Urteil des HessVGH vom 11.10.1995

VGH Kassel: sri lanka, politische verfolgung, amnesty international, staatliche verfolgung, regierung, anfang, inhaftierung, ausreise, asylbewerber, alter

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
12. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 UE 2018/95
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 16a Abs 1 GG, § 51 Abs
1 AuslG 1990, § 51 AuslG
1990
(Sri Lanka: inländische Fluchtalternative für Tamilen im
Raum um Colombo)
Tatbestand
Der 1968 in/Sri Lanka geborene Kläger ist srilankischer Staatsangehöriger
tamilischer Volkszugehörigkeit. Er reiste am 28. März 1993 in das Bundesgebiet
ein, nachdem er am 19. August 1992 aus Sri Lanka ausgereist war und sich
zwischenzeitlich in Wien aufgehalten hatte. Bei der Einreise verfügte er über eine
am 11. Februar 1985 in Jaffna ausgestellte "Identity card" mit Gültigkeit "bis auf
weiteres". Am 24. Mai 1993 beantragte er seine Anerkennung als Asylberechtigter
unter Vorlage eines Schriftsatzes seines Bevollmächtigten vom 29. März 1993. In
diesem ließ er ausführen, daß er im Norden Sri Lankas der Verfolgung durch
indische Soldaten ausgesetzt gewesen sei und in Colombo keine
Verfolgungssicherheit gefunden habe. Er sei in den Jahren 1984, 1987 und 1988
durch die indischen Soldaten verhaftet worden und im Jahr 1992 nach einer
Rekrutierung durch die LTTE nach Colombo zu Freunden gezogen, die dort seit
einigen Jahren lebten. Auch dort sei er verhaftet worden und zwei Tage inhaftiert
gewesen.
Bei der Anhörung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge (Bundesamt) am 24. Mai 1993 gab der Kläger zur Begründung seines
Asylantrages weiter an, daß er mit seiner Familie bis im Jahre 1993 in gelebt habe.
Dann seien sie nach Jaffna gezogen, wo er 1984, 1987 und 1988 durch die
indischen Soldaten verhaftet und nur durch Vermittlung seines Schulleiters
freigelassen worden sei. Im Jahr 1990 habe sich die Lage beruhigt, so daß er sechs
Monate lang die Fachhochschule in Jaffna besuchen konnte. Im Februar 1992 habe
er sich dann in Colombo aufgehalten und sei dort verhaftet worden, nachdem ein
Attentat auf den srilankischen Verteidigungsminister verübt worden sei. Seine
Freilassung nach einer Woche sei durch Beziehungen seines Onkels zu einem
srilankischen Offizier erreicht worden. Bei der Verhaftung im Jahre 1984 sei er
insgesamt drei Tage inhaftiert gewesen und täglich geschlagen worden. Damals
sei es so gewesen, daß alle verhaftet worden seien. Vor seiner Einreise in die
Bundesrepublik sei er in drei Ländern gewesen, davon zuletzt in Wien, wo er sich
immer in einem Zimmer aufgehalten habe. In Österreich habe er keinen
Asylantrag gestellt, da der Reiseleiter ihm gesagt habe, daß dieses Land keine
Asylanten aufnehme.
Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 24. Juni 1993 den Antrag auf
Asylanerkennung ab und stellte fest, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1
AuslG nicht vorliegen und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht
bestehen. Zur Begründung ist im wesentlichen ausgeführt, daß der Kläger keine
politische Verfolgung in Sri Lanka erlitten habe. Die von ihm geschilderten
Ereignisse basierten auf den dortigen Bürgerkriegswirren, die für sich keine
politische Verfolgung darstellten. Darüber hinaus seien keine individuell auf den
Kläger gezielten Maßnahmen erkennbar geworden; deshalb drohten auch bei einer
Rückkehr keine Verfolgungsmaßnahmen. Abschiebungshindernisse seien aus
diesen Gründen nicht ersichtlich.
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Gegen den am 1. Juli 1993 zugestellten Bescheid hat der Kläger am 9. Juli 1993
Klage erhoben und dazu ausgeführt, daß er aus Angst davor, von dem Bundesamt
als Separatist eingestuft zu werden, einen Teil der von ihm erlebten Ereignisse
verschwiegen habe. Er habe seinerzeit die in der Nähe des Karinagar- und des
Mathagal-Armeecamps versteckten Freunde und Verwandten, die zur LTTE
gehörten, mit Lebensmitteln versorgt und auch Hilfe für Angehörige der LTTE mit
Medizin geleistet. Dies sei durch die PLOT-Leute beobachtet worden, die ihn
deshalb festnehmen wollten. Abgesehen davon, daß es im Norden und Osten Sri
Lankas eine Gruppenverfolgung tamilischer Volkszugehöriger gebe und diesen im
Süden des Landes keine inländische Fluchtalternative zur Verfügung stehe,
komme eine solche für ihn schon wegen der zuvor geschilderten Ereignisse
ohnehin nicht in Betracht.
Aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24. April 1995 hat das
Verwaltungsgericht der Klage auf Asylanerkennung und Feststellung der
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG stattgegeben. Der Kläger sei im Zeitpunkt
der Ausreise aus Sri Lanka unmittelbar von politischer Verfolgung bedroht
gewesen, da Tamilen mindestens seit Mitte 1990 auf der Jaffna-Halbinsel und in
weiteren Teilen des Nordens und Ostens Sri Lankas einer Gruppenverfolgung
ausgesetzt seien. Ihm habe zu diesem Zeitpunkt auch keine inländische
Fluchtalternative offengestanden, da er in anderen Teilen Sri Lankas, insbesondere
im Großraum Colombo, nicht hinreichend sicher vor politischer Verfolgung
gewesen sei. Dabei sei davon auszugehen, daß der srilankische Staat im
Großraum Colombo wiederholt repressive oder präventive Maßnahmen einsetze,
die nicht ausschließlich der Abwehr des Terrorismus dienten, deren Opfer
männliche und weibliche Tamilen im rekrutierungsfähigen Alter seien. Diese
Feststellungen seien auch zum Entscheidungszeitpunkt zu treffen.
Die mit Beschluß des erkennenden Senats vom 22. Juni 1995 zugelassene
Berufung hat der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten nicht weiter
begründet. Er beantragt,
unter Abänderung des Urteils die Klage abzuweisen sowie festzustellen, daß die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nicht vorliegen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angegriffene Urteil und führt hierzu weiter aus, daß er bei der
Rückkehr in sein Heimatland mit Festnahme, längerfristiger Inhaftierung und Folter
durch srilankische Sicherheitskräfte im Raum Colombo deshalb rechnen müsse,
weil er von den Sicherheitskräften gerade wegen seines Geschlechts und Alters
der Unterstützung der LTTE auch ohne begründete Verdachtsmomente hin
beschuldigt zu werden drohe. Seitens der srilankischen Sicherheitskräfte werde
praktisch in allen aus dem srilankischen Norden stammenden Jaffna-Tamilen ein
generelles Sicherheitsrisiko gesehen. Darüber hinaus laufe er Gefahr, wegen
seiner tamilischen Volkszugehörigkeit Opfer extralegaler Übergriffe bis hin zur
außerrechtlichen Tötung durch die Kräfte staatlicher Organe bzw. durch Drittkräfte
der staatlichen srilankischen Sicherheitsorgane zu werden. Im Juni 1995 seien in
den von Tamilen im Süden und im Großraum von Colombo bevorzugt
aufgesuchten Gebieten 25 zu Tode gefolterter Körper junger Tamilen an
verschiedenen Orten aufgefunden worden. Die neue Regierungsadministration
könne offensichtlich eine Wiederholung solcher außerrechtlicher Tötungen nicht
verhindern. Weitere Todesopfer seien an einem See im Süden Sri Lankas
angeschwemmt worden. Dabei handele es sich möglicherweise um Opfer einer
unter Beteiligung ehemaliger Armeeangehöriger operierenden "Singhala Secret
Army". Auch in Colombo würden immer öfter am Stadtrand verwesende Leichen
gefolterter junger Tamilen gefunden. Außerdem laufe er Gefahr, daß ihm bei der
Einreise seine Identitätsdokumente abgenommen würden und er dann hilflos den
Schikanen und Übergriffen der Sicherheitskräfte in Colombo oder im Großraum
Colombo wegen seiner Volkszugehörigkeit ausgesetzt sei. Die willkürliche
Wegnahme oder Beschlagnahme von Identifikationsdokumenten führe häufig
dazu, daß im Falle einer Razzia mit einer sofortigen oder kurzfristen Freilassung
nicht gerechnet werden könne und der Betroffene damit Gefahr laufe, Opfer
längerfristiger Inhaftierung und damit einhergehender Folter zu werden. Aus dem
Ausland zurückkehrende tamilische Asylbewerber seien nicht in der Lage, eine
längeren Aufenthalt am Ort in örtlich bekannten Familien oder
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längeren Aufenthalt am Ort in örtlich bekannten Familien oder
Nachbarschaftsverhältnissen und gar ein Beschäftigungsverhältnis in Colombo
nachzuweisen. Da ihnen deshalb ein "sonst plausibler Aufenthaltsgrund" fehle, sei
es ihnen nicht möglich nachzuweisen, daß sie mit der LTTE tatsächlich nichts zu
tun haben. Schließlich sei er nach einer Rückkehr nicht in der Lage, sich im Süden
Sri Lankas, insbesondere im Großraum Colombo, eine irgendwie geartete,
bescheidene Existenzgrundlage aufzubauen. Er verfüge über keinerlei Bindungen
in den srilankischen Süden, spreche nicht singhalesisch und kenne sich in Colombo
nicht aus. Er sei deshalb orientierungslos und sehe sich im Falle einer
Rückschaffung in sein Heimatland einer Situation ausgesetzt, in welcher er
praktisch 24 Stunden am Tag Gefahr laufe, willkürlich verhaftet zu werden. Hierzu
hat der Kläger die Einholung von amtlichen Auskünften, Gutachten und
Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes, von Herrn Walter Keller- Kirchhoff, von
amnesty international und von Pax Christi und für den Fall der Ablehnung dieser
Anträge die Vernehmung des Gutachters Dr. Frank Wingler als Sachverständigen
zur mündlichen Erläuterung seiner Gutachten beantragt.
Die Beklagte hat zu der Berufung keine Stellungnahme abgegeben.
Der Kläger ist als Beteiligter über seine Asylgründe vernommen worden; insoweit
wird auf die Niederschrift über den Termin vor der Berichterstatterin am 24. Juli
1995 Bezug genommen. Auf Beschluß des erkennenden Senats vom 6.
September 1995 ist der Sachverständige Dr. Frank Wingler zur mündlichen
Erläuterung der Gutachten vom 4. Juni, 13. Juli und vom 9. August 1995 gehört
worden. Hinsichtlich des Ergebnisses dieser Anhörung wird auf die Niederschrift
über den Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung am 11. Oktober
1995 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die
Gerichtsakten und die Behördenakten der Beklagten (1 1 709 221-431) Bezug
genommen. Diese waren ebenso wie die nachfolgend aufgeführten, den
Beteiligten mit Schreiben der Berichterstatterin vom 4. September 1995 bekannt
gegebenen sowie in der mündlichen Verhandlung am 6. September 1995 und am
11. Oktober 1995 in das Verfahren eingeführten Erkenntnisgrundlagen
Gegenstand der mündlichen Verhandlung:
1. 23.06.1982
Hofmann an VG Wiesbaden
2. 12.07.1982
Südasien-Institut an VG Wiesbaden
3. 25.10.1982
Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden
4. 1983
VG Wiesbaden, IuD-Stelle: Politische
Chronologie der Demokratischen
Sozialistischen Republik Sri Lanka,
2. Aufl. 1983, und Sonderband,
Jan. - Dez. 1983
5. 30.12.1983
Hellmann-Rajanayagam an Bundesamt
6. Februar 1984
Internationale Juristen-Kommission
Genf: Ethnische Unruhen in Sri Lanka
1981 - 1983
7. 01.06.1984
amnesty-international: "Current
Human Rights Concerns and Evidence
of Extrajudicial Killings by the
Security Forces, July 1983 -
April 1984"
8. 03.07.1984
Auswärtiges Amt an Bundesamt
9. 29.08.1984
Bundesamt für Polizeiwesen in Bern:
Bericht über die Abklärungen in
Sri Lanka vom 11. bis 20. August 1984
10. 17.12.1984
Auswärtiges Amt an VG Trier
11. 08.01.1985
Auswärtiges Amt
12. Februar 1985
Parliamentary Human Rights Group:
Sri Lanka - A Nation Dividing
13. 01.10.1985
Auswärtiges Amt an Bundesminister
der Justiz
14. 03.01.1986
Hofmann an VG Neustadt
15. 16.02.1987
Auswärtiges Amt an VG Hamburg
16. 15.03.1987
Auswärtiges Amt: Lagebericht
17. 23.06.1987
Auswärtiges Amt: Lagebericht
18. 22.08.1987
Hofmann an VG Ansbach
19. 30.10.1987
Südasien Nr. 6-7/87: Friedens-
vertrag
20. 21.12.1987
Hofmann an VG Ansbach
21. 22.12.1987
Auswärtiges Amt an Bundesminister
der Justiz
22. 15.04.1988
Auswärtiges Amt: Lagebericht
23. 22.07.1988
Auswärtiges Amt an Hess. VGH
24. 09.08.1988
Hofmann an Hess. VGH
25. 11.08.1988
Hellmann-Rajanayagam an Hess.VGH
26. 10.02.1989
Keller vor Hess. VGH
27. 14.02.1989
Auswärtiges Amt an VG Ansbach
28. Mai 1989
amnesty international: Sri Lanka
- Anhaltende Menschenrechts-
verletzungen
29. 11.08.1989
Auswärtiges Amt: Lagebericht
30. 02.11.1989
Auswärtiges Amt: Lagebericht
31. 19.02.1990
Auswärtiges Amt: Lagebericht
32. 20.04.1990
Auswärtiges Amt an Bundesamt
33. Mai 1990
Keller: Sri Lanka - Informationen
für HilfswerksvertreterInnen
34. 28.05.1990
Auswärtiges Amt: Lagebericht
35. 04.07.1990
Auswärtiges Amt an VG Gelsenkirchen
36. 13.07.1990
Auswärtiges Amt: Lagebericht
37. 08.08.1990
Auswärtiges Amt an Hess. VGH
38. 29.08.1990
Auswärtiges Amt: Lagebericht
39. Okt. 1990
amnesty international, Keller:
Sri Lanka - Im Würgegriff der Gewalt
40. 29.11.1990
Auswärtiges Amt an VG Köln
41. 14.12.1990
Auswärtiges Amt an VG Ansbach
mit Berichtigung vom 27.12.1990
42. 14./21.12.1990 Keller vor Hess.VGH
43. 16.01.1991
Auswärtiges Amt: Lagebericht
44. 20.01.1991
Wingler an VG Köln
45. 23.01.1991
Keller-Kirchhoff an VG Köln
46. 25.01.1991
Keller-Kirchhoff an VG Ansbach
47. 12.04.1991
amnesty international an VG Ansbach
48. 23.06.1991
Wingler: Abschiebehindernisse
49. 25.06.1991
amnesty international: Die Men-
schenrechtssituation in Sri Lanka
50. Juli 1991
Hofmann: Zur Situation der Tamilen
in Sri Lanka
51. 30.08.1991
Auswärtiges Amt an VGH Baden-
Württemberg
52. 07.09.1991
Keller-Kirchhoff an VGH Baden-
Württemberg
53. Sept. 1991
amnesty international: Sri Lanka
- Der Nordosten
54. 05.11.1991
Keller-Kirchhoff an VG Gelsenkirchen
54. 05.11.1991
Keller-Kirchhoff an VG Gelsenkirchen
55. 06.11.1991
Auswärtiges Amt an VG Gelsenkirchen
56. 15.11.1991
Auswärtiges Amt: Lagebericht
57. 22.01.1992
Auswärtiges Amt an VG Gelsenkirchen
58. 30.01.1992
Auswärtiges Amt an Hess. VGH
59. 31.01.1992
UNHCR: De-facto-Flüchtlinge
aus Sri Lanka
60. 23.04.1992
Keller-Kirchhoff an Hess. VGH
61. 24.04.1992
amnesty international an VG Ansbach
62. 20.05.1992
Auswärtiges Amt an Hess. VGH
63. 23.06.1992
Auswärtiges Amt: Lagebericht
64. 31.08.1992
Auswärtiges Amt an Bay. VGH
65. Okt. 1992
Keller-Kirchhoff: Rückkehr in
Sicherheit und Würde?
66. 14.10.1992
Auswärtiges Amt: Lagebericht
67. 27.10.1992
Keller-Kirchhoff vor Bay. VGH
68. Dez. 1992
amnesty international: Einschätzung
der Menschenrechtssituation in Sri
Lanka
69. Jan. 1993
amnesty international: Bericht Sri
Lanka
70. 12.01.1993
Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden
71. Feb. 1993
amnesty international: Sri Lanka,
Die jüngsten Änderungen der Not-
standsverordnungen
72. März 1993
Wingler: Mitteilungen und Berichte zur
Verfolgungssituation in Sri Lanka
73. 04.03.1993
FAZ: Soldaten in Sri Lanka wegen
Massaker an Tamilen angeklagt
74. 05.05.1993
SZ: Polizei identifiziert Tamilen
als Attentäter
75. 08.05.1993
NZZ: Verdrängung der blutigen
Realität in Sri Lanka
76. Juni 1993
Wingler: Bericht Sri Lanka
77. 14.06.1993
Hellmann-Rajanayagam an VG Karlsruhe
78. 07.07.1993
Auswärtiges Amt an VG Karlsruhe
79. 08.07.1993
amnesty international an VG Karlsruhe
80. 21.07.1993
Auswärtiges Amt: Lagebericht
81. Sept. 1993
Keller-Kirchhoff an VG Karlsruhe
82. 20.09.1993
Pax Christi an VG Karlsruhe
83. 13.10.1993
Auswärtiges Amt an Bay. VGH
84. 14.10.1993
Auswärtiges Amt: Nachtrag zum Lage-
bericht
85. 03.01.1994
Auswärtiges Amt: Ergänzung zum Lage-
bericht
86. 20.01.1994
Keller-Kirchhoff an VG Gelsenkirchen
87. 03.03.1994
Auswärtiges Amt: Lagebericht
88. 03.03.1994
Auswärtiges Amt an VG Gelsenkirchen
89. 25.08.1994
Auswärtiges Amt: Lagebericht über
die asyl- und abschiebungsrelevante
Lage
90. 19.10.1994
Auswärtiges Amt an OVG Nordrhein-West-
falen
91. 01.02.1995
Auswärtiges Amt an VG Kassel
92. 14.02.1995
Auswärtiges Amt: Lagebericht
93. 20.02.1995
Keller-Kirchhoff an VG Kassel
94. 20.04.1995
FAZ: Tamilen-Rebellen beenden
Waffenruhe
95. 21.04.1995
FAZ: "Tamilen-Tiger" greifen Armee an
96. 22./23.04.1995 NZZ: Angriffe der srilankischen
Marine auf die Rebellen/Fünf Poli-
zisten getötet
97. 24.04.1995
SZ: Rebellen greifen Armee-Lager an
Mehr als 40 Tote in Sri Lanka
98. 29./30.04.1995 NZZ: Kritik an der Verunsicherung
von Tamilen
99. 03.05.1995
NZZ: Sri Lanka gleitet in den
Kriegszustand zurück
100. 08.05.1995
dpa: Tamilische Rebellen überfielen
Polizei-Kommando - 14 Tote
101. 15.05.1995
FR: Bei Gefechten 56 Rebellen und
Soldaten getötet
102. 18.05.1995
dpa: Über 20 Tamilen-Rebellen bei
Kämpfen in Sri Lanka getötet
103. 24.05.1995
FR: Colombo droht Tamilen neue
Offensive an.
104. 27./28.05.1995 FAZ: Tamilische Rebellen erobern
Armeestützpunkt
105. 04.06.1995
Wingler: Kein Friede für Sri Lanka,
Bericht zum Monat Mai 1995 sowie:
Informationsschriften zu Asylver-
fahren von Flüchtlingen aus Sri
Lanka, Mai 1995
106. 06.06.1995
SZ: Rotkreuz-Schiff läuft auf Mine
107. 14.06.1995
FAZ: "Ethnische Säuberungen" in
Sri Lanka
108. 29.06.1995
SZ: Schwere Kämpfe im Norden Sri
Lankas
109. 10.07.1995
TAZ: Offensive gegen tamilische
"Befreiungstiger"
110. 11.07.1995
NZZ: Grossoffensive der Armee im
Norden Sri Lankas
111. 12.07.1995
Auswärtiges Amt: Asylverfahren von
Staatsangehörigen aus Sri Lanka
hier: Aktuelle Lage
112. 13.07.1995
Wingler: Informationsschriften zu
Asylverfahren tamilischer Flücht-
linge aus Sri Lanka - Gutachten an
VG Frankfurt am Main
113. 17.07.1995
SZ: Die Tiger werden nicht müde
114. 29.07.1995
FAZ: Mehr als 100 Tamilen-Rebellen
in Kämpfen mit der Armee getötet
115. 01.08.1995
FR: Sri Lankas Armee setzt Kumara-
tunga zu.
116. 05.08.1995
dpa: Möglicherweise 50 Tote und
Verletzte bei Offensive gegen Tamilen
117. 09.08.1995
Wingler: "Leap Forward" - eine
Militäroperation mit physischer
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Militäroperation mit physischer
Vernichtung wehrloser tamilischer
Zivilbevölkerung im Norden Zur Lage
Sri Lanka, Juni/Juli 1995
118. 27.08.1995
AP: Tamilen überfallen Polizei-
stützpunkt im Osten Sri Lankas.
119. 28.08.1995
FAZ: 40 Tote bei Tamilen-Überfall
auf Polizeiposten in Sri Lanka
120. 30.08.1995
FR: Bei Kämpfen mit Rebellen min-
destens 39 Tote
121. 31.08.1995
FR: Rebellen entführen Fähre
122. 31.08.1995
HNA: Passagierschiff wird nach
Seegefecht vermißt
sowie
Auswärtiges Amt 05.09.1995; Ergänzung zum Lagebericht, Pressebericht NZZ
vom 02./03.09.1995, Bericht der SZ vom 05.09.1995, Bericht der SZ vom
12.09.1995, dpa vom 13.09.1995, dpa vom 13.09.1995, FAZ vom 15.09.1995, SZ
vom 22.09.1995, SZ vom 29.09.1995.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Bundesbeauftragten ist aufgrund der Zulassung durch den
Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufung bezieht sich nicht auf die
Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG und auf die
Abschiebungsandrohung, da der Berufungsantrag ausdrücklich auf die
Asylanerkennung und die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1
AuslG, über die allein das Verwaltungsgericht positiv entschieden hat, beschränkt
wurde.
Die Berufung des Bundesbeauftragten ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht
hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die Ablehnung des Asylbegehrens durch
das Bundesamt erweist sich nach der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung
gegebenen Sach- und Rechtslage (§ 77 AsylVfG) als rechtmäßig; denn danach
liegen die Voraussetzungen für eine Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter
gemäß Art. 16a GG (A.) und für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach §
51 Abs. 1 AuslG (B.) nicht vor. Über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen
nach § 53 AuslG hat das Gericht keine Entscheidung zu treffen (C.). Dies hat
Folgen für die zu treffenden Nebenentscheidungen (D.).
A.
Den das Asylrecht einschränkenden Regelungen des Art. 16a Abs. 2 bis 5 GG
kommt im vorliegenden Verfahren keine Bedeutung zu. Insbesondere ist dem
Kläger die Berufung auf das Asylgrundrecht nicht gemäß Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG
bereits deshalb verwehrt, weil er unter anderem über Österreich nach Deutschland
eingereist ist. Denn diese Vorschrift ist auf vor Inkrafttreten der
Grundgesetzänderung eingereiste Asylbewerber nicht anwendbar (BVerfG -
Kammer -, 13.10.1993 - 2 BvR 888/93 -; Hess. VGH, 21.03.1994 - 12 UE 2214/93 -
). Die Asylanerkennung ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger
bereits in einem sonstigen Drittstaat vor politischer Verfolgung sicher gewesen
wäre (§ 27 Abs. 1 AsylVfG). Er ist zwar nach seinen glaubhaften Angaben nicht nur
über Österreich und andere, im einzelnen unbekannt gebliebene Länder nach
Deutschland eingereist, sondern hat sich in Wien sogar mehrere Monate
aufgehalten. Aufgrund dessen allein ist jedoch nicht festzustellen, daß er dort im
Sinne des § 27 Abs. 1 AsylVfG vor politischer Verfolgung sicher war. Denn § 27
Abs. 1 AsylVfG findet - wie der zuvor geltende gleichlautende § 2 Abs. 1 AsylVfG
1991 - nur dann Anwendung, wenn die Flucht des politisch Verfolgten im Drittstaat
ihr Ende gefunden hat und deshalb kein Zusammenhang mehr besteht zwischen
dem Verlassen des Heimatlandes und der Einreise in die Bundesrepublik
Deutschland (BVerwG, 21.06.1988 - 9 C 12.88 -, BVerwGE 79, 347 = EZAR 205 Nr.
9). Asyl bedeutet Zuflucht als Abschluß eines Fluchtvorgangs. Dies war auch dem
Gesetzgeber, der im Rahmen des § 2 AsylVfG 1982 darauf abstellte, ob der
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Gesetzgeber, der im Rahmen des § 2 AsylVfG 1982 darauf abstellte, ob der
Asylbewerber bereits in einem anderen Staat Schutz vor Verfolgung gefunden
habe, bewußt. Denn er hat insoweit Zwischenaufenthalte für möglich gehalten, die
für die Asylanerkennung unschädlich seien (vgl. dazu m.w.N.: Kanein/Renner,
Ausländerrecht, 6. Aufl., 1993, § 27 AsylVfG Rdnr. 28). Die Beendigung der Flucht
ist nach objektiven Kriterien unter Berücksichtigung der nachvollziehbar
feststellbaren Absichten des Flüchtlings zu bestimmen (BVerwG, 21.06.1988 - 9 C
92.87 -, EZAR 202 Nr. 14). Benutzt der Flüchtling den Drittstaat erkennbar lediglich
zur Durchreise, ohne sich dort niederzulassen oder sonst auf einen Verbleib
einzurichten, ist die Flucht nicht beendet (Kanein/Renner, a.a.O., § 27 AsylVfG
Rdnr. 29). So liegt der Fall hier. Der Kläger beabsichtigte nach seinen Darlegungen
beim Bundesamt von vornherein, in Deutschland um Asyl nachzusuchen. Schon
die Art seines Aufenthaltes in Wien zeigt zudem, daß hier - möglicherweise
aufgrund von Problemen mit der "Weiterschleusung" - nur eine Zwischenstation
offenbar auch ohne jeglichen Aufenthaltsstatus eingelegt worden war. Von einer
Verfolgungssicherheit kann in einer solchen Situation keine Rede sein.
Asylrecht als politisch Verfolgter im Sinne des nach Wortlaut und Inhalt mit dem
früheren Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG übereinstimmenden Art. 16a Abs. 1 GG genießt,
wer bei einer Rückkehr in seine Heimat aus politischen Gründen
Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beeinträchtigungen
seiner persönlichen Freiheit zu erwarten hat (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80
u.a. -, a.a.O.). Eine Verfolgung ist in Anlehnung an den Flüchtlingsbegriff des Art. 1
Abschn. A Nr. 2 GK als politisch im Sinne von Art. 16a Abs. 1 GG anzusehen, wenn
sie auf die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten
sozialen Gruppe oder die politische Überzeugung des Betroffenen zielt (BVerfG,
01.07.1987 - 2 BvR 478/86 u.a. -, BVerfGE 76, 143 = EZAR 200 Nr. 20; BVerwG,
17.05.1983 - 9 C 874.82 -, BVerwGE 67, 195 = EZAR 201 Nr. 5, u. 26.06.1984 - 9 C
185.83 -, BVerwGE 69, 320 = EZAR 201 Nr. 8). Diese spezifische Zielrichtung ist
anhand des inhaltlichen Charakters der Verfolgung nach deren erkennbarem
Zweck und nicht nach den subjektiven Motiven des Verfolgenden zu ermitteln
(BVerfG, 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315, 344 = EZAR 201 Nr.
20; zur Motivation vgl. BVerwG, 19.05.1987 - 9 C 184.86 -, BVerwGE 77, 258 =
EZAR 200 Nr. 19). Werden nicht Leib, Leben oder physische Freiheit gefährdet,
sondern andere Grundfreiheiten wie etwa die Religionsausübung oder die
berufliche und wirtschaftliche Betätigung, so sind allerdings nur solche
Beeinträchtigungen asylrelevant, die nach Intensität und Schwere die
Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des
Heimatstaats aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen
haben (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, a.a.O., u. 01.07.1987 - 2 BvR
478/86 u.a. -, a.a.O.; BVerwG, 18.02.1986 - 9 C 16.85 -, BVerwGE 74, 31 = EZAR
202 Nr. 7). Die Gefahr einer derartigen Verfolgung ist gegeben, wenn dem
Asylsuchenden bei verständiger Würdigung aller Umstände seines Falles politische
Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, wobei die insoweit
erforderliche Zukunftsprognose auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten
gerichtlichen Tatsachenentscheidung abgestellt und auf einen absehbaren
Zeitraum ausgerichtet sein muß (BVerwG, 03.12.1985 - 9 C 22.85 -, EZAR 202 Nr.
