Urteil des HessVGH vom 31.07.1987

VGH Kassel: aufschiebende wirkung, gesamterneuerung, anteil, kanalisationsbeitrag, behandlung, abrechnung, gemeindehaushalt, beschränkung, einheit, ausdehnung

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
5. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 TH 1939/86
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 11 Abs 1 KAG HE, § 11
Abs 8 KAG HE
(Kanalisationsbeitrag für die Erneuerung eines
Ortsteilnetzes)
Gründe
Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Verwaltungsgericht dem Antrag des
Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die
Heranziehung zu einem Wasseranschlußbeitrag für die Erneuerung des
Wasserversorgungsnetzes im Ortsteil Schäferberg der Antragsgegnerin
anzuordnen, in vollem Umfang stattgegeben. Die hiergegen gerichtete
Beschwerde der Antragsgegnerin hat überwiegend Erfolg.
Offensichtlich rechtswidrig ist die Heranziehung nur insoweit, als dem Antragsteller
anteilige Mehrwertsteuer in Höhe von 149,00 DM in Rechnung gestellt worden ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 19. März
1982 - BVerwG 8 C 46.81 - , NVwZ 1982 S. 436 = KStZ 1982 S.153 = HSGZ 1982
S. 310), der sich der Senat anschließt, unterliegt der von einer Gemeinde
erhobene Wasseranschlußbeitrag nicht der Umsatzsteuer, da er kein Entgelt für
eine umsatzsteuerbare sonstige Leistung im Sinne des Umsatzsteuergesetzes
darstellt. In Höhe des auf anteilige Mehrwertsteuer entfallenden Teilbetrages der
angefochtenen Heranziehung ist daher die Anordnung der aufschiebenden
Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gerechtfertigt.
Von diesem Teilbetrag abgesehen bestehen jedoch an der Rechtmäßigkeit der
Heranziehung des Antragstellers keine ernstlichen Zweifel, die es nach der im
gerichtlichen Aussetzungsverfahren entsprechend anzuwendenden Vorschrift des
§ 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO rechtfertigen können, die Vollziehung des
Beitragsbescheides auszusetzen.
Das Verwaltungsgericht hat seine Zweifel damit begründet, daß mit der in den
Jahren 1983 bis 1985 durchgeführten Erneuerung des Wasserversorgungsnetzes
im Ortsteil Schäferberg nicht die Wasserversorgungseinrichtung der
Antragsgegnerin i n s g e s a m t erneuert worden sei, wie es der
Erneuerungstatbestand in § 11 Abs. 1 KAG voraussetze. Es handele sich vielmehr
um eine beitragsfreie Einzelmaßnahme. Zwar könne bei Vorliegen einer
Gesamterneuerungsplanung, die die Erneuerung des gesamten
Versorgungssystems im Gemeindegebiet zum Gegenstand habe, eine Erneuerung
gem. § 11 Abs. 8 KAG auch abschnittsweise durchgeführt und abgerechnet
werden. Die Erneuerung des Versorgungsnetzes im Ortsteil Schäferberg sei jedoch
in eine derartige Gesamtplanung nicht eingebettet gewesen.
Richtig ist an dieser Darstellung, daß das Versorgungsnetz im Ortsteil Schäferberg
nicht als solches eine E i n r i c h t u n g darstellt, auf die sich gem. § 11 Abs. 1
KAG Maßnahmen der Erweiterung oder Erneuerung beziehen können. Das in den
Jahren 1983 bis 1985 erneuerte Ortsteilnetz ist vielmehr Teil eines
Wasserversorgungssystems, welches sich als technische Einheit außerdem aus
dem Versorgungsnetz im benachbarten Ortsteil Mönchehof, dem südöstlich der B
7/83 gelegenen Hochbehälter Mönchehof und der hiervon ausgehenden
Hauptleitung D 150, an die wiederum die beiden Ortsteilnetze "angebunden" sind,
zusammensetzt. In der auf den Ortsteil Schäferberg beschränkten
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zusammensetzt. In der auf den Ortsteil Schäferberg beschränkten
Netzerneuerung kann bei Zugrundelegung dieses Systems in der Tat keine
"Gesamterneuerung" einer Einrichtung gesehen werden. Insoweit spielt auch keine
Rolle, daß die Versorgungsleitungen im Ortsteil Hohenkirchen und in der
Splittersiedlung "Auf der Heide", die ihr Wasser von einer Versorgungsanlage im
Gebiet der benachbarten Gemeinde Immenhausen beziehen, einem anderen
Versorgungssystem angehören.
