Urteil des HessVGH vom 05.10.1989

VGH Kassel: verfügung, sanierung, aufschiebende wirkung, gemeinde, stillegung, firma, ableitung, deponie, bauschutt, fernhaltung

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
3. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 TH 1774/89
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 80 Abs 2 Nr 4 VwGO, § 18
Abf/AltLastG HE, § 16 Abs 2
Abf/AltLastG HE, § 16 Abs 3
Abf/AltLastG HE, § 20 Abs 1
Abf/AltLastG HE
(Altlastsanierung: Heranziehung des Rechtsnachfolgers)
Tatbestand
Der Regierungspräsident in G gab der Antragstellerin zur Vorbereitung der
Sanierung der Schlackenhalde auf dem ehemaligen Hochofengelände in D.-O. in
der Gemarkung N, Flur ..., Flurstücke ..., ... bis ..., ..., ..., ..., ..., ... und Flur ...,
Flurstücke ... und ... unter Fristsetzung sofort vollziehbar auf, baureife
Planunterlagen über verschiedene, im einzelnen näher beschriebene Maßnahmen
vorzulegen, wie die Fernhaltung und Ableitung von Niederschlagswasser, die
Profilierung der Haldenböschung und der Deponieoberfläche, die Abdeckung und
Begrünung der Halde und die Erstellung einer leistungsfähigen Drainage zur
Ableitung des Sickerwassers. Weiterhin sollen der Untergrund der Halde im Bereich
des Böschungsfußes sondiert und drei Beobachtungsbrunnen niedergebracht und
regelmäßig beprobt werden. Die Kosten der zugleich angedrohten Ersatzvornahme
bezifferte der Regierungspräsident vorläufig auf 170.000,-- DM. Die
Inanspruchnahme der Antragstellerin erfolgte als Rechtsnachfolgerin der Firma H
... AG, die den Hochofen auf dem Gelände bis 1968 betrieben und der früheren
Gemeinde O aufgrund eines Gestattungsvertrags vom 15.07.1964 die Ablagerung
von Hausmüll auf dem Deponiegelände bis zum Dezember 1971 ermöglicht hatte.
Die genannte Firma wurde im Jahre 1977 aktienrechtlich umgewandelt und ging in
der Antragstellerin auf.
Über den Widerspruch der Antragstellerin gegen die Verfügung vom 11.08.1988 ist
noch nicht entschieden worden.
Vorausgegangen war eine entsprechende abfallrechtliche Verfügung vom
01.04.1987 an den L-Kreis. Insoweit hatte das Verwaltungsgericht Gießen mit
rechtskräftigem Beschluß vom 20.10.1987 die aufschiebende Wirkung des
Widerspruchs des Kreises wiederhergestellt.
Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht Gießen dem am 13.09.1988
gestellten Eilantrag der Antragstellerin mit Beschluß vom 03.04.1989 ebenfalls
stattgegeben. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht Gießen ausgeführt, die
Antragstellerin sei die falsche Adressatin für die angefochtene Verfügung. Ihre
Rechtsvorgängerin sei lediglich bis zur Stillegung des Hochofens im Jahre 1968
Inhaberin der Deponieanlage gewesen, nicht aber im Zeitpunkt der Stillegung nach
dem 21.10.1971. Nach 1968 sei die Anlage als Hausmülldeponie der früheren
Gemeinde O betrieben worden.
Der Antragsgegner hat gegen den verwaltungsgerichtlichen Beschluß vom
03.04.1989 am 14.04.1989 mit der Begründung Beschwerde eingelegt, die
Antragstellerin sei zu Recht als Rechtsnachfolgerin der früheren Inhaberin der
Deponieanlage in Anspruch genommen worden. Die festgestellte Cyanidbelastung
des Sickerwassers, die zwei Trinkwasserbrunnen in etwa 1,3 bis 1,5 km Entfernung
kontaminiert habe, sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf die
Gießereiabfälle zurückzuführen. Hingegen sei es nach den polizeirechtlichen
Grundsätzen der Störerauswahl nicht sachgerecht, die weitere Sicherung bzw. die
Rekultivierung und Sanierung der Anlage nicht der Rechtsnachfolgerin der
Verursacherin der zu beseitigenden Gefährdung aufzuerlegen, sondern etwa der
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Verursacherin der zu beseitigenden Gefährdung aufzuerlegen, sondern etwa der
Beigeladenen als Rechtsnachfolgerin der früheren Gemeinde O oder gar der mit
einer bestandskräftigen Duldungsverfügung vom 12.08.1988 belegten Baufirma
als jetziger Grundstückseigentümerin. Die Störerauswahl sei auch nach den
nunmehr anzuwendenden §§ 16 HAbfAG gerechtfertigt.