6 = NVwZ 1986, 760 m.w.N.). Einem Asylbewerber, der bereits einmal politisch
verfolgt war, kann eine Rückkehr in seine Heimat nur zugemutet werden, wenn die
Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
ausgeschlossen ist (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, a.a.O.; BVerwG,
25.09.1984 - 9 C 17.84 -, BVerwGE 70, 169 = EZAR 200 Nr. 12 m.w.N.). Hat der
Asylsuchende sein Heimatland dagegen unverfolgt verlassen, hat er danach nur
dann einen Asylanspruch, wenn ihm aufgrund eines asylrechtlich erheblichen
Nachfluchttatbestandes politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
droht (BVerfG, 26.11.1986 - 2 BvR 1058/85 -, BVerfGE 74, 51, 64 = EZAR 200 Nr.
18 = NvwZ 1987, 311 = InfAuslR 1987, 56, und 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -,
a.a.O.; BVerwG, 20.11.1990 - 9 C 74.90 -, BVerwGE 87, 152 = NVwZ 1991, 382 =
InfAuslR 1991, 145 = EZAR 201 Nr. 22). Nach § 28 AsylVfG wird ein Ausländer in
der Regel dann nicht als Asylberechtigter anerkannt, wenn die Gefahr politischer
Verfolgung auf Umständen beruht, die er nach dem Verlassen seines
Heimatlandes aus eigenem Entschluß geschaffen hat, soweit dieser Entschluß
nicht einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar bestätigten Überzeugung
entspricht, es sei denn, daß er sich insbesondere aufgrund seines Alters und
Entwicklungsstandes dort noch keine feste Überzeugung bilden konnte.
Der Asylbewerber ist aufgrund der ihm obliegenden prozessualen
Mitwirkungspflicht gehalten, von sich aus umfassend die in seine eigene Sphäre
fallenden Ereignisse substantiiert und in sich schlüssig zu schildern sowie
22
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25
fallenden Ereignisse substantiiert und in sich schlüssig zu schildern sowie
eventuelle Widersprüche zu seinem Vorbringen in früheren Verfahrensstadien
nachvollziehbar aufzulösen, so daß sein Vortrag insgesamt geeignet ist, den
Asylanspruch lückenlos zu tragen (BVerwG, 08.05.1984 - 9 C 141.83 -, EZAR 630
Nr. 13 = NVwZ 1985, 36, 12.11.1985 - 9 C 27.85 -, EZAR 630 Nr. 23 = InfAuslR
1986, 79, u. 23.02.1988 - 9 C 32.87 -, EZAR 630 Nr. 25), und insbesondere auch
den politischen Charakter der Verfolgungsmaßnahmen festzustellen (vgl. BVerwG,
22.03.1983 - 9 C 68.81 -, Buchholz 402.24 Nr. 44 zu § 28 AuslG, u. 18.10.1983 - 9
C 473.82 -, EZAR 630 Nr. 8 = ZfSH/SGB 1984, 281). Bei der Darstellung der
allgemeinen Umstände im Herkunftsland genügt es dagegen, daß die
vorgetragenen Tatsachen die nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer
Verfolgung ergeben (BVerwG, 23.11.1982 - 9 C 74.81 -, BVerwGE 66, 237 = EZAR
630 Nr. 1). Die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung kann schließlich nur
festgestellt werden, wenn sich das Gericht in vollem Umfang die Überzeugung von
der Wahrheit des von dem Asylbewerber behaupteten individuellen
Verfolgungsschicksals verschafft, wobei allerdings der sachtypische
Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerstaat bei der Auswahl der
Beweismittel und bei der Würdigung des Vortrags und der Beweise angemessen zu
berücksichtigen ist (BVerwG, 12.11.1985 - 9 C 27.85 -, a.a.O.).
Der erkennende Senat ist nach diesen Grundsätzen aufgrund der Angaben des
Klägers, des Ergebnisses seiner Vernehmung und der Anhörung des
Sachverständigen Dr. Wingler, des Inhalts der zum Verfahren beigezogenen Akten
sowie der in das Verfahren eingeführten Gutachten, Auskünfte und sonstigen
Erkenntnisquellen zu der Überzeugung gelangt, daß der Kläger bis zu seiner
Ausreise aus Sri Lanka (I.) zwar regional als Mitglied der Gruppe der Tamilen (1.),
nicht jedoch aus individuellen Gründen (3.) politisch verfolgt war; ihm jedoch eine
inländische Fluchtalternative zur Verfügung stand (2.) und daß er auch bei einer
Rückkehr nach Sri Lanka (II.) trotz einer an seinem Heimatort auch ihm drohenden
Gruppenverfolgung aller Tamilen (1.) wegen des Bestehens einer inländischen
Fluchtalternative sicher vor einer politischen Verfolgung wegen seiner
Zugehörigkeit zur Gruppe der jungen Tamilen (2.) und aus individuellen Gründen
(3.) ist.
I.
Der Kläger hat bis zu seiner Ausreise aus Sri Lanka im August 1992 keine
politische Verfolgung erlitten. Tamilen waren damals zwar auf der Jaffna-Halbinsel
einer Gruppenverfolgung ausgesetzt (1.), ihnen stand aber grundsätzlich eine
innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung (2.). Der Kläger war auch nicht aus
individuellen Gründen vorverfolgt (3.).
1. Der Kläger war in den siebziger und zu Beginn der achtziger Jahre wegen seiner
Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Tamilen nicht verfolgt. Wie der früher für
Verfahren von Asylbewerbern aus Sri Lanka zuständige 10. Senat des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs (vgl. zuletzt 11.09.1992 - 10 UE 1804/86 -) gelangt auch
der jetzt für diese Verfahren zuständige erkennende Senat zu der Feststellung,
daß die tamilische Bevölkerungsgruppe in Sri Lanka damals dem srilankischen
Staat zuzurechnenden politischen Verfolgungsmaßnahmen nicht ausgesetzt war;
anders verhält es sich aber zumindest seit Mitte 1990 (st. Rspr. seit 26.07.1993 -
12 UE 2439/89 - u. - 12 UE 141/90 -).
Asylerhebliche Bedeutung haben nicht nur unmittelbare Verfolgungsmaßnahmen
des Staats; dieser muß sich vielmehr auch Übergriffe nichtstaatlicher Personen
und Gruppen als mittelbare staatliche Verfolgungsmaßnahmen zurechnen lassen,
wenn er sie anregt, unterstützt, billigt oder tatenlos hinnimmt und damit den
Betroffenen den erforderlichen Schutz versagt (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80
u.a. -, a.a.O.). Eine derartige staatliche Verantwortlichkeit kommt aber nur in
Betracht, wenn der Staat wegen fehlender Schutzfähigkeit oder -willigkeit zum
Schutz gegen Ausschreitungen oder Übergriffe nicht in der Lage ist, wobei es auf
den Einsatz der ihm an sich verfügbaren Mittel ankommt (BVerfG, 10.07.1989 - 2
BvR 502/86 u.a. -, a.a.O.) und dem Staat für Schutzmaßnahmen besonders bei
spontanen und schwerwiegenden Ereignissen eine gewisse Zeitspanne zugebilligt
werden muß (BVerwG, 23.02.1988 - 9 C 85.87 -, BVerwGE 79, 79 = EZAR 202 Nr.
13). Asylrelevante politische Verfolgung - und zwar sowohl unmittelbar staatlicher
als auch mittelbar staatlicher Art - kann sich nicht nur gegen Einzelpersonen,
sondern auch gegen durch gemeinsame Merkmale verbundene Gruppen von
Menschen richten mit der regelmäßigen Folge, daß jedes Gruppenmitglied als von
dem Gruppenschicksal mitbetroffen anzusehen ist (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR
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dem Gruppenschicksal mitbetroffen anzusehen ist (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR
147/80 u.a. -, a.a.O., 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 u.a. -, a.a.O. u. 23.01.1991 - 2 BvR
902/85 u.a. -, BVerfGE 83, 216 = EZAR 202 Nr. 20; BVerwG, 02.08.1983 - 9 C
599.81 -, BVerwGE 67, 314 = EZAR 203 Nr. 1, u. 23.02.1988 - 9 C 85.87 -, a.a.O.).
Die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt eine Verfolgungsdichte voraus, die in
quantitativer Hinsicht die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen
aufweist, daß ohne weiteres von einer aktuellen Gefahr eigener Betroffenheit jedes
Gruppenmitglieds gesprochen werden kann (BVerwG, 08.02.1989 - 9 C 33.87 -,
EZAR 202 Nr. 15 = NVwZ-RR 1989, 502, 23.07.1991 - 9 C 154.90 -, DVBl. 1991,
1089 = EZAR 202 Nr. 21, u. 24.09.1992 - 9 B 130.92 -, NVwZ 1993, 192 = EZAR
202 Nr. 23). Als nicht verfolgt ist nur derjenige Gruppenangehörige anzusehen, für
den die Verfolgungsvermutung widerlegt werden kann; es kommt nicht darauf an,
ob sich die Verfolgungsmaßnahmen schon in seiner Person verwirklicht haben
(BVerwG, 23.02.1988 - 9 C 85.87 -, a.a.O.). Auch eine frühere Gruppenverfolgung
führt für die Betroffenen zur Anwendung des herabgestuften Prognosemaßstabs
hinsichtlich künftiger Verfolgung (BVerwG, 23.02.1988 - 9 C 85.87 -, a.a.O.).
Der Senat legt seiner Beurteilung der Lage der Tamilen in Sri Lanka bis zur
Ausreise des Klägers und zum gegenwärtigen Zeitpunkt die nachfolgend anhand
der vorliegenden schriftlichen Unterlagen (im folgenden mit der entsprechenden
Nummer der am Ende des Tatbestandes aufgeführten Liste bezeichnet)
auszugsweise dargestellte historische Entwicklung Sri Lankas unter besonderer
Berücksichtigung der Volksgruppe der Tamilen zugrunde.
a) Die ehemalige britische Kronkolonie Ceylon wurde 1948 unabhängig und gab
sich 1972 den Namen Sri Lanka. Von den 1990 etwa 17 Mio. Einwohnern (33, S.
11) sind etwa 11 Mio. (74 %) zumeist buddhistische Singhalesen und etwa 2,6 Mio.
(18,2 %) überwiegend hinduistische Tamilen (53). Diese bilden die stärkste
Minderheit, daneben gibt es noch die muslimischen Moors (1,1 Mio.; 7,1 %),
Burgher (Nachkommen der ersten Kolonisten aus Portugal und Holland) und
Malayen (insgesamt etwa 0,1 Mio.; 0,7 %). Etwa 70 % der Tamilen, die
sogenannten Ceylon-Tamilen, die auf Einwanderer aus Südindien zurückgehen, die
bereits vor mehr als tausend Jahren in das Land gekommen sind, bewohnen den
Norden und Osten der Insel. Sie gelten als Alteingesessene. Sie haben im Norden
der Insel einen Bevölkerungsanteil von über 90 %, während der Osten der Insel zu
etwa je einem Drittel von ihnen, den Singhalesen und den muslimischen Moors
besiedelt wird (12). Das Siedlungsgebiet dieser Ceylon-Tamilen umfaßt etwa ein
Drittel des Staatsgebiets. Die restlichen 30 % der Tamilen, die sogenannten
Indien-Tamilen, besiedeln das zentrale Hochland um Kandy. Es handelt sich um die
Nachfahren von Plantagenarbeitern südindischer Herkunft, die in der britischen
Kolonialzeit seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis etwa 1930 als billige Arbeitskräfte
für die Teeplantagen von den Briten auf die Insel geholt wurden. Ihr
Bevölkerungsanteil im zentralen Hochland schwankt zwischen 20 und 50 %. Sie
gehören im Kastensystem des Hinduismus den niedrigsten Kasten an und werden
nicht zuletzt deshalb von den Ceylon-Tamilen verachtet (33, S. 12). Da die
Asylbewerber aus Sri Lanka zumeist aus dem Norden, insbesondere der Jaffna-
Halbinsel, und dem Osten stammen, können die Indien-Tamilen für die weitere
Betrachtung außer acht gelassen werden.
In der Vergangenheit hat es immer wieder Spannungen und
Auseinandersetzungen zwischen Singhalesen und Tamilen gegeben, die ihre
Ursachen in den ethnischen, sozioökonomischen und religiösen Unterschieden
hatten. Im Unterschied zu den Indien-Tamilen genossen die Ceylon-Tamilen wegen
der in ihren Siedlungsgebieten besseren Ausbildung (Christianisierung,
Missionsschulen) eine gewisse Bevorzugung seitens der britischen Kolonialherren;
sie waren daher bei Erlangung der Unabhängigkeit Ceylons 1948 in leitenden
Funktionen von Wirtschaft und Verwaltung gegenüber den Singhalesen
überrepräsentiert (2, S. 5).
Die 1948 in Kraft getretene Verfassung des unabhängigen Ceylon enthielt in Art.
29 ausdrücklich eine Gleichstellung aller Volksgruppen und Religionen sowie ein
generelles Diskriminierungs- bzw. Privilegierungsverbot (4). Nach der
Unabhängigkeit erlassene Staatsangehörigkeits- und Wahlgesetze sahen
allerdings vor, daß nur derjenige als Staatsbürger, woran auch das Wahlrecht
anknüpfte, registriert wurde, der seit 1936 ansässig war. Als Folge durfte die
Mehrheit der Indien-Tamilen nicht wählen (4; 33, S. 19); die volle
Staatsbürgerschaft erhielten damals lediglich 140.000 von insgesamt annähernd 1
Mio. Indien-Tamilen (4). Bei der ersten Parlamentswahl, die noch vor diesen
Gesetzen und vor der Erlangung der Unabhängigkeit im August/September 1947
30
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33
Gesetzen und vor der Erlangung der Unabhängigkeit im August/September 1947
stattgefunden hatten, hatten die tamilischen Parteien dreizehn der etwa
einhundert Sitze im Repräsentantenhaus erlangen können (4).
Bis zur Parlamentswahl im April 1956 (und dann wieder von 1965 bis 1970 und
ununterbrochen seit 1977) regierte die als liberalkonservativ eingestufte United
National Party (UNP). Bei diesen, den dritten, Parlamentswahlen siegte ein
Wahlbündnis mehrerer linksgerichteter Parteien unter der Bezeichnung "Mahajana
Eksat Peramuna" (MEP, Vereinigte Volksfront), an dem maßgeblich die Sri Lanka
Freedom Party (SLFP) des neuen Ministerpräsidenten S.W.R.D. Bandaranaike
(September 1959 durch einen fanatischen buddhistischen Mönch ermordet,
Nachfolgerin als Regierungschefin wird nach kurzzeitig amtierenden
Zwischenregierungen und Neuwahlen seine Frau Sirimawo Bandaranaike ab 7. Mai
1960) beteiligt war, die noch zwischen 1951 und 1953 für die Gleichberechtigung
von singhalesischer und tamilischer Sprache eingetreten war (33, S. 44). Das
Wahlbündnis MEP war durch eine Verbindung sozialistischer Ideen mit einem -
gerade auch gegen die hinduistischen Tamilen gerichteten - singhalesisch-
buddhistischen Nationalismus geprägt (4; 33, S. 44). Als Folge dessen wurde im
Juli 1956 mit dem "Official Language Act" Singhalesisch als einzige Staats- und
Unterrichtssprache statt des Englischen eingeführt. Mit einiger zeitlicher
Verzögerung kam es 1958 zu sich ausweitenden Tamilen-Demonstrationen gegen
dieses Gesetz, die im Mai 1958 zum ersten Tamilenpogrom seitens des
singhalesischen Mobs führten, das nach Ausrufung des Notstands durch die
Regierung mit Hilfe der Armee beendet wurde (4). Mit dem "Tamil Language Act"
vom Juli 1958 wurde daraufhin Tamil in den Nord- und Ostprovinzen als
gleichrangige Unterrichts- und Behördensprache anerkannt; die offizielle Politik
wurde aber weiterhin von einer systematischen Diskriminierung der tamilischen
Bevölkerungsgruppe bestimmt. So wurde mit dem Anfang 1961 erlassenen, zwei
Jahre später in Kraft getretenen "Language of the Courts Act", das Englische als
Amts- und Gerichtssprache allein durch Singhalesisch ersetzt, was im März/April
1961 zu Protesten im Norden und Osten führte (4). Nach dem Sieg der UNP bei
den sechsten Parlamentswahlen im März 1965, die zur Ablösung von Frau
Bandaranaike als Regierungschefin und zu einer Koalitionsregierung, der auch die
tamilische "Federal Party" (FP) angehörte, führten, kam es zu einer Übereinkunft
zwischen der UNP und der FP, daß der "Tamil Language Act" von 1958 realisiert
und der "Language of the Courts Act" von 1961 dahingehend ergänzt werden
sollte, daß in der Nord- bzw. Ostprovinz auch Tamil als Amts- und Gerichtssprache
zugelassen werden sollte (4); die Regierung legte 1966 in
Ausführungsbestimmungen dazu fest, daß Tamil im Schriftverkehr mit amtlichen
Dienststellen im ganzen Land benutzt werden konnte; öffentliche Verlautbarungen
und Rechtsnormen sollten von nun an zweisprachig veröffentlicht werden (4).
Bei der siebten Parlamentswahl im Mai 1970 errang die SLFP nach Angriffen gegen
die UNP wegen deren "tamilenfreundlicher" Sprachenpolitik einen erdrutschartigen
Sieg, der zur Bildung einer Koalitionsregierung unter Ministerpräsidentin
Bandaranaike führte. Die 1971 in Kraft getretene "Standardisierung-Verordnung"
regelte den Zugang zu den Universitäten nach Sprachenproporz (zu Einzelheiten
vgl. 2, S. 6). Die damals an den Universitäten überproportional vertretenen
Tamilen fühlten sich dadurch benachteiligt und protestierten; es kam zur
Radikalisierung der tamilischen Jugend (33, S. 22, 48). Die Verordnung war bis zum
UNP-Sieg bei den achten Parlamentswahlen im Juli 1977 in Kraft.
Mit der neuen Verfassung vom 22. Mai 1972, der ersten republikanischen
Verfassung, wurde die damalige konstitutionelle Monarchie Ceylon zur Republik Sri
Lanka erklärt (vgl. zum folgenden 4). Die Verfassung enthielt keine
Schutzgarantien mehr für Minderheiten, das Diskriminierungs- bzw.
Privilegierungsverbot in Art. 29 der Verfassung aus dem Jahre 1948 trat außer
Kraft. Die Religionen sollten Kulturfreiheit genießen, es war allerdings ausdrücklich
vorgesehen, daß der Buddhismus zu schützen und zu fördern sei. Den Rechtstitel
"Staatsbürger aus Geburt" billigte die neue Verfassung nur den Singhalesen zu,
Mitglieder anderer ethnischer Gruppen erhielten den Status "Registrierte Bürger".
Danach gab es in Sri Lanka drei Kategorien von Bürgern: Die singhalesischen
"Staatsbürger aus Geburt", die "Registrierten Bürger" (überwiegend die Ceylon-
Tamilen) und fast eine Million staatenlose Indien-Tamilen. Amts- und
Gerichtssprache blieb Singhalesisch, jedoch mußten alle Gesetze in Tamil
übersetzt werden, der "Tamil Language Act" aus dem Jahr 1958 blieb in Kraft.
Als Reaktion auf diese politische Entwicklung entstand noch 1972 die Tamil United
Front (TUF) als Zusammenschluß dreier konservativer tamilischer Parteien,
34
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38
Front (TUF) als Zusammenschluß dreier konservativer tamilischer Parteien,
darunter der FP. Im Mai 1976 erfolgte die Umbenennung der TUF in Tamil United
Liberation Front (TULF), die die Notwendigkeit der Schaffung eines freien,
souveränen, säkularen, sozialistischen Staates, genannt Tamil Eelam, der auf dem
Recht der Selbstbestimmung basiert, propagierte (33, S. 47; sog. "Vaddukoddai
Resolution").
Bei den achten Parlamentswahlen im Juli 1977, die zu einem Erdrutschsieg der
UNP (140 von 168 Sitzen) führten, wurde die TULF mit 18 Sitzen stärkste
Oppositionspartei; sie konnte im Norden fast 70 % der Stimmen und alle 14 Sitze
für die Nordprovinz und vier der 12 Sitze für die Ostprovinz erringen. Ein weiterer
Tamile kam als UNP-Abgeordneter ins Parlament und erhielt einen Ministerposten
in der UNP-Regierung unter Ministerpräsident Junius Richard Jayewardene (4). Im
Anschluß an die Wahlen kam es im August und September 1977 erneut zu
Rassenunruhen mit Pogromen gegen Tamilen, die zwar von Jaffna ausgingen,
jedoch vornehmlich in den überwiegend von Singhalesen bewohnten Gebieten des
Südens und Südwestens stattfanden. Die Unruhen forderten nach offiziellen
Angaben 125 Tote, darunter 97 Tamilen, 4.000 Personen wurden verhaftet. Im
Verlauf der Unruhen kam es zu einer ersten Fluchtbewegung von Tamilen nach
Norden, bei der etwa 40.000 Tamilen aus den umkämpften Gebieten in die
Großstädte der Nordprovinz oder in Flüchtlingslager der Armee flohen (4).
Mit einer Verfassungsänderung vom Oktober 1977 wurde ein Präsidialsystem nach
französischem Vorbild eingeführt. Das Amt des Präsidenten übernahm im Februar
1978 der bisherige Ministerpräsident Jayewardene, Ministerpräsident wurde
Ranasinghe Premadasa (4; 33, S. 24, 38). Bereits die Regierung Jayewardene hatte
eine Politik begrenzter Autonomiegewährung für die tamilischen Provinzen verfolgt
und konnte hierfür teilweise auch die Kooperation der TULF gewinnen. Dadurch
verstärkte sich jedoch zugleich der Zulauf zu radikalen und militanten
Tamilenorganisationen wie den Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE), die das Ziel
eines souveränen Tamilen-Staates mit Terroranschlägen zu erreichen suchten
(vgl., auch zum folgenden, 33, S. 48 ff.). Neben der militärisch dominanten LTTE
sind weitere bedeutende militante tamilische Gruppierungen in der Folgezeit
entstanden, insbesondere die Eelam Peoples Revolutionary Liberation Front
(EPRLF), die Eelam Revolutionary Organisation (EROS), die Tamil Eelam Liberation
Organisation (TELO), die Peoples Liberation Organisation of Tamileelam (PLOT(E))
und die Eelam National Democratic Liberation Front (ENDLF).
Nach der, angeblich von Mitgliedern tamilischer Jugendorganisationen
durchgeführten, Ermordung von fünf Polizisten Anfang Mai 1978 bei Mannar
(Nordprovinz) erließ die Regierung am 15. Mai 1978 Haftbefehl gegen 38
mutmaßliche Mitglieder der LTTE, von denen sich 27 freiwillig stellten. Mit dem am
19. Mai 1978 vom Parlament verabschiedeten "Proscribing of Liberation Tigers of
Tamil Eelam and other Organizations Law" wurde die LTTE verboten und die
Strafprozeßordnung durch Einfügung besonderer Bestimmungen, die auch eine
einjährige Vorbeugehaft für Personen, die der Unterstützung vom Präsidenten
verbotener Organisationen verdächtig waren, verschärft; außerdem wurde die
Versammlungs- und Meinungsäußerungsfreiheit eingeschränkt (4).
Am 7. September 1978 trat die dritte Verfassung in Kraft, mit der der Staat in
"Demokratische Sozialistische Republik Sri Lanka" umbenannt wurde. Das
Präsidialsystem - nunmehr mit Direktwahl des Präsidenten - wurde beibehalten.
Singhalesisch blieb offizielle Amtssprache, daneben wurde jedoch Tamil als
Nationalsprache anerkannt. Die neue Verfassung enthielt ausdrücklich ein Verbot
aller Formen von Folter oder grausamer, unmenschlicher bzw. erniedrigender
Behandlung oder Strafe, ließ aber daneben beträchtliche
Grundrechtsbeschränkungen zu, wie etwa ein Abweichen von der
Unschuldsvermutung und dem Rückwirkungsverbot von Strafgesetzen aus
Gründen der nationalen Sicherheit (4).
Mitte Juli 1979 kam es wegen andauernder lokaler Unruhen zwischen Tamilen und
Sicherheitskräften unter Beteiligung verbotener tamilischer
Untergrundorganisationen zur Verhängung des Ausnahmezustands über die
Provinz Jaffna (4). Die Armee wurde mit dem Auftrag in den Norden entsandt,
innerhalb von sechs Monaten für Ruhe zu sorgen (33, S. 24). Am 19./20. Juli 1979
verabschiedete das Parlament in einem beschleunigten Verfahren als Reaktion auf
den aufkommenden Terrorismus den "Prevention of Terrorism (Temporary
Provisions) Act" (PTA; vgl. dazu 4). Danach werden unter anderem bestimmte
Polizeibeamte ermächtigt, Verdächtige ohne Zeugen zu verhaften, zum Zwecke
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41
Polizeibeamte ermächtigt, Verdächtige ohne Zeugen zu verhaften, zum Zwecke
des Verhörs an jeden anderen Ort zu verbringen und ohne richterlichen Befehl bis
zu 72 Stunden lang festzuhalten. Auf Anordnung eines Ministers können
Verdächtige wiederholt für jeweils drei Monate bis zu einer Gesamthaftdauer von
18 Monaten festgehalten werden, ohne daß hiergegen die Anrufung eines Richters
zulässig wäre (sog. incommunicado-Haft, bei der über den Namen des
Verhafteten, seinen Verbleib und die Haftgründe keine Auskunft erteilt wird). Zu
weiteren Einzelheiten des PTA wird auf die ausführliche Darstellung im Beschluß
des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - (a.a.O.,
319) Bezug genommen. Noch am Tage des Inkrafttretens des PTA wurden nach
Mitteilung der in der Opposition befindlichen TULF in der Provinz Jaffna 147
Personen festgenommen und gefoltert. Nach halbjähriger Verhängung wurden
Ende Dezember 1979 der Ausnahmezustand über die Provinz aufgehoben und
etwa 100 Inhaftierte freigelassen (4).
Nach der Ermordung von zwei Polizisten im März 1981 durch tamilische
Jugendliche bei einem Banküberfall, auf die hin in den folgenden Wochen
mindestens 25 Tamilen in Isolationshaft genommen wurden, und der Erschießung
von zwei Polizisten auf einer Wahlversammlung der TULF am 31. Mai 1981 in Jaffna
kam es zu mehrere Tage lang andauernden Vergeltungsmaßnahmen seitens
Hunderten bewaffneter, zum Teil in Zivil gekleideter, Polizisten, wobei Dutzende
von Geschäften, Büros und Privathäusern in Jaffna, darunter das Parteibüro der
TULF und die tamilische Nationalbibliothek, die von Mitgliedern der
Sicherheitskräfte in Brand gesteckt wurde (8), vernichtet wurden (vgl., auch zum
folgenden, 4). Am 2. Juni 1981 verhängte die Regierung den Ausnahmezustand
und eine Ausgangssperre über die Provinz Jaffna, am 4. Juni 1981 über das ganze
Land, nachdem in der Nacht zuvor fünf junge Tamilen in Jaffna von Armee-
Einheiten wegen Verstoßes gegen das Ausgangsverbot erschossen worden waren.
Der Ausnahmezustand über das ganze Land wurde am 9. Juni 1981 aufgehoben,
am folgenden Tag auch der Ausnahmezustand für die Provinz Jaffna. Nachdem es
Mitte August 1981 in den Ostprovinzen und in Colombo wieder zu Angriffen des
singhalesischen Mobs auf Läden von Tamilen gekommen war, übertrug
Staatspräsident Jayewardene am 12. August 1981 die Polizeibefugnisse
einschließlich Untersuchung und Festnahme der Armee, die in den folgenden
Tagen einige hundert Personen aufgrund der neuen Sondervollmachten festnahm.
Am 17. August 1981 verhängte die Regierung erneut den Ausnahmezustand über
das ganze Land und setzte Notstandsgesetze in Kraft, die für Brandstiftung und
Plünderung schwerere Strafen bis hin zur Todesstrafe vorsahen. Der
Ausnahmezustand wurde am 17. Januar 1982 aufgehoben. Im März 1982 beschloß
das Parlament eine nicht mehr befristete Neufassung des PTA aus dem Jahr 1979,
die insbesondere erweiterte Vollmachten für den Verteidigungsminister vorsah,
der nunmehr die Inhaftierung eines mutmaßlichen Terroristen bis zu 18 Monaten
ohne richterliche Anordnung und ohne Begründung der Untersuchungshaft
veranlassen konnte (1; 4).
Eine Kommission unter Leitung des Staatspräsidenten, der neben 15 Ministern
auch fünf Vertreter der TULF angehörten, erarbeitete im Laufe des Jahres 1982
eine Reihe von Vorschlägen zur Lösung der Konflikte zwischen den
Bevölkerungsgruppen (3). Dazu gehörte auch die Regelung der finanziellen
Entschädigung der tamilischen Opfer der Ausschreitungen im Mai/Juni 1981.
Präsident Jayewardene stellte aus eigenen Mitteln eine Million Rupien für den
Wiederaufbau der bei den Ausschreitungen zerstörten Bücherei in Jaffna bereit und
rief zu weiteren Spenden auf. Mit der Auszahlung der staatlichen
Entschädigungsleistungen an tamilische Opfer der Ausschreitungen, denen ein
auch von tamilischer Seite als insgesamt angemessen angesehener
Gesamtschadensbetrag von 22,6 Mio. Rupien zugrunde lag (1; 3), wurde 1982
begonnen.
