Urteil des HessVGH vom 23.02.1999

VGH Kassel: geschäftsführung ohne auftrag, aufschiebende wirkung, öffentliche sicherheit, verhaltensstörer, eigentümer, treibstoff, feuerwehr, vorrang, gefahr, verschulden

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
5. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 TG 240/99
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
(Feuerwehrgebühr für Einsatz wegen Ölunfalls)
Leitsatz
1. Der Fahrer eines beschädigten Sattelzuges, aus dem Treibstoff ausläuft, ist als
Verhaltensstörer für die eintretende Gefahrenlage und ihre Beseitigung verantwortlich.
Auf ein Verschulden kommt es dabei nicht an.
2. Bei gesamtschuldnerischer Verantwortung besteht neben der Möglichkeit, einen
Schuldner auszuwählen, auch die Möglichkeit, gleichzeitig alle oder mehrere der
Gesamtschuldner nebeneinanderer in Anspruch zu nehmen.
3. Die Bundesrepublik Deutschland als Eigentümerin und Trägerin der Straßenbaulast
der Bundesautobahn kommt als Zustandsstörerin unzweifelhaft als Kostenschuldnerin
in Betracht.
4. Die Inanspruchnahme des Eigentümers eines verschmutzten Grundstückes wird in
der Regel erst dann in Betracht zu ziehen sein, wenn weder ein Verhaltensstörer noch
ein Eigentümer greifbar ist, der die Verantwortung für den Zustand derjenigen Sache
trägt, von der die Gefahr letztlich ausgegangen ist. Diese Erwägungen müssen nicht
unbedingt in dem Gebührenbescheid zum Ausdruck kommen, da dieser Vorrang dem
Regelfall entspricht.
Gründe
Die vom Senat mit Beschluss vom 19. Januar 1999 zugelassene Beschwerde der
Antragsgegnerin ist begründet. Im Gegensatz zum Verwaltungsgericht hat der
Senat keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitigen
Gebührenbescheide der Antragsgegnerin vom 20. Juni 1997 in der Fassung ihres
Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 1998 wegen des Einsatzes der Freiwilligen
Feuerwehr der Antragsgegnerin am 28. Februar 1997 auf der Bundesautobahn, die
es nach der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung -- VwGO --
entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO
rechtfertigen würden, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers
anzuordnen.
Bei dem streitigen Feuerwehreinsatz handelte es sich um eine Maßnahme der
technischen Unfallhilfe, die im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2b der Gebührensatzung
für den Einsatz der Freiwilligen Feuerwehren -- Feuerwehrgebührensatzung --
FwGebS -- der Antragsgegnerin vom 17. Dezember 1993 im "Interesse" des
Antragstellers erfolgt ist und damit seine Gebührenpflicht ausgelöst hat. Sein
Interesse folgt daraus, dass er als Fahrer des beschädigten Sattelzuges, der
Treibstoff verlor, Verhaltensstörer im Sinne von § 6 Abs. 1 des Hessischen
Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung -- HSOG -- und damit für die
durch das Auslaufen des Treibstoffs eingetretene Gefahrenlage und ihre
Beseitigung verantwortlich war. Die Anknüpfung der Gebührenpflicht an ein
derartiges Interesse ist durch die gesetzliche Ermächtigung in § 42 Abs. 3
Brandschutzhilfeleistungsgesetz -- BrSHG -- gedeckt. Nach dieser Regelung sind
"für alle übrigen Leistungen, insbesondere in Fällen der technischen Unfallhilfe, ...
die Kosten nach allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen oder nach örtlichen
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die Kosten nach allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen oder nach örtlichen
Gebührenordnungen zu erstatten". Das bedeutet nach der ständigen
Rechtsprechung des Senats, dass die Gemeinden berechtigt sind, ihre in den
allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen begründeten
Kostenerstattungsansprüche -- so etwa für die Geschäftsführung ohne Auftrag
gemäß § 683 Bürgerliches Gesetzbuch -- im Rahmen ihrer Satzungsgewalt als
eigenständige öffentlich-rechtliche Ansprüche in einer Gebührensatzung im Sinne
des § 2 Kommunalabgabengesetz zu konkretisieren. Mit der in § 2 FwGebS
vorgesehenen Erstattungspflicht des Interessenten wird der
Aufwendungsersatzanspruch aus berechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag
konkretisiert, nach dem der Geschäftsführer wie ein Beauftragter Ersatz seiner
Aufwendungen verlangen kann, wenn die Übernahme der Geschäftsführung dem
Interesse und dem wirklichen oder dem mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn
entsprochen hat. Auf einen entgegenstehenden Willen des Geschäftsherrn kommt
es dann nicht an, wenn ohne die Geschäftsführung eine Pflicht des Geschäftsherrn,
deren Erfüllung im öffentlichen Interesse lag, nicht rechtzeitig erfüllt worden wäre.
Gebührenpflichtiger Interessent ist damit jedenfalls ein Störer im polizeirechtlichen
Sinne, der für das Entstehen der Gefahrenlage und ihre Beseitigung verantwortlich
ist und an dessen Stelle die Feuerwehr technische Unfallhilfe geleistet hat (vgl.
Beschluss des Senats vom 06.04.1993 -- 5 UE 724/91 --, DÖV 1994, 172, 173 m.
w. N.). Auf ein Verschulden des Störers kommt es demnach nicht an. Dies hat
auch das Verwaltungsgericht bereits im Einzelnen dargelegt.
Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts sind die Heranziehungsbescheide
gegenüber dem Antragsteller jedoch nicht deshalb rechtswidrig, weil die
Antragsgegnerin in diesen und in dem Widerspruchsbescheid keine
Ermessenserwägungen dazu angestellt hat, ob der Antragsteller oder seine
Arbeitgeberin und Halterin des Sattelzuges, die Firma Karl Heinz Rinke GmbH &
Co. KG, als Gesamtschuldner vorrangig heranzuziehen waren. Der Senat hat dazu
bereits in seinem Zulassungsbeschluss vom 19. Januar 1999 ausgeführt, dass bei
einer Gesamtschuldnerschaft der Gläubiger neben der Möglichkeit, einen der
Schuldner auszuwählen, auch die Möglichkeit hat, gleichzeitig alle oder mehrere
der Gesamtschuldner nebeneinander in Anspruch zu nehmen, bis seine Ansprüche
befriedigt sind. Dies hat die Antragsgegnerin hier gegenüber der Halterin des
beschädigten Lastzuges und gegenüber dem Antragsteller -- dessen Fahrer --
getan. Eine Auswahlentscheidung zwischen diesen beiden Gesamtschuldnern hat
sie also gerade nicht treffen wollen. Daran ändert sich auch nichts durch die
Tatsache, dass die Antragsgegnerin gegenüber der Halterin die aufschiebende
Wirkung ihres Widerspruchs gegen die ihr gegenüber ergangenen Bescheide
angeordnet hat, denn eine derartige Anordnung steht gemäß § 80 Abs. 4 Satz 1
VwGO in ihrem Ermessen.
Entgegen der Ansicht seines Bevollmächtigten erweist sich die Inanspruchnahme
des Antragstellers auch nicht deshalb als rechtswidrig, weil die Antragsgegnerin
ermessensfehlerhaft nicht die Bundesrepublik Deutschland als Zustandsstörerin
vorrangig in Anspruch genommen hat.
Unzweifelhaft kommt auch die Bundesrepublik Deutschland als Eigentümerin und
Trägerin der Straßenbaulast der Bundesautobahn als eine Gesamtschuldnerin der
Gebührenschuld in Betracht, da die Handlungen der Freiwilligen Feuerwehr der
Antragsgegnerin auch in ihrem Interesse als Straßenbaulastträgerin und als
Zustandsstörerin gemäß § 7 HSOG gelegen haben. Aufgrund beider Umstände
war sie ebenfalls für die Beseitigung der Verunreinigung durch den Treibstoff
verantwortlich. Allein diese Tatsache ändert jedoch nichts an der polizeirechtlichen
Verantwortlichkeit gerade des Antragstellers und seiner hierauf beruhenden
Gebührenpflicht. Die Inanspruchnahme des Eigentümers des durch auslaufenden
Treibstoff als Folge eines Unfalls verschmutzten Grundstückes wird in aller Regel
erst dann in Betracht zu ziehen sein, wenn weder ein Verhaltensstörer noch auch -
- als Zustandsstörer -- wenigstens derjenige greifbar ist, der als Eigentümer bzw.
Gewalthaber Verantwortung für den Zustand derjenigen Sache trägt, von der die
Gefahr letztlich ausgegangen ist. Deshalb erweist sich die Inanspruchnahme des
Antragstellers auch unter diesem Gesichtspunkt als ermessensfehlerfrei. Dabei
hat der Senat bereits in seinem Zulassungsbeschluss darauf hingewiesen, dass
entsprechende Erwägungen, den Fahrer des verunglückten Sattelzuges vorrangig
vor der Trägerin der Straßenbaulast in Anspruch zu nehmen, nicht unbedingt
ausdrücklich in den Gebührenbescheiden zum Ausdruck kommen müssen, da
dieser Vorrang dem Regelfall entspricht. Letztlich kann dies jedoch hier deshalb
dahinstehen, weil sich in dem Widerspruchsbescheid der Antragsgegnerin vom 21.
Januar 1998 erkennbar diesbezügliche Ermessenserwägungen wiederfinden. So
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Januar 1998 erkennbar diesbezügliche Ermessenserwägungen wiederfinden. So
hat die Antragsgegnerin dort ausgeführt, im Falle einer Verunreinigung durch Öl
oder Benzin sei der Eigentümer des Grundstücks, auf welches die Schadstoffe
ausgelaufen seien, lediglich dann polizeirechtlich heranzuziehen, soweit kein
anderer Störer festgestellt werden könne. Sei der Verhaltensstörer nicht zu
ermitteln, verbleibe es bei der Verantwortlichkeit des Zustandsstörers. Da Benzin
vom Lkw des Antragstellers ausgelaufen sei, sei der gefährdende Zustand somit
ebenfalls von ihm ausgegangen. Polizeirechtlich könne sowohl der Fahrer des
Lastzuges als auch dessen Arbeitgeber bzw. der Halter des Fahrzeuges
herangezogen werden. Dies zeigt, dass sich die Antragsgegnerin sowohl der
Möglichkeit der Inanspruchnahme der Bundesrepublik Deutschland -- auf die sie
auch bereits vorher im Widerspruchsbescheid verwiesen hatte -- bewusst gewesen
ist, als auch eine Ermessensentscheidung dergestalt treffen wollte, den
Eigentümer des Straßengrundstückes erst nachrangig in Anspruch zu nehmen.
Darin liegt eine eindeutige Ausübung des Auswahlermessens zu Lasten des
Antragstellers und des Halters des Sattelzuges.
Da sonstige Anhaltspunkte für ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der
streitigen Bescheide nicht ersichtlich sind, ist auf die Beschwerde der
Antragsgegnerin hin der Beschluss des Verwaltungsgerichts abzuändern und der
Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers
abzulehnen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über
den Streitwert aus den §§ 13 Abs. 1 Satz 1, 14 (analog), 20 Abs. 3
Gerichtskostengesetz -- GKG --.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO und § 25 Abs. 3 Satz 2
GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.