Urteil des HessVGH vom 09.08.2007

VGH Kassel: stand der technik, landwirtschaftlicher betrieb, tierhaltung, hessen, lärm, friedhof, umbau, bebauungsplan, wohnhaus, naturschutz

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 UE 684/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Tenor
Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen
vom 10. Oktober 2005 - 1 E 492/05 - aufgehoben. Darüber hinaus wird der
Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Gießen vom 30. März 2004
aufgehoben.
Von den Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen der Beklagte
sowie die Beigeladenen zu 1) und 2) als Gesamtschuldner je die Hälfte der
Gerichtskosten sowie der außergerichtlichen Kosten der Kläger. Im Übrigen trägt
jeder Beteiligte seine außergerichtlichen Kosten selbst.
Das Urteil ist im Kostenausspruch vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Kostenschuldner darf die Vollstreckung jedoch durch Sicherheitsleistung in Höhe
der vollstreckbaren Kosten abwenden, sofern nicht der jeweilige Kostengläubiger
vor der Vollstreckung in entsprechender Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks ... . Dort befindet sich seit 1912 ein
landwirtschaftlicher Betrieb mit Wohnhaus und verschiedenen landwirtschaftlichen
Gebäuden. Die Beigeladenen zu 1) und 2) sind Eigentümer des südöstlich
angrenzenden Nachbargrundstücks A-Straße, das mit einem 1933 errichteten
Wohnhaus, einem 1991 erstellen Wohnhausanbau und Nebengebäuden bebaut ist.
Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 5 "Am
Friedhof" der ... vom 29. Dezember 1965, der dort Mischgebiet ausweist.
Nachdem aufgrund umfangreicher Nachbarstreitigkeiten eine Überprüfung des
klägerischen Anwesens durch den Beigeladenen zu 3) stattgefunden hatte,
stellten die Kläger am 6. Juni 2002 einen Bauantrag u.a. für den Neubau eines mit
D bezeichneten Stallgebäudes. Das Gebäude soll der bereits vorgenommenen
spezialisierten Haltung von Zuchtsauen und Aufzuchtferkeln dienen. Der Landrat
des Landkreises Marburg-Biedenkopf - Hauptabteilung Landwirtschaft, Forsten und
Naturschutz - teilte dazu mit Schreiben vom 7. November 2002 (Bl. 58 der
Behördenakte - BA -) mit, unter Einbeziehung einer Stellungnahme von Herrn
Franke vom Hessischen Dienstleistungszentrum für Landwirtschaft, Gartenbau und
Naturschutz (HDLGN) bestünden aus immissionsschutzrechtlicher Sicht gegen die
beabsichtigten Baumaßnahmen keine Einwände. Durch den Anbau mit der
geplanten Sauenhaltung im tief eingestreuten Außenklimastall werde die
Tierhaltung im gesamten Betrieb der Kläger wesentlich entspannt. Aufgrund des
vorhandenen großen Luftraums in dem Außenklimastall und der Art der
Tierhaltung mit reichlich Einstreu (8 bis 10 kg/GV und Tag) sei bei
ordnungsgemäßem Betrieb keine mechanische Entlüftung erforderlich.
Der Beigeladene zu 3) erteilte den Klägern unter dem 17. Dezember 2002 die
begehrte Baugenehmigung zum Umbau von landwirtschaftlichen
Betriebsgebäuden (Bl. 63 BA). Die Beigeladenen zu 1) und 2) legten mit Schreiben
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Betriebsgebäuden (Bl. 63 BA). Die Beigeladenen zu 1) und 2) legten mit Schreiben
ihres Bevollmächtigten vom 20. Februar 2003 (Bl. 70 BA) Widerspruch gegen die
klägerische Baugenehmigung ein. Zur Begründung verwiesen sie auf die von dem
genehmigten Betrieb ausgehenden Immissionen, die in erster Linie aus der
Umstellung von Milchvieh bzw. Rindern auf Zuchtsauen und Aufzuchtferkel
resultierten.