Gleichwohl wuchsen die Spannungen weiter und eskalierten im Juli/August 1983
zum bislang größten Tamilen-Pogrom seit Erlangung der Unabhängigkeit (vgl.
dazu insbesondere 4, Sonderband Jan. - Dez. 1983; 5; 6; 8; 9). Den Anfang dieser
schweren ethnischen Auseinandersetzungen bildeten seit April 1983 ständig
auftretende blutige Unruhen in der schließlich unter die Verwaltung der Marine
gestellten Stadt Trincomalee, bei denen vor allem singhalesische Banden Tamilen
angriffen. Die am 1. Juli 1983 in Jaffna erfolgte Verhaftung zweier tamilischer
Politiker, die wegen der Ereignisse in Trincomalee zum Proteststreik aufgerufen
und die Entsendung einer UN-Friedenstruppe verlangt hatten, führte in den
folgenden Tagen zu mehreren bewaffneten Racheaktionen militanter Tamilen im
Jaffna-Distrikt. Am 15. Juli 1983 wurde bei einem bewaffneten Zusammenstoß
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Jaffna-Distrikt. Am 15. Juli 1983 wurde bei einem bewaffneten Zusammenstoß
zwischen tamilischen Separatisten und einem Suchtrupp der Armee neben
anderen Tamilen der Führer des militärischen Flügels der LTTE, Anton, getötet. Am
23. Juli 1983 wurden bei Thinnavely in der Provinz Jaffna 13 Soldaten Opfer eines
Überfalls tamilischer Extremisten der LTTE. Dieses Vorkommnis löste dann
seinerseits ein vom 24. Juli bis zum 2. August 1983 dauerndes Pogrom gegen die
tamilische Minderheit aus. Ausgangspunkt dieser Massaker war die am nächsten
Tag erfolgte Beisetzung der getöteten Soldaten in Colombo, wo größere Banden
von Singhalesen planmäßig Tamilen und tamilisches Eigentum angriffen, innerhalb
der ersten 24 Stunden bereits mehr als hundert Menschen töteten und Hunderte
von Häusern und Geschäften niederbrannten. Am 25. Juli 1983 griffen die
Ausschreitungen auf weitere Städte des Landes über. In Trincomalee zogen 130
marodierenden Marinesoldaten durch die Stadt, demolierten 175 Häuser und
Geschäfte, töteten einen Menschen und verletzten weitere zehn, bis sie in ihren
Kasernen unter Arrest gestellt werden konnten. Insgesamt wurden an diesem Tage
in den Nordprovinzen 20 unbewaffnete tamilische Zivilisten von Soldaten
erschossen. Im Welikada-Gefängnis in Colombo wurden 35 von insgesamt 73
wegen terroristischer Handlungen verurteilten oder angeklagten Tamilen von
singhalesischen Mithäftlingen ermordet. Zwei Tage später wurden in demselben
Gefängnis nochmals 18 Tamilen umgebracht. Ihren Höhepunkt erreichten die
pogromartigen Ausschreitungen gegen Tamilen am 29. Juli 1983, als allein in
Colombo 15 Tamilen von singhalesischem Mob erschlagen, 15 Plünderer von
Sicherheitskräften erschossen und mehrere Hundert verhaftet wurden. Nach im
Februar 1984 veröffentlichten amtlichen Zahlen fielen den pogromartigen
Ausschreitungen insgesamt 471 Menschen zum Opfer; im Zuge der
Auseinandersetzungen sei es zu rund 8.000 Brandstiftungen und fast 4.000
Plünderungen gekommen. 79.000 obdachlos gewordene Tamilen seien in 18
Notaufnahmelagern bei Colombo untergebracht worden, mehrere tausend andere
seien aus südlichen Landesteilen in den Jaffna-Distrikt verschickt worden. In der
Zeit von Juli bis November 1983 sollen 24.000 Tamilen aus Sri Lanka nach Indien
geflohen sein. TULF- Generalsekretär Amirthalingam bezifferte demgegenüber in
einer am 14. September 1983 veröffentlichten Stellungnahme die Zahl der
getöteten Tamilen auf 2.000, die Zahl der Obdachlosen auf 155.000 und die
Summe der zerstörten Häuser auf 10.000.
Die nach dem Abflauen der Unruhen vom Parlament verabschiedete sechste
Verfassungsänderung (zu deren Einzelheiten vgl. BVerfG, 10.07.1989 - 2 BvR
502/86 u.a. -, a.a.O., 320 f.), die den Einsatz für einen unabhängigen Staat unter
Strafe stellte, verlangte von allen Parlamentsabgeordneten einen Eid auf den
Einheitsstaat. Da die 14 Abgeordneten der TULF diesen im Hinblick auf die
separatistischen Ziele ihrer Partei verweigerten und den Parlamentssitzungen drei
Monate lang fernblieben, verloren sie Ende 1983 ihre Mandate.
Am 7. August 1983 gab die Regierung zu, daß nach dem Anschlag der LTTE am
23. Juli 1983 wütende Soldaten 20 Zivilisten im Jaffna-Distrikt erschossen hätten.
Zur Behebung der durch die Unruhen entstandenen Schäden erließ die Regierung
ein Notstandsgesetz, das die Durchführung der notwendigen Schadensregulierung
durch eine besondere Behörde vorsah. Bis zum Jahresende 1983 dauerten die
Unruhen in allen Teilen Sri Lankas, wenn auch mit verminderter Heftigkeit, an, so
daß der immer wieder verlängerte Ausnahmezustand beibehalten wurde, wobei
verschiedentlich die Bestimmungen insbesondere über Ausgangssperren - ebenso
wie die bis Mitte September 1983 geltende Pressezensur - wiederholt gelockert
wurden. Zum Jahresende 1983 berichtete amnesty international London, daß
während des letzten Quartals 1983 insgesamt 170 Personen nach den
Vorschriften des PTA in sog. incommunicado- Haft genommen worden seien (7, S.
6). Ende des Jahres 1983 zeigte Präsident Jayewardene sichtlich Tendenzen zu
einer friedlichen Beilegung des Konflikts unter Einbeziehung der gemäßigten TULF,
die an der das ganze Jahr 1984, jedoch ohne Ergebnisse, tagenden Allparteien-
Konferenz teilnahm (33, S. 25).
Das Jahr 1984 brachte im Süden Sri Lankas, verglichen mit dem Vorjahr, eine
merkliche Beruhigung der innenpolitischen Situation mit andauernden
Bemühungen um eine politische Lösung für ein Zusammenleben der
verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Wegen der häufigen Terroranschläge
vorwiegend tamilischer Extremisten blieben jedoch der Ausnahmezustand und die
hierdurch bedingten Sonderbestimmungen in Kraft (vgl. zum folgenden
insbesondere 7; 9; 13; 14). In den tamilischen Gebieten des Nordens und Ostens
weiteten sich die Anschläge militanter Separatistenorganisationen jedoch aus. Die
Sicherheitskräfte antworteten auf sie regelmäßig mit Vergeltungsschlägen
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Sicherheitskräfte antworteten auf sie regelmäßig mit Vergeltungsschlägen
(Brandstiftungen, zum Teil Abbrennen ganzer Dörfer und Stadtteile, mitunter auch
wahlloses Erschießen von Verdächtigen) und unterzogen im übrigen im Zuge von
Razzien die aus ihrer Sicht aufgrund von Alter und Geschlecht des Terrorismus
besonders Verdächtigen (junge männliche Tamilen etwa im Alter zwischen 16 und
35 Jahren) ständigen Überprüfungen mit teils kürzeren, teils längeren
Inhaftnahmen. Diese Auseinandersetzungen nahmen im Verlaufe des Jahres 1984
an Häufigkeit und Intensität zu; Willkür und Brutalität der Sicherheitskräfte
steigerten sich.
Seit Ende 1984 trat eine weitere Verschärfung der allgemeinen Situation ein,
nachdem die srilankische Regierung am 19. November 1984 eine massive
Offensive gegen die LTTE in Gang gesetzt hatte, insbesondere mit Razzien und
Massenverhaftungen (10; 11). In der Folgezeit kam es im Norden des Landes zu
großen Versorgungsschwierigkeiten; die Zivilverwaltung brach zusammen, auch
die Gerichte arbeiteten vielfach nicht mehr. Als von Indien nach Vereinbarung
eines dreimonatigen Waffenstillstandes initiierte Verhandlungen zwischen Tamilen
und Singhalesen im August 1985 ergebnislos abgebrochen worden waren,
flammten die Kämpfe zwischen den srilankischen Streitkräften und tamilischen
Widerstandsgruppen, insbesondere der LTTE, wieder auf (13). Insgesamt konnte
Ende 1985 wegen der zahlreichen Übergriffe beider kämpfender Seiten sowie der
tatsächlich nicht mehr funktionierenden Zivilverwaltung und Rechtspflege von einer
Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung nicht mehr die Rede sein. Die
Staatsautorität war nur noch durch die Streitkräfte präsent (13). Anfang 1986
verschärfte die srilankische Regierung den militärischen Kampf gegen die
tamilischen bewaffneten Gruppen durch erhebliche Aufrüstung der
Regierungstruppen im Norden und Osten Sri Lankas. Spätestens 1986 lag
jedenfalls die militärische Macht in weiten Teilen der Halbinsel Jaffna in der Hand
der LTTE, die zunehmend versuchte, zivile Verwaltungsaufgaben, die bis dahin zum
Teil noch von der Zentralregierung in Colombo wahrgenommen wurden, an sich zu
ziehen (15). Die LTTE bemühte sich, neben dem paramilitärischen Ordnungswesen
eigenständig vor allem Steuerwesen, Rechtspflege und Verkehrswege auf- und
auszubauen und die Reste der alten staatlichen Zentralverwaltung zu beherrschen
(16). Mitte 1987 kam es zu größeren Säuberungsaktionen des Militärs auf der
Halbinsel Jaffna, bei denen auch eine größere Zahl von Zivilisten umkam (17).
Am 29. Juli 1987 wurde ein Abkommen zwischen Sri Lanka und Indien geschlossen
(19), durch das der Jaffna-Distrikt mit der Ostprovinz zu einer Verwaltungseinheit
vereinigt wurde; diese sollte größere autonome Kompetenzen erhalten, und für sie
sollten neue Provinzparlamente und Provinzräte gewählt werden. Zudem war eine
Generalamnestie sämtlicher tamilischer Gefangener vorgesehen, die auf der
Grundlage des Prevention of Terrorism Act - PTA - festgenommen waren, und
außerdem die Abgabe der Waffen durch die tamilischen Untergrundkämpfer. Zur
Kontrolle der Einhaltung des Abkommens wurden zunächst etwa 10.000 indische
Soldaten auf der Jaffna-Halbinsel stationiert (18). Diese übten dort in der Folgezeit
faktisch die Gebietsgewalt statt des srilankischen Staats aus (32); zu weiteren
wesentlichen Kampfmaßnahmen zwischen srilankischen Streitkräften und
tamilischen Untergrundgruppen kam es zunächst nicht mehr (18). Allerdings
führte die Nichteinhaltung des Abkommens durch die LTTE, vor allem ihre
Weigerung, die Waffen abzugeben, zu militärischen Aktionen der indischen Truppen
gegen die LTTE insbesondere in der Stadt Jaffna selbst, in deren Verlauf die
indischen Truppen Jaffna eroberten. Eine endgültige Befriedung der Lage trat aber
nicht ein, da die LTTE mit etwa 5.000 bis 10.000 Mitgliedern stark genug blieb,
weiterhin Aktionen und Überfälle gegen die indischen Truppen zu organisieren (20).
Ende 1987 kam es wieder zu größeren Militäraktionen zwischen den auf fast
40.000 Mann angewachsenen indischen Streitkräften und der LTTE. Die Kämpfe
forderten auch erhebliche Opfer unter der Zivilbevölkerung, nach realistischen
Schätzungen etwa 8.000 bis 10.000 Tote (21). Auch wenn im Frühjahr 1988 das
tägliche Leben auf der Jaffna-Halbinsel relativ beruhigt erschien, war es durch die
schlechte Versorgungslage und nächtliche Ausgangssperren erschwert (22). Die
Truppenstärke der indischen Armee war nach offiziellen Angaben Mitte 1988 auf
75.000 Mann angestiegen, nach indischen Angaben auf 52.000 (25); die Zahl der
kämpfenden Mitglieder der LTTE wurde zu dieser Zeit auf 2.000 Mann geschätzt,
nach indischen Angaben auf 5.000 Mann, nach anderen Einschätzungen noch
erheblich höher (23). Es kam immer wieder zu Anschlägen der LTTE auf
Einrichtungen der indischen Streitkräfte, bei deren Vergeltungsaktionen zum Teil
auch unbeteiligte Zivilpersonen umkamen (24). Auch wenn die indischen
Streitkräfte formell unter der Oberhoheit der srilankischen Regierung standen,
übten sie doch jedenfalls im Jaffna-Distrikt tatsächlich die Macht aus. Die in dem
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übten sie doch jedenfalls im Jaffna-Distrikt tatsächlich die Macht aus. Die in dem
oben genannten Abkommen vereinbarten Wahlen zu den Provinzräten, die dann
auch ihre Arbeit aufnahmen, konnten ordnungsgemäß durchgeführt werden (26;
zweifelnd 29). Anfang 1989 begann Indien auf Druck der srilankischen Regierung
mit dem Abzug seiner zu diesem Zeitpunkt etwa 60.000 Mann starken Truppen
(27), der später nach ultimativer Forderung des srilankischen Staatspräsidenten
Premadasa vom 2. Juni 1989 und einer entsprechenden Abzugsvereinbarung
zwischen Indien und Sri Lanka vom 18. September 1989 (30) verstärkt und bis
März 1990 abgeschlossen wurde (32). Schon während der Zeit des Abzugs der
indischen Truppen, in der zwischen diesen und der LTTE weitgehend ein
Waffenstillstand eingehalten wurde, kam es zu schweren Kämpfen zwischen
verschiedenen Tamilenorganisationen, insbesondere der LTTE und der EPRLF im
Norden und Osten Sri Lankas um die Herrschaft (31).
Nach dem vollständigen Abzug der indischen Truppen rückte die LTTE in die
geräumten Gebiete ein (zu vorhergehenden erfolglosen Verhandlungen zwischen
Regierung und LTTE: 39; zu den Umständen des erneuten Kampfbeginns: 50), übte
dort die militärische Kontrolle ungehindert von der srilankischen Regierung und
eine "quasi-staatliche" Ordnungsfunktion (unter anderem Ausbau einer Polizei- und
einer Steuerverwaltung) aus (32). Die LTTE übernahm im Frühjahr 1990 im Norden
und Nordosten Sri Lankas die "Defacto- Herrschaft" (34). Danach kam es wieder
zu sich steigernden Auseinandersetzungen mit srilankischen Streitkräften in
diesen Gebieten, insbesondere durch Überfälle der LTTE auf Einrichtungen der
srilankischen Polizei und Armee (36). Ende 1990 kontrollierten srilankische
Regierungstruppen nach Angaben des srilankischen Verteidigungsministeriums
nur noch 15 % der Jaffna-Halbinsel, wobei sich die effektive Gebietsgewalt im
wesentlichen auf die nähere Umgebung von Armeestützpunkten beschränkte (40).
Auf der Jaffna-Halbinsel erreichte die LTTE als Ordnungsmacht eine staatsähnliche
Überlegenheit und später die fast alleinige umfassende Gebietsgewalt über etwa
90 % der Jaffna-Halbinsel (40; 42; 44; 47; 49). Die LTTE übte in den Orten Einfluß
durch Dorfräte aus, die unter anderem für die Einziehung von Steuern
verantwortlich waren, und durch sogenannte "vigilance groups", die das Eindringen
srilankischer Truppen verhindern und die Dorfbevölkerung kontrollieren sollen (45).
Die Ausreise aus Jaffna war nur mit einer (u.a. gegen hohe Geldbeträge) schwierig
zu erhaltenden Ausreisegenehmigung der LTTE möglich (43; 46). Auch im Laufe
des Jahres 1991 gelang es der Armee nicht, unter der Gebietsgewalt der LTTE
stehende Gebiete dieser zu entreißen und dort auf Dauer wieder staatliche Macht
auszuüben (51). In den wenigen von der LTTE nicht beherrschten Gebieten der
Jaffna-Halbinsel vermochte der srilankische Staat nur noch Verwaltungsfunktionen
vor allem im humanitären Bereich (Verteilung von Lebensmitteln) auszuüben. Im
übrigen war der Staat dort Kampfpartei ohne Ordnungsmachtfunktion. Auch nach
Auflösung des Provinzrates für die Nordost-Provinz durch den srilankischen
Staatspräsidenten Premadasa und der Begründung einer alleinigen
Verwaltungszuständigkeit des Provinzgouverneurs dominierte die LTTE das
öffentliche und private Leben der Jaffna-Halbinsel bis auf Teile der Orte
Kankesanthurai (Marine-Stützpunkt), Palali (Luftwaffen-Stützpunkt), Tellipallai und
Kopay sowie kleinere der Jaffna-Halbinsel vorgelagerte Inseln wie insbesondere
Kayts, Delft und Karaitivu, dort vor allem wegen des Marine-Stützpunktes
Karainagar. Allerdings wohnte dort kaum noch tamilische Zivilbevölkerung. Zudem
kontrollierte die srilankische Armee den Elephant Paß, den einzigen Landzugang
über einen Deich zur Jaffna-Halbinsel. Die LTTE beherrschte aber weiterhin die
Verwaltung der Jaffna-Halbinsel einschließlich der von der srilankischen Regierung
eingesetzten und bezahlten Beamten, auch durch Ernennung von Dorfvorstehern
(52). Alle Nicht-Tamilen hat die LTTE von der Jaffna-Halbinsel vertrieben (63).
Ab Mai 1992 versuchten die staatlichen Streitkräfte durch weitreichende
Militäraktionen, an denen Tausende von Soldaten teilnahmen, von der LTTE
kontrollierte Gebiete der Jaffna-Halbinsel wieder unter ihre Kontrolle zu bringen.
Dies gelang ihnen im Laufe des Sommers 1992 über die von ihnen schon
beherrschten, oben genannten Gebiete insbesondere um Marine- und
Luftwaffenstützpunkte hinaus vor allem im Süden der Halbinsel um Iyakachchi und
Mullivan. Der LTTE-Herrschaft entrissen wurden auch mehrere strategisch wichtige
Gebiete wie Zugänge zur Halbinsel Jaffna, in denen die Regierung versucht, wieder
eine zivile Verwaltung aufzubauen (65). Insgesamt aber stand die Jaffna- Halbinsel
auch 1992 nach wie vor ganz überwiegend unter Kontrolle der LTTE. Die
Regierungsverwaltung konnte und kann - vor allem zur Verteilung von
Versorgungsgütern - in den von der LTTE kontrollierten Gebieten weiterhin nur
insoweit tätig sein, wie die LTTE dies duldet (64). Im Herbst 1992 wurden aufgrund
vermehrter Erfolge der LTTE der Vormarsch und weitere Gebietsgewinne der
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vermehrter Erfolge der LTTE der Vormarsch und weitere Gebietsgewinne der
Regierungstruppen zunächst gestoppt (66). Bis Ende 1992 sollen die
Regierungstruppen höchstens ein Drittel der Jaffna- Halbinsel sowie die der
Halbinsel vorgelagerten Inseln unter ihre Kontrolle bekommen haben (68).
b) Vor dem Hintergrund dieser geschichtlichen Entwicklung kann zunächst für die
Zeit bis jedenfalls Mitte der achtziger Jahre nicht festgestellt werden, daß die
tamilische Bevölkerung in Sri Lanka und insbesondere im Norden des Landes
unter einer an ihre Volkszugehörigkeit anknüpfenden Gruppenverfolgung zu leiden
hatte; dies gilt sowohl hinsichtlich einer unmittelbaren staatlichen Verfolgung als
auch hinsichtlich einer vom srilankischen Staat gebilligten oder geduldeten
Verfolgung durch die singhalesische Bevölkerungsmehrheit.
Trotz der schwierigen Lage, in der sich die tamilische Bevölkerungsminderheit in
Sri Lanka seit Jahrzehnten wegen der strikten Ablehnung ihrer
Autonomiebestrebungen seitens der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit
befindet, und trotz des seit Anfang der 80er Jahre zunehmend gewalttätigeren und
in weiten Teilen völkerrechtswidrigen Vorgehens der srilankischen Sicherheitskräfte
gerade auch im Norden der Insel, der Heimatregion des Klägers, vermag der
Senat nicht zu der Überzeugung zu gelangen, daß schon in den siebziger und zu
Beginn der achtziger Jahre eine staatliche Verfolgung der ethnischen Minderheit
der Tamilen erfolgt ist. Nach Auffassung des Senats läßt sich aus den in das
Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen nicht der Schluß ziehen, der srilankische
Staat habe danach die Tamilen bewußt mit dem Ziel unterdrückt und verfolgt, sie
zu assimilieren, zu vertreiben oder zu vernichten. Eine solche Schlußfolgerung
wäre nur dann gerechtfertigt, wenn etwa maßgebliche staatliche Organe zur
Ausrottung oder Vertreibung der Tamilen offen aufgefordert hätten oder ihren
Äußerungen zumindest eine Billigung oder tatenlose Hinnahme solcher Tendenzen
entnommen werden könnte oder wenn die Regierung Sri Lankas bei ihren
Bemühungen, Sicherheit und Ordnung im Land aufrechtzuerhalten oder
wiederherzustellen, gegen die tamilische Bevölkerungsminderheit als solche
gezielt in menschenrechtswidriger Weise vorgegangen wäre. Hierfür gibt es
indessen für den oben genannten Zeitraum keine ausreichenden Anhaltspunkte
und Hinweise.
Asylerheblicher Zwangsassimilierung oder gar Vertreibung oder Vernichtung waren
die Angehörigen der tamilischen Bevölkerungsminderheit zunächst nicht
ausgesetzt (vgl. zum folgenden insbesondere, auch mit Schilderung der
Geschichte der beiden Volksgruppen, 5. "Sonderblatt ad 1.10").
Zur Ausrottung oder Vertreibung der Tamilen ist seitens maßgeblicher staatlicher
Organe Sri Lankas nie, weder offen noch versteckt, aufgefordert worden. Vielmehr
sind die Tamilen als solche als Teil der Bevölkerung Sri Lankas immer akzeptiert
worden, selbst wenn Teile von ihnen nach den ersten Verfassungen vor 1978 nicht
die Staatsbürgerschaft Sri Lankas erhielten und das Auswärtige Amt im
September 1985 faktische Diskriminierungen feststellte (13). Allein die auf
Errichtung eines souveränen Tamilenstaats im Norden und Osten Sri Lankas
gerichteten Autonomiebestrebungen tamilischer Bevölkerungsteile hat der von der
singhalesischen Bevölkerungsmehrheit dominierte srilankische Staat nie
akzeptiert. Im Gegensatz zur Situation der Kurden in der Türkei (vgl. dazu Hess.
VGH, 24.01.1994 - 12 UE 200/91 -) hat der srilankische Staat die Existenz der
Tamilen als eigenständige Volksgruppe zu keinem Zeitpunkt geleugnet. Sie
wurden auch in seiner Verfassungs- und Rechtsordnung jedenfalls seit dem im Juli
1977 erfolgten Amtsantritt der UNP-Regierung Jayewardene uneingeschränkt
anerkannt. Nach Ablösung der vorherigen, mehr singhalesisch-nationalistisch
orientierten SLFP-Regierung unter Führung von Frau Sirimawo Bandaranaike war
der srilankische Staat auf einen Ausgleich und zunächst für längere Zeit auf eine
friedliche Lösung des Tamilenproblems bedacht (3). Die im September 1978 in
Kraft getretene dritte Verfassung erkannte Tamil ausdrücklich als Nationalsprache
an, bereits vorher war die den Zugang der Tamilen zu den Universitäten
einschränkende "Standardisierungs-Verordnung" aufgehoben worden. Mit der im
November 1981 einberufenen Kommission und der im Januar 1984 einberufenen
Versöhnungskonferenz bemühte sich der Staat immer wieder darum, Vorschläge
zur friedlichen Lösung der Konflikte zwischen den Bevölkerungsgruppen, die als
solche anerkannt wurden, zu erarbeiten. Die tamilischen Opfer der
Ausschreitungen von Mitte 1981 und Mitte 1983 erhielten staatliche
Entschädigungsleistungen oder Versicherungssummen, Beihilfen und Darlehen zur
Wiedereröffnung ihrer Betriebe (8; 9); der Staatspräsident beteiligte sich mit
erheblichen eigenen Mitteln am Wiederaufbau der tamilischen Nationalbibliothek in
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erheblichen eigenen Mitteln am Wiederaufbau der tamilischen Nationalbibliothek in
Jaffna, deren Existenz im Bewußtsein der tamilischen Bevölkerungsminderheit
einen besonderen Wert hat (3).
Auch soweit die Verfolgung separatistischer Ziele durch den PTA sowie in noch
schärferer Form durch die sechste Verfassungsänderung vom August 1983
verboten wurde (siehe dazu insbesondere 4, Sonderband Jan. - Dez. 1983 mit
Übersetzung des Textes), können darin keine Ansätze in der Rechtsordnung für
eine Zwangsassimilierung der Tamilen gesehen werden. Es handelt sich um
Maßnahmen zur Sicherung der staatlichen Einheit, die die Tamilen keinem
Assimilierungsdruck aussetzen oder gar zu ihrer Vertreibung oder Vernichtung
führen, da die nationale Identität und die kulturelle Eigenständigkeit der Tamilen
auch von diesen Vorschriften zu keinem Zeitpunkt berührt wurden. Eine
Gruppenverfolgung der Tamilen läßt sich damit auch aus diesen Gesetzen, die in
weiten Teilen dem Rechtsgüterschutz im Sinne der vom Bundesverfassungsgericht
(BVerfG, 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, a.a.O., 337 ff.) herausgearbeiteten
Kriterien dienen, nicht ableiten.
Die in der Heimatregion des Klägers im Norden Sri Lankas im Zuge der Unruhen
Ende Juli/Anfang August 1983 erfolgten Ausschreitungen von Armeeangehörigen
und die in der Zeit danach insbesondere im Jaffna-Distrikt im Zuge der erheblichen
Eskalierung des bewaffneten Konflikts im Rahmen der Terrorismusbekämpfung
begangenen Übergriffe der Sicherheitskräfte (Armee, Polizei u.a.) gegenüber der
zumeist tamilischen Zivilbevölkerung vermögen nach der aus den
Erkenntnisquellen gewonnenen Überzeugung des Senats ebenfalls nicht die
Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung zu erfüllen. Es
handelte sich damals noch nicht um eine asylrelevante unmittelbare staatliche
Verfolgung der tamilischen Volksgruppe als solche. Damals war es noch nicht zu
Rechtsgutbeeinträchtigungen von Tamilen in einer Intensität und Häufigkeit
gekommen, die für jedes Gruppenmitglied die Annahme rechtfertigen konnten,
selbst alsbald Opfer solcher Verfolgungsmaßnahmen zu werden (vgl. BVerfG,
23.01.1991 - 2 BvR 902/85 u.a. -, a.a.O.).
Hinsichtlich von Teilen der pogromartigen Ausschreitungen im Sommer 1983 und
hinsichtlich der im Jahr 1984 zunehmenden Exzesse steht die Täterschaft
staatlicher Sicherheitskräfte fest (5; 7; 8). Gerade im Hinblick auf den
Exzeßcharakter ist aber fraglich, ob darin überhaupt eine unmittelbare staatliche
Verfolgung gesehen werden kann, weil eine solche die Durchsetzung eigener
staatlicher Ziele voraussetzt (BVerwG, 15.05.1990 - 9 C 17.89 -, BVerwGE 85, 139
= EZAR 202 Nr. 18). Vielmehr ist insoweit eine Drittverfolgung durch einzelne
Angehörige der überwiegend singhalesischen Sicherheitskräfte anzunehmen, weil
keine Anhaltspunkte dafür gegeben sind, daß den srilankischen Sicherheitskräften
damals, sei es offen oder versteckt, vorgegeben worden war, die tamilische
Bevölkerungsgruppe oder jedenfalls Teile von ihr, etwa junge männliche Tamilen im
Alter von etwa 16 bis 40 Jahren, jederzeit festzunehmen und verschwinden zu
lassen oder unter Vortäuschung von Exzessen zu töten. Als Drittverfolgung ist sie
dem srilankischen Staat nicht zuzurechnen, weil er sich insoweit im Rahmen der
ihm zur Verfügung stehenden Mittel grundsätzlich schutzbereit gezeigt hat (vgl.
dazu BVerfG, 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, a.a.O., 335 f.). So wurden die am
25. Juli 1983 in Trincomalee marodierenden Matrosen alsbald arrestiert und
teilweise entlassen, und gegen die Armeeangehörigen, die in Jaffna als Vergeltung
für den Terroranschlag vom 23. Juli 1983 51 Zivilpersonen umgebracht hatten,
wurde ein Kriegsgerichtsverfahren eingeleitet (8). Außerdem wurden wiederholt
Versuche zur Disziplinierung der schlecht ausgebildeten und in der Regel, auch
infolge häufigen Alkoholgenusses, undisziplinierten Sicherheitskräfte
unternommen (11). Jedenfalls aber waren die Ausschreitungen der staatlichen
Kräfte im Juli 1983 wie auch die zahlreichen Vergeltungsaktionen in den Jahren
danach in der Regel jeweils Reaktionen auf die in erster Linie gegen staatliche
Sicherheitskräfte (mit Anschlägen auf singhalesische Zivilisten begann die LTTE
erst 1985) gerichteten Anschläge und Angriffe der aus dem Schutz der
Bevölkerung heraus insbesondere mit "Hit-and-run-Aktionen" (33, S. 50)
operierenden tamilischen Befreiungsbewegung, vor allem der LTTE (vgl. zu Art und
Umfang des damaligen Kampfes 9). Diese Maßnahmen, wenn auch oft von
hilfloser Wut und wahllosen Zerstörungen geprägt, waren somit anlaßbezogen und
grundsätzlich durch eine von den Betroffenen ausgehende reale oder
vermeintliche Gefahr motiviert und stellten deshalb keine von einem besonderen
Anlaß völlig losgelöste, überwiegend oder ausschließlich an die tamilische
Volkszugehörigkeit anknüpfende kollektive Gruppenverfolgung der Tamilen in den
Nordprovinzen dar, die für jedes Mitglied dieser Gruppe eine jederzeitige
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Nordprovinzen dar, die für jedes Mitglied dieser Gruppe eine jederzeitige
unmittelbar drohende eigene Verfolgung hätte ergeben können. Asylbegründend
ist die Verfolgung des politischen Feindes, nicht die Abwehr des Terrors (BVerfG,
10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, a.a.O., 339).
