Grenzgebiets
der Türkei und Angriffe auf öffentliche Gebäude wie Bankfilialen und insbesondere
Einrichtungen des Militärs, der Gendarmas und der Polizei setzte der türkische
Staat große Einheiten von Sicherheitskräften -- zunehmend die paramilitärisch
ausgerüsteten Gendarmas (Landpolizei) und die in gleicher Weise ausgerüsteten
Sicherheitseinheiten des Innenministeriums -- ein, die in Gegenschlägen in
kurdischen Siedlungsgebieten selbst und im nördlichen Irak -- dem Rückzugsgebiet
der PKK -- PKK-Kämpfer aufspüren und bekämpfen sollen (I 36). Durch
Umsiedlungsaktionen im Kampfgebiet der PKK sollte der PKK auch die in diesem
Gebiet mögliche logistische Unterstützung durch die örtliche Bevölkerung
entzogen werden (I 48).
Diese Maßnahmen insbesondere in den Notstandsgebieten richteten sich
zunächst im Wesentlichen gegen die Kampfaktionen der PKK; dies änderte sich
aber seit etwa Mitte 1993.
Im Jahre 1993 standen sich im Südosten der Türkei ungefähr 140.000 türkische
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Im Jahre 1993 standen sich im Südosten der Türkei ungefähr 140.000 türkische
Soldaten und etwa 10.000 PKK-Kämpfer gegenüber (I 63). Damit wurden dort etwa
zwei Drittel der Streitkräfte der türkischen Armee stationiert, dazu zählen auch
80% der Panzer- und Helikoptereinheiten (I 73). Die Situation in der Südosttürkei
wurde mittlerweile als Krieg (I 63, 73) oder doch jedenfalls als bürgerkriegsähnlich
charakterisiert (I 55), wobei die PKK in bestimmten Bergregionen im Südosten und
Osten der Türkei sogar schon effektive Gewalt ausübte (I 83). In dieser insgesamt
angespannten Situation entschloss sich die Führung der PKK am 20. März 1993 --
auch um für eine geplante Frühjahrsoffensive der türkischen Streitkräfte nicht den
Grund zu liefern, wobei der Newroz-Enthusiasmus des kurdischen Volkes als
Vorwand für eine Provokation genutzt werden sollte (I 69) --, dem türkischen Staat
zunächst bis zum 15. April 1993 und alsdann bis auf weiteres einen einseitigen
Waffenstillstand und die Bereitschaft zu Verhandlungen anzubieten (I 64). Eine
offizielle Reaktion gab es darauf nicht. Der damalige Staatschef Özal hatte für die
dritte Aprilwoche den Nationalen Sicherheitsrat zu einer Sondersitzung geladen,
bei der er seine Kurdeninitiative erläutern wollte. Dazu kam es jedoch nicht mehr,
da der Staatschef eine Woche vor dieser Sitzung verstarb (I 67). Nach der
Aufkündigung des von der PKK einseitig verkündeten Waffenstillstandes am 24. Mai
1993 (I 78) kündigten die türkische Regierung und der Generalstabschef eine
Großoffensive mit dem Ziel der endgültigen Vernichtung der PKK an (I 61). Der
Generalstabschef Güres erklärte, wenn man die PKK bis zum Winterbeginn nicht
ausgerottet habe, müsse über die Türkei das Kriegsrecht verhängt werden (I 67).
Staatspräsident Demirel sprach sich dagegen aus, der kurdischen Minderheit das
Recht auf Schulunterricht in ihrer Muttersprache einzuräumen, und schloss "jeden
Kuhhandel und jedes Zugeständnis" an die PKK aus (I 76). Die damalige
Ministerpräsidentin Ciller lehnte kurdischen Schulunterricht ab und sprach
anlässlich einer Informationsreise durch die Südostprovinzen davon, dass es gar
keine Kurdenfrage gebe (I 67). Die Armeeführung kündigte einen
"Vernichtungskrieg" unter Einsatz von moderneren und wirksameren Waffen an (I
76). Bereits vorher hatte der Führer der PKK, Abdullah Öcalan, der Türkei den
Vernichtungskrieg erklärt, nachdem er den türkischen Streitkräften vorgeworfen
hatte, bei ihren Aktionen chemische Waffen und Napalmbomben gegen die Kurden
einzusetzen (I 71; vgl. auch I 69).
Im Zuge der präventiven Bekämpfung von PKK-Einheiten durch türkische
Sicherheitskräfte wurden und werden unbeteiligte Bewohner in terrorgefährdeten
Gebieten der Südosttürkei erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Übergriffe gegen
die Zivilbevölkerung geschehen häufig bei Dorf- und Räumungsaktionen. Dabei
kommt es auch zu zahlreichen Misshandlungen von Zivilpersonen durch
Sicherheitskräfte (I 84). Insgesamt verbesserte sich die Menschenrechtslage in
den kurdischen Provinzen der Türkei unter der Regierung Ciller nicht, sie wurde
eher verschärft. Die Verschleppung und Ermordung von Menschen, teils durch
uniformiert auftretende offizielle Sicherheitskräfte, aber auch durch die PKK nahm
erschreckende Ausmaße an (I 85). Die Regierung setzte entgegen einer im
Koalitionsprotokoll vom 24. Juni 1993 erklärten Absicht einseitig auf eine
militärische Lösung. Die staatlichen Handlungen in den Notstandsprovinzen des
Südostens und Ostens der Türkei haben seither insgesamt den Charakter eines
Guerilla-Bürgerkriegs angenommen. Übergriffe der Sicherheitskräfte in Form von
Eigentumszerstörung, Freiheitsberaubung, Misshandlung und Tötung auch
gegenüber Unbeteiligten kommen verbreitet vor; die Aktionen gehen zum Teil in
ihrer Intensität auch über das für die Wiederherstellung der staatlichen
Friedensordnung erforderliche Maß erheblich hinaus (I 87).
Die Auseinandersetzungen zwischen den türkischen Sicherheitskräften und der
PKK verschärften sich Mitte 1993 erheblich und erhöhten die damit verbundenen
Gefahren für die in diesen Provinzen lebende Bevölkerung (I 55, 64). Im
Zusammenhang mit der Eskalation der Gewalt im Südosten wurde der über zehn
Provinzen (Batman, Bingöl, Bitlis, Diyarbakir, Hakkari, Mardin, Siirt, Sirnak, Tunceli,
Van) verhängte Ausnahmezustand mehrmals verlängert (I 82, 97, 99, 140, 158,
163), mit Ausnahme betreffend die Provinz Mardin, für welche das Notstandsrecht
am 28. November 1996 wieder aufgehoben wurde (I 168). Die Maßnahmen der
türkischen Sicherheitskräfte richten sich seit den verschärften Kämpfen mit der
PKK auch gegen die Zivilbevölkerung. Früher waren die Maßnahmen der türkischen
Sicherheitskräfte durchgehend dadurch gekennzeichnet, dass sie aus Anlass und
zum Zweck der Eindämmung des bewaffneten Kampfes der PKK in der
Südosttürkei durchgeführt wurden. So erfolgten zum Beispiel
Umsiedlungsaktionen (I 36) zielgerichtet unter militärisch-strategischen
Gesichtspunkten der Bekämpfung der PKK und noch nicht wahllos unter
Anknüpfung an die kurdische Volkszugehörigkeit, sondern veranlasst durch
57
58
Anknüpfung an die kurdische Volkszugehörigkeit, sondern veranlasst durch
Operationen der PKK vor allem in Gebieten, in denen die PKK besondere
Unterstützung genießt (I 36). Dazu zählten auch -- bedingt durch die Guerilla-
Taktik der PKK -- Durchsuchungen und vorläufige Festnahmen der Einwohner
ganzer Dörfer (vgl. Hess. VGH, 23.11.1992 -- 12 UE 2590/89 --).
Dagegen kann bei den Maßnahmen der Sicherheitskräfte seit etwa Mitte 1993
nicht mehr davon gesprochen werden, sie würden nur dem aktiven Terroristen,
dem Teilnehmer im strafrechtlichen Sinn oder demjenigen gelten, der im Vorfeld
Unterstützungshandlungen zugunsten terroristischer Aktivitäten vornimmt, ohne
sich an diesen Aktivitäten unmittelbar zu beteiligen. Die Maßnahmen der
türkischen Sicherheitskräfte gegen die Zivilbevölkerung sowohl nach Angriffen der
PKK als auch nach legalen oder illegalen Demonstrationen erscheinen seit Mitte
1993 als Strafaktionen gegen die kurdische Bevölkerung; für den türkischen Staat
gelten seitdem offenbar alle Kurden als potentielle Unterstützer der PKK. Dies
zeigt sich unter anderem darin, dass als Reaktion auf PKK-Aktivitäten
Sicherheitskräfte nicht die Guerillakämpfer verfolgten, sondern ganze Ortschaften
im kurdischen Osten zusammenschossen (I 57, 69). Zwar wurde von der
türkischen Staatsführung angekündigt, sie werde die Rebellen der verbotenen PKK
ausrotten (I 76). Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, von etwaigen
Maßnahmen der Sicherheitskräfte sei die Zivilbevölkerung nicht betroffen.
Vielmehr kommt es tatsächlich in einer Vielzahl von Fällen zu Angriffen auf die
Zivilbevölkerung in den Notstandsgebieten, wobei sogar zunehmend Massaker an
kurdischen Zivilisten vom Militär in Kauf genommen wurden (I 77).
Beispielsweise wurde die hauptsächlich von Kurden bewohnte Stadt Lice von der
türkischen Armee angegriffen. Dabei wurden aus Hubschraubern und Panzern
Brandsätze eingesetzt; anschließend wurden die Bewohner von Soldaten aus ihren
Wohnungen geholt und diese dann in Brand geschossen (I 79). Während nach
offiziellen Angaben dabei 34 Menschen ums Leben kamen, berichteten Einwohner
von Hunderten von Toten und Vermissten (I 77). Danach gab es Befürchtungen,
dass die Regierungstruppen auch in der nahegelegenen Kleinstadt Kulp ein
Massaker anrichten würden, nachdem diese Stadt belagert und angegriffen
worden war (I 75). Die ungefähr 950 Einwohner des Dorfes Kursunlu bei Dicle
wurden vom Militär aufgefordert, ihre Siedlung zu verlassen; gleichzeitig wurde
ihnen angedroht, nach Ablauf des Ultimatums werde das Dorf beschossen, auch
wenn Einwohner dort bleiben würden (I 81). In Lice war kurze Zeit vorher der
Kommandeur der Militärpolizei dieser Region erschossen worden (I 74). Im Frühjahr
und Sommer 1993 wurden 108 Siedlungen zerstört (I 62); nach einer in der
Zeitung Özgür Gündem veröffentlichten Liste wurden vom 20. März bis 30. August
1993 117 Dörfer verbrannt und deren Bewohner vertrieben (I 69; vgl. auch I 67).
Zwar steht den Betroffenen eine Entschädigung zu; zu Entschädigungsleistungen
ist es bisher aber nachweislich nicht gekommen (I 78). Bei diesen Aktionen trieben
die Sicherheitskräfte regelmäßig zunächst alle Dorfbewohner auf dem Dorfplatz
zusammen, durchsuchten danach die Häuser, raubten das Geld und die
Wertsachen der Bewohner und setzten die Häuser einschließlich der darin
befindlichen Gegenstände und die Ställe mit den Tieren in Brand. Teilweise wurden
die Dorfbewohner noch misshandelt und geschlagen (I 69). Dabei wurden in der
Region um Lice, Kulb und Bingöl innerhalb von drei Tagen neun Dörfer von
Soldaten niedergebrannt. In der Provinz Bitlis wurden drei Dörfer -- Kovanis, Sap
und Kutlu -- von Soldaten und Dorfschützern unter Einsatz von Artillerie
angegriffen und innerhalb von vier Stunden vernichtet (I 69). Am 14. August 1993
richteten Sondereinheiten der türkischen Armee in der Kreisstadt Digor während
eines Schweigemarsches von über 4.000 Kurden aus Anlass des 9. Jahrestages
des Beginns des bewaffneten Kampfes der PKK ein Blutbad an (I 66). Als sich einen
Tag später Tausende von Menschen am Kreuzungspunkt Dolabas im Kreis
Malazgirt (Provinz Mus) versammelten, um zu demonstrieren, wurden sie von
Militäreinheiten umstellt und unter anderem von Panzern und Helikoptern unter
Beschuss genommen; dabei gab es drei Tote und über 70 Verletzte (I 73). Darüber
hinaus waren noch zahlreiche weitere Dörfer von Militäraktionen betroffen (I 61, 69,
73). In der Provinz Mardin wurden fünf Dörfer geräumt, weil die Bewohner nicht
Dorfwächter werden wollten (I 68). Solche Aktionen fanden auch später und in
anderen Provinzen statt (I 107, 122, 138), wobei zu berücksichtigen ist, dass das
Dorfschützeramt nicht zwangsweise übertragen und eine Weigerung nicht
strafrechtlich geahndet wird (I 123, 153). Auch nach den Angaben des Auswärtigen
Amtes leidet die Bevölkerung in den unter Notstandsrecht stehenden Gebieten
nach wie vor unter den oft unverhältnismäßigen Aktionen der Sicherheitskräfte und
unter anderem den blutigen Anschlägen der PKK (I 55, 140, 158, 168), wobei
aufgrund der in den Notstandsgebieten nicht gewährleisteten Pressefreiheit (I 32;
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aufgrund der in den Notstandsgebieten nicht gewährleisteten Pressefreiheit (I 32;
zur Pressezensur vgl. auch I 152) davon ausgegangen werden kann, dass nicht alle
dort vorkommenden schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen bekannt
werden. Die Übergriffe der Sicherheitskräfte im Südosten in Form von
Eigentumszerstörung, Freiheitsberaubung, Misshandlung oder Tötung ereignen
sich meistens -- und damit nicht immer -- im Zusammenhang mit militärischen
Einsätzen als Antwort auf bewaffnete Angriffe der PKK, im Zusammenhang mit
polizeilichen Maßnahmen zur Strafverfolgung von Staatsschutzdelikten sowie zur
Gefahrenabwehr oder auch im Zusammenhang mit notstandsrechtlich
sanktionierten Zwangsevakuierungen von Dörfern (I 82), wobei die Grenze
zwischen Terrorismusbekämpfung und individuellen und/oder kollektiven
Maßnahmen der Sicherheitskräfte gegen die Zivilbevölkerung immer schwerer zu
ziehen ist (I 78). Bei Straßenkämpfen in den größeren Ortschaften der Region
verschwimmen die Grenzen zwischen gezieltem Vorgehen gegen PKK-Militante
und willkürlichem Beschuss ganzer Stadtteile. Als Beispiel wird in diesem
Zusammenhang angeführt, dass die Stadt Sirnak im August 1992 noch lange
nach dem Rückzug angreifender PKK-Militanter vom türkischen Militär zum Teil mit
Artillerie unter Beschuss genommen und schwer beschädigt wurde (I 78). Nach
Angaben der pro-kurdischen Zeitung "Özgür Gündem" wurde Anfang 1993 über die
Ortschaft Beytüssebap ein Nahrungsmittelembargo verhängt, das seit August
1993 auf die Städte Uludere, Sirnak und umliegende Dörfer ausgeweitet wurde,
wobei zur Begründung angegeben wurde, dass die Bewohner die PKK mit
Lebensmitteln versorgten (I 78). Das Lebensmittelembargo wurde dann auf die im
Dreieck der Kreise Lice, Kulp und Genc liegenden Kreisstädte und Dörfer sowie auf
die auf den Bergen Agri und Tendürek gelegenen Dörfer ausgedehnt (I 69). Die
türkische Regierung selbst hat auf eine parlamentarische Anfrage eines DEP-
Abgeordneten bestätigt, dass bis Ende 1993 über 870 Dörfer zwangsweise
geräumt wurden; ein großer Teil dieser Dörfer wurde niedergebrannt (I 89). Dabei
kam es zu zahlreichen Übergriffen, zu "standrechtlichen" Erschießungen und
Folterungen an Dorfbevölkerungen, die eindeutig nicht mehr durch Notstandsrecht
zu rechtfertigen sind (I 89, 99). Bis zum Herbst 1994 waren etwa 1.300 Dörfer (I
88, 97, 99) evakuiert und teilweise ganz zerstört worden.
Aufgrund dieser Entwicklung im Südosten der Türkei ergibt sich zur Überzeugung
des Senats seit Mitte 1993 eine gegen die Kurden als Gruppe in den
Notstandsprovinzen gerichtete staatliche Verfolgung, die an ihre
Volkszugehörigkeit und damit an ein asylerhebliches Merkmal anknüpft. Die die
kurdische Zivilbevölkerung in diesen Gebieten betreffenden Maßnahmen und
Übergriffe der türkischen Sicherheitskräfte stellen sich nach den oben
aufgeführten Grundsätzen als eine Gruppenverfolgung der Kurden in diesen
Gebieten dar. Es ist nämlich festzustellen, dass die türkischen Sicherheitskräfte
die Angehörigen der kurdischen Bevölkerung unter Anknüpfung an ihre
Volkszugehörigkeit durch schwerwiegende Rechtsverletzungen verfolgen, die
gerade auch darauf ausgerichtet sind, die dort lebenden Kurden wegen ihrer
Volkszugehörigkeit zu treffen. Die staatlichen Kräfte führen den Kampf gegen die
PKK in einer Weise, die auch auf die physische Vernichtung der durch
asylerhebliche Merkmale bestimmten Personengruppe der Kurden gerichtet ist,
obwohl diese keinen Widerstand leisten oder nicht am militärischen Geschehen
beteiligt sind. Diese Voraussetzungen sind nach Einschätzung des Senats seit
etwa Mitte 1993 festzustellen und für die voraussehbare Zukunft angesichts der
Art und Weise des militärischen Handelns der türkischen Sicherheitskräfte in den
Notstandsgebieten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Deren
Aktionen sind jedenfalls seit dieser Zeit bei einer Vielzahl von Angriffen bewusst
auch gegen die kurdische Zivilbevölkerung in diesen Gebieten gerichtet und gehen
über das hinaus, was im Interesse der Wiederherstellung der staatlichen
Friedensordnung notwendig ist. Dabei ist für das Vorliegen einer asylrelevanten
Intensität des Eingriffs maßgebend, ob sich dieser nicht nur als Beeinträchtigung,
sondern als ausgrenzende Verfolgung darstellt (BVerfG -- Kammer --, 04.04.1991 -
- 2 BvR 1497/90 --). Die Maßnahmen der Sicherheitskräfte in den
Notstandsprovinzen sind, soweit sie die Zivilbevölkerung betreffen, seither als
Aktionen eines bloßen Gegenterrors zu werten, die zwar auch der Bekämpfung des
Terrorismus und seines ihn aktiv unterstützenden Umfelds gelten mögen, aber
gleichzeitig darauf ausgerichtet sind, die an dem bestehenden Konflikt nicht
unmittelbar beteiligte Zivilbevölkerung unter den Druck brutaler Gewalt zu setzen
(vgl. BVerfG, 10.07.1989 -- 2 BvR 502/86 u. a. --, a.a.O.), so dass daraus auf eine
allgemeine Gefährdung der in diesem Gebiet lebenden durch die
Volkszugehörigkeit gekennzeichneten Gruppe der Kurden zu schließen ist. Dabei
ist auch zugrundezulegen, dass -- wie für die Annahme einer unmittelbar
staatlichen Gruppenverfolgung erforderlich -- mit diesem Handeln eigene
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staatlichen Gruppenverfolgung erforderlich -- mit diesem Handeln eigene
staatliche Ziele des türkischen Staates durchgesetzt werden sollen, wozu sich der
Staat der Sicherheitskräfte -- wie Gendarmas und Polizei -- sowie der Armee
bedient (vgl. grundsätzlich zu diesem Erfordernis für eine "unmittelbare" staatliche
Gruppenverfolgung im Unterschied zu einer mittelbaren Gruppenverfolgung:
BVerwG, 05.07.1994 -- 9 C 158.94 --, a.a.O.). Wie aus den dargelegten
Maßnahmen der Sicherheitskräfte und der Streitkräfte ersichtlich, wird damit eine
Konzeption der türkischen Regierung zur "Befriedung" der kurdischen
Siedlungsgebiete im Südosten der Türkei durchgesetzt, die auch auf politische
Verfolgung der kurdischen Bevölkerungsgruppe setzt. Dabei unterstellen die
Sicherheits- und Streitkräfte ganz überwiegend pauschal eine Nähe oder
Unterstützung separatistischer Aktivitäten der PKK und knüpfen insoweit an die
kurdische Volkszugehörigkeit der Bewohner dieses Gebietes an (vgl. zu diesen
Kriterien für die Gerichtetheit von Verfolgungsmaßnahmen bei unmittelbarer
staatlicher Gruppenverfolgung: BVerfG -- Kammer --, 09.12.1993 -- 2 BvR 1638/93
--, a.a.O.; BVerwG, 05.07.1994 -- 9 C 158.94 --, a.a.O.). Obwohl der eigentliche
Grund für das Eingreifen der Sicherheitskräfte in dem pauschalen
Terrorismusverdacht zu sehen ist, handelt es sich um ethnische Verfolgung; denn
sie richtet sich allgemein gegen Angehörige der kurdischen Volksgruppe in den
dem Notstandsrecht unterworfenen Gebieten.
