Urteil des HessVGH vom 01.09.1987

VGH Kassel: örtliche zuständigkeit, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, sachliche zuständigkeit, öffentliche sicherheit, aufschiebende wirkung, hessen, ausführung, behörde, dienstanweisung

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
8. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 TH 2208/87
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 5 BAZG, § 14 BAZG
Leitsatz
Die örtliche Zuständigkeit der Staatlichen Gewerbeaufsichtsämter in Hessen ist nicht in
der gesetzlich gebotenen Weise geregelt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin wehrt sich gegen die sofortige Vollziehung eines Bescheides
des Staatlichen Gewerbeaufsichtsamts Wiesbaden vom 07.05.1987, in dem es ihr
- von im einzelnen genannten Ausnahmen abgesehen - untersagt wird, montags
bis freitags von 0.00 Uhr bis 4.00 Uhr und von 22.00 Uhr bis 24.00 Uhr sowie
samstags von 22.00 Uhr bis 24.00 Uhr in ihren zur Herstellung von Backwaren
dienenden Räumen Personen zu beschäftigen. Das Verwaltungsgericht hat mit
Beschluß vom 13.07.1987 die aufschiebende Wirkung des von der Antragstellerin
gegen den Bescheid eingelegten Widerspruchs angeordnet. Hiergegen hat der
Antragsgegner Beschwerde eingelegt, der das Verwaltungsgericht nicht
abgeholfen hat.
II.
Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet. Das
Verwaltungsgericht hat dem Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin zu Unrecht
entsprochen.
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs
nach § 80 Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO ist nicht begründet, weil dieser Widerspruch
nach den dem Senat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zugänglichen
Tatsachen unbegründet erscheint.
Der Senat teilt die Bedenken des erstinstanzlichen Gerichts gegen die
Zuständigkeit des Staatlichen Gewerbeaufsichtsamts Wiesbaden für den Erlaß des
mit dem Widerspruch angegriffenen Bescheides nicht, soweit das
Verwaltungsgericht die sachliche Zuständigkeit der Behörde in Frage gestellt hat.
Sie ist nämlich durch § 14 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Arbeitszeit in
Bäckereien und Konditoreien - BAZG - vom 29.06.1936 (RGBl. I S. 521), geändert
durch Gesetz vom 23.07.1969 (BGBl. I S. 937), und damit durch eine
Rechtsvorschrift geregelt. Nach der genannten Bestimmung obliegt die Aufsicht
über die Ausführung der Vorschriften des Gesetzes über die Arbeitszeit in
Bäckereien und Konditoreien und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen
Bestimmungen den Gewerbeaufsichtsämtern. § 14 Abs. 1 Satz 1 BAZG gilt als
dem Grundgesetz nicht widersprechendes Recht aus der Zeit vor dem
Zusammentritt des Bundestages gemäß Art. 123 Abs. 1 GG fort. Im übrigen dürfte
die Bestimmung aufgrund des Änderungsgesetzes vom 23.07.1969 in den Willen
des nachkonstitutionellen Bundesgesetzgebers aufgenommen worden sein. Der
Gesetzgeber des mit Zustimmung des Bundesrates erlassenen
Änderungsgesetzes wäre auch selbst dazu berechtigt gewesen, den Ländern die
Einrichtung besonderer Behörden vorzuschreiben oder den bereits bestehenden
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Einrichtung besonderer Behörden vorzuschreiben oder den bereits bestehenden
Gewerbeaufsichtsämtern die Aufsicht über die Ausführung der die Arbeitszeit in
Bäckereien und Konditoreien betreffenden Vorschriften zuzuweisen; denn die
Länder regeln bei der Ausführung von Bundesgesetzen als eigener Angelegenheit
die Einrichtung der Behörden lediglich insoweit selbst, wie nicht Bundesgesetze mit
Zustimmung des Bundesrates etwas anderes bestimmen (Art. 84 Abs. 1 GG).
Die örtliche Zuständigkeit es Staatlichen Gewerbeaufsichtsamts Wiesbaden für
den Erlaß des Bescheides vom 07.05.1987 erscheint demgegenüber zweifelhaft.
Die örtliche Zuständigkeit der Staatlichen Gewerbeaufsichtsämter in Hessen ist
nämlich nicht in der gesetzlich gebotenen Weise geregelt. Die Amtsbezirke sind
durch Dienstanweisung des Hessischen Sozialministers vom 28.03.1980 (StAnz. S.
