Urteil des HessVGH vom 20.02.1990

VGH Kassel: handwerk, unternehmen, behörde, industriebetrieb, arbeitsteilung, gewerbe, marke, abgrenzung, verordnung, ermessensspielraum

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
11. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
11 UE 2161/85
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 1 Abs 2 HwO, § 16 Abs 3
HwO
(Zur Abgrenzung von handwerksmäßiger und industrieller
Betriebsweise in Drehergewerbe - Erlaß einer
Untersagungsverfügung nach HwO § 16 Abs 3 S 1)
Tatbestand
Die Klägerin erstrebt mit der vorliegenden Klage die Untersagung des
Gewerbebetriebs der Beigeladenen zu 1). durch den Beklagten.
Die Beigeladene zu 1.) betreibt seit 1970 ein stehendes Gewerbe. Sie stellt Teil-
und Fertigerzeugnisse für Anlagen, Maschinen, Armaturen und Werkzeuge durch
spanende Be- und Verarbeitung her. Der Gewerbebetrieb wurde zunächst im Jahre
1970 unter der Bezeichnung "S und Z" in ... G gewerblich angemeldet. In
demselben Jahr wurde der Betrieb durch die Beigeladene zu 2.) und die zuständige
Handwerkskammer besichtigt. Dabei wurde eine Einstufung des Gewerbebetriebs
als Handwerksbetrieb nicht vorgenommen. Die Beigeladene zu 1.) ist seit 1970
unter der Bezeichnung "Minderhandwerk" Mitglied der Beigeladenen zu 2.). Zum 1.
Juli 1978 erfolgte die Verlegung des Gewerbebetriebs der Beigeladenen zu 1.) an
den heutigen Standort in ... E-H, ohne daß sich an der Maschinenausstattung bzw.
an dem Leistungsprogramm des Betriebes etwas änderte. Die Beigeladene zu 1.)
meldete ihren Gewerbebetrieb am 10. Oktober 1978 in E unter dem Namen "I Sch"
neu an. In dieser Anzeige über den Betriebsbeginn bezeichnete sie den
Gegenstand ihres Gewerbes mit: "Dreherei/Industrie". Auch nach der Verlegung
ihres Unternehmens blieb die Beigeladene zu 1.) Mitglied der Beigeladenen zu 2.).
Das Fertigungsprogramm des Betriebes der Beigeladenen zu 1.) umfaßte damals
insbesondere die Herstellung von Zahnrädern ohne Verzahnung, Wellen,
Flanschen, Keilriemenscheiben, Bolzen, Flachriemenscheiben und Isolierringen. Für
diesen Zweck benutzte die Beigeladene zu 1.) auf einer Arbeitsfläche von etwa
150 m& Universaldrehmaschinen, 1 Bohrmaschine, 1 Flächenschleifmaschine und
1 Säge. Ihre Aufträge erhielt die Beigeladene zu 1.) ausschließlich von der
benachbarten metallverarbeitenden Industrie. Preise und Termine legten jeweils
die Auftraggeber fest. Bei Erhalt eines Auftrags wurden der Beigeladenen zu 1.) die
notwendigen Zeichnungen und das Rohmaterial von den Auftraggebern
mitgeliefert. Der monatliche Umsatz der Beigeladenen zu 1.) betrug seinerzeit ca.
15.000,-- DM bis 20.000,-- DM. Etwa 95% des Umsatzes wurden durch die
Anfertigung von Kleinserienprogrammen erzielt, wobei die Stückzahl pro Serie
zwischen 50 und 500 lag. Etwa 5% ihres damaligen Umsatzes erwirtschaftete die
Beigeladene zu 1.) durch die Einzelanfertigung von Konstruktionsteilen für den
Maschinenbau, insbesondere von Zahnrädern. Sowohl die in Serien- als auch die in
Einzelanfertigung hergestellten Teile wurden nicht zusammengefügt oder sonstwie
montiert. Im Betrieb der Beigeladenen zu 1.) arbeiteten damals drei Dreher, die
ihre Berufsausbildung im industriellen Bereich erhalten hatten und den
Facharbeiterbrief der IHK besaßen. Weiterhin war der Ehemann der Beigeladenen
zu 1.) im Betrieb geschäftsführend tätig, der ebenfalls seine Berufsausbildung als
Dreher im industriellen Bereich erworben hat. Die Beigeladene zu 1.) selbst war die
einzige nicht einschlägig ausgebildete Arbeitskraft in ihrem Gewerbebetrieb. Sie
verrichtete jeweils nach einer gewissen Anlernphase einfache Bohrarbeiten.
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Unter Berücksichtigung der Angaben der Beigeladenen zu 1.) vom 17. Juli 1989,
des Ergebnisses der Betriebsbesichtigung durch die Klägerin und die Beigeladene
zu 2.) am 9. Februar 1990 und der ergänzenden -- unstreitigen -- Angaben des
Bevollmächtigten und Ehemannes der Beigeladenen zu 1.) in der mündlichen
Verhandlung vor dem erkennenden Senat stellen sich die aktuelle Betriebsstruktur
und das Leistungsprogramm des Unternehmens der Beigeladenen zu 1.) derzeit
wie folgt dar: Das Fertigungsprogramm umfaßt Dreh- und Frästeile für die
Drahtindustrie in Serien von 100 bis 500 Stück. Der Betrieb verfügt über folgende
Maschinenausstattung: 1 Flächenschleifmaschine Marke Elbschliff, 3
Spitzendrehmaschinen Marke Colchester, 1 Bügelsäge Marke Castro, eine
Universalfräsmaschine Marke Avia, 2 Säulenbohrmaschinen Marke Alzmetall, 1
Spitzendrehbank Marke Colchester, 1 Spitzendrehmaschine für Großdrehteile der
Firma TOS, 2 CNC-Maschinen der Marke Colchester sowie die üblichen Dreh-, Fräs-
und Gewindewerkzeuge. Auftraggeber sind entsprechende Unternehmen, die im
direkten Umfeld des Betriebes der Beigeladenen zu 1.) liegen. Neben dem
Ehemann der Beigeladenen zu 1.) sind in dem Betrieb 8 Arbeitnehmer beschäftigt.
Alle Personen verfügen über eine Dreher- und Fräserausbildung, die sie bei der
Industrie- und Handelskammer D erhalten haben. Die Betriebsinhaberin selbst
arbeitet nicht in der eigentlichen Fabrikation mit. Eine Einzelfertigung findet in dem
Betrieb nicht mehr statt. Die kleinste Serie beläuft sich auf 30 bis 50 Stück. Im
Jahre 1988 erzielte das Unternehmen einen Umsatz von 643.000,-- DM. Die
Umsatzerwartung für 1989 lag bei 800.000,-- DM. Für das Jahr 1990 erwartet der
Betrieb einen Umsatz von 1,5 Mio DM. Nach wie vor stellen die auftraggebenden
Firmen nicht nur das Rohmaterial, sondern auch die Pläne zu dessen Bearbeitung
zur Verfügung und nehmen die Endkontrolle vor.
Bei einer alleinigen Besichtigung des Betriebes der Beigeladenen zu 1.) am 9. Juli
1979 und bei einer Betriebsbesichtigung zusammen mit der Beigeladenen zu 2.)
am 11. Dezember 1979 gewann die Klägerin die Überzeugung, daß es sich bei
dem Gewerbebetrieb der Beigeladenen zu 1.) um einen Handwerksbetrieb
handele. Diese Ansicht wurde allerdings von der Beigeladenen zu 1.) und auch von
der Beigeladenen zu 2.) nicht geteilt.