Insbesondere die zahlreichen Fälle von Zwangsevakuierungen und vollständiger
oder teilweiser Zerstörung von Dörfern mit den damit einhergehenden massiven
Eingriffen in die Freiheit und körperliche Unversehrtheit der Dorfbewohner
verdeutlichen, dass die Sicherheitskräfte verstärkt zu einer Strategie
übergegangen sind, die neben dem unmittelbaren militärischen Kampf gegen die
PKK auch auf eine politische Verfolgung der kurdischen Bevölkerungsgruppe setzt,
um so der PKK Ressourcen und eine breitere Unterstützung in der Bevölkerung zu
entziehen. Welche Dimensionen die Aktivitäten der Sicherheitskräfte in Anwendung
dieser Strategie hat, zeigen die bekannt gewordenen Zahlen eindrucksvoll.
Insgesamt ist bei Abwägung und Einbeziehung aller genannten Berichte
festzustellen, dass die Aktionen der Sicherheitskräfte in den Notstandsprovinzen
seither nicht allein unmittelbar auf die Bekämpfung der PKK gerichtet sind,
sondern dass bewusst und in einer Vielzahl von Fällen zielgerichtet die Verletzung
und Tötung von Personen der Zivilbevölkerung in Kauf genommen wird, um
dadurch jedenfalls auch mittelbar -- durch Abschreckung und Einschüchterung der
kurdischen Zivilbevölkerung -- den militärischen Kampf gegen die PKK zu
erleichtern, ohne einen konkreten Anlass dafür zu haben, dass es sich bei den
jeweiligen Personen um Anhänger oder Unterstützer der PKK handelt. Dabei ist es
für die Asylrelevanz dieser Maßnahmen nicht erforderlich, dass sie auf die
Zerstörung der Identität der gesamten der Gegenseite zugerechneten
Zivilbevölkerung ausgerichtet sind. Es ist insoweit schon asylrechtlich erheblich,
wenn von solchen Aktionen nur Teile dieser Zivilbevölkerung betroffen sind, die --
wie hier -- nach asylerheblichen Merkmalen bestimmt sind (BVerwG, 27.01.1993 --
9 B 95.92 --). Für diese Beurteilung maßgeblich sind nicht die subjektiven Gründe
oder Motive der handelnden Sicherheitskräfte, sondern die nach ihrem inhaltlichen
Charakter erkennbare Gerichtetheit der von ihnen durchgeführten Aktionen. Damit
ist eine objektivierte Betrachtung der grundsätzlichen Zielrichtung der Aktionen
der türkischen Sicherheitskräfte erforderlich. Aus der Sicht eines objektiven Dritten
stellen sich die Aktionen der türkischen Sicherheitskräfte als in erheblichem
Umfange auch gegen die kurdische Zivilbevölkerung gerichtet dar. Die bewusst
auch gegen die Zivilbevölkerung gerichteten Aktionen stellen eine seit etwa Mitte
1993 erweiterte Dimension der Kampfführung der türkischen Sicherheitskräfte
gegen die PKK dar, durch die als flankierende Maßnahmen zu dem direkten Kampf
gegen die PKK die kurdische Zivilbevölkerung mit brutaler Gewalt unter Druck
gesetzt werden soll, den PKK-Aktivisten keinen Schutz zu gewähren und sie nicht
zu unterstützen.
Der Senat hat auch die Überzeugung gewonnen, dass aufgrund der geschilderten
zahlreichen und durchgehenden Vorkommnisse während der kriegerischen
Handlungen im Südosten der Türkei, insbesondere auch in Anbetracht der
Tatsache, dass in den letzten Jahren weit über tausend kurdische Dörfer durch
Sicherheits- und Streitkräfte zwangsweise geräumt und Dorfbewohner dabei
regelmäßig Eingriffen in Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit ihrer
Person ausgesetzt waren, eine derartige Verfolgungsdichte besteht, dass jedem
kurdischen Volkszugehörigen im Südosten der Türkei akut ein den genannten
Vergleichsfällen entsprechendes Verfolgungsschicksal droht (zum Kriterium der
Verfolgungsdichte vgl. insbesondere BVerwG, 05.07.1994 -- 9 C 158.94 --, a.a.O.).
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Verfolgungsdichte vgl. insbesondere BVerwG, 05.07.1994 -- 9 C 158.94 --, a.a.O.).
Dabei kann schon angesichts der in Rede stehenden Schwere der
Rechtsgutverletzungen nicht auf eine statistische Ermittlung der bereits schwer
Geschädigten, der eher leicht Betroffenen, der latent Gefährdeten und der noch
unbehelligt Gebliebenen abgestellt werden. Gerade die Vielfalt der Eingriffe erlaubt
keine selektive Betrachtung je nach Ort, Art und Folgen der Eingriffe. Insbesondere
hängt die Feststellung der erforderlichen Verfolgungsdichte nicht davon ab, dass
die ansässige kurdische Bevölkerung mehrheitlich oder zu einem bestimmten
Anteil getötet, gefoltert, verletzt oder vertrieben und der Heimat beraubt ist. Im
Hinblick auf die Unberechenbarkeit der Verfolgungshandlungen, die von der
wechselnden Taktik der PKK ebenso abhängen wie von den innenpolitisch und
militärisch bestimmten Gegenaktionen der Sicherheitskräfte, hat sich das Risiko in
so vielen Fällen verwirklicht, dass er für einen kurdischen Bewohner der
Notstandsprovinzen seither nur eine Frage der Zeit war, wann er selbst betroffen
wurde.
Der Senat hält es deshalb im Ergebnis für beachtlich wahrscheinlich, dass
durchaus jeder noch in seinem angestammten Siedlungsgebiet im Südosten der
Türkei lebende Kurde von an seine Volkszugehörigkeit anknüpfenden, oben
beschriebenen Verfolgungsmaßnahmen staatlicher Organe in der Türkei betroffen
sein kann. Der Senat weist insoweit darauf hin, dass er zur Begründung und
Herleitung dieses Ergebnisses nur die wesentlichen Gründe angegeben hat, die für
die richterliche Überzeugungsbildung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO leitend
gewesen sind, und nicht alle Einzelheiten von Gutachten und Berichten, die er in
seine Entscheidungsfindung einbezogen hat, hier ausdrücklich wiedergegeben und
bewertet hat. Aus der Nichterwähnung einzelner Umstände ist deshalb nicht zu
schließen, dass der Senat diese bei seiner Entscheidung unberücksichtigt gelassen
hätte; insbesondere der Umstand, dass bestimmte verfolgungsrelevante
Situationen in einem Bericht nicht erwähnt sind, kann im vorliegenden Rahmen
nicht jeweils ausdrücklich dargestellt und bewertet werden (vgl. zu diesen
Erfordernissen grundsätzlich: BVerwG, 05.07.1994 -- 9 C 158.94 --, a.a.O.). Dies
bedeutet aber nicht, dass der Senat bei der Gewichtung der vorhandenen
Dokumente dies nicht im Blick gehabt und etwa nicht in seine Betrachtung
einbezogen hätte. Soweit der Senat hinsichtlich der Feststellung oder Bewertung
von Verfolgungstatsachen von der Rechtsprechung anderer Tatsachengerichte
abweicht, hat er dies bei seiner Überzeugungsbildung beachtet. Vor allem hat er
alle divergierenden Tatsachenfeststellungen, soweit sie ihm bekannt sind, in die
Beweiswürdigung einbezogen, auch soweit dies nicht ausdrücklich vermerkt ist.
Zusammenfassend ist danach festzustellen, dass einem kurdischen
Volkszugehörigen, der in den Notstandsprovinzen des Südostens der Türkei lebt,
mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung durch Aktionen der
türkischen Sicherheitskräfte droht, da Angriffe der Sicherheitskräfte gezielt auch
die Zivilbevölkerung in Anknüpfung an ihre kurdische Volkszugehörigkeit wahllos
treffen, um diese von einer gerade aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit für möglich
gehaltenen Unterstützung der PKK abzuhalten (a.A. z. B. VGH Baden-
Württemberg, 08.07.1998 -- A 12 S 3034/96 --; OVG Nordrhein-Westfalen,
28.10.1998 -- A 4 S 293/96 --; offengelassen z. B. von OVG Hamburg, 04.03.1998 -
- Bf V 48/94 -- und Niedersächsisches OVG, 22.01.1998 -- 11 L 4300/96 --). Gegen
diese Annahme spricht nicht, dass sich die Lage in städtischen Gebieten anders
darstellt als auf dem Lande und insbesondere in Grenznähe. Schon wegen der
stärkeren Präsenz der Sicherheitskräfte und der Anwesenheit nichtkurdischer
Bewohner erübrigen und verbieten sich dort militärische Aktionen größeren Stils;
dafür sind dort vermehrt repressive Maßnahmen wie willkürliche Festnahmen
festzustellen. Unerheblich ist auch, dass es in der hier maßgebenden Region
einzelne Kurden geben mag, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen und sozialen
Stellung oder ihrer Einbindung in den Staat von diesen Aktionen nicht betroffen
sind und im wesentlichen unbehelligt leben können; denn für diese wäre dann
gegebenenfalls die Verfolgungsvermutung als widerlegt anzusehen.
Aus diesen Feststellungen zum Kreis der von der Gruppenverfolgung betroffenen
Personen folgt, dass es sich hier um eine örtlich begrenzte und nicht um eine
regionale Gruppenverfolgung im Sinne der neueren Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts handelt (dazu BVerwG, 09.09.1997 B 9 C 43.96 --,
a.a.O.; BVerwG, 30.04.1996 B 9 C 171.95 --, a.a.O.). Nach den obigen
Feststellungen sind die Verfolgungsmaßnahmen strikt auf die Notstandsprovinzen
begrenzt, und im Zusammenhang mit der nachfolgenden Prüfung wird deutlich,
dass der türkische Staat die Bevölkerungsgruppe der Kurden nicht landesweit in
den Blick genommen hat und verfolgt, wenn es auch gelegentlich außerhalb der
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den Blick genommen hat und verfolgt, wenn es auch gelegentlich außerhalb der
Notstandsprovinzen zu asylrelevanten Übergriffen kommt. Der türkische Staat
stellt sich nicht als mehrgesichtiger Staat dar, der sich insgesamt als
Verfolgerstaat erweist und nur beispielsweise aus Gründen politischer Opportunität
die Kurden nicht oder jedenfalls derzeit nicht landesweit verfolgt. Es gibt keine
Anhaltspunkte dafür, dass er lediglich aus politischem Kalkül oder aus ähnlichen
Gründen Kurden außerhalb der Notstandsprovinzen unbehelligt leben lässt, obwohl
er sie allgemein als gefährliche Sympathisanten und mögliche Unterstützer der
PKK und damit aus seiner Sicht als staatsgefährdende Terroristen einschätzt.
Nach den vom Senat getroffenen Feststellungen hegt der türkische Staat den
seine Verfolgungshandlungen auslösenden pauschalen Separatismusverdacht nur
gegenüber denjenigen kurdischen Volkszugehörigen, die in den
Notstandsprovinzen der Türkei leben. Nur ihnen gegenüber kommt es
insbesondere aufgrund der besonderen Bedingungen des Notstandsrechts zu
Übergriffen durch Sicherheitskräfte, gegen die weder die militärische noch die
politische Führung vorgeht, die im Gegenteil einen wichtigen strategischen Teil des
Kampfes gegen die PKK darstellen.
Diese Verfolgungssituation hat sich auch in den Jahren seither nicht verändert.
Auch nach 1994 wurden die Kämpfe zwischen den Sicherheitskräften und den
Angehörigen der PKK in den Notstandsgebieten mit unverminderter Härte
fortgesetzt. Nachdem die PKK im Januar 1995 gegenüber dem Internationalen
Komitee des Roten Kreuzes die Genfer Konvention und das Zusatzprotokoll von
1977 anerkannt und sich insbesondere zur Schonung von Zivilisten bei
Kampfhandlungen und zur korrekten Behandlung von Gefangenen verpflichtet
hatte (I 100), haben sowohl die Sicherheitskräfte als auch die PKK ihre Aktivitäten
nach Anzahl und Umfang im Laufe des Jahres 1995 noch verstärkt. Seit
September 1994 konzentrierte die Armee ihre Streitkräfte in der Provinz Tunceli,
die seit Ende 1994/Anfang 1995 unter Notstandsrecht steht (I 96) und 1995
zunehmend zum wichtigsten Schauplatz der Kämpfe wurde; die Zahl der dort
stationierten Streitkräfte wurde erheblich verstärkt. Nachdem im März 1995 die
PKK ihre Übergriffe erstmals auf die südtürkische Provinz Hatay ausdehnte (I 116),
marschierten 35.000 türkische Soldaten mit Panzern und Artillerie in die
Kurdengebiete im Nordirak ein und gingen, bis Mai 1995 unterstützt von mit der
PKK rivalisierenden irakischen Kurdengruppen, gegen PKK-Lager vor. Die
türkischen Sicherheitskräfte wurden für zahlreiche Übergriffe gegen die kurdische
Zivilbevölkerung im Irak sowie die Zerstörung etlicher Dörfer verantwortlich
gemacht (I 108, 110). Bis zum Herbst 1995 kam es in allen Notstandsprovinzen
wiederum zu zahlreichen Auseinandersetzungen (vgl. z. B. I 112, 113, 120, 129,
137), dies hielt auch nach einem von dem PKK-Führer Öcalan am 15. Dezember
1995 wegen der am 24. Dezember bevorstehenden Parlamentswahlen
verkündeten einseitigen Waffenstillstand an (I 141, 142, 144, 145). Während des
gesamten Jahres 1995 kamen bei etlichen Überfällen der PKK auf Dörfer sowohl in
der Notstandsregion als auch in angrenzenden Provinzen zahlreiche vor allem
kurdische Zivilisten ums Leben, so bei einem Angriff von PKK-Kämpfern auf das
Dorf Hamzali in der Provinz Diyarbakir und auf das Dorf Naliza in der Nähe der
Stadt Kulp (vgl. z. B. I 96, 129). Die Anschläge der PKK richteten sich vor allem
gegen Lehrer, die von ihr als türkische Agenten und damit der gegnerischen
Kriegspartei zugehörig bezeichnet werden (I 101). Auch in den an die
Notstandsregionen angrenzenden Provinzen kam es zu mehreren Überfällen der
PKK auf Bergdörfer, vor allem in der Provinz Karamanmaras (I 106, 132), über
welche bis zum Jahr 1995 ebenfalls der Ausnahmezustand verhängt war (I 114).
Der Waffenstillstand wurde dann im Juni 1996 beendet (I 159). Im Rahmen der
Frühjahrsoffensive 1996 gab es auf beiden Seiten wieder zahlreiche Tote und
Verwundete (I 157), wobei es auch zu Auseinandersetzungen mit der PKK im
Nordirak kam. Im Juli 1996 griff auch die türkische Luftwaffe PKK-Lager im Nordirak
an (I 161).
Die türkischen Sicherheitskräfte, die sich aus Armeeangehörigen, Polizei- und
Gendarmaeinheiten sowie Spezialeinheiten, sogenannte Özel Tims,
zusammensetzen, setzten im Zuge der gesteigerten Aktivitäten zur Bekämpfung
der PKK in den Notstandsgebieten die massiven Übergriffe gegen die kurdische
Zivilbevölkerung fort, zunehmend unter Berücksichtigung der seitdem verstärkt
verfolgten Strategie, Dorfbewohner, bisweilen sogar ganze Dorfgemeinschaften
zur Übernahme des Dorfschützeramtes zu pressen und im Weigerungsfall die
Dorfbewohner zu schlagen, die Häuser zu verwüsten und Haushaltsgegenstände
zu zerstören (I 122). Seit November 1994 kommt es zu systematischen
Zwangsevakuierungen, die mit völliger Zerstörung der Dörfer einschließlich des
Viehbestandes, der landwirtschaftlichen Geräte, Ernte und noch nicht geernteter
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Viehbestandes, der landwirtschaftlichen Geräte, Ernte und noch nicht geernteter
Feldfrüchte einhergehen (I 134). Die Dörfer werden entvölkert; es kommt zu
willkürlichen Verhaftungen (I 115). Oft lassen die Soldaten den Dorfbewohnern nur
Zeit, das Nötigste zusammenzupacken, und zerstören dann ihre Häuser. Die
Stadt Tunceli selbst war im April 1995 infolge der Vertreibungen in der Region in
kurzer Zeit von 25.000 auf 40.000 Einwohner angewachsen (I 111). Der
Bundestagsabgeordnete Özdemir berichtete nach einer Türkeireise Anfang August
1995, dass zwei Drittel der Dörfer um die Hauptstadt Tunceli entvölkert und die
Bewohner in die Flucht getrieben worden seien; rechtsextreme Sondereinheiten
hätten einen Staat im Staate errichtet und versuchten, mit Ausgangssperren und
Nahrungsmittelrationierungen jegliche Unterstützung für die PKK zu verhindern (I
124). Nach den Parlamentswahlen am 24. Dezember 1995 sollen die
Sicherheitskräfte in kurdischen Dörfern der Notstandsgebiete Strafaktionen gegen
die Zivilbevölkerung durchgeführt haben, weil diese die HADEP gewählt hätten; 34
Einwohner des Dorfes Kurtepe bei Diyarbakir sollen verhaftet worden sein, ebenso
drei Dorfschützer aus einem anderen Dorf der Region. In dem Dorf Narike sollen
die Einwohner gezwungen worden sein, sich auf dem Dorfplatz zu versammeln,
und gefoltert worden sein (I 144). In den Provinzen, über die der Notstand verhängt
ist, kommt es im Rahmen von Zwangsevakuierungen von Dörfern sowie bei
sonstigen großangelegten Aktionen der Sicherheitskräfte zu Übergriffen
gegenüber Zivilpersonen, insbesondere wenn diese verdächtigt werden, mit der
PKK zusammenzuarbeiten (I 158, 163, 168, 169, 170, 172, 175). Nach wie vor ist
die PKK trotz sichtbarer Erfolge der Sicherheitskräfte, vor allem auch nach der
Verhaftung und Verurteilung ihres Führers Öcalan und verschiedener Offensiven
der türkischen Sicherheitskräfte, in bestimmten Bergregionen im Südosten und
Osten der Türkei dort präsent und drangsaliert die kurdische Bevölkerung, wenn
diese die Unterstützung verweigert oder gar den türkischen Staat aktiv unterstützt
(I 158, 163, 168, 191). Hiervon sind Dorfschützer und ihre Familien,
Sicherheitsbeamte, Staatsanwälte, Richter und Lehrer besonders betroffen (I 191).
Seit Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen mit der PKK im Jahre 1984 in
der Kurdenregion bis zum Zeitpunkt der Entscheidung wurden nach Angaben des
Auswärtigen Amtes (I 163, 168, 191) etwa 3.428 Dörfer evakuiert und ganz oder
teilweise zerstört, wobei die Gesamtzahl der Dörfer im Notstandsgebiet mit 12.000
angegeben wird. Die Evakuierungen betrafen nach unterschiedlichen Quellen
demnach bisher 300.000 bis 2.000.000 Menschen (I 191), wobei aufgrund der
verschiedenen anderen Maßnahmen wie der Räumung der Häuser von Familien,
die keine Dorfschützer stellen wollen, von Verhören und Mißhandlungen
Verdächtiger und ihrer Angehörigen, Razzien und Kampfhandlungen beider Seiten
auch eine massive Abwanderung neben den eigentlichen Evakuierungen
stattfindet (I 191).