Das Regierungspräsidium Gießen hob die klägerische Baugenehmigung vom 17.
Dezember 2002 mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2004 (Bl. 178 BA)
insoweit auf, als der Neu- und Umbau eines Stallgebäudes genehmigt worden war.
Zur Begründung ist ausgeführt, das genehmigte Stallgebäude verstoße gegen
Bauplanungsrecht. Das streitbefangene Grundstück liege in einem Mischgebiet
nach § 6 BauNVO, wo landwirtschaftliche Betriebe nicht zulässig seien. Der
Bestandsschutz des klägerischen Betriebs lasse keine Erweiterungs- oder
Neubauten zu. Eine Befreiung zu Gunsten der Kläger komme nicht in Betracht, da
dadurch die Grundzüge der gemeindlichen Planung berührt würden. Im Übrigen sei
die Mischgebietsfestsetzung unabhängig von zusätzlichen Geruchsbelästigungen
durch die Schweinezucht auch nachbarschützend. Die Beigeladenen zu 1) und 2)
müssten vor einer schrittweisen Erweiterung des im Mischgebiet unzulässigen
Bauernhofs der Kläger geschützt werden.
Eine zunächst gegen den Beigeladenen zu 3) gerichtete Klage beim
Verwaltungsgericht Gießen (Az.: 1 E 2153/04) nahmen die Kläger später zurück.
Der gerichtliche Einstellungsbeschluss stammt vom 28. Dezember 2004.
Am 8. März 2005 haben die Kläger die vorliegende Klage erhoben. Zur
Begründung haben sie geltend gemacht, der Bebauungsplan Nr. 5 "Am Friedhof"
sei nichtig. Planerisch seien dem seit dem Jahre 1912 existierenden
landwirtschaftlichen Betrieb keine Erweiterungen und Anpassungen ermöglicht
worden. Die Umstellung auf Schweinemast sei mit einer Verringerung der
Großvieheinheiten und der Immissionen verbunden. Beeinträchtigungen der
Nachbarschaft könne durch weitere bauliche Maßnahmen entgegengetreten
werden. Unter Berufung auf eine Stellungnahme des Landesbetriebs
Landwirtschaft Hessen vom 21. Februar 2005 (Bl. 21 der Gerichtsakte - GA -)
machen die Kläger geltend, zukünftig gingen bei ordnungsgemäßem Stallbetrieb
von der Tierhaltung keine unzumutbaren Beeinträchtigungen für die Nachbarschaft
aus.
In dem Zivilrechtsstreit A. ./. E. beim Landgericht Marburg - 1 O 335/02 - ist der
Messbericht Nr. L 5271 des TÜV Süd (Industrie Service) vom 4. Juli 2004 über die
Geräuschbelastung bei der Schweinefütterung auf dem klägerischen Bauernhof
erstellt worden. Dabei ist ein Tages-Beurteilungspegel nach der TA Lärm von 44
dB(A) festgestellt worden.
In dem genannten Verfahren ist außerdem zu den Geruchsimmissionen das
Gutachten P 2599 des TÜV Hessen vom 26. August 2004 (Bl. 107 GA) erstellt
worden. Das Ergebnis ist, dass bei Geruchswahrnehmungshäufigkeiten von 19%
der Jahresstunden eine erhebliche Belästigung der Nachbarschaft und damit eine
schädliche Umwelteinwirkung verneint worden ist .
Die Kläger haben im ersten Rechtszug beantragt,
den Widerspruchsbescheid des beklagten Landes vom 30. März 2004
aufzuheben.
Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach seiner Ansicht weist der einschlägige Bebauungsplan keinen
Abwägungsfehler auf. Die streitbefangene Maßnahme stelle keine geringfügige
Erweiterung dar. Die Kläger hätten seit Inkrafttreten des Bebauungsplans im Jahre
1965 wissen müssen, dass die Weiterführung ihres landwirtschaftlichen Betriebes
im Mischgebiet nicht unbeschränkt möglich sei.
