Urteil des HessVGH vom 25.05.1987

VGH Kassel: gemeinde, fraktion, mitarbeit, volkszählung, informationspflicht, fragerecht, akteneinsichtsrecht, auflage, einberufung, vollmacht

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
2. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 TG 1355/87
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 50 Abs 2 S 4 GemO HE
(Kein Anfragerecht der Fraktionen gegenüber dem
Gemeindevorstand - hier: Anfrage zum Thema
"Volkszählung")
Gründe
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch
auf Erlaß der begehrten einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO.
Eine einstweilige Anordnung im Sinne des § 123 Abs. 1 VwGO kann grundsätzlich
auch im Kommunalverfassungsstreitverfahren erlassen werden. Auch ist die
Antragstellerin als Fraktion fähig, in einem solchen Verfahren nach § 61 Nr. 2
VwGO beteiligt zu sein (vgl. Kopp, VwGO, 7. Auflage, Rdnr. 16 zu § 61). Die
Antragstellerin ist auch antragsbefugt, da nicht von vornherein ausgeschlossen ist,
daß sie den geltend gemachten Anspruch gegenüber dem Antragsgegner hat.
Die beantragte einstweilige Anordnung kann jedoch nicht ergehen, weil der
Antragstellerin der geltend gemachte Anspruch tatsächlich nicht zusteht. Das in §
50 Abs. 2 Satz 4 HGO verankerte Fragerecht gegenüber dem Gemeindevorstand
steht nur jedem Gemeindevertreter (Stadtverordneten), nicht aber den Fraktionen
als organschaftlichen Zusammenschlüssen der Gemeindevertreter zu. § 50 Abs. 2
Satz 1 HGO regelt, daß die gesamte Gemeindevertretung die Verwaltung der
Gemeinde überwacht. Das Akteneinsichtsrecht ist jedoch nur einem Ausschuß
eingeräumt. Andererseits sieht § 50 Abs. 2 Satz 4 letzter Halbsatz HGO vor, daß
aufgrund eines Beschlusses der Gemeindevertretung auch den Vorsitzenden der
Fraktionen Ergebnisniederschriften der Sitzungen des Gemeindevorstandes zu
übersenden sind. Hieraus ergibt sich, daß jedenfalls die gesetzliche Regelung den
Fraktionen kein eigenes Recht einräumt, sonst hätte der Gesetzgeber das
ausdrücklich normiert. Die HGO läßt zwar inzwischen Fraktionsbildungen zu, vgl. §
36 a HGO. Allein hieraus kann jedoch nicht geschlossen werden, daß Fraktionen
die Rechte, die einzelnen Gemeindevertretern zustehen, ebenfalls beanspruchen
können. Vielmehr geht die HGO davon aus, daß die sich aus der Arbeit der
Gemeindevertretung ergebenden Rechte grundsätzlich entweder der
Gemeindevertretung als Ganzes oder dem einzelnen Gemeindevertreter zustehen
(vgl. z. B. § 56 Abs. 1 HGO, wonach ein Viertel der Gemeindevertreter die
Einberufung einer Versammlung beanspruchen kann, der Antrag hierzu jedoch von
jedem Gemeindevertreter eigenhändig zu unterzeichnen ist). Fraktionen sind nur
in genau bezeichneten Fällen - z.B. §§ 50 Abs. 2 Satz 4, 62 Abs. 2 und 4 HGO -
eigene Rechte eingeräumt.
Der Senat konnte den Antrag der Antragstellerin nicht als von allen
Gemeindevertretern der "GRÜNEN" gestellt behandeln. Sowohl in dem hier
streitigen wie auch in den gleichgelagerten Verfahren sind die Anträge immer
unter der ausdrücklichen Bezeichnung "Die Fraktion der Grünen I." gestellt worden.
Im vorliegenden Verfahren hat darüber hinaus die Fraktionsvorsitzende in dieser
Funktion die Vollmacht unterzeichnet. Versuche des Senats, auf eine
Antragsänderung hinzuwirken (vgl. hierzu BVerwGE 3, 30 ff., 33 f.) scheiterten, weil
die Beteiligten in der zur Verfügung stehenden Zeit telefonisch nicht erreicht
werden konnten.
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Der Senat sieht jedoch Veranlassung darauf hinzuweisen, daß der von der
Antragstellerin geltend gemachte Anspruch auf Beantwortung der Anfrage Nr. 47
dem einzelnen Stadtverordneten zusteht. § 50 Abs. 2 HGO weist zwar der
Gemeindevertretung insgesamt die Aufgabe zu, die Verwaltung der Gemeinde zu
überwachen. Daraus ist jedoch nicht zu schließen, daß über jede einzelne
Maßnahme der Überwachung ein Beschluß der Gemeindevertretung herbeigeführt
werden muß, was der Fall wäre, wenn nur die Gemeindevertretung insgesamt alle
Überwachungsmaßnahmen durchführen könnte. Zumindest das Fragerecht ist
jedem einzelnen Gemeindevertreter eingeräumt (Schlempp/Schlempp, HGO, § 50,
Anm. III). Es trägt mit dazu bei, eine sachgerechte Mitarbeit in der
Gemeindevertretung zu ermöglichen.
Eine Anfrage kann wohl auch nicht mit dem Hinweis auf die politische Haltung der
"GRÜNEN" zur Frage der Volkszählung verweigert werden. Die Informationspflicht
des Gemeindevorstandes gegenüber der Gemeindevertretung bzw. ihren
Mitgliedern (vgl. zur Informationspflicht Schneider/Jordan, HGO, Kommentar, Anm.
4 zu § 50) besteht unabhängig von der jeweiligen Auffassung des
Gemeindevertreters. Sollten sich die Mitglieder der Fraktion der "GRÜNEN"
tatsächlich, wie der Antragsgegner meint, rechtswidrig verhalten haben, so mag
dagegen mit den zulässigen gesetzlichen Mitteln vorgegangen werden. Den
Gemeindevertretern die Ausübung ihrer Aufgaben, wozu die Information über
Angelegenheiten der Gemeinde, die eine sachliche Mitarbeit in der
Gemeindevertretung selbst erst möglich macht, zählt, darf jedenfalls aus diesen
Gründen nicht gehindert werden. Der Senat vermag auch nicht zu erkennen, daß
die Anfrage rechtsmißbräuchlich wäre. Daß in politischen Auseinandersetzungen
Informationen zur Argumentation benutzt werden, kann einer Anfrage nicht die
Berechtigung nehmen, solange sie sich im Rahmen der sonstigen Erfordernisse,
wie Bezug zur gemeindlichen Verwaltung, hält. Schließlich erscheint der Verweis
auf § 4 HGO nicht sachgerecht, da auch die Erfüllung von Weisungsaufgaben in
gemeindlicher Verwaltung durchgeführt wird, wie gerade der Vollzug des
Volkszählungsgesetzes zeigt.
Da die Antragstellerin unterlegen ist, hat sie die Kosten des gesamten Verfahrens
zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 14 Abs. 1, 13 Abs. 1 Satz 2, 20 Abs. 3 GKG.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 2 GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.