Dem Verwaltungsgericht ist weiterhin darin zu folgen, daß die in den Jahren 1983
bis 1985 durchgeführten Erneuerungsarbeiten im Ortsteil Schäferberg auch nicht
als erster Abschnitt einer auf das gesamte Versorgungsnetz des zugehörigen
Versorgungssystems bezogenen (Gesamt-)Erneuerung nach § 11 Abs. 8 KAG
abgerechnet werden können. Die Behandlung jener Leitungsbaumaßnahme als
selbständig abrechnungsfähiger Abschnitt würde ihre erkennbare Einbettung in
eine von Anfang an bestehende Erneuerungsplanung für das gesamte
Versorgungsnetz voraussetzen. Dafür fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten.
Es mag sein, daß die Antragsgegnerin in absehbarer Zukunft auch das
Versorgungsnetz im Ortsteil Mönchehof erneuern wird. Dies wird dann jedoch -
mangels jetzt schon vorliegender konkreter Gesamtplanung - seinerseits ein
selbständiges Bauvorhaben sein, welches auf einer in sich abgeschlossenen
Planung beruht. Die Möglichkeit, durch nachträgliche Planung bereits
abgeschlossenen Leitungsbaumaßnahmen die Bedeutung einer nach § 11 Abs. 8
KAG abrechenbaren Teilbaumaßnahme zukommen zu lassen, hat der Senat
bereits in seinem Beschluß vom 29. Oktober 1984 - 5 TH 70/83 - (Peters, EzW/K I
B/5 Nr. 5.10) verneint. Es besteht kein Anlaß, diese Rechtsprechung zu ändern.
Aus der Tatsache, daß die streitige Leitungsbaumaßnahme weder als Erneuerung
einer Einrichtung gem. § 11 Abs. 1 KAG noch als der erste Abschnitt einer
abschnittsweise durchgeführten Gesamterneuerung gem. § 11 Abs. 8 KAG
abgerechnet werden kann, folgt nun aber entgegen der Auffassung des
Verwaltungsgerichts nicht die Beitragsfreiheit dieser Maßnahme. Die Erneuerung
von Teilen einer Wasserversorgungsanlage ist nicht nur in der Weise denkbar, daß
im Rahmen eines die gesamte Anlage erfassenden Bauprogramms funktionelle
Teile - wie Leitungsnetz und Hochbehälter - oder räumlich begrenzte Abschnitte
(zu letzterem vgl. Senatsurteil vom 19. Juni 1973 - V OE 35/72 -, Gemeindetag
1973 S.349) sukzessive erneuert werden. Einzelne funktionelle Teile oder
Abschnitte können vielmehr auch "isoliert", d.h. ohne Einbettung in ein die
gesamte Anlage erfassendes Bauprogramm, erneuert werden. Zwar schließt die
Beschränkung des Bauprogramms auf die Erneuerung solcher Anlagenteile nicht
zwangsläufig das Vorliegen einer "Gesamterneuerung" im Sinne des Beitragsrecht
aus. So hat es beispielsweise der Senat noch als Gesamterneuerung behandelt,
wenn lediglich das Leitungsnetz einer leitungsgebundenen Einrichtung und auch
dieses nur zu etwa 60 % des Gesamtbestandes erneuert wird (vgl. Beschluß vom
6. November 1986 - 5 TH 725/84 - , HSGZ 1987 S. 76 f.). Erreicht aber die
Erneuerungsmaßnahme qualitativ oder quantitativ nicht den für die Annahme
einer Gesamterneuerung erforderlichen Umfang - und davon ist gerade im
vorliegenden Fall auszugehen, wie oben bereits dargelegt wurde - , so kommt ihr
lediglich die Bedeutung einer isoliert durchgeführten Teilerneuerung zu. Fraglich
ist, ob § 11 KAG auch für solche Fälle der Teilerneuerung die Möglichkeit der
selbständigen Abrechnung und Beitragserhebung schafft. Dies aber ist nach
Auffassung des Senats jedenfalls dann zu bejahen, wenn - wie im vorliegenden Fall
- Gegenstand der Teilerneuerung das zusammenhängende und selbständig
funktionierende Versorgungsnetz eines siedlungsmäßig abgegrenzten Ortsteils der
Gemeinde ist.