Die Klägerin stellte daraufhin mit Schreiben vom 18. Februar 1980 bei dem
Beklagten den Antrag, der Beigeladenen zu 1.) die weitere Ausübung ihres
Betriebes gemäß § 16 Abs. 3 Handwerksordnung (HwO) wegen Nichteintragung
bzw. Nichteintragungsfähigkeit in der Handwerksrolle zu untersagen. Am 29. Mai
1980 wurde daraufhin eine erneute Betriebsbesichtigung bei der Beigeladenen zu
1.) durchgeführt, an der Vertreter der Klägerin, des Beklagten und der
Beigeladenen zu 2.) teilnahmen. Auf Grund des Ergebnisses dieser
Betriebsbesichtigung schloß sich der Regierungspräsident in G der Auffassung der
Beigeladenen zu 2.) an und lehnte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 6.
November 1981 im wesentlichen mit der Begründung ab, nach den getroffenen
Feststellungen liege eine dem Handwerk zuzuordnende Betriebsweise nicht vor.
Der Betrieb sei allerdings auch kein typischer Industriebetrieb. Vielmehr fände sich
in ihm eine Mischung von handwerklichen und industriellen Strukturen. Bei einer
Gesamtbetrachtung überwögen jedoch die industriellen Strukturmerkmale.
Den hiergegen seitens der Klägerin am 12. November 1981 eingelegten
Widerspruch wies der Regierungspräsident in G mit Widerspruchsbescheid vom 30.
September 1982, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, zurück. Die von der
Klägerin angeregte Einholung eines Sachverständigengutachtens hielt der
Regierungspräsident nicht für erforderlich. Der Widerspruchsbescheid wurde der
Klägerin am 1. Oktober 1982 zugestellt.
Am 15. Oktober 1982 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben, mit der sie
ihr Begehren weiterverfolgt.
Das Verwaltungsgericht hat durch Beschlüsse vom 19. Oktober 1982 und 2. Juli
1985 Frau ... Sch (Beigeladene zu 1.) und die Industrie- und Handelskammer D
(Beigeladene zu 2.) zum Verfahren beigeladen.
Zur Begründung der Klage führte die Klägerin im wesentlichen aus: Der
Regierungspräsident habe die Frage, ob es sich bei dem Gewerbebetrieb der
Beigeladenen zu 1.) um einen Handwerksbetrieb handele, schon allein deswegen
fehlerhaft beurteilt, weil er vor seiner Entscheidung kein weiteres unparteiisches
Sachverständigengutachten eingeholt habe. Dazu sei er aber verpflichtet
gewesen, weil für die Beantwortung der Frage, wann ein selbständiger, in die
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gewesen, weil für die Beantwortung der Frage, wann ein selbständiger, in die
Handwerksrolle einzutragender Handwerksbetriebs vorliege, nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts primär die Handwerkskammer
zuständig sei und ihrer Stellungnahme im Rahmen der Gewerbeuntersagung nach
§ 16 HwO daher eine besondere Bedeutung zukomme. Das Gewerbe eines
"Drehers" werde bei Vorliegen eines Kleinbetriebes im übrigen in aller Regel als
Handwerk betrieben. Außerdem stelle sich wegen der persönlichen Mitarbeit der
Beigeladenen zu 1.) selbst und ihres Ehegatten der Betrieb nach seinem sozialen
Erscheinungsbild als mittelständischer Familienbetrieb dar und entspreche daher
geradezu dem Idealbild eines Dreherbetriebs in handwerklicher Betriebsweise.
Dafür spreche auch, daß der Betrieb in allen Teilen und Arbeitsabläufen von der
Beigeladenen zu 1.) bzw. ihrem Ehegatten überschaut und dirigiert werde. Die
Anfertigung von Serien in der Größenordnung, wie sie hier vorkämen, spreche im
Drehergewerbe nicht gegen das Vorliegen eines handwerklichen Betriebes.
Bedeutungslos sei, ob die Produktion der Beigeladenen zu 1.) in den
Industriebetrieb eines ihrer Auftraggeber integriert werden könnte. Die Annahme
des Beklagten, für die Leitung des Betriebes der Beigeladenen zu 1.) sei ein
Handwerksmeister nicht erforderlich, sei falsch. Aus dem Fehlen eines
handwerklichen Betriebsinhabers allein könne noch nicht darauf geschlossen
werden, der Betrieb werde industriell geführt. Eine arbeitsteilige Produktionsweise
finde in dem Betrieb der Beigeladenen zu 1.) nicht statt und könne angesichts
seiner geringen Größe auch nicht organisiert werden.
Die Klägerin beantragte sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 6. November 1981
und des Widerspruchsbescheides vom 30. September 1982 zu verpflichten, die
Fortsetzung des Betriebes der Beigeladenen zu 1.) zu untersagen,
hilfsweise,
unter Aufhebung der vorgenannten Bescheide den Beklagten zu verpflichten,
die Klägerin auf Grund ihres Antrags vom 18. Februar 1980 unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Der Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
Er führte im wesentlichen aus, die Voraussetzungen für eine Betriebsuntersagung
nach § 16 Abs. 3 HwO, deren Prüfung maßgeblich ihm und nicht der Klägerin
obliege, lägen nicht vor. Er sei an die Vorgaben der Handwerkskammer nicht
gebunden. Der Gewerbebetrieb der Beigeladenen zu 1.) sei dem industriellen
Bereich zuzuordnen. Die Unterscheidung der unterschiedlichen Berufsbilder in der
Industrie und im Handwerk sei bei der Tätigkeit eines Drehers nur bedingt für eine
Abgrenzung zwischen Industrie und Handwerk geeignet, denn die praktische
Tätigkeit des Drehers sei in vielen Bereichen weitgehend deckungsgleich und auch
in der Ausbildung würden gleiche praktische Fähigkeiten vermittelt. Auch sei in
beiden Bereichen der Einsatz von Maschinen unabdingbar, so daß der Grad der
Maschinisierung eines Betriebes nicht ausschlaggebend sein könne. In dem
Betrieb der Beigeladenen zu 1.) fielen keinerlei Arbeiten an, die eine qualifizierte
handwerkliche Ausbildung erfordern würden. Letztlich entscheidend für die
Zuordnung des Betriebes sei jedoch, daß die einzelnen Arbeiten zu mehr als 90%
serienmäßig ausgeführt würden. Trotz der geringen Betriebsgröße sei eine
arbeitsteilige Fabrikationsweise möglich. Der industrielle Charakter der
ausgeführten Arbeiten ergebe sich auch daraus, daß es sich bei der Tätigkeit der
Firma S um Arbeitsgänge eines Betriebes handele, die nur aus einem
Hauptbetrieb ausgegliedert worden seien. Im übrigen würden nur Einzelteile
hergestellt, die erst von den Auftraggebern zu Fertigprodukten zusammengefügt
würden. Bei Arbeitsvorgängen, in denen bis zu 500 Stück serienmäßig in gleicher
Weise bearbeitet würden, könne von einer Einzelanfertigung, wie sie für das
Handwerk typisch sei, auch im weitesten Sinne nicht mehr gesprochen werden.
Das Verwaltungsgericht wies die Klage durch Urteil vom 22. August 1985 ab. Es
führte im wesentlichen aus: Die Klage sei sowohl im Haupt- als auch im Hilfsantrag
unbegründet. Die fehlende Hinzuziehung eines Sachverständigen seitens des
Beklagten vor der Entscheidung über die Einstufung des Betriebes der
Beigeladenen zu 1.) sei nicht zu beanstanden. Gemäß § 26 HessVwVfG stehe es
im pflichtgemäßen Ermessen des Regierungspräsidenten, welcher Beweismittel er
sich im Rahmen des Betriebsuntersagungsverfahrens bediene. Ermessensfehler
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sich im Rahmen des Betriebsuntersagungsverfahrens bediene. Ermessensfehler
seien insoweit nicht ersichtlich. Der Regierungspräsident verfüge selbst über die
nötige Sachkunde für die Beurteilung der Frage, wann ein Handwerk vorliege bzw.
wann der Betrieb eines Handwerks zu untersagen sei. Im Rahmen des Verfahrens
nach § 16 Abs. 3 HwO könne für die Frage, ob ein Handwerksbetrieb vorliege, nicht
von einer primären Zuständigkeit der Handwerkskammer und einer bloß
sekundären Zuständigkeit des Regierungspräsidenten ausgegangen werden.