Eine Wende in der Kurdenpolitik ist nach wie vor nicht erkennbar (I 165). Weder der
Umstand, dass das Notstandsrecht für die Provinz Mardin am 28. November 1996
und für die Provinzen Bitlis, Batman und Bingöl zum 6. Oktober 1997 aufgehoben
ist und jetzt nur noch die Provinzen Diyarbakir, Hakkari, Siirt, Sirnak, Tunceli und
Van unter Notstandsrecht verbleiben (I 191), noch die Erklärung Öcalans von
August 1999, die PKK werde sich aus den umkämpften Regionen zurückziehen
oder sein Aufruf zum Rückzug im September 1999 haben zu einer Veränderung
der Lage geführt. Während das Jahr 1995 zunächst gewisse Fortschritte gebracht
hatte, blieb 1996 ein Jahr der Stagnation (I 171), und im Jahr 1997 gab es
wiederum Attentate der PKK einerseits und militärische Offensiven in der Türkei
und im Nordirak andererseits (I 172). Im Frühjahr 1998 kam es in der Provinz
Sirnak zu heftigen Kämpfen, bei denen wiederum auch die türkische Luftwaffe
eingesetzt wurde und 40.000 Soldaten sowie 3.000 Dorfwächter unter ihrer
Unterstützung ein Gebiet von 16.000 Quadratkilometern durchkämmten (I 173).
Im Juni 1998 gab es Gefechte in Sirnak, Hakkari und Diyarbakir (I 173) und Anfang
August 1998 kam es wiederum zu verstärkten Aktivitäten der PKK sowie zu
Offensiven des türkischen Militärs gegen die PKK im Grenzgebiet zum Irak (I 191);
dabei sollen 170 Menschen getötet worden sein. Schon während des Aufenthalts
von Öcalan in Rom im November 1998, nachdem er auf Druck der türkischen
Regierung hin seinen bisherigen Aufenthaltsort in Syrien verlassen mußte, kam es
zu verschiedenen Verhaftungswellen von etwa 3.000 Mitgliedern der HADEP, wobei
zwei Personen im Polizeigewahrsam ums Leben kamen und von Freigelassenen
von Folter berichtet wurde; 200 Personen sollen sich Anfang Januar 1999 noch in
Untersuchungshaft befunden haben (I 184). Am 16.Februar 1999 wurde PKK-Chef
Öcalan in Kenia verhaftet und von dort in die Türkei gebracht (I 191); danach kam
es erneut zu Massenverhaftungen (1.400 HADEP-Mitglieder, I 184). Büros von
HADEP-Mitgliedern wurden ebenso wie diejenigen des Mesopotamischen
Kulturvereins und anderer Vereinigungen durchsucht (I 186). Sowohl das Newroz-
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Kulturvereins und anderer Vereinigungen durchsucht (I 186). Sowohl das Newroz-
Fest am 21. März als auch die Parlamentswahlen am 18. April boten weitere
Anlässe für verschiedene Aktionen seitens der Sicherheitskräfte, teilweise auch als
Reaktion auf das Bombenattentat auf das Einkaufszentrum "Blauer Basar" sowie
weitere Selbstmordattentate (I 186). Öcalan wurde wegen Hochverrats vor dem
Staatssicherheitsgericht angeklagt; nach der Eröffnung des Prozesses kam es zu
erneuten Massenverhaftungen im Südosten; so wurden in den Dörfern Tilkiler,
Törolar, Cöcenler, Salliusagi und Musolar (Kreis Pazarcik) etwa 50 Personen
festgenommen, von denen am 17. Juni 17 Personen freigelassen wurden (I 189,
zitiert weitere Fälle). Am 2. August 1999 rief Öcalan die PKK auf, den bewaffneten
Kampf aufzugeben und sich bis September 1999 zurückzuziehen. Die
Abzugsmodalitäten blieben aber unklar, und insbesondere nach der danach von
Öcalan erhobenen Amnestieforderung erscheint eine Duldung seitens der
Sicherheitskräfte unwahrscheinlich (I 191). Kaya (I 192) berichtet von einem
Rückzug der PKK seit September 1999, ohne insoweit jedoch Einzelheiten
anzugeben, und fügt hinzu, dass seither die kurdischen Bewohner der Dörfer in
den Provinzen Diyarbakir, Bingöl, Bitlis, Mus und Batman von Sicherheitskräften
aufgesucht würden, um sie einzuschüchtern. Auch das Auswärtige Amt bestätigt in
seinem Lagebericht (I 191), dass es weiterhin zu Übergriffen auf die
Zivilbevölkerung gekommen ist und als Grund für das Vorgehen gegen Zivilisten
regelmäßig der Verdacht der Zusammenarbeit mit der PKK angegeben wird.
Zwangsevakuierungen betreffen hiernach in der Regel weiterhin Dörfer, die von der
PKK als Operations- oder Versorgungsbasen genutzt werden, meist am Rande der
Rückzugsgebiete der PKK. Nachdem Öcalan einige seiner Kämpfer aufgefordert
hatte, symbolisch die Waffen zu strecken (I 193), wurde eine "Friedensgruppe" mit
Briefen des PKK-Zentralkomitees ausgestattet und in die Türkei geschickt (I 194).
Zwar begrüßte der türkische Ministerpräsident Ecevit diesen Aufruf Öcalans als
positive Entwicklung und stellte Toleranz von türkischer Seite in Aussicht (I 194),
und neun Kämpfer der PKK ergaben sich den türkischen Behörden (I 207); der
türkische Präsident Demirel vertrat jedoch ebenso wie das Militär weiterhin eine
"harte Linie" (I 197, 208), und die Kämpfe gegen die PKK wurden fortgesetzt. Bei
Zusammenstößen zwischen PKK und Militär im Südosten der Türkei wurden 5 PKK-
Rebellen getötet (I 198), und in einer neuen Offensive marschierten 5.000
türkische Soldaten Ende September 1999 im Nordirak ein und griffen Stellungen
der PKK an (I 201, 202, 203).
Seit der Verschärfung der Auseinandersetzungen mit der PKK ist die Situation in
der Türkei immer wieder von dem verschärften Vorgehen staatlicher Organe
gegen Oppositionelle und insbesondere Kritiker der Kurdenpolitik der Regierung
geprägt. Hiervon betroffen sind in erster Linie Menschenrechtsaktivisten, türkische
und ausländische Journalisten sowie Politiker von Parteien, die sich für die Kurden
einsetzen, insbesondere der HADEP bzw. DEP. So wurde nach dem Verbot der pro-
kurdischen Zeitung Özgür Gündem im April 1994 auch das Nachfolgeorgan Özgür
Ülke nach Beschlagnahme ihrer Ausgaben jeweils noch vor der Auslieferung im
Februar 1995 eingestellt (I 98, 126). Im August 1995 wurde auch die
Nachfolgezeitung Yeni Politika mit der Begründung verboten, die Zeitung sei im
wesentlichen eine Fortsetzung der Özgür Ülke gewesen (I 126). Die Tageszeitung
Ülkede Gündem musste Ende 1998 schließen; das Nachfolgeblatt Özgür Bakyp
konnte dagegen in den letzten Monaten ungehindert erscheinen (I 191, S. 9).
Das massive Vorgehen der türkischen Behörden gegen Kritiker der staatlichen
Kurdenpolitik wird aus den Angaben verschiedener Quellen über die im
Zusammenhang mit Art. 8 ATG Inhaftierten und Verurteilten deutlich. So sollen im
Juli 1995 171 Personen im Zusammenhang mit einer Verletzung des Art. 8 ATG
inhaftiert gewesen sein (I 127). Andere Quellen sprechen von fast 200 türkischen
Journalisten, Schriftstellern und Intellektuellen, die sich in Haft befänden und wegen
Verletzungen des Art. 8 ATG mit langjährigen Freiheitsstrafen rechnen müssten (I
131, vgl. auch 166). Die am 27. Oktober 1995 vom türkischen Parlament
beschlossene Reform der Vorschriften in Art. 8 und 13 ATG führte zu einer
Einengung sowohl des objektiven als auch des subjektiven "Separatismus"-
Tatbestandes; der Strafrahmen sieht nunmehr statt Zuchthaus von zwei bis fünf
Jahren und schwerer Geldstrafe von 50 bis 100 Millionen türkische Lira
Gefängnisstrafe von einem bis drei Jahre und schwere Geldstrafen von 100 bis 300
Millionen TL vor und lässt die Umwandlung von Freiheitsstrafen in Geldstrafen oder
eine Maßnahme sowie die Aussetzung der Strafen zur Bewährung zu (I 140). Die
Reform des Art. 8 ATG hatte unmittelbare praktische Auswirkungen insoweit, als
sie zum Freispruch des türkischen Schriftstellers Yasar Kemal wie auch der
amerikanischen Journalistin Eliza Marcus vom Vorwurf des Separatismus führte; bis
April 1996 wurden von etwa 150 bis 180 nach Art. 8 ATG Verurteilten über 140
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April 1996 wurden von etwa 150 bis 180 nach Art. 8 ATG Verurteilten über 140
freigelassen (I 158), unter denen sich auch prominente Menschenrechtler
befanden (I 139, 140: 111 von insgesamt 146 nach Art. 8 ATG Verurteilten). Da
das türkische Parlament die Wiederaufnahme der bis dahin nach Art. 8 ATG
durchgeführten Verfahren auch nach Eintritt der Rechtskraft innerhalb eines
Monats nach Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung unter Beurteilung der
Strafbarkeit nach neuem Recht beschloss (I 140), mussten die bisher nach Art. 8
ATG Verurteilten jedoch mit einer erneuten Verurteilung rechnen. Das
Staatssicherheitsgericht in Istanbul verurteilte am 21. Dezember 1995 einen
türkischen Journalisten, der im April 1994 in der Zeitung Özgür Ülke einen Artikel
über den PKK-Führer Öcalan veröffentlicht hatte, wegen separatistischer
Propaganda zu 10 Monaten Haft und einer Geldstrafe in Höhe von umgerechnet
8.300 DM (I 143). Am 9. Januar 1996 wurde ein früherer kurdischer Abgeordneter
der Partei der Ministerpräsidentin Ciller, der zwei Jahre zuvor aus Protest gegen die
Kurdenpolitik der Regierung aus der Partei ausgetreten war, unter dem Vorwurf der
Unterstützung der PKK festgenommen, wobei den Behörden vorgeworfen wurde,
dass die Verhaftung ausschließlich politisch motiviert und wegen der deutlichen
Kritik des Festgenommenen an der Kurdenpolitik der Regierung erfolgt sei (I 150).
Insgesamt ist festzustellen, dass auch nach dieser Reform des Art. 8 ATG die
bisher geübte Strafverfolgungspraxis gegenüber kritischen türkischen und
türkisch-kurdischen aber auch ausländischen Journalisten, Mitgliedern von
Menschenrechtsvereinen und den die Kurdenpolitik kritisierenden Politikern keine
grundlegende Veränderung erfahren hat, vielmehr weicht die türkische Justiz
zunehmend von Art. 8 ATG auf andere Straftatbestände aus (I 191). Als Beispiel
wird der Fall des Esber Yagmurdereli angeführt, der am 19. Oktober 1997 zur
Verbüßung einer 1991 zur Bewährung ausgesetzten 36-jährigen Haftstrafe aus
dem Jahr 1978 wegen kritischer Meinungsäußerungen zur Unterdrückung des
kurdischen Volkes verhaftet wurde. Nach Haftentlassung am 9. November 1997
wurde die Haftverschonung wiederum ausgesetzt und er befindet sich seit dem 1.
Juni 1998 erneut in Haft. Auch weitere Reformen wie der am 6. März 1997
verabschiedete Gesetzesentwurf über die Verkürzung der maximal zulässigen
Dauer des Polizeigewahrsams sowie eine Beschneidung der Kompetenzen der
Staatssicherheit, wobei allerdings während der ersten vier Tage des
Polizeigewahrsams das Recht anwaltlichen Beistandes nicht gewahrt wird (I 168),
zeigen noch keine erkennbare Wirkung. Wie sich die letzten, unter dem Eindruck
des Öcalan-Prozesses nach einer Verfassungsänderung eilig vom Parlament
verabschiedeten Anpassungsgesetze, wonach die Staatssicherheitsgerichte in
Zukunft lediglich aus zivilen Richtern zusammengesetzt sind (I 191), auswirken
wird, bleibt abzuwarten. Am 1. September 1999 hat Staatspräsident Demirel die
Ausfertigung eines vom Parlament am 27. August 1999 verabschiedeten
Amnestiegesetzes verweigert, das auch prominente Häftlinge begünstigen sollte,
die als Mitglieder des organisierten Verbrechens oder wegen Korruption verurteilt
worden waren, während politische Straftaten ausgenommen werden sollten (I 191,
S. 20).
Auch gegen missliebige Journalisten gehen die Sicherheitskräfte brutal vor. So ist
im August 1995 ein kurdischer Journalist offensichtlich im türkischen
Polizeigewahrsam in Bitlis ums Leben gekommen; nach Erklärungen der Polizei
hatte er sich in seiner Zelle erhängt. Nach Angaben von Familienangehörigen wies
die Leiche aber Folterspuren auf (I 128). Am 8. Januar 1996 wurde der türkische
Journalist Metin Göktepe in Istanbul tot aufgefunden, nachdem er während der
Beerdigung zweier während des Gefängnisaufstandes Ende Dezember 1995 in
Istanbul getöteter Häftlingen abgeführt worden war (I 148). Später räumte die
Regierung ein, dass er im Polizeigewahrsam umgebracht wurde (I 151).
Mindestens 20 kritische Journalisten sollen in dem Zeitraum von 1991 bis Ende
1996 ermordet worden sein (I 166). Von dem Vorgehen der Sicherheitskräfte
gegen missliebige Journalisten oder sonstige Kritik äußernde Personen blieben
auch ausländische Beobachtergruppen, Aktivisten und Journalisten nicht verschont
(I 109, 116, 117, 125, 186). Der türkische Menschenrechtler Akin Birdal wurde zu
einer einjährigen Haftstrafe wegen "separatistischer Äußerungen" verurteilt und
mußte diese im Juni 1999 trotz der nach einem Attentat, bei dem er
lebensgefährliche Verletzungen erlitt, verbliebenen Gesundheitsschäden antreten.
Ende September 1999 wurde der Vollzug aus gesundheitlichen Gründen
ausgesetzt, und Birdal soll die restliche Haftstrafe erst in einem halben Jahr
antreten (I 196). In Istanbul müssen sich seit Ende September 1999 die Autorin
und der Herausgeber eines Buches über die Erfahrungen türkischer Soldaten im
Kampf gegen PKK-Rebellen wegen Herabsetzung der Streitkräfte verantworten (I
195).
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2. Ein kurdischer Volkszugehöriger kann in der Türkei in dem hier maßgeblichen
Zeitpunkt der Entscheidung des Senats leben, ohne dass ihm politische
Verfolgung droht, wenn er sich außerhalb der Notstandsprovinzen, vor allem in den
Großstädten Ankara und Istanbul, niederlässt (vgl. Hess.VGH, 23.11.1992 -- 12 UE
2590/89 --, 24.01.1994 -- 12 UE 200/91 --, zuletzt 07.12.1998 -- 12 UE 232/97.A
und 17.03.1999 -- 12 UE 463/94 --).
Nach Auffassung des Senats ist zwar die Frage nach einer zumutbaren
inländischen Fluchtalternative im Falle der örtlich begrenzten Gruppenverfolgung
grundsätzlich in ähnlicher Weise zu stellen wie bei einer regional begrenzten
Gruppenverfolgung. Da Grundlage für die Relevanz einer inländischen
Fluchtalternative und deren Voraussetzungen die Überlegung ist, dass ein von
regionaler politischer Verfolgung betroffener Bürger eines Staats erst dann
politisch Verfolgter ist, wenn er dadurch landesweit in eine ausweglose Lage gerät,
weil er in anderen Teilen seines Heimatlandes eine zumutbare Zuflucht nicht
finden kann, ist jedoch im Unterschied zur regionalen Verfolgung bei örtlich
begrenzter Verfolgung die Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung außerhalb des
örtlich begrenzten Verfolgungsgebiets schon dem Begriff nach nahezu
ausgeschlossen. Da nämlich die Verfolgung von vornherein strikt auf bestimmte
Gebiete begrenzt ist und der Verfolgerstaat nicht nur aus bestimmten
Überlegungen von der Verfolgung in einem anderen Gebiet absieht, sind
Verfolgungen dort nicht wahrscheinlich; denn anders als bei regionaler Verfolgung
hat der Staat die verfolgte Gruppe nicht landesweit in den Blick genommen und
lässt sie nicht nur aus opportunistischen oder ähnlichen Gründen im übrigen
Staatsgebiet unbehelligt. Bei einer Person, die zwar der ethnisch, religiös oder
sonst abgegrenzten Gruppe angehört, jedoch nicht zu der Personengruppe zu
rechnen ist, die örtlich begrenzt verfolgt wird, kann deshalb von vornherein
angenommen werden, dass sie ohne Gefahr kollektiver Verfolgung in ihrer
Heimatregion oder sonst außerhalb des Verfolgungsgebiets leben kann. Auf die
Möglichkeit eines nicht von existenziellen Risiken anderer Art bedrohten Lebens
kommt es für sie nicht an (grundsätzlich hierzu: Hess.VGH, 07.12.1998 -- 12 UE
2091/98.A --). Ebenso kann offenbleiben, ob für die Gefährdungsprognose im Falle
einer örtlich begrenzten Gruppenverfolgung im Bereich des (ursprünglichen)
Heimatortes des Asylbewerbers eine Rückkehr in die nunmehr von
Gruppenverfolgung betroffene Heimatregion zugrundegelegt werden kann oder ob
insoweit die räumliche Beziehung des Asylbewerbers infolge der Ausreise
aufgehoben ist (vgl. dazu Niedersächsisches OVG, 22.10.1998 -- 12 L 1448/98 --).
Für die letztere Ansicht kann ins Feld geführt werden, dass der Heimatstaat seiner
Schutzverpflichtung gegenüber den Staatsangehörigen nachzukommen vermag,
indem er ihnen jedenfalls in einem Teil des Staatsgebiets ein verfolgungsfreies
Leben ermöglicht, und dass deswegen bei einem aus dem Ausland
zurückkehrenden Asylbewerber, der aus einem Gruppenverfolgungsgebiet
stammt, zumindest nicht zusätzlich festgestellt werden muss, er sei außerhalb der
Gruppenverfolgungsregion auch frei von existenziellen Bedrohungen anderer als
politischer (oder ethnischer) Art.
a) Nach diesen Maßstäben können Kurden, soweit sie in ihrer Heimat allenfalls der
marginalen Unterstützung der PKK verdächtig waren, ohne sich aktiv und
hervorgehoben für separatistische Bestrebungen einzusetzen, insbesondere in der
Westtürkei grundsätzlich unbehelligt leben (I 40, 50, 99, 158, 168, 191, S. 19).
Dort sind keine asylrechtlich relevanten Übergriffe der türkischen Streitkräfte oder
Sicherheitsbehörden zu befürchten, es sei denn, dass der Einzelne
Verdachtsmomente dahingehend aufweist, in strafrechtlich relevanter Weise
insbesondere für die PKK aktiv geworden zu sein (I 29, 99, 176, S. 11, 191, S. 19).
Ob darüber hinaus andere überwiegend von Kurden bewohnte Gebiete, die nicht
mehr zur Westtürkei gezählt werden können, ebenfalls als sichere Aufenthaltsorte
in diesem Sinne in Betracht kommen können, bedarf danach keiner Entscheidung.
An dieser Bewertung ändern auch Informationen nichts, wonach die Eskalation der
Auseinandersetzungen in den Notstandsprovinzen nicht völlig ohne Folgen in der
westlichen Türkei geblieben ist.
Seit Verschärfung der Auseinandersetzung zwischen Sicherheitskräften und PKK
im Südosten der Türkei Mitte 1993 sollen auch in der Westtürkei Repressionen
gegen Kurden zugenommen haben (I 44, 54, 64), kurdische Zuwanderer sollen bei
Razzien und Fahndungen in erster Linie von Festnahmen betroffen worden sein, da
sie bereits allein aufgrund ihrer kurdischen Herkunft als verdächtig gelten (I 45,
64), ohne Hinweis auf konkrete Verdachtsmomente in Bezug auf die
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64), ohne Hinweis auf konkrete Verdachtsmomente in Bezug auf die
Verwandtschaft oder Bekanntschaft mit PKK-Rebellen. Des Weiteren wurde der
Verdacht geäußert, dass Kurden in den west-, süd- und nordtürkischen Regionen
von der Polizei drangsaliert würden, ohne dass auch nur der Versuch gemacht
werde, den Vorwurf einer tatsächlich vorhandenen radikalen kurdischen Einstellung
oder Aktivität nachzuweisen. Allein die Zugehörigkeit zur ethnischen Gruppe der
Kurden ziehe den Vorwurf einer separatistischen Einstellung nach sich (I 76, 93).