Die Beigeladenen zu 1) und 2) haben im ersten Rechtszug ebenfalls beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben sich auf die Ausführungen des angefochtenen Widerspruchsbescheides
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Sie haben sich auf die Ausführungen des angefochtenen Widerspruchsbescheides
bezogen. Die Kläger müssten sich entgegenhalten lassen, dass verschiedene
Baumaßnahmen und die Nutzungsänderung zur Schweinezucht ohne
Baugenehmigung durchgeführt worden seien. Bei der Betrachtung des
streitbefangenen Vorhabens sei nicht nur auf die Veränderung des Bauvolumens,
sondern die einschneidende Nutzungsänderung abzustellen.
Die Beigeladenen zu 3) und 4) haben im ersten Rechtszug keinen Antrag gestellt.
Das Verwaltungsgericht Gießen hat die Klage mit Urteil vom 10. Oktober 2005
abgewiesen. Zur Begründung hat es sich im Wesentlichen auf die Ausführungen
des Widerspruchsbescheids vom 30. März 2004 gestützt. Selbst wenn der
Bebauungsplan unwirksam sei, bleibe es nach § 34 Abs. 2 BauGB bei einem
Mischgebiet nach § 6 BauNVO. Das streitbefangene Stallgebäude sei danach nicht
allgemein zulässig.
Auf Antrag der Kläger hat der Senat mit Beschluss vom 29. März 2007 - 3 UZ
2976/05 - wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils
die Berufung zugelassen.
Im Berufungsverfahren vertiefen die Kläger ihre erstinstanzliche Begründung. Sie
stützen sich auf einen nichtstörenden aktiven Bestandsschutz für ihren Betrieb.
Für die Schweinezucht sei ein höherer Platzbedarf gegeben, dafür seien die
Emissionen geringer. Nachbarrechte der Beigeladenen zu 1) und 2) seien nicht
verletzt. Sie, die Kläger, seien gleichwohl zu einer Einhausung der Mistlagerstätte
mit abnehmbarem Dach bereit.
Die Kläger beantragen,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichts den
Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Gießen vom 30. März 2004
aufzuheben.
Das beklagte Land beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung stützt es sich auf sein erstinstanzliches Vorbringen.
Die Beigeladenen zu 1. und 2. beantragen ebenfalls,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladenen zu 3. und 4. stellen im Berufungsverfahren keinen Antrag.
Die Beigeladenen zu 1) und 2) verweisen darauf, das klägerische Vorhaben
widerspreche dem Bebauungsplan Nr. 5 "Am Friedhof" von 1965, der weiterhin
gültig sei. Den Klägern stehe kein Recht auf eine Befreiung zu. Die genehmigte
Nutzungsänderung führe nicht zu einer Verbesserung der Immissionssituation,
sondern zu einer erheblichen Verschlechterung.
Zu Beweiszwecken hat der Senat eine Ortsbesichtigung vorgenommen. Wegen
des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 9.
August 2007 Bezug genommen.
Der Senat hat die Widerspruchsakte des Beklagten, die einschlägige Bauakte des
Beigeladenen zu 3) und die Gerichtsakte VG Gießen 1 E 2153/04 beigezogen.
Diese Unterlagen sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und
Beratung gemacht worden. Auf ihren Inhalt wird ebenso wie auf die gewechselten
Schriftsätze der Beteiligten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Auf die zulässige und begründete Berufung der Kläger sind das
verwaltungsgerichtliche Urteil und der Widerspruchsbescheid vom 30. März 2004
aufzuheben. Dies beruht darauf, dass auch die innerhalb der Jahresfrist erhobene
Anfechtungsklage der Kläger zulässig und begründet ist.