Zweifelsfrei um unmittelbare staatliche Verfolgungsmaßnahmen handelt es sich
aber, soweit zur Terrorismusbekämpfung seit Anfang der 80er Jahre in
zunehmenden Maße gezielt Razzien durchgeführt und junge männliche Tamilen
etwa im Alter zwischen 16 und 35 Jahren festgenommen und in Armeelagern
verhört wurden. Angesichts des Umstands, daß sich die damals noch mehreren
militanten tamilischen Befreiungsbewegungen, vor allem die LTTE, in erster Linie
aus diesem Bevölkerungskreis rekrutierten, müssen diese Maßnahmen aber
grundsätzlich als asylirrelevante präventive Maßnahmen zur Abwehr des
Terrorismus angesehen werden, soweit sie nicht wegen einer außergewöhnlichen
Härte und Intensität oder wegen der Inanspruchnahme erkennbar Unbeteiligter
diesen Rahmen überschritten. Zwar sollen die verhafteten Männer entweder
innerhalb von 48 Stunden entlassen worden sein, wenn eine erste Befragung durch
Spezialisten des militärischen Nachrichtendienstes offensichtlich keinen Verdacht
begründet hatte, oder aber, wenn die dezentralen weiteren Abklärungen durch den
zivilen nationalen Sicherheitsdienst CID im Raum Colombo keine Verdachtsgründe
ergeben hatten (9). Andererseits mußten jüngere Tamilen, wie zahllose Fälle
zeigen, damit rechnen, bei den häufigen Razzien und Verhaftungsaktionen Opfer
von Willkür und Brutalität der Sicherheitskräfte zu werden (8), sollen Verhaftungen
willkürlich erfolgt und auch Minderjährige und Frauen betroffen worden sein, die
Haftdauer oft bei einigen Monaten gelegen haben und vielfach über die
Anwendung von Folter geklagt worden sein (14).
Bis Mitte der achtziger Jahre läßt sich aber immer noch annehmen, daß die
Maßnahmen des srilankischen Staats sowie der indischen Schutztruppen als
diejenigen von Bürgerkriegsparteien gegen die gegnerische Partei der LTTE
gerichtet waren und daher als Handlungen, die im Interesse der Wiederherstellung
der staatlichen Friedensordnung notwendig waren, grundsätzlich nicht den
Charakter asylrechtlicher Verfolgung hatten. Der Senat vermag daher für den
fraglichen Zeitraum nicht festzustellen, daß die Aktionen der srilankischen
Sicherheitskräfte nach asylerheblichen Merkmalen bestimmte Personen
vornehmlich physisch zu vernichten suchten, obwohl diese keinen Widerstand
mehr leisteten oder an dem militärischen Geschehen nicht (mehr) beteiligt waren,
oder daß sie gar in die gezielte physische Vernichtung oder Zerstörung der
ethnischen, kulturellen oder religiösen Identität des tamilischen Bevölkerungsteils
umgeschlagen waren, was zur Annahme politischer Verfolgung bei der
Bekämpfung des (Guerilla-) Bürgerkriegsgegners selbst bei Verlust der effektiven
Gebietsgewalt des Staates führen würde (BVerfG, 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -
, a.a.O., 340 f.). Von einer vornehmlich physischen Vernichtung der bei den
Razzien vorübergehend festgenommenen Tamilen kann schon deswegen keine
Rede sein, weil diese zwar Opfer von Willkür und Brutalität der Sicherheitskräfte
während der Inhaftierung wurden, jedoch in der Regel nach Tagen, Wochen oder
Monaten freigelassen wurden (9; 14). Überdies war die Auswahl der
Festgenommenen nicht durch asylerhebliche Merkmale bestimmt, was etwa der
Fall gewesen wäre, wenn die Sicherheitskräfte ausschließlich auf Personen
zugegriffen hätten, deren Einsatz für die Befreiungsbewegungen ihnen bekannt
war. Vielmehr erfolgte das Einschreiten durch Festnahme von Personen,
besonders junger Männer bestimmter Altersgruppen, weil sich die terroristisch
vorgehenden Befreiungsbewegungen, insbesondere die LTTE, aus meist
jugendlichen Tamilen der genannten Altersgruppe (16 bis 35 Jahre)
zusammensetzten. Deren Inhaftierung beruhte offensichtlich lediglich auf dem
Verdacht der aktiven Teilnahme am Bürgerkrieg oder geschah vorsorglich zur
Verhinderung ihrer Rekrutierung für die terroristisch vorgehenden tamilischen
Kampfeinheiten, knüpfte mithin gerade nicht an das asylrechtlich erhebliche
Merkmal der Betätigung einer politischen Gesinnung an, sondern stellte eine
präventive Maßnahme zur Abwehr des Terrorismus dar. Gleiches gilt für die
Vergeltungsschläge der Sicherheitskräfte nach Terroranschlägen, nach deren
Ziellosigkeit ebenfalls offensichtlich ist, daß ihnen keine Auswahl der Opfer nach
asylerheblichen Merkmalen zugrunde lag. Auf die Frage, ob die Opfer der Razzien
und Vergeltungsschläge vornehmlich oder gar ausschließlich Personen waren, die
an dem militärischen Geschehen überhaupt nicht beteiligt waren, kommt es daher
nicht an. So unerträglich die Zustände für die zum damaligen Zeitpunkt in den
Nordprovinzen, und insbesondere auf der Jaffna-Halbinsel, lebenden Tamilen auch
gewesen sein mögen, so kann doch gar von einer gezielten physischen
Vernichtung oder Zerstörung der Identität des tamilischen Bevölkerungsteils, zu
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Vernichtung oder Zerstörung der Identität des tamilischen Bevölkerungsteils, zu
verstehen als dessen Ausrottung, nicht die Rede sein. Dazu hätte es eines
gezielten Vorgehens gegen alle oder so gut wie alle Tamilen bedurft, für das keine
Anhaltspunkte ersichtlich sind. Nach den getroffenen Feststellungen waren in der
Heimatregion des Klägers auch nicht nach asylerheblichen Merkmalen bestimmte
Teile der der Gegenseite zugerechneten tamilischen Bevölkerung von den
Festnahmen bei Razzien und Vergeltungsschlägen betroffen.
Bis Mitte der achtziger Jahre sind auch keine Anhaltspunkte für eine vom
srilankischen Staat gebilligte oder geduldete Verfolgung der Tamilen durch die
singhalesische Bevölkerungsmehrheit ersichtlich, so daß auch die
Voraussetzungen einer mittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung durch Dritte
nicht vorliegen. Was das Tamilenpogrom vom Juli/August 1983 betrifft, ist im
Hinblick darauf, daß die gegen die Tamilen gerichteten Gewalttaten der
singhalesischen Bevölkerungsmehrheit ihren Schwerpunkt im Südwesten der Insel
und im zentralen Bergland, nicht aber in der Heimatregion des Klägers hatten (5;
8) und eine gruppengerichtete Verfolgung durch Dritte auch regional begrenzt sein
kann (BVerfG, 23.01.1991 - 2 BvR 902/85 u.a. -, a.a.O.), fraglich, ob deswegen dem
Kläger Verfolgung drohen konnte. Unabhängig davon kann dieses Pogrom nicht
dem srilankischen Staat zugerechnet werden, weil er mit den ihm an sich zur
Verfügung stehenden Kräften Schutz gewährt und die Unruhen im wesentlichen bis
zum 2. August 1983 eingedämmt hat (vgl. zum folgenden insbesondere 4,
Sonderband Jan. - Dez. 1983). So wurde der seit dem 18. Mai 1983 aufgrund
gewalttätiger Aktionen anläßlich einer an diesem Tage stattfindenden
Parlamentsnachwahl und Kommunalwahl landesweit verhängte Ausnahmezustand
bereits vor dem Ausbruch des Pogroms wegen der anhaltend unruhigen Situation
am 18. Juli 1983 verlängert, am 25. Juli 1983 eine Ausgangssperre über Colombo
und den Jaffna-Distrikt verhängt, am nächsten Tag auf das ganze Land
ausgedehnt und der Einsatz von Polizei und Armee gegen Unruhestifter, Plünderer
und ähnliche Personen angekündigt und durchgeführt. Nachdem schon am 13. Juni
1983 zwei Notstandsverordnungen ergangen waren, mit denen sämtliche
Prozessionen verboten und für Waffen- und Sprengstoffbesitz Freiheitsstrafen nicht
unter zehn Jahren angedroht worden waren, verbot die Regierung am 30. Juli 1983
drei als verantwortlich bezeichnete, marxistisch orientierte Parteien, gegen deren
führende Funktionäre Haftbefehle ausgestellt wurden, und schloß die Redaktion
von vier Zeitungen. Nach dem Abflauen der Unruhen beschloß das Parlament am
5. August 1983 die sechste Verfassungsänderung, die jede Form von
Separatismus und seine Propagierung unter Strafe stellte, verkündete die
Regierung am 6. August 1983 die Todesstrafe für illegalen Waffen- und
Sprengstoffbesitz und wurden am 3. September 1983 neue
Notstandsbestimmungen in Kraft gesetzt, die die Todes- bzw. lebenslange
Freiheitsstrafe für Brandstiftung, Plünderung und einige andere Delikte, darunter
auch Hervorrufen von Unzufriedenheit, Verbreitung von Gerüchten und falschen
Erklärungen sowie Verteilung von Flugblättern vorsahen. Hinzu kommt, daß die
Regierung und caritative Organisationen umgehend in der näheren Umgebung
Colombos und auch in anderen Landesteilen Notunterkünfte für die obdachlos
gewordenen Tamilen einrichteten und diese teilweise auch auf die Halbinsel Jaffna
verschifften, wo sie weitgehend blieben.
In der Zeit danach ist es trotz mancher Befürchtungen nach terroristischen
Anschlägen der LTTE nicht erneut zu Pogromen gegen Tamilen gekommen, was
konkret belegt, daß die Maßnahmen, aus denen der Senat die Schutzbereitschaft
des srilankischen Staats für die in den singhalesischen Mehrheitsgebieten
lebenden Tamilen abgeleitet hat, effektiv waren. Berücksichtigt man, daß es keiner
staatlichen Ordnungsmacht möglich ist, einen lückenlosen Schutz vor Unrecht und
Gewalt zu garantieren (BVerfG, 10.11.1989 - 2 BvR 403/84 u.a. -, BVerfGE 81, 58 =
EZAR 203 Nr. 5), so ist es im Rahmen der Anforderungen, die danach an die
Schutzbereitschaft des srilankischen Staats zu knüpfen sind, dem srilankischen
Staat durch die von ihm getroffenen Maßnahmen gelungen, die Tamilen in den
singhalesischen Mehrheitsgebieten vor Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche
Dritte, insbesondere Pogromen, zu schützen. Da ein lückenloser Schutz nicht
verlangt werden kann, ist es ohne Bedeutung, wenn es in Einzelfällen noch zu
Übergriffen gekommen ist; jedenfalls sind Pogrome oder ähnliche massenhafte
Ausschreitungen ausgeblieben.
Diese Situation veränderte sich aber in der Folgezeit, als der srilankische Staat auf
der Jaffna-Halbinsel und im Mullaitivu- Distrikt nur in einigen Bereichen noch die
Gebietsgewalt behaupten konnte, sie aber im überwiegenden Teil dieser Gebiete
an die LTTE verlor. Dies beruht auf der oben beschriebenen Entwicklung, die sich
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an die LTTE verlor. Dies beruht auf der oben beschriebenen Entwicklung, die sich
seit etwa Ende 1984 vollzog. Bis dahin hatte der srilankische Staat noch
überwiegend die Herrschaftsmacht auf der Jaffna-Halbinsel und im Mullaitivu-
Distrikt, büßte aber in der Folgezeit zunehmend die Möglichkeit der Durchsetzung
seiner Hoheitsgewalt ein. In den von der LTTE und auch in den von der
srilankischen Armee beherrschten Gebieten der Jaffna-Halbinsel und im Mullaitivu-
Distrikt drohte fortan einem tamilischen Volkszugehörigen politische Verfolgung
durch Handlungen der srilankischen Regierungstruppen, die dort mit kriegerischen
Mitteln gegen die LTTE kämpften. Die die tamilische Zivilbevölkerung in diesen
Gebieten betreffenden Maßnahmen und Übergriffe der srilankischen
Regierungstruppen stellen sich nach den oben ausgeführten Grundsätzen als eine
Gruppenverfolgung der Tamilen in diesen Bereichen dar. Auf der Grundlage dieser
Kriterien ist festzustellen, daß die srilankischen Regierungstruppen die
Angehörigen der tamilischen Zivilbevölkerung unter Anknüpfung an ihre
Volkszugehörigkeit durch schwerwiegende Rechtsverletzungen verfolgten, die
gerade auch darauf ausgerichtet waren, die dort lebenden Tamilen wegen ihrer
Volkszugehörigkeit zu verfolgen. Freilich handelte es sich dabei in den von der LTTE
beherrschten Gebieten nicht um staatliche Verfolgung seitens der srilankischen
Zentralgewalt, da die Friedensordnung dort prinzipiell aufgehoben war. Denn der
srilankische Staat hatte dort - wie oben dargestellt - keine effektive
Ordnungsmacht mehr, weshalb er gegen die LTTE dort nur mit militärischen Mitteln
vorgehen konnte. Militärische Maßnahmen, die der Rückeroberung eines Gebietes
dienen, das zwar de jure noch zum eigenen Staatsgebiet gehört, über das der
Staat aber de facto die Gebietsgewalt an die bekämpften Kräfte verloren hat, sind
im allgemeinen keine politische Verfolgung (BVerfG, 10.07.1989 - 2 BvR 502/86
u.a. -, a.a.O.). Auch wenn militärische Maßnahmen der staatlichen Zentralgewalt in
dieser Situation grundsätzlich nicht mehr den Charakter asylrechtlicher Verfolgung
haben, können sie doch asylrelevant sein, wenn sie über Handlungen
hinausgehen, die im Interesse der Wiederherstellung der staatlichen
Friedensordnung notwendig sind. Dies gilt vor allem, wenn die staatlichen Kräfte
den Kampf in einer Weise führen, die auf die physische Vernichtung von nach
asylerheblichen Merkmalen bestimmten Personengruppen gerichtet ist, obwohl
diese keinen Widerstand leisten oder nicht am militärischen Geschehen beteiligt
sind. Diese Voraussetzungen sind nach Überzeugung des Senats zumindest seit
Mitte 1990 angesichts der Art und Weise des militärischen Handelns der
srilankischen Regierungstruppen in den von der LTTE beherrschten Gebieten
gegeben. Die Aktionen der Streitkräfte waren jedenfalls seit dieser Zeit bei einer
Vielzahl von Angriffen bewußt auch gegen die tamilische Zivilbevölkerung in diesen
Gebieten gerichtet. Zwar sollte sich der Kampf nach wiederholten Erklärungen der
srilankischen Zivilregierung gegen die LTTE richten und die Zivilbevölkerung dabei
soweit wie möglich geschont werden (37, 38, 41; 55). Tatsächlich kam es in der
Praxis aber in einer Vielzahl von Fällen zu gezielten Angriffen auf Zivilpersonen
(60). Dabei wurden auch ohne konkrete Anhaltspunkte für eine militärische
Stellung der LTTE wahllos zivile Objekte bombardiert (sogenannte "indiscriminate
bombings", 41; 52). Verluste unter der Zivilbevölkerung wurden dabei so bewußt
und regelmäßig in Kauf genommen, daß zwischen Angriffen auf militärische und
zivile Ziele kaum noch zu unterscheiden war (40). Auch nach der Einnahme von
Orten kam es öfters zu Übergriffen gegen die Zivilbevölkerung, bis hin zu
Tötungen. Solche Übergriffe, die in ihrer Häufigkeit und Intensität vom
Kommandeur der jeweiligen Einheit abhingen, wurden von der militärischen
Führung in der Regel hingenommen, um den Handlungsspielraum und die Moral
der einzelnen Einheiten nicht einzuengen oder zu schwächen (40). Die von der
srilankischen Armee oft unter dem Vorwand der Bekämpfung der LTTE
vorgenommenen Aktionen, denen in einer Vielzahl von Fällen keine begründeten
Vermutungen für LTTE-Aktivitäten zugrundelagen, dienten oft nur der
Einschüchterung und Abschreckung der tamilischen Zivilbevölkerung (45). Zum
Teil wurden zivile Ziele auch willkürlich angegriffen, oft aus Frustration über die
Unfähigkeit der Regierungstruppen, Stellungen der LTTE aufzuspüren und zu
zerstören (54).
Insgesamt ließen die angeblich nur gegen vermutete LTTE-Ziele gerichteten
Angriffe ein hohes Maß an Gleichgültigkeit gegenüber der Verletzung und auch
Tötung von Zivilpersonen erkennen. Die Streitkräfte nahmen in der Regel bewußt
das hohe Risiko in Kauf, unbeteiligte Zivilisten zu treffen. Dabei war es durchaus
üblich, daß wahllos auf Menschenansammlungen geschossen wurde in der
Hoffnung, ein LTTE-Kämpfer werde sich schon unter den Opfern befinden (55).
Auch wenn im Einzelfall schwer auseinanderzuhalten sein mag, ob es tatsächlich
begründete Anhaltspunkte für LTTE-Aktivitäten gab oder diese nur willkürlich
unterstellt wurden, ist davon auszugehen, daß in einer Vielzahl von Fällen bewußt
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unterstellt wurden, ist davon auszugehen, daß in einer Vielzahl von Fällen bewußt
Opfer unter der Zivilbevölkerung in Kauf genommen wurden, und sei es nur, um
militärische Macht zu demonstrieren und so die Zivilbevölkerung von einer
Unterstützung der LTTE abzuhalten. Bei solchen Angriffen wurden Tempel, Kirchen,
Schulen und auch Krankenhäuser zerstört. Insgesamt läßt sich aus den Berichten
über die große Zahl und die Art militärischer Angriffe der Streitkräfte auf zivile
Ziele entnehmen, daß es sich dabei nicht um zufällige oder nur gelegentlich der
gezielten Bekämpfung einer LTTE-Stellung vorgekommene Zerstörungen von
zivilen Objekten handelte, sondern daß diese Angriffe zu einem großen Teil bewußt
auch auf die Zivilbevölkerung zielten. Anders als bei den vereinzelt
bekanntgewordenen Massakern durch Soldaten an tamilischen Zivilpersonen, die
noch als exzeßhafte Einzelfälle beurteilt werden können, stellten sich die bewußte
Inkaufnahme von Opfern unter der Zivilbevölkerung bei Angriffen auf nur vage
vermutete LTTE-Stellungen und insbesondere die zum Teil wahllose
Bombardierung von Wohngebieten schon als eine Art üblicher Taktik zur
Einschüchterung der tamilischen Zivilbevölkerung unter anderem mit dem Ziel
dar, diese von einer Unterstützung der LTTE abzuhalten.
Die normativen Vorgaben durch die Zentralregierung und die Armeespitze zur
Schonung der Zivilbevölkerung wurden offensichtlich in vielen Kampfsituationen
von den jeweiligen Truppenteilen nicht eingehalten. Zwar sollte die Armee die
Zivilisten in der Regel vor Beginn einer Offensive zum Verlassen des Gebiets
auffordern. Solche Aufforderungen wurden aber oft nicht bekannt, so daß Zivilisten
überrascht und durch Luftangriffe ohne Vorwarnung in Mitleidenschaft gezogen
wurden. Zum anderen spricht für die Unwirksamkeit dieser "Vorwarnungen", daß
viele öffentliche Einrichtungen durch Militäraktionen getroffen wurden. Zur
Erklärung der vielen zivilen Opfer wird auch auf die LTTE-Guerillataktik der "human
shields" hingewiesen, die darin besteht, militärisches Gerät oft in dicht besiedeltem
Gebiet zu plazieren und damit die umliegend wohnende Zivilbevölkerung als
menschliche Schutzschilde vor militärischen Angriffen der Regierungstruppen zu
benutzen (51). Die Gefahr ziviler Schäden bestehe angesichts der
Zielungenauigkeit von Luftangriffen generell bei der Nachbarschaft von
militärischen Objekten und Bewegungen (62). Bei der Bombardierung solcher Ziele
kam es oft zu einer großen Zahl von Opfern unter den in der Nähe sich
aufhaltenden Zivilpersonen (51; 61). Insgesamt ist bei Abwägung und
Einbeziehung aller genannten Berichte festzustellen, daß die militärischen
Aktionen der Streitkräfte der Zentralregierung in den von der LTTE beherrschten
Gebieten nicht allein unmittelbar auf die Bekämpfung dieser Organisation gerichtet
waren, sondern auch bewußt und in einer Vielzahl von Fällen zielgerichtet die
Verletzung und Tötung von Personen der Zivilbevölkerung in Kauf genommen
wurde, um dadurch jedenfalls auch mittelbar - durch Abschreckung und
Einschüchterung der tamilischen Zivilbevölkerung - den militärischen Kampf gegen
die LTTE zu erleichtern. Dabei ist es für die Asylrelevanz dieser Kriegsführung nicht
erforderlich, daß sie auf die Zerstörung der Identität der gesamten der Gegenseite
zugerechneten Zivilbevölkerung ausgerichtet war. Es ist insoweit schon
asylrechtlich erheblich, wenn von solchen Aktionen nur Teile dieser
Zivilbevölkerung betroffen sind, die - wie hier - nach asylerheblichen Merkmalen
bestimmt sind (BVerwG, 27.01.1993 - 9 B 95.92 -).
Für diese Beurteilung maßgeblich sind nicht die subjektiven Gründe oder Motive
der handelnden Militärs, sondern die nach ihrem inhaltlichen Charakter erkennbare
Gerichtetheit der von den Streitkräften durchgeführten Aktionen (vgl. zu diesem
Kriterium der "Gerichtetheit" der asylrelevanten Maßnahme: BVerfG, 01.07.1987 -
2 BvR 478/86 -, a.a.O., 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, a.a.O., 20.12.1989 - 2 BvR
958/86 -, BVerfGE 81, 142 = EZAR 200 Nr. 26). Damit ist eine objektivierte
Betrachtung der grundsätzlichen Zielrichtung der Aktionen der srilankischen
Streitkräfte erforderlich. Aus der Sicht eines objektiven Dritten stellten sich die
Aktionen der srilankischen Streitkräfte als in erheblichem Umfange auch gegen die
tamilische Zivilbevölkerung gerichtet dar. Dabei trug die große Zahl von
Zerstörungen ziviler Objekte und von Opfern unter der Zivilbevölkerung im
Vergleich zu dem Vorgehen der srilankischen Armee im Osten, in dem die
verschiedenen Volksgruppen - Singhalesen, Tamilen und Moors (Muslime) -
zusammenleben, zu der Einschätzung bei, daß diese Vorgehensweise gerade auch
deshalb erfolgte, weil es sich bei der Zivilbevölkerung praktisch ausschließlich um
Tamilen handelt. Auf der Jaffna-Halbinsel und im Mullaitivu-Distrikt wurden nämlich
zum Teil nur vage vermutete LTTE-Objekte von den Streitkräften auch dann
angegriffen, wenn die Verletzung oder Tötung unbeteiligter Zivilpersonen zu
befürchten war (54, 56).
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Die nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahmen der Streitkräfte an die
tamilische Volkszugehörigkeit der Zivilbevölkerung anknüpfende Verfolgung wurde
durch die Zentralregierung stillschweigend geduldet bzw. billigend in Kauf
genommen und ist ihr deshalb als unmittelbare staatliche Verfolgung
zuzurechnen. Zwar setzte die srilankische Regierung bei spektakulären
Übergriffen, insbesondere bei Massakern durch einzelne Truppenteile,
Untersuchungskommissionen ein; allerdings handelte es sich dabei nur um
einzelne Aufklärungsanstrengungen seitens der Regierung, über deren
Konsequenzen in Form von Sanktionen gegenüber Militärpersonen in größerem
Umfang nichts bekannt geworden ist (52). Die strafrechtliche Verfolgung von
Übergriffen durch Armeeangehörige blieb die Ausnahme. Gegen die Bewertung
der militärischen Aktionen gegen die tamilische Zivilbevölkerung auf der Jaffna-
Halbinsel als politische Verfolgung spricht auch nicht, daß die Zentralregierung auf
der anderen Seite versuchte, die Lage der tamilischen Bevölkerung dort zu
verbessern, indem sie Lebensmittellieferungen aus dem Süden des Landes - zum
Teil unter dem Schutz internationaler Hilfsorganisationen - organisierte und auch
die medikamentöse Versorgung zuließ, soweit es sich dabei nicht um militärisch
verwertbare Güter handelte (62). Der srilankische Staat stellte sich insofern als ein
"mehrgesichtiger" Staat dar, der die Einheit seines Staatsgebiets dadurch zu
erhalten versuchte, daß er einer Bevölkerungsminderheit grundsätzlich half,
überhaupt das Existenzminimum sichern zu können, andererseits es aber zuließ,
daß durch Aktionen der unter eigener Verantwortung operierenden Militärkräfte die
tamilische Zivilbevölkerung zur Abschreckung vor der Unterstützung terroristischer
Organisationen wie der LTTE und zur generellen Einschüchterung unter "den Druck
brutaler Gewalt" gesetzt wurde.
Auch soweit die srilankische Zentralgewalt in einem kleinen Teil der Jaffna-Halbinsel
die Gebietsgewalt durch die Regierungstruppen aufgrund militärischer
Machtausübung innehatte, konnte sie sich dort nicht als effektive innere
Ordnungsmacht im zivilen Bereich entfalten, sondern war auch dort im
wesentlichen nur als militärisch kämpfende Bürgerkriegspartei präsent (vgl. zu
dieser Einschätzung allgemein: BVerwG, 13.05.1993 - 9 C 59.92 -). In den von der
srilankischen Zentralgewalt durch die Regierungstruppen beherrschten bzw.
kontrollierten Gebieten insbesondere um den Marine-Stützpunkt Kankesanthurai,
den Luftwaffenstützpunkt Palali sowie die Orte Tellipallai, Kopay und die der Jaffna-
Halbinsel vorgelagerten Inseln Kayts, Delft und Karaitivu sowie in Mullaitivu-Stadt
kam es nach den oben genannten Berichten zur Abwehr vermuteter LTTE-Angriffe
ebenso zu gezielten Angriffen auf die Zivilbevölkerung wie bei Aktionen der
Streitkräfte in von der LTTE beherrschten Gebieten. Dies belegen die oben
genannten Berichte, nach denen Opfer unter der Zivilbevölkerung auch aufgrund
von Angriffen aus Militärlagern der Regierungsstreitkräfte hinaus zu beklagen
waren, bei denen offenbar auch bewußt Verluste unter der Zivilbevölkerung in Kauf
genommen wurden. Soweit die Regierungstruppen zur Abwehr von LTTE-Angriffen
auf von ihnen kontrollierte Gebiete in der oben beschriebenen Weise Übergriffe auf
die Zivilbevölkerung vornahmen, um diese dadurch insbesondere einzuschüchtern
und von einer Unterstützung angreifender oder einsickernder LTTE-Trupps
abzuhalten, stellte dies dort, wo sie staatliche Gewalt tatsächlich noch ausüben
konnten und soweit sie dort nicht nur als kämpfende Kriegspartei auftraten, der
srilankischen Zentralgewalt zuzurechnende politische Verfolgung durch den Staat
Sri Lanka dar. Soweit der Staat seine Gebietsgewalt prinzipiell wiedererlangt,
entsteht damit erneut auch wieder die Möglichkeit asylrelevanter staatlicher
Verfolgung (BVerwG, 08.09.1992 - 9 C 62.91 -).