Demgegenüber wird in anderen Berichten darauf verwiesen, dass nichts davon
bekannt sei, dass Kurden in den westlichen türkischen Großstädten allein wegen
ihrer Volkszugehörigkeit verhaftet würden (I 42). Selbst in Zeitschriften, die in
kurdischer Sprache erscheinen, sei nicht von willkürlichen Festnahmen von Kurden,
nur weil sie Kurden seien, berichtet worden. In Zusammenhang mit den
Verhaftungswellen nach der Ankunft Öcalans in Rom im November 1998 stellte
Oberdiek (I 186) bei einem Aufenthalt in der Türkei jedoch fest, dass selbst alt
eingesessene Kurden befürchteten, jederzeit auf der Straße festgenommen zu
werden.
Schon 1992 und 1993 kam es in verschiedenen Orten der West- und Südtürkei zu
Zwischenfällen gegenüber kurdischen Volkszugehörigen (I 64, 70). Im Rahmen von
Beerdigungen und Trauerfeiern von türkischen Trauergemeinden gab es nicht nur
gegen die PKK, sondern gegen die Kurden gerichtete Ausschreitungen, die
teilweise mehrere Tage andauerten, beispielsweise Ende Oktober 1992 in Alanya in
der Nähe von Antalya (I 43, 51, 54), in Fethiye (Provinz Mugla; I 43, 64), Anfang
Dezember 1992 in Antalya nach einem Feuerüberfall auf einen Polizeiwagen (I 55)
sowie in der Nacht vom 12. zum 13. Juli 1993 in Ezine (Provinz Canakkale) nach
Streitigkeiten zwischen kurdischen Hotelangestellten und Gästen aus dem
Nachbardorf (I 70). Darüber hinaus trugen auch öffentliche diskriminierende
Äußerungen von Politikern zur Verschlechterung des Verhältnisses zwischen
Türken und Kurden bei (I 70).
Es fehlen jedoch entsprechende Anhaltspunkte dafür, dass diese Ausschreitungen
vom türkischen Staat veranlasst oder geduldet wurden. Übergriffe Privater sind
dem Staat als mittelbare staatliche Verfolgung nur dann zuzurechnen, wenn er
gegen Verfolgungsmaßnahmen Privater grundsätzlich keinen effektiven Schutz
gewährt. Eine grundsätzliche Schutzbereitschaft des Staates bei Übergriffen
Privater besteht dann, wenn Polizei und Sicherheitsbehörden zur Schutzgewährung
ohne Ansehen der Personen verpflichtet und dazu von der Regierung auch
landesweit angehalten werden, vorkommende Fälle von Schutzversagung also ein
von der Regierung nicht gewolltes Fehlverhalten der Handelnden darstellt (BVerwG,
05.07.1994 -- 9 C 1.94 --, a.a.O.). Auf dieser Grundlage ist für den vorliegenden
Zusammenhang festzustellen, dass die türkischen Sicherheitskräfte grundsätzlich
schutzbereit waren. Nach den durch unbekannte Täter verübten Anschlägen und
Morden sind Ermittlungsmaßnahmen der Polizei durchgeführt wurden,
beispielsweise durch Hausdurchsuchungen (I 107, S. 27); teilweise war die Polizei
selbst betroffen von solchen Anschlägen (I 107, S. 25). Bei den spontanen und
häufig emotional wegen der türkischen Opfer der bewaffneten
Auseinandersetzungen mit der PKK begründeten Übergriffen Privater gegenüber
kurdischen Volkszugehörigen in der Westtürkei blieb die Polizei nicht völlig untätig,
sondern forderte beispielsweise die kurdische Bevölkerung auf, zu ihrem Schutz
vorübergehend die Häuser nicht zu verlassen, oder verhinderte weitere
Ausschreitungen (I 70). Auch die berichteten Einzelfälle von Übergriffen staatlicher
Sicherheitskräfte nach Festnahmen von Kurden in Adana (I 81) können
insbesondere unter Berücksichtigung der großen Zahl der im Westen der Türkei
lebenden sechs bis acht Millionen Kurden nicht zu der Feststellung führen, dass
Kurden dort generell wegen ihrer Volkszugehörigkeit politische Verfolgung droht.
Es lässt sich nicht feststellen, dass Kurden allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit
verhaftet, verhört und gefoltert werden. Zwar lässt sich aus den recherchierten
Fällen feststellen, dass die kurdische Volkszugehörigkeit und der Zuzug aus dem
Südosten vor kürzerer Zeit schon als Anknüpfungspunkt für die Durchführung
einer Razzia oder Durchsuchung ausreichen können. Nach wie vor jedoch sind
solche, noch der Bekämpfung terroristischer Anschläge und Täter dienende
Maßnahmen für sich allein nicht als asylrechtlich relevante Beeinträchtigung zu
bewerten. Zu längerdauernder Verhaftung kommt es -- von einzelnen Fällen
abgesehen -- in aller Regel nur bei Vorliegen entsprechender Verdachtsmomente,
auch wenn diese häufig als vage und willkürlich erscheinen oder auf nicht
rechtsstaatliche Weise erlangt wurden. So ist auch in der Vielzahl der
zwischenzeitlich ermittelten Fälle (I 107,186) festzustellen, dass bei den länger
Inhaftierten Verdachtsmomente dieser Art vorlagen, wenn es sich beispielsweise
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Inhaftierten Verdachtsmomente dieser Art vorlagen, wenn es sich beispielsweise
um HADEP-Mitglieder handelte oder die Verwendung kurdischer Farben und/oder
Symbole, das Singen kurdischer Lieder und ähnliche Begebenheiten Anlass für die
Maßnahme waren. Ein Zusammenhang besteht oft mit früheren Verhaftungen von
Freunden, Bekannten oder Verwandten, so dass -- möglicherweise unter Folter
erzwungene -- Denunziationen der Anlass hierfür sein können.
Mit dem Andauern der Kämpfe im Südosten der Türkei und weiterer
Flüchtlingswellen aus diesen Gebieten insbesondere in die Großstädte im Westen
der Türkei sowie aufgrund der Verurteilung Öcalans hat sich die Lage vor allem in
den überwiegend von Kurden bewohnten Vierteln nicht verbessert, die Häufigkeit
von Razzien und Überprüfungen einschließlich Festnahmen hat sich eher noch
vermehrt, da die Sicherheitskräfte unter den neu aus den östlichen Provinzen
zugezogenen Kurden einen hohen Anteil von PKK-Anhängern vermuten (I 86, 93,
98, 107,191). Nach auf Informationen von türkischen Menschenrechtsvereinen
beruhenden Berichten kam es im Jahre 1994 zu 14.473 Festnahmen (I 98); in der
gesamten Türkei soll es sich um eine Million Festnahmen pro Jahr gehandelt haben
(I 99). Aus Zeitungsberichten und Informationen von Menschenrechtsvereinen
wurden für Istanbul, Adana, Izmir und andere Orte insgesamt etwa 118 Razzien
und Verhaftungen im Zeitraum Oktober 1994 bis Mai 1995 ermittelt; laut amnesty
international verschwanden allein 1995 mindestens 35 Personen; in den ersten 11
Monaten des Jahres 1996 waren es schon 179 (I 166). Auch nach dem Vorfall in
einer Teestube in Istanbul im März 1995, bei dem mehrere Aleviten von
Unbekannten erschossen wurden und es in der Folge zu Demonstrationen und
schweren Unruhen mit etlichen Toten kam, nachdem die Polizei in die
demonstrierende Menge geschossen hatte (I 100, 102), normalisierte sich die
Lage in Istanbul nach mehrtägigen Unruhen wieder; die an den Todesfällen
beteiligten Polizisten sollen zur Verantwortung gezogen worden sein (I 101, 103,
107). Nach der Verhaftung Öcalans am 15./16. Februar 1999 und seiner
Inhaftierung in der Türkei kam es zu einer Welle von Festnahmen im ganzen Land.
Nach Auskunft des Auswärtigen Amts (I 191) geht der IHD von 3.000
vorübergehend in Gewahrsam genommenen Personen aus. Dabei werden solche
Razzien in den Siedlungen von Türken kurdischer Volkszugehörigkeit
überdurchschnittlich häufig vorgenommen, da dies Teil der Suche der
Sicherheitskräfte nach PKK-Mitgliedern und Sympathisanten ist (I 191, S. 19).
Nach den Angaben des Auswärtigen Amtes kommt es in den Großstädten im
westlichen Teil der Türkei sowie in Städten im Süden des Landes, zum Beispiel
Adana und Mersin, in den dortigen Kurdensiedlungen überdurchschnittlich häufig
zu Polizeirazzien mit zahlreichen vorläufigen Festnahmen bei der Suche der
Sicherheitskräfte nach PKK-Mitgliedern und Sympathisanten und dabei häufiger zu
Übergriffen seitens der Sicherheitskräfte (I 140, 158, 191). Der türkische
Menschenrechtsverein IHD gab im Juni 1995 die Zahl der nach Festnahmen durch
die Sicherheitskräfte verschwundenen Menschen für die ersten drei Monate des
Jahres 1995 mit 77 an, während in einer anderen Studie von 30 bis 40
"Verschwundenen" im Monat gegenüber 328 Menschen im Jahre 1994 die Rede ist.
Diesen Angaben zufolge verschwinden die meisten Opfer im Polizeigewahrsam,
andere werden auf offener Straße von Unbekannten verschleppt. Die meisten
bleiben spurlos verschwunden, in anderen Fällen sind die Leichen Verschwundener
nach Tagen oder Wochen meist mit schweren Folterspuren tot aufgefunden
worden. Es wird vermutet, dass es sich bei den Opfern in vielen Fällen um unter
der Folter im Polizeigewahrsam gestorbene Menschen handelt, deren Leichen zur
Verwischung der Spuren beseitigt wurden (I 121). Der IHD wies auf 21 im
Polizeigewahrsam umgekommene oder von Unbekannten getötete Menschen im
August 1995 sowie auf 22 Fälle von Folter durch die türkische Polizei hin (I 130).
Nach einem Bericht von amnesty international vom September 1995 konnten 80
politische Morde von Januar bis August 1995 festgestellt werden (I 131; 135:). Der
türkische Menschenrechtsverein Human Rights Association (HRA) gab im Oktober
1995 die Zahl der bis dahin Verschwundenen mit 158 an (I 133). In einer im Januar
1996 veröffentlichten Jahresbilanz für 1995 zählt der türkische
Menschenrechtsverein IHD 99 Tote und 136 Verletzte, die offenbar politisch
motivierten Anschlägen zum Opfer fielen; dem Bericht zufolge starben 122
Personen durch extralegale Hinrichtungen oder Folter im Polizeigewahrsam, 231
Personen verschwanden, 251 wurden im Gefängnis gefoltert, 14.473 Personen
wurden vorläufig und 2.101 dauernd festgenommen (I 156). Der im Juli 1998
erschienene Jahresbericht der Türkischen Menschenrechtsstiftung (TIHV) von 1997
wies insgesamt 518 Fälle von Folter aus; amnesty international gibt im
Jahresbericht 1999 die Zahl der 1998 "Verschwundenen", durch Folter zu Tode
gekommenen oder außergerichtlich hingerichteten Menschen mit mindestens 30
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gekommenen oder außergerichtlich hingerichteten Menschen mit mindestens 30
an (I 191, S. 22).
Den aus Berichten türkischer Menschenrechtsvereine hervorgehenden Zahlen von
ca. 1.000 Folterfällen, 298 Todesfällen in Polizeihaft oder bei Polizeirazzien und 328
Fällen vermuteten Verschwindenlassens innerhalb eines Jahres (I 99) steht eine
(geschätzte) Zahl von etwa 3,5 Millionen Kurden in Istanbul (von etwa 8,5 Millionen
Einwohnern; 1997: etwa 3 Millionen Kurden, I 176) und 800.000 Kurden in Izmir
(von über drei Millionen Einwohnern; I 98) gegenüber. Die Zahl der
Binnenflüchtlinge aus dem Südosten, die sich im Westen niedergelassen haben,
wird auf zwei bis drei Millionen geschätzt; etwa die Hälfte bis annähernd zwei Drittel
der kurdischstämmigen Bevölkerung lebt damit im Westen der Türkei (I 99, 168).
Der Zunahme bei der Zahl von Verhaftungen und auch Übergriffen steht die
Zunahme der Zahl der kurdischstämmigen, insbesondere auch aus dem
Südosten neu zugezogenen Bevölkerung gegenüber. An diesem Verhältnis hat
sich bis zum Zeitpunkt der Entscheidung nichts wesentliches verändert. Nach
Oberdiek (I 186) kam es im Jahr 1998 zu 3.200 Festnahmen; im Februar 1999 soll
es zu insgesamt (landesweit) 3.400 Festnahmen und zum Newroz-Fest zu 8.000
Festnahmen gekommen sein. Auch bei diesen nach der Verhaftung Öcalans und
der Prozesseröffnung und Verurteilung festzustellenden Verhaftungswellen handelt
es sich um -- wenn auch sehr weitgehend -- anlassbezogene Maßnahmen gegen
bestimmte Verdachtsmomente aufweisende Personen.
Nach einem Bericht der türkischen Menschenrechtsstiftung TIHV wird von den
türkischen Sicherheitskräften die Folter weit verbreitet als systematische
Verhörmethode sowie als Mittel zur Bestrafung und Abschreckung angewandt.
Danach wird am häufigsten, nämlich mit ca. 78% aller bekannt gewordenen Fälle,
in Polizeihauptquartieren gefoltert; der Erhebung zufolge werden von den
Folteropfern, die bei der TIHV, die medizinische Zentren zur Behandlung von
Folteropfern unterhält, um Hilfe nachsuchten, ca. 85% aus politischen Gründen,
2% wegen gewöhnlicher Kriminalität und ca. 13% ohne ersichtliche Gründe
gefoltert (I 136). Ein Grund für diese Übergriffe liegt dem Auswärtigen Amt zufolge
darin, dass die Beweisführung türkischer Sicherheitskräfte in hohem Maße auf
Geständnissen beruht, denen traditionell von den Gerichten hoher Beweiswert
zugemessen wird. Generell bestreiten die türkischen Behörden die erhobenen
Foltervorwürfe nach wie vor und räumen nur Übergriffe in Einzelfällen ein (I 191, S.
22). Die Veröffentlichung des Berichts der von der türkischen Regierung Anfang
1994 eingesetzten Menschenrechtskommission wurde jedoch verweigert, und
mehrere Mitglieder der eingesetzten Kommission traten aus Protest dagegen
zurück. Ihren Angaben zufolge kam die Kommission zu dem Ergebnis, dass in
türkischen Polizeiwachen systematisch gefoltert wird, die daran beteiligten
Beamten aber überhaupt nicht oder nur unzureichend belangt werden (I 102).
Auch nach den zwischenzeitlichen Reformen wie der Erhöhung des Strafmaßes für
Folter in Polizeihaft aufgrund eines am 10. August 1999 vom Rechtsausschuss des
türkischen Parlaments verabschiedeten Gesetzes gewinnt die strafrechtliche
Aufklärung und Ahndung von Übergriffen nur langsam an Konsequenz. Neben der
unklaren Beweislage liegt ein Grund hierfür darin, dass Staatsbedienstete nur dann
gerichtlich belangt werden können, wenn der zuständige Provinzialrat dem
zugestimmt hat (I 191). So wurde nach einem tödlichen Polizeieinsatz in Adana
gegen sechs Beamte, die Anfang Oktober 1999 auf der Suche nach einem Mitglied
der linksextremen DHKPC ein falsches Haus gestürmt und einen unschuldigen
Menschen erschossen haben, Haftbefehl erlassen (I 209), fünf von ihnen wurden
einen Tag später aber wieder entlassen (I 210).
Für die ungeklärten politischen Morde werden von Menschenrechtsorganisationen
und kurdennahen Oppositionskreisen Todesschwadronen verantwortlich gemacht,
bezeichnet als "Kontra-Guerilla" oder "Hisbollah", die über enge Verbindungen zum
staatlichen Sicherheitsapparat verfügen sollen; dies ist bislang jedoch nicht
bewiesen worden. Seitens türkischer Menschenrechtsgruppen wird den
Strafverfolgern eine bewusste Verschleppung der Ermittlungen vorgeworfen. Ein
zur Aufklärung dieser Morde eingesetzter parlamentarischer
Untersuchungsausschuss beendete seine Arbeiten ergebnislos. Der
Abschlussbericht soll sich ungewöhnlich kritisch mit der Aufklärungsarbeit örtlicher
Sicherheitskräfte und mit dem einschlägigen politischen Umfeld befassen (I 103,
140, 176). Seit einem Verkehrsunfall in der Nähe von Susurluk mit tödlichem
Ausgang für einen in dem Auto befindlichen steckbrieflich gesuchten Mafiaführer
und einen hohen Polizeioffizier neben dem einzigen Überlebenden, einem
Parlamentsabgeordneten der DYP, wird in der türkischen Öffentlichkeit über
Verbindungen zwischen Staatsapparat und dem organisierten Verbrechen erneut
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Verbindungen zwischen Staatsapparat und dem organisierten Verbrechen erneut
diskutiert (I 176, 191).
Die Situation in der Türkei ist seit der zweiten Hälfte des Jahres 1995 bis zum
Entscheidungszeitpunkt geprägt durch die von unterschiedlichen Auffassungen zur
Lösung des Kurdenproblems, insbesondere aber durch die gravierende
Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation ausgelöste Regierungskrise. Aus
den Neuwahlen vom 24. Dezember 1995 ging die islamistische Wohlfahrtspartei
(RP) mit 21,3% der Stimmen als Sieger hervor, gefolgt von der Mutterlandspartei
(ANAP) und der Partei des Rechten Weges von Ministerpräsidentin Ciller (DYP), die
dicht unter 20% der Stimmen blieben (I 167). Die neue Regierung wurde aus einer
Koalition von RP und DYP gebildet. Am 28. Juni 1996 wurde Erbakan zum
Ministerpräsidenten gewählt (I 168), der am 18. Juni 1997 zurücktrat, nachdem die
Koalitionsregierung der islamisch orientierten Wohlfahrtspartei und der Partei des
Richtigen Weges (DYP) unter erheblichen innenpolitischen Druck geraten war. Am
30. Juni 1997 wurde Mesut Yilmaz zum Ministerpräsidenten ernannt (I 176), am 16.
Januar 1998 wurde die Wohlfahrtspartei verboten (I 191). Nach den
Parlamentswahlen am 18. April 1999 hat die neue Regierung unter
Ministerpräsident Ecevit einige Reformvorhaben eingeleitet. Folter soll härter
bestraft, Beamte und öffentliche Bedienstete sollen für Vergehen leichter zur
Verantwortung gezogen und die Polizistenausbildung soll verlängert und um das
Fach Menschenrechte erweitert werden (I 191). Diese und andere neuere
Entwicklungen wie auch die Gefängnisrevolten und die Todesfastenaktion im
Sommer 1996 sowie im September 1999 haben jedoch zu keiner entscheidenden
Änderung der Vorgehensweise der Sicherheitskräfte geführt (I 168, 199, 200, 204,
205). Soweit es Übergriffe auch im Westen gegeben hat (I 164, 166) rechtfertigt
dies aber nicht die Annahme, Kurden seien in der Westtürkei generell von
asylrechtsrelevanten staatlichen Verfolgungsmaßnahmen bedroht. Bei der den
Sicherheitskräften vorgeworfenen Ermordung des türkischen Journalisten Göktepe
handelt es sich um einen der mittlerweile zahlreichen Fälle exzessiven Vorgehens
der türkischen Polizei gegen missliebige Journalisten, der zudem ein Strafverfahren
gegen die beschuldigten Polizisten nach sich zog. Am 19. März 1998 wurden fünf
der elf Angeklagten verurteilt, allerdings hob der Kassationsgerichtshof Ankara die
Urteile am 17. Juli 1998 aus rein formalen Gründen auf und verwies das Verfahren
zurück; derzeit befindet sich noch ein Angeklagter in Untersuchungshaft (I 191).