Soweit die beigeladene Gemeinde zunächst ebenfalls Beschwerde gegen den
erstinstanzlichen Beschluß eingelegt und diese später zurückgenommen hat, ist
das Verfahren abgetrennt und unter dem Aktenzeichen -- 3 TH 2118/89 -- mit
Beschluß des Senats vom 14.07.1989 eingestellt worden.
Dem Senat liegt die Gerichtsakte des Verwaltungsgerichts Gießen I/1 H 619/87
vor, ebenso 4 Hefter und ein gehefteter Vorgang einschlägiger Behördenakten des
Antragsgegners. Diese Unterlagen sind Gegenstand der Beratung gewesen. Auf
ihren Inhalt wird ebenso wie auf den übrigen Akteninhalt ergänzend Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet.
Die angefochtene Verfügung vom 11.08.1988 ist offensichtlich rechtmäßig (§§ 20
Abs. 1, 21 Abs. 1 Nr. 2 HAbfAG i.d.F. vom 10.07.1989 -- GVBl. I 198 --) und ihr
Vollzug eilbedürftig (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO). Im Zeitpunkt des Erlasses der
Verfügung war der Regierungspräsident in D gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 HAbfG
1985 für die abfallrechtliche Anordnung zuständig, nunmehr nach § 26 Abs. 1
HAbfAG. Eine Zuständigkeit der Bergbehörden nach § 19 Abs. 3 Satz 1 HAbfG
1985 bzw. § 26 Abs. 2 Satz 1 HAbfAG war und ist nicht gegeben, da die
betreffenden Abfälle nicht unter Tage oder in Verbindung mit einem der
Bergaufsicht unterliegenden Betrieb entsorgt werden sollen. Auch sonst ist der
sachliche und räumliche Geltungsbereich des Bundesberggesetzes nicht betroffen,
da die Ablagerung der Abfälle des Hochofenbetriebes nicht sonstige Massen im
Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 BBergG betrifft, die im unmittelbaren betrieblichen
Zusammenhang mit dem Aufsuchen, Gewinnen oder Aufbereiten von bergfreien
und grundeigenen Bodenschätzen in dem betreffenden Bereich standen.
Für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung kommt es
abweichend von dem für Anfechtungsklagen geltenden Grundsatz, daß die Sach-
und Rechtslage zur Zeit der letzten Behördenentscheidung maßgebend ist, hier
auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung im Beschwerdeverfahren an, da
ein noch nicht vollzogener Verwaltungsakt im Streit steht (vgl. Hess. VGH, Urteil
vom 30.03.1987 -- 9 UE 114/86 -- NVwZ 1987, 815 = UPR 1987, 357 und Beschluß
vom 31.08.1989 -- 5 TH 1498/88 -- m.w.N.). Bei dem verfügten Gebot zur
regelmäßigen Beprobung der Beobachtungsbrunnen handelt es sich im übrigen
um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, was insoweit zusätzlich dafür spricht,
die Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung als maßgeblich
anzusehen.
Im vorliegenden Fall ist das in der Fassung vom 10.07.1989 (GVBl. I 198)
bekanntgemachte Hessische Abfallwirtschafts- und Altlastengesetz (HAbfAG) zu
beachten, das in einem Zweiten Teil in den §§ 16 bis 25 Vorschriften über die
Sanierung von Altlasten enthält. Die vom Antragsgegner in der Verfügung vom
11.08.1988 herangezogene Bestimmung des § 17 HAbfG 1985 ist stattdessen
gestrichen worden. Soweit sich der Antragsgegner nunmehr in einer an die
Antragstellerin gerichteten ergänzenden Verfügung vom September 1989 (Bl. 130
bis 132 der Gerichtsakte -- GA --) auf die §§ 16 ff. HAbfAG stützt und dies im
einzelnen näher ausführt, liegt darin ein vor Erlaß des hier noch fehlenden
Widerspruchsbescheids zulässiges Nachschieben von Gründen gemäß § 45 Abs. 1
Nr. 2 HVwVfG.