Vielmehr sei der Regierungspräsident berechtigt und verpflichtet, sich in eigener
Verantwortung eine abschließende Meinung darüber zu bilden, ob der
Betriebsinhaber der Eintragungspflicht unterliege oder nicht. Der Betrieb der
Beigeladenen zu 1.) erfülle nicht die gesetzlichen Voraussetzungen eines
Handwerksbetriebs nach § 1 Abs. 2 HwO. Es handele sich um einen
Industriebetrieb und nicht um einen Handwerksbetrieb. Dies ergebe sich aus einer
Betrachtung der Gesamtstruktur des Betriebes. Zwar spreche im vorliegenden Fall
die anhand des Umsatzvolumens und der Beschäftigtenzahl zu ermittelnde
Betriebsgröße eher für einen Handwerksbetrieb. Auch finde eine
(industrietypische) Arbeitsteilung nicht statt. Für das Vorliegen eines
Industriebetriebes spreche jedoch entscheidend, daß sämtliche ausgebildeten
Mitarbeiter im Betrieb der Beigeladenen zu 1.) Industriefacharbeiter seien, die
industrietypisch zu arbeiten gelernt hätten. Weiterhin spreche für das Vorliegen
eines Industriebetriebes, daß die Produkte der Beigeladenen zu 1.) unter
Zuhilfenahme eines relativ großen und modernen Maschinenparks in Serien
gefertigt würden, daß die Beigeladene zu 1.) ihre Produkte unmontiert an die
Industrie und nicht an Privatabnehmer liefere, daß sie ihr Rohmaterial von
industriellen Zulieferern erhalte, daß die Auswahl der Materialien und die Erstellung
der Fertigungspläne von den industriellen Zulieferern vorgenommen würden, daß
die Leitung des Betriebes unter keinem Aspekt einen Handwerksmeister erfordere
und der soziologische Hintergrund des Betriebes für die Einordnung als
Industriebetrieb spreche und daß schließlich der Betrieb der Beigeladenen zu 1.)
bereits seit Jahren bei der Beigeladenen zu 2.) registriert sei. Zwar sei der
Firmensitz verlegt worden. An der personellen oder maschinellen Ausstattung des
Betriebs oder an der Produktionsweise habe sich jedoch nichts geändert. Die
Klägerin könne nicht ohne sachlichen Grund von ihrer bei der ersten
Betriebsbesichtigung im Jahre 1970 gefaßten Einschätzung abweichen. Auch bei
der Einzelanfertigung, die 5% des Umsatzes der Beigeladenen zu 1.) ausmache,
stehe der maschinelle Einsatz im Vordergrund. Die Betriebstätigkeit sei deshalb
einheitlich zu betrachten und der Betrieb daher in seiner Gesamtheit als
industrieller Betrieb einzuordnen.
Gegen dieses ihr am 2. Oktober 1985 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 25.
Oktober 1985 Berufung eingelegt, zu deren Begründung sie im wesentlichen
vorträgt:
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei die Unterscheidung
zwischen handwerklicher und industrieller Ausbildung der Arbeitnehmer des
Betriebes hier als Abgrenzungsmerkmal vollkommen untauglich. Die zur
Bedienung manueller Drehbänke erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten
stimmten in Industrie und Handwerk völlig überein. Die Annahme einer
industriellen Fertigung im Betrieb der Beigeladenen zu 1.) könne auch nicht mit
einem relativ großen und modernen Maschinenpark begründet werden. Der
Umstand, daß ein Handwerksbetrieb traditionell von Einzelfertigung und manueller
Arbeitsweise geprägt sei, während in einem Industriebetrieb Serienfertigung
stattfinde, könne jedenfalls als Abgrenzungsmerkmal im Dreherhandwerk nicht
herangezogen werden. Dort gebe es keine Handarbeit. Es müßten zwangsläufig
immer Dreh- oder Fräsmaschinen eingesetzt werden. Darüber hinaus gehöre auch
die Serienfertigung zum überkommenen Berufsbild des Dreherhandwerks. Die
Auslieferung von unmontierten Drehteilen sei im Dreherhandwerk ebenfalls üblich.
Auch sei es völlig unerheblich, ob es sich bei den Auftraggebern um
Industrieunternehmen oder Privatpersonen handele. Entscheidend sei allein, ob
die Produkte in handwerklicher Betriebsweise hergestellt würden. Das von Etzold
übernommene Argument, daß Unternehmen, die im "intraindustriellen
Leistungsverkehr" tätig seien, automatisch der Industrie zuzuordnen seien,
überzeuge nicht. Unrichtig sei auch die Annahme des Verwaltungsgerichts, die
Beigeladene zu 1.) benötige keine meisterlichen Kenntnisse und Fertigkeiten, weil
die Arbeitsplanung und die Arbeitsvorbereitung von den Auftraggebern
vorgegeben würden. Zur Umsetzung der Werkzeichnungen in die Produktion
bedürfe es vielmehr erheblicher Kenntnisse und Fähigkeiten. Ob die Beigeladene
zu 1.) ihr Unternehmen selbst als Handwerksbetrieb ansehe oder nicht, sei ohne
Bedeutung. Aufzeichnungen über die im Jahre 1970 angeblich durchgeführte
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Bedeutung. Aufzeichnungen über die im Jahre 1970 angeblich durchgeführte
Betriebsbesichtigung durch die Handwerkskammer fehlten, so daß bezweifelt
werden müsse, ob die Tätigkeit der Beigeladenen von der Klägerin seinerzeit als
minderhandwerklich eingestuft worden sei. Die Entscheidung des
Verwaltungsgerichts sei auch deshalb fehlerhaft, weil das Gericht es versäumt
habe, sich an Ort und Stelle ein Bild über die Verhältnisse im Unternehmen der
Beigeladenen zu machen.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 22.
August 1985 -- Az.: V/1 E 930/82 -- und Aufhebung des Bescheides des Beklagten
vom 6. November 1981 und des Widerspruchbescheides des Beklagten vom 30.
September 1982 den Beklagten zu verpflichten, die Fortsetzung des Betriebes der
Beigeladenen zu 1.) zu untersagen,
hilfsweise,
unter Abänderung des vorgenannten Urteils und Aufhebung der vorgenannten
Bescheide den Beklagten zu verpflichten, die Klägerin auf Grund ihres Antrags vom
18. Februar 1980 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu
bescheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil und vertritt weiterhin die Auffassung, daß das
Unternehmen der Beigeladenen zu 1.) nicht handwerksmäßig betrieben werde. Die
Betriebsgröße sei für die Abgrenzungsfrage nur von untergeordneter Bedeutung.
Entscheidend sei, ob die Arbeitsleistung überwiegend durch Handarbeit und
Handfertigkeit oder durch den Einsatz von Maschinen erbracht werde. Zwar seien
auch Handwerksbetriebe auf Maschinen und vorgefertigte Materialien angewiesen.
Bei ihnen dürfe der Einsatz von Maschinen und technischen Hilfsmitteln jedoch nur
dazu dienen, die Handarbeit zu erleichtern und zu beschleunigen. Würden
hingegen wesentliche Kenntnisse und Fähigkeiten des betreffenden Handwerks
durch den Einsatz von Maschinen entbehrlich und bleibe kein Raum mehr für das
meisterliche Können, spreche eine erhebliche Vermutung gegen eine
handwerkliche Betriebsform. Das Fertigungsprogramm der Beigeladenen zu 1.)
zeige, daß sich der Betrieb nur auf wenige Produkte und auf bestimmte relativ
einfache Arbeiten spezialisiert habe, für deren einwandfreie und fachgerechte
Erledigung Kenntnisse und Fertigkeiten eines Handwerksmeisters nicht erforderlich
seien. Die Beigeladene zu 1.) sei im intraindustriellen Leistungsverkehr tätig. Sie
habe industrielle Zulieferer und industrielle Abnehmer und führe Arbeitsvorgänge
aus, die von den Industriebetrieben aus betriebswirtschaftlichen oder technischen
Gründen aus ihrem Produktionsprozeß ausgegliedert worden seien. Diese
ausschließlich maschinellen Arbeiten ließen keinen Raum für die Entfaltung
handwerklicher Fähigkeiten.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Der erkennende Senat hat gemäß Beschlüssen vom 21. September 1989 und 20.