Die anlässlich der Beerdigung zweier politischer Häftlinge von der Polizei in Istanbul
vorgenommenen vorläufigen Festnahmen von zumindest 500 bis 800
Trauergästen zur Feststellung der Personalien (I 147, vgl. auch I 146) erfolgten
offensichtlich zur Verhinderung befürchteter Ausschreitungen und lassen ebenfalls
eine verschärfte Vorgehensweise der Sicherheitskräfte gegenüber den Kurden
nicht erkennen. Ebensowenig bewirkte die von PKK-Chef Öcalan im Dezember
1995 angebotene Feuerpause, die von der türkischen Regierung postwendend
zurückgewiesen wurde (I 141), eine Änderung, und weder die Festnahme und
Verurteilung Öcalans noch der Aufruf zum Rückzug der PKK im September 1999
führten zu einer anderen Situation. Die Auseinandersetzungen zwischen den
türkischen Sicherheitskräften und der PKK wurden auch nach dem
Waffenstillstandsangebot und dem Rückzugsangebot 1999 fortgesetzt, der
Waffenstillstand von der PKK später wieder aufgekündigt (I 142, 145, 149, 159, 191,
198, 201, 202, 203). Aufgrund der wiederholten Bekämpfung der PKK über die
Landesgrenze hinaus kam es zwar zu Verstimmungen mit Irak und Syrien (I 160),
Rückwirkungen auf das allgemeine Verhältnis zu der kurdischen Bevölkerung
außerhalb der Notstandsgebiete lassen sich aber insoweit nicht feststellen. Zwar
kam es schon, nachdem Öcalan Syrien verlassen mußte und in Rom auftauchte,
zu ersten Verhaftungswellen im Westen der Türkei, ebenso nach seiner Festnahme
und Überstellung in die Türkei. Hiervon waren jedoch insbesondere Mitglieder der
HADEP betroffen (I 186, 187,189), oder es handelte sich um Verhaftungen
anlässlich des kurdischen Neujahrsfestes Newroz bzw. im Vorfeld der türkischen
Parlaments- und Kommunalwahlen vom 18. April 1999 (I 187).
b) Ein kurdischer Volkszugehöriger hat grundsätzlich die Möglichkeit, die Orte
außerhalb der Notstandsgebiete, insbesondere in der Westtürkei zu erreichen,
ohne dass ihm die Gefahr droht, an der Landesgrenze oder am Flughafen
asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu sein.
Nach verschiedenen Gutachten und Auskünften müssen ehemalige Asylbewerber,
die in die Türkei abgeschoben werden oder freiwillig einreisen, an der Grenze mit
längerfristiger Polizeihaft rechnen, während von den türkischen Behörden geprüft
wird, ob sich der Betreffende politisch gegen den türkischen Staat betätigt hat
oder Informationen über exilpolitische Organisationen geben kann. Amnesty
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oder Informationen über exilpolitische Organisationen geben kann. Amnesty
international nimmt an, dass bei diesen während der Haft stattfindenden Verhören
bei Personen kurdischer Volkszugehörigkeit auch Folter angewandt wird (I 46, 49,
54, 64, 72, 93, 182), und stützt dies auf Berichte, die jedoch vor allem wegen der
Angst der Betroffenen vor weiteren Verfolgungsmaßnahmen schwer zu
recherchieren seien. In neuerer Zeit werde zunehmend berichtet, dass die
betroffenen Rückkehrer nach der routinemäßigen Eingangskontrolle am Flughafen
zunächst freigelassen, später jedoch auf ihrer Weiterreise in ihre Heimatregion
oder in ihrem Heimatort erneut festgenommen worden seien, wobei es mit hoher
Wahrscheinlichkeit zur Anwendung von Folter und Mißhandlungen komme (I 182).
Eine diese Gefahr mit sich bringende Überstellung zu weiteren Verhören erfolge
häufig, wenn im Verlauf der Routinekontrolle Verdachtsmomente einer
oppositionellen politischen Tätigkeit aufkämen; insbesondere, wenn Betroffene
keine Personaldokumente mit sich führten oder solche Dokumente, die auf ein
Asylverfahren im Ausland hinweisen (I 182).
Nach Ayzit (I 52) werden abgelehnte kurdische Asylbewerber vom Flugplatz
abgeholt, auf die Polizeiwache gebracht und dort gefoltert, wovon in der Regel
jeder betroffen sei. Allerdings konnte er selbst keinen einzigen Fall nennen, in dem
in dieser Art verfahren worden ist; er räumte auch ein, selbst noch keinen
derartigen Fall bearbeitet zu haben. Rumpf (I 60, 90) stuft eine Festnahme bei der
Einreise als wahrscheinlich ein; zurückgewiesene Asylbewerber müssten, wenn sie
als solche von den türkischen Behörden erkannt worden seien, mit Festnahme und
genauerer Untersuchung der persönlichen Verhältnisse und, wenn es sich um
einen Kurden handele, mit verschärften sonstigen Maßnahmen, wozu die
körperliche Misshandlung zähle, rechnen (I 38, 53). Dabei ist seinen Angaben
zufolge davon auszugehen, dass das abgefragte Fahndungsregister alle Personen
ausweist, die mit staatsanwaltschaftlichen Festnahmeanordnungen gesucht
werden, die ihrerseits auf der Grundlage eines Haftbefehls ergehen. Gleiches
nimmt er auch für solche Personen an, die ohne Haftbefehl aufgrund
staatsanwaltschaftlicher oder polizeilicher Festnahmeanordnung gesucht werden,
allerdings bildeten diese die Ausnahme. Als Personengruppen kommen insoweit
entflohene Strafhäftlinge oder Personen in Betracht, die bereits, unabhängig auf
welcher Grundlage, festgenommen worden waren und den Bewachern entkommen
sind. Auf frischer Tat ertappte Täter oder sonstige Täter, für deren Ergreifung
Staatsanwaltschaften oder Polizeiorgane wegen Fluchtgefahr oder Gefahr im
Verzuge unmittelbar zur Festnahme befugt sind, werden dem Sachverständigen
zufolge nicht im Fahndungsregister geführt. Danach ist davon auszugehen, dass
es zu einem Eintrag im Fahndungsregister auch einen vollziehbaren Haftbefehl
gibt (I 105).
Auch die Gesellschaft für bedrohte Völker (I 70, 174) kann das Risiko einer
Festnahme und anschließenden Folterung von abgeschobenen kurdischen
Asylbewerbern nur schwer beurteilen und letztlich keine konkreten Fälle nennen.
Dabei liegen auch nur Erkenntnisse aus Pressemeldungen vor, nicht jedoch
aufgrund eigener Recherchen (Auskunft an VGH Baden-Württemberg v. 05.06.97
in I 177). Die Gefahr sei erhöht, wenn der Betreffende auf Fahndungslisten stehe,
insbesondere bei Kurden, die irgendwann einmal für die PKK tätig gewesen seien.
Ein erhöhtes Risiko treffe noch denjenigen, der mit einem gefälschten Pass in die
Türkei einreise. Die Asylantragstellung gelte als verdächtig, da davon
ausgegangen werde, dass im Rahmen der Begründung des Asylgesuchs
"separatistische Aktivitäten" und entsprechende Reaktionen des türkischen Staats
geltend gemacht würden. Auch Aktivitäten kurdischer Asylbewerber im Ausland
würden den türkischen Sicherheitsbehörden durchaus bekannt, jedoch werde von
den Behörden regelmäßig bestritten, dass es zu solchen Maßnahmen komme.
Zwischen den regierungsamtlichen Äußerungen und der Realität bestehe aber
eine große Diskrepanz, so dass es nicht als abwegig angesehen werden könne,
dass Vorwände gefunden würden, um Abgeschobene auch dann, wenn ihre
ausländischen Aktivitäten in der Türkei nicht strafbar seien, gleichwohl zur
Rechenschaft zu ziehen (I 174).
Kaya berichtet, dass Folter in der Türkei bei Verhören durch alle Sicherheitskräfte
als gängige Methode angewandt werde (I 37, 181). Flüchtlinge, die nach Ablehnung
ihres Asylantrages in die Türkei zurückkehren müssten, würden unterschiedlich
behandelt. Dabei spiele es eine Rolle, ob man türkischer oder kurdischer
Abstammung sei, einen gültigen Reisepass habe oder durch die Polizei
abgeschoben werde. Personen mit einem gültigen Reisepass könnten, wenn nicht
nach ihnen gefahndet werde, nach Durchlaufen der für alle anderen Reisenden
üblichen Kontrollen wieder in die Türkei zurückkehren. Kurden, die mit einem
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üblichen Kontrollen wieder in die Türkei zurückkehren. Kurden, die mit einem
vorläufigen Reisedokument einreisten, würden von den Sicherheitskräften zwecks
Feststellung ihrer Personalien und ihrer rechtlichen Lage eine Zeitlang
festgehalten. Sie würden nach ihren Kontakten im Ausland und nach dem Grund
ihres Asylantrages befragt. Abgeschobene ehemalige Asylbewerber würden ohne
Ausnahme direkt der türkischen Polizei überstellt; gegen sie werde ausführlich
ermittelt. Gegen Personen, die bereits früher aufgrund ihrer politischen Aktivitäten
verfolgt oder verurteilt, von der politischen Abteilung der Polizei erfasst worden
oder vorbestraft seien, werde genauer und sorgfältiger ermittelt (I 58). Seinen
Angaben zufolge wird vor allem gegen Kurden, die längere Zeit im Ausland waren,
besonders ermittelt, da ihnen unterstellt wird, dass sie sich für die kurdische Sache
eingesetzt haben. Liegen keine Beweise vor, wird die betreffende Person
freigelassen, muss aber damit rechnen, beschattet zu werden (I 119). Die aus
dem Osten oder Südosten stammenden Personen würden schon aufgrund des
generellen Verdachts, in Verbindung mit der PKK zu stehen, eine Zeitlang
festgehalten und verhört. Gewalt werde auch dann angewandt, wenn nichts gegen
die Betroffenen vorliege, schon um sie einzuschüchtern. Dies sei in 80% der Fälle
von in die Türkei abgeschobenen Asylbewerbern zu beobachten gewesen; etwa die
Hälfte davon sei länger als drei Tage festgehalten worden, und gegen einige seien
Strafverfolgungsmaßnahmen eingeleitet worden (I 181). Er beschreibt 13 Fälle von
Verhaftungen nach Abschiebungen seit 1995 an im Einzelnen, wobei allerdings in
drei Fällen keine weitere Klarheit über das anschließende Schicksal der Betroffenen
erlangt werden konnte. Darüberhinaus werden sieben Fälle aus dem Bericht des
Menschenrechtsvereins für den Zeitraum 1997 und 1998 angegeben sowie ein
Bericht aus der Zeitung Özgür Politica vom Dezember 1998 (I 181). Auch Kaya
räumt ein, dass ein kurdischstämmiger Bewohner eines Dorfes oder einer Stadt
beispielsweise in Erzincan, der vor seiner Ausreise noch nicht in das Blickfeld der
Sicherheitskräfte geraten ist, im Hinblick auf den Vorfall Öcalan nicht mit
Schwierigkeiten zu rechnen hat, wenn er sich nicht an Aktionen gegen die
Festnahme Öcalans beteiligt oder entsprechende Kampagnen unterstützt hat (I
192).
Taylan (I 35, II 26) zufolge kann demgegenüber davon ausgegangen werden, dass
zurückkehrende Asylbewerber im allgemeinen unbehelligt die Grenze passieren
können. Zu Schwierigkeiten kommt es, wenn die betreffenden Personen in den
Computern registriert sind, weil sie gesucht werden oder ihnen beispielsweise die
Einreise verweigert wurde (II 26). Ihm sei kein Fall dazu bekannt geworden, dass
diese generell an der türkischen Grenze misshandelt würden. Selbst Asylbewerber,
die 1991 nach mehrwöchigen, öffentlichkeitswirksamen Hungerstreiks in der
Schweiz abgeschoben worden seien, hätten nach Feststellung der Personalien
unbehelligt die Grenze passieren können. Zu Schlägen bei Verhören könne es
immer kommen; das hänge vor allem von dem vernehmenden Beamten ab (II 26).
Nach Berichten des Auswärtigen Amts liegen keine definitiven Nachweise darüber
vor, dass aus Deutschland zurückkehrende Kurden lediglich aufgrund ihrer
ethnischen Zugehörigkeit Opfer von Maßnahmen der türkischen Sicherheitskräfte
geworden sind (I 176). Bei der Einreise in die Türkei hat sich jedermann einer
Personenkontrolle zu unterziehen (I 55, 96, 140, 158, 168, 176, 188, 191). Sofern
abgelehnte Asylbewerber freiwillig und mit einem gültigen Reisepass in die Türkei
zurückkehrten, hätten sie in der Regel nicht mit Repressalien zu rechnen. Ebenso
verhalte es sich, wenn türkische Asylbewerber im Wege der Abschiebung einreisten
und dies den türkischen Behörden bekannt sei. Es werde dann allerdings bei der
Grenzpolizei eine eingehendere Befragung durchgeführt, vor allem nach einer
eventuellen politischen Tätigkeit im Ausland, die jedoch nicht generell unterstellt
werde (I 96, 99). Ein solches Verhör finde in jedem Fall dann statt, wenn die
Einreisenden nicht über ein gültiges türkisches Reisedokument verfügten (I 83, 96,
158, 191). Dann müsse zunächst eine Personenfeststellung durchgeführt werden,
die in den meisten Fällen eine Rückfrage bei den Sicherheitsbehörden am
Heimatort und bei den dortigen Personenstandsbehörden umfasse. Insbesondere
werde in diesem Zusammenhang der Geburtseintrag der Betreffenden überprüft.
Dies könne bei Einreisen am Wochenende und in den Fällen, in denen die
Personenstandsunterlagen in einer kleinen Kreisstadt in Ostanatolien geführt
würden, ein bis drei Tage dauern (I 83, 158,176). Während dieser Zeit werde die
betreffende Person bei der Grenzpolizei am Flughafen in Polizeigewahrsam
genommen (I 59). Würden keine belastenden Erkenntnisse herausgefunden, könne
der Betreffende seine Reise fortsetzen (I 33). Schwierigkeiten für Abgeschobene
könnten eintreten, wenn Befragung, Durchsuchung des Gepäcks oder Recherchen
bei den Heimatbehörden den Verdacht der Mitgliedschaft in oder der
Unterstützung der PKK oder anderer illegaler Organisationen begründe (I 176).
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Unterstützung der PKK oder anderer illegaler Organisationen begründe (I 176).
Konkrete Erkenntnisse, dass ein aus Deutschland Abgeschobener der Folter
unterworfen worden sei, lägen nur in einem Fall vor, während Recherchen aufgrund
von Hinweisen auf Folter in anderen Fällen nicht oder noch nicht zu einer
Bestätigung geführt hätten (I 176, S. 18; 191, S. 25, S. 29f). In zwei weiteren Fällen
sei es nicht infolge der Abschiebung, sondern aufgrund später in der Türkei
vorgefallener Geschehnisse zu Verhaftungen wegen angeblicher PKK-Aktivitäten
gekommen. Von den aus Berichten türkischer Menschenrechtsvereine für das Jahr
1994 bekannt gewordenen 22 Fällen sei kein Fall belegt. In 21 dieser Fälle sei eine
Freilassung am Einreisetag oder dem darauffolgenden Tag erfolgt. Es könne auch
nicht bestätigt werden, dass während einer Festnahme grundsätzlich eine
menschenrechtswidrige Behandlung zu erwarten sei und dass türkische
Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit eher als andere türkische
Staatsangehörige Gefahr liefen, menschenunwürdig behandelt zu werden (I 56). Es
gebe auch keine gesicherten Erkenntnisse über eine Erhöhung der Gefährdung für
Abgeschobene aufgrund des Öcalan-Prozesses; aufgrund der
hochemotionalisierten Situation sei aber von einem erhöhten Risiko für bisher
schon in der Kurdenfrage engagierte Personen auszugehen (I 191). Das
Auswärtige Amt berichtet, seither seien vier Fälle von Verhaftungen und
angeblicher Folter aus dem Zeitraum bis Juli 1999 bekannt geworden, in denen
teilweise jedoch die Recherchen noch nicht abgeschlossen seien. Ein Betroffener
sei vor dem Staatssicherheitsgericht Ankara des Verstoßes gegen Art. 8 ATG
angeklagt, im Verfahren dann freigesprochen worden. Ein anderer Betroffener
konnte erneut nach Deutschland einreisen (I 191).
Oberdiek (I 107) führt demgegenüber an, dass aus dem Ausland zurückkehrende,
insbesondere abgeschobene Kurden den gleichen Risiken ausgesetzt seien wie die
Kriegsflüchtlinge. Sie alle würden bei einer Einreise sicherheitsdienstlich erfasst
und gälten zumindest im gleichen Maße wie Personen, die sich weigerten,
Dorfschützer zu werden, als "unloyale Staatsbürger". Die bisher recherchierten
Fälle von Verhaftung aus der Abschiebung ließen allerdings nach seiner Ansicht
keinen Rückschluß auf eine erhöhte Gefährdung von abgeschobenen
Asylbewerbern nach der Überführung von Öcalan in die Türkei zu; weiterhin
bestehe die Rückkehrergefährdung aber nicht nur zum Zeitpunkt der Einreise,
wenn die Betroffenen mit Paßersatz auf ihre Identität und mögliche gegen sie
angestrengte Strafverfahren überprüft würden, sondern viele würden erst später in
der Heimat aufgegriffen. Hiervon betroffen seien anscheinend alle Rückkehrer
gewesen, die aus dem Südosten stammten, und jüngere, unverheiratete Kurden (I
186). Aus verschiedenen Quellen (I 65, 90, 92, 93, 94, 95, 97, 99, 104) sind Fälle
von Verhaftungen nach Abschiebung oder Rückreise in die Türkei bekannt
geworden; in einem Zeitraum von insgesamt fünf Jahren ließen sich 24 Fälle
feststellen, die teilweise noch weiter recherchiert wurden (I 177). Nicht in allen
Fällen wurde von längerdauernder Verhaftung, Misshandlungen oder Folter
berichtet, sondern in der Mehrzahl der Fälle handelte es sich um eine kurze
Verhaftungsdauer, wobei auch zum Teil später erneute Verhaftung erfolgte. Auch
die Fälle, in denen Misshandlungen und/oder Folter behauptet wurden, sind nicht
alle belegt oder belegbar. In einer Vielzahl von Fällen sind die ehemals Verhafteten
nicht mehr ermittelbar, wobei von Seiten der Sicherheitskräfte angegeben wurde,
die Betreffenden seien freigelassen worden (I 90 in fünf Fällen). Sowohl amnesty
international als auch Oberdiek stellen fest, dass die ihnen zur Kenntnis
gelangenden Fälle zumeist sehr schwer zu recherchieren seien, da in der Regel nur
der Betroffene als Zeuge zur Verfügung stehe. Amnesty international führt
insgesamt sieben stimmige und mit den allgemeinen Erkenntnissen
übereinstimmende Berichte aus den Jahren 1996 bis 1998 an (I 182). Oberdiek
berichtet über die vom IHD Istanbul recherchierten Fälle und weist in diesem
Zusammenhang auf die insoweit enorm beschränkten Mittel des IHD hin, der sich
hauptsächlich auf Informationen seitens der Flughafenpolizei stützen könne (I 186,
S. 17). Er berichtet über sechs einigermaßen gesicherte Fälle Anfang 1999, wobei
in einem Fall die Abschiebung 1997 erfolgt war (I 186, S. 18ff).
Weder aus der Zahl dieser Fälle noch aus weiteren Umständen und Begebenheiten
lässt sich jedoch der Schluss ziehen, dass kurdische Volkszugehörige
grundsätzlich bei der Überprüfung nach einer Rückkehr menschenunwürdiger
Behandlung ausgesetzt sind. Zum einen handelt es sich bei den in den
verschiedenen Auskünften dokumentierten Fällen größtenteils um letztlich
ungeklärte Fälle, die nach der Verhaftung nicht mehr ermittelbar waren. Selbst
wenn man jedoch unterstellen wollte, dass es in allen diesen Fällen zu einer
menschenunwürdigen Behandlung gekommen ist, lässt sich angesichts der
Gesamtzahl von Abschiebungen hieraus der Schluss einer wenn nicht allen, so
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Gesamtzahl von Abschiebungen hieraus der Schluss einer wenn nicht allen, so
jedoch der weitaus größten Zahl kurdischer Volkszugehöriger drohenden
Behandlung dieser Art nicht ziehen. Hiergegen spricht schon die vermutlich
wesentlich höher liegende Zahl von Rückkehrern türkischer Staatsangehörigkeit
und kurdischer Volkszugehörigkeit. Allein für den Zeitraum von Dezember 1994 bis
März 1995 liegt die Zahl abgeschobener türkischer Staatsangehöriger -- deren
kurdische Volkszugehörigkeit nicht immer erkennbar ist oder feststeht -- bei etwa
200, obwohl in dieser Zeit in verschiedenen Bundesländern Abschiebestopps
galten (BT-Drs. 13/1434). Die Zahl der Rückkehrer im Jahr 1994 und zuvor dürfte
insgesamt wesentlich höher gewesen sein. Im Jahre 1995 wurden von der
Grenzschutzdirektion Koblenz 2.610 Personen in die Türkei per Flugzeug
zurückgeführt, unter denen nach vorläufigen Angaben mindestens 1.234
abgelehnte Asylbewerber waren (I 158). Im Jahr 1996 wurden 4.609 Personen aus
Deutschland in die Türkei abgeschoben und 7 Personen ausgeliefert (BT Drucks.