Bedenken gegen die Gültigkeit des neuen hessischen Gesetzes bestehen nach
Ansicht des Senats nicht (vgl. auch Hess. VGH, Beschluß vom 31.08.1989 -- 5 TH
1498/88 --). Der hessische Gesetzgeber war nicht durch Art. 72 Abs. 1, 74 Nr. 24
GG wegen konkurrierenden Bundesrechts am Erlaß der neuen
Gesetzesbestimmungen gehindert, da die §§ 10 Abs. 2 und 11 AbfG das
Altlastenproblem nicht abschließend regeln (vgl. BT-Dr. 10/2885, S. 16).
Die §§ 10 Abs. 2 und 11 AbfG, die § 20 Abs. 3 HAbfAG unberührt läßt, kommen
hier nicht zur Anwendung. So scheidet die Rekultivierungs- und
Gefahrverhütungsvorschrift des § 10 Abs. 2 AbfG schon deshalb aus, weil sie nur
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Gefahrverhütungsvorschrift des § 10 Abs. 2 AbfG schon deshalb aus, weil sie nur
eine Verpflichtung des Inhabers der Abfallentsorgungsanlage zuläßt, die
Antragstellerin selbst aber nicht Inhaberin der inzwischen stillgelegten Deponie war
und ist.
Die Überwachungsvorschrift des § 11 Abs. 4 Satz 5 AbfG kommt hier ebenfalls
nicht vorrangig zum Zuge. Dies beruht darauf, daß sich die Norm ihrem Wortlaut
nach nur auf Betreiber von Abfallentsorgungsanlagen bezieht, eine ausdrückliche
Erstreckung auf Rechtsnachfolger aber fehlt. Selbst wenn insbesondere in Fällen
der Gesamtrechtsnachfolge, wie hier bei der gesellschaftsrechtlichen Umwandung
der früheren Betreiberin der Deponieanlage, der Firma H AG, in die Antragstellerin,
eine Rechtsnachfolge in die Verhaltensverantwortlichkeit zulässig ist (vgl. OVG
Münster, Urteil vom 29.03.1984 -- 12 A 2194/82 -- = UPR 1984, 279, 280 m.w.N.;
Kunig/Schwermer/Versteyl -- KSV -- AbfG, Komm., 1988, Anh. § 10 Rdnr. 39), liegt
darin eine Zumessung der Störereigenschaft für den Rechtsnachfolger aufgrund
allgemeiner Rechtsgrundsätze des Landespolizeirechts. Diese kommt nach
Ansicht des Senats dann nicht zum Tragen, wenn, wie hier, mit der speziellen
landesrechtlichen Regelung des § 21 Abs. 1 Nr. 2 HAbfAG eine ausdrückliche
Regelung für die Pflichtenstellung des Rechtsnachfolgers des Ablagerers bzw. des
Abfallerzeugers bei altlastenverdächtigen Altablagerungen im Sinne des § 16 Abs.