Zusammenfassend ist deshalb festzustellen, daß einem tamilischen
Volkszugehörigen auf der Jaffna-Halbinsel und im Mullaitivu- Distrikt zumindest seit
Mitte 1990 mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung durch
Aktionen der Streitkräfte sowohl in den von der LTTE beherrschten Gebieten als
auch in den von den Regierungstruppen kontrollierten Bereichen drohte, da
Angriffe der Regierungstruppen gezielt auch die Zivilbevölkerung in Anknüpfung an
ihre tamilische Volkszugehörigkeit wahllos trafen, um diese von einer gerade
aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit für möglich gehaltenen Unterstützung der LTTE
abzuhalten.
2. Ein tamilischer Volkszugehöriger konnte aber im Zeitpunkt der Ausreise des
Klägers in Sri Lanka leben, ohne daß ihm dort politische Verfolgung drohte, wenn
er sich im Süden und Westen des Landes, insbesondere im Großraum Colombo
und Umgebung, niederließ. In diesem Gebiet bestand für ihn eine inländische
Fluchtalternative, da er dort hinreichend sicher vor staatlichen
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Fluchtalternative, da er dort hinreichend sicher vor staatlichen
Verfolgungsmaßnahmen war, die wegen seiner Intensität und Zielgerichtetheit
unter Anknüpfung an ein asylrelevantes Merkmal politische Verfolgung darstellen
könnten (a). Dort war er auch grundsätzlich nicht einer anderen existentiellen
Gefährdung ausgesetzt, die so in seiner Heimatregion nicht bestanden hätte (b).
Eine inländische Fluchtalternative besteht dann, wenn ein nur regional von
politischer Verfolgung betroffener Asylbewerber in anderen Teilen seines
Heimatstaates, in denen ihm politische Verfolgung mit hinreichender Sicherheit
nicht droht, eine zumutbare Zuflucht finden kann (BVerwG, 14.08.1981 - 9 B
1307.80 -, EZAR 200 Nr. 5). Die Zumutbarkeit einer inländischen Fluchtalternative
setzt voraus, daß der Ausländer am Ort der möglichen Fluchtalternative politische
Verfolgungsmaßnahmen nicht begründet befürchten muß. Zu dem asylrechtlich
geschützten Bereich der persönlichen Freiheit gehören dabei auch die Rechte auf
freie Religionsausübung und ungehinderte berufliche und wirtschaftliche
Betätigung. Die Beeinträchtigung dieser Rechte kann einen Asylanspruch
begründen, wenn sie nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde
verletzt und über das hinausgeht, was die Bewohner des Heimatstaates aufgrund
des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben (BVerwG,
15.02.1984 - 9 CB 191.83 -, EZAR 203 Nr. 2). Unabhängig von politischer
Verfolgung drohende Gefährdungen am Ort der inländischen Fluchtalternative sind
grundsätzlich asylirrelevant, es sei denn, der Ausländer gerät am Ort der
inländischen Fluchtalternative in eine wirtschaftliche Notlage, in der ihm kaum
mehr als das zum Leben unbedingt Notwendige gesichert ist (BVerwG, 06.10.1987
- 9 C 13.87 -, EZAR 203 Nr. 4). Insoweit kommt es darauf an, ob dem Asylbewerber
am Ort einer möglichen Fluchtalternative bei generalisierender Betrachtung mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit auf Dauer ein Leben unter dem Existenzminimum
droht, das zu Hunger, Elend und schließlich zum Tode führt (BVerwG, 16.06.1988 -
9 C 1.88 -, InfAuslR 1989, 107). Nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts, der insoweit nach Auffassung des
Bundesverwaltungsgerichts Bindungswirkung im Sinne des § 31 BVerfGG zukommt
(BVerwG, 15.05.1990 - 9 C 17.89 -, a.a.O.), setzt die inländische Fluchtalternative
voraus, daß der Asylbewerber in den in Betracht kommenden Gebieten vor
politischer Verfolgung hinreichend sicher ist und ihm jedenfalls auch dort keine
anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere
einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung aus politischen Gründen
gleichkommen, sofern diese existentielle Gefährdung am Herkunftsort so nicht
bestünde (BVerfG, 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, a.a.O., 10.11.1989 - 2 BvR
403/84 u.a. -, a.a.O.). Zu diesen existentiellen Gefährdungen können vor allem die
nicht mögliche Wahrung eines religiösen (BVerfG, 30.12.1991 - 2 BvR 406/91 -,
InfAuslR 1992, 219) oder wirtschaftlichen Existenzminimums gehören (BVerwG,
15.05.1990 - 9 C 17.89 -, a.a.O.). Für die Feststellung einer existentiellen
Gefährdung des Asylbewerbers auch am Ort der inländischen Fluchtalternative
reicht nicht die Möglichkeit einer solchen Gefährdung aus, sondern es muß mit
dem nach dem allgemeinen Prognosemaßstab für die Nachfluchtgründe
notwendigen Überzeugungsgrad festgestellt werden, daß dem Asylbewerber dort
ein Leben unter dem Existenzminimum droht, das jedenfalls zu einer
verfolgungsunabhängigen wirtschaftlichen Verelendung führt (BVerwG, 06.10.1987
- 9 C 13.87 -, a.a.O.). Beeinträchtigungen des Rechts auf ungehinderte berufliche
und wirtschaftliche Betätigungen, die die Wahrung eines wirtschaftlichen
Existenzminimums verhindern, sind nur dann nicht hinzunehmen, wenn sie so
erheblich sind, daß sie sich als Eingriff in die Menschenwürde darstellen (BVerfG,
02.07.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, a.a.O.; BVerwG, 23.11.1982 - 9 C 844.80 -, DÖV
1983, 206). Beschränkungen der Erwerbstätigkeit sind demnach erst asylerheblich,
wenn sie die wirtschaftliche Existenz bedrohen und jenes Existenzminimum nicht
mehr gewährleisten, das ein menschenwürdiges Dasein erst ausmacht (BVerwG,
30.04.1991 - 9 C 105.90 -). Dies kann außer bei der Vernichtung der
wirtschaftlichen Existenz nur zugrunde gelegt werden, wenn gravierende
Beeinträchtigungen der beruflichen Betätigung die Menschenwürde verletzen
(BVerwG, 20.10.1987 - 9 C 42.87 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 75). Liegt die
Voraussetzung einer existentiellen Gefährdung am Ort der inländischen
Fluchtalternative vor, kommt es nicht mehr darauf an, ob eine staatliche
Verantwortlichkeit für das Fehlen eines wirtschaftlichen oder religiösen
Existenzminimums am Ort der inländischen Fluchtalternative zu bejahen ist
(BVerfG, 30.12.1991 - 2 BvR 406/91 u.a. -, a.a.O.).
a) Ein srilankischer Staatsangehöriger tamilischer Volkszugehörigkeit, der sich im
Zeitpunkt der Ausreise des Klägers im Süden und Westen Sri Lankas,
insbesondere im Großraum Colombo und Umgebung, niederließ, hatte
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insbesondere im Großraum Colombo und Umgebung, niederließ, hatte
grundsätzlich die Möglichkeit, dort, wenn auch unter bescheidenen Verhältnissen,
verfolgungsfrei zu leben. Es fanden dort zwar häufig sogenannte "screening
actions" (Überprüfungsaktionen) statt, die unter erkennungsdienstlicher
Behandlung von verdächtigen Personen der Feststellung der Identität, des
Wohnortes, des Arbeitsplatzes und ähnlichem dienten. Die im Rahmen solcher
Fahndungsaktionen vorläufig festgenommenen Personen wurden aber zum
größten Teil nach kurzer Zeit wieder freigelassen (40; 51). Dies gilt auch für die
den "screening actions" häufig vorausgehenden Razzien, bei denen die nach
bestimmten Kriterien besonders verdächtigen Personen, die einem "screening"
und Verhör unterzogen werden sollten, aussortiert wurden. Betroffene von Razzien
konnten bei der Fahndung nach LTTE-Kämpfern alle jüngeren, männlichen und
weiblichen Tamilen im oben genannten kampffähigen Alter zwischen 11 und 36
Jahren sein (56). Verhaftungsaktionen von Tamilen, sogenannte "Roundups"
fanden häufig aufgrund von Gerüchten statt, deren Wahrheitsgehalt für
Außenstehende kaum zu verifizieren ist. Der Umfang der Polizeiaktionen deutete
nicht darauf hin, daß es sich immer um anlaßbezogene Maßnahmen handelte.
Tamilen waren oft bereits verdächtig, nur weil sie Tamilen sind; längere
Inhaftierungen erfolgten aber in der Regel nur, wenn objektive Anhaltspunkte für
die Unterstützung von an Gewalttaten beteiligte Personen bestanden (40; 51).
Razzien zur Aufspürung von LTTE- Aktivisten im Süden wurden meist nur aufgrund
konkreten Anlasses durchgeführt. Dabei wurden kurzfristige Festnahmen (für ein
bis zwei Tage) vorgenommen. Fast alle Festgenommenen - etwa 90 % - wurden
nach dem screening wieder freigelassen (40; 43; 52; 60; 64).
Vorläufig festgenommen wurden bei Razzien insbesondere junge Tamilen, die
keinen "valid reason" hatten, sich im Großraum Colombo aufzuhalten,
insbesondere weil sie dort wohnten, arbeiteten oder im Familienverband lebten
(65). Ein solcher Grund konnte auch darin liegen, daß der Betroffene nicht
"registriert" war. Mitte 1991 und Anfang 1992 hat das srilankische
Verteidigungsministerium alle nicht dauernd im Süden lebenden Personen, die
sich außerhalb von Flüchtlingslagern aufhielten, aufgerufen, sich registrieren zu
lassen (60). Die Registrierung stellte mittelbar gleichzeitig einen Schutz gegen das
Risiko einer Verhaftung bei Razzien dar, die insbesondere junge Tamilen betrafen
(64). Eine größere Zahl von Einzelfällen längerer Verhaftung im Südwesten und
Süden Sri Lankas ist informierten Berichterstattern 1992 nicht bekannt geworden
(67). Gezielte Einzelverhaftungen dienten oft nur der Erpressung von Lösegeld von
Angehörigen der Verhafteten, die dann nach Zahlung des Lösegeldes nach
wenigen Tagen wieder freigelassen wurden (81). Belegte Fälle von Folterungen aus
Europa zurückgekehrter Tamilen sind nach den vorliegenden Berichten nicht
ersichtlich, auch wenn Folterungen von der LTTE-Unterstützung oder Mitgliedschaft
konkret verdächtiger Tamilen im kampffähigen Alter nicht ganz auszuschließen
waren (52).
Auch wenn es gelegentlich zu Razzien, anschließenden Screenings und
gegebenenfalls kurzfristigen Festnahmen vor allem junger männlicher Tamilen
auch im Großraum Colombo kam, war doch insgesamt festzustellen, daß seit Ende
1991 in diesem Gebiet die Sicherheitslage und auch die Menschenrechtssituation
sich so verbessert hatte, daß für dorthin aus Europa zurückkehrende und sich dort
aufhaltende junge Tamilen eine "relative Sicherheit" bestand (54). Darauf deutet
auch hin, daß amnesty international aus dem Süden Sri Lankas im Verlauf des
Jahres 1992 kein Fall eines langfristigen "Verschwindens" gemeldet wurde, auch
wenn es nach wie vor immer noch illegale Festnahmen gab, durch die Folter und
Mißhandlung erleichtert wurden (69). Auch wenn immer noch tausende politische
Häftlinge ohne Gerichtsverfahren inhaftiert waren, ging ihre Zahl 1992 doch
deutlich zurück. Bis Ende 1992 sollen fast 5.000 politische Häftlinge freigelassen
worden sein, fast ebenso viele sollen sich aber noch in Inhaftierungslagern,
Gefängnissen, Polizeigewahrsam und Rehabilitationslagern befunden haben (70).
Insgesamt ist festzustellen, daß sich die allgemeine Sicherheitslage im Süden seit
Mitte 1992 deutlich entspannt hatte (65). Menschenrechtsverletzungen waren im
Süden deutlich weniger zahlreich, als dies für den Osten und Norden Sri Lankas
festzustellen ist; zwar bestand noch das Risiko einer Folterung bei einer
Inhaftierung, aber der Gebrauch der Folter bei Internierung hatte sich erheblich
reduziert (72). Wegen der günstigeren Sicherheitslage in und um Colombo war seit
1992 eine deutliche Verbesserung der Menschenrechtsbeachtung dort eingetreten
(64, 84). Die knapp 300.000 im Großraum Colombo lebenden Tamilen, die dort
etwa 30 % der Bevölkerung ausmachten, lebten dort aufgrund der allgemein
erheblichen Verbesserung der Menschenrechtssituation im allgemeinen
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erheblichen Verbesserung der Menschenrechtssituation im allgemeinen
unbehelligt (66).
Insgesamt ist für den Zeitpunkt der Ausreise des Klägers festzustellen, daß ein in
Sri Lanka lebender Tamile, auch im Alter bis zu 40 Jahren, vor politischer
Verfolgung in diesem Gebiet hinreichend sicher war. Soweit ein junger Tamile oder
eine junge Tamilin dort allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit und ihres Alters einen
Eingriff in das Recht der persönlichen Freiheit dadurch zu gewärtigen hatten, daß
sie bei Razzien, vor allem aus Anlaß bestimmter sicherheitsrelevanter
Vorkommnisse, aufgegriffen und im Wege des sogenannten "Screenings"
erkennungsdienstlich behandelt wurden, handelte es sich um grundsätzlich
verhältnismäßige Maßnahmen zur Bekämpfung terroristischer Organisationen,
insbesondere der LTTE. Solche Maßnahmen knüpften nach ihrer objektiv
erkennbaren Gerichtetheit nicht willkürlich an asylrelevante Merkmale der
Volkszugehörigkeit und Zugehörigkeit zu einer bestimmten Altersgruppe an,
sondern dienten anlaßbezogen dem Rechtsgüterschutz in einer Weise, die der
Staatenpraxis geläufig ist (vgl. zu diesem Kriterium allgemein: BVerfG, 10.07.1989
- 2 BvR 502/86 u.a. -, a.a.O.). Diese Maßnahmen waren objektiv nicht auf die
Verfolgung dieser Tamilen wegen ihrer Volkszugehörigkeit und ihres Alters
gerichtet, sondern auf die Verhinderung terroristischer Taten, durch die
Rechtsgüter der Bürger des srilankischen Staates, insbesondere Leben und
Gesundheit, verletzt wurden. Da solche Taten - vor allem Attentate - insbesondere
durch die LTTE begangen wurden, die sich ausschließlich aus jungen Tamilen im
Alter bis zu 40 Jahren rekrutiert, müssen Fahndungsmaßnahmen wie Razzien und
screenings anläßlich von Gewalttaten, als deren Urheber auch terroristische
Organisationen wie vor allem die LTTE in Betracht kommen, zwar an diese
Merkmale Volkszugehörigkeit und Alter anknüpfen, sie waren aber nicht auf diese
Merkmale in dem Sinne gerichtet, daß sie allein wegen dieser Kriterien erfolgten.
Diese Ermittlungsaktionen wurden grundsätzlich zur Aufklärung und Prävention
weiterer Straftaten durchgeführt, richteten sich also auf an objektive Umstände
anknüpfende Kriterien (vgl. dazu grundsätzlich BVerfG, 20.12.1989 - 2 BvR 958/86
u.a. -, a.a.O.). Insoweit ist auch nicht festzustellen, daß die von Razzien und
screenings Betroffenen, soweit sie ganz überwiegend kurzfristig freigelassen
wurden, einer härteren Behandlung unterlagen, als dies sonst in Sri Lanka bei der
Verfolgung von Taten vergleichbarer Gefährlichkeit üblich war.
Soweit es bei vorläufig Festgenommenen zu längeren Inhaftierungen kam, beruhte
dies in der Regel - wie oben dargestellt - darauf, daß es konkrete Anhaltspunkte für
eine aktive Unterstützung von Organisationen gab, die terroristische Straftaten
begehen. Einzelfälle längerer Inhaftierungen erfolgten nach den oben genannten
Erkenntnissen grundsätzlich nur bei Vorliegen zusätzlicher Verdachtsmomente,
die auf eine Unterstützung terroristischer Gruppen wie der LTTE hindeuteten (40,
51). Insoweit knüpfte die Verfolgungsmaßnahme nicht maßgeblich an die
Volkszugehörigkeit und das Alter eines jungen Tamilen an, sondern an weitere
zusätzliche Gesichtspunkte, die aufgrund konkreter weiterer Anhaltspunkte
individuell in seiner Person begründet waren, wie vorliegenden Erkenntnissen der
Sicherheitsbehörden über Verbindungen der festgenommenen Personen zur LTTE
in Sri Lanka oder auch durch exilpolitische Tätigkeit. Die in der Maßnahme objektiv
erkennbar werdende Anknüpfung (so die Konkretisierung der "Gerichtetheit" der
Maßnahme durch BVerwG, 20.11.1990 - 9 C 74.90 -, a.a.O.) bezog sich auf den
konkreten Verdacht der LTTE- Unterstützung, nicht aber auf die asylrelevanten
Merkmale Volkszugehörigkeit und Alter an sich. Soweit die Auffassung vertreten
wird, daß die tatsächlich große Gefahr der Verhaftung an sich wegen der ihr
innewohnenden - wenn auch prozentual erheblich geringeren - Gefahr einer
längeren Inhaftierung und aufgrund der oft willkürlich erscheinenden
Handlungsweise der Sicherheitskräfte hierbei selbst als drohende Gefahr
asylrechtlich relevanter Übergriffe zu bewerten sei (Bay. VGH, 25.01.1994 - 24 BZ
88.31043 u.a. -), ist nach Auffassung des erkennenden Senats aber zu
differenzieren zwischen oft willkürlichen Festnahmen im Rahmen von "round ups"
und Razzien, nach denen die Festgenommenen in der Regel nach einer
Überprüfung kurzfristig wieder freigelassen wurden, und einer längeren
Inhaftierung mit der Gefahr asylrelevanter Eingriffe wie körperlichen Mißhandlungen
insbesondere durch Folter, die in der Regel nur bei Vorliegen konkreter
Anhaltspunkte für die Unterstützung insbesondere der LTTE erfolgte (insoweit ohne
entsprechende Differenzierung: Nieders. OVG, 25.11.1993 - 12 L 7084/91 -).
Um politische Verfolgung konnte es sich allerdings in den Fällen handeln, in denen
Festgenommene durch Schläge mißhandelt und sogar in Einzelfällen gefoltert
wurden. Zwar soll die srilankische Polizei auch bei "normalen" kriminellen Delikten
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wurden. Zwar soll die srilankische Polizei auch bei "normalen" kriminellen Delikten
wie zum Beispiel Diebstahl routinemäßig geprügelt haben (63; 70). Es bestehen
aber deutliche Hinweise dafür, daß gerade die konkret der LTTE-Unterstützung
verdächtigen Tamilen weit über die "üblichen" Mißhandlungen hinausgehenden
Folter-Methoden ausgesetzt waren, die entscheidend durch das von den
Sicherheitskräften angenommene Eintreten für die politischen Ziele der LTTE
bedingt waren (48). Diese Verfolgungsmaßnahmen gingen über die zum
Rechtsgüterschutz notwendige und bei vergleichbaren Taten übliche Behandlung
von Inhaftierten hinaus und zielten unmittelbar auch auf die der vorgeworfenen Tat
zugrundeliegende politische Überzeugung des Verdächtigen. Diese deshalb als
politische Verfolgung zu charakterisierenden Maßnahmen drohten jungen Tamilen,
bei denen konkrete Anhaltspunkte für eine aktive Unterstützung terroristischer
Aktionen, insbesondere der LTTE, in Betracht zu ziehen waren. Für den ganz
überwiegenden Teil der jungen Tamilen, die nach einer Festnahme zwecks
screenings wieder freigelassen wurden, und für die Verdächtigen, bei denen sich
auch bei längerer Inhaftierung konkrete Tatsachen für eine aktive LTTE-
Unterstützung nicht ergaben, bestand die "realistische" (das
Bundesverwaltungsgericht - 09.04.1991 - 9 C 91.90 - verwendet den Begriff
"reale") Möglichkeit, solchen Verfolgungshandlungen ausgesetzt zu werden, nicht.
Zusammenfassend ist für den Zeitpunkt der Ausreise des Klägers festzustellen,
daß ein tamilischer Volkszugehöriger im Alter bis zu 40 Jahren, der sich im Süden
und Westen, insbesondere im Großraum Colombo niederließ, dort vor einer
politischen Verfolgung, die an die genannten asylrelevanten Merkmale seiner
Volkszugehörigkeit und seines Alters anknüpfte, hinreichend sicher war, soweit bei
ihm nicht aufgrund konkreter Anhaltspunkte der Verdacht der Unterstützung der
LTTE oder einer anderen terroristischen Gruppierung bestand.
b) Nach den dargelegten Kriterien bestand für tamilische Volkszugehörige auch
hinreichende Sicherheit vor einer existentiellen Gefährdung am Ort der
inländischen Fluchtalternative im Süden und Westen Sri Lankas, insbesondere im
Großraum Colombo und Umgebung. Tamilen drohte dort nicht wirtschaftliche
Verelendung, die ein menschenwürdiges Dasein unmöglich machte. Nach den
vorliegenden Berichten ist vielmehr zugrunde zu legen, daß sich in diesem Gebiet
niederlassende Tamilen eine - wenn auch bescheidene - Lebensgrundlage finden
konnten, die ein menschenwürdiges Überleben dort ermöglichte. So hatten
Zehntausende von Tamilen sich nach ihrer Flucht aus dem Norden Sri Lankas,
insbesondere von der Jaffna-Halbinsel, im Großraum Colombo niedergelassen, um
dort unbehelligt von den Kriegswirren in ihrem Heimatgebiet leben zu können. Sie
lebten dort meist bei Verwandten oder Bekannten, in Hotels, kleinen Absteigen
(sogenannten Lodges) oder in Flüchtlingslagern (40, 42, 50, 52). In den
Flüchtlingslagern wurden Lebensmittel ("dry rations") zur Sicherung des
Existenzminimums verteilt; in der Regel gab es aber keine darüber hinausgehende
finanzielle Unterstützung (51).
Die wirtschaftliche und soziale Lage der Tamilen war im Süden auch wegen der
dort herrschenden hohen Arbeitslosenquote insgesamt unbefriedigend (47). Zwar
war es auch für Tamilen in Colombo und Umgebung schwierig, eine wirtschaftliche
Existenz aufzubauen (40, 50). Durch Gelegenheitsarbeiten, die allerdings meist
schlecht bezahlt wurden, war ein wirtschaftliches Überleben aber - wenn auch mit
großen Problemen - möglich (65). Soweit eine Unterstützung nicht durch die
Solidarität unter den Tamilen erfolgte, war für in den Süden oder Westen Sri
Lankas kommende Tamilen der Aufbau einer wirtschaftlichen Existenz schwierig
(40, 42). Angesichts des Konkurrenzkampfes um Arbeits- und
Verdienstmöglichkeiten bereits unter Singhalesen boten sich tamilischen
Zuzüglern noch geringere Aussichten, wirtschaftlich Fuß zu fassen. Sie hatten in
der Regel Probleme, dort überhaupt Arbeit zu finden (40, 42, 50). Insbesondere
wenn persönliche Beziehungen und ausreichende singhalesische
Sprachkenntnisse fehlten, hatten Ortsfremde fernab ihres verwandtschaftlichen
und bekanntschaftlichen Einfluß- und Wirkungskreises zunächst nur geringe
Chancen bei der Neugründung einer Existenz (58). Grundsätzlich konnten Tamilen,
die sich ohne familiären Rückhalt im Raum Colombo ansiedelten, dort oft nur auf
dürftige Weise existieren (40, 42). Neben der Möglichkeit zu Gelegenheitsarbeiten
konnte sich der Flüchtling oder Rückkehrer in der Regel durch Hilfsmaßnahmen
karitativer Organisationen oder durch staatliche Unterstützungen mit einfachen
Grundnahrungsmitteln (40, 42) notdürftig versorgen. Insgesamt kann deshalb für
den Zeitpunkt der Ausreise des Klägers nicht festgestellt werden, daß im Süden
Sri Lankas, insbesondere im Großraum Colombo, lebenden Tamilen dort auf Dauer
ein Leben unter dem Existenzminimum drohte, das zu Hunger, Elend und
schließlich zu seinem Tode führte (a. M.: Nieders. OVG, 25.11.1993 - 12 L 7084/91
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schließlich zu seinem Tode führte (a. M.: Nieders. OVG, 25.11.1993 - 12 L 7084/91
-, allerdings ohne konkrete Belege dafür, daß grundsätzlich ein zum Tode
führendes Verhungern und Verelenden der im Großraum Colombo lebenden
Tamilen zugrunde zu legen ist).
3. Es ist auch nicht festzustellen, daß der Kläger bis zu seiner Ausreise im August
1992 aus individuellen Gründen politisch verfolgt war oder ihm seinerzeit - was
eingetretener Verfolgung gleichstünde (BVerfG, 23.01.1991 - 2 BvR 902/85 u.a. -,
a.a.O.) - unmittelbar solche Verfolgung im Zeitpunkt der Ausreise drohte.
Der Senat kommt zu dieser Beurteilung aufgrund der Angaben des Klägers bei
seiner Anhörung bei dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge am 24. Mai 1993 und der Aussage bei der Vernehmung im
Berufungsverfahren am 24. Juli 1995. Aus diesen Bekundungen läßt sich nicht
entnehmen, daß der Kläger vor seiner Ausreise Maßnahmen politischer Verfolgung
aus individuellen Gründen ausgesetzt war.
Nach seinen glaubhaften Angaben ist der Kläger zwar mehrere Male verhaftet und
danach auch festgehalten worden, dabei handelte es sich allerdings um jeweils
kurzfristige Inhaftierungen im Rahmen der bei den Sicherheitskräften üblichen,
allgemeinen Vorgehensweise (Razzien, "screenings"), denen keine asylrechtliche
Relevanz zukommt. Hinsichtlich der für die Jahre 1984, 1987 und 1988
geschilderten Verhaftungen fehlt es schon an der erforderlichen zeitlichen Nähe zu
der Ausreise im Jahre 1992, so daß diese schon deshalb nicht als fluchtauslösend
angesehen werden können. Aber auch die Ereignisse im Jahre 1992, die dann zur
Ausreise des Klägers geführt haben, lassen nicht auf eine individuelle politische
Verfolgung schließen. Vielmehr ist der Kläger ersichtlich bei seinem Aufenthalt in
Colombo bei einer der zur damaligen Zeit üblichen Verhaftungsaktionen nach
einem Attentat, nicht aber gezielt im Hinblick auf seine Person verhaftet worden.
Hierzu hat der Kläger selbst angegeben, daß damals auch in der Nachbarschaft
junge Tamilen festgenommen wurden. Auch die übrigen Angaben zu den
Vorgängen im Zusammenhang mit der Verhaftung zeigen, daß der Kläger zwar
Opfer einer der üblichen Razzien geworden ist, jedoch nicht gezielt und individuell
nach ihm gesucht wurde oder er gar auf diese Verhaftung hin nunmehr wegen
eines gegen ihn durchgeführten Ermittlungsverfahrens oder aus ähnlichen
Gründen künftig speziell und individuell gefährdet war. Eine individualisierte
Behandlung seitens der Polizei in der Form, daß eine Akte oder auch nur etwas
vergleichbares über den Kläger angefertigt worden wäre, hat dieser selbst nicht
dartun können. Dabei ist durchaus glaubhaft, daß er erst freigekommen ist,
nachdem sein Onkel einen Armeebeamten bestochen hat, denn wie aus einer
Vielzahl von Gutachten, Stellungnahmen und sonstigen
Sachverständigenäußerungen hervorgeht, war es zum damaligen Zeitpunkt - wie
auch heute - durchaus üblich, daß srilankische Sicherheitskräfte die Verhaftung
junger Tamilen, die über verwandtschaftliche Beziehungen in Colombo verfügten,
mit der Möglichkeit der Einnahme von Bestechungsgeldern verbanden. Die in
diesem Zusammenhang ausgesprochene Warnung, "ein anderes Mal könne er mir
nicht mehr helfen", mag deshalb zur Erhöhung des Bestechungsgeldes geeignet
sein, sagt jedoch nichts darüber aus, wie es dem Kläger im Falle einer weiteren
Verhaftung ergehen würde.
Schließlich lassen auch die sonstigen Umstände bei der Verhaftung nicht darauf
schließen, daß nach dem Kläger gezielt gesucht wurde. Wie dieser sagte, war zwar
sein Name bekannt, was aufgrund der von ihm früher vorgenommenen
ordnungsgemäßen Anmeldung auch erklärbar ist; weitere Kenntnisse oder
Erkenntnisse in bezug auf seine Person sind aber offensichtlich nicht vorhanden
gewesen oder gar ihm vorgehalten worden. Dies gilt insbesondere für die von ihm
früher vorgenommene Hilfe für bekannte oder befreundete LTTE-Mitglieder. Nach
alledem handelte es sich bei der von ihm erlittenen Verhaftung um eine
derjenigen, die junge Tamilen im Großraum Colombo allgemein erdulden mußten,
sofern sie sich erst kurze Zeit dort aufhielten und aus dem Norden Sri Lankas oder
aus dem Ausland dort zugezogen waren. Wie schon oben dargelegt, folgt aus
dieser Gefahr, in mehr oder weniger willkürlich angelegte Verhaftungen zu geraten,
noch nicht die Gefahr einer asylrelevanten Beeinträchtigung. Daß der Kläger
während seiner Inhaftierung offenbar geschlagen wurde, läßt ebenfalls keine
anderen Schlüsse zu, da dies nach den vorliegenden Erkenntnissen die in Sri
Lanka übliche Behandlungsweise von Inhaftierten ist und weder als solche noch
von Intensität und Dauer den Schluß auf eine politisch-motivierte, ausgrenzende
Behandlungsweise zuläßt.