13/7398 in I 177). Insgesamt lassen die bekannt gewordenen Zahlen jedenfalls
nicht die Bewertung zu, dass kurdische Volkszugehörige bei einer Rückkehr in die
Türkei verfolgungsfreie Regionen nicht ohne die erhebliche Gefahr drohender
menschenunwürdiger Behandlung erreichen könnten.
Auch nach neuen Erkenntnissen muss ein als Asylbewerber identifizierter
Rückkehrer bei der Einreise regelmäßig damit rechnen, dass er zunächst
festgehalten und einer intensiven Überprüfung unterzogen wird (I 90, 97, 99, 158,
168, 176, 191). Dies gilt insbesondere, wenn gültige Reisedokumente nicht
vorgewiesen werden können. In diesem Falle erfolgt regelmäßig eine genaue
Personalienfeststellung (unter Umständen mit einem Abgleich der Angaben der
Personenbestandsbehörde und des Fahndungsregisters) hinsichtlich Grund und
Zeitpunkt der Ausreise aus der Türkei, Grund der Abschiebung, eventueller
Vorstrafen in Deutschland, Asylantragstellung und Kontakten zu illegalen
türkischen Organisationen im In- und Ausland (I 89, 158, 168, 176, 191). Diese
Einholung von Auskünften, während der der Rückkehrer meist in den
Diensträumen der jeweiligen Polizeiwache festgehalten wird, kann bis zu mehreren
Tagen dauern. Da den türkischen Behörden bekannt ist, dass viele türkische
Staatsbürger aus wirtschaftlichen Gründen mit dem Mittel der Asylantragstellung
versuchen, in Deutschland ein Aufenthaltsrecht zu erlangen, werden
Verfolgungsmaßnahmen nicht allein deshalb durchgeführt, weil der Betroffene in
Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, sondern nur, wenn sich konkrete
Anhaltspunkte für eine Mitgliedschaft oder Unterstützung der PKK ergeben (I 89,
158, 168, 176, 191). Liegt gegen den Betroffenen nichts vor, so wird er in der Regel
nach spätestens zwei oder drei Tagen wieder freigelassen. Anders ist es, wenn
Personen wegen konkreter Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten,
insbesondere durch Unterstützung der PKK, durch die politische Abteilung der
Polizei in Haft genommen werden; dann besteht die reale Gefahr von
asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen bis hin zum Verschwinden von Personen (I
90, vgl. auch I 166, 191).
Die in einem Briefwechsel zwischen dem türkischen Innenminister und dem
Bundesinnenminister enthaltene Erklärung der Republik Türkei (Text in BT-Drs.
13/1434, S. 2 bis 4) hat keine Auswirkung auf die Beurteilung der Frage, ob für
kurdische Volkszugehörige in der Türkei ein Leben ohne politische Verfolgung
möglich ist (vgl. HessVGH, 07.12.1998 -- 12 UE 2185/97.A --; siehe dazu auch OVG
Nordrhein-Westfalen, 03.06.1997 -- 25 A 3631/95.A -- und 28.10.1998 -- 25 A
1284/96.A --).
c) Dem Kläger zu 1) droht jedoch unter Berücksichtigung seiner persönlichen
Verhältnisse bei einer Rückkehr in die Türkei nach Überzeugung des Senats mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung. Er wird nämlich aufgrund
seiner bei einer Gesamtbetrachtung als hervorgehoben zu bezeichnenden
exilpolitischen Aktivitäten in Deutschland bei der Einreise auffallen. Insoweit stimmt
der Senat mit den Feststellungen des Verwaltungsgerichts zu § 51 Abs. 1 AuslG
überein, die rechtskräftig geworden, für die Entscheidung über die
Asylanerkennung aber nicht verbindlich sind, weil es sich nicht um denselben
Streitgegenstand im Sinne von § 121 VwGO handelt (vgl. BVerwG, 04.10.1996 -- 9
B 382/96 --; BVerwG, 10.05.1994 -- 9 C 501.93 --, BVerwGE 96, 24 = EZAR 631 Nr.
29).
Soweit die Gefährdung des Klägers zu 1) auf seinen exilpolitischen Aktivitäten
beruht, ist ein Anspruch auf Asylgewährung im Sinne von Art. 16a Abs. 1 GG nicht
dadurch ausgeschlossen, dass es sich insoweit um Nachfluchtaktivitäten handelt.
Selbstgeschaffene Nachfluchttatbestände sind dann asylbeachtlich, wenn sie einer
99
100
Selbstgeschaffene Nachfluchttatbestände sind dann asylbeachtlich, wenn sie einer
festen, bereits im Heimatland erkennbar betätigten Überzeugung entsprechen (§
28 AsylVfG). Dabei ist eine feste politische Überzeugung dann anzuerkennen,
wenn das Verhalten des Ausländers in seiner Heimat Ausdruck einer gefestigten,
über lange Zeit bis zur Ausreise gleichbleibenden Einstellung entspricht, wobei es
insoweit aber keiner besonderen Qualität der politischen Betätigung des
Ausländers in seiner Heimat bedarf (vgl. Hess. VGH, 15.12.1995 -- 13 UE 1794/93
--). Davon ist im Fall des Klägers zu 1), anders als im Fall der Kläger zu 2) und 3),
für die sich eine entsprechend erkennbar betätigte Überzeugung nicht feststellen
lässt, auszugehen. Es wurde bereits oben dargestellt, dass der Kläger in seiner
Heimat Sympathisant der PKK und wegen dieses Engagements Repressionen
ausgesetzt war. Er hat hierzu glaubhaft gemacht, verschiedene
Unterstützungsleistungen erbracht zu haben und sich deswegen schließlich vor der
Entscheidung gesehen zu haben, entweder sich der Guerilla anzuschließen oder
fliehen zu müssen. Zur Flucht habe er sich wegen seiner jungen Familie
entschlossen. Es gibt auch genügend Anhaltspunkte für die Glaubhaftigkeit der
von ihm erbrachten Unterstützungsleistungen, da bekanntermaßen die PKK
bevorzugt auch im Heimatgebiet des Klägers zu 1) operiert hat und es zu ihren
Maßnahmen gehörte, sich von der dort lebenden Bevölkerung Rückhalt in Form
von Lebensmitteln und sonstigen Leistungen gewähren zu lassen.
Grundsätzlich wird ein zurückkehrender Asylbewerber im Falle seiner Erfassung an
der Grenze und dortiger Festnahme spätestens zwei bis drei Tage später
entlassen, wenn gegen ihn nichts vorliegt. Anders sieht es jedoch aus, wenn
konkrete Anhaltspunkte für (insbesondere) die Unterstützung der PKK auftreten.
Dann droht die Überstellung an die politische Abteilung mit der konkreten Gefahr
der Folter (vgl. I 50, 56, 57, 89, 90, 163, 170, 176, 191).
Der Senat ist davon überzeugt, dass türkische Stellen und insbesondere der
türkische Geheimdienst -- MIT -- vor allem politisch aktive, oppositionelle und
staatsfeindliche Organisationen wie die PKK und ihre Unterstützungsgruppen im
Ausland besonders aufmerksam beobachten (I 48, 49, 64, 158; III 1, 2, 3, 7, 12, 17,
20, 21, 22, 24, 25, 28) und dabei in den letzten Jahren vermutlich bundesweit
Informationen über pro-kurdische Widerstandsgruppen und Demonstrationen
gesammelt und ausgewertet haben und dass dies auch gegenwärtig noch
andauert. Die Aufmerksamkeit gilt vor allem Aktionen, die größeres Aufsehen
erregen, wie etwa die Besetzung türkischer Einrichtungen im Ausland (I 49; III 7, 19,
34 S. 34, 48ff), aber auch kulturellen Aktivitäten, die sich nach Auffassung der
türkischen Behörden gegen den türkischen Staat richten (III 18). Nach Auskunft
des Auswärtigen Amtes (I 188) gilt das Interesse des türkischen Staates dabei
dem Personenkreis, der als Auslöser als separatistisch oder sonst
staatsgefährdend erachteter Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler
angesehen wird. Da der MIT über ein relativ dichtes Informationsnetz verfügt (III
13), wird es ihm ermöglicht, sowohl Auskünfte über Gruppierungen, die sich für ein
unabhängiges Kurdistan einsetzen, als auch Auskünfte über Einzelpersonen
einzuholen. Dies geschieht sowohl über Mittelsmänner als auch durch Film- und
Videoaufnahmen, die bei bestimmten Aktionen unter anderem von Mitarbeitern
der türkischen Auslandsvertretungen angefertigt werden (II 10; III 10, 11) oder die
sich türkische Stellen von kurdischen Organisationen besorgen und auswerten (I
87, III 22, 24). Nicht genau bekannt ist, auf welche Aktivitäten sich das Interesse
türkischer Stellen im einzelnen richtet und welche Informationen tatsächlich an die
Sicherheitsbehörden in der Türkei weitergeleitet werden (III 10, 11, 24). Unklar ist
auch, inwieweit türkische Sicherheitsbehörden Kenntnisse über als separatistisch
einzustufende Aktivitäten von deutschen Strafverfolgungsbehörden erhalten.
Diese geben Erkenntnisse über Straftaten bei Protestaktionen in Deutschland
generell nicht an türkische Stellen weiter (III 14); gegenteilige Vermutungen (III 15,
16) sind nicht erwiesen. Allerdings findet zwischen der Türkei und Deutschland ein
sogenannter Strafnachrichtenaustausch statt. Gemäß dem Europäischen
Übereinkommen vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen besteht in
den Fällen, in denen die Türkei um Übermittlung gegen türkische
Staatsangehörige ergangener Urteile ersucht eine grundsätzliche Verpflichtung
zur Leistung der erbetenen Rechtshilfe (I 185). Im Jahr 1998 sind 129 Eintragungen
über derartige Ersuchen festzustellen, wovon etwa 80 bis 90 auf Ersuchen um
Überlassung von Unterlagen aus Ermittlungsakten entfallen dürften, zumeist in
Betäubungsmittelersuchen (I 185). Amnesty international hat zwar keine Kenntnis
über Art und Umfang der Übermittlung von Strafnachrichten, geht jedoch davon
aus, dass Verurteilungen in Deutschland den türkischen Behörden bekannt werden
und zur Registrierung im Fahndungscomputer an den Grenzstationen führen
können (III 29). Besonderes Augenmerk gilt dabei wohl aber, je nach Bewertung
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können (III 29). Besonderes Augenmerk gilt dabei wohl aber, je nach Bewertung
der Gefährlichkeit der einzelnen Gruppe, den in besonderem Maße aktiv
Engagierten (I 49; III 8, 20, 25). Besonders beobachtet und überwacht werden
diejenigen, die eine leitende Funktion bei exilpolitischen Aktivitäten übernehmen
oder in politischen Kreisen bekannt und einflussreich sind wie etwa Führer
politischer Parteien, Vorsitzende und einflussreiche Personen größerer
Organisationen (I 64; III 9, 12, 20, 27). Es ist aber nicht zu erwarten, dass
diejenigen besonders beobachtet und überwacht werden, die sich an solchen
Aktivitäten beteiligen, ohne im Vordergrund zu stehen oder leitende Funktionen zu
übernehmen (I 58, 59; III 12). Die Teilnahme an großen Demonstrationen von
Kurden erweckt für sich noch nicht den Verdacht einer subversiven Tätigkeit (III 5)
oder einer nach Inkrafttreten des Antiterrorgesetzes von 1991 strafbaren
separatistischen Propaganda (III 6, 23, 24, 26). Ebenso verhält es sich mit der
Teilnahme an Newroz-Demonstrationen (III 18), Autobahnblockaden (III 20) oder
Zuschriftenaktionen anlässlich der Aufhebung der Immunität von DEP-
Abgeordneten im Jahre 1994 (III 17). Nach den Erkenntnissen von amnesty
international (I 49) werden Aktivitäten wie Mitgliedschaft in Exilvereinen oder deren
Vorstand ebenso beobachtet und erfasst wie Besetzungsaktionen und
Demonstrationen. In der Regel werden aber Identifizierungen von einfachen
Teilnehmern, die auf Bildaufnahmen zu sehen sind, nicht ausgewertet, da sie als
Beweismittel für Strafverfolgungsbehörden meistens wenig ergiebig sind (III 18; vgl.
auch III 26). Vorrangig werden öffentlich agierende Vereine mit politischer
Ausrichtung beobachtet, insbesondere solche mit türkeifeindlicher Tendenz (III 21,
27). Davon ist vor allem bei aktiven Unterstützern der PKK auszugehen, die von
türkischen Behörden wegen der nationalen Interessen zuwiderlaufenden Tätigkeit
als in hohem Maße gefährlich eingestuft wird und die in Deutschland seit
Verfügung des Bundesinnenministeriums vom 22. November 1993 verboten ist.
Nach alledem ist zugrunde zu legen, dass für die PKK regelmäßig aktiv Tätige den
türkischen Sicherheitsbehörden bekannt werden können. Über konkrete Fälle, in
denen Rückkehrer wegen ihrer exilpolitischen Aktivitäten in Deutschland
festgenommen und verfolgt wurden, wird in den zur Verfügung stehenden
Erkenntnisquellen jedoch nicht oder nur vereinzelt und pauschal berichtet (III 2, 4,
7, 13, 28). Oberdiek (III 30) benennt einige Fälle von Verhaftungen und/oder
Anklagen nach Rückkehr in die Türkei, in denen auch Aktivitäten in Deutschland zur
Begründung von Straftaten nach dem ATG herangezogen wurden, ohne jedoch
darstellen zu können, wie die türkischen Behörden an diese Kenntnisse gelangt
sind. In einem der angeführten Fälle lag dem Gericht in der Türkei ein
Zeitungsbericht mit Foto vor, auf dem auch der Angeklagte des Verfahrens zu
erkennen war (III 30, S. 10). Amnesty international (I 187) hat einen Fall
dokumentiert, in dem dem Betroffenen nach Abschiebung und Festnahme in der
Türkei vorgeworfen wurde, an der Besetzung des türkischen Generalkonsulats in
Hannover teilgenommen zu haben. Es sind allerdings zahlreiche Ausbürgerungen
aus politischen Gründen nach erfolgloser Aufforderung zur Rückkehr bekannt
geworden (III 3).
Aufgrund dieser Auskunftslage nimmt der Senat in ständiger Rechtsprechung an,
dass untergeordnete politische Betätigungen in Deutschland türkischen
Sicherheitskräften in der Regel nicht bekannt werden und deshalb nicht zu
Ermittlungen und Verfolgungsmaßnahmen in der Türkei führen. Eine politische
Verfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten in Deutschland droht demgemäß
erst dann mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit, wenn diese Betätigung für die
kurdische Sache in hervorgehobener Weise erfolgt und den türkischen
Sicherheitskräften bekannt geworden ist. Dies kommt regelmäßig erst dann in
Betracht, wenn der Aktivist als exponiertes Mitglied einer staatsfeindlichen Gruppe
innerhalb oder außerhalb dieser Gruppe einen Bekanntheitsgrad erlangt, der die
Aufmerksamkeit eines möglichen Spitzels innerhalb der Gruppe oder von
Mitarbeitern des türkischen Geheimdienstes außerhalb der Gruppe erregt. Es muß
sich also bei ihm um einen exponierten Regimegegner handeln (vgl. dazu
grundsätzlich: Hess. VGH, 23.11.1992 -- 12 UE 2590/89 --, 24.01.1994 -- 12 UE
200/91 --, 05.02.1996 -- 12 UE 4176/95 --; im Ergebnis ebenso: VGH Baden-
Württemberg, 22.07.1999 -- A 12 S 1891/97 --, 07.10.1999 -- A 12 S 1021/97 --;
OVG Hamburg, 05.04.1994 -- Bf V 12/92 --; Niedersächsisches OVG, 05.11.1998 --
11 L 1599/96 -- und 16.05.1995 -- 11 L 6012/91 --; OVG Rheinland-Pfalz,
11.06.1999 -- 10 A 11424/98.OVG --; OVG des Saarlandes, 28.06.1996 -- 9 R 80/93
-und 26.06.1996 -- 9 R 70/92 --, OVG Nordrhein-Westfalen, 28.10.1998 -- 25 A
1284/96 --, 15.09.1999 -- 8 A 2285/99.A --; OVG Bremen, 12.12.1997 -- 2 BA 78/94
--; OVG Mecklenburg-Vorpommern, 22.04.1999 -- 3 L 3/95 --); eine bloße
Teilnahme an Vereinsversammlungen und Demonstrationen genügt dagegen
nicht.
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Der Kläger zu 1) hat sich in Deutschland unter Berücksichtigung aller Umstände
individualisierbar insgesamt in so besonderem Maße aktiv gegen den türkischen
Staat engagiert, dass angenommen werden muss, dass den türkischen
Sicherheitsbehörden seine exilpolitische Betätigung bekannt geworden ist. Dann
droht ihm aber, wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden hat,
nach Überzeugung des Senats politische Verfolgung bei einer Rückkehr in sein
Heimatland, weil er sich in Deutschland in letztlich exponierter Weise für die PKK
kontinuierlich und nachhaltig betätigt hat und im Übrigen aufgrund seiner
bisherigen Aktivitäten in Deutschland und vor seiner Ausreise aus der Türkei auch
davon auszugehen ist, dass er diese in gleichem Maße weiterhin fortsetzen wird.
Maßgeblich für diese Beurteilung sind einerseits die Umstände in Zusammenhang
mit der Demonstration vor dem türkischen Generalkonsulat in Frankfurt/Main im
Jahr 1992. Infolge der von seiten des Generalkonsulats erhobenen Beschwerde
gegen die Einstellung des gegen den Kläger zu 1) sowie eine Reihe weiterer
Angeschuldigter eingeleiteten Strafverfahrens erhielten Konsulatsbedienstete
Einsicht in die Ermittlungsakten, sodass aufgrund der darin enthaltenen, vom
Generalkonsulat aus gefertigten Fotos der Demonstrationsteilnehmer der Kläger
zu 1) identifiziert werden konnte und schon zu diesem Zeitpunkt individuell als
Gegner des türkischen Staates hervorgetreten und damit bekannt geworden ist.
Die Demonstration, aus der heraus insoweit unbekannt gebliebene Personen das
Konsulatsgebäude mit Steinen bewarfen, sodass Fenster zu Bruch gingen und eine
Konsulatsbedienstete einen Schock erlitt, ist von seiten des Generalkonsulats als
terroristischer Anschlag eingestuft worden. Aufgrund dieser Einstufung und der
Identifizierung des Klägers zu 1) ist dieser in einer Form bekannt geworden, die ihn
in Zusammenhang mit aus Sicht seines Heimatstaates als terroristisch zu
beurteilenden Taten bringt und daher bei einer Rückkehr zu eingehender
Nachfrage auch bei der Heimatbehörde führen würde, wo weitere Informationen
über ihn vermutlich auch heute noch vorhanden sein dürften. Hierzu kommt der
noch viel weitergehende Bekanntheitsgrad, den er mit seiner Teilnahme an der
Autobahnblockade 1994 und den insgesamt spektakulären Umständen gerade
dieser Aktion erzielt hat. Die Gesamtumstände bei dieser Aktion, bei der mehrere
Teilnehmer mit gefüllten Benzinkanistern hantierten und sich der Kläger zu 1)
schließlich mit Benzin überschüttete, das dann -- an anderer Stelle und aufgrund
der Handlung eines letztlich nicht zu ermittelnden Verursachers -- in Brand geriet,
haben zu einem hohen Bekanntheitsgrad durch Verbreitung in den
unterschiedlichsten Medien geführt. Dabei dürfte auch die Person des Klägers zu
1) identifizierbar bekannt geworden sein, der als einziger erhebliche Verletzungen
erlitten hat und der auf verschiedenen Aufnahmen von den Vorgängen erkennbar
ist. Die Teilnahme an gewalttätigen Aktionen gegen Generalkonsulate sowie an
anderen gewalttätigen Protestaktionen ist den türkischen Sicherheitsbehörden in
einzelnen Fällen offenbar bekannt geworden (I 187). Es besteht zudem die
Möglichkeit, dass die türkischen Behörden im Rahmen des
Strafnachrichtenaustauschs von der Verurteilung des Klägers zu 1) hinsichtlich der
Teilnahme an der Autobahnblockade erfahren haben.