Februar 1990 durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens
sowie durch ergänzende Vernehmung des Dipl.-Ing. Dr. D in der mündlichen
Verhandlung am 20. Februar 1990 Beweis darüber erhoben, ob der Betrieb der
Beigeladenen zu 1.) ein "Industriebetrieb" oder ein "Handwerksbetrieb" ist. Wegen
des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Dr.-
Ing. D vom 3. November 1989 (Bl. 138 ff. der Akten) sowie auf die
Verhandlungsniederschrift vom 20. Februar 1990 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Prozeßakten und die einschlägigen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (1
Heft) Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage hinsichtlich des Haupt- und Hilfsantrags zu
Recht als unbegründet abgewiesen.
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Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig. Die nach § 42 Abs.2 VwGO
erforderliche Klagebefugnis ergibt sich für die Klägerin aus der ausdrücklichen
Regelung in § 16 Abs.3 Satz 2 HwO (zum Umfang des Antrags- bzw. Klagerechts
vgl. u.a.: OVG Rheinland-Pfalz, GewArch 1980, 300; GewArch 1983, 194 ff und
GewArch 1983, 346 ff; Pauly, GewArch 1985, 10).
Die Klage ist jedoch insgesamt unbegründet; denn die Ablehnung des Antrags der
Klägerin, der Beigeladenen zu 1.) die Fortsetzung des Betriebes zu untersagen, ist
rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs.4 VwGO).
Nach § 16 Abs.3 Satz 1 HwO kann die zuständige Behörde (in Hessen: Der
zuständige Regierungspräsident; vgl. HessVGH, DVBl. 1972, 834 ff; BVerwG,
GewArch 1981, 166) von Amts wegen oder auf Antrag der Handwerkskammer die
Fortsetzung des Betriebes untersagen, wenn der selbständige Betrieb des
Handwerks als stehendes Gewerbe entgegen den Vorschriften der
Handwerksordnung ausgeübt wird. Der Hauptanwendungsfall dieser Vorschrift ist
der, daß eine Person, die ein stehendes Gewerbe ausübt, nicht in die
Handwerksrolle eingetragen ist, obwohl es sich bei ihrem Betrieb um einen
Handwerksbetrieb handelt (vgl. Siegert/Musielak, Das Recht des Handwerks, 2.
Aufl., Rdnr. 10 zu § 16 HwO). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach-
und Rechtslage ist, da es sich um eine Verpflichtungsklage handelt, der Zeitpunkt
der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat als letzter
Tatsacheninstanz.
Nach nahezu einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum steht die
Entscheidung, ob die Fortsetzung eines Betriebes nach § 16 HwO zu untersagen
ist, im Ermessen der zuständigen Behörde. Dabei wird allerdings davon
auszugehen sein, daß -- bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen -- im
Regelfall das Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auf "Null"
reduziert und eine Betriebsuntersagung die einzig sachgerechte
Ermessensentscheidung sein wird, da die Behörde den Betrieb eines Handwerks
ohne die erforderliche Eintragung in die Handwerksrolle -- jedenfalls bei formeller
und materieller Illegalität -- regelmäßig nicht dulden kann (VGH Baden-
Württemberg, GewArch 1970, 149; OVG Lüneburg, GewArch 1976, 125; OVG
Nordrhein-Westfalen, GewArch 1978, 28; VG Oldenburg, GewArch 1978, 226;
BayVGH, GewArch 1981, 14; OVG Rheinland-Pfalz, GewArch 1982, 302;
Siegert/Musielak, a.a.O., Rdnr. 11 zu § 16 HwO; Pauly, GewArch 1985, 10 ff;
Frotscher, JUS 1983, 524 ff). Soweit der früher für das Gebiet des Handwerksrechts
zuständige 2. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs demgegenüber in
einer Entscheidung vom 15. Oktober 1972 (DVBl. 1972, 834 f) mit näherer
Begründung die Auffassung vertreten hat, obwohl § 16 Abs.3 HwO eine "Kann"-
Bestimmung sei, stehe die Untersagung nicht im Ermessen der zuständigen
Behörde, vermag der nunmehr für das Handwerksrecht zuständige erkennende
Senat dieser Auffassung, die in Rechtsprechung und Schrifttum auf erhebliche
Kritik gestoßen ist, nicht zu folgen. Sie steht zum einen im Widerspruch zum
Wortlaut des Gesetzes, der hinreichend erkennen läßt, daß der Behörde ein
Ermessensspielraum zugestanden werden soll. Zum anderen hat das OVG
Lüneburg (a.a.O.) insoweit zutreffend ausgeführt, eine bindende Verpflichtung der
Behörde, nach § 16 Abs.3 HwO tätig zu werden, könne nur dann in Betracht
gezogen werden, wenn sich Anhaltspunkte dafür finden ließen, daß die
Verwendung des Wortes "kann" auf einem "Redaktionsversehen" des
Gesetzgebers beruhe und Sinn und Zweck des Gesetzes sowie das Gebot der
Rechtsstaatlichkeit vernünftigerweise nach einer entgegenstehenden Auslegung
verlangten. Anhaltspunkte für ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers seien
indes nicht gegeben. Es entspreche dem Sinn und Zweck des Gesetzes und sei
mit dem Rechtsstaatsgebot, insbesondere dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit, vereinbar, der Behörde trotz rechtswidriger Betätigung des
Gewerbetreibenden noch einen Ermessensspielraum zu lassen. Zwar erscheine es
in der Regel sachgerecht, die Fortführung eines rechtswidrig eröffneten
Handwerksbetriebes zu untersagen. Es könnten jedoch besondere Umstände
vorliegen, die es gerechtfertigt erscheinen lassen könnten, die Untersagung zu
unterlassen oder zurückzustellen. Solche Umstände könnten etwa darin gesehen
werden, daß der Betroffene zwar die Voraussetzungen für die Eintragung in die
Handwerksrolle erfülle, die Eintragung aus anderen, insbesondere von dem
Betroffenen nicht zu vertretenden Umständen unterblieben sei, oder daß der
Betroffene zwar die materiellen Voraussetzungen nicht erfülle, mit ihrer Erfüllung
aber in nächster Zeit gerechnet werden könne. Auch die Tatsache, daß der
Gewerbetreibende vor wesentlichen Schäden und Verlusten dadurch bewahrt
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Gewerbetreibende vor wesentlichen Schäden und Verlusten dadurch bewahrt
werden könne, daß ihm Gelegenheit gegeben werde, die mit der Betriebsaufgabe
notwendigen Geschäfte zunächst abzuwickeln, könne Anlaß sein, von einer
sofortigen Untersagung Abstand zu nehmen. Eine Anwendung dieser Grundsätze
gefährde das Handwerk weder in seinem Bestand noch in seiner Ordnung. Das
Interesse der Handwerkskammer sei hinreichend dadurch gewahrt, daß sie auf
gerichtlichem Wege eine Klärung der Frage herbeiführen könne, ob die Ablehnung
auf sachgerechten Erwägungen beruhe oder nicht. Es komme hinzu, daß durch die
Einführung des § 16 Abs.3 HwO in der heute geltenden Fassung die bis dahin
geltende Rechtslage der Handwerksbetriebe nicht geändert, sondern klargestellt
werden sollte, daß die Fortführung von Handwerksbetrieben in gleicher Weise wie
die von anderen Gewerbebetrieben untersagt werden könne. § 16 Abs.3 Satz 1
HwO räume somit der Behörde den gleichen Ermessensspielraum ein wie § 15
Abs.2 GewO. Diese Ausführungen hält der erkennende Senat für zutreffend und
überzeugend. Ihnen ist zuzustimmen (so auch ausdrücklich OVG Nordrhein-
Westfalen, GewArch 1978, 28 ff).
Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die Ablehnung der beantragten
Betriebsuntersagung durch den Beklagten nicht schon deswegen fehlerhaft, weil
dieser nicht vor seiner Entscheidung zur Beantwortung der Frage, ob es sich bei
dem Gewerbebetrieb der Beigeladenen zu 1.) um einen Handwerksbetrieb im
Sinne der Handwerksordnung handelt, einen Sachverständigen zur Ermittlung und
Beurteilung des konkreten Sachverhalts herangezogen hat. Gemäß § 26 Abs.1
HessVwVfG steht es im pflichtgemäßen Ermessen des zuständigen
Regierungspräsidenten, welcher Beweismittel er sich im Rahmen eines Verfahrens
nach § 16 Abs.3 HwO bedient. Ermessensfehler sind insoweit nicht ersichtlich, wie
das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat. Der Regierungspräsident durfte
sich zur Tatsachenermittlung mit der Einnahme eines Augenscheins (§ 26 Abs.1
Nr.4 HessVwVfG) begnügen; denn die Behörde ist grundsätzlich an die
Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden (vgl. Hill, NVwZ 1985, 452 f). Der
Beklagte hat ermessensfehlerfrei von der Beauftragung eines Sachverständigen
abgesehen, da davon auszugehen ist, daß die Angehörigen der entsprechenden
Abteilung des Regierungspräsidenten über die nötige Sachkunde für die
Beurteilung der Frage, ob eine handwerksmäßige Betriebsform bei einem
Gewerbebetrieb vorliegt oder nicht, verfügen. Eine Reduzierung des
Auswahlermessens hinsichtlich der Beweismittel im Rahmen des
Untersagungsverfahrens nach § 16 Abs.3 Satz 1 HwO kann entgegen der Ansicht
der Klägerin auch nicht mit den Erwägungen in dem Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 13. November 1980 (GewArch 1981, 166 ff)
begründet werden, wonach bei Erteilung einer Ausnahmebewilligung nach § 8
Abs.1 HwO der Regierungspräsident grundsätzlich nicht zu prüfen hat, ob der
Bewerber mit seinem Betrieb in die Handwerksrolle eingetragen werden kann, weil
die Beantwortung dieser primären Frage allein der Handwerkskammer obliege. Aus
dieser Rechtsprechung kann nicht hergeleitet werden, daß der
Regierungspräsident im Rahmen eines Untersagungsverfahrens nach § 16 Abs.3
HwO von der Auffassung der Handwerkskammer, es liege ein
eintragungspflichtiger Handwerksbetrieb vor, nur nach Einholung eines
Sachverständigengutachtens abweichen dürfe. Denn von einer primären
Zuständigkeit der Handwerkskammer und einer lediglich sekundären
Zuständigkeit des Regierungspräsidenten im Rahmen des Verfahrens nach § 16
Abs.3 HwO kann nicht ausgegangen werden. Die Frage, ob ein
eintragungspflichtiger Handwerksbetrieb vorliegt, fällt sowohl in den
Prüfungsbereich der Handwerkskammer als auch in den Prüfungsbereich des
Regierungspräsidenten. Dementsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht in
seinem Urteil vom 13. November 1980 (a.a.O.) ausdrücklich betont, daß der
Regierungspräsident "im Rahmen seiner Befugnis nach § 16 Abs.3 HwO, die
Fortsetzung eines nicht eingetragenen Handwerksbetriebs zu untersagen,
berechtigt und verpflichtet" sei, "sich in eigener Verantwortung eine abschließende
Meinung darüber zu bilden, ob der Betriebsinhaber der Eintragungspflicht
unterliegt" oder nicht. Entsprechend seiner umfassenden Prüfungsbefugnis im
Rahmen des § 16 Abs.3 HwO hat der Regierungspräsident deshalb auch einen
normalen, lediglich den herkömmlichen Grenzen (§ 40 HessVwVfG) unterliegenden
Ermessensspielraum hinsichtlich der Auswahl seiner Beweismittel. Das
Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, daß der Rechtsauffassung
der Handwerkskammer, es handele sich um einen eintragungspflichtigen
Handwerksbetrieb, im Rahmen des § 16 HwO nicht die Bedeutung eines
unparteiischen, alle Interessen gleichermaßen einbeziehenden
Sachverständigengutachtens und schon gar nicht die Verbindlichkeit bzw. Wirkung
eines Schiedsgutachtens zukommen kann. Ebensowenig ist die Auffassung der
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eines Schiedsgutachtens zukommen kann. Ebensowenig ist die Auffassung der
Industrie- und Handelskammer für den Regierungspräsidenten in diesem Bereich
präjudizierend oder gar bindend. Daß die Frage der Gewerbeuntersagung nach §
16 Abs.3 HwO und die Prüfung ihrer Voraussetzungen in die alleinige
Entscheidungszuständigkeit einer staatlichen Behörde fallen und dem
Regierungspräsidenten in diesem Rahmen eine umfassende Prüfungsbefugnis
eingeräumt ist, erscheint im übrigen als sinnvoll und entspricht den Grundsätzen
der Rechtsstaatlichkeit. Der Gesetzgeber selbst hat, indem er der
Handwerkskammer in § 16 Abs.3 HwO ein Klagerecht eingeräumt hat, zum
Ausdruck gebracht, daß er eine Bindung des Regierungspräsidenten an die
Auffassung der Handwerkskammer in diesem Bereich gerade nicht vornehmen,
sondern der Handwerkskammer lediglich eine gerichtliche Kontrollmöglichkeit der
eigenständigen Entscheidung des Regierungspräsidenten eröffnen wollte (vgl. auch
Pauly, a.a.O.).
Geht man unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen und in
Übereinstimmung mit der zuvor zitierten Rechtsprechung davon aus, daß im
Regelfall entsprechend dem Zweck der Ermächtigung das Ermessen der nach § 16
Abs.3 HwO zuständigen Behörde auf "Null" reduziert ist und eine
Betriebsuntersagung die einzig sachgerechte Ermessensentscheidung sein wird,
wenn der Inhaber des Betriebs der Beigeladenen zu 1.) in der Handwerksrolle
eingetragen sein muß, so hängt die Entscheidung im vorliegenden Fall maßgeblich
davon ab, ob der Betrieb der Beigeladenen zu 1.) die gesetzlichen
Voraussetzungen eines Handwerksbetriebes nach § 1 Abs.2 HwO erfüllt. Letzteres
ist jedoch nach der Überzeugung des erkennenden Senats zu verneinen.
Ein Gewerbebetrieb ist gemäß § 1 Abs.2 HwO dann ein Handwerksbetrieb, wenn er
handwerksmäßig betrieben wird und vollständig oder in wesentlichen Tätigkeiten
ein Gewerbe umfaßt, das in der Anlage A zur Handwerksordnung aufgeführt ist.
