Urteil des HessVGH vom 29.06.1993

VGH Kassel: auflösung der gesellschaft, aufschiebende wirkung, gesetzliche vermutung, gesellschafter, gewerbesteuer, festsetzungsverjährung, steuerfestsetzung, vorsorge, unterlassen, gemeinde

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
5. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 TH 1280/90
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 34 Abs 1 AO 1977, § 34
Abs 2 AO 1977, § 69 AO
1977, § 171 Abs 3 AO
1977, § 191 Abs 1 AO 1977
(Haftung für Steuerrückstände/Gewerbesteuer einer
Gesellschaft bürgerlichen Rechts)
Gründe
Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig und in dem im Tenor
aufgeführten Umfang begründet.
Die aufschiebende Wirkung der Klage(VG Frankfurt, X/1 E 1668/90) - nach Erlaß des
Widerspruchsbescheides und Klageerhebung ist auf diese abzustellen - ist gemäß
§ 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - nur in Höhe von 50 % der
geltend gemachten Gewerbesteuerrückstände der Gesellschaft bürgerlichen
Rechts, deren Gesellschafter der Antragsteller gewesen ist, anzuordnen. Nur
insoweit hat der Senat ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des
Haftungsbescheides (§ 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO).
Wie das Verwaltungsgericht hat auch der Senat keine Zweifel daran, daß in den
Jahren 1979 und 1980 eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts zwischen dem
Antragsteller und Herrn bestand und daß die gegen diese Gesellschaft gerichteten
Gewerbesteuerbescheide für die Jahre 1979 und 1980 auch bestandskräftig
geworden sind. Insoweit wird auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts
verwiesen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ist aber eine Haftung des
Antragstellers gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 und Abs. 2 und § 69
Abgabenordnung 1977 - AO 1977 - nicht in voller Höhe, sondern nur in Höhe von
50 % der geltend gemachten Gewerbesteuerrückstände verjährt.
Nach den genannten Vorschriften haften Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft,
die keinen Geschäftsführer hat, für die Steuerschulden der Gesellschaft, soweit die
Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob
fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht erfüllt worden sind.
Die Voraussetzungen dieses Haftungstatbestands sind, wie das
Verwaltungsgericht bereits festgestellt hat, hier gegeben, denn die beiden
Gesellschafter, darunter der Antragsteller, haben die Gesellschaft aufgelöst und
das Gesellschaftsvermögen abgewickelt, ohne daß Vorsorge für zu erwartende
Steuerschulden getroffen worden ist. Die Gesellschafter haben jedoch gemäß § 34
Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 AO 1977 die steuerlichen Pflichten der Gesellschaft zu
erfüllen, insbesondere dafür zu sorgen, daß die Steuer aus den Mitteln entrichtet
werden, die sie verwalten. Das Unterlassen einer Vorsorge bei der Auflösung der
Gesellschaft ist dabei zumindest als grob fahrlässige Pflichtverletzung anzusehen,
so daß der Antragsteller gemäß § 69 AO 1977 für die Steuerrückstände haftet.
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht darauf verwiesen, daß für den
Haftungsanspruch aus §§ 34, 69 AO 1977 die vierjährige Festsetzungsfrist mit
Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem der Haftungstatbestand verwirklicht
worden ist, und daß im vorliegenden Fall der Haftungstatbestand zum Zeitpunkt
der Auflösung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, also am 26. April 1982, erfüllt
war. Der regelmäßige Ablauf der Festsetzungsverjährung wäre somit zum 31.
Dezember 1986 eingetreten. Der streitige Haftungsbescheid ist jedoch erst am
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Dezember 1986 eingetreten. Der streitige Haftungsbescheid ist jedoch erst am
22. September 1989 ergangen.
Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht dann jedoch angenommen, daß
Verjährung in Höhe des gesamten Haftungsanspruchs eingetreten ist. Vielmehr
war der Ablauf der Festsetzungsfrist in Höhe von 50 % der Steuerrückstände
gemäß § 191 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 171 Abs. 3 AO 1977 gehemmt, so daß insoweit
der hier angefochtene Haftungsbescheid noch innerhalb der Festsetzungsfrist
ergangen ist.
Wird nämlich vor Ablauf der Festsetzungsfrist ein Antrag auf Steuerfestsetzung
oder auf Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung gestellt, so läuft die
Festsetzungsfrist insoweit nicht ab, bevor über den Antrag unanfechtbar
entschieden worden ist. Hier hatte der Antragsteller mit Schreiben seines
Steuerberaters vom 1. November 1985 - also vor Ablauf der Festsetzungsfrist -
unter Hinweis auf die entsprechende Verfahrensweise bei Steuerrückständen
derselben Gesellschaft bürgerlichen Rechts in der Gemeinde Taunusstein
beantragt, daß der auf den anderen Gesellschafter entfallende Anteil in Höhe von
21.535,50 DM bei ihm, dem Antragsteller, nicht eingefordert werde und die
Antragsgegnerin diesen Betrag von der Vollstreckung aussetze. In diesem Antrag
ist ein Antrag auf Festsetzung nur der Hälfte der Steuerrückstände der
Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegen ihn, den Antragsteller, zu sehen, zu deren
Bezahlung er sich in diesem Antrag ausdrücklich bereiterklärt hat, und zwar zu
einem Zeitpunkt, als gegen ihn persönlich noch kein Haftungsbescheid ergangen
war. Hinsichtlich des übrigen Teils der Gesellschaftssteuerschuld spricht der Antrag
zwar von "Aussetzung". Der gesamte Wortlaut des Schreibens ergibt jedoch
eindeutig, daß der Antragsteller diesen Teil, den er dem anderen Gesellschafter
zurechnete, endgültig nicht zahlen wollte, d.h. gegen ihn persönlich sollte er nicht
festgesetzt werden.
