Urteil des HessVGH vom 22.01.1998

VGH Kassel: aufschiebende wirkung, erneuerung, zahl, aufwand, abrechnung, vollziehung, ausdehnung, beitragssatz, bad, beitragsbemessung

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
5. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 TG 370/96
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 11 KAG HE
(Kommunalabgaben: Teilerneuerung bei
leitungsgebundenen Einrichtungen - Differenzierung
zwischen Altanschlußnehmern und Neuanschlüssen)
Gründe
Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Verwaltungsgericht dem Antrag der
Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die
Heranziehung zu Vorausleistungen auf künftige Abwasserbeiträge für ihre
Grundstücke in der Gemarkung anzuordnen, nur insoweit entsprochen, als sich der
Widerspruch gegen die Heranziehung für das 107 qm große Flurstück richtet; den
Aussetzungsantrag im übrigen hat das Verwaltungsgericht abgelehnt. Daraufhin
haben, bezogen auf den ihnen jeweils ungünstigen Teil der Entscheidung, die
Antragstellerin Beschwerde und die Antragsgegnerin Anschlußbeschwerde
eingelegt. Beide Rechtsmittel sind zulässig, können aber in der Sache keinen
Erfolg haben.
An der Rechtmäßigkeit der Heranziehung der Antragstellerin zu Vorausleistungen
für die Flurstücke die beide an die mit einer betriebsfertigen
Abwassersammelleitung ausgestattete Wegeparzelle angrenzen und damit
leitungsmäßig erschlossen sind, bestehen auch nach Auffassung des Senats keine
ernstlichen Zweifel, die es nach der im gerichtlichen Aussetzungsverfahren
entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO
rechtfertigen könnten, die sofortige Vollziehung der ergangenen
Vorausleistungsbescheide auszusetzen. Die Rechtsgrundlage für diese
Heranziehung ergibt sich aus § 11 KAG in Verbindung mit der Abwasserbeitrags-
und -gebührensatzung (AbwBGS) der Antragsgegnerin vom 21. Dezember 1981 in
der Fassung der IX. Nachtragssatzung vom 7. November 1994. Die gegen das
formell ordnungsmäßige Zustandekommen des Satzungsrechts erhobenen
Einwände der Antragstellerin sind aus den vom Verwaltungsgericht genannten
Gründen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird,
unberechtigt. Zu den Bedenken der Antragstellerin gegen die Gültigkeit des
modifizierten Grundflächenmaßstabes und der Beitragssatzregelung im
Satzungsrecht der Antragsgegnerin ist in Ergänzung der Ausführungen des
Verwaltungsgerichts folgendes zu sagen:
Der modifizierte Grundflächenmaßstab kann nach der Rechtsprechung des Senats
insbesondere in dörflichen oder kleinstädtischen Gemeinden mit geringen
Unterschieden im baulichen Nutzungsmaß einen geeigneten
Wahrscheinlichkeitsmaßstab zur Erfassung der von einer
Entwässerungseinrichtung vermittelten Vorteile darstellen (vgl. Beschluß vom
31.08.1984 - 5 TH 650/84 - HSGZ 1984, 416 = GemHH 1986, 42, sowie
präzisierend: Beschluß vom 13.06.1995 - 5 TH 1506/92 - HSGZ 1995, 408 =
GemHH 1996, 107). Gering sind die Unterschiede dann nicht mehr, wenn in einer
nach dem Grundsatz der Typengerechtigkeit nicht mehr vernachlässigbaren Zahl
von Fällen Grundstücke doppelt so stark bebaut werden dürfen wie andere
(Beschluß vom 31.08.1984, a.a.O.). Zu beachten ist dabei, daß Unterschiede in
der vertikalen Ausdehnung der Bebauung beim modifizierten
Grundflächenmaßstab in der Weise Berücksichtigung finden, daß ab einer
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Grundflächenmaßstab in der Weise Berücksichtigung finden, daß ab einer
bestimmten Vollgeschoßzahl - üblicherweise ab dem 3. Vollgeschoß, wie es auch
die Abwasserbeitrags- und -gebührensatzung der Antragsgegnerin vorsieht - der
Vollgeschoßzuschlag eingreift. Das Problem der Vorteilsgerechtigkeit der
Beitragsbemessung stellt sich damit vornehmlich im Bereich der Bebauung
unterhalb der den Vollgeschoßzuschlag auslösenden Geschoßzahl (vgl.