Das beklagte Land, vertreten durch das Regierungspräsidium Gießen, ist gemäß §
78 Abs. 2 VwGO der richtige Beklagte. Dies beruht darauf, dass der angefochtene
Widerspruchsbescheid, der die den Klägern erteilte Baugenehmigung vom 17.
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Widerspruchsbescheid, der die den Klägern erteilte Baugenehmigung vom 17.
Dezember 2002 für den Neu- und Umbau des Stallgebäudes D auf den
Widerspruch der Beigeladenen zu 1) und 2) aufgehoben hatte, erstmalig eine
Beschwer zu Lasten der Kläger enthält.
Gemäß § 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwGO bedarf es in diesem Fall keines
(zusätzlichen) Vorverfahrens.
Der Widerspruchsbescheid ist aufzuheben, da er rechtswidrig ist und die Kläger in
ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Bescheid ist zu Unrecht
von einem den Beigeladenen zu 1) und 2) zustehenden nachbarlichen
Abwehranspruch gegen die den Klägern erteilte Baugenehmigung für das
streitbefangene Stallgebäude ausgegangen.
Dabei kann die Gültigkeit des Bebauungsplans Nr. 5 "Am Friedhof" von 1965 offen
bleiben, weil es darauf für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht entscheidend
ankommt. Dasselbe gilt für die Frage der Anwendbarkeit des § 34 Abs. 1 oder Abs.
2 BauGB im Falle der Unwirksamkeit des Bebauungsplans, sowie dafür, ob den
Klägern bei Wirksamkeit des Bebauungsplans ein Recht auf Befreiung nach § 31
Abs. 2 BauGB zusteht, ob sie sich ansonsten auf einen unmittelbaren oder
aktiven, nicht störenden bzw. überwirkenden Bestandsschutz berufen können und
ob insoweit eine untergeordnete Erweiterung des klägerischen Altbestandes an
landwirtschaftlich genutzten Gebäuden vorliegt oder nicht.
Entscheidend ist, dass sich die Beigeladenen zu 1) und 2) bezogen auf die
streitbefangene Baugenehmigung für das klägerische Stallgebäude D nicht auf
eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften und daraus fließende zusätzliche
tatsächliche Beeinträchtigungen stützen können. Insbesondere steht den
Beigeladenen zu 1) und 2), sollte gemäß § 30 Abs. 1 oder § 34 Abs. 2 BauGB
i.V.m. § 6 BauNVO von der Lage der betroffenen Grundstücke in einem beplanten
oder unbeplanten Mischgebiet auszugehen sein, hier kein sog.
Gebietserhaltungsanspruch zu.
Grundsätzlich besteht diese Möglichkeit für Nachbarn auch ohne eigene konkrete
Betroffenheit (vgl. zum Folgenden Stüer, Handbuch des Bau- und
Fachplanungsrechts, 3. Auflage 2005, A Rdnr. 1495). Nachbarn können sich
dagegen wenden, dass Baugenehmigungen für Vorhaben erteilt werden, die zu
einem "Umkippen" des Gebietes führen (BVerwG, B. v. 02.02.2000 - 4 B 87.99 -,
NVwZ 2000, 679).
Im vorliegenden Fall ist das Plangebiet weitgehend baulich ausgenutzt. Der
streitbefangene Stallanbau D ist kein selbständiger neuer landwirtschaftlicher
Betrieb, sondern lediglich ein Erweiterungsbau anstelle eines teilweise offenen
Pultdachschuppens, in dem bereits bisher Rinder und Schweine gehalten worden
sind (vgl. Bl. 13 BA). Im Plangebiet gibt es keine weiteren landwirtschaftlichen
Betriebe, die in vergleichbarer Weise ergänzt werden könnten, wie auch die
Neuerrichtung eines landwirtschaftlichen Betriebs ausgeschlossen erscheint.