2 Nr. 1 HAbfAG vorhanden ist.
Die Antragstellerin ist als Rechtsnachfolgerin der in ihr aufgegangenen H AG, der
früheren Ablagerin und Abfallerzeugerin der wassergefährdenden
Roheisenschlacke bis zur Stillegung des Hochofens im Jahre 1968, gemäß den §§
20 Abs. 1 und 21 Abs. 1 Nr. 2 HAbfAG zur Erfüllung der verlangten Sanierungs-
und der mit ihnen verbundenen Überwachungsmaßnahmen verpflichtet. In seiner
ergänzenden Verfügung vom September 1989 hat der Antragsgegner als
zuständige Behörde zutreffend eine Altlast nach den §§ 16 Abs. 2 und 3, 18 Satz 1
HAbfAG festgestellt. Es handelt sich um eine stillgelegte Abfallentsorgungsanlage,
auf der Abfälle abgelagert worden sind, und damit um eine Altablagerung als
altlastenverdächtige Fläche im Sinne des § 16 Abs. 2 Nr. 1 HAbfAG. Die Stillegung
ist Anfang der 80-er Jahre durch die jetzige Grundstückseigentümerin erfolgt, die
zuletzt Bauschutt und Erdaushub dorthin verbracht hatte. Zuvor war die zunächst
reine Schlackendeponie in den 60-er Jahren bis zur Stillegung des
Hochofenbetriebs im Jahre 1968 gemischt als Schlackenhalde und als
Hausmülldeponie für die frühere Gemeinde O genutzt worden. Im Anschluß an das
Auslaufen des Hochofenbetriebs nahm die Anlage bis Ende Dezember 1971 noch
den gemeindlichen Hausmüll auf (vgl. Schreiben der Beigeladenen an den L-Kreis
vom 19.09.1983 -- Bl. 27 GA --). Die einstweilige Stillegung der streitbefangenen
Deponie im Dezember 1971 war dann durch die Wiedereröffnung Ende der 70-er
Jahre durch die Ablagerung von Bauschutt und Erdaushub durch die jetzige
Grundstückseigentümerin unterbrochen worden, ehe diese die Ablagerungen
Anfang der 80-er Jahre endgültig einstellte.
Von der inzwischen behördlich festgestellten Altlast gehen wesentliche
Beeinträchtigungen des Wohls der Allgemeinheit aus (§ 16 Abs. 3 HAbfG). Nach
der übereinstimmenden Beurteilung vorab hinzugezogener fachkundiger Behörden
wie des Hessischen Landesamtes für Bodenforschung, der Hessischen
Landesanstalt für Umwelt und des Wasserwirtschaftsamtes D ebenso wie nach
dem in sich widerspruchsfreien und plausiblen Untersuchungs- und
Sanierungskonzept des eingeschalteten Grundbauinstituts gehen insbesondere
von der Schlackenhalde wesentliche schädliche Umwelteinwirkungen aus. So
liegen die im Sickerwasser am Haldenfuß seit 1975 mehrfach gemessenen Cyanid-
Werte mit rund 20 mg/l weit über dem Grenzwert von 0,5 mg/1, wie er in der
Verordnung über Trinkwasser und über Wasser für Lebensmittelbetriebe
(Trinkwasserverordnung) vom 22.05.1986 (BGBl. I 760) festgelegt ist. Zwar wird
dieser Grenzwert nach den bisher festgestellten Meßergebnissen in den beiden
etwa 1,3 und 1,5 km entfernten Trinkwasserbrunnen noch nicht überschritten,
diese sind aber, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist, bereits kontaminiert.
Berücksichtigt man, daß das gesundheitsschädliche Cyanid die zwischen der Halde
und den Trinkwasserbrunnen liegende geologische Barriere bereits teilweise
überwunden hat und für die Zukunft mit einer weitergehenden Durchlässigkeit zu
rechnen ist, besteht hinreichender Anlaß zur Überwachung und Vermeidung dieser
schädlichen Umwelteinwirkungen. Die der Altlastensanierung vorausgehende
Altlastenfeststellung ist danach zu Recht erfolgt.
Die Feststellung der Altlast wird in ihrer rechtlichen Wirksamkeit auch nicht davon
berührt, daß es hier keine vorausgehende Empfehlung einer
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berührt, daß es hier keine vorausgehende Empfehlung einer
Bewertungskommission gab (§ 18 Satz 2 HAbfAG). Dies beruht darauf, daß es eine
solche Bewertungskommission, deren nähere Einzelheiten der für die
Altlastensanierung zuständige Minister gemäß § 18 Satz 3 HAbfAG durch
Rechtsverordnung zu regeln hat, bisher ebensowenig wie eine diesbezügliche
Rechtsverordnung gibt. Die Tatsache, daß es sich bei der Beachtung der
Kommissionsempfehlung um eine Soll-Vorschrift handelt, spricht dagegen, daß
das Bestehen einer Bewertungskommission und entsprechender Empfehlungen
nach dem Willen des Gesetzgebers eine zwingende Voraussetzung für die
Feststellung einer Altlast sein sollten. Auch sonst läßt sich der
Entstehungsgeschichte des Gesetzes und dem Sinn und Zweck der verschärften
Altlastenregelung nichts dafür entnehmen, daß der Gesetzgeber nach Aufhebung
der §§ 17 und 18 HAbfG 1985 eine rechtliche und zeitliche Lücke bei dem
drängenden Problem der Altlastensanierung hätte hinnehmen wollen.