Senatsurteil vom 05.12.1996 - 5 UE 3363/94 - HSGZ 1997, 404, und vom
03.04.1997 - 5 UE 2446/93 - HSGZ 1997, 403). Bei Anlegung dieser Kriterien
begegnet die Verwendung des modifizierten Grundflächenmaßstabs im
Satzungsrecht der Antragsgegnerin keinen durchgreifenden Bedenken. Soweit es
vor allem in der Kerngemeinde Bad Endbach infolge der hier bestehenden
Kureinrichtungen intensiver ausgenutzte bzw. ausnutzbare Grundstücke gibt,
dürfte in einem Teil dieser Fälle der Vollgeschoßzuschlag für mehr als
zweigeschossige Bebauung zur Anwendung kommen und damit eine stärkere
Belastung ermöglichen. Daneben mag es auch Grundstücke geben, bei der
unabhängig von der Geschoßzahl allein die horizontale Ausdehnung der Bebauung
zu einem - verglichen mit anderen Grundstücken - mehr als doppelt so hohen
Nutzungsmaß führt. Daß die Anzahl dieser Fälle so hoch - nämlich über 10 % -
läge, daß sie nach dem Grundsatz der Typengerechtigkeit nicht mehr
vernachlässigt werden dürften, ist jedoch wenig wahrscheinlich. Eine abschließende
Prüfung dieser Frage muß gegebenenfalls dem Hauptsacheverfahren vorbehalten
bleiben.
Für die Gültigkeit des von der Antragsgegnerin festgelegten Beitragssatzes für die
"öffentliche Behandlungsanlage" von 1,45 DM je Quadratmeter Grundstücksfläche
zuzüglich eines Vollgeschoßzuschlags von 0,40 DM ab dem 3. Vollgeschoß (§ 2
Abs. 3 AbwBGS in der durch den VIII. Nachtrag vom 02.05.1994 eingeführten
Fassung) kommt es, wie das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die
Rechtsprechung des Senats zutreffend dargelegt hat, allein darauf an, daß dieser
im Ergebnis nicht überhöht ist. Letzteres kann die Gemeinde gegebenenfalls auch
durch Nachschieben einer fehlerfreien Beitragssatzkalkulation im gerichtlichen
Verfahren nachweisen (Senatsurteil vom 27.05.1987 - 5 UE 245/85 - ESVGH 37,
241 = HSGZ 1987, 530 = GemHH 1988, 160). An der ursprünglichen
Beitragssatzkalkulation der Antragsgegnerin hatte die Antragstellerin zu Recht
bemängelt, daß in ihr die zu erwartenden Einnahmen aus der Erhebung des
Vollgeschoßzuschlags für mehr als zweigeschossige Bebauung nicht berücksichtigt
seien. Zu einer Überhöhung des auf der Grundlage dieser Kalkulation festgelegten
Beitragssatzes führt das jedoch nicht. Bei richtiger Kalkulation gemäß der von der
Antragsgegnerin nachgeschobenen korrigierten Berechnung erhöht sich nämlich
der den Einnahmen gegenüberzustellende beitragsfähige Aufwand um
Fremdkapitalkosten in Höhe von ca. 300.000,-- DM und um Kosten für die
technische Planung in Höhe von ca. 250.000,-- DM. Dies übersteigt die auf den
Vollgeschoßzuschlag entfallende Einnahme von - nach der Berechnung des
Verwaltungsgerichts - 81.608,36 DM um ein Mehrfaches und schließt damit eine
Überdeckung aus.
Bei der summarischen Überprüfung der Gültigkeit des festgelegten Beitragssatzes
für die öffentliche Abwasserbehandlungsanlage hat sich das Verwaltungsgericht
nicht mit der Problematik auseinandergesetzt, inwieweit bei der Abrechnung von
Einrichtungsteilen, an denen - wie hier - Erneuerungs- und Erweiterungsarbeiten
durchgeführt werden, eine differenzierte Belastung von Alt- und Neuanliegern
erforderlich ist. Die Belastung von Neuanliegern, deren Grundstücke die
vorteilhafte Anschlußmöglichkeit erstmals erlangen, muß in einem
Schaffungsbeitrag bestehen, der sie am Aufwand der Einrichtung insgesamt
beteiligt. Für den Fall der Erneuerung eines Einrichtungsteils, die in nicht
unerheblichem Umfang Altbestand zur weiteren Nutzung unverändert
fortbestehen läßt, ist deshalb durch einen höheren Beitragssatz für Neuanlieger
sicherzustellen, daß diese auch für die Möglichkeit der Inanspruchnahme des
unverändert weitergenutzten Bestandes angemessen belastet werden. Die
Notwendigkeit einer entsprechenden Differenzierung beim Beitragssatz entfällt nur
dann, wenn als Folge einer umfassenden Erneuerung vorteilsvermittelnder
Altbestand in nennenswertem Umfang nicht mehr übrigbleibt (in diesem Sinne