Mithin ist hier nicht davon auszugehen, dass die streitbefangene
Bestandsergänzung von so großem bodenrechtlichen Gewicht ist und solche
planerisch unerwünschten Folgewirkungen auslösen kann, dass ein "Umkippen"
des Gebietscharakters droht. Ein Gebietserhaltungsanspruch bzw., wie Stüer,
a.a.O., ihn nennt, ein Gebietswahrungsanspruch der Beigeladenen zu 1) und 2)
scheidet hier damit aus.
Auch sonst sind durch die bereits vorgenommene Errichtung und Nutzung des
genehmigten Stallgebäudes keine Nachbarrechte verletzt. Öffentlich-rechtlichen
Nachbarschutz vermittelt dabei § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG, wonach u.a.
immissionsschutzrechtlich nicht genehmigungsbedürftige Anlagen, wozu der
Stallbetrieb gehört, so zu errichten und zu betreiben sind, dass schädliche
Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik
vermeidbar sind und nach dem Stand der Technik unvermeidbare schädliche
Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß beschränkt werden müssen. Nachbarn
haben im Übrigen einen Abwehr- und Schutzanspruch bei einem Verstoß gegen
das Rücksichtnahmegebot bei Verschlechterung der Immissionslage. Führt ein
hinzukommendes Vorhaben zu keinen stärkeren Belästigungen, so ist es im
Grundsatz nachbarrechtlich unbedenklich (vgl. BVerwG, Ue. v. 22.06.1990 und
14.01.1993, Juris).
Hier ist zunächst die erhebliche Vorbelastung durch den ohne die streitbefangene
Baugenehmigung bestehenden landwirtschaftlichen Betrieb der Kläger in den Blick
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Baugenehmigung bestehenden landwirtschaftlichen Betrieb der Kläger in den Blick
zu nehmen, den die Beigeladenen zu 1) und 2) in der Vergangenheit nicht haben
ernsthaft in Frage stellen können. So hat sich der Beigeladene zu 2) als damaliger
Kläger gegenüber dem Kläger dieses Verfahrens in einem Vergleich vor dem
Landgericht Marburg vom 7. Juli 2000 - Az. 5 S 89/98 - (vgl. Bl. 88 in VG Gießen 1 E
2153/04) verpflichtet, nichts zu unternehmen, was die bisherige Ausübung und
Ausprägung des landwirtschaftlichen Betriebes beeinträchtigt, erschwert oder gar
verhindert.
Gleichwohl ist derzeit vor dem Landgericht Marburg – 1 O 335/02 – noch ein
Zivilrechtsstreit zwischen dem Beigeladenen zu 2) und dem Kläger dieses
Verfahrens anhängig. Über die Behauptung des Beigeladenen zu 2), die von dem
landwirtschaftlichen Betrieb ausgehenden Lärm- und Geruchsbelästigungen
beeinträchtigten ihn nicht nur unwesentlich, sind in dem Zivilprozess zwei
Gutachten eingeholt worden. Der Messbericht Nr. L 5271 über die
Geräuschbelastung bei der Schweinefütterung auf dem Bauernhof vom 4. Juni
2004 (Bl. 201 GA) hat aufgrund einer Messung am 13. Mai 2004 für die
morgendliche und abendliche Fütterung von sechs Muttersäuen mit Ferkeln, rund
90 Ferkeln mit einem Gewicht bis zu 10 kg, 29 tragenden Schweinen und 16
ungedeckten Schweinen bei geschlossenen Fenstern und Toren der Stallungen
einen Tages-Beurteilungspegel nach der TA Lärm von 44 dB(A) festgestellt. Die
maximale kurzzeitige Geräuschspitze lag bei einem Wert von 68 dB(A). Der
Messbericht kam zu dem Ergebnis, der Tages-Richtwert nach der TA Lärm für ein
Mischgebiet von 60 dB(A) durch die Schweinefütterung sei um 16 dB(A)
unterschritten.