Die Problematik der Beitragserhebung für isoliert durchgeführte Teilerneuerungen
läßt sich durch einen Blick auf die beitragsrechtliche Behandlung des
Teilstreckenausbaus von Straßen - ebenfalls "Einrichtungen" im Sinne des § 11
KAG - verdeutlichen. Der Senat geht in seiner Rechtsprechung zum
Straßenbeitragsrecht davon aus, daß Straßenbeiträge nach § 11 KAG auch dann
erhoben werden können, wenn die Straße nach dem zugrundeliegenden
Bauprogramm nicht in ihrer gesamten Länge, sondern nur auf einer Teilstrecke
um- oder ausgebaut wird (vgl. Senatsbeschluß vom 4. März 1986 - 5 TH 160/85 - ,
ZKF 1986 S. 207 f. = Gemeindehaushalt 1987 S. 20). Der Kreis der sodann zu
belastenden Grundstücke ist nach Maßgabe von Straßenabschnitten, die durch
Einmündungen oder Kreuzungen vorteilsgerecht begrenzt sind, zu bestimmen.
Deckt sich die um- oder ausgebaute Teilstrecke mit einem nach den Grundsätzen
der Abschnittsbildung gesondert abrechnungsfähigen Straßenabschnitt, so
beschränkt sich die Beitragspflicht auf die im Bereich der Teilstrecke
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beschränkt sich die Beitragspflicht auf die im Bereich der Teilstrecke
erschlossenen Grundstücke. Stimmt dagegen die um- oder ausgebaute
Straßenstrecke räumlich nicht mit einem abrechnungsfähigen Abschnitt überein,
so ist in der Regel auf die sie umschließende nächstgrößere abrechnungsfähige
Einheit zurückzugreifen. Dies kann - je nach räumlicher Ausdehnung der um- oder
ausgebauten Strecke - entweder ein einzelner Abschnitt oder eine Mehrheit
solcher Abschnitte oder auch die Straße in ihrer gesamten Länge sein (vgl.
Senatsbeschluß vom 4. März 1986, a.a.O.).
Eine Übertragung dieser für das Straßenbeitragsrecht entwickelten Grundsätze in
das Recht der Beitragserhebung für leitungsgebundene Einrichtungen ist nicht
ohne weiteres möglich, da bei diesen Einrichtungen das System als solches den
Gebrauchsvorteil vermittelt (vgl. Senatsurteil vom 4. Oktober 1979 - V DE 3/77 - ,
HSGZ 1980 S.348); dies aber schließt es grundsätzlich aus, bei der isolierten
Erneuerung einer Teilstrecke des Leitungsnetzes den Vorteil auf eben diese
Teilstrecke zu beziehen und sie gesondert abzurechnen. Eine Ausnahme muß
jedoch dann gelten, wenn Gegenstand der Teilerneuerung das
zusammenhängende Versorgungsnetz eines siedlungsmäßig abgegrenzten
Ortsteils der Gemeinde ist. Denn auf ein derartiges "Ortsteilnetz" läßt sich der
Vorteil einer Netzerneuerungsmaßnahme in aller Regel ebenso einschränkend
beziehen, wie der Vorteil einer Teilstreckenerneuerung bei Straßen auf den die
Teilstrecke umschließenden oder mit ihm identischen "Abschnitt" der Straße
bezogen werden kann. Ortsteilnetze, deren leitungsmäßige Verbindung im
Rahmen des gesamten Versorgungssystems nur darin besteht, daß sie an
verschiedenen Einspeisungsorten an die Hauptleitung des zugehörigen Systems
"angebunden" sind, die ihnen von der gemeindlichen Wassergewinnungs- und
Wasserspeicheranlage das Wasser zuführt, funktionieren unabhängig voneinander.
Für die Funktionsbereitschaft und Funktionstüchtigkeit des einzelnen Ortsteilnetzes
kommt es nicht darauf an, daß ein an anderer Stelle an die gemeinsame
Hauptleitung angeschlossenes Ortsteilnetz die gleiche Funktionsbereitschaft und
Funktionstüchtigkeit aufweist. Wenn dies aber so ist, so muß ein isoliert erneuertes
Ortsteilnetz auch als solches selbständig nach § 11 KAG abgerechnet werden
können.