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II.
Da der Kläger somit bis zur Ausreise aus Sri Lanka im Hinblick auf die ihm
offenstehende interne Fluchtalternative nicht politisch verfolgt war, kommt eine
Anerkennung als Asylberechtigter nur in Betracht, wenn asylrechtlich beachtliche
Nachfluchtgründe vorliegen. Dies setzt voraus, daß dem Asylbewerber aufgrund
von Umständen, die nach seiner Ausreise aus seinem Heimatland eingetreten
sind, für den Fall seiner Rückkehr dort gegenwärtig und in absehbarer Zeit
politische Verfolgung droht. Dabei ist zu unterscheiden zwischen objektiven
Nachfluchtgründen, die durch Vorgänge im Heimatland des Asylbewerbers
unabhängig von seiner Person ausgelöst wurden, und subjektiven
Nachfluchtgründen im Sinne des § 28 AsylVfG, die der Asylbewerber nach
Verlassen des Heimatstaates aus eigenem Entschluß geschaffen hat (BVerfG,
26.11.1986 - 2 BvR 1058/85 -, BVerfGE 74, 51 = EZAR 200 Nr. 18). Für die
Prognose der Verfolgungsgefahr ist nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts der herabgestufte Maßstab der notwendigen
hinreichenden Sicherheit vor Verfolgung anzulegen, wenn einem Asylbewerber in
einem Teil seines Heimatstaates bei einer Rückkehr politische Verfolgung droht
(BVerwG, 16.02.1993 - 9 C 31.92 -, EZAR 203 Nr. 7 = NVwZ 1993, 791 = AuAS
1993, 125). Danach ist für die Prognose einer Verfolgung bei Rückkehr in das
Heimatland das jeweilige Staatsgebiet in seiner Gesamtheit zu betrachten. Ist
dieses unter Berücksichtigung des von dem Asylsuchenden geltend gemachten
Verfolgungsgrundes nach dem jeweils anzulegenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab
insgesamt frei von politischer Verfolgung, scheidet ein Asylanspruch aus. Droht
jedoch in einem Teil des Staatsgebietes politische Verfolgung, so erweist sich der
Heimatstaat als ein Verfolgerstaat mit der Folge, daß auch ein unverfolgt
ausgereister Asylsuchender auf andere Gebiete seines Heimatstaates nur dann
verwiesen werden kann, wenn er dort vor politischer Verfolgung hinreichend sicher
ist und ihm dort auch keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach
ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung aus
politischen Gründen gleichkommen, sofern diese existentielle Gefährdung am
Herkunftsort so nicht bestünde (BVerwG, 16.02.1993 - 9 C 31.92 -, a.a.O, unter
Hinweis auf BVerfG, 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, a.a.O.; BVerfG, 10.11.1989 -
2 BvR 403/84 u.a. -, a.a.O.; BVerwG, 15.05.1990 - 9 C 17.89 -, a.a.O.). Der Senat
hat Bedenken, ob die Anwendung des herabgesetzten Prognosemaßstabes der
hinreichenden Sicherheit vor politischer Verfolgung bei einer Rückkehr in das
Heimatland gerechtfertigt ist, wenn der unverfolgt ausgereiste Asylbewerber bei
einer Rückkehr jedenfalls in einem Teil seines Heimatlandes verfolgungsfrei leben
kann (vgl. dazu näher Hess.VGH, 26.7.1993 - 12 UE 2439/89 -).
Für die Entscheidung im vorliegenden Falle ist die Frage der Anwendung des
normalen oder des herabgestuften Prognosemaßstabes aber nicht erheblich, weil
der Kläger bei einer Rückkehr in den Süden und Westen seines Heimatlandes,
insbesondere in den Großraum Colombo, dort auch hinreichend sicher vor
politischer Verfolgung ist; damit steht auch fest, daß ihm nicht mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung dort droht.
1. Dem Kläger droht in seiner Heimatregion auf der Jaffna-Halbinsel politische
Verfolgung wegen seiner tamilischen Volkszugehörigkeit sowohl in den von der
LTTE beherrschten als auch in den von den srilankischen Streitkräften
kontrollierten Gebieten durch an seine Volkszugehörigkeit anknüpfende Übergriffe
der srilankischen Regierungstruppen im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die
LTTE.
An der vorherrschenden Gebietsgewalt durch die LTTE auf der Jaffna-Halbinsel hat
sich grundsätzlich auch im Frühjahr 1993 nichts geändert (74). Auch Mitte 1993
kontrollierten die Sicherheitskräfte nur punktuell Gebiete auf der Jaffna-Halbinsel
wie den Flughafen Palali, den Hafen Kankesanturai und den "Elephant Pass". Im
übrigen war die Halbinsel, auch wenn die Streitkräfte zum Teil wieder an Boden
gewannen, unter Kontrolle der LTTE (77, 80). Die LTTE übt weiterhin
Polizeifunktionen im überwiegenden Teil der Jaffna-Halbinsel, insbesondere auch in
der Stadt Jaffna, aus, treibt Steuern ein und betreibt weiterhin den Aufbau einer
Justiz (73). Sie läßt die staatliche srilankische Zivilverwaltung (durch tamilische
Beamte) weiter agieren, insbesondere durch die Verteilung von Lebensmitteln
(80). Da der srilankische Staat im weitaus größten Teil der Jaffna-Halbinsel keine
Gebietsgewalt inne hatte und deshalb versuchte, die von der LTTE beherrschten
Gebiete mit militärischen Mitteln zurückzuerobern, kam es seit August 1993 vor
allem in den nördlichen Distrikten Sri Lankas, insbesondere auch auf der Jaffna-
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allem in den nördlichen Distrikten Sri Lankas, insbesondere auch auf der Jaffna-
Halbinsel, zu schweren Kämpfen zwischen Regierungstruppen und der LTTE (86),
bei denen mehrere hundert Menschen ums Leben kamen (84). Bei Angriffen,
insbesondere der Luftwaffe, wurden auch weiterhin Zivilisten durch zum Teil
wahllose Bombardierungen getötet oder verletzt und auch Tempel, Kirchen,
Schulen und Krankenhäuser zerstört (65, 85). Dabei handelte es sich teilweise
auch um Vergeltungsaktionen der Regierungstruppen, die auf der Jaffna- Halbinsel
nur einen schmalen Korridor zwischen dem Luftwaffenstützpunkt Palali und dem
Hafen von Kankesanthurai kontrollierten (81).
Auch Anfang 1994 wurde der größte Teil der Jaffna-Halbinsel von der LTTE
kontrolliert. Die Regierungsstreitkräfte hielten innerhalb dieser Gebiete weiterhin
nur gewisse Territorien, so neben dem schmalen Korridor zwischen Palali und
Kankesanthurai die Jaffna vorgelagerten Inselgruppen, die Insel Mannar und den
sogenannten "Elephant-Pass" (87, 86). Insbesondere bei den schweren Kämpfen
zwischen Regierungstruppen und LTTE im November 1993 kamen wieder viele
Zivilisten ums Leben, die im wesentlichen Opfer der Bombardierungen durch die
Luftwaffe wurden (87). Dabei kam es auch zum Teil zu willkürlichen Luftangriffen
auf tamilische Siedlungsgebiete und Übergriffe auf zivile und religiöse
Einrichtungen auf der Jaffna-Halbinsel, wie Kirchen und Krankenhäuser (86). Diese
Lage auf der Jaffna-Halbinsel blieb auch im Sommer 1994 weitgehend
unverändert.
Seit Ende 1994/Anfang 1995 und derzeit hat sich an den bestehenden
Machtverhältnissen im wesentlichen nichts geändert. Nach wie vor kontrolliert die
LTTE den größten Teil der Distrikte Jaffna, Kilinochchi, Mullaitivu, Mannar und
Vavuniya. Die Regierungsstreitkräfte halten innerhalb dieser Gebiete kleinere
Enklaven, die von See oder aus der Luft versorgt werden, wie den Flughafen Palali,
den Elephant Pass und den Hafen Kankesanthurai (90; 91; 93). Die LTTE setzt den
Aufbau einer Art Parallelregierung mit eigener Verwaltung, Polizei, Justiz und der
Erhebung von Abgaben fort (93). Die Arbeit der staatlichen srilankischen
Zivilverwaltung wird weiterhin zugelassen; dies gilt insbesondere für die Verteilung
von Lebensmitteln und die Versorgung von Flüchtlingslagern für die internen
Bürgerkriegsflüchtlinge, von denen in der Nordprovinz 260 liegen, davon wiederum
allein 233 im Bezirk Jaffna (90).
Im Zuge des Amtsantrittes der Regierung Chandrika Kumaratunga nach den
Parlamentswahlen im August 1994, bei denen die bis dahin seit 17 Jahren
regierende United National Party (UNP) von dem Parteienbündnis "Peoples
Alliance" (PA), einer Koalition von "Sri Lanka Freedom Party" (SLFP) mit tamilischen
und moslemischen Parteien, abgelöst wurde, und der Wahl Frau Kumaratungas zur
Staatspräsidentin Anfang November 1994 (91; 92; 93) kam es zunächst zu einer
Entspannung der Situation auch im Norden des Landes. Die neue Regierung, die
die Verbesserung der Menschenrechtssituation im ganzen Land und die
Beendigung des Nordost- Konflikts zu den Schwerpunkten ihrer Arbeit erklärt
hatte, trat im letzten Quartal des Jahres 1994 in Verhandlungen mit der LTTE ein.
Bis zum Jahreswechsel fanden drei Verhandlungsrunden statt, die ausschließlich
organisatorische und logistische Fragen betrafen und bei denen über ein
politisches Lösungskonzept nicht gesprochen wurde (91; 93). Die Verhandlungen
führten nicht zu einer vollständigen Beendigung der Kämpfe. Sowohl im Vorfeld der
ersten Gespräche zwischen Regierungsvertretern und Vertretern der LTTE als auch
danach kam es zu zahlreichen kleineren und größeren militärischen
Auseinandersetzungen. So gab das Militär am 30. Dezember 1994 die Tötung von
etwa 50 LTTE-Kadern in verschiedenen Gebieten des Nordens bekannt, während
die LTTE die Sicherheitskräfte der Tötung zahlreicher Zivilisten beschuldigte und in
ihrer Zeitung "Inside Report" Anfang Dezember 1994 eine Namensliste der
angeblichen Opfer veröffentlichte (93).
Die Gespräche zwischen Regierungsvertretern und der LTTE Ende des Jahres 1994
führten am 8. Januar 1995 zum Abschluß eines "Abkommens zur Beendigung von
Feindseligkeiten", das mit Ausnahme einiger kleiner Scharmützel im wesentlichen
bis Mitte April 1995 eingehalten wurde. Die Regierung hob als weiteren Schritt zur
friedlichen Lösung des Nordostkonflikts bis Ende Januar 1995 das verhängte
Warenembargo bis auf einige stark kriegsbezogene Produkte für insgesamt 43
Güter auf (91; 93).
Am 18. April 1995 kündigte die LTTE das am 8. Januar 1995 geschlossene
Übereinkommen auf und zerstörte in der Nacht zum 19. April 1995 zwei
Marineschnellboote der srilankischen Armee im Hafen von Trincomalee. Dabei
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Marineschnellboote der srilankischen Armee im Hafen von Trincomalee. Dabei
kamen 16 Soldaten ums Leben (94; 95). Im Norden des Landes wurden drei
Militärlager mit Raketen und Mörsergranaten angegriffen (95), bei einem weiteren
Angriff auf ein Armeelager bei Batticaloa im Osten des Landes wurden nach
Militärangaben 29 Regierungssoldaten und 14 LTTE-Kämpfer getötet; während und
nach dem Angriff wurden mutmaßliche LTTE- Stellungen in der Nähe des Lagers
bombardiert (97). Die srilankische Regierung reagierte auf die Aufkündigung des
Übereinkommens und die Angriffe mit der erneuten Verhängung eines
vollständigen Wirtschaftsembargos für die Gebiete im Norden Sri Lankas (95). Die
srilankischen Streitkräfte reagierten auf die Überfälle der LTTE mit der
Bombardierung eines Hafenstützpunktes der LTTE auf der Jaffna-Halbinsel (96). Im
Osten des Landes kam es wiederum in der Stadt Trinkomalee zu einem Angriff von
LTTE- Kämpfern auf eine Polizeistreife während eines Kontrollganges, bei dem fünf
Polizisten getötet und sechs weitere verletzt wurden (96).
In der Folgezeit eskalierte der Konflikt im Nordosten und glitt in einen erneuten
regelrechten Krieg über. Am 28. und 29. April 1995 schoß die LTTE zwei
Transportflugzeuge der srilankischen Armee jeweils beim Anflug auf den
Stützpunkt Palali mit Raketen ab. Dabei kamen insgesamt 90 Soldaten ums Leben
(99). Am 8. Mai 1995 überfielen LTTE-Kämpfer ein Polizeikommando, das den
Auftrag hatte, Mitglieder der LTTE aufzuspüren, in der Nähe von Ampara; dabei
wurden nach offiziellen Angaben 14 Menschen getötet, fünf verletzt (100). Bei
Kämpfen zwischen Regierungstruppen und tamilischen Rebellen im Nordosten
wurden am 13. und 14. Mai 1995 mindestens 56 Rebellen und Soldaten getötet
(101). Bei erbitterten Kämpfen am 18. Mai 1995 im Norden des Landes wurden
mindestens 20 LTTE-Kämpfer getötet, 23 Soldaten der Regierungsarmee wurden
zum Teil schwer verwundet (102). Am 23. Mai lockten nach Angaben der Armee
LTTE-Kämpfer 27 Soldaten im Bezirk Batticaloa in einen Hinterhalt und töteten sie.
Dabei sollen auch vier Kämpfer der LTTE ums Leben gekommen sein (103). Am
28. Mai eroberten rund 500 LTTE-Kämpfer den etwa 190 Kilometer östlich von
Colombo gelegenen Militärstützpunkt Tharavikulam im Bezirk Batticaloa und
entwendeten zahlreiche Waffen. Dabei wurden 20 der etwa 200 Soldaten des
Stützpunktes getötet. Anschließend lieferten sich Regierungstruppen mit den
Rebellen ein etwa achtstündiges Gefecht und versuchten, den Stützpunkt wieder
unter ihre Kontrolle zu bringen; mit Kampfhubschraubern und schwerer Artillerie
wurden Stellungen der LTTE im Raum Batticaloa angegriffen (104). Am 4. Juni 1995
lief ein vom internationalen Komitee des Roten Kreuzes gechartertes
Versorgungsschiff kurz nach der Ausfahrt aus dem von den Regierungstruppen
gehaltenen Hafen Kankesanthurai auf eine Seemine und wurde beschädigt. Der
Anschlag wurde der LTTE zugeschrieben, nachdem das Rote Kreuz kurz zuvor ein
von LTTE-Kämpfern verübtes Massaker an 42 singhalesischen Zivilisten verurteilt
hatte (106). Am frühen Morgen des 28. Juni 1995 kam es zu den bislang blutigsten
Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und der LTTE seit
Wiederbeginn der militärischen Auseinandersetzungen im April 1995, als etwa
1.000 LTTE-Kämpfer von See her die eineinhalb Meilen Jaffna gegenüber gelegene
Inselstellung Mandaitivu, die zu dieser Zeit mit etwa 500 Soldaten besetzt war,
angriffen. Dabei durchwateten die LTTE-Kämpfer zum Teil die seichte Lagune und
überraschten so die Besatzung. Der Angriff konnte zwar zurückgeschlagen werden,
jedoch verlor die srilankische Armee 105 Soldaten sowie hunderte automatische
Waffen und ca. 100.000 Schuß Munition. Bei weiteren Zwischenfällen wurden acht
Polizisten getötet, als ihr Polizeibus auf eine Landmine fuhr. Das Wrack des Busses
wurde von der LTTE mit den darin befindlichen Opfern angezündet (108; 111).
Am 9. Juli 1995 startete die srilankische Armee mit Unterstützung von Luftwaffe
und Marine eine Großoffensive gegen die LTTE auf der Jaffna-Halbinsel, an der sich
etwa 10.000 Soldaten beteiligten. Angaben der Streitkräfte zufolge eroberten
diese während der mehrtägigen Operation eine Gebietsfläche von 78
Quadratkilometern und rückten bis auf sechs Kilometer an die Stadt Jaffna heran.
Bei den Auseinandersetzungen seien 130 Soldaten und 200 Rebellen getötet
worden. In einer Erklärung der LTTE hieß es, es seien während der Offensive 245
Zivilisten getötet und 470 verletzt worden (109; 110; 113). Am 28. Juli 1995 griff
die LTTE im Nordosten des Landes in der Welioya-Region vier Armeestützpunkte
an. Der Angriff wurde von den Regierungskräften abgewehrt; dabei kamen nach
Angaben der Streitkräfte 119 LTTE- Kämpfer und 14 Regierungssoldaten ums
Leben (114). Während einer am 5. August 1995 durchgeführten Offensive der
Regierungsstreitkräfte auf der Jaffna-Halbinsel sollen nach Angaben der
Streitkräfte 50 LTTE-Kämpfer getötet oder schwer verwundet und zahlreiche Ziele
der LTTE zerstört worden sein. Die eigenen Verluste wurden mit fünf Toten und 20
Verwundeten angegeben (116). Am 27. August 1985 forderte ein Angriff der LTTE
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Verwundeten angegeben (116). Am 27. August 1985 forderte ein Angriff der LTTE
auf einen Polizeistützpunkt im Osten Sri Lankas im Bezirk Batticaloa mehr als 40
Tote. Während die Behörden 24 Tote LTTE-Kämpfer und sechs tote Polizisten
meldeten, berichtete der Rundfunksender der LTTE von 36 Opfern in den eigenen
Reihen (119).
Am 29. August 1995 kam es zu erneuten Kämpfen zwischen der LTTE und
Sicherheitskräften im Osten der Insel. Bei einem Überfall von LTTE-Kämpfern auf
eine Polizeistation in der Nähe der Hafenstadt Trincomalee wurden nach Angaben
der Sicherheitskräfte 17 Polizisten getötet und 32 verletzt. Bei weiteren Gefechten
zwischen Sicherheitskräften und Rebellen in der Region Batticaloa sollen 22 LTTE-
Kämpfer getötet und 33 verletzt worden sein. Aus Regierungskreisen in Colombo
verlautete, daß die Sicherheitskräfte noch vor Oktober des Jahres eine neue
Offensive gegen die LTTE planen, bei der auch russische Kampfhubschrauber
eingesetzt werden sollen (120). Vor der Jaffna-Halbinsel kam es am gleichen Tage
zu einem heftigen Seegefecht zwischen Tamilen und Marinesoldaten der Armee,
bei dem mindestens 30 Tamilen getötet wurden. Von LTTE-Kämpfern soll ein
Passagierschiff mit 129 Personen an Bord gekapert und entführt worden sein. Das
Schiff sei von der LTTE eingesetzt worden, um zwei Schnellboote in eine Falle zu
locken und zu versenken. Dabei sollen alle 21 Insassen der Schnellboote ums
Leben gekommen sein (121; 122). Den genannten Quellen läßt sich nicht
entnehmen, ob es sich um zwei unabhängige Vorfälle handelte oder das
Seegefecht, bei dem 30 Tamilen ums Leben kamen, mit der Entführung des
Passagierschiffes und dem anschließenden Anschlag auf zwei Schnellboote
zusammenhängt.
Auch im September 1995 fanden weiterhin Kämpfe zwischen Regierungstruppen
und der LTTE statt. Während die LTTE einzelne Angriffe, auch durch
Selbstmordkommandos durchführte (SZ vom 12.09.1995; dpa-Meldungen vom
13.09.1995; FAZ vom 14.09.1995; SZ vom 22.09.1995) reagierten Militär und
Sicherheitskräfte ihrerseits mit Gegenoffensiven. Dabei soll eine Schule
bombardiert worden sein (SZ vom 29.09.1995). Am ersten Oktoberwochenende
begann die Armee ihren dritten Großangriff seit Juli dieses Jahres gegen die
Tamilenrebellen (FAZ vom 04.10.1995), die sich auf die Städte Avarankal und
Puttur konzentrierte und dazu führte, daß die Truppen in Richtung Jaffna-Stadt
vordringen konnten (FAZ vom 05.10.1995).
Insgesamt ist festzustellen, daß nach einer Phase relativer Ruhe im Jahre 1994 die
militärischen Auseinandersetzungen seit April 1995 mit aller Härte fortgeführt
werden. Dabei verlagern sich die Aktionen der LTTE verstärkt in die Ostprovinzen,
nachdem die Lage sich dort seit 1993 beruhigt hatte (90; 93). Demgegenüber
haben die srilankischen Streitkräfte ihre Offensiven auf den Norden der Insel
verlagert und entfalten gezielte Aktivitäten auf der Jaffna-Halbinsel, angeblich
unter Aufgabe mehrerer Armeelager und Stützpunkte im Osten (117). Die erneut
aufgeflammten Auseinandersetzungen in der Ostprovinz und die damit
einhergehenden Aktivitäten der LTTE führten zeitweise zu einer Massenflucht unter
der moslemischen und singhalesischen Bevölkerung (107).
In den von der LTTE und auch in den von der srilankischen Armee beherrschten
Gebieten der Jaffna-Halbinsel droht einem tamilischen Volkszugehörigen weiterhin
politische Verfolgung durch Handlungen der srilankischen Regierungstruppen, die
dort mit kriegerischen Mitteln gegen die LTTE kämpfen. Die die tamilische
Zivilbevölkerung in diesen Gebieten betreffenden Maßnahmen und Übergriffe der
srilankischen Regierungstruppen stellen sich nach den oben ausgeführten
Grundsätzen als eine Gruppenverfolgung der Tamilen in diesen Bereichen dar. Bei
solchen Angriffen wurden Tempel, Kirchen, Schulen und auch Krankenhäuser
zerstört, die vor allem auch von den seit dem Mai 1992 wieder aufgenommenen
großflächigen Luftbombardements betroffen sind (65). So wurden etwa nach
zuverlässigen Berichten am 18. Mai 1992 in einem Tempel im Bezirk Mullaittivu 23
Zivilisten durch Granaten, die aus einem nahegelegenen Militärcamp abgefeuert
wurden, getötet und 30 verletzt (63). Im Januar 1993 soll es nach Darstellung der
Gruppe "University teachers for human rights, Jaffna" zu weiteren
Bombardierungen ziviler Ziele auf der Halbinsel Jaffna, so unter anderem einer
Reismühle bei Vaddukoddai gekommen sein, in deren Nähe LTTE-Angriffsziele
nicht auszumachen gewesen sein sollen (74). Auch bei seit Anfang Mai 1993
verstärkten Aktionen der Armee im Norden Sri Lankas, bei denen die Luftwaffe
wieder in großem Umfange vermeintliche LTTE-Objekte bombardierte, gab es
zahlreiche Opfer unter der Zivilbevölkerung (77).
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Im Jahre 1994 gingen die Luftangriffe der srilankischen Streitkräfte im Norden
zurück. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes sollen seit Anfang 1994 keine
Flächenbombardements ziviler Objekte durch die srilankische Luftwaffe mehr
stattgefunden haben. Es sei allerdings noch gelegentlich zu Granatbeschuß
gekommen, dem auch Zivilisten zum Opfer gefallen seien, wobei es sich jedoch
um Maßnahmen lokaler Armee-Einheiten gehandelt habe, die von der Armee-
Führung nicht gedeckt, sondern auf Disziplinlosigkeit zurückzuführen sei. Sei dem
Antritt der neuen Regierung im August 1994 habe es auch keinen Granatbeschuß
von Jaffna mehr gegeben (90; 91). Demgegenüber kam es einem Gutachten des
Sachverständigen Keller-Kirchhoff zufolge noch Ende 1994 zu Angriffen der
Luftwaffe auf zivile Gebiete der Jaffna-Halbinsel in den Dörfern Uduthurai,
Thalaiyady und Maruthankany und zum Beschuß dieser Gebiete mit Granaten (93).
Die seit April 1995 ausgebrochenen Kämpfe forderten nach Schätzungen viele
hunderte Tote unter der Zivilbevölkerung. Die Opfer sollen die auf Seiten der
Streitkräfte und der LTTE-Kämpfer übersteigen (115). Vor allem im Norden der
Insel nahm die srilankische Armee wieder ihre Flächenbombardements auf.
Nachdem es bereits im April nach dem Wiederaufflammen der Kämpfe zu
Bombenangriffen auf der Halbinsel Jaffna, die wohl als Vergeltungsangriffe galten,
kam (96), nahm die srilankische Luftwaffe nach Angaben des Sachverständigen
Wingler am 13. Mai 1995 wieder Flächenbombardierungen und Beschießungen mit
Granaten im Norden der Insel auf. Bei der Bombardierung unter anderem der
Ortschaften Paranthan, Pooneryn, Thondamanaru, Velvettithurai, Achchuveli,
Selvasanithy, Chettikulam, Valalai, Vasavilan und Karaveddy seien 500-kg-Bomben
von hochfliegenden Düsenkampfflugzeugen abgeworfen worden (105). Bei ihrer
am 9. Juli aufgenommenen Offensive setzte die Armee Bomber und Hubschrauber
ohne Rücksicht auf Verluste unter der Zivilbevölkerung ein. Es kam wieder zur
Beschießung und Bombardierung von Schulen, Kirchen und Tempeln. Dabei wurde
am Nachmittag des ersten Tages der Offensive die Kirche St. Peter und Paul in
Navali bei Jaffna getroffen. Es hieß, daß sechs Artillerie-Granaten die Kirche trafen.
Dabei kamen nach Angaben der LTTE 65 Menschen um, nach Angaben aus
Regierungskreisen 67 Menschen; Hunderte wurden verletzt (110; 115). Zuletzt
fand eine solche Aktion offenbar im September 1995 statt (SZ vom 29.09.1995).
Insgesamt läßt sich aus den Berichten über die große Zahl und die Art
militärischer Angriffe der Streitkräfte auf zivile Ziele auch nach dem
Wiederaufleben der Kämpfe zwischen den srilankischen Streitkräften und der LTTE
im April 1995 insbesondere im Norden des Landes entnehmen, daß es sich dabei
nicht um zufällige oder nur gelegentlich der gezielten Bekämpfung einer LTTE-
Stellung vorgekommene Zerstörungen von zivilen Objekten handelt, sondern daß
diese Angriffe zu einem großen Teil bewußt auch auf die Zivilbevölkerung zielen.
Anders als bei den vereinzelt bekanntgewordenen Massakern durch Soldaten an
tamilischen Zivilpersonen, die noch als exzeßhafte Einzelfälle beurteilt werden
können, stellen sich die bewußte Inkaufnahme von Opfern unter der
Zivilbevölkerung bei Angriffen auf nur vage vermutete LTTE- Stellungen und
insbesondere die zum Teil wahllose Bombardierung von Wohngebieten schon als
eine Art üblicher Taktik zur Einschüchterung der tamilischen Zivilbevölkerung unter
anderem mit dem Ziel dar, diese von einer Unterstützung der LTTE abzuhalten.
Die normativen Vorgaben durch die Zentralregierung und die Armeespitze zur
Schonung der Zivilbevölkerung werden offensichtlich in vielen Kampfsituationen
von den jeweiligen Truppenteilen nicht eingehalten. Zwar soll die Armee die
Zivilisten in der Regel vor Beginn einer Offensive zum Verlassen des Gebiets
auffordern. Solche Aufforderungen werden aber oft nicht bekannt, so daß Zivilisten
überrascht und durch Luftangriffe ohne Vorwarnung in Mitleidenschaft gezogen
werden. Zum anderen spricht für die Unwirksamkeit dieser "Vorwarnungen", daß
viele öffentliche Einrichtungen durch Militäraktionen getroffen werden. So sollen in
den nördlichen Gebieten von 500 Tempeln, die teilweise nur kleinere Gebäude
sind, die meisten schwerbeschädigt worden sein (67). Der Angriff auf die Kirche St.