Darüber hinaus hat der TÜV Hessen in dem genannten Zivilrechtsstreit das
Gutachten P 2599 zu den Geruchsimmissionen aus den Emissionen des
landwirtschaftlichen Betriebes vom 26. August 2004 (Bl. 107 GA) erstellt. Bei
Geruchswahrnehmungshäufigkeiten von 19 % der Jahresstunden sind eine
erhebliche Belästigung bzw. schädliche Umwelteinwirkung zu Lasten der
Beigeladenen zu 1) und 2) verneint worden.
In der Sache ist im Rahmen der erforderlichen Immissionsprognose, auch wenn
man die von den Beigeladenen zu 1) und 2) hinzunehmende Geräuschbelastung
bei der Schweinefütterung durch den Messbericht vom 4. Juli 2004 als zugunsten
der Kläger geklärt ansieht, für die Geruchsbeeinträchtigungen darauf hinzuweisen,
dass der bisherige und der maßgebliche geplante Tierbestand der Kläger und die
jeweilige Umrechnung in Großvieheinheiten (GV) nach Aktenlage zunächst nicht
völlig eindeutig ist. Es gibt dazu unterschiedliche Angaben, teilweise aus der Zeit
vor der Erteilung der Baugenehmigung vom 17. Dezember 2002, teilweise aus der
Zeit danach. So geht die Hauptabteilung Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz
des Landrats des Landkreises Marburg-Biedenkopf in ihrem Schreiben vom 7.
November 2002 an die Bauaufsichtsbehörde (Bl. 58 BA) für den Ist-Bestand bei 70
Schweinemastplätzen, 10 Kühen, 18 Stück Jungvieh, 4 Kälbern und 2 Pferden von
einem anrechenbaren genehmigten GV-Besatz von 14,04 aus, während die
Zielplanung bei 22 Abferkelbuchten, 43 leeren und tragenden Sauen sowie 160
Ferkeln einen GV-Besatz von 14,05 ergebe. In der Sache ist ausgeführt, durch den
Anbau mit der geplanten Sauenhaltung im tief eingestreuten Außenklimastall
werde die Tierhaltung im gesamten Betrieb wesentlich entspannt. Im Hinblick
darauf, dass ein besserer Stand der Technik in den vorhandenen Ställen und ein
geringerer Tierbesatz in den vorhandenen Stallabteilen erreicht werde, bestünden
aus immissionsschutzrechtlicher Sicht gegen die geplante Baumaßnahme keine
Einwände.
Wie bereits erwähnt, nennt der Messbericht vom 4. Juni 2004 die am Messtag
gezählten Schweine mit 6 Muttersäuen und Ferkeln sowie 90 Ferkeln mit einem
Gewicht von bis zu 10 kg, 29 tragende und 16 ungedeckte Schweine. Dies zeigt,
dass der tatsächliche Tierbestand schwankend ist. Das genannte TÜV-Gutachten P
2599 vom 26. August 2004 (Bl. 107, 112, 134 f. GA) geht hingegen von demselben
Tierbestand vor dem Umbau aus wie die Hauptabteilung Landwirtschaft in ihrem
Schreiben vom 7. November 2002 aus (70 Schweinemastplätze, 10 Kühe, 18
Stück Jungvieh, 4 Kälber und 2 Pferde). Ebenso werden beim Plan-Zustand 22
Abferkelbuchten, 43 leere und tragende Sauen und 160 Ferkel angesetzt.