bereits Senatsurteil vom 05.12.1996 - 5 UE 3642/95 - S. 13/14 des amtlichen
Abdrucks). Da die von der Antragsgegnerin abgerechnete Erneuerung und
Erweiterung der Abwasserbehandlungsanlage nur Teile dieser Teileinrichtung -
nämlich die Verbindungssammler, die Ablaufleitungen zum Vorfluter und die im
Verlauf dieser Leitungen angelegten abwassertechnischen Bauwerke - umfaßt,
scheint auf den ersten Blick die Festlegung unterschiedlicher Beitragssätze für Alt-
und Neuanlieger geboten. Nach der Darstellung der Antragsgegnerin in ihrer
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und Neuanlieger geboten. Nach der Darstellung der Antragsgegnerin in ihrer
Stellungnahme vom 15. Dezember 1997 sollen jedoch die anderen Anlagenteile
wie insbesondere die Kläranlage selbst sowie die Klärschlammbehandlungsanlage
ebenfalls erneuert und erweitert werden. Diese Teile sind Gegenstand eines
zweiten - selbständigen - Bauprogramms, welches gesondert abgerechnet wird
und mit dessen Ausführung bereits begonnen worden ist. Letztlich wird es auf
diese Weise zu einer den gesamten Bestand der Abwasserbehandlungsanlage
umfassenden Erneuerung und Erweiterung kommen. Ist das aber der Fall, so
erübrigt sich eine an die Möglichkeit der vorteilhaften Inanspruchnahme
fortbestehender alter Anlagenteile anknüpfende Mehrbelastung der Neuanlieger.
Deren Beteiligung am Aufwand auch der anderen Teile der
Abwasserbehandlungsanlage wird - wie bei den Altanliegern auch - durch die
gesonderte Abrechnung des hierauf bezogenen weiteren Bauvorhabens erreicht.
Ob das Satzungsrecht der Antragsgegnerin die Voraussetzungen für eine solche
Abrechnung jetzt schon erfüllt, obwohl sich die Kalkulation des Beitragssatzes in §
2 Abs. 3 Ziffer 1 AbwBGS in der Fassung des VIII. Nachtrags nur auf das erste
Bauvorhaben bezieht, mag dabei dahinstehen. Angesichts der Tatsache, daß die
Antragsgegnerin nach der Darstellung vom 15. Dezember 1997 mit der Erhebung
von Vorausleistungen auch für das zweite Erneuerungs- und
Erweiterungsvorhaben schon begonnen hat, sei aber vorsorglich darauf
hingewiesen, daß bereits die Erhebung von Vorausleistungen eine auf die jeweilige
Maßnahme beziehbare gültige Beitragssatzregelung voraussetzt (Senatsbeschluß
vom 12.11.1996 - 5 TG 2230/96 - HSGZ 1997, 290).
Im Unterschied zur Rechtslage bei den Flurstücken und der Antragstellerin
bestehen an der Rechtmäßigkeit der Erhebung von Vorausleistungen auch für das
Flurstück ernstliche Zweifel, so daß wenigstens hier - wie das Verwaltungsgericht
zutreffend entschieden hat - eine Aussetzung der sofortigen Vollziehung geboten
ist. Das Flurstück ist mangels unmittelbaren Angrenzens an die Wegeparzelle und
die dort verlaufende Sammelleitung leitungsmäßig nicht erschlossen. Da dieses
Flurstück durch die gemeindliche Bachparzelle vom sonstigen Grundeigentum der
Antragstellerin getrennt ist, verbietet sich auch - ausgehend von der
Begriffsbestimmung in § 2 Abs. 2 der Abwassersatzung der Antragsgegnerin - die
Annahme einer wirtschaftlichen Einheit mit dem leitungsmäßig erschlossenen
Flurstück. Eine Beitragspflicht der Antragstellerin auch für das Flurstück scheidet
damit aus.
Sowohl die Beschwerde der Antragstellerin als auch die Anschlußbeschwerde der
Antragsgegnerin sind infolgedessen zurückzuweisen. Die ausgesprochene
Kostenfolge beruht auf §§ 154 Abs. 2, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Angesichts der im
Vergleich zur streitigen Gesamtforderung (5.668,05 DM) geringen Höhe der für
das Flurstück erhobenen Vorausleistung (155,15 DM) und des sich daraus
ergebenden geringen Umfangs des Unterliegens der Antragsgegnerin als
Anschlußbeschwerdeführerin erscheint es gerechtfertigt, der Antragstellerin die
Kosten des Beschwerdeverfahrens ganz aufzuerlegen.
Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf den §§ 20
Abs. 3, 14, 19, 13 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.