Daß die gewerbliche Betätigung der Beigeladenen zu 1.) wesentliche Tätigkeiten
des Dreherhandwerks umfaßt, wie sie sich aus der "Verordnung über das
Berufsbild und über die Prüfungsanforderungen im praktischen Teil und im
fachtheoretischen Teil der Meisterprüfung für das Dreherhandwerk" vom 9. Juni
1975 (BGBl. I, S. 1329) ergeben, unterliegt für den erkennenden Senat keinem
Zweifel. Nach § 1 Abs.1 dieser Verordnung ist dem Dreherhandwerk folgende
Tätigkeit zuzurechnen: Herstellung von Teil- und Fertigerzeugnissen für Anlagen,
Maschinen, Armaturen und Werkzeuge durch spanende Be- und Verarbeitung. In
der Rechtsprechung ist anerkannt, daß die veröffentlichten
Ausbildungsberufsbilder sowie die fachlichen Ausbildungs- und
Prüfungsvorschriften für die Frage der fachlichen Zugehörigkeit einer Tätigkeit zu
einem handwerksfähigen, d.h. in der Anlage A zur Handwerksordnung -- der
sogenannten Positivliste -- aufgeführten Gewerbe mitherangezogen werden
können, da sie erläuternde Einzelheiten über das Arbeitsgebiet und die zu dessen
Bewältigung benötigten fachlichen Fertigkeiten und Kenntnisse enthalten
(BVerwGE 25, 66, 67; BVerwG, GewArch 1979, 377 f). Damit kann an dieser Stelle
ausgeschlossen werden, daß die Beigeladene zu 1.) ein sogenanntes
Minderhandwerk betreibt, was zwischen den Beteiligten im übrigen auch nicht
streitig ist. Von maßgeblicher Bedeutung ist deshalb im vorliegenden Fall nur, ob
die Beigeladene zu 1.) ihr Gewerbe handwerksmäßig und nicht industriell betreibt.
Da eine Legaldefinition des Begriffs "handwerksmäßig betrieben" in § 1 HwO fehlt,
muß die Auslegung des Begriffs bzw. die Einordnung des jeweiligen Betriebs unter
diesen Begriff unter Berücksichtigung der in der Rechtsprechung und Literatur
hierzu entwickelten Abgrenzungskriterien erfolgen. Die recht umfangreiche
Rechtsprechung zu dieser Frage vermittelt in bezug auf die Kriterien jedoch kein
einheitliches Bild, insbesondere ist die Geeignetheit vieler herangezogener
Einzelkriterien umstritten, desgleichen ihre Gewichtung im Einzelfall.
Anerkannt ist in der Rechtsprechung, daß das Handwerk sich den jeweiligen
technischen und wirtschaftlichen Entwicklungen anpassen muß, um seine
Leistungsfähigkeit zu erhalten. Diese Entwicklungen können dem Handwerk
einerseits neue Arbeitsbereiche oder neuartige handwerkliche
Fertigungsmöglichkeiten eröffnen, andererseits zum Fortfall gewisser Tätigkeiten
oder zur Entwicklung von industriellen Fertigungsmethoden zwingen.
Dementsprechend ändern sich auch Bedeutung und Gewicht derjenigen
Merkmale, die zur Unterscheidung zwischen Handwerk und Industriebetrieb
herangezogen werden können. Dieser (vom Bundesverwaltungsgericht
anerkannte) sogenannte "dynamische Handwerksbegriff" verhindert es allerdings
andererseits, anhand bestimmter Kriterien einen allgemein gültigen
Bewertungsmaßstab zur Abgrenzung des Handwerks zu schaffen; denn eine
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Bewertungsmaßstab zur Abgrenzung des Handwerks zu schaffen; denn eine
solche Festlegung aufgrund eines, zu einem bestimmten Zeitpunkt fixierten
Entwicklungsstandes würde die dynamische Weiterentwicklung des Handwerks
behindern. Die Abgrenzung von Handwerk und Industrie kann deshalb nach
allgemeiner Auffassung nur für jeden Einzelfall gesondert vorgenommen werden,
wobei die spezifischen Besonderheiten des in Betracht kommenden Gewerbes und
die Struktur jedes Betriebes einzeln beurteilt werden müssen und letztlich die
Gesamtstruktur des Betriebes die Zuordnung maßgeblich bestimmt. Andererseits
hat das Bundesverwaltungsgericht einer expansiven Auslegung des dynamischen
Handwerksbegriffs gewisse Schranken gesetzt und beispielsweise in seinem Urteil
vom 16. September 1966 (BVerwGE 25, 66 ff.) hervorgehoben, daß die
Rechtsgrundlagen für die Auslegung des Begriffs "handwerksmäßig betrieben"
unter Beachtung des Art.12 Abs.1 GG und des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts in seinem
Handwerksbeschluß vom 17. Juli 1961 entsprechen müssen. Danach sind die
berufsrechtlichen Einschränkungen der Handwerksordnung nur gerechtfertigt, weil
sie der Erhaltung des Leistungsstandes und der Leistungsfähigkeit des Handwerks
sowie der Sicherung der Nachwuchsausbildung für die gesamte gewerbliche
Wirtschaft dienen. Diese Gemeinschaftsgüter müssen nach Auffassung des
Bundesverwaltungsgerichts der Maßstab für die Handwerksmäßigkeit einer
Tätigkeit sein. Handwerksmäßig betrieben wird danach ein Gewerbe, wenn die
Tätigkeiten einen solchen Schwierigkeitsgrad besitzen, daß dafür eine lange
handwerkliche Ausbildung mit eingehender Erfahrungssammlung und einem
abschließenden Befähigungsnachweis erforderlich ist. Diese persönliche,
handwerklich-fachliche Qualifikation ermöglicht es dem Betriebsinhaber,
entscheidenden Einfluß auf den Wert der handwerklichen Leistung in seinem
Betrieb zu nehmen und bietet die Gewähr dafür, daß die Leistungsfähigkeit des
Handwerks gesichert wird. Sie ist deshalb typisches Strukturmerkmal eines
Handwerksbetriebes und für die Abgrenzung zwischen Industrie und Handwerk ein
sehr gewichtiges, aber nicht alleiniges Kriterium. Wesentlich bleibt insbesondere,
ob nach dem wirtschaftlichen Gesamtbild des Betriebes die handwerksmäßige
oder die industrielle Betriebsweise überwiegt (vgl. zu der Abgrenzungsproblematik
insbesondere: BVerwGE 58, 217 ff = GewArch 1979, 377 ff; VGH Baden-
Württemberg, GewArch 1985, 338 f; OVG Rheinland-Pfalz, GewArch 1989, 271 und
GewArch 1981, 224 ff.; Bay ObLG, DÖV 1990, 77 f., Schwarz, GewArch 1988, 1 ff).
Wie das Bundesverwaltungsgericht in der vorgenannten Entscheidung ausgeführt
hat, läßt sich die Frage, ob ein Gewerbebetrieb zum Bereich des Handwerks oder
der Industrie zu rechnen ist, unabhängig von den Vorstellungen des
Betriebsinhabers nur unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweils in
Betracht kommenden Gewerbezweiges beantworten und mit annähernder
Sicherheit nur für den Einzelbetrieb anhand seiner Gesamtstruktur beurteilen.
Nach herkömmlicher Auffassung unterscheidet sich der Industriebetrieb vom
Handwerksbetrieb durch die stärkere Arbeitsteilung zwischen der leitenden
Tätigkeit des Unternehmers und der technischen Tätigkeit des Gehilfen, durch die
umfangreichere Verwendung von technischen Hilfsmitteln und durch den
verhältnismäßig stärkeren Kapitaleinsatz, wobei indessen zu beachten ist, daß das
Ausmaß der Arbeitsteilung angesichts der auch im Handwerk fortschreitenden
Rationalisierung nicht nur in Industriebetrieben zunimmt und daß die Mitarbeit des
Betriebsinhabers von dessen persönlichem Entschluß abhängt und infolgedessen
nur ein unsicheres Kriterium für die Abgrenzung zum Industriebetrieb sein kann.
Wenn mehrere herkömmliche Abgrenzungskriterien zusammentreffen, kann
gleichwohl ein Schluß in bestimmter Richtung naheliegen. Für die Annahme
industrieller Betriebsweise spricht es, wenn die Verwendung von Maschinen für die
Entfaltung der Handfertigkeit keinen Raum mehr läßt, für einen handwerksmäßigen
Betrieb hingegen, wenn der Handwerker sich ihrer nur zur Erleichterung seiner
Tätigkeit und zur Unterstützung seiner Handfertigkeit bedient. Auch die
Betriebsgröße sowie die Frage, ob eine Massenanfertigung stattfindet, sind nach
dieser Rechtsprechung für die Entscheidung von Bedeutung.
Unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen ist der erkennende Senat
zu der Auffassung gelangt, daß der Betrieb der Beigeladenen zu 1.) aufgrund
seiner Gesamtstruktur jedenfalls derzeit nicht mehr dem Handwerksbereich
zugerechnet werden kann, sondern dem Industriebereich zugerechnet werden
muß. Da es für die Beurteilung der Rechtslage -- wie bereits ausgeführt -- lediglich
auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat
ankommt, kann dahinstehen, ob diese Einschätzung auch schon zu einem
früheren Zeitpunkt -- etwa bei Erlaß der angegriffenen Bescheide oder bei Ergehen
des erstinstanzlichen Urteils -- gerechtfertigt war oder nicht.
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Der Senat teilt nicht die in dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Dr.
D vom 3. November 1989 vertretene und bei seiner ergänzenden Vernehmung in
der mündlichen Verhandlung vor dem Senat aufrechterhaltene Auffassung, es
handele sich bei dem Betrieb der Beigeladenen zu 1.) "eher um einen
Handwerksbetrieb und nicht um einen Industriebetrieb". Die schriftlichen und
mündlichen Ausführungen des Sachverständigen haben den Senat nicht von der
Richtigkeit seiner Annahme überzeugen können. Sein schriftliches Gutachten war
letztlich für die Entscheidungsfindung des Senats schon deswegen nicht
verwertbar, weil der Sachverständige Dr. D vor Erstellung seines Gutachtens weder
eine Betriebsbesichtigung vorgenommen hat noch von der aktuellen
Betriebsstruktur des Unternehmens der Beigeladenen zu 1.) ausgegangen ist, auf
die es -- wie oben ausgeführt -- entscheidend ankommt. Der Sachverständige hat
vielmehr seinen Ausführungen in dem schriftlichen Gutachten, die im Zeitpunkt
der erstinstanzlichen Entscheidung maßgeblichen tatsächlichen
Betriebsstrukturmerkmale (Fertigungsprogramm, Personalbestand,
Maschinenausstattung, Umsatz und dergleichen) zugrunde gelegt, obwohl diese --
wie sich insbesondere bei der Betriebsbesichtigung am 9. Februar 1990 und in der
mündlichen Verhandlung am 20. Februar 1990 herausgestellt hat -- sich
zwischenzeitlich erheblich verändert haben. Der Sachverständige hat darüber
hinaus in seinem schriftlichen Gutachten für die Ermittlung der Gesamtstruktur
überhaupt nur drei Kriterien (technische Ausstattung, Mitarbeiterqualifikation und
Arbeitsteilung) als Abgrenzungsmerkmale herangezogen und davon letztlich nur
ein einziges Kriterium, nämlich das der Arbeitsteilung, für relevant gehalten und ist
mit der Begründung, dieses Kriterium der Arbeitsteilung spreche "eher" gegen das
Vorliegen eines Industriebetriebes zu dem Ergebnis gelangt, es handele sich bei
dem Betrieb der Beigeladenen zu 1.) "eher" um einen Handwerksbetrieb als um
einen Industriebetrieb. Eine derartige Verkürzung der nach der o.g.
Rechtsprechung für die Abgrenzungsfrage maßgeblichen Betrachtungsweise auf
ein einziges Kriterium hält der erkennende Senat weder für sachgerecht noch für
überzeugend. Auch die ergänzenden Ausführungen des Sachverständigen bei
seiner Vernehmung vor dem erkennenden Senat unter Berücksichtigung des
Ergebnisses der Betriebsbesichtigung vom 9. Februar 1990, vermochten den
Senat nicht von der Richtigkeit seiner in der mündlichen Verhandlung
aufrechterhaltenen Annahme zu überzeugen, der Betrieb der Beigeladenen zu 1.)
sei nicht der Industrie, sondern "eher" dem Handwerk zuzuordnen. Eine
hinreichend differenzierte, nachvollziehbare und überzeugende Begründung für
seine Annahme hat der Sachverständige bei seiner Vernehmung am 20. Februar
1990 nämlich nicht zu geben vermocht, zumal selbst nach der Einschätzung der
Klägerin der Gesichtspunkt der Arbeitsteilung für eine industrielle Betriebsweise
spricht.
Der erkennende Senat ist vielmehr unter Berücksichtigung der in der
Rechtsprechung und Literatur zu der Abgrenzungsfrage entwickelten Kriterien --
anders als der Sachverständige Dr. D -- zu der Auffassung gelangt, daß das
Unternehmen der Beigeladenen zu 1.) derzeit nicht handwerksmäßig, sondern
industriemäßig betrieben wird und daher eine Eintragung in die Handwerksrolle
nicht erforderlich ist. Für diese Einschätzung sind folgende Erwägungen
maßgeblich: Für eine industriemäßige Betriebsform (Kleinindustrie) sprechen hier
zunächst die Maschinenausstattung des Unternehmens der Beigeladenen zu 1.)
und der konkrete Einsatz dieser Maschinen. Wie nach dem Ergebnis der
Betriebsbesichtigung vom 9. Februar 1990 und den Ausführungen der
Verfahrensbeteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht
zweifelhaft ist, verfügt die Beigeladene zu 1.) keineswegs über einen veralteten
Maschinenpark, sondern über eine moderne, technologisch auf neuestem Stand
befindliche Maschinenausstattung (u.a. mehrere CNC-gesteuerte Maschinen), die
mit hohem Kapitaleinsatz beschafft worden ist, von ihrer Technik her auf eine
hohen Ansprüchen genügende Massenfertigung ausgelegt ist und auch in dem
Betrieb ausschließlich für diese Zwecke eingesetzt wird. Nach dem Ergebnis der
gemeinsamen Betriebsbesichtigung vom 9. Februar 1990 sieht das aktuelle
Fertigungsprogramm des Betriebes der Beigeladenen zu 1.) lediglich die
Herstellung von Dreh- und Frästeilen für die Drahtindustrie in Serien von 100 bis
300 Stück vor. Die kleinste Serie beläuft sich nach Angaben des Ehemannes der
Klägerin in der mündlichen Verhandlung auf 30 bis 50 Stück. Eine Einzelfertigung
findet im Betrieb der Beigeladenen zu 1.) derzeit nicht mehr statt. Dieser Umstand
spricht ebenso für eine industrielle Betriebsform wie die Tatsache, daß die
Materialauswahl, die Materialgestellung sowie sämtliche arbeitstechnischen
Vorgaben von den auftraggebenden Firmen erfolgen, die auch die Endkontrolle der
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Vorgaben von den auftraggebenden Firmen erfolgen, die auch die Endkontrolle der
im Unternehmen der Beigeladenen zu 1.) gefertigten Produkte durchführen. Ein
Zusammenbau der gefertigten Teile findet in dem Betrieb der Beigeladenen zu 1.)
ebenfalls nicht statt. Angesichts dieser tatsächlichen Gegebenheiten ist davon
auszugehen, daß in dem Betrieb der Beigeladenen zu 1.) viele der für das
Dreherhandwerk typischen Fertigkeiten und Kenntnisse nicht benötigt werden. Von
den in § 1 Abs.2 der Verordnung über das Berufsbild und die
Prüfungsanforderungen im praktischen Teil und im fachtheoretischen Teil der
Meisterprüfung für das Dreherhandwerk vom 9. Juni 1975 (a.a.O.) in 18 Punkten
aufgeführten Kenntnissen und Fertigkeiten werden nach Auffassung des
erkennenden Senats im Betrieb der Beigeladenen zu 1.) im wesentlichen nur vier
benötigt bzw. eingesetzt, und zwar Kenntnisse der Steuerung von spanenden
Werkzeugmaschinen (Ziff.3), Kenntnisse der Funktionsweise von spanenden
Werkzeugmaschinen, insbesondere von Dreh- und Fräsmaschinen (Ziff.5),
Kenntnisse der einschlägigen Vorschriften der Unfallverhütung, des
Arbeitsschutzes und der Arbeitssicherheit (Ziff.12) sowie spanendes Be- und
Verarbeiten von Stählen, Gußeisen, Nichteisenmetallen und Kunststoffen (Ziff.15),
während die unter den übrigen 14 Nummern des § 1 Abs.2 der genannten
Verordnung aufgeführten Kenntnisse und Fertigkeiten im Betrieb der Beigeladenen
zu 1.) offensichtlich weder zum Einsatz kommen noch benötigt werden.