Über diesen Festsetzungsantrag des Antragstellers war zum Zeitpunkt des
Erlasses des Haftungsbescheides vom 22. September 1989 noch nicht
unanfechtbar entschieden.
Damit war aber die Festsetzungsverjährung für den Haftungsanspruch der
Antragsgegnerin gegen den Antragsteller gemäß § 171 Abs. 3 Satz 1 AO 1977
"insoweit", d.h. soweit der Festsetzungsantrag reichte, gehemmt. Da sich der
Festsetzungsantrag nur auf 50 % der rückständigen Steuerschulden der
Gesellschaft bürgerlichen Rechts bezog, erstreckte sich die Ablaufhemmung auch
nur auf diese 50 %. In Höhe der übrigen Hälfte war der Haftungsanspruch gemäß §
191 Abs. 3 AO 1977 zum Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheides am 22.
September 1989 verjährt, da - wie oben ausgeführt - die Festsetzungsverjährung
insoweit am 31. Dezember 1986 abgelaufen war.
In Bezug auf diese Hälfte der Steuerrückstände, die die Antragsgegnerin nicht vom
Antragsteller aufgrund der §§ 191 Abs. 1, 34 Abs. 1 und Abs. 2, 69 AO 1977
beanspruchen kann, scheidet auch eine Inanspruchnahme aufgrund einer
entsprechenden Anwendung des § 427 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB - aus. Nach
dieser Vorschrift haften im Zivilrecht mehrere im Zweifel als Gesamtschuldner,
wenn sie sich durch Vertrag gemeinschaftlich zu einer teilbaren Leistung
verpflichtet haben. Es handelt sich dabei um eine gesetzliche Vermutung bei
vertraglich begründeter Verpflichtung mehrerer Personen. Der Bundesfinanzhof
hat diese Haftungsregel entsprechend für die Haftung von Gesellschaftern einer
Gesellschaft bürgerlichen Rechts für Umsatzsteuerschulden und die damit
zusammenhängenden Säumnis- und Verspätungszuschläge angewendet (BFH,
Urteil vom 23. Oktober 1985 - VII R 187/82 -, E 145, 13; Urteil vom 27. Juni 1989 -
VII R 100/86 -, E 158, 1). Ob dieser - nicht unumstrittenen - Rechtsprechung (a.A.
FG Köln, Urteil vom 22. April 1987 - 11 K 688/87 -, BB 1988, 123) zu folgen ist,
kann jedoch im vorliegenden Fall offen bleiben. Auch der Bundesfinanzhof
betrachtet § 427 BGB nicht etwa als haftungsrechtliche Anspruchsgrundlage,
sondern geht davon aus, daß diese Bestimmung nur für den Fall einer bereits
bestehenden Verpflichtung einer Mehrzahl von Schuldnern als Auslegungsregel die
Entstehung von Gesamtschulden vorsieht (BFHE 158, 1, 4). Ob sich eine solche
gemeinsame Verpflichtung bei der Umsatzsteuer ergibt, läßt der Senat offen. Bei
der Gewerbesteuer ist eindeutig kraft Gesetzes angeordnet, daß nicht die
Gesellschafter, sondern die Personengesellschaft selbst Steuerschuldner ist (§ 5
Abs. 1 Satz 2 Gewerbesteuergesetz - GewStG - i.d.F. des Art. 10 Nr. 3
Steuerbereinigungsgesetzes 1986 vom 19. Dezember 1985, BGBl. I S. 2436;
vorher bereits geltende Rechtslage aufgrund § 5 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr.
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vorher bereits geltende Rechtslage aufgrund § 5 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr.
1 GewStG i.d.F. des EGAO vom 14. Dezember 1976, BGBl. I S. 3341). Dies gilt
unzweifelhaft auch für Gesellschaften bürgerlichen Rechts (vgl. Glanegger/ Güroff,
Gewerbesteuergesetz, 1988, § 5 Rdnr. 6). Damit fehlt es aber bereits kraft
Gesetzes an einer gemeinschaftlichen Verpflichtung einer Mehrzahl von Personen,
nämlich der Gesellschafter, so daß eine entsprechende Anwendung der
Auslegungsregel des § 427 BGB ausscheidet.
Offen lassen konnte der Senat deshalb auch die Frage, inwieweit eine Anwendung
des § 427 BGB eine Ausweitung der Verjährung der zugrundeliegenden
steuerrechtlichen Ansprüche begründen könnte. Dies erscheint zweifelhaft, da §
427 BGB allein eine Haftungsauslegungsregel ist.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.