Die vom Antragsgegner geforderten Maßnahmen zur Vorlage baureifer
Planunterlagen für die Fernhaltung und Ableitung von Niederschlagswasser, die
Profilierung der Haldenböschung und der Deponieoberfläche, die Abdeckung und
Begrünung der Halde und die Erstellung einer leistungsfähigen Dränage zur
Ableitung des Sickerwassers sowie die mit der damit eingeleiteten Sanierung
verbundenen Sondierungs-, Beobachtungs- und Beprobungsgebote sind aufgrund
von § 20 Abs. 1 Satz 1 HAbfAG gerechtfertigt. Danach legt die zuständige Behörde
den Sanierungsumfang der festgestellten Altlast fest und trifft die zur
Durchführung der Sanierung erforderlichen Maßnahmen und Anordnung und
überwacht sie. Nach übereinstimmender Beurteilung der verschiedenen
fachkundigen Behörden und der dargelegten schädlichen Umwelteinwirkungen sind
die verlangten Maßnahmen sämtlich erforderlich und geeignet, eine wirksame
Sanierung der Haldendeponie voranzutreiben. Dabei beziehen sich die verlangten
Maßnahmen zu Recht auf die gesamte im wesentlichen aus Schlacke und Müll
bestehende Haldenanlage. Es ist nicht gerechtfertigt, die Durchführung
bestimmter Maßnahmen wie die Fernhaltung von Niederschlagswasser oder die
Abdeckung der Halde davon abhängig zu machen, ob in einem bestimmten
Bereich vermeintlich überwiegend Müll und weniger Schlacke abgelagert worden ist
oder nicht. Immerhin sind über mehrere Jahre hinweg Hausmüll und
Industrieabfälle gleichzeitig abgelagert worden, ohne daß über eine gesicherte
Trennung nach der Herkunft der Abfälle etwas bekanntgeworden wäre. Insgesamt
ist die entstandene Haldenanlage aus Hausmüll, Erdaushub, Bauschutt und
Abfällen aus der Roheisenproduktion als einheitliche Anlage anzusehen, die wegen
der von ihr ausgehenden Gefährdungen einheitlich zu überwachen und zu sanieren
ist.
Die gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 HAbfAG nach pflichtgemäßen Ermessen
vorzunehmende Auswahl bei der Heranziehung von Sanierungsverantwortlichen ist
nicht zu beanstanden. Die Antragstellerin ist als Rechtsnachfolgerin der Firma H
AG, die den trinkwassergefährdenden Roheisenabfall erzeugt und auf der
altlastenverdächtigen Fläche abgelagert hat, ermessensfehlerfrei zur verlangten
Vorbereitung der Sanierung herangezogen worden. Durch eine aktienrechtliche
Umwandlung ist der frühere Ablagerer und Abfallerzeuger im Wege der
Gesamtrechtsnachfolge in der Antragstellerin aufgegangen. Berücksichtigt man,
daß die gefährlichen cyanidhaltigen Sickergewässer ursächlich mit dem
Hochofenbetrieb und der Schlackenhalde verknüpft sind, steht die industrielle
Verursacherseite auch der Schadensbehebung näher. In diesem Zusammenhang
hat der Antragsgegner unwidersprochen vorgetragen, daß nachteilige Wirkungen
durch die Hausmüllablagerungen der früheren Gemeinde O bisher ebensowenig in
Erscheinung getreten seien wie Beeinträchtigungen aus dem von der jetzigen
Grundstückseigentümerin abgelagerten Bauschutt und Erdaushub. Im übrigen sei
der Anteil dieser Ablagerung im Vergleich zu den Gießereiabfällen verhältnismäßig
gering. Im Verhältnis zur jetzigen Grundstückseigentümerin entspricht es ohnehin
hergebrachten polizeilichen Grundsätzen, den Verhaltensverantwortlichen vor dem
Zustandsverantwortlichen in Anspruch zu nehmen (vgl. KSV, a.a.O. Anh. § 10 Rdnr.