Bei der Einreise wird die Kontrolle zunächst von der Polizei vorgenommen, die als
Erstes mit Computer einen Abgleich der erfassten Daten, nämlich Name,
Vornahme, Name der Eltern, Geburtsdatum und -ort, Familienstand, Blutgruppe
und Nummer der Personalpapiere veranlasst. In dem Computer sind die Personen
vermerkt, von denen angenommen wird, dass sie die Interessen des türkischen
Staates beeinträchtigen könnten (I 89, 105, 158, 170). Die Gefahr, hierbei
aufzufallen, resultiert schon daraus, dass der Kläger zu 1) mangels Reisepasses
mit Ersatzpapieren einreisen muss, sodass im Computer weiter recherchiert
werden wird (I 140, 158, 170). Da sich der Kläger zu 1) zehn Jahre lang in
Deutschland aufgehalten hat, bestehen Anhaltspunkte dafür, dass weitere
Recherchen unternommen werden und dabei auch in seinem Heimatort
nachgefragt wird, was dort über ihn bekannt ist (I 50). Bei der dann erfolgenden
intensiveren Befragung dürften auch die Aktivitäten in seinem Heimatort sowie die
dortigen Vorwürfe bekannt werden.
Aus den so zu ermittelnden Informationen liegen genügend Anhaltspunkte für die
Grenzpolizei vor, um dem Kläger zu 1) vorzuwerfen, dass er Kontakt zu der PKK
unterhält oder unterhalten hat, und es droht ihm dann eine längere Polizeihaft und
die Überstellung an die Sicherheitsbehörden (vgl. I 50, 89, 90, 158, 170). Kommt
es zu einer derartigen Überstellung, wovon aufgrund der Informationen vorliegend
ausgegangen werden muss, besteht auch die Gefahr von Misshandlung und Folter
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ausgegangen werden muss, besteht auch die Gefahr von Misshandlung und Folter
(I 50, 90, 140). Darüber hinaus besteht auch die Gefahr, dass in Haft der
politischen Abteilung genommene Personen verschwinden, also die Spur der
Inhaftierten nicht mehr zu verfolgen ist (I 90). Der Kläger zu 1) ist damit auch
konkreten asylrechtlich relevanten Gefahren ausgesetzt.
d) Der Kläger zu 1) hat den ihm deshalb zustehenden Asylanspruch nicht aufgrund
der Art oder des Umfangs seiner exilpolitischen Aktivitäten aufgrund eines
"Terrorismusvorbehalts" nicht erworben oder "verwirkt".
Der Anspruch auf Asylanerkennung kann angesichts des unbedingt und
vorbehaltlos formulierten Art. 16a Abs. 1 Satz 1 GG nicht einschränkend
dahingehend ausgelegt werden, dass eine Anwendung auf terroristische
Gewalttäter nicht in Betracht kommt oder an verfassungsimmanenten Schranken
scheitert, wie das Bundesverwaltungsgericht in seinen neuesten Entscheidungen
hierzu festgestellt hat (30.03.1999 -- 9 C 23.98 u. 9 C 31.98 --, EZAR 200 Nr. 34
und 35). Das Bundesverwaltungsgericht sieht in seiner Begründung zum Einen den
Schutzbereich des Asylrechts durch den "Terrorismusvorbehalt" eingegrenzt und
führt hierzu aus, dass der auf die Gewährung von Zuflucht und subsidiären
staatlichen Schutz gerichtete Zweck des Asylgrundrechts dessen normativen
Schutzbereich begrenze. Es folgt damit der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts, das in einer insoweit grundlegenden Entscheidung
(20.12.1989 -- 2 BvR 958/86 --, BVerfGE 81, 142 = EZAR 200 Nr. 26) festgestellt
hat, es liege außerhalb des Asylrechts, wenn für terroristische Aktivitäten nur ein
neuer Kampfplatz gesucht werde, um sie dort fortzuführen oder zu unterstützen;
und zwar auch soweit es sich um Aktivitäten im Rahmen der Vorfeldunterstützung
des Terrorismus im Herkunftsland handele, die der Asylbewerber erst im Rahmen
seiner exilpolitischen Aktivitäten aufgenommen hat. Die Möglichkeit einer
"Rückausnahme" soll nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auch dann
nicht in Betracht kommen, wenn bei Abschiebung in das Heimatland dort eine
übermäßig harte oder menschenrechtswidrige Strafe oder Behandlung drohen, da
die Gewährung von Asyl nur gerechtfertigt sei, wenn der Asylbewerber nicht eine
neue Plattform für terroristische Aktivitäten, sondern (allein) den Schutz des
Asylrechts in Form der Zuflucht in einer anstelle seines unduldsamen
Heimatstaates ihn aufnehmenden staatlichen Gemeinschaft sucht. Weitergehend
hat das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 30.03.1999 -- 9 C 31.98 --, a.a.O) § 51
Abs. 3 AuslG als nicht nur einschränkend auf die Flüchtlingsanerkennung nach § 51
Abs. 1 AuslG, sondern außerdem als "Konkretisierung verfassungsimmanenter
Schranken" angewendet und damit auch den Asylanspruch aus Art. 16a Abs. 1 GG
eingeschränkt. Die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift wird einerseits damit
begründet, dass die entsprechende ablehnende Entscheidung zu § 14 AuslG a.F.
allein auf der damaligen Zuständigkeitsaufteilung zwischen Bundesamt und
Ausländerbehörden beruht habe, andererseits aber schon zu der früheren
Vorschrift anerkannt gewesen sei, dass eine Beschränkung des Art. 16a GG durch
diese einfachgesetzlichen Vorschriften verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden
sei (BVerwG, 07.10.1975 -- 1 C 46.69 --, BVerwGE 49, 202 = EZAR 134 Nr. 1).
Außerdem führe nach § 30 Abs. 4 AsylVfG das Vorliegen der Voraussetzungen des
§ 51 Abs. 3 AuslG zur Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet;
hiermit werde dem Umstand Rechnung getragen, dass der Asylsuchende nicht
besser stehen solle als der anerkannte Asylberechtigte, dessen Asylanerkennung
in einem solchen Fall sogar widerrufen werden könne.
Diese einschränkende Auslegung in der von Bundesverfassungsgericht und
insbesondere in der vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommenen Art eines
"Terrorismusvorbehalts" findet im Verfassungsrecht nach Überzeugung des
erkennenden Senats keine Stütze. Zwar ist im Rahmen der
Grundrechtsinterpretation auch der Schutzbereich eines Grundrechts zu
bestimmen. Aufgrund der Unbestimmtheit der Tatbestandsmerkmale einerseits
und aus der Bezugnahme auf Sachverhalte, die näherer Einfassung und
Ausformung bedürfen andererseits ist eine Auslegung jedoch unter Beachtung der
sich fortentwickelnden historisch-sozialen Bedingungen vorzunehmen. Bei dieser
Vorgehensweise ist zunächst zu berücksichtigen, dass zwar schon der
Verfassungsgeber in der Diskussion eine engere Auslegung des Schutzbereichs
des Art 16 GG Abs. 2 Satz 2 a. F. in Betracht gezogen, zuletzt jedoch ausdrücklich
die vorbehaltlose Formulierung im Blick auf völkerrechtliche Regelungen
beibehalten hat (vgl. Protokolle des Parlamentarischen Rats, in Jahrbuch des
Öffentlichen Rechts, Bd. 1 <1951> -- Entstehungsgeschichte der Artikel des
Grundgesetzes, S. 165). Dabei wurde der Begriff des Asylrechts als fest umrissen
durch das Völkerrecht angesehen und festgestellt, dass nach Völkerrecht keine
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durch das Völkerrecht angesehen und festgestellt, dass nach Völkerrecht keine
Regierung auszuliefern brauche. Als Ausnahme wurde nur der Fall der
Attentatsklausel betrachtet und das Problem völkerrechtlicher
Schadensersatzansprüche sowie die Frage, ob Asylgewährung Anlass für eine
Repressalie bieten könne, diskutiert und zuletzt Einigkeit dahingehend erzielt, dass
das Asylrecht nur im Rahmen der völkerrechtlichen Bestimmungen ausgeübt
werde, die Attentatsklausel dieses somit ausschließe und gegebenenfalls sogar
zur Auslieferung verpflichte, während der "politische Verbrecher" nicht ausgeliefert
zu werden brauche.
Daran hat auch der verfassungsändernde Gesetzgeber im Verfahren zur Änderung
des Art. 16 GG im Rahmen des "Asylkompromisses" 1993 nichts geändert, obwohl
die vorgenannte Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht und
Bundesverwaltungsgericht zum Terrorismusvorbehalt bekannt war. Es wurden zwar
zusätzliche Beschränkungen nunmehr direkt in den neu geschaffenen Art. 16a GG
aufgenommen, damit aber weder der grundsätzlich unbedingt und vorbehaltlos
formulierte Asylanspruch geändert noch Ausnahmetatbestände im Hinblick auf
den Schutzbereich des Art. 16a Abs. 1 GG formuliert. Die völkervertragliche
Öffnungsklausel des Art. 16a Abs. 5 GG schließt völkervertragliche Vereinbarungen
darüber, nach welchen materiellen Kriterien die Anerkennung oder Ablehnung
erfolgen soll, gerade nicht ein, sondern ist im Kontext zu den in den Absätzen 2 bis
5 getroffenen verfahrensmäßigen Regelungen im Hinblick auf ein europäisches
Asylverfahrensrecht zu sehen und betrifft deshalb zur Zeit lediglich die Dubliner
Asylrechtskonvention, früher das Schengener Durchführungsübereinkommen.
Die aus den oben dargelegten Gründen daher allein mögliche Auslegung des Art.
16a Abs. 1 GG unter Beachtung des Völkerrechts ergibt keine dem
"Terrorismusvorbehalt" von Bundesverfassungsgericht oder
Bundesverwaltungsgericht gleichende Einschränkungsmöglichkeit.
Einschlägige Regelungen, die verbindlich sind für die vertragsschließenden oder --
beteiligten Staaten trifft auf der Ebene des Vertragsvölkerrechts die Genfer
Flüchtlingskonvention (GK) vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II S. 560). Die in Art. 1 A
GK enthaltene und daher völkerrechtlich verbindliche Definition des
Flüchtlingsbegriffs stimmt im wesentlichen mit Art. 16a Abs. 1 GG überein; wenn
auch im Unterschied zu Art. 16a Abs. 1 GG die subjektive Sicht des Flüchtlings in
den Vordergrund gestellt wird, die jedoch objektiv begründet sein muss. Nach Art.
1 F GK soll das Abkommen keine Anwendung auf diejenigen Personen finden, die
entweder ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein
Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des Völkervertragsrechts; ein
schweres nichtpolitisches Verbrechen ausserhalb des Aufnahmestaates vor ihrer
dortigen Aufnahme begangen haben oder sich Handlungen zuschulden kommen
liessen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen.
Diese Bestimmung erfasst jedoch nur Kriegsverbrecher und ähnliche Fälle sowie
Straftäter ohne politischen Hintergrund; weder der vom Parlamentarischen Rat in
den Blick genommene Attentäter noch der von Bundesverfassungsgericht und
Bundesverwaltungsgericht angeführte Terrorist können hierunter subsumiert
werden, wenn diese Personen politische Zielsetzungen verfolgen. Lediglich in Art.
33 Abs. 2 GK findet sich eine weitergehende Formulierung; demnach findet das in
Art. 33 Abs. 1 GK statuierte Refoulement-Verbot keine Anwendung auf Personen,
die aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes
anzusehen sind oder eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Staates bedeuten,
weil sie wegen eines Verbrechens oder eines besonders schweren Vergehens
rechtskräftig verurteilt wurde. Diese Vorschrift geht mit ihrer Formulierung aber
deutlich weiter und entspricht eher der Vorschrift des § 51 Abs.3 AuslG; denn eine
Beschränkung auf terroristische Gewalttaten ist nur der ersten Alternative zu
entnehmen, während die zweite Alternative auch die reine "kriminelle" Strafbarkeit
umfasst. Art. 33 GFK ist allerdings weit gefasst (a. A.: BVerwG, 18.01.1994 -- 9 C
48/92 --, BVerwGE 95, 42 = EZAR 230 Nr. 3) und umfasst nicht nur die staatliche,
sondern auch die nichtstaatliche Verfolgung bzw. Bedrohung, sodass sich hieraus
auch die weite Fassung der einschränkenden Tatbestände im Unterschied zu der
in Art. 1 F GK formulierten Einschränkung erklärt. Gegen eine Ausdehnung auf den
Flüchtlingsstatus und damit auf den Schutzbereich des Art. 16a GG spricht aber
vor allem, dass die von Art. 33 Abs. 2 GK in den Blick genommenen
Ausnahmetatbestände erst nach der Aufnahme im fremden Staat -- wie auch
immer diese erfolgt sein mag -- entstanden sein können und damit -- soweit eine
Asylgewährung nach Art. 16a GG erfolgt ist oder begehrt wird -- in der
Verfassungssystematik als Verwirkungsgründe im Sinne des Art. 18 GG zu
betrachten sind. Schließlich setzt die Anwendung der Genfer Konvention die
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betrachten sind. Schließlich setzt die Anwendung der Genfer Konvention die
Schaffung einer innerstaatlichen Regelung nicht zwingend voraus, wie sie die
Bundesrepublik Deutschland in selbstverpflichtender Form und vorbehaltlos in das
Grundgesetz aufgenommen hat, sodass eine Einschränkung des Grundrechts
auch nur im Rahmen der innerstaatlichen Verfassungssystematik in Betracht
kommen kann. Aber auch gegen eine Anwendung von Art. 33 Abs. 2 GK auf die
Definition des Flüchtlingsbegriffs in Art. 1 A GK spricht die nach systematischer
Stellung und Regelungsgehalt ganz anders gelagerte Intention dieser
Bestimmung, die es den Staaten ermöglichen soll, Ausnahmen von der
Behandlung als Flüchtling in eng umrissenen Ausnahmefällen machen zu dürfen.
Diese Möglichkeit hat aber weder der Verfassungsgeber noch der
verfassungsändernde Gesetzgeber wahrgenommen, sondern die entsprechenden
Ausnahmetatbestände lediglich im einfachen Gesetzesrecht, nämlich in § 51 Abs.
3 AuslG, statuiert.
Auch sonst enthalten weder das Völkervertragsrecht noch das allgemeine
Völkerrecht allgemein verbindliche Regelungen über den Ausschluss von
Terroristen von der Asylgewährung. Entsprechende Vereinbarungen sind zwar
vielfach in bilateralen und multilateralen Verträgen über die Auslieferung getroffen
worden; diese enthalten jedoch in aller Regel wiederum einen Vorbehalt zugunsten
der Möglichkeit der Asylgewährung trotz geäußerten Auslieferungsbegehrens.
Unter diesen völkervertragsrechtlichen Regelungen hat die unter den
Europaratsstaaten geschlossene Europäische Konvention zur Bekämpfung des
Terrorismus (BGBl. 1978 II S. 321-327)noch die weitestgehende Verbindlichkeit
erlangt, die aber auch nicht von allen Vertragsstaaten ratifiziert wurde und daher
sogar im europäischen Raum nur teilweise Geltung beansprucht. Diese Konvention
ist, obwohl sie eine Entpolitisierung besonders schwerwiegender Straftaten zur
Beseitigung von Auslieferungssperren enthält, allerdings letztlich ebenfalls nicht
geeignet, als völkerrechtliche Regel im vorgenannten Sinn den Begriff der
politischen Verfolgung und damit den Schutzbereich des Asylgrundrechts des Art.
16a Abs. 1 GG einzuschränken; denn sie sieht vor, dass an die Stelle der
Auslieferung die eigene Strafverfolgung (des Aufnahmestaates) treten kann (Art.
6, 7 der Terrorismuskonvention), und es kommt eine Ausnahme vom Vorrang der
Auslieferung in Betracht, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass eine
typische Asylsituation vorliegt (Art. 5). Damit aber ist die Ausgangssituation wieder
hergestellt, nämlich die Feststellung des Tatbestandes der politischen (oder
ethnischen, religiösen) Verfolgung i.S.d. Art. 1 A GK als Rechtfertigung für den an
sich völkerrechtsverletzenden Eingriff in die Personalhoheit des die Auslieferung
begehrenden Staates (so im Ergebnis auch: Schomburg/Lagodny, Kommentar
zum Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 3. Aufl., 1998, § 6
IRG Rdnr. 34 ff.). Dass es bisher zu keiner völkerrechtlich allgemein verbindlichen
Ausnahme des Terroristen von der "Asylwürdigkeit" gekommen ist, liegt
insbesondere an der fehlenden Einigkeit in der Völkerrechtsgemeinschaft über den
Begriff des politischen Delikts, das gerade umgekehrt zur Asylgewährung auch in
Fällen zuvor begangener Gewaltanwendung führen kann, wie zahlreiche, auch
neuere Beispiele aus der Staatenpraxis zeigen. Vielmehr ist es umgekehrt in der
Staatenpraxis zur Konzipierung einer Auslieferungsausnahme bei politischer
Verfolgung und menschenrechtswidriger Behandlung gekommen, und im
Unterschied zu den (vorwiegend machtpolitischen) Gründen, die im 19.
Jahrhundert zur Ausnahme politischer Delikte von der Auslieferung geführt haben,
ist noch der humanitäre Aspekt hinzugetreten, der mittlerweile, wenn auch noch
rudimentär, Niederschlag zumindest im Vertragsvölkerrecht gefunden hat. Zum
Ausdruck gekommen ist dieser Aspekt insbesondere im europäischen Raum, wo in
der Europäischen Menschenrechtskonvention aus humanitären Gründen Grenzen
für die Auslieferung oder sonstige Verbringung in andere Staaten bestimmt
wurden. Schließlich enthält die UN-Konvention gegen Folter (v. 10. Dezember
1984) ein Verbot der Auslieferung bei drohender Folter, sodass jedenfalls in diesen
Fällen eine Aufnahmeverpflichtung des Fluchtstaates auch nach Völkerrecht
besteht, die in Deutschland auf höchster Rechtsebene, nämlich in Art. 16a Abs. 1
Satz 1 GG statuiert ist.
Die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Einschränkung des auch nach
der Grundgesetzänderung von 1993 vorbehaltlos formulierten Grundrechts des
Art. 16a Abs. 1 Satz 1 GG durch die Anwendung einer Vorschrift einfachen Rechts,
nämlich in § 51 Abs. 3 AuslG als Konkretisierung verfassungsimmanenter
Schranken, ist nach Überzeugung des erkennenden Senats nicht mit der
Verfassung vereinbar.