687) festgelegt.
Sie decken sich nicht mit der Einteilung des Landes in Regierungsbezirke oder
Kreise. Da durch die Bestimmung der Amtsbezirke die Zuständigkeit der einzelnen
Gewerbeaufsichtsämter auch im Verhältnis zum Bürger geregelt werden soll,
erschöpft sie sich nicht lediglich in verwaltungsinterner Bedeutung. Vielmehr regelt
sie den örtlichen Wirkungsbereich der nach § 139 b der Gewerbeordnung - GewO -
und auch nach § 14 Abs. 1 Satz 1 BAZG für Eingriffe in die Rechtssphäre der
Bürger zuständigen Gewerbeaufsichtsbehörde. Eine derartige
Kompetenzzuweisung kann nach den vom Staatsgerichtshof des Landes Hessen
im Urteil vom 03.12.1969 - P. St. 569 - (ESVGH 20, 217) entwickelten Grundsätzen
nur durch Rechtssatz erfolgen. Die oben genannte Dienstanweisung des
Hessischen Sozialministers kann jedoch nicht als Rechtssatz, etwa in Gestalt einer
Rechtsverordnung oder Anordnung, angesehen werden, weil sie nicht in der durch
das Gesetz über die Verkündigung von Rechtsverordnungen,
Organisationsanordnungen und Anstaltsanordnungen vom 02.11.1971 (GVBl. I S.
258), zuletzt geändert durch Art. 18 des Zweiten Gesetzes zur Änderung von
Zuständigkeiten der Minister vom 28.08.1986 (GVBl. I S. 253), vorgeschriebenen
Weise veröffentlicht worden ist. Vorschriften über die sachliche Zuständigkeit von
Landesbehörden, die die Landesregierung oder eine oberste Landesbehörde
erläßt, werden nämlich nach § 5 Abs. 1 des zuletzt genannten Gesetzes als
Anordnung bezeichnet und im Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen
Teil I veröffentlicht. Nach Absatz 2 derselben Bestimmung erläßt die
Landesregierung Vorschriften nach Abs. 1 auch zur Ausführung von Bundesrecht,
soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Derartige abweichende
Bestimmungen sind für die Ausführung des Gesetzes über die Arbeitszeit in
Bäckereien und Konditoreien nicht ersichtlich. Die Veröffentlichung der als
Dienstanweisung bezeichneten Anordnung des Hessischen Sozialministers vom
28.03.1980 über die Zuständigkeit der Staatlichen Gewerbeaufsichtsämter des
Landes Hessen erweist sich daher als unzureichend.
Die unzureichende Regelung der örtlichen Zuständigkeit ist jedoch nicht geeignet,
den Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid des Staatlichen
Gewerbeaufsichtamts Wiesbaden vom 07.05.1987 als offensichtlich begründet und
damit die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs als
geboten erscheinen zu lassen. Für die Bestimmung seiner eigenen örtlichen
Zuständigkeit hat das Verwaltungsgericht erwogen, ob die mangelhafte Regelung
der örtlichen Zuständigkeit des Gewerbeaufsichtsamts dessen Zuständigkeit für
das gesamte Land Hessen herbeiführt. Der Antragsgegner will diese Überlegung
auch gelten lassen, um die örtliche Zuständigkeit der Behörde für den Erlaß des
angegriffenen Verwaltungsakts darzulegen. Der Senat sieht keine Veranlassung,
im vorliegenden Verfahren der Berechtigung dieser Auffassung im einzelnen
nachzugehen. Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 des
Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetzes - HVwVfG - nichtig ist, kann nämlich
nach § 46 HVwVfG nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter
Verletzung von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen
ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können.
Die Vorschrift, die eine geminderte Einschätzung der Bedeutung der örtlichen
Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden für das Zustandekommen von
Verwaltungsakten zum Ausdruck bringt, ist bei der hier zu Entscheidung
stehenden Sachlage, bei der es an einer wirksamen Regelung der örtlichen
Zuständigkeit gänzlich fehlt, zumindest entsprechend anwendbar.