Peter und Paul bei Jaffna am 9. Juli 1995 soll gar erfolgt sein, obwohl die
Bevölkerung zuvor durch abgeworfene Flugblätter aufgefordert wurde, Kirchen,
Tempelanlagen und Schulen aufzusuchen. Der Angriff sei gezielt mit acht
Bombenabwürfen von einem wiederholt anfliegendem Flugzeug erfolgt (117). Zur
Erklärung der vielen zivilen Opfer wird auch auf die LTTE-Guerillataktik der "human
shields" hingewiesen, die darin besteht, militärisches Gerät oft in dicht besiedeltem
Gebiet zu plazieren und damit die umliegend wohnende Zivilbevölkerung als
menschliche Schutzschilde vor militärischen Angriffen der Regierungstruppen zu
benutzen (51). Die Gefahr ziviler Schäden bestehe angesichts der
Zielungenauigkeit von Luftangriffen generell bei der Nachbarschaft von
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Zielungenauigkeit von Luftangriffen generell bei der Nachbarschaft von
militärischen Objekten und Bewegungen (62). Bei der Bombardierung solcher Ziele
kommt es oft zu einer großen Zahl von Opfern unter den in der Nähe sich
aufhaltenden Zivilpersonen (51; 61). Nach der Wiederaufnahme der Kämpfe im
April 1995 soll die Zahl der Toten allein des Angriffes auf die Kirche St. Peter und
Paul zu Beginn der Offensive auf die Jaffna-Halbinsel am 9. Juli 1995 nach Berichten
von Kirchenmitgliedern auf über 120 angestiegen sein, und es wurde ein weiterer
Anstieg erwartet, da zahlreiche Verwundete nicht versorgt werden konnten und
unter den Trümmern der Kirche weitere Tote vermutet werden. Insgesamt sollen
allein bei den Bomben- und Granatangriffen auf die Jaffna-Halbinsel im Zuge der
fünftägigen Offensive Anfang Juli 200 bis 300 Zivilisten getötet und über 2.000 bis
3.000 verletzt worden sein (117). Auch bei den seit Mitte 1992 erstmals unter
Einsatz von Panzern verstärkt vorgetragenen Angriffen auf LTTE-Basen werden
häufig auch zivile Objekte getroffen (63). Insgesamt ist bei Abwägung und
Einbeziehung aller genannten Berichte auf der Grundlage der oben dazu
vorgenommenen Einschätzungen und Bewertungen davon auszugehen, daß die
militärischen Aktionen der Streitkräfte der Zentralregierung in den von der LTTE
beherrschten Gebieten nicht allein unmittelbar auf die Bekämpfung dieser
Organisation gerichtet sind, sondern auch bewußt und in einer Vielzahl von Fällen
zielgerichtet die Verletzung und Tötung von Personen der Zivilbevölkerung in Kauf
genommen wird, um dadurch jedenfalls auch mittelbar - durch Abschreckung und
Einschüchterung der tamilischen Zivilbevölkerung - den militärischen Kampf gegen
die LTTE zu erleichtern. Dabei ist es für die Asylrelevanz dieser Kriegsführung nicht
erforderlich, daß sie auf die Zerstörung der Identität der gesamten der Gegenseite
zugerechneten Zivilbevölkerung ausgerichtet ist. Es ist insoweit schon asylrechtlich
erheblich, wenn von solchen Aktionen nur Teile dieser Zivilbevölkerung betroffen
sind, die - wie hier - nach asylerheblichen Merkmalen bestimmt sind (BVerwG,
27.01.1993 - 9 B 95.92 -).
Der Gegenterror durch die seit Ende April 1995 wieder aufgenommenen Angriffe
der Regierungstruppen, die die Zivilbevölkerung mit gezielten Angriffen unter den
Druck brutaler Gewalt setzen, ist auch ein konkretes asylrelevantes Geschehen
und nicht nur ein vorübergehender, nicht faßbarer Stand in einem ständig
wechselnden Kriegsgeschehen. Zwar ist der ständige Wechsel der Situation als
Element und Bestandteil einer kriegerischen Auseinandersetzung nicht ein jeweils
neu entstandenes Ereignis im Sinne eines Nachfluchttatbestandes. Einen
Nachfluchttatbestand stellt aber ein als herausragendes Ereignis faßbares
Geschehen dar, das eine grundlegende Änderung eines vorherigen Zustandes
darstellt und damit als ein eigenständig faßbares, als objektiver
Nachfluchttatbestand zu qualifizierendes Geschehnis zu beurteilen ist (BVerwG,
13.05.1993 - 9 C 59.92 -). Dieses konkret faßbare asylrelevante Geschehen liegt
hier in dem verstärkt und gezielt auf die Zivilbevölkerung ausgerichteten Vorgehen
der Regierungsstreitkräfte nach dem Abzug der indischen Truppen im Kampf
gegen die LTTE seit etwa Mitte 1990. Die bewußt auch gegen die Zivilbevölkerung
gerichteten Aktionen stellten eine neue Dimension der Kriegsführung der
Regierungsstreitkräfte dar, durch die als flankierende Maßnahmen zu dem direkten
Kampf gegen die LTTE die tamilische Zivilbevölkerung mit brutaler Gewalt unter
Druck gesetzt werden sollte, der LTTE keinen Schutz zu gewähren und sie nicht zu
unterstützen. Diese in großem Umfang durch untergeordnete Truppenteile
angewandte Taktik wird seit dem Wiederaufleben der Kämpfe zwischen der LTTE
und der Armee Ende April 1995 nach einer von Anfang 1994 bis dahin dauernden
Phase relativer Ruhe und Zurückhaltung als solche unverändert fortgesetzt;
darauf, wie der Stand des Kriegsgeschehens im Hinblick auf den Grad der
Überlegenheit der einzelnen Kriegspartei in Ansehung von Geländegewinn oder
Beherrschung von Gebietsteilen zu qualifizieren ist, kommt es insoweit nicht
entscheidend an.
Zusammenfassend ist deshalb festzustellen, daß einem tamilischen
Volkszugehörigen auf der Jaffna-Halbinsel mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
politische Verfolgung durch Aktionen der Streitkräfte sowohl in den von der LTTE
beherrschten Gebieten als auch in den von den Regierungstruppen kontrollierten
Bereichen droht, da Angriffe der Regierungstruppen gezielt auch die
Zivilbevölkerung in Anknüpfung an ihre tamilische Volkszugehörigkeit wahllos
treffen, um diese von einer gerade aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit für möglich
gehaltenen Unterstützung der LTTE abzuhalten.
2. Dem Kläger steht aber ebenso wie vor seiner Ausreise eine interne
Fluchtalternative zur Verfügung.
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Anhand der vorliegenden Erkenntnisquellen und auf der Grundlage der bisher und
zum jetzigen Zeitpunkt geringen Zahl von Abschiebungen tamilischer
Asylbewerber aus Deutschland und anderen europäischen Ländern ist auch heute
festzustellen, daß junge Tamilen den Ort der in Betracht kommenden inländischen
Fluchtalternative, nämlich insbesondere den Großraum Colombo und Umgebung,
auch bei der Einreise über den Flughafen Colombo erreichen können, ohne auf
dem Weg dorthin und dort politischer Verfolgung ausgesetzt zu sein.
Nach wie vor unterliegen zurückkehrende Tamilen den Kontrollen durch die
Sicherheitskräfte auf dem Flughafen Katunayake, über den aus Deutschland
abgeschobene srilankische Staatsangehörige in ihr Heimatland zurückkehren. Die
Kriminalpolizei (Criminal Investigation Department - CID -) führt dort Routine- und
Verdachtskontrollen durch. Insbesondere nach Attentaten, als deren Urheber die
LTTE vermutet wird, werden vor allem junge Tamilen zwischen etwa 11 und 40
Jahren, die keinen ständigen Wohnsitz im Süden und Westen Sri Lankas haben,
erkennungsdienstlich behandelt, um feststellen zu können, ob es sich um LTTE-
Unterstützer handelt (51). Es kommt in der Regel zu unregelmäßigen Kontrollen
von aus dem Westen einreisenden Tamilen. Dabei ist die Gefahr, sich einem
Verhör unterziehen zu müssen oder vorübergehend festgenommen zu werden -
wobei bei der Anordnung dieser Maßnahmen ein gewisses Maß an Willkür
festzustellen ist -, auch nicht ausgeschlossen. Bisher kann nicht zugrundegelegt
werden, daß aus dem Westen einreisende Tamilen grundsätzlich mit einer
Verhaftung rechnen müssen (65); jedenfalls werden die weitaus meisten nach
einer Befragung über eventuelle Kontakte zur Exil-LTTE wieder freigelassen. Nur
wenn sich der Verdacht auf Unterstützung der LTTE verdichtet, besteht die Gefahr
einer längeren Inhaftierung (79). Insgesamt ergeben sich bei der Einreise über den
Flughafen von Katunayake insoweit allerdings nur wenige Probleme; das Risiko
einer längeren Festnahme oder Mißhandlung durch staatliche Sicherheitskräfte bei
der Einreise über den Flughafen mit ordnungsgemäßen Reisedokumenten ist als
gering einzustufen. Eine erhöhte Gefährdung für abgeschobene Personen im
Vergleich zu freiwilligen Rückkehrern kann - auf der bisherigen Grundlage einer
geringen Zahl von Abgeschobenen - nicht festgestellt werden (81). Steht der
Name der einreisenden Person auf einer Fahndungsliste, muß allerdings mit einer
weitergehenden Befragung gerechnet werden (82). Auch wenn Festnahmen junger
Tamilen im genannten Alter, insbesondere zur erkennungsdienstlichen
Behandlung, vorkommen (68), ist in einer solchen Kontrollmaßnahme der
Sicherheitsbehörden auf dem Flughafen Colombo schon unter dem Gesichtspunkt
der Intensität kein asylrelevanter Eingriff zu sehen. Im übrigen stellen sich diese
Kontrollen als vorbeugende Fahndungsmaßnahmen im Rahmen der Bekämpfung
der mit terroristischen Mitteln operierenden LTTE dar. Insoweit handelt es sich um
eine anlaßbezogene und auch präventiv dem Schutz der Rechtsgüter der
srilankischen Bürger dienende Sicherheitsmaßnahme, die nach der erkennbaren
Gerichtetheit nicht allein wegen eines asylrelevanten Merkmals erfolgt. Soweit
darüber berichtet wurde, daß die Gefahr einer vorübergehenden Verhaftung oder
eines Verhörs bestehe (52), konnte daraus nicht entnommen werden, daß die
realistische Möglichkeit einer willkürlichen längeren Verhaftung und von
asylrelevanten Eingriffen wie Mißhandlungen und Folter unter Anknüpfung an die
tamilische Volkszugehörigkeit und das Alter des Einreisenden besteht. Nur soweit
der Verdacht auf Unterstützung der LTTE sich verdichtet hat, besteht die Gefahr
einer längeren Inhaftierung und damit verbunden von Folter, um Geständnisse
oder Informationen von dem Verdächtigen zu bekommen (79). Ledige Personen,
die unmittelbar von der Jaffna-Halbinsel nach Colombo zuziehen, sind im stärkeren
Maße dem Verdacht einer LTTE-Mitgliedschaft unterworfen. Die Tatsache eines
langjährigen Auslandsaufenthalts verringert diesen Verdacht, wenn er ihn auch
angesichts der Auslandstätigkeit der LTTE nicht gänzlich ausräumen kann (88).
Auch nach dem Regierungswechsel im August 1994 und auch nach dem
Wiederaufflammen der Kämpfe im April 1995 ist nach Angaben des Auswärtigen
Amtes und dem Gutachten des Sachverständigen Keller- Kirchhoff eine Einreise
über den Flughafen von Katunayake mit keinen erhöhten Gefahren verbunden (90;
91; 93). Allerdings müssen Personen, die wegen strafrechtlicher Delikte,
insbesondere Kapitalverbrechen oder als LTTE-Kämpfer auf der Fahndungsliste der
Sicherheitskräfte stehen, mit Festnahme rechnen, wobei Folter nicht
auszuschließen ist. Das Auswärtige Amt geht in seinem neuesten dem Senat
vorliegenden Lagebericht vom 12. Juli 1995 (111) davon aus, daß auch nach
Verschärfung der Sicherheitsvorkehrungen nach dem Ausbruch der Kämpfe im
Norden und Osten des Landes im April 1995 eine Rückkehr über Colombo aus dem
Ausland generell problemlos erscheint, wenn seitens der Polizeibehörden keine
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Ausland generell problemlos erscheint, wenn seitens der Polizeibehörden keine
konkreten Verdachtsgründe einer LTTE-Betätigung vorliegen. Wingler berichtet
jedoch in einem neueren Gutachten (105) darüber, daß zurückkehrenden Tamilen
bei der Einreise Pässe oder Identifikationspapiere abgenommen würden, so daß
diese hilflos den Schikanen der Sicherheitskräfte ausgesetzt seien. Der
Sachverständige hat dies in der Anhörung vor dem erkennenden Senat mündlich
dahingehend erläutert, daß im Fall eines Tamilen, der von der Schweiz aus nach
Sri Lanka abgeschoben wurde und den er bei der Einreise begleitet hatte, der
diesem für die Einreise ausgestellte Paß einbehalten und ihm stattdessen von der
Flughafenpolizei ein für sieben Tage gültiges Identitätspapier ausgestellt worden
war, das anschließend nicht verlängert wurde. Es gebe zwar eine Absprache mit
dem UNHCR dahingehend, daß Rückkehrern die Pässe belassen werden sollen; wie
weit diese Zusage eingehalten werde, sei jedoch nicht genau festzustellen. Von
dem ihm bekannt gewordenen Fall schließe er darauf, daß dies nicht lückenlos der
Fall sei (Bl. 158 f. der Gerichtsakte).
Auch unter diesen Voraussetzungen ist jedoch festzustellen, daß ein srilankischer
Staatsangehöriger tamilischer Volkszugehörigkeit, der nach der Einreise sich im
Süden und Westen Sri Lankas, insbesondere im Großraum Colombo und
Umgebung, niederläßt, grundsätzlich die Möglichkeit hat, dort, wenn auch unter
bescheidenen Verhältnissen, verfolgungsfrei zu leben (bisherige Rechtsprechung,
zuletzt 10.10.1994 - 12 UE 363/94 -; offengelassen 06.09.1995 - 12 UE 2019/95 -).
Nach wie vor finden dort allerdings häufig sogenannte "screening actions"
(Überprüfungsaktionen) statt, die unter erkennungsdienstlicher Behandlung von
verdächtigen Personen der Feststellung der Identität, des Wohnortes, des
Arbeitsplatzes und ähnlichem dienen. Die im Rahmen solcher Fahndungsaktionen
vorläufig festgenommenen Personen werden zum größten Teil nach kurzer Zeit
wieder freigelassen (51; 67). Dies gilt auch für die den "screening actions" häufig
vorausgehenden Razzien, bei denen die nach bestimmten Kriterien besonders
verdächtigen Personen, die einem "screening" und Verhör unterzogen werden
sollen, aussortiert werden. Betroffene von Razzien können bei der Fahndung nach
LTTE-Kämpfern alle jüngeren, männlichen und weiblichen Tamilen im oben
genannten kampffähigen Alter zwischen 11 und 36 Jahren sein (56).
Verhaftungsaktionen von Tamilen, sog. "Round-ups" finden häufig aufgrund von
Gerüchten statt, deren Wahrheitsgehalt für Außenstehende kaum zu verifizieren
ist. Der Umfang der Polizeiaktionen deutet nicht darauf hin, daß es sich immer um
anlaßbezogene Maßnahmen handelt. Tamilen sind oft bereits verdächtig, nur weil
sie Tamilen sind (81). Die Motive für die Durchführung solcher Aktionen sind
ebenso wie die Anlässe, die zu einer längeren Inhaftierung führen, vielfältig.
Während teilweise Polizeieinheiten sich mit dem Vorweisen von
Verhaftungserfolgen hervortun wollen und auch militärische Einrichtungen Erfolge
bei der Verfolgung der LTTE vorweisen wollen, gibt es andere Einheiten, die
tatsächlich im Interesse des Staates ermitteln wollen (Dr. Frank Wingler vor Hess.
VGH, 11.10.1995 - Bl. 158 der Gerichtsakte). Weiterhin wird in einzelnen
Polizeistellen die Festnahme zur Erzielung von Bestechungsgeldern genutzt.
Längere Inhaftierungen erfolgen jedoch nach wie vor nur in einem geringen
Umfang, insbesondere wenn Anhaltspunkte für die Unterstützung von an
Gewalttaten beteiligten Personen bestehen (51; 78; 87; 88). Nach wie vor steigt
die Anzahl der Razzien nach konkreten Anlässen wie Bombenanschlägen oder
sonstigen Attentaten und diese führen dann zu kurzzeitigen Festnahmen;
überwiegend von ein bis zwei Tagen (so auch Wingler, 93). Der weit überwiegende
Teil der Festgenommenen - etwa 90 % - wird unmittelbar nach dem screening
wieder freigelassen (52; 60; 64; 72; 83; Wingler: 80 % - 90 %, 93).
Über Fahndungsmaßnahmen gegen zurückkehrende Tamilen ist bislang konkret
nichts bekannt geworden. Eine Reihe von Asylberechtigten, die sich zum Urlaub in
Colombo aufgehalten haben, konnten dort ohne Beeinträchtigung leben (62). Auch
junge Tamilen, die mit einer deutschen Aufenthaltsbefugnis zum Urlaub nach Sri
Lanka gereist sind und sich dort bei der Polizei gemeldet haben, haben bei der
Deutschen Botschaft angegeben, daß sie keinerlei Schwierigkeiten bei Einreise und
Aufenthalt im Großraum Colombo gehabt hätten (85). Auch an die Stellung eines
Asylantrages in Deutschland werden keine nachteiligen Folgen durch Behörden Sri
Lankas geknüpft. Dies entspricht der Einschätzung auch anderer westlicher
Botschaften und des UNHCR in Colombo (64). Ähnlich stellt sich auch die
Sicherheitslage für die aus Indien zurückkehrenden Tamilen dar; bei 27.000
Rückkehrern sind nur 16 Fälle von Verhaftungen junger Tamilen wegen
mutmaßlicher LTTE-Mitgliedschaft bekannt geworden, die alle wieder freigelassen
wurden (66). Schon im Februar 1993 hat die Regierung von Sri Lanka zudem einige
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wurden (66). Schon im Februar 1993 hat die Regierung von Sri Lanka zudem einige
Notstandsverordnungen, die sich auf Festnahme, Haft und Verhör beziehen,
gelockert (79).
Nach der Ermordung des srilankischen Präsidenten Premadasa am 1. Mai 1993
änderte sich die Sicherheitslage nicht grundlegend. Auch wenn die Polizei zunächst
die LTTE trotz ihres Dementis als Hauptverdächtige für das Attentat betrachtete,
sind doch keinerlei nennenswerte Übergriffe auf Tamilen jedenfalls im Süden Sri
Lankas und insbesondere im Großraum Colombo bekannt geworden. Der damals
amtierende Präsident Wijetunga versprach der tamilischen Minderheit sofort nach
dem Attentat Schutz (74), während das Verteidigungsministerium zur Vermeidung
möglicher Übergriffe auf Angehörige der tamilischen Minderheit ein Ausgehverbot
verhängte (75). Der dann zum neuen Staatspräsidenten gewählte Präsident
Wijetunga stellte in der Folgezeit vielmehr fest, daß es keinen Hinweis dafür gebe,
daß die LTTE für das Attentat auf Premadasa verantwortlich sei. Der Übergang
zum neuen Präsidenten verlief ohne Übergriffe auf Tamilen trotz gewisser
Bezichtigungen durch die staatlichen Medien unerwartet ruhig, was auch darauf
zurückgeführt wurde, daß nur wenige Singhalesen glaubten, die LTTE sei für dieses
Attentat verantwortlich gewesen (76). Zu Vergeltungsangriffen auf Tamilen kam es
nach dem Anschlag, der von einigen Seiten auch oppositionellen singhalesischen
Kreisen angelastet wurde, nicht (84), wenn auch seither nach Presseberichten
mehrere tausend Tamilen in Colombo und Umgebung offensichtlich in Verbindung
mit den Untersuchungen der Mordanschläge auf Oppositionsführer Athulathmudali
und Präsident Premadasa zwar festgenommen, zum größten Teil jedoch wieder
freigelassen wurden (79, 81). Größere Gefahr für Leib und Leben von Tamilen
bestand aber Mitte 1993 in den singhalesischen Gebieten nicht, die Lage hat sich
nach den Einschränkungen des Notstandsrechts vom Februar und Juni 1993 (81)
erkennbar stabilisiert. Die Zahl der Verschwundenen ging deutlich zurück (80, 84,
85); im Süden und Westen wurden zu diesem Zeitpunkt keine derartigen Fälle
mehr bekannt (80). Tamilen über 40 Jahre werden bei den "screenings" kaum noch
inhaftiert (78). Allerdings hat sich die Zahl der Kontrollen und Razzien auch in der
zweiten Jahreshälfte 1993 insgesamt nicht vermindert (81, 85). Seit dem Sommer
1993 stieg die Zahl der Sicherheitskontrollen und damit auch der dabei vorläufig
verhafteten Tamilen deutlich an und erreichte im Oktober 1993 einen Höhepunkt
(87). Die meisten von ihnen gelangen nach Verhören, die zwischen wenigen
Stunden und einigen Tagen dauern, wieder auf freien Fuß; Schätzungen zufolge
sollen sich insgesamt 1.000 bis 2.000 von ihnen weiterhin in Haft befinden. Folter
für diejenigen, die über längere Zeit in Haft gehalten werden, kann nicht
ausgeschlossen werden (86), wenn auch bis auf die Aussagen eines Betroffenen,
der von "Mißhandlungen während der Inhaftierung" sprach, weitere Fälle von Folter
nicht an die Öffentlichkeit drangen. Um die willkürlichen Verhaftungen von Tamilen
einzuschränken, kam es Ende Juni 1993 zwischen dem neuen Präsidenten
Wijetunga und dem tamilischen Minister Thondaman zu einer Vereinbarung, nach
der Personen nicht mehr nur deshalb verhaftet werden sollen, weil sie der
tamilischen Volksgruppe angehören, und daß bestimmte Papiere, wie Ausweise,
Registrierung bei der Polizei, Kopie aus dem Wahlregister, Nachweis über die
Beschäftigung im Raum Colombo und Gehalts- bzw. Arbeitsnachweise des
Arbeitgebers ausreichen sollen, um eine Verhaftung zu verhindern. Polizei und
andere Behörden sollen angewiesen worden sein, sich nach diesen Richtlinien zu
richten. Diese Vereinbarungen würden aber, wie Einzelfälle zeigten, nicht
durchgehend eingehalten (86).
Konnte somit auch für den Zeitraum von 1993 bis Mitte 1994 jedenfalls in
quantitativer Hinsicht eine positive Entwicklung im Bereich der
Menschenrechtssituation der Tamilen in Sri Lanka, insbesondere im Süden und im
Großraum Colombo festgestellt werden, brachten die Parlamentswahlen im August
1994 mit dem Sieg der People's Alliance (PA) mit der SLFP an der Spitze zunächst
auch eine spürbare qualitative Verbesserung der Menschenrechtssituation. Die
Koalitionsregierung aus u.a. SLFP, deren Vorsitzende die Anfang November 1994
zur Staatspräsidentin gewählte Chandrika Kumaratunga ist, TULF und Sri Lanka
Moslem Congress (SLMC), die den Schutz der Menschenrechte zu einem
Schwerpunkt ihrer Politik erklärt hatte, setzte ihre Vorstellungen zunächst konkret
in die Tat um. Nach der Konstituierung des Parlaments beschloß dieses am 6.
September 1994 die Nichtverlängerung des Notstandes für die nicht unmittelbar
vom Bürgerkrieg betroffenen Landesteile außerhalb des Nordens, Nordostens und
der Ostprovinz mit der Folge, daß automatisch auch alle Notstandsverordnungen,
nach denen erleichterte Verhaftungsmöglichkeiten für die Sicherheitskräfte
bestanden, außer Kraft traten (91; 93). Allerdings wurde der Notstand nach dem
Bombenattentat auf den Präsidentschaftskandidaten der UNP, Gameni
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Bombenattentat auf den Präsidentschaftskandidaten der UNP, Gameni
Dissanayake vom 24. Oktober 1994 für den Großraum Colombo (zwischen
Negombo im Norden und Kalutarua im Süden) sowie für Teile der Distrikte
Puttalam, Anurathapura und Polunaruwa wieder erklärt (91; 93). Sie gelten in
diesem räumlichen Bereich nach wie vor (117). Im September 1994 wurde eine
Kommission gegründet, die den Auftrag hatte, alle Fälle von Verhaftungen unter
dem Notstandsrecht, insbesondere die Lage der Inhaftierten in den sogenannten
"Detention Camps" zu untersuchen. Die Kommission legte im Januar 1995 ihren
Abschlußbericht vor. Ihre Arbeit führte dazu, daß die meisten inhaftierten Tamilen,
insbesondere in den Gefängnissen Magazin Prison Colombo sowie in Camps in
Kalutara und Bandarawela freigelassen wurden (93). Keller-Kirchhoff geht in
seinem Gutachten davon aus, daß noch im August 1994 insgesamt 4.000
Menschen inhaftiert waren - demgegenüber gibt das Auswärtige Amt in seiner
Auskunft vom 19. Oktober 1994 (90) für September 1994 1.400 aufgrund
Notstandsrechts verhaftete Personen an - und daß Anfang 1995 noch 196
tamilische und 65 singhalesische Gefangene im Magazin Prison von Colombo
inhaftiert waren. Weitere 20 Tamilen sollen sich noch im Gewahrsam des Criminal
Investigation Department (CID) befunden haben. Dem korrespondieren die
Angaben lokaler Menschenrechtsorganisationen, denen zufolge die in den früheren
Jahren durchgeführten willkürlichen Verhaftungen von Tamilen nicht mehr in dem
zuvor bekannten Umfang erfolgten (93). Die Regierung berief desweiteren drei
Kommissionen, die die Aufklärung des Schicksals zahlreicher Verschwundenenfälle
seit 1988 sowie die Veranlassung der strafrechtlichen Verfolgung der
Verantwortlichen zur Aufgabe haben und die jeweils für eine bestimmte Region
zuständig sind. Sie nahmen ihre Arbeit am 10. Januar 1995 auf. In dem Fall von 32
verschwundenen Schulkindern aus Embilipitiya im Jahre 1989 kam es bereits zur
Anklageerhebung gegen acht Armee-Angehörige - unter ihnen ein Brigade-
General, ein Major und drei Hauptleute - sowie gegen den Schuldirektor der
Schule, aus der die Kinder entführt wurden. Das Verfahren soll im September 1995
verhandelt werden (97). Die Regierung ergriff darüber hinaus Maßnahmen zur
Verhinderung von Polizeigewalt bei Verhören, insbesondere Folter. So wurden in
der Vergangenheit regelmäßig Entschädigungsleistungen, die der oberste
Gerichtshof in einer Reihe von Fällen Folteropfern zugesprochen hatte, aus der
Staatskasse gezahlt. Nach den getroffenen neuen Regelungen soll nunmehr der
betroffene Polizist selbst für die Entschädigung aufkommen und auch
disziplinarischen Maßnahmen unterliegen. Am 25. November 1994 setzte das
Parlament die UN- Konvention gegen Folter, der auch Sri Lanka beigetreten ist, in
nationales Recht um. Aufgrund dessen kann Folter nunmehr mit einer
Gefängnisstrafe nicht unter sieben bis zehn Jahren und Geldstrafe nicht unter
10.000 bis 50.000 Rupien bestraft werden (92).
Trotz der allgemeinen deutlichen Verbesserung der Menschenrechtslage kam es
auch nach dem Regierungswechsel zu regelmäßigen Kontrollen im Süden,
insbesondere im Großraum Colombo zum Zwecke der Identitätsüberprüfung. Im
Anschluß an das Bombenattentat auf den Präsidentschaftskandidaten der UNP
Ende Oktober 1994 nahmen die Überprüfungen und Verhaftungen wieder zu. Der
Sachverständige Keller-Kirchhoff verweist in seinem Gutachten vom 20. Februar
1995 auf Berichte in den Medien von Verhaftungen von Tamilen in Colombo
Anfang und Mitte Januar 1995 im Zusammenhang mit dem Papstbesuch. Nach
einem Bericht der tamilischen Tageszeitung Virakesari in Colombo vom 6. Januar
1995 sollen jungen Frauen und Männer, die sich in kleinen Hotels im Vorort
Kotahena von Colombo eingemietet hatten, von der Polizei intensiv verhört worden
sein. Am 29. Januar sei ein Tamile in Nittambuwa, einem Ort 30 km nordöstlich von
Colombo, verhaftet worden, nachdem er beim Fotografieren der Grabstätte des
ehemaligen Premierministers Bandaraneike beobachtet worden war. Im
Plantagengebiet in der Region Hatton/Talawakele seien Ende 1994 über 25 junge
Männer verhaftet worden, hunderte seien zu Verhören in Polizeistationen
verbracht worden. Diese Maßnahmen seien damit begründet worden, daß die LTTE
versuche, unter den Plantagenarbeitern des Hochlands Fuß zu fassen. Insgesamt
wird nach der oben genannten Auskunft von Menschenrechtsorganisationen
kritisiert, das in den Gebieten, in denen die Notstandsverordnungen nicht mehr
gelten, einige Polizeibeamte weiterhin so vorgingen, als sei eine Rücknahme der
Verordnung nicht verfügt worden, was möglicherweise mit der langen Zeit der
Existenz der Sonderverordnungen zu erklären sei, aber auch an der insgesamt
schlechten Ausbildung der Rekruten liege (93). Nach Einschätzung des
Auswärtigen Amtes beachten die Sicherheitskräfte die bestehenden Regelungen.
Es könne jedoch nicht ausgeschlossen werden, daß in Einzelfällen aus Unkenntnis
oder Disziplinlosigkeit dagegen verstoßen werde. Insgesamt sei aber festzustellen,
daß die Polizei und Sicherheitskräfte nach dem Antritt der neuen Regierung
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daß die Polizei und Sicherheitskräfte nach dem Antritt der neuen Regierung
zurückhaltender und vorsichtiger operierten, da die neue Regierung angekündigt
hatte, gegen Rechtsverstöße und insbesondere Menschenrechtsverletzungen
durch Angehörige der Sicherheitskräfte entschieden vorzugehen (91).