Diese gewissen Unklarheiten über den Tierbestand können jedoch auf sich
beruhen, da als Grundlage der erteilten Baugenehmigung die im Bauantrag der
Kläger enthaltene Betriebsbeschreibung vom 8. August 2002 (Bl. 45 BA) mit der
Anlage zum Umfang der Tierhaltung vom 28. September 2002 (Bl. 54 BA)
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Anlage zum Umfang der Tierhaltung vom 28. September 2002 (Bl. 54 BA)
maßgeblich ist. Das von den Klägern beauftragte Ingenieurbüro S. kommt dort für
den Ist-Bestand bei 180 Aufzuchtferkeln bis 25 kg, 10 Jungsauen, einem Eber, 14
Zuchtsauen mit Ferkeln sowie 32 Zuchtsauen im Wartestall auf 237 Tiere und 22,1
GV. Als Zielbestand sind 200 Aufzuchtferkel bis 25 kg, 12 Jungsauen, 1 Eber, 18
Zuchtsauen mit Ferkeln und 35 Zuchtsauen im Wartestall, insgesamt 266 Tiere
mit 25,6 GV aufgeführt. Diese Berechnung weist einen um 3,5 höheren GV-Besatz
aus und lag der erteilten Baugenehmigung maßgeblich zugrunde. In dem
geplanten Ziel-Wert von 25,6 GV liegt kein ins Gewicht fallender Widerspruch zu
den Angaben in dem genannten Schreiben des Landrats des Landkreises
Marburg-Biedenkopf vom 7. November 2002, da dort der sog. "anrechenbare" GV-
Besatz ermittelt worden ist, der nach der VDI-Richtlinie 3471 "Emissionsminderung
Tierhaltung-Schweine" die um die Hälfte geringere Geruchsintensität von
Zuchtsauen gegenüber Mastschweinen berücksichtigt. Allerdings erhöht sich der
dort auf der Grundlage von 160 Ferkeln als geplant genannte anrechenbare GV-
Besatz von 14,05 bei von den Klägern angestrebten 200 Ferkeln um einen
geringen Wert, was aber nicht entscheidend ins Gewicht fällt, zumal der
Tierbestand ohnehin schwankt.
Im Hinblick darauf, dass es keinen linearen Zusammenhang zwischen GV-Besatz
und Geruchsbeeinträchtigungen zu Lasten der Nachbarschaft gibt, sind in die
Immissionsprognose auch die sonstigen Umstände einzubeziehen, die mit dem
Neubau des Stallgebäudes und den dadurch verbesserten Betriebsbedingungen
anstelle des früheren, teilweise offenen Pultdachschuppens verbunden sind. Der
Senat geht dazu in der Sache insbesondere von dem Schreiben des
Landesbetriebs Landwirtschaft Hessen vom 21. Februar 2005 (Bl. 21 GA) aus,
wonach bei ordnungsgemäßem Stallbetrieb von der zukünftigen Tierhaltung in
dem Außenklimastall mit tiefer Einstreu keine unzumutbaren Beeinträchtigungen
für die Nachbarschaft ausgehen. Dies beruht darauf, dass angesichts der
erheblichen Geruchsvorbelastung für die Beigeladenen zu 1) und 2), auf deren
Grundstück 1933 das Wohnhaus und 1991 ihr Wohnhausanbau mit Terrasse und
Balkon nachträglich und freiwillig bis auf etwa 8 m an die früheren
landwirtschaftlichen Betriebsgebäude der Kläger herangerückt sind, die Errichtung
und Nutzung des streitbefangenen Gebäudes D keine gegen § 22 Abs. 1 BImSchG
oder das Rücksichtnahmegebot verstoßenden zusätzlichen schädlichen
Umwelteinwirkungen und damit keine Nachbarrechtsverletzung mit sich bringt.
Insoweit machen die Beigeladenen zu 1) und 2) selbst geltend, dass die für sie
maßgeblichen Geruchsbeeinträchtigungen vor allem durch die offene Dungmiste
auf dem Betriebshof der Kläger und die Öffnung der Stallfenster in den beiden
Stallgebäuden C ausgehen. Diese Umstände sind jedoch nicht Streitgegenstand
dieses Verfahrens und werden von der Nutzung des allein streitbefangenen
Stallgebäudes D nicht entscheidend beeinflusst.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1 und 3, 159 Satz 2 und 162
Abs. 3 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO
i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO entsprechend.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO
liegen nicht vor.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.