Nur diese Lösung vermag auch im Ergebnis zu befriedigen. Daß sich eine
gemeindliche Wasserversorgungseinrichtung aus mehreren Versorgungsnetzen in
den verschiedenen Ortsteilen zusammensetzt, kommt nach Abschluß der
kommunalen Gebietsreform und der dadurch bewirkten Zusammenlegung früher
selbständiger Gemeinden relativ häufig vor. Nur selten sind aber die
verschiedenen Ortsteilnetze zum gleichen Zeitpunkt hergestellt worden. Das
bedeutet, daß ihre Erneuerungsbedürftigkeit zu jeweils unterschiedlichen
Zeitpunkten eintritt. Könnten die Gemeinden in solchen Fällen
Erneuerungsbeiträge nur für eine Gesamterneuerung - d.h. a l l e Ortsteilnetze
umfassende Erneuerung - erheben, so würde die Beschränkung der
Erneuerungsmaßnahme auf das jeweils erneuerungsbedürftige Ortsteilnetz in der
Regel die Beitragsfreiheit dieser Maßnahme zur Folge haben. Um dieses Ergebnis
zu vermeiden, müßten die Gemeinden versuchen, auch die derzeit noch gar nicht
erneuerungsbedürftigen a n d e r e n Ortsteilnetze in eine entsprechend
weiträumige Erneuerungsplanung mit sukzessiver Ausführung einzubeziehen.
Beitragsrechtlich wäre dies aber deshalb bedenklich, weil nach der Rechtsprechung
des Senats die Beitragserhebung für die Erneuerung leitungsgebundener
Einrichtungen in Abschnitten voraussetzt, daß die Erneuerungsmaßnahme in
einem überschaubaren Zeitraum zum Abschluß gebracht und nach einem e i n h e
i t l i c h e n Beitragssatz abgerechnet wird (vgl. Senatsurteil vom 14. März 1984 -
V OE 84/81 - , DVBl. 1984 S. 1129 ff. = HSGZ 1985 S. 29 ff. = Gemeindehaushalt
1985 S. 114 ff.). Die Möglichkeit der Abrechnung von Erneuerungsmaßnahmen, die
auf ein einzelnes zusammenhängendes Ortsteilnetz beschränkt sind, entspricht
von daher einem legitimen Bedürfnis der Gemeinden und muß als das Ergebnis
angesehen werden, welches den Intentionen des Gesetzgebers Rechnung trägt.
Sonstige Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitigen Beitragsfestsetzung
bestehen nicht. Nicht begründet ist insbesondere der im erstinstanzlichen
Verfahren erhobene Einwand des Antragstellers, die Erhebung von Beiträgen für
die streitige Leitungsbaumaßnahme nach Maßgabe des in § 2 Abs. 2 Satz 3 der
Wasserbeitrags- und -gebührensatzung der Antragsgegnerin vom 16. Mai 1984
(WEGS) vorgesehenen Beitragssatzes für Erneuerungsmaßnahmen führe zu
Einnahmen, die über den tatsächlichen Ausgaben der Antragsgegnerin lägen.
Nach den Angaben der Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 27. Januar 1986,
an deren Richtigkeit zu zweifeln kein Anlaß besteht, beliefen sich die Kosten für die
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an deren Richtigkeit zu zweifeln kein Anlaß besteht, beliefen sich die Kosten für die
Erneuerung des Wasserversorgungsnetzes im Ortsteil Schäferberg auf 252.927,96
DM und für die Erneuerung der Kanalisation auf 960.088,27 DM. Der sich daraus
ergebende Gesamtbetrag übersteigt das von dem Antragsteller unterstellte
Beitragsaufkommen von 413.000,00 DM für die beiden Leitungsbauvorhaben
deutlich. Eine Kostenüberdeckung läßt sich bei Zugrundelegung dieser Zahlen
auch dann nicht feststellen, wenn man nur auf die Ausgaben der Antragsgegnerin
für das Wasserversorgungsnetz (292.927,96 DM) abstellt und diese mit dem Anteil
der Wasserversorgung an dem von dem Antragsteller genannten
Gesamtaufkommen vergleicht; denn der Anteil der Wasserbeiträge am
Gesamtaufkommen ist wegen der hier erheblich niedrigeren Beitragssätze
zwangsläufig niedriger als der Anteil der Kanalbeiträge.
Da nach allem die Heranziehung des Antragstellers zu einem
Wasseranschlußbeitrag in Höhe von 2.128,50 DM keine ernstlichen rechtlichen
Bedenken auszulösen vermag, ist insoweit der Aussetzungsantrag abzulehnen
und der Beschwerde der Antragsgegnerin stattzugeben.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.
Daß der Antrag Erfolg hatte, soweit dem Antragsteller mit dem angefochtenen
Bescheid anteilige Mehrwertsteuer, in Höhe von 149,00 DM in Rechnung gestellt
worden ist, konnte unberücksichtigt bleiben, da dieser Betrag nur einen geringen
Teil der insgesamt streitigen Forderung der Antragsgegnerin ausmacht. Die
Streitwertentscheidung beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 GKG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.