Zwar wird in Rechtsprechung und herrschender Lehre beim unmittelbaren
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Zwar wird in Rechtsprechung und herrschender Lehre beim unmittelbaren
Zusammentreffen kollidierender Verfassungsgüter ein verhältnismäßiger oder
angemessener Ausgleich für notwendig angesehen, und in der Judikatur wird zur
Auflösung hierdurch auftretender Spannungslagen der Gesichtspunkt der
praktischen Konkordanz angewendet. Allerdings kommen im Fall eines
vorbehaltlosen Grundrechts nur kollidierende Grundrechte in Betracht. Allenfalls für
das Tatbestandsmerkmal der Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik
Deutschland kann ein vergleichbarer Rang angenommen werden, da der Bestand
der staatlichen Ordnung -- auch als Garant für die Möglichkeit einer Asylgewährung
-- als gleichwertig angesehen werden kann. Die zweite Alternative einer
Verurteilung wegen eines Verbrechens oder Vergehens zu einer Freiheitsstrafe von
mindestens drei Jahren und daher zu prognostizierender zukünftiger, von dem
Betroffenen ausgehender Gefahr für die Allgemeinheit dient jedoch nicht nur dem
Schutz eines gleich- oder höherwertigen Verfassungsgutes oder des
Grundrechtsschutzes. Die vom Bundesverwaltungsgericht deshalb offenbar
vorgenommene verfassungskonforme Auslegung in dem Sinn, dass die
erforderlichen Straftaten als terroristische Gewalttaten zu beurteilen sein müssen,
die gemeingefährlichen Charakter haben oder das Leben Unbeteiligter gefährden,
scheitert daran, dass damit der erforderlichen Unterscheidung zwischen dem
einfachgesetzlich gewährten Abschiebungsschutz aus § 51 Abs. 1 AuslG und dem
Asylanspruch mit Verfassungsrang nicht Rechnung getragen wird. Auch aus § 30
Abs. 4 AsylVfG, wonach ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen
ist, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 3 AuslG vorliegen, lässt sich eine
Einschränkung des vorbehaltlos gewährten Asylgrundrechts nicht herleiten. Diese
vom einfachen Gesetzgeber vorgesehene Einschränkung greift ihrerseits nämlich
in den Wesensgehalt des Schutzbereichs des Asylrechts ein und ist deshalb, da es
an dem erforderlichen Gesetzesvorbehalt fehlt, ihrerseits verfassungswidrig.
Aus diesen Gründen kann die Vorschrift des § 51 Abs. 3 AuslG auch dann nicht als
Konkretisierung der einschränkenden Auslegung des Schutzbereichs angesehen
werden, wenn man diese als innerstaatliche Umsetzung des Art. 33 Abs. 2 GK
betrachten wollte und diesen als völkerrechtliche Beschränkung ansieht. Zum
einen ist die Formulierung des § 51 Abs. 3 AuslG restriktiver gefasst, indem schon
ein Vergehen mit Freiheitsstrafe von drei Jahren zum Ausschluss des Anspruchs
ausreicht. Zu einer Konkretisierung verfassungsimmanenter Schranken könnte
deshalb allenfalls die erste Alternative aus § 51 Abs. 3 AuslG herangezogen
werden, soweit darin durch Grundrechte garantierte Rechtsgüter geschützt
werden. Die zweite Alternative reicht jedoch -- wie oben dargelegt -- eindeutig
darüber hinaus und ist deshalb auch einer verfassungskonformen Auslegung nicht
zugänglich, da dies im Widerspruch zum ausdrücklichen Willen des
verfassungsändernden Gesetzgebers steht, der die Vorbehaltlosigkeit des Art. 16a
Abs. 1 Satz 1 GG auch zuletzt nicht angetastet hat.
Auch bei Anwendung der neuen Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht
und Bundesverwaltungsgericht ist im Fall des Klägers zu 1) jedoch weder der
Asylanspruch noch der Anspruch auf Feststellung von Abschiebungshindernissen
gemäß § 51 Abs. 1 AuslG zu verneinen. Auch nach dieser Ansicht kommt es
nämlich auf eine wertende Betrachtung der Einzelumstände an, wobei die
Handlungen des Asylbewerbers sich als aktive Unterstützung terroristischer
Straftaten darstellen müssen, durch eigene Gewalttaten oder terroristische
Aktionen im Dienst einer gegen den Heimatstaat mit terroristischen Mitteln
agierenden Organisation. Den Schutzbereich verlässt demnach nicht, wessen
Gesamtverhalten weder im Hinblick auf die persönlichen
Unterstützungshandlungen noch unter Berücksichtigung der Einbindung in die
Organisation als erhebliche, über die bloße Sympathiekundgebung und
Unterstützung politischer Ideen hinausreichende aktive Vorfeldunterstützung
qualifiziert werden muss; was jedenfalls bei Einsatz gemeingefährlicher Waffen und
Angriffen auf das Leben Unbeteiligter anzunehmen wäre (BVerwG, aaO).
Es kann weder festgestellt werden, dass der Kläger zu 1) eine Position im
Führungskader der PKK oder in einer dieser verwandten, ebenfalls von dem Verbot
des Bundesinnenministeriums umfassten Organisation innehat, noch handelt es
sich bei den von ihm unternommenen Aktivitäten um terroristische Taten in dem
von Bundesverwaltungsgericht und Bundesverfassungsgericht definierten Sinn, die
ihn vom Schutzbereich des Art. 16a GG ausschließen könnten. Für die Teilnahme
an der Demonstration vor dem Generalkonsulat lässt sich nicht feststellen, dass
der Kläger zu 1) überhaupt an den aus der Menge heraus begangenen
Gewalttaten beteiligt war; demzufolge wurde schon damals das
Ermittlungsverfahren eingestellt. Auch die Teilnahme an der Autobahnblockade,
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Ermittlungsverfahren eingestellt. Auch die Teilnahme an der Autobahnblockade,
die zu einer Verurteilung wegen Landfriedensbruchs führte, kann nicht als
terroristische Tat in diesem Sinne eingestuft werden. Zwar ist bei dieser Aktion
Gewalt im strafrechtlichen Sinn angewendet worden, und dies gilt besonders
hinsichtlich der Umstände um die Verwendung des Benzinkanisters, die zu
Gefahren für Leib und Leben der beteiligten Polizisten sowie anderer Unbeteiligter
und an der Demonstration beteiligter Personen führte. Auch hat der Kläger zu 1)
selbst sich gewalttätig hervorgetan, indem er die Polizeibeamten, die ihn,
nachdem er sich mit Benzin übergossen hatte, zu seinem und dem Schutz Dritter
abdrängen wollten, mit Benzin aus dem Kanister bespritzte. Auch wenn dies über
die vom Bundesverfassungsgericht bisher als nicht ausreichend angesehene
"einfache Nötigungshandlung" (BVerfG -- Kammer --, 25.04.1991 -- 2 BvR 1437/90
--) hinausreicht, handelt es sich gleichwohl nicht um eine terroristische Aktivität.
Der diesbezügliche Tatbeitrag des Klägers zu 1) war weder geplant noch gezielt
gegen Unbeteiligte gerichtet, sondern vielmehr hauptsächlich gegen sich selbst,
da er zunächst nur sich selbst mit Benzin überschüttete. Sowohl das gezielt gegen
einen Polizeibeamten gerichtete Ausschütten von Benzin, als dieser sich dem
Kläger zu 1) genähert hatte und versuchte, ihn abzudrängen, als auch das Werfen
des Kanisters in eine Gruppe von Demonstranten ist als situationsbedingt und
ebenfalls nicht als gezielt, geplant und mit gemeingefährlichen Elementen
versehen im Sinne eines gewalttätigen terroristischen Angriffs zu bewerten. Dabei
ist auch zu berücksichtigen, dass nicht erkennbar ist, ob der Kläger zu 1) selbst
den mit Benzin gefüllten Kanister von Anfang an bei sich führte, um eine solche
Aktion durchzuführen; vielmehr spricht vieles dafür, dass er -- wie auch den
Feststellungen in dem Urteil des Landgerichts Limburg zugrunde liegt -- erst
während des Hin und Her auf der Autobahn in Besitz des Kanisters gelangt ist. Das
zur Abwehr gedachte Spritzen mit Benzin gegen die Polizisten wurde vom
Landgericht in seinem Urteil daher auch lediglich als Widerstand gegen
Vollstreckungsbeamte beurteilt (§ 113 Abs. 1 StGB). Nach den Feststellungen in
dem Urteil des Landgerichts Limburg gehörte der Kläger zu 1) außerdem weder zu
den Rädelsführern der Aktion, noch hatte er sonst bestimmend in den Ablauf
eingegriffen. Dies alles zeigt sich auch deutlich darin, dass überhaupt nur
hinsichtlich des Mitangeklagten ein Verfahren wegen Mitgliedschaft in einer
terroristischen Vereinigung in Betracht gezogen wurde, das jedoch das
Oberlandesgericht Frankfurt a. M. nach entsprechender Anregung durch den
Generalbundesanwalt gemäß § 154a StPO eingestellt hat. Auch das Strafmaß von
einem Jahr und neun Monaten bietet keinen Anlass, die Aktionen als terroristische
Gewalttaten zu bewerten, liegt es doch noch unterhalb der nach § 51 Abs. 3 AuslG
vorgesehenen Mindeststrafe.
e) Zugunsten der Klägerin zu 2) greifen die Regelungen über das Familienasyl trotz
Eheschließung vor der Ausreise der Kläger zu 1) und 2) nicht ein, da die
Asylanerkennung des Klägers zu 1) noch nicht rechtskräftig ist.
Der Klägerin zu 2) droht bei der Einreise in die Türkei nicht mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit eine asylrechtlich relevante Behandlung im Sinne des Art. 16a
GG.
Sie muss nicht damit rechnen, dass sie durch die türkischen Behörden
irgendwelchen von Misshandlungen begleiteten Befragungen ausgesetzt sein wird.
Es ist nichts dafür ersichtlich, dass bei den Heimatbehörden etwas gegen sie
vorliegt. Wie schon festgestellt können im Hinblick auf ihre Person keinerlei
Vorfluchtaktivitäten angenommen werden; insbesondere konnte auch sie ohne
Probleme mit einem auf ihren Namen ausgestellten Pass ausreisen, sodass
insoweit anzunehmen ist, dass bei den entsprechenden Befragungen auch nichts
diesbezügliches herauskommen wird. Für eine konkrete Fahndung nach ihr
bestehen keinerlei Anhaltspunkte.
Zugunsten der Klägerin zu 2) kann nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
angenommen werden, dass ihr politische Verfolgung wegen der exilpolitischen
Betätigung ihres Ehemannes als objektiver Nachfluchtgrund droht. Auch wenn
nicht schon eine aus dem Schutzgedanken des Art. 16a Abs. 1 GG folgende
(rechtliche) Vermutung dafür wirksam wird, dass auch derjenigen Ehefrau eines
politisch Verfolgten, über deren Asylanspruch im konkreten Fall zu entscheiden ist,
das gleiche Schicksal mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, wenn nämlich Fälle
festgestellt wurden, in denen der Verfolgungsstaat Repressalien gegenüber
Ehefrauen im Zusammenhang mit der politischen Verfolgung ihres Ehegatten
ergriffen hat (so: BVerwG, 02.07.1985 -- 9 C 35.84 --, EZAR 204 Nr. 2 = InfAuslR
1985, 274), so greift jedoch eine tatsächliche Vermutung zu Gunsten des
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1985, 274), so greift jedoch eine tatsächliche Vermutung zu Gunsten des
Ehegatten politisch Verfolgter ein (vgl. hierzu: Bell, Anmerkung zu BVerwG, a.a.O.,
ZAR 1986, S. 188), denn entsprechende Feststellungen lassen sich im Fall der
Türkei treffen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, 29.09.1992 -- 18 A 10239/90 --
InfAuslR 1993, 113), da der türkische Staat sich unter bestimmten
Voraussetzungen Repressalien gegenüber Ehegatten bedient.
Ein Institut der Sippenhaft gibt es im türkischen Strafrecht, das in seinen
wesentlichen Zügen dem italienischen Strafrecht nachgebildet ist, zwar nicht (II 1,
12, 25, 36), sondern Verfolgungsmaßnahmen sind auch gegenüber
Familienangehörigen von Straftätern grundsätzlich unzulässig (II 3). Obwohl die
Sippenhaft dem türkischen Recht insgesamt unbekannt ist, spielt der Zugriff auf
Angehörige in der Polizeiermittlungspraxis jedoch eine große Rolle, wie zahlreiche
Beispiele zeigen (II 13, 21, 27). Unter Umständen werden Verwandte von
Gesuchten polizeilich zu deren Aufenthaltsort vernommen (II 14), sodass es auch
möglich erscheint, dass die Ehefrau eines flüchtigen Straftäters in
Polizeigewahrsam genommen, verhört und bedroht und auf die eine oder andere
Art und Weise genötigt wird (II 6). Insbesondere nach 1990 wurde die
Unterdrückung von Angehörigen gesuchter Personen verstärkt, wie zahlreiche
Beispiele belegen (II 10, 11). Verwandte von gesuchten Personen müssen bei
Razzien zum Zwecke der Festnahme der gesuchten Personen damit rechnen,
unter Druck gesetzt, geschlagen und schikaniert zu werden (II 4). Zwar ist das
Recht der Aussageverweigerung gewährleistet, andererseits jedoch nicht
ausgeschlossen, dass es zu Übergriffen kommt (II 25, 34, 36). Vermehrt wird
darüber berichtet, dass Familienangehörige aktiver PKK-Angehöriger
menschenrechtswidrig behandelt werden, da angenommen wird, dass auch sie die
PKK unterstützen (II 22, 32). Zu solchen Übergriffen auf Verwandte kommt es vor
allem auch deshalb, weil es bei der Fahndung nach Personen, denen
Unterstützungshandlungen für die PKK zur Last gelegt werden, durchaus üblich ist,
alle bekannten Anschriften des Verdächtigen zu überprüfen (II 20). Nach Kaya (II
31) ergeht bei Personen, die per Haft- oder Festnahmebefehl gesucht werden, alle
drei Monate ein Befehl durch die republikanischen Staatsanwaltschaften, nach
dem das Haus der betreffenden Person durchsucht wird, sodass dort lebende
Angehörige mindestens alle drei Monate einmal Belästigungen durch die
Sicherheitskräfte ausgesetzt sind. Besonders betroffen von solchen Maßnahmen
sind Verwandte ersten Grades, da sie unter dem Verdacht stehen, den
Organisationen der kurdischen nationalen Opposition Unterstützung und
Unterschlupf zu gewähren (II 29). Diese Gefahr besteht vor allem, wenn die
Angehörigen wegen Unterstützung der Guerilla der Strafverfolgung ausgesetzt
waren, in der Regel jedoch nicht, wenn diese nur wie alle anderen kurdischen
Familien von den Razzien staatlicher Sicherheitskräfte betroffen waren (II 37). Eine
Verbindung zur politischen Vergangenheit des Ehemannes wird dadurch möglich,
dass die Personenstandsregistrierung der Ehefrau an den Ort verlegt wird, an dem
ihr Ehemann gemeldet ist, und dort auch Informationen über den Ehemann
vorhanden sind (II 30). Bei anderen, weitläufigeren Verwandten (Onkel, Tanten,
Cousins und Cousinen) können hingegen die Verwandtschaftsverhältnisse nicht so
leicht über Personenstandsregister in Erfahrung gebracht werden (II 23, 26).
Anders ist dies zu beurteilen, wenn die Personen nach der Einreise in ihren
Heimatorten wohnen (II 23), vor allem, wenn es sich um kleinere Siedlungsgebiete
(Dörfer) handelt (II 26). Rumpf (28, 33) zufolge erstreckt sich diese Gefahrenlage
allerdings auch auf "Bekannte". Grundlage dafür ist die Praxis, durch weit
gestreuten Druck an Informationen zu gelangen, die mit rechtsstaatlichen Mitteln
nicht zu erlangen sind (II 28, 33). Nach Oberdiek (II 35) kommt es bei weiterer
Verwandtschaft wie z. B. Cousins darauf an, ob aus dem Verhalten des
Betroffenen zusätzliche Verdachtsmomente in Richtung auf politische Tätigkeiten
geschöpft werden können, und inwieweit es zu Denunziationen im Heimatort
kommen kann. Es gibt indes keine Erkenntnisse über besondere
Verfolgungsmaßnahmen gegen minderjährige Kinder türkischer
Staatsangehöriger, die nach türkischem Recht verfolgt werden und sich im
Ausland aufhalten (II 2, 5, 35). Auch Familienangehörige von in der Türkei als
Terroristen gesuchten Personen wie etwa des Führers der PKK, Öcalan und des
Cemil Isik wurden während ihres Aufenthalts in der Türkei nicht behelligt (II 2);
allerdings wurde der Bruder des PKK-Führers im September 1990 vorübergehend
festgenommen, als er mit gefälschtem Pass zusammen mit seinen sechs Kindern
auf eine griechische Ägäisinsel fliehen wollte (II 16). In die Türkei zurückkehrende
kurdische Volkszugehörige werden nicht allein deswegen verfolgt, weil Verwandte
im Ausland als Asylberechtigte anerkannt sind (II 11, 17) oder dort ein
Asylverfahren betreiben (II 12, 18, 34, 36). Es gibt jedoch Berichte darüber, dass
der Ehegatte eines in Deutschland politisch aktiven Asylbewerbers bei einer
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der Ehegatte eines in Deutschland politisch aktiven Asylbewerbers bei einer
Rückkehr in die Türkei ebenfalls mit menschenrechtswidriger Behandlung rechnen
muss (II 7), dass insbesondere gegen Frauen mittels entwürdigender Übergriffe
vorgegangen wird (II 8) und dass von derartigen Beeinträchtigungen auch die
Familienangehörigen von Verschwundenen (II 15) und von Asylberechtigten (II 19)
betroffen sind. Unmittelbar bei der Rückkehr besteht die Gefahr einer Festnahme
wegen PKK-Aktivitäten Verwandter nach Auskunft von Kaya (II 24) nicht, da den
Grenzstationen keine Listen derjenigen, die sich der Guerilla angeschlossen haben,
mitgeteilt werden und dies auch bei den üblichen Nachforschungen nicht bekannt
werden dürfte. Allerdings kann dies bei Rückkehr in die Heimatgemeinde durch
dortige Nachforschungen bekannt werden und zur Festnahme führen (II 24).
Unter Berücksichtigung dieser Umstände droht der Klägerin zu 2) bei der Rückkehr
in die Türkei keine politische Verfolgung. Es ist weder vorgetragen noch sonst
ersichtlich, dass es sich bei dem Kläger zu 1) um eine in der Türkei gesuchte
Person handelt. Allein der Umstand einer in diesem Verfahren ausgesprochenen
Asylanerkennung führt nicht dazu, dass er schon deshalb in der Türkei gesucht
wird. Den türkischen Behörden ist nach den oben getroffenen Feststellungen
dessen Aufenthaltsort in Deutschland auch bekannt, sodass es zur Gewinnung
dieser Kenntnis eines Zugriffs auf dritte Personen nicht mehr bedarf. Es ist auch
nicht erkennbar, dass sich die Sicherheitskräfte anderer, naher
Familienangehöriger des Klägers zu 1) in der Türkei bedient haben, um etwas über
diesen in Erfahrung zu bringen. Dass allein aufgrund der Verwandtschaft eine
intensivere Befragung droht mit dem Zweck, etwas über die Strukturen der PKK
durch die Klägerin zu 2) und deren über den Ehegatten vermittelten Kenntnisse zu
erfahren, ist angesichts des schon bestehenden Kenntnisstandes bei den
türkischen Sicherheitsbehörden durch Spitzel etc. mehr als zweifelhaft.
f) Für den kurze Zeit vor der Ausreise aus der Türkei geborenen Kläger zu 3)
lassen sich weder Anhaltspunkte für eine Vorverfolgung noch für beachtliche
Nachfluchtgründe feststellen; ein Anspruch auf Familienasyl kommt wegen der
fehlenden Rechtskraft der Asylanerkennung des Klägers zu 1) derzeit nicht in
Betracht. Auch aus den obigen Feststellungen zum Zugriff auf Familienangehörige
von Asylbewerbern lässt sich eine dem Kläger zu 3) drohende Gefahr von
Verfolgungsmaßnahmen bei einer Rückkehr nicht feststellen. Da er gemeinsam
mit der ebenfalls nicht asylberechtigten Mutter zurückkehren würde, kommt es auf
die Frage einer Existenzmöglichkeit für alleinstehende, minderjährige Personen
nicht an.
B.
Für den Kläger zu 1) sind Feststellungen über die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1
AuslG aufgrund der insoweit eingetretenen Rechtskraft des erstinstanzlichen
Urteils nicht zu treffen.
Der Asylantrag der Klägerin zu 2) hat auch insoweit keinen Erfolg, als diese die
Feststellung begehrt, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.
Nach § 51 Abs. 1 AuslG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben
werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion,
Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Die Klägerin zu 2) ist dem
Personenkreis der politisch Verfolgten im Sinne dieser Vorschrift aus den oben
dargelegten Gründen nicht zuzurechnen.
Gleiches gilt für den Kläger zu 3); wie schon zu Art. 16a GG ausgeführt wurde.
Die Feststellung von Abschiebungshindernissen im Sinne des § 53 AuslG kommt
nicht in Betracht, da dies nicht Gegenstand dieses Verfahrens ist.
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 VwGO; die
Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b Abs. 1 AsylVfG. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO, 167 VwGO.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.