Im Gegensatz zu dem Verwaltungsgericht ist der Senat der Ansicht, daß § 1 Abs. 1
des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung - HSOG - bei
der Ausführung der Vorschriften des Gesetzes über die Arbeitszeit in Bäckereien
und Konditoreien keine entsprechende Anwendung findet und daß der Behörde
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und Konditoreien keine entsprechende Anwendung findet und daß der Behörde
deshalb kein Ermessen zusteht. Das in § 1 Abs. 1 HSOG zum Ausdruck
kommende polizeirechtliche Opportunitätsprinzip gilt nicht ohne weiteres für
Sondergesetze, die der Polizei oder anderen bei der Gefahrenabwehr tätigen
Behörden zusätzliche Aufgaben übertragen (Drews/Wacke/Vogel/Martens,
Gefahrenabwehr, 8. Aufl., Köln 1975, S. 137 f.). Dem Gesetz über die Arbeitszeit in
Bäckereien und Konditoreien lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen,
daß den Gewerbeaufsichtsämtern ein Entschließungs- oder Auswahlermessen
beim Einschreiten gegen die zwingenden Vorschriften des Nachtback- und
Ausfahrverbots im Sinne des § 5 des genannten Gesetzes zustünde. Der Gefahr
eines unangemessenen behördlichen Vollzuges begegnet das Gesetz dadurch,
daß die Vorschrift über das Nachtbackverbot in Notfällen keine Anwendung findet
(§ 8) und der Zulassung von Ausnahmen unterliegt (§ 9).
Auch der Umstand, daß die Behörde es augenscheinlich entgegen § 28 Abs. 1
HVwVfG unterlassen hat, die Antragstellerin vor Erlaß des Bescheides vom
07.05.1987 anzuhören, ist nicht geeignet, den Widerspruch aussichtsreich
erscheinen zu lassen. Zum einen ergibt sich aus § 45 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2
HVwVfG, daß die erforderliche Anhörung noch bis zum Abschluß des Vorverfahrens
nachgeholt werden kann. Zum anderen kann die Aufhebung eines
Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 HVwVfG nichtig ist, nach § 46 HVwVfG auch
dann nicht beansprucht werden, wenn er lediglich unter Verletzung von
Vorschriften über das Verfahren zustande gekommen ist, wenn keine andere
Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können.
Auch im übrigen lassen sich keine durchgreifenden Bedenken gegen die
Rechtmäßigkeit des mit dem Widerspruch angegriffenen Bescheides erheben.
Soweit die Antragstellerin die Verfassungsmäßigkeit des § 5 BAZG in Frage stellt,
sieht sich der Senat durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom
25.02.1976 - 1 BvL 26/73 u. a. (BVerfGE 41, 360), gebunden. Danach sind das
Nachtbackverbot und das Verbot des Ausfahrens von Backwaren zur Nachtzeit mit
dem Grundgesetz vereinbar. Zwar versucht die Antragstellerin unter Hinweis auf
die Entwicklung seit dem Jahre 1976 darzulegen, daß die tatsächlichen
Voraussetzungen für die damalige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
nicht mehr vorlägen. Es ist im Verfahren der vorläufigen Rechtsschutzes jedoch
nicht möglich, im einzelnen zu klären, inwieweit sich die von den
Verfahrensbeteiligten unterschiedlich beurteilten tatsächlichen Verhältnisse
geändert haben.
Schließlich fehlt es dem Bescheid vom 07.05.1987 entgegen der Auffassung der
Antragstellerin nicht an einer hinreichenden Begründung des besonderen
Interesses an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes gemäß § 80 Abs. 3
Satz 1 VwGO. Die Behörde hat in dem Bescheid insoweit ausgeführt, daß der
Schutz der Arbeitnehmer vor gesundheitlichen Gefahren dem Einzelinteresse an
der Aufrechterhaltung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs vorgehe. Die
Antragstellerin kann in diesem Zusammenhang nicht damit gehört werden, daß es
zweckmäßiger wäre, die Gesundheit der Arbeitnehmer durch andere als die in § 5
BAZG vorgesehenen Vorkehrungen, etwa durch die Einführung eines
Schichtdienstes, zu schützen. Solange von der Gültigkeit des Gesetzes
auszugehen ist, steht es dem einzelnen Hersteller von Backwaren nicht zu, seinen
eigenen Erwägungen gegenüber den im Gesetz zum Ausdruck gelangten
Wertungen des Gesetzgebers Geltung zu verschaffen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 20 Abs. 3 i. V, mit § 13 dös. 1 Satz 1 GKG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.