Urteil des HessVGH vom 12.10.1993

VGH Kassel: finanzen, versetzung, beamter, flughafen, vollziehung, verweigerung, präsident, rechtsschutz, empfehlung, hauptsache

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
1. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 TH 2276/92
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 69 Abs 2 BPersVG, § 69
Abs 3 BPersVG, § 69 Abs 4
BPersVG, § 71 BPersVG, §
76 Abs 1 Nr 5 BPersVG
(Personalvertretungsrecht: Unwirksamkeit der
Zustimmungsverweigerung - Eingreifen der
Zustimmungsfiktion; hier: Auswahl abzuordnender
Beamter)
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hätte dem
Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz gegen den angefochtenen Bescheid, mit
dem der Antragsteller unter Anordnung der sofortigen Vollziehung mit dem Ziel
der Versetzung an das Hauptzollamt abgeordnet worden ist, nicht versagen
dürfen. Der Bescheid erweist sich bei der im Eilverfahren allein gebotenen
summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage wegen rechtserheblicher Fehler
im Mitbestimmungsverfahren als rechtswidrig. Die Einschaltung der
Personalvertretung ist nicht ordnungsgemäß erfolgt. Der Bundesminister für
Finanzen hätte das Stufenverfahren nicht abbrechen dürfen, sondern die
Einigungsstelle anrufen müssen. Die in der Hauptsache erhobene Klage verspricht
somit Aussicht auf Erfolg, so daß die sofortige Vollziehung der
Abordnungsverfügung nicht im öffentlichen Interesse liegen kann.
Nach § 76 Abs. 1 Nr. 5 Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) vom 15. März
1974 (BGBl. I S. 693, zuletzt geändert durch Gesetz vom 16. Januar 1991, BGBl. I
S. 47) unterliegt eine Abordnung für die Dauer von mehr als drei Monaten der
Mitbestimmungspflicht. Das Mitbestimmungsverfahren ist durch den Antrag des
Präsidenten der Oberfinanzdirektion auf Zustimmung zu der beabsichtigten
Maßnahme gemäß § 69 Abs. 2 Satz 1 BPersVG ordnungsgemäß eingeleitet
worden. Der nach § 82 Abs. 1 BPersVG anstelle des örtlichen Personalrates zu
beteiligende Bezirkspersonalrat (Bund) bei der Oberfinanzdirektion hat seine
Zustimmung mit Schreiben vom 2. März 1990 gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 2 BPersVG
unter Hinweis auf die dem Antragsteller im Falle einer Versetzung nach drohenden
persönlichen Nachteile verweigert, die der Antragsteller seinerseits mit Schreiben
vom 16. Februar 1990 gegenüber dem Bezirkspersonalrat dargelegt hatte.
Die Stellungnahme vom 2. März 1990 ist dem Präsidenten der Oberfinanzdirektion
am 6. März 1990 zugegangen. Davon gehen die Beteiligten inzwischen
übereinstimmend aus; auf den diesbezüglichen Beschluß des Fachsenates für
Personalvertretungssachen (Bund) des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom
17. Juni 1993 - TK 454/93 - nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen
Bezug. Da der Präsident der Oberfinanzdirektion den Vorgang am 13. März 1990
dem Bundesminister der Finanzen zur Entscheidung vorgelegt hat, ist die
Vorlagefrist von sechs Arbeitstagen nach § 69 Abs. 3 Satz 1 BPersVG gewahrt
worden. Von einer endgültigen Verweigerung der Zustimmung des
Bezirkspersonalrats zu der beabsichtigten Personalmaßnahme war somit in
diesem Verfahrensstadium nicht auszugehen; vielmehr ist das Stufenverfahren im
Sinne von § 69 Abs. 3 und 4 BPersVG rechtzeitig eingeleitet und fortgeführt
worden.
Nachdem der Hauptpersonalrat beim Bundesminister der Finanzen mit Schreiben
vom 11. März 1991 seine Zustimmung gleichfalls verweigert und sich zur
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vom 11. März 1991 seine Zustimmung gleichfalls verweigert und sich zur
Begründung auf eine Stellungnahme des Bezirkspersonalrats vom 22. Februar
1991 bezogen hatte, hat der Bundesminister der Finanzen am 25. April 1991
mitgeteilt, die Zustimmungsverweigerung lasse keine nach § 77 Abs. 2 BPersVG
erheblichen Tatsachen erkennen, so daß sie unwirksam sei. Die Maßnahme gelte
damit gemäß § 69 Abs. 2 Satz 5 BPersVG als gebilligt.