Anders als der Sachverständige Dr. D ist der erkennende Senat der Auffassung,
daß dieser Umstand durchaus maßgeblich für eine industriemäßige Arbeitsweise
des Unternehmens der Beigeladenen zu 1.) spricht. Entscheidend ist jedoch, daß
es nach der Gesamtstruktur des Unternehmens der Beigeladenen zu 1.) der
meisterlichen Beherrschung des Dreherhandwerks durch den Betriebsinhaber
nicht bedarf, um ein sachgerechtes Arbeitsergebnis zu gewährleisten, da
sämtliche Vorgaben einschließlich der Materialauswahl und der Endkontrolle durch
die auftraggebenden Firmen wahrgenommen werden und dem
Verantwortungsbereich der Beigeladenen zu 1.) mithin entzogen sind. Die Aufgabe
der Beigeladenen zu 1.) bzw. der in ihrem Betrieb tätigen Personen besteht im
wesentlichen darin, anhand der vorgegebenen Zeichnungen und Maßangaben die
(teilweise CNC-gesteuerten) Maschinen einzustellen, die Werkstücke einzuspannen
und nach Abschluß des Dreh- oder Fräsvorgangs der Maschine wieder zu
entnehmen und an den Auftraggeber weiterzuleiten. Wie sehr sich diese Tätigkeit
vom Anforderungsprofil her etwa von der Tätigkeit eines Zahntechnikermeisters
unterscheidet, der von der Materialauswahl bis zur Endkontrolle für den von ihm
gefertigten Zahnersatz verantwortlich ist, ist offenkundig und bedarf keiner
näheren Darlegung. Gegen eine handwerksmäßige Betriebsform spricht hier -- wie
der Beauftragte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden
Senat selbst eingeräumt hat -- im übrigen die im Unternehmen der Beigeladenen
zu 1.) praktizierte Arbeitsteilung, die dadurch gekennzeichnet ist, daß jeder
Mitarbeiter regelmäßig nur an einer ganz bestimmten Maschine tätig ist. Ob die
einzelnen Mitarbeiter auch andere Maschinen bedienen könnten, ist für die Frage
der Zuordnung zur handwerklichen oder industriellen Betriebsform ohne
Bedeutung. Für eine industrielle Betriebsform spricht schließlich nach Auffassung
des Senats die Umsatzentwicklung bei der Beigeladenen zu 1.). Während der
Jahresumsatz 1978/1979 etwa 180.000,-- bis 240.000,--DM unter Berücksichtigung
der damals im Betrieb noch stattfindenden Einzelanfertigung von
Konstruktionsteilen für den Maschinenbau betrug, erzielte das Unternehmen der
Beigeladenen zu 1.) im Jahre 1988 einen Umsatz von 643.000,-- DM. Die
Umsatzerwartung für 1989 lag bei 800.000,-- DM und liegt für das Jahr 1990 bei
1,5 Millionen DM. Diese Umsatzentwicklung in der letzten Zeit bzw. das 1990
angestrebte Umsatzvolumen bestätigt, daß sich die Gesamtstruktur des Betriebes
der Beigeladenen zu 1.) zumindest im Laufe der letzten Jahre zu einer
industriemäßigen Betätigungsform hin entwickelt hat. Ein diesem Umsatzvolumen
entsprechendes Arbeitsergebnis läßt sich nach Auffassung des Senats jedenfalls in
einem Betrieb mit lediglich acht Arbeitnehmern nur durch die mit hohem
Kapitaleinsatz erfolgte Beschaffung und den Einsatz hochtechnisierter
Werkzeugmaschinen erreichen, die für die Massenfertigung bestimmt und darauf
ausgelegt sind und die sich -- angesichts des erheblichen Investitionsvolumens --
offenkundig auch nur bei solchem Einsatz wirtschaftlich rentieren. Es ist ferner
davon auszugehen, daß jedenfalls im gegenwärtigen Zeitpunkt der Einsatz von
Maschinen mit moderner Technologie, das derzeitige Fertigungsprogramm und die
übrigen genannten Umstände die Annahme rechtfertigen, daß die einwandfreie
Ausführung der Arbeitsvorgänge keine handwerksgerechte Befähigung
voraussetzen. In dem Betrieb der Beigeladenen zu 1.) dienen die inzwischen
eingesetzten modernen Dreh- und Fräsmaschinen nicht dazu, handwerkliche
Fertigkeiten zu unterstützen oder Präzisionsarbeit überhaupt erst zu ermöglichen.
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Fertigkeiten zu unterstützen oder Präzisionsarbeit überhaupt erst zu ermöglichen.
Sie machen vielmehr nach Auffassung des erkennenden Senats meisterliche
handwerkliche Fertigkeiten entbehrlich, ohne daß die Qualität des
Arbeitsergebnisses dadurch beeinträchtigt wird. Elemente handwerklicher
Arbeitsweise mögen zwar im Betrieb der Beigeladenen zu 1.) noch vorhanden sein.
Prägende Wirkung entfalten sie jedoch nicht, weil letztlich der rationelle
Maschineneinsatz den Betriebsablauf und das Arbeitsergebnis maßgeblich und
nachhaltig bestimmt. Weist aber ein einheitlicher Betrieb in einzelnen
Arbeitsbereichen handwerksmäßige Züge auf, sind diese jedoch im Verhältnis zu
der sonstigen, nicht handwerksmäßigen, industriellen Betriebsweise deutlich
untergeordnet, so ist der Betrieb insgesamt regelmäßig nicht handwerksmäßig
geprägt (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 11. April 1989, GewArch 1989, 271 f).
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß es sich bei dem Betrieb der
Beigeladenen zu 1.) um ein industrietypisch arbeitendes Zuliefererunternehmen
handelt, das in den intraindustriellen Leistungsverkehr eingeschaltet ist, also
Arbeitsgänge ausführt, die Industriebetriebe aus betriebswirtschaftlichen oder
technischen Gründen aus ihrem Produktionsprozeß ausgliedern (vgl. dazu im
einzelnen Etzold, GewArch 1983, 181 ff und GewArch 1985, 133).
Nach alledem kommt die von der Klägerin angestrebte Betriebsuntersagung nach
§ 16 Abs.3 HwO schon deshalb nicht in Betracht, weil das Unternehmen der
Beigeladenen zu 1.) nicht im Sinne von § 1 Abs.2 HwO "handwerksmäßig
betrieben" wird, es mithin bereits an den tatbestandlichen Voraussetzungen für
eine Gewerbeuntersagung nach § 16 Abs.3 HwO fehlt.
Die vorstehend näher begründete Zuordnung der Betriebsform der Beigeladenen
zu 1.) weicht zwar von der Wertung ab, die der Sachverständige Dr. D
vorgenommen hat. Dieser Umstand hinderte jedoch den Senat weder an einer
Entscheidung zum jetzigen Zeitpunkt, noch machte sie die Einholung eines
weiteren Sachverständigengutachtens erforderlich. Denn die Entscheidung des
Senats beruht auf der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs
"handwerksmäßig betrieben" in § 1 Abs.2 HwO und der vom Senat
vorgenommenen Subsumtion unter diesen Begriff. Einen Rechtsbegriff auszulegen
und eine Subsumtion unter diesen Begriff vorzunehmen, fällt jedoch nicht in die
Kompetenz eines Sachverständigen, sondern ausschließlich in die Kompetenz des
dafür zuständigen Gerichts (BVerwG, Beschluß vom 24. Januar 1990 -- BVerwG 7 B
14.90 --).
Die Berufung der Klägerin ist nach alledem zurückzuweisen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.