40 m.w.N.), wobei auch der Gesamtrechtsnachfolger eines Verhaltensstörers der
Schadensbehebung näher steht als der Zustandsstörer.
Die Sanierungsverantwortlichkeit der Antragstellerin entfällt hier auch nicht im
Hinblick auf die Regelung des § 21 Abs. 2 HAbfAG. Abzustellen ist danach auf eine
mögliche Vertrauensposition des unmittelbaren Verursachers, hier der H AG.
Berücksichtigt man, daß eine Hochofenschlackendeponie regelmäßig lösliche
Salze enthält und diese in einer unabgesicherten Deponie auswaschungsanfällig
sind, liegen Grundwasserverschmutzungen nahe, wie sie in einem Schreiben des
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sind, liegen Grundwasserverschmutzungen nahe, wie sie in einem Schreiben des
Hochofenwerks O vom 02.10.1967 (Bl. 133 GA) im übrigen auch angesprochen
worden sind. Der Senat geht danach davon aus, daß die frühere Betreiberin der
Anlage nicht darauf vertraut hat oder darauf vertrauen konnte, daß toxische
Auswirkungen der Sickerwässer auf die Umwelt nicht hätten entstehen können. Im
übrigen wäre ein solches Vertrauen unter Berücksichtigung der Umstände des
Einzelfalles auch nicht als schutzwürdig anzusehen. Angesichts des im
Unternehmen der früheren Betreiberin vorhandenen wissenschaftlichen und
ingenieurmäßigen Sachverstands ist davon auszugehen, daß bei genügender und
gebotener Sorgfalt die von einer unabgesicherten Deponie ausgehenden
Umweltgefahren hätten rechtzeitig erkannt werden können, selbst wenn fahrlässig
darauf vertraut worden sein sollte, daß mit nachteiligen Auswirkungen auf die
Umwelt nicht zu rechnen sei.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO
begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Die festgestellten Gefährdungen
für die Trinkwasserversorgung verleihen den öffentlichen Interessen an ihrer
Vermeidung ein solches Gewicht, daß der rechtskräftige Abschluß eines möglichen
Hauptsacheverfahrens nicht abgewartet werden kann. Ohne zeitnahe und
wirksame Kontroll- und Sanierungsmaßnahmen droht eine verstärkte
Kontaminierung der Trinkwasserbrunnen mit einer entsprechenden
Verschlechterung oder gar dem Verlust ihrer Trinkwasserqualität, abgesehen
davon, daß eine ungenügende Behandlung der mit weiteren toxischen Stoffen wie
Arsen, Selen und Fluorid belasteten Sickergewässer auch im übrigen wasser- und
bodenwirtschaftliche Belange beeinträchtigt. Darüber hinaus ist zu
berücksichtigen, daß, worauf das Wasserwirtschaftsamt D in einem Aktenvermerk
vom 13.08.1985 hingewiesen hat, derzeit noch ein verhältnismäßig geringer
Sanierungsaufwand ausreichen kann, um schädliche Umwelteinwirkungen zu
vermeiden. Mithin ist der Sofortvollzug auch ein geeignetes Mittel, um die
wirtschaftlichen Kosten der Überprüfung und Sanierung nicht, ebensowenig wie die
Umweltschäden, mit zunehmenden Zeitablauf unnötig ansteigen zu lassen. Was
die finanzielle Seite der Altlastsanierung anbelangt, sei abschließend darauf
hingewiesen, daß im hessischen Landeshaushalt Sondermittel für diese Zwecke
eingestellt worden sind, die in den letzten Jahren nicht durchgängig ausgegeben
worden sein sollen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.