Der darin liegende Abbruch des Stufenverfahrens zur Beteiligung der
Personalvertretung ist fehlerhaft. Der Bundesminister der Finanzen hätte gemäß
§§ 69 Abs. 4 Satz 1, 71 BPersVG die Einigungsstelle anrufen und vor einer
endgültigen Entscheidung deren Empfehlung abwarten müssen (§ 69 Abs. 4 Satz 3
und 4 BPersVG). Die Voraussetzungen einer Zustimmungsfiktion lagen nicht vor.
Nach § 69 Abs. 2 Satz 5 BPersVG gilt eine Maßnahme als gebilligt, wenn nicht der
Personalrat die Zustimmung unter Angabe von Gründen schriftlich verweigert. Die
Gründe müssen einem gesetzlichen Mitbestimmungstatbestand zuzuordnen sein.
In den Fällen des § 76 Abs. 1 BPersVG, zu denen auch die hier streitige Abordnung
mit dem Ziel der Versetzung zählt, kommen als "Gründe" im Sinne von § 69 Abs. 2
Satz 5 BPersVG nur die in § 77 Abs. 2 BPersVG abschließend aufgeführten
Voraussetzungen einer Zustimmungsverweigerung in Betracht. Ist ein solcher
Grund der Stellungnahme, mit der die Zustimmung verweigert wird, nicht zu
entnehmen, so steht dies dem Fehlen einer Begründung gleich (vgl. BVerwG, Urteil
vom 10. August 1987, BVerwGE 78, 65; Beschluß vom 15. November 1989 - 6 P
2/87 -, ZBR 1990, 212; Lorenzen/Haas/Schmitt,
Bundespersonalvertretungsgesetz, Stand: März 1993, RdNr. 22 a zu § 69; Fischer,
in: Fürst, GKÖD, Bd. V Teil 3, RdNrn. 11, 20, 28 f. zu § 69 BPersVG).
Davon ist der Bundesminister der Finanzen im vorliegenden Fall ersichtlich nur
deshalb ausgegangen, weil das Schreiben des Hauptpersonalrats vom 11. März
1991 als solches keine eigene Begründung, sondern nur eine Bezugnahme
enthielt, und zwar u.a. auf die beigefügte Stellungnahme des Bezirkspersonalrats
vom 22. Februar 1991. In dieser wird jedoch inhaltlich auf das Schreiben des
Bezirkspersonalrats vom 2. März 1990 und die diesem anliegende Stellungnahme
des Antragstellers vom 16. Februar 1990 Bezug genommen. Darin widerspricht
der Antragsteller der beabsichtigten Versetzung und legt dar, er müsse sich um
seine pflegebedürftige Mutter kümmern, die allein in einem Vorort von Marburg
lebe. Er besuche sie zweimal täglich. An den Wochenenden und in der dienstfreien
Zeit müsse er für sie einkaufen, Besorgungen erledigen und mit ihr zum Arzt
fahren. Die schulischen Leistungen seines elfjährigen Sohnes, den er allein
erziehe, hätten nachgelassen, so daß er sich verstärkt um ihn kümmern müsse,
zumal der Wechsel auf eine weiterführende Schule bevorstehe.
Damit sind Tatsachen dargelegt, die eine Benachteiligung des Antragstellers im
Sinne von § 77 Abs. 2 Nr. 2 BPersVG besorgen lassen. Auf die rechtliche
Tragfähigkeit der angeführten familiären Nachteile kommt es für die Beurteilung
der Frage, ob die Stellungnahme des Personalrats mit Gründen im Sinne von § 69
Abs. 2 Satz 5 BPersVG versehen ist, nicht an. Die Prüfung der Schlüssigkeit der
vorgetragenen Begründung ist dem Einigungsverfahren vorbehalten (vgl. BVerwG,
Urteil vom 20. Juni 1986, BVerwGE 74, 273, 277). Die Zustimmungsverweigerung
ist nicht nur dann wirksam, wenn sich der Personalrat auf einen bestimmten
gesetzlichen Mitbestimmungstatbestand beruft und die Verweigerungsgründe
diesem Tatbestand in rechtlich einwandfreier Weise zuordnet; sie setzt nicht
einmal voraus, daß die angegebenen Gründe in sich widerspruchsfrei sind (vgl.