Nach dem Wiederaufflammen der Kämpfe im Norden und Osten des Landes im
April 1995 verschärften die Sicherheitskräfte die Sicherheitsvorkehrungen im
Süden des Landes, insbesondere im Großraum Colombo, um auf diese Weise
befürchteten und angekündigten Bombenanschlägen und Attentaten
vorzubeugen. Die Lage ist seitdem gekennzeichnet durch eine sehr starke Präsenz
von Armee und Polizei in Colombo. Es finden, insbesondere im Anschluß an
Gewaltakte oder Bombendrohungen der LTTE, scharfe Personenkontrollen statt,
die seit Mai bzw. Juni dieses Jahres wieder mit vermehrten großangelegten
Verhaftungsaktionen einhergehen (111; 117). Der Sachverständige Dr. Wingler
berichtet in seinem zitierten Bericht davon, daß nach wie vor Festnahmen von
Tamilen häufig nur zur Erpressung von Lösegeldern erfolgen. Nach seinen
Informationen müssen von verhafteten Tamilen 1.000 US-Dollar oder mehr
aufgebracht werden, um aus der Untersuchungshaft herauszukommen. Im
Vergleich dazu betrage die übliche "Kaution" für eine Freilassung selbst bei
schweren kriminellen Taten wie z.B. vorsätzlicher Körperverletzung meist 2.000 bis
5.000 Rupien. Inzwischen seien viele Tamilen im Süden mehrfach festgenommen
worden. In der Regel sei fast jeder Tamile aus dem Norden bzw. Osten, der sich im
Süden aufgehalten habe, einmal bis dreimal in Detention-Haft gewesen. Dies
werde mittlerweile von jungen Tamilinnen oder Tamilen bereits für den Weg über
den Süden Sri Lankas in das Ausland finanziell eingeplant (117).
Die bei den wieder durchgeführten Razzien Festgenommenen werden nach
Auskunft des Auswärtigen Amtes (111) in der Regel sofort oder kurzfristig
freigelassen, wenn ein bestehendes Beschäftigungsverhältnis oder der bereits
längere Aufenthalt am Ort in örtlich bekannten Familien- oder
Nachbarschaftsverhältnissen oder ein sonst plausibler Aufenthaltsgrund am Ort
der Razzia nachgewiesen werden kann (so auch die Einschätzung der
schweizerischen Flüchtlingshilfe; (98)).
Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes sind die Behördenspitzen deutlich um
Vermeidung von Exzessen bemüht. Die üblichen Verhöre verliefen
"zufriedenstellend"; in besonders gelagerten Einzelfällen könne allerdings Folter
nicht völlig ausgeschlossen werden (111). Demgegenüber berichtet Dr. Wingler
über Informationen von Inhaftierten, daß die Polizeikräfte Eingesperrte verhungern
ließen, zumindest aber tagelang ohne Wasser und Nahrung in Dunkelkammern
einsperrten und ihnen dann ihren Urin zum Trinken und Kot zum Essen vorsetzten.
Eine weitere Gefährdung bestehe für Tamilen dadurch, daß die Sicherheitskräfte
am Kontrollpunkt Vavuniya Tamilen, die den Kontrollpunkt auf ihrem Weg in den
Süden passierten, fotografieren. Die Bilder, deren Qualität in vielen Fällen schlecht
sei, gelangten dann nach Colombo, wo sie oftmals auch als Steckbriefe
veröffentlicht würden. Diese veröffentlichten Abbildungen führten dann zu
zahlreichen Inhaftierungen und Verdächtigungen tamilischer Personen, die so
ähnlich aussehen (117).
Anfang Juni 1995 kam es in der Stadt Galle offenbar anläßlich der Ermordung eines
hohen buddhistischen Mönches durch Tamilen erstmals nach langer Zeit wieder zu
Ausschreitungen von Singhalesen gegen Tamilen, bei denen 22 Geschäfts- und
Wohnhäuser von dort seit längerem ansässigen Tamilen zerstört und angezündet
wurden. Bei einem Überfall singhalesischer Extremisten bei Elpetiya wurde ein
achtjähriges Mädchen getötet (106; 112). Den Angaben Dr. Winglers in seinem
zitierten Bericht zufolge wurden diese Ausschreitungen durch von dem UNP-
Politiker Vajira gedungenen und aufgestachelten Mord begangen. Zu weiteren
Ausschreitungen kam es nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen seither
jedoch weder nach den anfänglichen Niederlagen der srilankischen Streitkräfte zu
Beginn der militärischen Auseinandersetzungen Ende April/Anfang Mai des Jahres
und dem militärischen Debakel vom 28. Juni 1995 auf der Inselstellung Mandaitivu
noch nach dem verheerenden Bombenanschlag in Colombo am 7. August 1995,
bei dem mindestens 20 Menschen getötet und mehr als 50 verletzt wurden.
In den Monaten Mai und Juni 1995 wurden zahlreiche tote Körper junger Tamilen
auf dem Bolgada-See, an Stränden von Modeera und Negombo sowie bei
Banadura und Kalutara gefunden. Die Autopsie einiger Körper soll ergeben haben,
daß die Personen gefoltert oder ertränkt worden waren, zum Teil habe man sie
verhungern lassen; die Personen seien zum Teil gefesselt und mit Tüchern über
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verhungern lassen; die Personen seien zum Teil gefesselt und mit Tüchern über
Nase und Mund geknebelt aufgefunden worden (111; 115; 117; 118). Wingler
berichtet darüber hinaus von einem 24-jährigen Tamilen namens Naresh
Rajadadurai, der am 26. Juni 1995 auf dem Heimweg von seinem Arbeitsplatz in
einem Videosalon im Stadtteil Welawatte von Colombo gegen 20.15 Uhr in der Sri
Saranankara- Road von nicht identifizierten Personen in Zivil in einem weißen
Lieferwagen aufgegriffen und verschleppt worden sei. Drei Tage später sei sein
übel zugerichteter toter Körper mit Folterspuren zusammen mit sechs anderen
ähnlich übel zugerichteten toten Körpern am Ufer des Maha Oya in der Nähe von
Welihinda/Alawwa gefunden worden (117). In der Anhörung vor dem Senat gab
Wingler die Zahl der gefundenen Toten mit etwa 40 an (Bl. 159 der Gerichtsakte);
während das Auswärtige Amt (05.09.1995, Ergänzung zum Lagebericht vom
14.02.1995) von 21 durch die Polizei nach Entführung ermordeten Tamilen
berichtet.
Trotz dieser Ereignisse hat sich insgesamt nichts an der grundsätzlich für junge
Tamilen im Großraum Colombo bestehenden hinreichenden Sicherheit vor
politischer Verfolgung geändert, auch soweit es sich dabei um aus dem Ausland
Zurückgeführte oder Abgeschobene handelt. Zwar besteht nach wie vor eine hohe
Gefahr, von einer der vielfältigen Razzien oder Sicherheitskontrollen betroffen und
zur Identitätsprüfung kurzzeitig inhaftiert zu werden. Dem allein kommt jedoch
keine asylrechtliche Relevanz zu, sondern es handelt sich dabei um Maßnahmen,
die - soweit sie im Zusammenhang mit Ermittlungsverfahren oder präventiven
Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung stattfinden - grundsätzlich schon wegen
der geringen Intensität der Beeinträchtigung hinzunehmen sind. Nach wie vor ist
jedoch die Gefahr, von längerer Inhaftierung wegen des Verdachts der LTTE-
Zugehörigkeit oder -Unterstützung betroffen zu sein und damit
menschenrechtswidrigen und asylrelevanten Mißhandlungen seitens der
Sicherheitskräfte bis hin zur Tötung ausgesetzt zu werden, nicht mit der Gefahr
der Inhaftierung nach Razzien oder screenings an sich gleichzusetzen. Dies gilt
auch, soweit in Einzelfällen zurückkehrenden Tamilen die ihnen zur Einreise
ausgestellten Papiere abgenommen werden und ihnen stattdessen nur ein
kurzfristig gültiges Identitätspapier überlassen wird. Wie der Sachverständige Dr.
Wingler in der Anhörung vor dem erkennenden Senat (Bl. 158 f. der Gerichtsakte)
erläuternd zu seinen Gutachten ausführte, ist es denjenigen Tamilen, die nach der
Abnahme des Einreisepapiers über keinerlei weitere Identitätspapiere mehr
verfügen - wie beispielsweise die als srilankischer Personalausweis anzusehende
Identitätskarte oder eine Geburtsurkunde - möglich, bei der hierfür eingerichteten
Zentralstelle in Colombo die Ausstellung einer Geburtsurkunde zu beantragen und
sich mit dieser zumindest einen gültigen srilankischen Personalausweis zu
beschaffen. Für den hierfür erforderlichen Zeitraum dürfte es auch in aller Regel
den Betroffenen möglich sein, sich bei einer eventuellen Kontrolle oder Razzia
zumindest hinsichtlich ihrer Identität und ihres Aufenthaltsgrundes (nämlich
Beschaffung einer Geburtsurkunde bzw. der erforderlichen Ausweispapiere nach
Einreise aus dem Ausland) auszuweisen. An dieser grundsätzlich bestehenden
Möglichkeit ändert sich auch nichts dadurch, daß das Zentralregister in Colombo
lückenhaft ist und deshalb vor allem für Bereiche, in denen wegen der
Bürgerkriegswirren und damit zusammenhängender militärischer Aktionen die zur
Ausstellung der Geburtsurkunde erforderlichen Unterlagen nicht zur Verfügung
stehen. Zwar wird es den hiervon Betroffenen nicht möglich sein, in Colombo eine
Geburtsurkunde ausstellen zu lassen, und für diese die Gefahr auch längerfristiger
Inhaftierung mit der Folge drohender Mißhandlung oder Folter bestehen. Hierbei
handelt es sich jedoch um Besonderheiten in einzelnen Fällen, die bei deren
Prüfung individuell zu berücksichtigen sind, als solche aber nichts an der
Beurteilung der gruppenspezifischen Situation junger zurückkehrender Tamilen
insgesamt zu ändern vermögen.
An der Einschätzung der Sicherheitslage für junge zurückkehrende Tamilen im
Großraum Colombo hat sich auch nichts durch die inzwischen bekannt
gewordenen Leichenfunde geändert. Diese sprechen nicht für ein nunmehr
geändertes Vorgehen des srilankischen Staates gegen die Gruppe junger Tamilen
insgesamt. Vielmehr handelt es sich dabei, wie insbesondere aus den
Erläuterungen des Sachverständigen Dr. Wingler in seiner Anhörung vor dem
erkennenden Senat (Bl. 157 ff. der Gerichtsakte) hervorgeht, um Exzeßtaten
einzelner Angehöriger der Sicherheitskräfte oder Gruppen dieser Angehörigen von
Sicherheitskräften. Daß die Leichen der offensichtlich vorher gefolterten Opfer an
öffentlichen Plätzen gefunden wurden, läßt ebenfalls keinen anderen Schluß zu.
Nach den vorliegenden Erkenntnissen ist die srilankische Regierung einschließlich
eines Teiles der Sicherheitskräfte - darunter insbesondere der CID - nicht nur um
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eines Teiles der Sicherheitskräfte - darunter insbesondere der CID - nicht nur um
Verbesserungen bemüht, sondern hat unter anderem normative Voraussetzungen
dafür geschaffen, daß die Menschenrechtslage und die Situation der von
Überprüfungen und Verhaftungen betroffenen Tamilen auch tatsächlich verbessert
wird. Diese Vorgaben werden auch umgesetzt, wie das Verfahren gegen die an
dem Verschwinden der Kinder aus Embilipitiya zeigt, und zwar auch im Hinblick auf
die neuen Vorkommnisse, die zur Einleitung von Ermittlungsverfahren geführt
haben (Auswärtiges Amt vom 05.09.1995, Ergänzung zum Lagebericht). Dem
widersetzen sich Teile von Militär und der Sicherheitskräfte, die offenbar aus den
unterschiedlichsten Motiven handeln und die die öffentliche Präsentation der toten
Körper wohl zu einer Machtprobe benutzt haben. Daß die Regierung entschlossen
ist, auch gegen solche Exzesse vorzugehen, zeigt die Einleitung der
Ermittlungsverfahren gegen die möglicherweise beteiligten Polizeibeamten. Es gibt
auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, daß diese lediglich "der Optik
zuliebe" eingeleitet wurden und - wie der Sachverständige Dr. Wingler in seiner
Anhörung vor dem erkennenden Senat (Bl. 158 der Gerichtsakte) geäußert hat -
später möglicherweise niedergeschlagen werden. Die dem Senat insoweit zur
Verfügung stehenden Erkenntnisse lassen bisher jedenfalls nicht den Schluß zu,
daß die srilankische Regierung diese Exzesse fördert oder auch nur stillschweigend
duldet.
Den in der mündlichen Verhandlung am 6. September 1995 gestellten
Beweisanträgen des Klägers zu den ihm bei Rückkehr nach Colombo drohenden
Gefahren war nicht mehr nachzugehen, da insoweit hinreichende Auskünfte über
die in diesen Beweisanträgen behaupteten Tatsachen zur Verfügung stehen. Die
Praxis der Sicherheitskräfte insbesondere im Großraum Colombo ist durch die
Gutachten des Sachverständigen Dr. Wingler (105; 112; 117), die dieser zudem in
der Anhörung vor dem erkennenden Senat in der mündlichen Verhandlung zu
diesen Punkten erläutert hat (Bl. 157 ff. der Gerichtsakte) sowie durch Auskünfte
des Auswärtigen Amtes (111; vom 05.09.1995, Ergänzung zum Lagebericht)
belegt. Es ist nicht erkennbar und auch nichts dazu vorgetragen worden, inwieweit
andere Gutachter aufgrund besserer Sachkunde oder weiterer Erkenntnisse in der
Lage sein sollten, zusätzliche Auskunft zu geben. Bei den vom erkennenden Senat
verwendeten Gutachten und Auskünften handelt es sich um ganz aktuelle, nämlich
zuletzt im September 1995 in Sri Lanka und damit am Ort selbst über die dortigen
Vorgänge gewonnenen Erkenntnisse; das Auswärtige Amt erhielt diese durch seine
dortige Botschaft und der Sachverständige Dr. Wingler im Rahmen seiner im
August/ September durchgeführten Reise. Der Kläger hat in Kenntnis dieser
Auskünfte in der mündlichen Verhandlung auch nach den von dem
Sachverständigen Dr. Wingler vor dem Hintergrund seiner letzten Reise
abgegebenen Erläuterungen keinerlei Anhaltspunkte vorgetragen, die Anlaß dazu
gegeben hätten, gleichwohl noch über eventuelle weitere Vorgänge in seinem
Heimatland weitere Ermittlungen anzustellen. Es sind auch sonst keine
Anhaltspunkte für deren Notwendigkeit ersichtlich. Die Bewertung der dem Senat
vorliegenden Erkenntnisse kann ohnehin nicht im Wege der Erhebung von
Sachverständigengutachten oder Auskünften durch sachverständige Stellen
erfolgen, sondern ist allein von dem erkennenden Senat selbst vorzunehmen.
Nach den dargelegten Kriterien bestand für tamilische Volkszugehörige
grundsätzlich auch hinreichende Sicherheit vor einer existentiellen Gefährdung am
Ort der inländischen Fluchtalternative im Süden und Westen Sri Lankas,
insbesondere im Großraum Colombo und Umgebung. Ihnen drohte bislang dort
nicht wirtschaftliche Verelendung, die ein menschenwürdiges Dasein unmöglich
machte. Nach den vorliegenden Berichten ist vielmehr zugrunde zu legen, daß
sich in diesem Gebiet niederlassende Tamilen eine wenn auch bescheidene
Lebensgrundlage finden konnten, die ein menschenwürdiges Überleben dort
ermöglichte. So hatten Zehntausende von Tamilen sich nach ihrer Flucht aus dem
Norden Sri Lankas, insbesondere von der Jaffna-Halbinsel, im Großraum Colombo
niedergelassen, um dort unbehelligt von den Kriegswirren in ihrem Heimatgebiet
leben zu können. Sie lebten dort meist bei Verwandten oder Bekannten, in Hotels,
kleinen Absteigen (sogenannten Lodges) oder in Flüchtlingslagern (52). In den
Flüchtlingslagern wurden Lebensmittel ("dry rations") zur Sicherung des
Existenzminimums verteilt; in der Regel gab es aber keine darüber hinausgehende
finanzielle Unterstützung (51).
Die wirtschaftliche und soziale Lage der Tamilen war im Süden auch wegen der
dort herrschenden hohen Arbeitslosenquote insgesamt unbefriedigend (47). Zwar
war es auch für Tamilen in Colombo und Umgebung schwierig, eine wirtschaftliche
Existenz aufzubauen (60). Durch Gelegenheitsarbeiten, die allerdings meist
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Existenz aufzubauen (60). Durch Gelegenheitsarbeiten, die allerdings meist
schlecht bezahlt wurden, war ein wirtschaftliches Überleben aber - wenn auch mit
großen Problemen - möglich (65). Soweit eine Unterstützung nicht durch die
Solidarität unter den Tamilen erfolgte (64, dazu skeptisch 67), war für in den
Süden oder Westen Sri Lankas kommende Tamilen der Aufbau einer
wirtschaftlichen Existenz schwierig. Angesichts des Konkurrenzkampfes um
Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten bereits unter Singhalesen boten sich
tamilischen Zuzüglern noch geringere Aussichten, wirtschaftlich Fuß zu fassen
(85). Sie hatten in der Regel Probleme, dort überhaupt Arbeit zu finden (81).
Insbesondere wenn persönliche Beziehungen und ausreichende singhalesische
Sprachkenntnisse fehlten, hatten Ortsfremde fernab ihres verwandtschaftlichen
und bekanntschaftlichen Einfluß- und Wirkungskreises zunächst nur geringe
Chancen bei der Neugründung einer Existenz (58). Grundsätzlich konnten Tamilen,
die sich ohne familiären Rückhalt im Raum Colombo ansiedelten, dort oft nur auf
dürftige Weise existieren (64). Neben der Möglichkeit zu Gelegenheitsarbeiten
konnte sich der Flüchtling oder Rückkehrer in der Regel durch Hilfsmaßnahmen
karitativer Organisationen oder durch staatliche Unterstützungen mit einfachen
Grundnahrungsmitteln (64), auch außerhalb von Flüchtlingslagern verteilt der
srilankische Staat Trockenrationen (67), notdürftig versorgen.
Seit dem Regierungswechsel im August 1994 haben sich die geschilderten
Lebensverhältnisse für aus dem Norden oder dem Ausland zuziehende Tamilen im
Großraum Colombo nicht derart verändert, daß Tamilen die bis dahin zur
Verfügung stehende Fluchtalternative inzwischen nicht mehr offenstünde. Nach
Angaben Keller-Kirchhoffs in seinem Gutachten für das VG Kassel vom 20. Februar
1995 (93) soll es nach wie vor für Tamilen aus dem Norden und Osten oder aus
dem Ausland zurückkehrende Tamilen schwierig bis unmöglich sein, wirtschaftlich
Fuß zu fassen. Die meisten Unternehmen stellten aus Sicherheitsgründen kaum
Tamilen ein. Für sich im Süden ansiedelnde Tamilen stelle sich ein erhebliches
Wohnproblem, da gerade im Großraum von Colombo Wohnraum knapp und vor
allem sehr teuer sei. Dies sei in erster Linie darauf zurückzuführen, daß sich
während der vergangenen Jahre zehntausende Tamilen im Süden niedergelassen
haben. Vor allem in solchen Gebieten Colombos, die als Tamilenstadtteile gelten
wie Kuttahena, Welawatte, Mutuval und Watalla, muß ein Tamile diesen Angaben
zufolge für eine nur wenige Quadratmeter große Wohnung nicht selten mehrere
Tausend Rupien bezahlen. Die hohen Mieten sind danach auch für Singhalesen
und Moslems zu einem großen Problem geworden. Nach den Angaben des
Auswärtigen Amtes in seiner Auskunft vom 1. Februar 1995 (91) sind von den
wirtschaftlichen Schwierigkeiten die Angehörigen aller Bevölkerungsgruppen,
Singhalesen und Moslems gleichermaßen wie Tamilen, betroffen. In gleichem
Maße profitierten jedoch vom wirtschaftlichen Wachstum - im Jahr 1993 war ein
Zuwachs des Bruttosozialprodukts von 7,6 % zu verzeichnen (91) - alle
Bevölkerungsgruppen. Inwieweit es Rückkehrern gelinge, sich eine wirtschaftliche
Grundlage zu verschaffen, hänge von zahlreichen Faktoren wie bestehender
Beziehungen, Familienbindungen, Ausbildung ab. Mögliche wirtschaftliche
Integrationsprobleme träfen zurückkehrende Tamilen in der gleichen Weise wie
rückkehrende Singhalesen oder Moslems, insoweit gebe es keinen ethnischen
Bezug.
Der Sachverständige Dr. Wingler führte in den mündlichen Erläuterungen zu seinen
Gutachten (Bl. 157 ff. der Gerichtsakte) vor dem erkennenden Senat zudem aus,
daß es nach seiner Kenntnis noch ein vom singhalesischen Roten Kreuz
betriebenes Übergangswohnheim in Colombo gibt, das zurückkehrende
Asylbewerber, die über keinerlei Anknüpfungspunkte für eine Wohnungsnahme in
Colombo verfügen, zumindest befristet aufnimmt. Das Wohnheim verfügt nach
seinen Angaben über etwa 40 Plätze (Bl. 159 der Gerichtsakte). Insgesamt
gesehen gibt es somit jedenfalls wenn auch beschränkte Möglichkeiten für
zurückkehrende Tamilen, sich auch unter ungünstigen Voraussetzungen (keine
Verwandte oder Bekannte in Colombo) dort zunächst aufzuhalten und zu prüfen,
ob und wie dort eine Existenzgrundlage geschaffen werden kann. Allerdings ist an
dieser Stelle festzuhalten, daß die damit insgesamt günstige Prognose für
zurückkehrende Tamilen auf der jetzigen Situation beruht, in der weder in
größerem Umfang Abschiebungen oder Rückführungen von Tamilen aus dem
westlichen Ausland erfolgen noch größere Flüchtlingsströme aus dem Norden oder
Osten Sri Lankas in den Großraum Colombo zu verzeichnen sind. Gleichbleibende
Verhältnisse in dieser Hinsicht vorausgesetzt, besteht nach wie vor jedenfalls
grundsätzlich durchaus die Möglichkeit, insbesondere im Großraum Colombo eine
wirtschaftliche Existenzmöglichkeit zu finden.
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Dem Beweisantrag des Klägers dazu, daß er nicht in der Lage sein werde, sich eine
irgendwie geartete bescheidene Existenzgrundlage im Süden aufzubauen, war
ebenfalls nicht nachzugehen, da auch insoweit dem erkennenden Senat aus den
hierzu vorliegenden Auskünften und Gutachten sowie der mündlichen Erläuterung
durch den Sachverständigen Dr. Wingler die zur Beurteilung dieser Frage
erforderlichen Tatsachen bekannt sind und nicht erkennbar ist, inwieweit weitere
Sachverständige oder sachverständige Stellen in der Lage sein sollten, hierzu
zusätzliche Erkenntnisse oder Tatsachen zu bekunden. Die Frage, inwieweit der
Kläger aufgrund der bekannten Tatsachen selbst in der Lage sein wird, sich eine
Existenzgrundlage im Süden Sri Lankas bzw. im Großraum Colombo aufzubauen,
ist zudem eine Frage der rechtlichen Wertung im Sinne einer auch individuell zu
treffenden Prognoseentscheidung, die nicht durch Sachverständige im Rahmen
der Beweiserhebung, sondern allein durch den erkennenden Senat getroffen
werden kann.
3. Dem Kläger droht bei einer Rückkehr in sein Heimatland auch aus individuellen
Gründen keine politische Verfolgung am Ort der inländischen Fluchtalternative. Er
ist dort hinreichend sicher vor staatlichen Verfolgungsmaßnahmen.
Nach den obigen Darlegungen zur Frage einer generellen Verfolgung junger
Tamilen im Süden und Westen Sri Lankas, insbesondere im Großraum Colombo
und Umgebung, besteht hinreichende Sicherheit vor Verfolgung für diese Gruppe,
soweit keine besonderen und konkreten Umstände, die zu einer längeren
Inhaftierung führende Verdachtsmomente begründen könnten, individuell in der
einzelnen Person vorliegen. Nur bei Vorliegen solcher konkreten Umstände,
insbesondere Anhaltspunkte für das Vorhandensein des Verdachts der LTTE-
Unterstützung oder die mangelnde Möglichkeit, sich hinreichende
Identitätspapiere zum Nachweis eines Aufenthaltsgrundes in Colombo beschaffen
zu können, besteht die realistische Gefahr einer längeren Inhaftierung und damit
verbundenen Mißhandlungen und möglicherweise Folter. Insoweit müssen
mindestens ernsthafte Zweifel an einer Sicherheit vor Verfolgung bestehen, die
auf "objektiven Anhaltspunkten" für eine politische Verfolgung begründenden
Übergriffen beruhen (BVerwG, 08.09.1992 - 9 C 62.91 -).
Dem Kläger droht wegen der Ereignisse, die er für die Zeit vor seiner Ausreise aus
Sri Lanka geschildert hat, keine politische Verfolgung am Ort der inländischen
Fluchtalternative. Aus den von dem Senat zugrundegelegten Angaben des Klägers
ergeben sich keinerlei konkreten Anhaltspunkte dafür, daß er bei der Rückkehr
nach Sri Lanka deshalb Ermittlungsmaßnahmen und längere Inhaftierung zu
erwarten hätte. Die von ihm geschilderten Festnahmen und Inhaftierungen auch
zuletzt im Jahre 1992 sind im Zuge allgemeiner Razzien erfolgt, ohne daß gegen
ihn ein besonderer, individualisierter Vorwurf erhoben wurde. Daß bei einer
Rückkehr des Klägers nach Sri Lanka drei Jahre nach diesen Ereignissen deshalb
noch Ermittlungen durchgeführt werden und dieser deshalb Gefahr läuft, auf einer
der Fahndungslisten der Flughafenpolizei geführt zu werden, ist nicht ersichtlich.
Auch wenn dem Kläger bei der Rückkehr ein möglicherweise nur für eine einmalige
Einreise ausgestellter Paß oder Paßersatz von der Flughafenpolizei abgenommen
würde, besteht für ihn nicht die Gefahr, längere Zeit wegen der kurzfristig
unmöglichen Identitätsfeststellung inhaftiert zu werden. Zum einen verfügt der
Kläger über eine auch heute noch gültige, in Colombo ausgestellte Identitätskarte
und wäre demnach selbst bei deren Verlust in der Lage, sich durch die
Zentralstelle in Colombo eine Geburtsurkunde sowie eine neue Identitätskarte
ausstellen zu lassen. Es bestehen jedenfalls keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß bei
einem jungen Tamilen, der von dieser Behörde vor einigen Jahren schon einen
Ausweis ausgestellt erhielt, dies zum heutigen Zeitpunkt nicht möglich sein sollte.
Am Ort der inländischen Fluchtalternative drohen dem Kläger auch individuell keine
sonstigen Nachteile und Gefahren, die wegen ihrer mit einer asylerheblichen
Rechtsgutsbeeinträchtigung aus politischen Gründen vergleichbaren Intensität und
Schwere eine menschenwürdige Existenz dort unmöglich machten (BVerwG,
16.02.1993 - 9 C 31.92 -, a.a.O.). Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten hat der
Kläger ebenso wie für andere Tamilen oben dargestellt, grundsätzlich die
Möglichkeit, sich dort ein bescheidenes Existenzminimum zu schaffen, das ihm ein
menschenwürdiges Dasein ohne existenzbedrohende Gefahren ermöglicht. Dies
gilt für den Kläger insbesondere auch deshalb, weil dieser einen Verwandten oder
Bekannten kennt, der in Colombo lebt und bei dem er auch vor seiner Ausreise
schon Aufnahme und eine Arbeitsmöglichkeit gefunden hatte.
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B.
Der Asylantrag des Klägers hat auch insoweit keinen Erfolg, als dieser die
Feststellung begehrt, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen (§
13 Abs. 2 AsylVfG). Der Kläger erfüllt nach den obigen Darlegungen die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nicht; denn die Vorschriften des Art. 16a
Abs. 1 GG und des § 51 Abs. 1 AuslG weichen in den hier entscheidenden Kriterien
nicht voneinander ab, zumal der Art. 33 Abs. 1 GK nachgebildete asylrechtliche
Abschiebungsschutz des § 51 Abs. 1 AuslG nicht auf bestimmte Vor- oder
Nachfluchttatbestände beschränkt ist (dazu allgemein Renner, Anm. in ZAR 1994,
85 m.w.N.).
C.
Über die Rechtmäßigkeit der Feststellung des Bundesamts zu § 53 AuslG (nach §
31 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG) und der Abschiebungsandrohung (nach §§ 34 Abs. 1, 36
Abs. 1 AsylVfG) ist keine Entscheidung zu treffen, da das Verwaltungsgericht mit
seinem Urteil den Bescheid des Bundesamtes auch insoweit aufgehoben hat und
der Bundesbeauftragte diesen Teil nicht ausdrücklich zum Gegenstand des
Berufungsverfahrens gemacht hat.
D.
Da die Berufung des Bundesbeauftragten Erfolg hat, hat der Kläger die Kosten des
gesamten Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO), für das gemäß §§ 83b Abs.
1, 87a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11,
711 Satz 1 ZPO, § 167 VwGO.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.