BVerwG, a.a.O., BVerwGE 74, 273, 276). Es genügt vielmehr, wenn das Vorbringen
des Personalrates es zumindest als möglich erscheinen läßt, daß ein gesetzlicher
Verweigerungsgrund gegeben sein könnte.
Diesen Mindestanforderungen genügt die Begründung vom 11. März 1991 in
Verbindung mit den Bezugsschreiben vom 16. Februar und 2. März 1990 sowie
vom 22. Februar 1991 ohne weiteres. Hinzu kommt, daß die Darlegungen des
Antragstellers indirekt auch den Hinweis auf die räumliche Entfernung zwischen
Gießen und Frankfurt am Main enthalten, die in Anbetracht der An- und Abfahrt
zum Dienstort einen weiteren, erheblichen persönlichen Nachteil für den
Antragsteller begründen kann.
Bereits wegen der unterlassenen Anrufung der Einigungsstelle ist die
angefochtene Maßnahme rechtswidrig (vgl. BVerwG, Urteile vom 1. Dezember
1982, BVerwGE 66, 291, 294, sowie vom 13. November 1986, BVerwGE 75, 138,
141; Lorenzen/Haas/Schmitt, RdNrn. 57 a zu § 69 BPersVG und 61 zu § 76
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141; Lorenzen/Haas/Schmitt, RdNrn. 57 a zu § 69 BPersVG und 61 zu § 76
BPersVG).
Darüber hinaus bestehen nach Auffassung des Senats schwerwiegende Bedenken
gegen die auf § 27 Abs. 1 Satz 1 Bundesbeamtengesetz (BBG) in der Fassung der
Bekanntmachung vom 27. Februar 1985 (BGBl. I S. 479, hier anzuwenden in der
Fassung des Gesetzes vom 12. September 1990, BGBl. I S. 2002) gestützte
Ermessensentscheidung, den Antragsteller und keinen anderen Beamten an das
Hauptzollamt Frankfurt am Main-Flughafen abzuordnen.
Die Antragsgegnerin hat ihre Auswahlentscheidung mit Bericht vom 28. August
1991 im wesentlichen mit der personellen Lage in den Hauptzollämtern in, und
begründet und den Personalfehlbestand der genannten Ämter im gehobenen
Dienst im allgemeinen sowie im Sachgebiet Außenprüfung und Steueraufsicht im
besonderen mit dem des Hauptzollamts verglichen; darauf beruht auch die
Begründung des Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober 1991. Im Rahmen der
Ermessensentscheidung nach § 27 Abs. 1 BBG sind die persönlichen Belange des
Beamten gegen die konkreten dienstlichen Erfordernisse abzuwägen; erforderlich
sind darüber hinaus aber auch Überlegungen zur Auswahl des zu versetzenden
Beamten. Die Verfahrensweise der Antragsgegnerin erscheint schon deshalb nicht
ermessensfehlerfrei, weil eine an sozialen Gesichtspunkten orientierte Auswahl
zwischen mehreren für eine Abordnung in Frage kommenden Beamten nicht
erkennbar wird. Statt dessen orientiert sich die Antragsgegnerin ausschließlich an
der Personalsituation der hessischen Hauptzollämter. Die Antragsgegnerin legt
nicht dar, aus welchen Gründen gerade der Antragsteller und nicht beispielsweise
ein jüngerer, lediger und ortsungebundener Beamter abgeordnet werden soll. Den
Belangen des Antragstellers könnte ferner dadurch besser Rechnung getragen
werden, daß er nach Art eines Stellentausches an ein näher an seinem Wohnort
gelegenes Hauptzollamt versetzt und ein anderer Beamter von dort nach
Flughafen abgeordnet wird. Schließlich ist offenbar nicht erwogen worden, die an
einem der Hauptzollämter durch die Abordnung entstehende Lücke durch eine
Neueinstellung zu schließen.
Diese Bedenken bedürfen jedoch keiner weiteren Vertiefung, weil die angefochtene
Abordnungsverfügung - wie dargelegt - bereits aus formellrechtlichen Gründen
rechtswidrig ist.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.